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Christian Friedrich Hebbel

Kurzbiografie

Christian Friedrich Hebbel (*18. März 1813 in Wesselburen – †13. Dezember 1863 in Wien) wurde als Sohn eines Maurers, der als Tagelöhner arbeitete, in ärmlichen Verhältnissen in der unter dänischer Herrschaft stehenden Region Norderdithmarschen geboren. Als die Familie aufgrund einer übernommenen Bürgschaft noch das kleine Eigenheim aufgeben musste, bedeutete dieser Umstand den sozialen Abstieg. Nach dem frühen Tod des strengen Vaters trat Hebbel 1827 durch die Vermittlung der Lehrersfrau in den Dienst eines Kirchspielvogts, bei dem er zum Kirchspielschreiber mit eigener Schreibstube aufsteigen konnte. Zudem erhielt er Zugang zur Bibliothek des Hauses. Ein von ihm in der Scheune errichtetes Theaters ließ bei Hebbel den Traum keimen selbst einstmals Schauspieler zu werden. Nachdem er im „Eiderstedter Boten“ erste Gedichte veröffentlicht hatte, bewegte ihn die Schriftstellerin und Herausgeberin Amalie Schoppe (1791-1858) nach Hamburg zu ziehen und sich seiner weiteren Bildung zu widmen. In den entbehrungsreichen Jahren lernte Hebbel die neun Jahre ältere Elise Lensing (1804-1854) kennen, die fortan seine Gefährtin sein sollte und mit der er zwei Kinder hatte. Auf ihren Wunsch hin begann er ein Jura Studium, das er jedoch schon bald wieder abbrach. Seine Studien führten ihn über Heidelberg, Straßburg und Stuttgart nach München, wo er beschloss sich fortan dem Studium der Philosophie zu widmen. Es entstand eine enge Freundschaft zu seinem Kommilitonen Emil Rousseau, der jedoch schon bald verstarb. Dessen Vater erwirkte die Annahme von Hebbels Dissertation an der Universität Erlangen, die ihn zum Doktor der Philosophie ernannte. Wegen Geldnöten konnte er die Urkunde jedoch nicht einlösen, erst viel später in Wien erlangte er das Dokument. Ohne winterliche Kleidung wanderte er hauptsächlich zu Fuß von München zurück nach Hamburg, wo Elise den schwer erkrankten Dichter in Empfang nahm und gesund pflegte. Er schuf sein erstes Drama „Judith“ (1840), eine Bearbeitung des alttestamentarischen  Buches. Julius Campe (1792-1867) wurde sein Verleger. Ein Stipendium des dänischen Königs Christian VIII. (1786-1848) ermöglichte Hebbel 1843 eine Reise nach Paris, wo er Heinrich Heine (1797-1856) und Arnold Ruge (1802-1880) kennen lernte und das Trauerspiel „Maria Magdalena“ (1843) schrieb. Dort erreichte ihn die Nachricht vom Tod seines Sohnes, woraufhin er – von Selbstvorwürfen getrieben – Elise bat nach Paris zu kommen, um zu heiraten. Diese lehnte ab. Von Gelenkrheumatismus geplagt reiste Hebbel über Lyon, Avignon und Marseille nach Rom. Nach einem Aufenthalt in Neapel kehrte er erneut in die „ewige Stadt“ zurück, um sich, da sein Reisestipendium nicht verlängert wurde, schließlich über diverse Zwischenstationen nach Wien zu begeben. Zwar bestand noch weiterhin brieflicher Kontakt zu Elise, jedoch war Hebbel nicht mehr willens nach Hamburg zurück zu kehren. 1846 heiratete er in Wien die gefeierte Schauspielerin Christine Enghaus (1817-1910). Seine finanzielle Versorgung war fortan gesichert und er konnte sich gezielt seinem literarischen Schaffen zuwenden. In Wien erhielt Hebbel große öffentliche Anerkennung für sein Werk, die sich in Ehrungen wie dem neu geschaffenen Schillerpreis ausdrückte. Im Alter von nur 50 Jahren verstarb Hebbel an „Knochenerweichung“. Zu seinen Werken zählen neben den bereits genannten „Agnes Bernauer“ (1851), die „Nibelungen“ (1860) und mehrere Lyrikbände.
Hebbel konnte und wollte nicht in Italien dem Weg Goethes, den eine Verherrlichung und Lobpreisung des Kulturerlebnisses ebnete, folgen. Seine Reise war zu stark von Zukunftsängsten und finanziellen Nöten geprägt, als dass ihn die alten Monumente der „ewigen Stadt“ in den Bann ziehen konnten. Auch die Sprachbarriere ließ ihn außerhalb der deutschen Künstlergruppe nicht heimisch werden. Klerikale Rituale wie etwa die Osterprozession befremdeten den Protestanten und riefen Ekel und Zynismus hervor. Erst in Neapel öffnete sich der Dichter den Genüsslichkeiten des neapolitanischen Nachtlebens und ließ sich vom Feuer speienden Vesuv faszinieren. Dennoch blieb Hebbels Italienbild weiterhin zwiespältig zwischen der Glorie der Vergangenheit und der Armut der Gegenwart.

Katharina Junk





[308]

Sonette.

An eine Römerin.

Ich hab’ als Kind gespielt im fernen Norden,
Dann bin ich weit und breit herum gekommen
Und habe schon das dritte Meer durchschwommen,
Nun ruh’ ich aus auf seinen Blüten-Borden.

Dir ist ein schlichtes Mädchen-Loos geworden,
Wie eine Blume bist du still erglommen,
Dann hat, wie die der Strauß, dich aufgenommen
Als frischen Schmuck der fromme Jungfrau’n-Orden.

Nun geh’n wir Beide Hand in Hand zusammen,
Wie Gärtnerin und Schiffer traulich wallen,
Im kühlen Schatten dicht verschlung’ner Aeste;

Ich spreche dir von Sturm und Meeresflammen
Und schmücke dich mit Perlen und Korallen,
Du pflückst mir still der Gold-Orangen beste.



Im römischen Carneval.

Einst bin ich unter’m Maienbaum gelegen,
Und, wie ich lag, hat sich ein Wind erhoben!
Wie sind die Blüten da um mich gestoben!
Wie unermeßlich schien des Frühlings Segen!

Jetzt, däucht mir, seh’ ich einen gleichen Regen,
Doch von Gestalten, Licht und Gut gewoben!
Als hätten sich die gold’nen Sterne droben
Geschüttelt, welche alles Höchste pflegen.

[309] Vom stillen Reizenden zum Blendend-Schönen,
Es fehlt kein Glied der holden Formenkette,
Und meinen Augen scheint sie nicht zu enden.

Drum reicht den Kranz, die Königin zu krönen,
Nicht mir; denn eh’ ich sie gefunden hätte,
Wär’ er gewiß verwelkt in meinen Händen!



Eine Mondnacht in Rom.

Bei’m Dämmerlicht des Mondes schau’ ich gerne
Der grauen Weltstadt bröckelnde Ruinen,
Die uns als Maaß für ihre Größe dienen,
Woran der Mensch sich selber messen lerne;

Denn dieses Licht, das einem trüben Sterne
Entfließt, hat ihre Schlachten nie beschienen,
Nur die Gefall’nen mit den eh’rnen Mienen,
Umstanden von des Heeres bestem Kerne.

Jetzt trägt sie selbst, wie die, den Todesstempel,
Drum ziemt sich’s, daß dasselbe Licht ihr leuchte,
Dann träumt vielleicht ein Dichter, daß die Sonnen

Erlöschen, wie Palläste hier und Tempel
Zusammenstürzen, und der oft verscheuchte
Vernichtungsengel jetzt den Sieg gewonnen!



[330]

Nach dem ersten Abend bei Franconi in Paris.

Jammer, du rührst mich nicht mehr! Denn daß es dem feurigen Proteus
In des Odysseus Arm, der ihn nicht einmal befragt,
Der ihn nur stumm erdrückt und an der Verwandlung verhindert,
Daß es ihm übel behagt, dieses versteht sich von selbst.
Aber, wenn er sich lös’t und sich die göttliche Freiheit
Wieder erobert, und wär’s auch nur für Einen Moment:
Ja, da rührt er mich tief, da fühl’ ich mich doppelt und dreifach
Selber gebunden, da wird eilig das Auge mir feucht.
Zeigt mir ein Bettler die Wunden, so reich’ ich ihm freilich den Pfenning,
Doch ich wusch sie noch nie mild mit der Thräne ihm aus,
Aber ich weine dem Lear, und auch nicht, weil es dem König
Mißlich ergeht in dem Stück, nein, weil ein Mensch es gemacht.
Ja, ich will es bekennen, daß selbst die Reiter-Gesellschaft
Mir heut’ Abend den Thau süßer Bewundrung entlockt.
Ist es dem Vogel nicht nah’, dies zierliche Mädchen? Der Jüngling,
Beugt er dem dumpfen Gesetz irdischer Schwere sich noch?
Und auf den Schultern des Bruders, das Knäbchen, die Stellungen wechselnd,
Scheint’s nicht lebendiger Thon, welcher nach Laune sich formt?
Gaukeln nicht Alle vorüber, wie glänzende Schatten, und zeigen,
Daß der Leib, wie der Geist, frei ist, sobald er nur will?
Ja, und würde auch Jedes ein Opfer des kühnsten Versuches,
Den die Begeisterung wagt: stürzt denn nicht Psyche noch schön,
Wenn sie’s im Taumel vergißt, daß sie den trüg’rischen Fittig
Wieder zerschüttelt zu Sand, den sie zu muthig bewegt?



[331]

Italiens erster Gruß.

Heliogabalus ließ die Gäste ersticken mit Veilchen:
Schönes Italien, drohst du mir ein ähnliches Loos?
Deiner Fülle erlieg’ ich! Sie ist für Götter und Käfer!
Göttern bin ich nicht gleich, Käfern noch minder verwandt!



Rom.

Rom, schon bist du Ruine und wirst noch weniger werden,
Aber dein Himmel verbürgt dennoch die ewige Stadt.
Wo die Myrthe gedeiht, und wo der Lorbeer nicht mangelt,
Siedeln zu Liebe und Krieg immer auch Menschen sich an.



[332]

Colosseum und Rotunda.

Colosseum, Rotunda, ihr wurdet christliche Kirchen,
Weil euch dieses allein vor der Zerstörung geschützt,
Denn der stumpfe Zelot ergriff die Axt des Barbaren,
Als sie ihm endlich entsank, aber der weisere Papst
Schirmte euch durch den Altar und durch die Heiligenbilder
Still vor der letzten Gefahr, welche euch drohte bis heut’.
Dennoch kommt es mir vor, als hätt’ man erschlag’nen Titanen
Nach dem Tode das Kreuz noch auf die Stirn gebrannt.



Auf dem Capitol.

Cäsar entblößte sein Haupt und hatte sich selbst nicht zu grüßen;
Kann ich weniger thun, jetzt, da sein Schatten hier weilt?



Via Appia.

An den Straßen erhöhten die Römer den Todten die Gräber,
Daß der Niedrigste selbst, führte sein Weg ihn vorbei,
Sich noch glücklich erkenne und spreche: wenn mir auch wenig
Nur gehört, mir gehört viel, mir gehört noch kein Grab!



Der Epheu am Grabe der Cecilia Metella.

Epheu, man hat dich verklagt, du sollst die Bäume entseelen,
Aber ich spreche dich los, da du die Steine belebst!
Jenen Frevel erblickt’ ich noch nie; dies reizende Wunder
Sah ich noch heute vollbracht: grünt doch das traurige Grab.



La chiesa sotterranea dei Capucini a Roma.

Menschen-Gebeine hat man zu Sternen und Blumen verflochten,
Von der farbigen Wand grinsen sie zierlich herab;
[333] Aufgestapelte Schädel umsteh’n in geordneten Reihen
Dämmernde Nischen, worin manches Gerippe sich streckt,
Wie im Leben, bekleidet mit bräunlicher Kutte, ein Täflein
In der knöchernen Hand, welches das Sterbejahr nennt,
Und dein Führer, ein Mönch, wie diese Todten es waren,
Sagt dir lächelnd: dereinst werde ich ruhen, wie sie!
Aber Italiens Sonne bestralt durch niedrige Fenster
All den Moder, und sanft plätschert der Springbrunn im Hof.



Auf eine Biene in der Villa Medicis.

Holdes Bienchen, du irrst! Dort winkte dir blühend der Lorbeer,
Sprich, was umsurrst du denn mir emsig die Wang’ und den Mund?
Honig entsaugst du mir nicht, du sei’st denn ein schelmisches Mädchen,
Das sich vermummte, und dann komm in der wahren Gestalt!
Sinnst du mir aber ein Arges, gedenkst du, dafür mich zu strafen,
Daß ich ein Mensch nur bin, nimmer die Rose des Thals,
Oder bin ich dir gar aus alter Zeit noch verschuldet,
Hab’ ich als Blume vielleicht einst dir geweigert den Trunk:
O, besieh mich vorher, ob nicht mit schärferem Stachel
Dich ein stärkerer Feind lange an mir schon gerächt;
Sieh, du setztest dich leicht auf eine Narbe, denn manche
Hab’ ich, ich zuckte dir kaum, aber du littest den Tod.



Die Kuppelbeleuchtung zu Rom.

Alter Sanct Peter, was seh’ ich? Es ringelt die Schlange des Feuers
Glühend sich um dich herum, züngelt noch über das Haupt
Dir hinaus und verscheut den Mond, den frommen Versilb’rer
[334] Deiner Kuppel, der wähnt, daß ihn die Hölle vertreibt.
Doch, ich irrte mich wohl! Du stehst nicht erschrocken, die Flamme
Zittert, statt deiner, sie friert, gern auch entschlüpfte sie dir,
Aber, du hältst sie, sie soll den Vorwitz büßen, verwegen
Aufgekrochen zu sein an dem Giganten von Stein.
Oder hat sich der jüngste der Blitze, der Wolke entwischend,
Gar des Angriffs erkühnt, hast du den Nestling gepackt
Und dich in ihn gewickelt, damit er verstünde: Sanct Peter
Hat zwar das Ende der Welt, aber Nichts weiter zu scheu’n?
Wahrlich, ich glaub’s, dich knirscht erst dann die Erde hinunter,
Wenn sie dem Chaos erbebt, welches sie selber erschnappt.



Vor dem Laocoon.

Michel Angelo hieß als Wunder der Kunst dich willkommen,
Weil du als Gegengewicht gegen den schönen Apoll,
Der den Raphael trug und ihn verneinte, ihm dientest;
Mancher sprach es ihm nach, aber er fragte zu viel.
Was die Wahrheit vermag, das zeigst du deutlich, o Gruppe,
Deutlicher zeigst du jedoch, daß sie nicht Alles vermag!



Die Herme.

Herme, ich liebe auch dich! Mir ist, als säh’ ich das Chaos
Nach unendlichem Kampf hier von sich selbst sich befrei’n!



Ein Scirocco-Tag in Rom.

Steht in Flammen die Welt? Sind rings die Meere verdünstet,
Welche mit linderndem Hauch sonst doch die Glut wohl gekühlt?
Sinken sie alle in Asche zusammen, die Städte der Menschen?
Wälzt den glühenden Qualm langsam herüber der Wind?
Oder ist’s der Scirocco, der zwar die Orange uns zeitigt
[335] Und die Traube uns kocht, aber uns selbst auch erstickt,
So daß Jeglicher zweifelt, er werde die Früchte noch kosten,
Die er uns süßt, und des Weins, den er uns würzt, sich erfreu’n?
Sei es, was es auch sei, das bloße Athmen wird Arbeit,
Und das Leben begräbt scheu sich im dumpfesten Schlaf,
Kaum noch rettet es sich den leisen Wunsch, zu erwachen,
Denn es fühlt sich dem Tod, fühlt sich dem Nichts schon zu nah’!



Vor Raphaels Galathea.

Dieses Bild zu betrachten, war Einer nur würdig, der Dichter,
Welcher die Julia bot; dieses entzückende Stück
War nur für Raphael da: o hätten sich Beide bewirthet
Und in die ewige Nacht dann, was sie schufen, versenkt!



Der Lorbeer in Italien.

Alles Herrliche trieb in diesem Lande die Erde,
Darum hat sie sich selbst hier mit dem Lorbeer gekrönt.



In Albano.

Unvergeßliches Bild! Ein Esel wollte verschmachten,
Zwar, der Brunnen war nah’, aber es war ihm zu viel,
Zwanzig Schritte zu machen, und es bedurfte des Führers,
Ihn zu bestimmen; gepeitscht, trank er mit Gier und mit Lust.



[336]

In den pontinischen Sümpfen.

Lachen erwartete ich, was fand ich? Strotzende Wiesen,
Selten wuchernden Schilf, kaum noch die Spuren von Sumpf,
Aber kräftige Bäume, des Erdreichs Mark mir bezeugend,
Korn auch, freilich nur da, wo man gepflügt und gesä’t.



Villa reale a Napoli.

Unter duftigen Bäumen, vom Hauch des Abends durchsäuselt,
Sammelt von reizenden Frau’n still sich ein glänzender Flor;
Leise ergießt sich der Strom melodischer Klänge und schaukelt
Zwischen Wonne und Weh jedes empfängliche Herz;
Aber die Wogen des Meers, am nahen Gestade sich brechend
Und vom Winde geschwellt, donnern verhalten darein,
An die gewalt’gen Accorde der rollenden Sphären uns mahnend,
Welche für’s menschliche Ohr sanft zur Musik sich gedämpft.



Neapolitanisches Bild.

Fleißig hämmert der Schmied, mein Nachbar, da naht sich bedächtig
Ihm der heischende Mönch, willig auch reicht ihm der Mann,
Den er noch kaum verdient durch frühe Arbeit, den Groschen,
Und es beut ihm der Mönch einen gedoppelten Dank,
Erst die Madonna zum Kuß und dann die Dose zum Schnupfen,
Jener küßt und nimmt ruhig die Prise darauf.



Auf einen Schmetterling, der mich in der Gräberstraße zu Pompeji umflog.

Fast in’s Angesicht fliegt mir der Schmetterling, immer so scheu sonst;
Ahnt er, daß hier ein Mensch gar nicht zu tödten vermag?
In der begrabenen Stadt und unter begrabenen Gräbern,
Halt’ ich den Odem sogar an, wenn der Gaukler sich naht!



[337]

Die Sicilianische Seiltänzerin.

Süßes, reizendes Mädchen! Du tanzest drinnen, doch draußen
Schlägst du die Becken zuvor, daß sich die Bude dir füllt.
Roth ist dein Kleid, und es stechen davon die weißen Korallen
Zierlich ab, die du fein dir um das Hälschen gehängt.
Aber wehe! Du ließest die Schellen zu mächtig ertönen
Und zerquetschtest dabei leider die Perlchen der Schnur.
Traurig senkst du das Köpfchen und blickst zur älteren Schwester
Still hinüber und flehst stumm um ihr Mitleid sie an.
Doch sie lächelt verächtlich, und dreht dir den Rücken, und wirft ihr
Tambourin so in die Luft, daß es, gefangen, zerspringt.
Aermste, ich kann sie versteh’n!  Sie hat schon Beßres verloren,
Und dein kindlicher Schmerz um den zerschmetterten Tand,
Der die Reinheit der Seele, die fleckenloseste, spiegelt,
Mahnt sie an deinen Besitz, ach! und an ihren Verlust!



Venedig.

Wie ein verwirklichter Traum begrüßt dich das bunte Venedig,
Wenn du es flüchtig durchschiffst: nicht die versunkene Stadt
Glaubst du vor dir zu sehen, von welcher die Dichter erzählen,
Diese dünkt dir im Meer gleich von Tritonen erbaut,
Und du taumelst dahin, wie unter Korallen und Muscheln,
Und verwunderst dich nur, daß dich die Flut nicht ereilt.
Alles Uebrige paßt hinein in den Rahmen: der Doge,
Der sich den Wellen vermählt, und das vermummte Gericht,
Ja die Brücke der Seufzer, erscheinen dir hier so natürlich,
Wie in des Oceans Nacht Fische mit Sägen im Haupt.
Laß dir aber vom Führer berichten, wie Alles entstanden,
Und das phantastische Bild lös’t in Vernunft sich dir auf!



Quelle:
Friedrich Hebbel. Sämtliche Werke. Sechster Band. Historisch-kritische Ausgabe besorgt von Richard Maria Werner. Berlin 1902.

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