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Goethe, Schiller und die Goethezeit auf Google+

Conrad Ferdinand Meyer

Kurzbiografie

Conrad Ferdinand Meyer (*11. Oktober 1925 in Zürich – †28. November 1898 in Kilchberg bei Zürich) wurde schon in seiner Jugend, die er u.a. in Lausanne verbrachte, für romanische Kultur und Lebensart sensibilisiert, die sein schriftstellerisches Werk prägen sollte. Als Fünfzehnjähriger geriet er durch den Tod des Vaters in eine tiefe existentielle Krise, die Aufenthalte in Sanatorien nötig machte; sechs Jahre später ertränkte sich die Mutter, die unter Depressionen und religiöser Paranoia litt. Nach dem Verlust der Eltern ermöglichte eine Erbschaft dem schwermütigen Meyer ein finanziell weitgehend sorgenfreies Leben, das er seit 1857 gemeinsam mit seiner musisch talentierten und lebenstüchtigen Schwester Elisabeth, „Betsy“ (1831-1912) führte. Ihr verdankte er 1864 seine erste Veröffentlichung („Zwanzig Balladen von einem Schweizer“), sie arbeitete bis 1879 als Co-Autorin mit an seinen Werken und führte die Verhandlungen mit den Verlegern. 1858 reisten die Geschwister nach Italien, wo besonders der Romaufenthalt für Meyer eine „Wiedergeburt“ nach schweren psychischen Leiden bedeutete und die kulturelle Allgegenwärtigkeit von Antike und Renaissance seine Schaffenskraft beflügelte. In der ewigen Stadt begann Meyer mit den Skizzen zu seinem wohl berühmtesten Gedicht „Der römische Brunnen“, jenem sogenannten „Dinggedicht“, das ihm die Würdigung, den Symbolismus zu antizipieren, bescheren sollte. Nach einem Jahre in Anspruch nehmenden Verfahren der Perfektionierung, in dem akribisch und unermüdlich feinste und kleinste Modellierungen vorgenommen wurden, konnte das Brunnengedicht 1869 erstmalig veröffentlicht werden, erschien jedoch erst 1882 in seiner endgültigen Version in der Sammlung „Gedichte“. Als Vorbild des Brunnens diente wahrscheinlich Giovanni Vasanzios (~ 1550-1621) „Fontana ovale“ in der Villa Borghese. 1869 zogen Meyer und seine Schwester nach Küsnacht am Zürichsee. Eine weitere Reise nach Italien (November 1871 bis März 1872) führte die Geschwister nach Verona, Venedig und Bologna. Nach Rom, wie ursprünglich geplant, kehrte Meyer nicht mehr zurück. 1872 stellte sich für den mittlerweile 47-jährigen Dichter literarischer Erfolg mit dem Gedichtzyklus „Huttens letzte Tage“ ein. Auch die folgenden Jahre standen unter dem Zeichen rastloser Produktivität („Das Amulett“, 1873; „Jürg Jenatsch“, 1876; „Der Schuß von der Kanzel“, 1878; „Der Heilige“, 1880; „Plautus im Nonnenkloster“, 1882; „Gustav Adolfs Page“, 1882; „Das Leiden eines Knaben“, 1883; „Die Hochzeit des Mönchs“, 1884; „Die Richterin“, 1885; „Die Versuchung des Pescara“, 1887; „Angela Borgia“, 1891). Die Heirat des Fünfzigjährigen mit Luise Ziegler (1837-1915), der Tochter des Zürcher Stadtpräsidenten, galt zwar als eine prestigeträchtige Verbindung, wurde jedoch durch symbiotische Beziehung zwischen dem Geschwisterpaar stark belastet. Meyer erlag Ende der 1880er Jahre seinen depressiven Leiden. Gemeinsam mit Jeremias Gotthelf (1797-1854) und Gottfried Keller (1819-1890) gilt er als bedeutendster deutschsprachiger Schweizer Dichter des Realismus.


Yvonne-Patricia Alefeld





[118]

La Röse

Als der Bernina Felsentor
Durchdonnerte der Wagen
Und wir im Süden sahn empor
Die Muschelberge ragen,
Blies schmetternd auf dem Rößlein vorn
Der in der Lederhose –
„Wen grüßest du mit deinem Horn?“
„Die Rose, Herr, die Rose!“

Mit flachem Dach ein Säulenhaus,
Das erste welsche Bildnis,
Schaut Röse, weinumwunden, aus
Erstarrter Felsenwildnis –
Es ist, als ob das Wasser da
In weichern Lauten tose,
Hinunter nach Italia
Blickt der Balkon der Rose.

Nun, Herz, beginnt die Wonnezeit
Auf Wegen und auf Stegen!
Mir strömt ein Hauch von Üppigkeit
Und ew’gem Lenz entgegen –
Es suchen sich um meine Stirn
Zwei Falter mit Gekose –
Den Wein bringt eine Junge Dirn’
Mit einer jungen Rose.

Noch einmal darf in südlich Land
Ich Nordgeborner wallen,
Vertauschen meine Felsenwand
Mit weißen Marmorhallen.
Gegrüßt, Italia, Licht und Lust!
Ich preise meine Lose!
Du bist an unsrer Erde Brust
Die Rose, ja die Rose!



[119]

Der Triumphbogen

Ein leuchtend blauer Tag. Ein wogend Ährenfeld,
Daraus ein wetterschwarzer Mauerbogen steigt.
In seinem kurzen Schatten schläft das Schnittervolk.
Allein emporgerichtet sitzt die schönste Maid,
Des Landes Kind, doch welchen Lands? Italiens!
Ein strenggeschnittnes, musenhaftes Angesicht,
Am halbzerstörten Sims des Bogens hangt der Blick,
Als müht’ er zu enträtseln dort die Inschrift sich.
(Wenn nicht des Auges Dunkel von dem Liebsten träumt!)
Sie hebt die erste sich, erweckt die Schnitterschar,
Ergreift die blanke Sichel, die im Schatten lag,
Und schreitet herrlich durch das Goldgewog des Korns,
Umblaut vom Himmel, als ein göttliches Gebild.
[120] ’s ist Klio, die das Altertum enträtselnde,
Vergilbten Pergaments und der Archive müd,
Gelockt vom Rauschen einer überreifen Saat,
Wird sie zur starken Schnitterin. Die Sichel klingt.



[120]

Venedigs erster Tag

Eine glückgefüllte Gondel gleitet auf dem Canal grande,
An Giorgione lehnt die Blonde mit dem roten Samtgewande.
„Giorgio, deiner Laute Saiten hör ich leise, leise klingen –“
„Julia Vendramin, Erlauchte, was befiehlst du mir zu singen?“

„Nichts von schönen Augen, Giorgio! Solches Thema sollst du lassen!
Singe, wie dem Meer entstiegen diese wunderbaren Gassen!
Feßle kränzend keine Locken, die sich ringeln los und ledig!
Giorgio, singe mir von meinem unvergleichlichen Venedig!“

„Meine süße Muse will es! Es geschieht!“ Er präludierte.
„Weiland, eh’ des heil’gen Markus Flagge dieses Meer regierte,
Drüben dort, wo duftverschleiert Istriens schöne Berge blauen,
Sank vor ungezählten Jahren eine Dämmrung voller Grauen.

Durch das Dunkel huschen Larven, angstgeschreckte Hunde winseln,
Schreie gellen, Stimme warnen: ‚Löst die Böte! Nach den Inseln!’
In den Lüften haucht ein Odem, wie es in den Gräbern modert –
Schaurig tagen Meer und Himmel! Aquileja brennt und lodert!

Von der Stätte, wo die stillen, ungezähmten Flammen wogen,
Kommt ein dumpfes Menschenbrausen nach dem freien Strand gezogen:
Attila, die Gottesgeißel, jagt auf blutbesprengten Pfaden
Krieger mit zerbrochnen Schwertern, Frau’n mit Schätzen schwer beladen.

Wie zum Hades Schatten wandern, ziehn zum Meere die Gescheuchten,
Das die purpurrot gefärbten Wolken weit hinaus beleuchten,
[121] Witwen, Waisen schreiten jammernd, schweigend stürzen wunde Männer,
Mitten im Gewühle bäumen Wagen sich und scheue Renner.

Kniee wanken, Füße gleiten, Kästchen brechen, draus die hellen
Goldnen Reife rollend springen und die weißen Perlen quellen.
Nackte Küstenkinder starren gierig auf das rings zerstreute
Gold, und doch betastet’s keines – Etzels ist die ganze Beute!

Schiffer rüsten dunkle Nachen, drüber Wogen schäumend schlagen,
Durch die weiße Brandung werden bleiche Frau’n an Bord getragen –
Mit der Rechten an die phryg’sche Mütze langt der Meerplebejer
Beut zum Sprung ins Boot die Linke dem behelmten Aquilejer.

Schon entflieht ein Schiff mit wehnden Segeln, flatternden Gewanden
Drin sich weitgetrennte Lose sonder Wahl zusammenfanden,
Unbekannte Hände drücken sich in angstbeklommnem Traume
Aquilejas Überbleibsel schmiegen sich in engem Raume.

Letzte Scheideblicke wendend, sehn sie noch den Himmel bluten
Aber tiefer stets und ferner brennen die gesunknen Gluten.
Still verglimmt der Heimat müde Todesfackel. Auf die Ruder
Beugt sich Unglück neben Unglück, Bruder seufzend neben Bruder.

Eine Fürstin küßt ein Knäblein, ein dem Edelblute fremdes,
Eine Sklavin wärmt ein fürstlich Kind im Schoß des Wollenhemdes –
Unter ihnen  e i n e  Tiefe, über ihnen  e i n e  Wolke –
Liebe taut vom Himmel, Liebe wächst in diesem neuen Volke.

Über eines Mantels Flattern, sturmverwobten greisen Haaren
Will das Schweben einer Glorie einen Heil’gen offenbaren,
Dieses ist der heil’ge Markus, rüstig rudernd wie ein andrer –
Nach den nahenden Lagunen lenkt die Fahrt der sel’ge Wandrer.

Neben ihm der Jugendschlanke schlägt die Wellen, daß sie schallen,
Wirren Locken sind die Kränze schwelgerischer Lust entfallen.
[122] Der Bacchant wird zum Äneas. Niederbrannte Trojas Feuer.
Mit den rudernden Genossen sucht er edles Abenteuer.

Mählich lichtet sich der Osten. In der ersten Helle schauen
Kecke Männer tief ins Antlitz morgenbleicher schöner Frauen –
Lieblich Haupt, das blonde Flechten wie mit lichtem Ring umwinden,
Bald an einem tapfern Herzen wirst du deine Heimat finden!

Scharfgezeichnet neigt sich eines Helden narb’ge Stirne denkend,
In das göttliche Geheimnis ew’gen Werdens sich versenkend;
Rings in Stücke sprang zerschmettert Romas rost’ge Riesenkette,
Neue Weltgeschicke gönnen junger Freiheit eine Stätte . . .

Wie geworfen aus dem Himmel, heiter spielend, von Auroren,
Schwimmt ein lichter Kranz von Inseln in die blaue Flut verloren,
Durch die Brandung gehn die Kähne mit beseelten Ruderschlägen,
Fischer stehen, schaumgebadet, und sie rufen sich entgegen:

‚Flehnde kommen wir, Veneter! Drüben flammt ein weit Verderben!
Unsre Seelen sind entronnen einem ungeheuren Sterben!’
‚Freuet euch! Ihr lebt und atmet! Hier ist euch Asyl gegeben!
Friede sei mit euren Toten! Freude denen, die da leben!’

Machtvoll, Schwert und Ruder tragend, wallen Genien vor den Böten;
Auch ein Schwarm von Liebesgöttern flügelt durch die jungen Röten –
Über das Gestein der Insel geht ein Hauch von Lust und Wonne,
Ahnungsvollem Meer entsteigend, prangt Venedigs erste Sonne.

Blonde Julia, deiner Heimat Ursprung hab’ ich dir verkündet,
Liebe hat die Stadt Venedig, Liebe hat die Welt gegründet –
Deiner Augen strahlend blauer Himmel würde bleichen ohne
Liebesfeuer und verstummen, wie die Laute des Giorgione!“



[123]

Venedig

Venedig, einen Winter lebt’ ich dort –
Paläste, Brücken, der Lagune Duft!
Doch hier im harten Licht der Gegenwart
Verdämmert mählich mir die Märchenwelt.
Vielleicht vergaß ich einen Tizian.
Ein Frevel! Jenen doch vergaß ich nicht,
Wo über einem Sturm von Armen sich
Die Jungfrau feurig in die Himmel hebt,
So wenig als den andern Tizian –
Doch kein gemalter war’s – die Wirklichkeit:
Am Kai, dem nächt’gen, der Slawonen war’s.
Im Dunkel stand ich. Fenster schimmerten.
Zwei dürft’ge Frauen kamen hergerannt.
Hart an die Scheibe preßt’ das junge Weib
Die bleiche Stirn. Was drinnen sie erblickt,
Das sie erstarren machte, weiß ich nicht.
(Vielleicht den Herzgeliebten, welcher sie
An eines andern Weibes Brust verriet.)
Ich aber sah den feinsten Mädchenkopf
Vom Tod entfärbt! Ein Antlitz voller Tod!
Die Mutter führte weg die Schwankende...
Die beiden Tiziane blieben mir
Stets gegenwärtig; löschen sie, so lischt
Die Göttin vor dem armen Menschenkind.



Auf dem Canal grande

Auf dem Canal grande betten
Tief sich ein die Abendschatten,
Hundert dunkle Gondeln gleiten
Als ein flüsterndes Geheimnis.

Aber zwischen zwei Palästen
Glüht herein die Abendsonne,
Flammend wirft sie einen grellen
Breiten Streifen auf die Gondeln.

[124] In dem purpurroten Lichte
Laute Stimmen, hell Gelächter,
Überredende Gebärden
Und das frevle Spiel der Augen.

Eine kurze, kleine Strecke
Treibt das Leben leidenschaftlich
Und erlischt im Schatten drüben
Als ein unverständlich Murmeln.



[127]

Der römische Brunnen

Aufsteigt der Strahl und fallend gießt
Er voll der Marmorschale Rund,
Die, sich verschleiernd, überfließt
In einer zweiten Schale Grund;
Die zweite gibt, sie wird zu reich,
Der dritten wallend ihre Flut,
Und jede nimmt und gibt zugleich
Und strömt und ruht…




[131]

Der Musensaal

Jüngst trug ein Traum auf dunkler Schwinge mich
Nach Rom, der Ew’gen Stadt. Den Vatikan
Betrat ich. Ich betrat den Musensaal
Verwundert, denn er war ein andrer heut,
Als ich geschaut mit jungen Augen ihn,
Da Pio Nono höchster Priester war.
Verschwunden aus dem edeln Oktogon,
Dem kuppelhellen, war der Musaget,
Apollo, der die Zither zierlich schlug,
Voranzugehn dem Chor tanzmeisterlich.
Die Neune saßen oder standen nicht,
Umher verteilt, in schönen Stellungen –
In wilder Gruppe schritten eilig sie,
Wie Schnitterinnen, die auf blachem Feld
Ein flammendes Gewitter überrascht!
Voran die blutige Melpomene,
Die an den Söhnen rächt der Väter Schuld.
Sie trägt das Schwert und auch den Kranz von Wein.
Wer schreitet, schlicht gewandet, neben ihr?
Kalliope, die keusch und kindlich blickt,
Die den erblindeten Homer geführt,
Die tapfre Helden liebt und Schildgetos
Und Roßgestampf und dann abseits der Schlacht
Im jugendzartem Busen Lose wägt.
Weithallend redet dort ein mächtig Paar,
Terpsichore und Polyhymnia:
„Der Tag ist fern, und er erfüllt sich doch:
Die Völker schreiten einen Reigen einst,
Sich an den Händen haltend, frei gesellt,
Vieltausendstimmig dröhnt der Chorgesang!“
¬– „Dann weicht das Leid! Nicht alles, aber doch
Das meiste Leid!“ Euterpe flötet es,
Das liebliche Geschöpf, die Schmeichlerin!
–  „Dann füllt,“ Erato lacht’s mit blühndem Mund,
Die schöne Schelmin, die das Liebeslied,
Das Zechlied für allein unsterblich hält,
[132] „Dann füllt ein jeder seine Schale sich
Mit duft’gem Wein und schlürft und keiner darbt!“
– „Törinnen!“ gellt ein scharfgeschnittner Mund,
„Verspotte sie, mein Aristophanes! ...
Doch eure Kampfgesellin bin ich auch!
Ich morde lachend, was nicht sterben kann,
In trunkner Lust, wie die Bacchante jach
Ein Zicklein oder Reh in Stücke reißt.
Mordlust’ger bin ich noch und tragischer
Als du, mein Schwesterchen Melpomene,
Denn du erhellest unter Zähren dich,
Doch mein Gelächter, Tränen schluchzen drin!“
Thalia rief’s, und unterm Efeukranz
Verlarvte mit der Satyrmaske sie
Die wehmutvoll ergriffnen Züge sich
Und hob mit nerv’gem Arm das Tympanum.
Die letzte wandelt noch Urania,
Die Gläubige, mit dem gehobnen Blick.
Die andern nennen sie die Schwärmerin,
Doch trennt sie sich von den Geschwistern nicht.
Sie sieht den Sturm der Erdendinge ruhn
In friedevollen Händen immerdar …
Aufflattert das Gewand! Die Locken wehn!
Die Kuppel weicht! In leuchtend tiefem Blau
Entfesselt schwebte der Musenchor einher.



[175]

Die Wunderbare Rede

Auf der Appierstraße zieht ein Heer
Schnellen Schrittes, weit umwölkt von Staub.
Weiß am Horizont das Häusermeer –
„Rom ist morgen euer!“ zeigt Sever.
„Flieget, Adler! Stoßt auf euren Raub!“

[176] Morgen? Rom sorgt sich um morgen nicht.
„Die Gladiatoren spielen heut!“
Weiber schmücken sich. Orestes ficht!
Manch unheimlich brennend Augenlicht
Blitzt im Spiegel, den die Sklavin beut.

Sänften hasten zum Theater schon,
Von Gewitterwolken überjagt,
Schwüle Blicke, die wie Fackeln lohn!
Ungeduldig finstre Brauen drohn:
„Eilet, Sklaven!“ Spiel ist angesagt!

Über Dach und Zinne ragt empor
Himmelhoch ein riesenstarker Bau,
Der ein Volk empfängt durch manches Tor.
Hinter seinem Mauerkranz hervor
Steigt es schwarz und schwärzer auf im Blau.

Drinnen drängen sie sich, Sitz an Sitz,
Jede Stufe strotzt und wogt und schwillt.
Auf der Bühne züngeln hell und spitz
Kurze Schwerter. Schimmernd flirrt ein Blitz,
Und ein erster Sprudel Blutes quillt.

Starren Blickes, blaß vor Leidenschaft,
Lauert vorgeneigt die Römerin
Auf die Sterbewunde – eine gafft
Lüstern, eine sinnt dämonenhaft,
Eine lauscht mit hartem Mördersinn.

An der rasch gedrehten Klingen Spiel
Heften Seelen gierig, ohne Zahl –
Traf der Stoß? Er saß. Ein Fechter fiel,
Wälzt sich um im Sand und ist am Ziel
Nach der kurz empfundnen Sterbequal.

Mark und Herz erschütternd gellt ein Schrei!
Dort auf dem Balkon ein Weib im Traum:
Um die Schultern wehn die Haare frei
Und als ob sie die Sibylle sei,
Ruft sie ehern durch den vollen Raum:

[177] „Wehe morgen! Fechter, du bist tot!
Gute Fahrt! Dir tun sie nichts zuleid!
Morgen wehe! Horch! Die Tuba droht!
Eine weite Flamme weht und loht!
Wehe! Sie zerreißen mir das Kleid!“

In das Morgen blickt sie voller Graun,
Schaudernd wie vor Blutes tiefem Strom,
Denn ihr Auge kann das Künft’ge schaun –
Es ist keine von den ird’schen Frau’n!
Es ist Rom! Es ist die Göttin Rom!

Vor dem Volk auf hoher Stufe ragt
Rom, die Herrin, in versteintem Schmerz,
Rom, vor welcher einst die Welt gezagt,
Jetzt die wunde, die geschlagne Magd!
Leid und Mitleid füllen jedes Herz.

Durch die Menge geht ein Flüstern leis,
Eine Rede schwirrt und irrt und rauscht,
Flutet höher, höher stufenweis,
Braust wie Meeresbrandung, füllt den Kreis,
Jeder spricht sie mit und jeder lauscht:

„Schande! Brandmal! Striemen! Sklavenjoch!
Wehe! Sie zerreißen dir das Kleid!
Ach, wie lange noch, wie lange noch?
Stürbest, Göttin Roma, stürbst du doch!
Aber du bist voll Unsterblichkeit!“



[200]

Der Mars Von Florenz

Die Türme von Florenz umblaut
Der süße Lenz, der junge Lenz,
Die Frauen singen leis und laut
In allen Gassen von Florenz.

[201] Am Rand der Arnobrücke steht
Ein schwarzverwittert Marmelbild
Mit Helmgeflatter, Kriegsgerät,
Gott Mars, und lächelt falsch und wild.

–  „Gott Mars, wohl magst du finster schaun,
Drommete dröhnt im Lenze nie,
Raub’ eine dir von unsern Frau’n!
Hoch über Venus preis’ ich sie!“

Ein Jüngling ruft’s dem Gott empor
Mit lachend ausgestreckter Hand –
Ihm dringt ein Erzgedröhn ans Ohr,
Er eilt und steht am andern Strand.

Rasch tritt aus einem Haus hervor
Ein Edelweib, das höhnt und lacht:
„Zur Amidei? Junger Tor!
Dir war das Schönre zugedacht!

Nach Gottes Ratschluß ist’s geschehn!
Heut wirst du – heißt’s – mit ihr getraut –
Jetzt sollst du die Donati sehn:
Blick’ her! Vergleich mit deiner Braut!“

Sie zerrt ein Mägdlein an das Licht,
Es kämpft ins dunkle Haus zurück,
Im jungen, bangen Angesicht
Errät er aller Himmel Glück.

„Hinweg! die Amidei harrt!
Hinweg. Mein Kind ist keine Dirn’!
Ihr blicket frech!“ Der Jüngling starrt
Auf die gesenkte Mädchenstirn.

Der Wunsch ist Glut! Die Scham ist Glut!
Die hohe Doppelflamme loht!
Er streckt die Hand. Das höchste Gut
Ergreift er und ergreift den Tod.

„Frau, strafet mich nicht allzu schwer!
Das süße Haupt! Das blonde Haar!
[202] Gewähret sie mir!“ stammelt er.
„Ich führe stracks sie zum Altar!“

Den Ring, der ihm die Hand bereift,
Der Amidei Trauungsring,
Hat rasend er sich abgestreift
Und schleudert ihn. Da rollt er. Kling ...

Jetzt kniet er im Kapellenraum,
An Freveln und an Wonnen reich,
Zur Linken kniet sein sünd’ger Traum,
Wie Engel schön, wie Tote bleich.

Dem Paar zu Häupten murmelt leer
Und schnell ein feiles Priesterwort –
„Die Rosse her! Die Rosse her!
Zum Tor hinaus! Ins Freie fort!

Du lieb Geschöpf! Du bebst wie Laub!
Verlarve dir das Angesicht!
Fass’ Mut! Ich bringe meinen Raub
In eine Burg, die keiner bricht!“

Am Rand der Arnobrücke steht
Ein schwarzverwittert Marmelbild
Mit Helmgeflatter, Kriegsgerät,
Gott Mars, und lächelt falsch und wild.

Das Schwert des Gottes schüttert leis.
Da springt hervor mit Erzeslaut
Ein Hinterhalt, ein Mörderkreis,
Die Sippe der verratnen Braut.

„Verdammter, stirb!“ – „Geliebte, flieh!“
Wild ringend stürzt er umgebracht,
An seinen Busen gleitet sie
Und sinkt mit ihm in eine Nacht.

Herab von aller Türme Hang
Verkündet gellend Sturmgeläut
Den Bürgerkampf. Das Schwert erklang
Dem Gott, der sich des Mordes freut.



[238]

Auf Ponte Sisto

Süß ist das Dunkel nach Gluten des Tags! Auf dämmernder Brücke
Schau’ ich die Ufer entlang dieser unsterblichen Stadt.
[239] Burgen und Tempel verwachsen zu einer gewaltigen Sage!
Unter mir hütet der Strom manchen verschollenen Hort.
Dort in der Flut eines Nachens Gespenst! Ist’s ein flüchtiger Kaiser?
Ist es der „Jakob vom Kahn“, der Buonarotti geführt?
Gellend erhebt sich Gesang in dem Boot zum Ruhme des Liebchens.
Horch! Ein lebendiger Mund fordert lebendiges Glück.



Quelle:
Conrad Ferdinand Meyer: Sämtliche Werke in vier Bänden. Herausgegeben und mit einer biographischen Einleitung versehen von Max Rychner. Erster Band: Gedichte / Huttens letzte Tage. Leipzig: Philipp Reclam 1929.

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