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Goethe, Schiller und die Goethezeit auf Google+

Jutta Assel | Georg Jäger

Neapel: Volksleben
Folge IV: Dolce far niente

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Eingestellt: Juli 2019

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Dolce far niente.
Gemälde von Theodor Schüz
Die Gartenlaube 1907, Kunstbeilage 27

David Koch: Theodor Schüz. Ein Maler für das deutsche Volk.
Stuttgart: J. F. Steinkopf 1905. Abbildung 36, Text S. 57.

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Die vierte und abschließende Seite zum Volksleben in Neapel dokumentiert, wie Goethe durch genaue Beobachtungen vor Ort die "nordische", aufklärerische und protestantische negative Beurteilung der Stadt und ihrer einfachen, scheinbar nach dem Motto "dolce far niente" lebenden Bewohner widerlegt, die z.B. auch der von ihm ansonsten geschätzte Reiseführer von J. J. Volkmann verbreitet. Weitere, dem "einfachen Volk" gewidmete Schwerpunkte bilden Herstellung, Kochen und Essen der neapolitanischen Nationalspeise der Maccaroni sowie anderer Speisen und Getränke auf den offenen Straßenmärkten. Von A. v. Kotzebue wird ferner als "reiche Quelle der Nahrung die unendliche Menge und Verschiedenheit der Seefische" gerühmt, "die gekocht, gebraten und roh auf den Straßen verkauft und verzehrt werden" u.v.m. Von dem Reiseschriftsteller Wilhelm von Lüdemann stammt die abschließende Gegenüberstellung von Neapel und Rom: "Neapel ist der reizende Körper – Rom der sinnende Geist, die fühlende Seele Italiens."

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Gliederung

1. Bilder und Texte
2. Rechtlicher Hinweis und Kontaktanschrift

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1. Bilder und Texte


Illustrationen, die nicht nachgewiesen werden, entstammen  folgender Publikation: Usi e costumi di napoli e contorni descritti e dipinti. Opera diretta da Francesco de Bourcard (Historical Collection from the British Library) Bd. 2. Reprint nach der Ausgabe von 1858. Siehe auch riproduzioni facsimile, Napoli, 2002, sowie weitere Reprints.


Johann Jakob Volkmann
Historisch-kritische Nachrichten von Italien
(Goethes Reiseführer)

(1772)

Mönche, Nonnen und Priester

Nach der letzten Zählung lebten in den neun und vierzig Kirchspielen von Neapel 358365 angesessene Einwohner, worunter 4464 Mönche, 6940 Nonnen und 3674 Priester waren. Dieses Verzeichniß rechnet an Fremden, Truppen und Seeleuten noch so viel dazu, daß über 450000 Menschen herauskommen, welches viel zu hoch und ungewiß gerechnet ist, zumal da solche nicht ordentlich gezählet worden. Wenn man gleich für die ungezählten auch einige tausend hinzusetzet, so lassen sich doch höchstens nur gegen 350000 Menschen annehmen. Man rechnet acht und funfzig geistliche Orden und Congregationen in Neapel, und acht tausend Ordensgeistliche beyderley Geschlechts, welche den vierzigsten Theil der Einwohner ausmachen, und so viel für den Staat verlorne Menschen und Müßiggänger sind, wenn man nun die große Anzahl der Weltpriester noch dazu nimmt, so handelt die Regierung allerdings vernünftig, daß sie die übermäßige und dem Staate zur Last fallende Anzahl einzuschränken sucht.

Lazaroni

Es giebt in Neapel zwischen dreyßig und vierzigtausend  müßige Leute, welche keine bestimmte Geschäffte haben, und auch nicht verlangen. Sie brauchen einige Ellen Leinwand zu ihrer Kleidung, und etwa sechs Pfennige zu ihrem Unterhalte. In Ermangelung der Betten liegen sie des Nachts auf Bänken, und heißen daher spottweise Banchieri oder Lazaroni. Sie verachten alle Bequemlichkeiten des Lebens mit stoischer Gleichgültigkeit. So viel Müßiggänger sind allerdings ein großes Uebel in einem Staate, allein es hält auch schwer den Geschmack einer Nation zu ändern, wenn der Hang zur Faulheit so groß ist. Es gehört Zeit und unermüdete Sorgfalt dazu, um erst eine Art von Nacheiferung bey ihnen zu erregen, und ein König, der im Lande wohnt, der bey seinen Unterthanen geliebt und gefürchtet wird, und der fähig ist einen klug und behutsam entworfenen mit Muth durchzusetzen. Neapel könnte alsdenn ein viel mächtigeres Reich werden. Die See bietet die schönste Gelegenheit dar, um so viel tausend Hände durch Fabriken, Handlung und Schiffswesen zu beschäfftigen. Unter einer solchen Menge von Müßiggängern muß es nothwendig viel gottloses Volk geben, sie bringen die Nation in bösen Ruf, welche im Grunde nicht schlimmer ist, als die übrigen Italiener. [...]

Lebensart der Bürger

Die Vornehmen leben unter sich so ungezwungen und gesellschaftlich als in Frankreich. Bey den Bürgerweibern ist es noch gebräuchlich, daß sie nie allein zu Fuß ausgehen. Manche Männer begleiten ihre Frauen in die Messe, und stellen sich wohl gar vor ihnen, wenn jemand sie zu scharf ansieht. Dabey bleibt es. Abends schleichen keine liederlichen Weibspersonen, die sich wie in andern großen Städten anbiethen, in den Gassen herum; trifft man ja einige Kuppler, so zeigen sie sich doch so heimlich, daß es der Policey von Neapel Ehre macht. Uebrigens sind die Ausschweifungen hier nicht seltner als in andern Städten. Es kann nicht anders seyn, als daß bey der großen Menge von Müßiggängern, bey dem warmen und wollüstigen Himmelsstriche, in welchem die Neapolitaner leben, die gröbsten Ausschweifungen begangen werden. Selbst die Lebensart des gemeinen Bürgers trägt viel dazu bey, indem eine ganze Familie , Aeltern, Kinder, Gesinde, in einer Kammer, und zwar im Sommer wegen der Hitze meist ganz nackend bey einander schlafen. Man sagt, daß die venerischen Krankheiten nirgends häufiger sind, als hier; hält sie aber in diesem Strich nicht für so gefährlich, als in den nördlichen Gegenden. Der gemeine Mann curirt sich mit den Schwitzbädern in Pozzuoli.

Der Ueberfluß an armen Menschen macht, daß man nirgends wohlfeilere Bedienten findet, als in Neapel. Die großen Häuser halten daher eine Menge von Lakayen, Pagen, Läufern. [...] Der Adel ist zum Theil reich, und liebt die Pracht; diejenigen, welche angesehene Posten bey Hofe bekleiden, leben auf einen großen Fuß, und geben fleißig Mahlzeiten, eine Gewohnheit, welche sonst selten in Italien ist. Die Damen kleiden sich völlig auf den pariser Fuß, und die französischen Putzmacherinnen haben sich hier, wie aller Orten einzunisten gewußt.

Cicisbeen

Die Cicisbeen sind in Neapel ziemlich aus der Mode gekommen. Die Damen binden sich an keine einzelne Mannsperson, sondern gehen ungezwungen mit jedermann um, und besuchen so gar die Gesellschaften oder Conversationen unverheyratheter Mannspersonen, die im Ansehen stehen. Sie empfangen an ihren Geburtstägen große Visiten, und gemeiniglich übernimmt es eine gute Freundinn, ihr an dem Tage ein Fest zu geben. Den Tag ihrer Niederkunft nehmen die gleichfalls Visiten von allen möglichen Bekannten an, sie reden viel, und suchen nicht sehr sich ruhig und warm zu halten. Vermuthlich muß es dem Himmelsstriche zugeschrieben werden, daß dieses weiter keine schlimmen Folgen hat. Man nimmt sich nur in Acht, daß in der Wochenstube selbst nicht über funf bis sechs Personen auf ein Mal sind, jedoch stehen die Thüren des Vorzimmers offen, wo sich in den ersten beyden Tagen oft hundert und mehr Personen beysammen finden, welche ein großes Getöse verursachen.

Wenn mehrere Töchter in einer adellichen Familie sind, so wird eine verheyrathet, die andern steckt man mit dem dritten Jahre ins Kloster, und die Religion muß zum Deckmantel des Interesse dienen. Die einzige Gnade, welche diesen armen Schlachtopfern, die von dem Schöpfer zu einem andern Zwecke bestimmt sind, wiederfährt, ist, daß man ihnen bey reifen Jahren die traurige Wahl ihres Gefängnisses läßt, ohne sich weiter darum zu bekümmern, ob sie ihren Stand und die, so sie dazu gezwungen, in der Folge verwünschen. Es geschiehet zuweilen, daß ein Edelmann ein solches armes Mädchen vor ihrer Einkleidung erlöset, und sie ohne Mitgabe zur Ehe verlangt, in welchem Falle man sie ihm verabfolgen läßt. Die Fälle aber sind heutiges Tages, da die meisten bey der Heyrath auf Vermögen sehen, selten. Man darf sich daher nicht wundern, wenn in dem einzigen Kloster von St. Clara allein zween bis dreyhundert Nonnen aus den größten Häusern stecken.

Quelle:
Historisch-kritische Nachrichten von Italien, welche eine Beschreibung dieses Landes, der Sitten, Regierungsform, Handlung, des Zustandes der Wissenschaften und insonderheit der Werke der Kunst enthalten, von D J[ohann] J[akob] Volkmann. Dritter und letzter Band. Zweyte viel vermehrte und durchgehends verbesserte Auflage. Leipzig, bey Caspar Fritsch, 1772. Zitiert aus den Seiten 45, 159 f., 161 f., 163 f.  Digitalisiert durch Google.

Johann Jakob Volkmann (1732-1903), Leipziger Schriftsteller, verfasste "zahlreichen Schriften, vor allem artistischen, topografischen und ökonomischen Inhalts, die insgesamt 98 Bände umfassen. Seine 'Historische-kritischen Nachrichten von Italien' (3 Bde., Leipzig 1770/71) erlebten 1777/78 eine zweite Ausgabe. Mit ihnen ist außer Goethe u. a. auch Lessing gereist. Sie finden sich auch unter der für den jugendlichen Prinzen Louis Ferdinand von Preußen sorgfältig ausgewählten Lektüre." Eintrag in Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Jacob_Volkmann

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Dolce far niente
ein Motiv  – drei Reproduktionen

Oben: Napoli - Dolce far Niente (Scugnizzi). G. Blümlein & Co. Francoforte S. M. Rapp. G. Imperiale - Napoli 260. Nicht gelaufen.
Mitte: 9 Napoli - Scugnizzi - Dolce far niente. Nicht gelaufen.
Unten: Napoli - Dolce far niente. Gelaufen. Poststempel unleserlich.

Oben: Napoli. Dolce far niente. N.P.G. [Neue Photographische Gesellschaft, Berlin-Steglitz] nicht gelaufen.
Unten: Napoli - Costume - il giuoco del cappelletto. Nicht gelaufen.

Oben: Dolce far niente. Adressseite: Edition Guggenheim & Co Zürich. 14239. Déposé. Nicht gelaufen.
Unten: Ohne Titel. Adressseite: Gran Laboratorio Fotografico A. e C. Caggiano - Napoli. Fotografie Artistiche - Industriali - Scientifiche - (Riproduzione vietata). Nicht gelaufen.

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Johann Wolfgang Goethe
Italienische Reise
Zweiter  Aufenthalt in Neapel


Neapel, den 28. Mai 1787.

Der gute und so brauchbare Volkmann nötigt mich, von Zeit zu Zeit von seiner Meinung abzugehen. Er spricht z.B., dass, dreißig- bis vierzigtausend Müßiggänger in Neapel zu finden wären, und wer spricht's ihm nicht nach! Ich vermutete zwar sehr bald nach einiger erlangter Kenntnis des südlichen Zustandes, dass dies wohl eine nordische Ansicht sein möchte, wo man jeden für einen Müßiggänger hält, der sich nicht den ganzen Tag ängstlich abmüht. Ich wendete deshalb vorzügliche Aufmerksamkeit auf das Volk, es mochte sich bewegen oder in Ruhe verharren, und konnte zwar sehr viel übelgekleidete Menschen bemerken, aber keine unbeschäftigten.

Ich fragte deswegen einige Freunde nach den unzähligen Müßiggängern, welche ich doch auch wollte kennen lernen; sie konnten mir aber solche ebensowenig zeigen, und so ging ich, weil die Untersuchung mit Betrachtung der Stadt genau zusammenhing, selbst auf die Jagd aus.

Ich fing an, mich in dem ungeheuren Gewirre mit den verschiedenen Figuren bekannt zu machen, sie nach ihrer Gestalt, Kleidung, Betragen, Beschäftigung zu beurteilen und zu klassifizieren. Ich fand diese Operation hier leichter als irgendwo, weil der Mensch sich hier mehr selbst gelassen ist und sich seinem Stande auch äußerlich gemäß bezeigt.

Ich fing meine Beobachtung bei früher Tageszeit an, und alle die Menschen, die ich hie und da stillstehen oder ruhen fand, waren Leute, deren Beruf es in dem Augenblick mit sich brachte.

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L' OSTRICARO

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Lastträger, Kalessare
Schiffer, Fischer

Die Lastträger, die an verschiedenen Plätzen ihre privilegierten Stände haben und nur erwarten, bis sich jemand ihrer bedienen will; die Kalessaren, ihre Knechte und Jungen, die bei den einspännigen Kaleschen auf den großen Plätzen stehen, ihre Pferde besorgen und einem jeden, der sie verlangt, zu Diensten sind; Schiffer, die auf dem Molo ihre Pfeife rauchen; Fischer, die an der Sonne liegen, weil vielleicht ein ungünstiger Wind weht, der ihnen auf das Meer auszufahren verbietet. Ich sah auch wohl noch manche hin und wider gehen, doch trug meist ein jeder ein Zeichen seiner Tätigkeit mit sich. Von Bettlern war keiner zu bemerken als ganz alte, völlig unfähige und krüppelhafte Menschen. Je mehr ich mich umsah, je genauer ich beobachtete, desto weniger konnt' ich, weder von der geringen noch von der mittlern Klasse, weder am Morgen noch den größten Teil des Tages, ja, von keinem Alter und Geschlecht, eigentliche Müßiggänger finden.

Kinder als Handelsleute

Ich gehe in ein näheres Detail, um das, was ich behaupte, glaubwürdiger und anschaulicher zu machen. Die kleinsten Kinder sind auf mancherlei Weise beschäftigt. Ein großer Teil derselben trägt Fische zum Verkauf von Santa Lucia in die Stadt; andere sieht man sehr oft in der Gegend des Arsenals, oder wo sonst etwas gezimmert wird, wobei es Späne gibt, auch am Meere, welches Reiser und kleines Holz auswirft, beschäftigt, sogar die kleinsten Stückchen in Körbchen aufzulesen. Kinder von einigen Jahren, die nur auf der Erde so hinkriechen in Gesellschaft älterer Knaben von fünf bis sechs Jahren, befassen sich mit diesem kleinen Gewerbe. Sie gehen nachher mit den Körbchen tiefer in die Stadt und setzen sich mit ihren kleinen Holzportionen gleichsam zu Markte. Der Handwerker, der kleine Bürger kauft es ihnen ab, brennt es auf seinem Dreifuß zu Kohlen, um sich daran zu erwärmen, oder verbraucht es in seiner sparsamen Küche.

Andere Kinder tragen das Wasser der Schwefelquellen, welches besonders im Frühjahr sehr stark getrunken wird, zum Verkauf herum. Andere suchen einen kleinen Gewinn, indem sie Obst, gesponnenen Honig, Kuchen und Zuckerware einkaufen und wieder als kindische Handelsleute den übrigen Kindern anbieten und verkaufen; allenfalls, nur um ihren Teil daran umsonst zu haben. Es ist wirklich artig anzusehen, wie ein solcher Junge, dessen ganzer Kram und Gerätschaft in einem Brett und Messer besteht, eine Wassermelone oder einen halben gebratenen Kürbis herumträgt, wie sich um ihn eine Schar Kinder versammelt, wie er sein Brett niedersetzt und die Frucht in kleine Stücke zu zerteilen anfängt. Die Käufer spannen sehr ernsthaft, ob sie auch für ihr klein Stückchen Kupfergeld genug erhalten sollen, und der kleine Handelsmann traktiert gegen die Begierigen die Sache ebenso bedächtig, damit er ja nicht um ein Stückchen betrogen werde. Ich bin überzeugt, dass man bei längerem Aufenthalt noch manche Beispiele solches kindischen Erwerbes sammeln könnte.

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LO SPAZZATURAIO

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Kehricht

Eine sehr große Anzahl von Menschen, teils mittlern Alters, teils Knaben, welche meistenteils sehr schlecht gekleidet sind, beschäftigen sich, das Kehricht auf Eseln aus der Stadt zu bringen. Das nächste Feld um Neapel ist nur ein Küchengarten, und es ist eine Freude, zu sehen, welche unsägliche Menge von Küchengewächsen alle Markttage hereingeschafft wird und wie die Industrie der Menschen sogleich die überflüssigen, von den Köchen verworfenen Teile wieder in die Felder bringt, um den Zirkel der Vegetation zu beschleunigen. Bei der unglaublichen Konsumtion von Gemüse machen wirklich die Strünke und Blätter von Blumenkohl, Broccoli, Artischocken, Kohl, Salat, Knoblauch einen großen Teil des neapolitanischen Kehrichts aus; diesen wird denn auch besonders nachgestrebt. Zwei große biegsame Körbe hängen auf dem Rücken eines Esels und werden nicht allein ganz voll gefüllt, sondern noch auf jeden mit besonderer Kunst ein Haufen aufgetürmt. Kein Garten kann ohne einen solchen Esel bestehen. Ein Knecht, ein Knabe, manchmal der Patron selbst eilen des Tags so oft als möglich nach der Stadt, die ihnen zu allen Stunden eine reiche Schatzgrube ist. Wie aufmerksam diese Sammler auf den Mist der Pferde und Maultiere sind, lässt sich denken. Ungern verlassen sie die Straße, wenn es Nacht wird, und die Reichen, die nach Mitternacht aus der Oper fahren, denken wohl nicht, dass schon vor Anbruch des Tages ein emsiger Mensch sorgfältig die Spuren ihrer Pferde aufsuchen wird. Man hat mir versichert, dass ein paar solche Leute, die sich zusammentun, sich einen Esel kaufen und einem größern Besitzer ein Stückchen Krautland abpachten, durch anhaltenden Fleiß in dem glücklichen Klima, in welchem die Vegetation niemals unterbrochen wird, es bald so weit bringen, dass sie ihr Gewerbe ansehnlich erweitern.

"Herumträger"

Ich würde zu weit aus meinem Wege gehen, wenn ich hier von der mannigfaltigen Krämerei sprechen wollte, welche man mit Vergnügen in Neapel wie in jedem andern großen Orte bemerkt; allein ich muß doch hier von den Herumträgern sprechen, weil sie der letzteren Klasse des Volks besonders angehören. Einige gehen herum mit Fässchen Eiswasser, Gläsern und Zitronen, um überall gleich Limonade machen zu können, einen Trank, den auch der Geringste nicht zu entbehren vermag; andere mit Kredenztellern, auf welchen Flaschen mit verschiedenen Likören und Spitzgläsern in hölzernen Ringen vor dem Fallen gesichert stehen; andere tragen Körbe allerlei Backwerks, Näscherei, Zitronen und anderes Obst umher, und es scheint, als wolle jeder das große Fest des Genusses, das in Neapel alle Tage gefeiert wird, mitgenießen und vermehren.

Kinder mit Trödelkram

Wie diese Art Herumträger geschäftig sind, so gibt es noch eine Menge kleine Krämer, welche gleichfalls herumgehen und ohne viele Umstände auf einem Brett, in einem Schachteldeckel ihre Kleinigkeiten, oder auf Plätzen geradezu auf flacher Erde ihren Kram ausbieten. Da ist nicht von einzelnen Waren die Rede, die man auch in größern Läden fände, es ist der eigentliche Trödelkram. Kein Stückchen Eisen, Leder, Tuch, Leinewand, Filz u.s.w., das nicht wieder als Trödelware zu Markte käme und das nicht wieder von einem oder dem andern gekauft würde. Noch sind viele Menschen der niedern Klasse bei Handelsleuten und Handwerkern als Beiläufer und Handlanger beschäftigt.

"ein sogenannter neapolitanischer Bettler"

Es ist wahr, man tut nur wenig Schritte, ohne einem sehr übelgekleideten, ja sogar einem zerlumpten Menschen zu begegnen, aber dies ist deswegen noch kein Faulenzer, kein Tagedieb! Ja, ich möchte fast das Paradoxon aufstellen, dass zu Neapel verhältnismäßig vielleicht noch die meiste Industrie in der ganz niedern Klasse zu finden sei. Freilich dürfen wir sie nicht mit einer nordischen Industrie vergleichen, die nicht allein für Tag und Stunde, sondern am guten und heitern Tage für den bösen und trüben, im Sommer für den Winter zu sorgen hat. Dadurch, dass der Nordländer zur Vorsorge, zur Einrichtung von der Natur gezwungen wird, dass die Hausfrau einsalzen und räuchern muss, um die Küche das ganze Jahr zu versorgen, dass der Mann den Holz- und Fruchtvorrat, das Futter für das Vieh nicht aus der Acht lassen darf u.s.w., dadurch werden die schönsten Tage und Stunden dem Genuss entzogen und der Arbeit gewidmet. Mehrere Monate lang entfernt man sich gern aus der freien Luft und verwahrt sich in Häusern vor Sturm, Regen, Schnee und Kälte; unaufhaltsam folgen die Jahreszeiten aufeinander, und jeder, der nicht zugrunde gehen will, muss ein Haushälter werden. Denn es ist hier gar nicht die Frage, ob er entbehren wolle; er darf nicht entbehren wollen, er kann nicht entbehren wollen, denn er kann nicht entbehren; die Natur zwingt ihn, zu schaffen, vorzuarbeiten. Gewiss haben diese Naturwirkungen, welche sich Jahrtausende gleich bleiben, den Charakter der in so manchem Betracht ehrwürdigen nordischen Nationen bestimmt. Dagegen beurteilen wir die südlichen Völker, mit welchen der Himmel so gelinde umgegangen ist, aus unserm Gesichtspunkte zu streng. Was Herr von Pauw in seinen »Recherches sur les Grecs« bei Gelegenheit, da er von den zynischen Philosophen spricht, zu äußern wagt, passt völlig hierher. Man mache sich, glaubt er, von dem elenden Zustande solcher Menschen nicht den richtigsten Begriff; ihr Grundsatz, alles zu entbehren, sei durch ein Klima sehr begünstigt, das alles gewährt. Ein armer, uns elend scheinender Mensch könne in den dortigen Gegenden die nötigsten und nächsten Bedürfnisse nicht allein befriedigen, sondern die Welt aufs schönste genießen; und ebenso möchte ein sogenannter neapolitanischer Bettler die Stelle eines Vizekönigs in Norwegen leicht verschmähen und die Ehre ausschlagen, wenn ihm die Kaiserin von Russland das Gouvernement von Sibirien übertragen wollte.

Gewiß würde in unsern Gegenden ein zynischer Philosoph schlecht ausdauern, dahingegen in südlichen Ländern die Natur gleichsam dazu einladet. Der zerlumpte Mensch ist dort noch nicht nackt; derjenige, der weder ein eigenes Haus hat, noch zur Miete wohnt, sondern im Sommer unter den Überdächern, auf den Schwellen der Paläste und Kirchen, in öffentlichen Hallen die Nacht zubringt und sich bei schlechtem Wetter irgendwo gegen ein geringes Schlafgeld untersteckt, ist deswegen noch nicht verstoßen und elend; ein Mensch noch nicht arm, weil er nicht für den andern Tag gesorgt hat. Wenn man nur bedenkt, was das fischreiche Meer, von dessen Produkten sich jene Menschen gesetzmäßig einige Tage der Woche nähren müssen, für eine Masse von Nahrungsmitteln anbietet; wie allerlei Obst und Gartenfrüchte zu jeder Jahreszeit in Überfluss zu haben sind; wie die Gegend, worin Neapel liegt, den Namen Terra di Lavoro (nicht das Land der Arbeit, sondern das Land des Ackerbaues) sich verdienet hat und die ganze Provinz den Ehrentitel der glücklichen Gegend (Campagna felice) schon Jahrhunderte trägt, so lässt sich wohl begreifen, wie leicht dort zu leben sein möge.

"nicht arbeiten, um bloß zu leben, sondern um zu genießen"

Überhaupt würde jenes Paradoxon, welches ich oben gewagt habe, zu manchen Betrachtungen Anlass geben, wenn jemand ein ausführliches Gemälde von Neapel zu schreiben unternehmen sollte; wozu denn freilich kein geringes Talent und manches Jahr Beobachtung erforderlich sein möchte. Man würde alsdann im ganzen vielleicht bemerken, dass der sogenannte Lazarone nicht um ein Haar untätiger ist als alle übrigen Klassen, zugleich aber auch wahrnehmen, dass alle in ihrer Art nicht arbeiten, um bloß zu leben, sondern um zu genießen, und daß sie sogar bei der Arbeit des Lebens froh werden wollen. Es erklärt sich hiedurch gar manches: dass die Handwerker beinahe durchaus gegen die nordischen Länder sehr zurück sind; dass Fabriken nicht zustande kommen; dass außer Sachwaltern und Ärzten in Verhältnis zu der großen Masse von Menschen wenig Gelehrsamkeit angetroffen wird, so verdiente Männer sich auch im einzelnen bemühen mögen; dass kein Maler der neapolitanischen Schule jemals gründlich gewesen und groß geworden ist; dass sich die Geistlichen im Müßiggange am wohlsten sein lassen und auch die Großen ihre Güter meist nur in sinnlichen Freuden, Pracht und Zerstreuung genießen mögen.

Ich weiß wohl, dass dies viel zu allgemein gesagt ist und dass die Charakterzüge jeder Klasse nur erst nach einer genauern Bekanntschaft und Beobachtung rein gezogen werden können, allein im ganzen würde man doch, glaube ich, auf diese Resultate treffen.

Ich kehre wieder zu dem geringen Volke in Neapel zurück. Man bemerkt bei ihnen, wie bei frohen Kindern, denen man etwas aufträgt, dass sie zwar ihr Geschäft verrichten, aber auch zugleich einen Scherz aus dem Geschäft machen. Durchgängig ist diese Klasse von Menschen eines sehr lebhaften Geistes und zeigt einen freien, richtigen Blick. Ihre Sprache soll figürlich, ihr Witz sehr lebhaft und beißend sein. Das alte Atella lag in der Gegend von Neapel, und wie ihr geliebter Pulcinell noch jene Spiele fortsetzt, so nimmt die ganz gemeine Klasse von Menschen noch jetzt Anteil an dieser Laune. [...]

Neapel, den 29. Mai 1787

[...] Es ist keine Jahreszeit, wo man sich nicht überall von Esswaren umgeben sähe, und der Neapolitaner freut sich nicht allein des Essens, sondern er will auch, dass die Ware zum Verkauf schön aufgeputzt sei.

Märkte

Bei Santa Lucia sind die Fische nach ihren Gattungen meist in reinlichen und artigen Körben, Krebse, Austern, Scheiden, kleine Muscheln, jedes besonders aufgetischt und mit grünen Blättern unterlegt. Die Läden von getrocknetem Obst und Hülsenfrüchten sind auf das mannigfaltigste herausgeputzt. Die ausgebreiteten Pomeranzen und Zitronen von allen Sorten, mit dazwischen hervorstechendem grünem Laub, dem Auge sehr erfreulich. Aber nirgends putzen sie mehr als bei den Fleischwaren, nach welchen das Auge des Volks besonders lüstern gerichtet ist, weil der Appetit durch periodisches Entbehren nur mehr gereizt wird.

In den Fleischbänken hängen die Teile der Ochsen, Kälber, Schöpse niemals aus, ohne dass neben dem Fett zugleich die Seite oder die Keule stark vergoldet sei. Es sind verschiedne Tage im Jahr, besonders die Weihnachtsfeiertage, als Schmausfeste berühmt; alsdann feiert man eine allgemeine Cocagna, wozu sich fünfhunderttausend Menschen das Wort gegeben haben. Dann ist aber auch die Straße Toledo und neben ihr mehrere Straßen und Plätze auf das appetitlichste verziert. Die Butiken, wo grüne Sachen verkauft werden, wo Rosinen, Melonen und Feigen aufgesetzt sind, erfreuen das Auge auf das allerangenehmste. Die Esswaren hängen in Girlanden über die Straßen hinüber; große Paternoster von vergoldeten, mit roten Bändern geschnürten Würsten; welsche Hähne, welche alle eine rote Fahne unter dem Bürzel stecken haben. Man versicherte, dass deren dreißigtausend verkauft worden, ohne die zu rechnen, welche die Leute im Hause gemästet hatten. Außer diesem werden noch eine Menge Esel, mit grüner Ware, Kapaunen und jungen Lämmern beladen, durch die Stadt und über den Markt getrieben, und die Haufen Eier, welche man hier und da sieht, sind so groß, dass man sich ihrer niemals so viel beisammen gedacht hat. Und nicht genug, dass alles dieses verzehret wird: alle Jahre reitet ein Polizeidiener mit einem Trompeter durch die Stadt und verkündet auf allen Plätzen und Kreuzwegen, wieviel tausend Ochsen, Kälber, Lämmer, Schweine u.s.w. der Neapolitaner verzehrt habe. Das Volk höret aufmerksam zu, freut sich unmäßig über die großen Zahlen, und jeder erinnert sich des Anteils an diesem Genusse mit Vergnügen.

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IL TAVERNAIO

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Makkaroni

Was die Mehl- und Milchspeisen betrifft, welche unsere Köchinnen so mannigfaltig zu bereiten wissen, ist für jenes Volk, das sich in dergleichen Dingen gerne kurz fasst und keine wohleingerichtete Küche hat, doppelt gesorgt. Die Makkaroni, ein zarter, stark durchgearbeiteter, gekochter, in gewisse Gestalten gepreßter Teig von feinem Mehle, sind von allen Sorten überall um ein geringes zu haben. Sie werden meistens nur in Wasser abgekocht, und der geriebene Käse schmälzt und würzt zugleich die Schüssel. Fast an der Ecke jeder großen Straße sind die Backwerkverfertiger mit ihren Pfannen voll siedenden Öls, besonders an Fasttagen, beschäftigt, Fische und Backwerk einem jeden nach seinem Verlangen sogleich zu bereiten. Diese Leute haben einen unglaublichen Abgang, und viele tausend Menschen tragen ihr Mittag- und Abendessen von da auf einem Stückchen Papier davon.

Quelle:
Text gedruckt und digitalisiert mehrfach verfügbar. Zwischentitel eingefügt. Als Lese- und Studienausgabe empfiehlt sich u.a: Johann Wolfgang Goethe: Italienische Reise. Mit Zeichnungen des Autors hrsg. und mit einem Nachwort versehen von Christoph Michsel (insel taschenbuch 175)  Frankfurt a.M.: Insel Verlag 1976. ISBN 3-458-31875-5

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I MANGIA – MACCARONI

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August von Kotzebue
(1805)

Neapel kommt mir vor wie ein großes Haus, in dem eine Menge Menschen wohnen, und die Häuser scheinen mir bloße Schlafzimmer, denn, das Schlafen ausgenommen, geschieht alles übrige, was Menschen zu thun pflegen, auf den Straßen. Alle Handwerker haben nicht bloß offenstehende Buden, sonder sie tragen ihre Tische, und was sie sonst zur Treibung ihres Handwerks bedürfen, heraus auf die Straße, und da sieht und hört man sie klappern, hammern, nähen, weben, feilen, hobeln, frisiren, barbiren, den lieben langen Tag. – Der Gaarkoch rupft und bratet Hühner, kocht und backt Fische, auf der Straße, die Hungrigen treten hinzu und halten ihre Mahlzeit. Um ihren Durst zu löschen, dürfen sie nur ein paar Schritte weiter gehen, zu einem der vielen Wasserausschenker, der seine Bude auf der Straße hat.

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IL CAFFETTIERE AMBULANTE

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Buden und Straßenverkäufer
Maccaroni, Seefrüchte,
Obst, Leckereien, Milch, Fleisch, Brot

Die Buden [der Wasserausschenker] fallen jedem Fremden zuerst auf; sie deutlich zu beschreiben ist ein wenig schwer. Vor dem Tische oder der Schenke, hinter welcher der Mann steht, erheben sich an den vier Ecken, vier bemahlte und verguldete Stangen, oben durch Querpfosten verbunden, und das Ende dieser Querpfosten nach der Straße zu, ist bey allen auf eine Weise verziert, die in andern Ländern auffallen würde, die man aber hier übersieht. Es sind nämlich Hände, die den Daumen durch die beyden ersten Finger stecken. Die Hände, so wie das ganze obere Pfostenwerk, ist bunt angestrichen, in der Mitte mit Heiligenbildern geschmückt, zu beyden Seiten flattern ein paar Fähnlein, und die übrigen Zwischenräume sind mit angenagelten Bouquets von Citronen, auch wohl mit Blumen ausgefüllt. Man muß beym ersten Anblick sogleich an die Chineser denken. Dem Verkäufer zu beyden Seiten hängen zwey lange, trommelförmige Fässer, durch denen Mitte eine eiserne Achse läuft, so daß man sie bequem neigen oder kippen kann, Diese Fässer enthalten schönes, klares Wasser und Eis. Auf dem vordern Rande des Tisches stehen eine Menge Gläser und Citronen. Um solche Bude sind die Menschen bald mehr bald weniger, oft in dichten Haufen versammelt, und bewundern muß man die außerordentliche Fertigkeit, mit welcher der Verkäufer links und rechts seine Trommeln kippt, die Gläser voll schenkt, ein wenig Citronensaft dazu preßt, den Trank hinreicht, das Geld empfängt, daraus herausgibt us.w. Wer lange zusieht, dem kommt der Kerl endlich vor wie eine Maschine, durch die Räderwerk getrieben. An heißen Sommertagen soll das Gedränge unbeschreiblich groß seyn, soviel auch dergleichen Buden vorhanden sind. Abends werden sie erleuchtet, mit acht, zehn, auch zwölf Lampen. Der Preis des Getränks ist eine der kleinsten Kupfermünzen. Es sieht in der That appetitlich aus, wenn das cristallhelle Wasser in das Glas perlt, und die Kälte es sogleich beschlägt. Auch geht es, wider Gewohnheit, reinlich dabey zu; der Verkäufer schwenkt die Gläser immer vorher aus, wenn ihm die zudringlichen Durstigen nur irgend Zeit dazu lassen, drückt auch den Citronensaft nicht durch die Finger hinein. – Außerdem gibt es auch noch herumwandelnde Wasserverkäufer, die ihr aqua! den ganzen Tag ausschreyen, und gleichfalls drey oder vier reinliche Gläser an ihrer Schleifkanne herumtragen.

Maccaroni

Essen und Trinken ist die erste und wichtigste Angelegenheit eines Volks, daher kann man auch in Neapel nicht zehn Schritte weit gehen, ohne auf eine Veranstaltung zu stoßen, um diese beyden Bedürfnisse sogleich aus freyer Faust zu befriedigen. Hier stehen große Kessel mit Maccaroni, völlig zubereitet, Käse darüber gestreut, und die Oberfläche mit kleinen Stücken von den sogenannten Goldäpfeln (pomi d'oro) verziert. Eine solche Portion Maccaroni zu verzehren ist aber eine Kunst, die man den Neapolitanern erst ablernen muß; denn, da sie Ellenlang sind, so müssen sie mit dem Daumen und Zeigefinger gefaßt, bey weit zurückgebogenem Halse und aufgesperrtem Munde, von oben herabgelassen werden. Fremde pflegen sie wohl vorher mit Messer und Gabel zu zerschneiden, und dann mit Löffeln zu essen, das ist aber ganz gegen das Nationalcostüm. Uebrigens werden die Maccaroni hier sehr einfach, mit Fleischbrühe und Käse zubereitet, und schmecken so ungleich besser, als die mancherley mit Pastetenteig umgebenen fetten Verkünstelungen, die ich an andern Orten davon gefunden habe. Nur zu wenig kochen läßt man sie, und das geschieht überhaupt in Italien mit dem Reis, den Graupen u.s.w. es muß alles hart seyn, für einen Fremden oft ungenießbar. Ich habe einmahl dabey gestanden, als eine Schneidersfrau auf der Straße ihre Maccaroni kochte. Sie hatte einen metallenen Mörser umgewendet, auf diesen eine platte eiserne Pfanne gestellt, in welcher sehr kleine Stücke Holz brannten, und auf der Pfanne stand ihr Kessel mit Wasser. Als das Wasser zu kochen begann, ergriff sie ein Pack Maccaroni, in Papier gewickelt, stauchte ihn, so tief der Kessel war, hinein, und hielt ihn so lange, bis die steifen Maccaroni, vom heißen Wasser etwas biegsam gemacht, nachgaben, dann ließ sie das ganze Bündel, das nunmehr sich ringelte, vollends nachschlüpfen. Ich sah nach meiner Uhr. Etwas über fünf Minuten ließ sie die Speise aufwallen, goß dann das Wasser ab, Fleischbrühe darüber, streute Käse darauf, und das Mittagsmahl war fertig. Ihr etwa fünfjähriger Knabe hatte sich schon lange vorher einige halbgekochte Fäden durch Schreyen ertrotzt. Dazwischen war der Nachbar von seiner Werkstatt aufgestanden, und hatte, ohne um Erlaubniß zu fragen, seine Pfeife an dem kleinen Feuer angezündet. Auch war die ganze Küche einen Augenblick lang durch ein Schwein und einen beladenen Esel mit dem Untergang bedroht worden. Es ist wirklich sehr unterhaltend, solch einer Straßenwirthschaft zuzusehen. ─ Leckermäuler mischen zuweilen Hühnerlebern unter die Maccaroni, und das ist allerdings schmackhaft.

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Oben: Napoli - Maccheronaio Napoletano; scena dal vero. Nicht gelaufen.
Mitte: Napoli. Costumi popolari. Gelaufen. Datiert 1908. Poststempel unleserlich. Napoli.
Unten: 142. Napoli - Costumi popolari. Nicht gelaufen.

 

Oben links: Costumi Napoletani. Mangiamaccheroni. Adressseite: Signet [nicht aufgelöst] 2523-8. Gelaufen. Poststempel 1910.
Oben rechts: Maccherone appetitosi. Adressseite: Edition Guggenheim & Co., Zürich. Déposé. No. 14241, Gelaufen. Poststempel unleserlich. Maccherone appetitosi. Adressseite: Edition Guggenheim & Co., Zürich. Déposé. No. 14241, Gelaufen. Poststempel unleserlich.
Unten: Costumi Napoletani. Monelli mangiamaccheroni. Adressseite: 2780. Edit. E. Ragozino. Galleria Umberto-Napoli. Nicht gelaufen. [Anderes Exemplar datiert 1910]

"Our wholesome macaroni drying in the dirty streets of Naples, Italy". Stereo card, Underwood & Underwood 1897.

"Underwood & Underwood war ein US-amerikanisches Unternehmen zur Herstellung und zum Vertrieb von Stereoskopien und anderem fotografischen Bildmaterial. Im Zuge der Ende des 19. Jahrhunderts aufkommenden Reportagefotografie avancierte Underwood & Underwood zu einer der ersten weltweiten Nachrichten-Bildagenturen mit Niederlassungen in London, New York und Toronto." Siehe den Eintrag "Underwood & Underwood" in Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Underwood_&_Underwood

Zur 'Erfindung' der Maccaroni in Neapel siehe Ettore Cella: Die Legende von den Maccaroni. In: Du. Kulturelle Monatsschrift. 22. Jg., April 1962, S. 53-56.

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Seefische- und Seefrüchte-Verkauf

Eine zweyte, sehr reiche Quelle der Nahrung sind die unendliche Menge und Verschiedenheit der Seefische, die gekocht, gebraten und roh auf den Straßen verkauft und verzehrt werden. Ihre mancherley groteske Gestalten zu beschreiben, wage ich nicht. Es gibt deren mit langen Schnepfenschnäbeln, andere, die einer Gallerte gleichen; noch andere, welchen eine Menge Frangen aus dem Rachen hängen. Schaale Fische, die ganz die Gestalt einer noch mit ihren Stacheln versehenen Castanie haben,  andere, die wie Messerstiele von Achat aussehen. Beyde Gattungen werden roh gegessen, und mich dünkt, es gehöre Muth dazu, besonders die letztern zu verzehren, denn die Art sie zu essen ist folgende: man drückt ihre Schaale hinten, sogleich stecken sie die Köpfe und den halben Leib heraus, (ungefähr wie die Schnecken aus ihren Häusern) und winden sich dabey wie Blutigel, denen sie überhaupt an Gestalt, nur nicht an Farbe, gleichen. Hält man sie an den Teller, so saugen sie sich mit dem Kopfe an, der alsdann breiter wird. Zwey kleine Augen sind, als schwarze Punkte, an dem Kopfe deutlich zu unterscheiden. Wer sich entschließen kann dieses Gewürm zu essen, muß es gerade auf den Kopf beißen, sobald es denselben aus der Schaale steckt, muß diesen Kopf mit den Zähnen fest halten, und so den ganzen Wurm aus der Schaale ziehen, den er sodann nach Belieben kauen mag, bis er keine Lebenszeichen mehr von sich gibt. Ich bekenne, daß ich mich nicht habe überwinden können, diese Operation vorzunehmen. Man pflegt sie auch wohl zu braten, gleich den Austern, und da habe ich sie zu kosten versucht. Sie haben ein süßes ekelhaftes Fleisch.

Austern gibt es hier auch in Menge, aber sie sind sehr klein und ihr Geschmack nicht sonderlich. Die Fischer pflegen sie zu öffnen und vier bis fünf in eine Schaale zu thun, damit man doch einen Mundvoll bekomme. Diese Manier ist aber weder reinlich noch einladend.

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LA VENDITRICE DI SPIGHE

LA VENDITRICE DI POLIPI

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Früchte und Leckereien

Eine andere Hauptnahrung des Volks liefern die Gartengewächse, die hier das ganze Jahr hindurch grün, frisch und wohlfeil zu haben sind. [...]

Endlich hat auch Pomona ihr Füllhorn sehr reichlich über die Gegend von Neapel ausgeschüttet. Ich höre klagen, das Obst sey dieses Jahr schlecht gerathen, und doch ist es so häufig und wohlfeil. Kastanien sind noch häufiger als in Norden die Kartoffeln, die man hier ziemlich selten sieht. Die Weintrauben werden in Körben zu großen Pyramiden aufgethürmt, mit Rosmarinzweigen besteckt, und gewähren einen lachenden Anblick. Citronen und Orangen, grün und gelb, muß man nach Millionen zählen. Sie werden zum Theil schon abgeschält verkauft. Die großen, sogenannten Pinien-Aepfel, eigentlich eine Art von Tannzapfen, werden auf der Straße geröstet, um die schmackhaften Kerne leichter zu enthülsen. Die Granatäpfel werden ganz und in einzelnen Scheiben feil geboten, und in letzterer Gestalt ergötzen sie das Auge durch ihre zahllosen purpurfarbigen Kerne. Die Feigen sieht man entweder frisch in großen Körben, oder auch halb getrocknet auf lange hölzerne Spieße gesteckt, wie die Leipziger Lerchen. Aepfel, Birnen, Mispeln, Nüsse sind gemeine Früchte. Ananas schmeicheln dem Gaumen des Reichen, denn da man fast gar keine Treibhäuser hat, so sind sie theurer als in Berlin und Petersburg. Der Lazzaroni begnügt sich mit Melonen, die ihm in Stücken geschnitten und mit frischem Wasser begossen, mit großem Geschrey überall feil geboten werden. Ah che bella cosa! ach! was für eine herrliche Sache! hört man auf allen Straßen kreischen, und in der That ist der Anblick einer so zerschnittenen und sauber gewaschenen Melone bey warmem Wetter recht einladend.

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Costumes du Royaume de Naples. Aquarelle auf Velin. Höhe ca. 18,3; Breite ca. 13,9 cm (Einfassungslinie). Links: So Angelo Limosani di terra di Lavoro. Rechts: Fruttajolo. Quelle: Versteigerungskatalog, Ausriss.

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Auch an Leckerbissen fehlt es dem Pöbel nicht. Da steht zum Exempel ein Kerl unter meinem Fenster, der hat ein Tischchen vor sich, an dessen einer Ecke eine Stange befestigt ist; aus der Stange ragt, in einer Höhe von etwa sechs Fuß, ein dicker eiserner Nagel  hervor. Jetzt knetet der Kerl auf seinem Tische einen Teig von Maismehl zusammen, und versüßt ihn reichlich mit schwarzem Honig. Den Teig, der auf diese Weise ganz schwarz aussieht, zerrt er nun zu einem dicken, langen Welger, faßt die Enden derselben mit beyden Händen, und schlägt sie so lange mit kräftigen Schlägen über den dicken Nagel, bis der Teig dadurch anfangs gelb, dann immer weißer, und endlich ganz weiß wird. Nun schneidet er ihn in kleine Stücken, wirft ihn in eine Pfanne mit siedendem Oel, und in wenigen Minuten ist der Leckerbissen gebacken. Die Straßenjungen erhaschen mit Begierde jedes Abschnitzelchen, und gewöhnlich stehen schon eine Menge Eßlustiger rings umher, denen das Maul sichtbar voll Wasser läuft, während sie der Operation zusehen. Ein Deutscher wird sich freylich nicht leicht entschließen können, diese Kuchen aus dem Stegereife zu versuchen; hingegen darf er nur einige Schritte weiter an die Bude eines Kuchenbeckers treten, wo er jederzeit vortreffliche kleine Kuchen, theils mit Früchten, theils mit Ricotta gefüllt, findet, die, ich darf es aus Erfahrung versichern, keiner fürstlichen Tafel Schande machen würden. [...]

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IL MELLONARO

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Milch, Fleisch, Brot

Eine ähnliche löbliche Gewohnheit, die aber auch meines Wissens nirgend als in Neapel angetroffen wird, ist die Art und Weise, Milch zu verkaufen. Die milchende Kuh nämlich wird von dem Eigenthümer von Haus zu Haus geführt; wer Milch bedarf, schickt seine Bedienung heraus vor die Thüre, und es wird der Kuh auf der Stelle so viel abgemolken, als der Käufer nöthig hat. Man ist also sicher, daß man die Milch ganz unverfälscht erhält. Die Kuh ist gleichsam ein wandelnder Brunnen, aus dem Jeder schöpft und heimträgt, so viel ihm beliebt.

Außer diesen Kühen spazieren auch noch eine Menge Kälber in der Stadt herum, welche den Franziskanern gehören, und ein kleines viereckigtes Täfelchen vor der Stirne tragen. Man läßt sie ungehindert spazieren gehen, fressen und schlafen, wo sie Lust haben.

Das Fleisch ist in Neapel gut, und wird, ohne Bedenken auch an Fasttagen verkauft. Büffel werden häufig geschlachtet. Die Apulischen Schaafe, die man hier oft sieht, fallen durch Größe und durch ihre so genannten Rammsköpfe dem Fremden auf. Eben so neugierig wird er die Schweine betrachten, die alle schwarzgrau und ganz nackend sind. Sie werden ungeheuer fett, theils weil man sie mit türkischem Korne mästet, theils weil auch sie die Erlaubniß haben, den ganzen Tag auf den volkreichen Straßen herum zu wandeln, wo es, bey der unendlichen Menge von Eßwaaren, an reichlicher Nahrung nicht fehlen kann. Sie scheuen weder Pferde noch Wagen, und laufen, wie ich selbst gesehen habe, den Fußgängern durch die Beine. Auch die Hühner nehmen Theil an der allgemeinen Straßenfreiheit; junge Hühner giebt es das ganze Jahr. Bloß Enten und Gänse habe ich nicht auf den Straßen gesehen, vermuthlich weil die Neapolitaner überhaupt keine Gänse essen.

Das Brod ist ziemlich gut. Es wird für die Wohlhabendern von Weißen, für die Aermern vom türkischen Korn gebacken. Roggenbrod giebt es nicht. Man legt hier nicht, wie in andern Orten, das Brod auf dem Laden zur Schau, sondern man hängt es auf, oder nagelt es auf Bretter. Es scheint, die Neapolitaner haben sich einmahl vorgenommen, in allen Gewohnheiten von den Europäern abzuweichen. [...]

Kloake

Nach dieser nahrhaften Beschreibung ─ (die ich des Vormittags zu lesen bitte, weil man Nachmittags ungern vom Essen und Trinken hören mag ─ kehre ich auf die Straßen von Neapel zurück. Ich habe erklärt, man treibe in Neapel, das Schlafen ausgenommen, alles auf den Straßen, folglich ist es noch nicht genug, daß man da ißt, trinkt, Essen kocht, Kühe melkt, Kälber füttert, sein Handwerk treibt, seine Waaren verkauft, Briefe und Suppliken schreibt, sich das Ungeziefer absucht u.s.w. ─ Man entledigt sich auch ohne Bedenken der schmutzigsten Bedürfnisse, und diese schändliche Gewohnheit, welche ganz Neapel zu einem großen Kloak macht, ist den Augen wie der Nase des Fremden oft unerträglich. Man wendet freylich ein: Tausende von Lazzaroni's wohnen und schlafen sogar auf den Straßen, folglich sind sie wohl genötigt, auch alles übrige da zu verrichten. Ferner: Tausende von Landleuten führen täglich ihre Produkte in diese große Stadt, wo sie, außer Straßen und Marktplätzen keinen andern Zufluchtsort kennen: man versichert daher, ein Hauseigenthümer, dessen Haus eine Thorfahrt habe, dürfe nicht einmahl diese Sauerey verbieten. Wenn dem so ist, so möchte ich wenigstens nicht in Neapel wohnen, und noch weniger ein Haus darin besitzen.

Sollte man für möglich halten, daß auf dem Schloßplatze, der Königlichen Residenz grade gegenüber, und zwar an der Mauer der Sanct Ludwigskirche, eine der größten Kloaken in Neapel befindlich ist? ─ Der König, dessen Zimmer da heraus gehen, kann nicht auf seinen Balkon treten, ohne die Augen dazu zu wenden; die Gläubigen können nicht die Kirche besuchen, ohne ihre Schuhe zu besudeln.

Quelle:
August v. Kotzebue: Bemerkungen auf einer Reise aus Liefland nach Rom und Neapel. Teil 1. Köln, bey Peter Hammer 1805, Ausschnitte S. 194-211. Digitalisierung durch Google. ─ Köln, Peter Hammer, ist eine fingierte Verlagsadresse.

Über August von Kotzebue (geb. 1819 in Weimar, gest. 1819 in Mannheim), Journalist und Schriftsteller, verfasste zahlreiche vielgespielte Theaterstücke, vor allem Lustspiele und Schauspiele. Als Diplomat zuletzt russischer Generalkonsul. Fiel  1819  dem Attentat des Burschenschaftlers Karl Ludwig Sand  zum Opfer. Siehe den ausführlichen Eintrag in Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/August_von_Kotzebue

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Markt an der Porta Capuana

Oben: Napoli - Porta Capuana. Adressseite: 41570 D. T. - Napoli. Im Briefmarkenfeld: Stampata in Italia. Datiert 1918
Unten: Napoli. Porta Capuana. Adressseite: Signet (nicht aufgelöst) - Art Store - Naples - 21888-139. Nicht gelaufen.

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Wilhelm von Lüdemann
Neapel ist der reizende Körper ─ Rom der sinnende Geist,
die fühlende Seele Italiens
(1827)

Die stille Größe Roms contrastirte mit dem betäubenden Lärmen Neapels, seine einfache, ungesuchte Pracht, mit dem bunten Flitterglanz der Gegnerin auf das grellste. Hier ist alles Lust, Lärmen, Leben, Regung und Geschrei ─ dort war Stille, Sittlichkeit, Beschauung und die nie weichende Erinnerung an eine große Vergangenheit die vorherrschende Empfindung des fremden Besuchers, wie des Eingebornen. In Neapel giebt es keine Vergangenheit, keine Zukunft; nur die lebendige Gegenwart hat hier ihr Reich aufgeschlagen. In Rom ist es die Riesengröße der Vergangenheit, die den Geist unwillkührlich über eine trübe und unerfreuliche Gegenwart hinweghebt und ihn zum Trost und Erholung unmittelbar an eine ferne und dunkle Zukunft verweißt. Alles in Rom trägt den Stempel des Antiken, des Sorglosen, einer gewissen Unbehülflichkeit für die modernen Zwecke des Daseyns. Das Innere der Häuser ist unwohnlich, überall fehlt es an den kleinen Bequemlichkeiten des Lebens, an geschickten Möbeln und modernen Aufputz; kleine Galanterie-Bedürfnisse sind gar nicht oder grundschlecht zu haben; Straßenpflaster, Equipagen, die Einrichtung der Theater und Gesellschaftssäle ist schlecht und ärmlich und überall zeigt sich, daß der Römer, der Vornehme wie der Geringe, an ganz etwas anders denkt, als an einen bequemen Genuß der Gegenwart.

Von allem diesen ist das wahre Gegentheil in Neapel zu finden. Ein blendender, schillernder Geschmack, die entschiedenste Vorliebe für bunte Farben, kleinliche Verzierungen und bestechenden Aufputz zeigt sich von der Architektur der Palläste und Häuser herab, bis zu der mit Gold- und Silberpapier beklebten tragbaren Bude des Aquajuolos oder Wasserverkäufers. Equipagen und Calessi, Staats- und Miethwagen, glänzen von den buntesten Farben von prächtigen Livreen, die schönen neapolitanischen Rosse sind mit Federn, Schellen und Franzen geschmückt, an allen Buden flattern Flaggen, bunte Fahnen und Teppiche, deren Farbenpracht unter dem glänzenden Himmel noch schreiender hervortritt ─ überall, statt römischer Einfachheit und römischen Ernstes, Lärmen, Ausgelassenheit und krampfhafte Lebendigkeit, statt römischer Stille und Einsamkeit, ein unermeßliches Gewühl, ein betäubendes Geschrey, statt römischer Sittigkeit, die dreiste und verletzendste Schaamlosigkeit. Hier ist nicht die Rede von einem stillen, nach Innen zugekehrten Leben: in diesem rauschenden Meer von Lebenslust und toller Sorglosigkeit wird es uns unmöglich, die ernsten Seiten des Lebens zu erfassen, uns mit dem zu beschäftigen, was dem sinnenden Geist, der ahnenden Seele Befriedigung giebt. Der Strudel des gegenwärtigen und lebendigen Daseyns ergreift uns unwillkührlich, niemand widersteht dem Einfluß dieses glänzenden Himmels, dieser lachenden und zum Genuß des Lebens herausfordernden Umgebungen ─ kurz, Neapel ist der reizende Körper ─ Rom der sinnende Geist, die fühlende Seele Italiens. Hier wird alles Wichtige zum Spiel, alles Große zum Phantastischen, alles Bedeutende zum Nichtigen; alle Kunst zum Putz, zur Verzierung, alles Nachdenken zum Raub an dem genußreichen Daseyn, aller Ernst zum Spott. ─ Die Kunst dient hier dem Leben, statt es zu veredlen, hier ist der Glücklichste der Weiseste, das Nachdenken Thorheit, Lebensgenuß die höchste Wissenschaft. Ueppig wie seine Natur ist der Geschmack des Neapolitaners, licht wie seine Sonne, sein nie getrübtes Daseyn, ausschweifend und übertreibend, wie seine Natur, ist seine Phantasie, riesenhaft wunderlich, wie die Erzeugnisse seines Bodens und seines Meeres, seine ganze Denkart ─ schroff und mild zugleich, wie die ihn umringende Landschaft seine Gesinnung. Nichts ist fest an ihm, nichts dauernd und sicher: wie die Woge seines Golphs sich vor jedem leisen Winde kräuselt, so weicht sein Gemüth jedem Eindruck; alles erregt ihn bis zum Krampfhaften, und dem kurzen Krampf folgt Ermattung und Abspannung; kurz, sein Sinn, seine Sprache, seine Gebehrden, seine ganze Empfindungsweise theilen den übermäßigen Luxus seiner Natur, die kein Maaß kennt, wie er. [...]

Dolce Farniente

Neapel ist das Land des Müßigganges, nirgends hat das Dolce Farniente größern Reiz als hier, und in keiner Stadt in der Welt giebt es mehr zu schauen, mehr zu hören, mehr Befriedigung für eine zweck- und planlose Neugier als hier; hier, wo nichts sich verbirgt, wo jede Verrichtung des menschlichen Lebens mit einer Oeffentlichkeit und Unbefangenheit betrieben wird, die den fernen Nordländer vor Erstaunen nicht zu sich selbst kommen läßt.

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Napoli, Dolce far niente. Signiert: A. Esposito Napoli 1901. Stengel & Co, Dresda & Berlino. Übernommen aus "wikipedia commons".

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[zu Lüdemann, siehe oben:]
Quelle:
Wilhelm von Lüdemann: Neapel, wie es ist. Dresden, P.G.Hilschersche Buchhandlung 1827, S.4-6, 15. Digitalisierung durch Google.

Über Georg Wilhelm von Lüdemann (1796-1863), Verwaltungsbeamter und Reiseschriftsteller (Reisen vor allem in südliche Länder wie Italien, Griechenland und die Türke) siehe den Eintrag in Wikipedia
https://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Wilhelm_von_Lüdemann

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