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Dichterbilder

SYMPOSIUM:
Schriftsteller-Inszenierungen

»Das Symposion widmet sich historischen und systematischen Strategien schriftstellerischer Selbstinszenierung. Dabei gehören Fragen nach dem Selbstverständnis des Dichters und nach der Übereinstimmung zwischen Selbstbild und Erscheinungsbild ebenso dazu, wie Fragen nach der Historizität dieser imagotypen Strukturen. Bei der Frage nach den Funktionen dichterischer Selbstinszenierung stehen drei Aspekte im Vordergrund: die Frage nach den gesellschaftlichen Funktionsweisen, die Instrumentalisierung von Literatur und die Bedeutung der Rezipienten und Distributoren für diese gesellschaftlich-literarischen Rituale. Die Selbstinszenierungen manifestieren sich auf unterschiedliche Weise, die von der spezifischen literarischen Ikonographie des Dichters über die Wahl bevorzugter Schauplätze bis zu Stilisierungen reichen, die den Autor in eine bestimmte poetologische Tradition bzw. in persönliche Nähe zu Vorbildern stellen. Die Vorträge werden historische oder systematische Aspekte behandeln und sich mit Themen aus folgenden drei Bereichen befassen:

1. Ikonographie in der Tradition
2. Schriftsteller in den modernen Medien
3. Fall-Studien«

Symposion unter der Leitung von Prof. Dr. Gunter E. Grimm (Universität Duisburg-Essen), Prof. Dr. Christian Schärf (Universität Mainz) und Dr. Matthias Keidel (Die Wolfsburg). Vom 5.-7. Oktober 2006 in der Akademie "Die Wolfsburg".

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Yvonne-Patricia Alefeld Raoul Hausmann: Pose – Poesie – Performance

Raoul Hausmann (1886-1971), nach eigener Auskunft „immerhin der größte Experimentator Österreichs“ und „der modernste Mann im ganzen Lande“, spielte in den zwanziger Jahren als einer der Mitbegründer der DADA-Bewegung in Berlin eine bedeutende Rolle – insbesondere, da sich DADA durch Rollenspiele inszenierte, und der Monokelträger Hausmann in diesem Spiel als „Dadasoph“ den Part des Intellektuellen besetzte. Ein Intermezzo, denn die Idee der radikalen Selbstverwirklichung verträgt sich schlecht mit Gruppenbindung. Exzentrische Selbstdarstellungen sind charakteristisch für Hausmanns intermediale Crossover (avant la lettre), der als „Scharfrichter der bürgerlichen Seele“ die Zertrümmerung der Schrift- und Sprachkultur (bis zu seinen irritierenden Sprachaufnahmen der „poèmes phonétiques“) anzettelt, der als Tänzer eigene Texte verkörpert und als Maler oder Collageur oder Fotograph konventionelle Rezeptionsgewohnheiten provoziert.

 

 

Wilhelm Amann: „Arbeit am Autor: John v. Düffel und die Filmdokumentation über die Entstehung seines Romans Houweland“

Der Vortrag wird am Beispiel einer Filmdokumentation über die Entstehung, Lektorierung und Vermarktung des Romans Houwelandt (2004) die Ambivalenzen zeitgenössischer Autorschaft erörtern. Der Film gibt nicht nur einen detaillierten Einblick in die Abläufe des Literaturbetriebs, sondern legt auch die Differenzen zwischen Selbstbild und aufgezwungener medialer Inszenierung des Autors v. Düffel offen. Darin unter-scheidet sich v. Düffel deutlich von den ‚Popliteraten‘ seiner Generation, die Intention des Films läßt sich als Versuch zur De-Inszenierung eines Autors beschreiben. In Hinblick auf die historische Dimension des Sym-posion-Themas zeigt das Fallbeispiel, in welchem Ausmaß der von einigen Gegenwartsautoren noch gepflegte Genie-Gestus in der literarischen Kultur der Gegenwart abgedankt hat. An dessen Stelle tritt ein verändertes Image des Autors als asketischer und kreativer Freiberufler, der seine Möglichkeiten nüchtern abwägt und im Zweifelsfall ohne größeren Schaden an Leib und Leben auf eine Fortsetzung dieser Karriere zu verzichten vermag.

 

 

Walter Delabar: Der Autor als Repräsentant. Aufstieg und Niedergang der öffentlichen Funktion des Autors im 20. Jahrhundert

Autoren sind Vorbild- und Repräsentationsfiguren, immer noch im 20. und 21. Jahrhundert. Dabei nimmt Thomas Mann eine herausragende Position ein. Er selbst – anfangs als intellektueller und kalter Autor kritisiert – hat sich die Rolle des Repräsentanten Deutschland bereits früh zugeschrieben. Unabhängig ob er sich als Vertreter der Gegenmoderne, als Repräsentant der ersten deutschen Demokratie oder als Stimme des anderen Deutschlands gesehen hat – diese Position hat ihm eine besondere Aufmerksamkeit gesichert. Auf-schlussreich ist dabei, dass die Selbst- und Fremdzuschreibung als Lehrer und Repräsentant Deutschlands eingebettet ist in eine Neuorientierung der Autorenrolle im Medienwechsel und gesellschaftlichen Wandel des 20. Jahrhunderts.

 

 

Stephan Ditschke: „Ich sei dichter, sagen sie“. Inszenierung und Selbstinszenierung beim Poetry Slam

Poetry Slams leben von der Selbstinszenierung der Auftretenden. Bei dieser Form moderner Dichterwettkämpfe streiten die Teilnehmer mit selbstverfassten Texten um den Sieg. Dabei gilt die Aufmerksamkeit des bewertenden Publikums nicht nur den vorgetragenen Texten, sondern den Auftritten der Vortragenden: Die Auftritte werden als Kontext gelesen, in dem die Zuschauer die implizite Performativität des Textes vollzogen sehen. Im Zentrum des Beitrags stehen deshalb erstens der Zusammenhang von Text und Auftritt im Sinne einer ‚Legitimierung’ des Textes und zweitens die Frage, welcher Distinktionsmerkmale sich die Auftretenden bedienen – so z.B. der Selbstinszenierung als Schriftsteller. Ausgegangen wird dabei u.a. von den Ergebnissen mehrerer Zuschauerbefragungen bei Poetry Slams in Stuttgart.

 

 

Christoph Ernst: Alexander Kluge – Die offene Frage des Intellektuellen im Medienzeitalter

Alexander Kluges intermediale Medienpraxis ist ein singuläres Phänomen. Der Vortrag will zeigen, wie sich am Beispiel von Kluges Selbstverständnis als „Autorenfilmer“ ein geändertes Selbstverständnis als „Intellektueller“ niederschlägt. Abgestellt auf seine (im Wortsinn) „informierende“ Medienpraxis, legitimiert der ehemals exklusiv im Medium der Schrift verhaftete „universelle Intellektuelle“ seine Sprecherrolle nunmehr über eine Praxis, die direkt an den Schnittstellen zwischen Medien und den in ihnen prozessierten kulturellen Inhalten angesiedelt ist.

 

 

Ruth Florack: Strategien weiblicher Selbstinszenierung bei Else Lasker-Schüler und Vicki Baum

So unterschiedlich wie die Texte, die sie schreiben, und wie das Publikum, an das sie sich wenden, sind die Strategien der Selbstinszenierung bei Else Lasker-Schüler und Vicki Baum: Nach dem Wahlspruch „Ich sterbe am Leben und atme im Bilde wieder auf“ stilisiert sich Lasker-Schüler im exklusiven Kreis der Bo-heme zur exotisch-männlichen Kunstfigur. Dabei weisen die Masken ihres Spiels auf die Rollenentwürfe ihrer Dichtungen zurück, sind in Produktion und Rezeption unauflöslich mit diesen verknüpft. Anders Vicki Baum: Indem sie sich in Zeitschriftenartikeln als ‚neue Frau’ entwirft, bedient sie ein zeittypisches Weib-lichkeitsideal und befördert so gezielt die Vermarktung ihrer Romane im breitenwirksamen Ullstein-Verlag. In den USA verbindet sie dann ihren Ruf als Bestseller-Autorin mit einem neuen, auf den amerikanischen Lebensstil abgestimmten Image. – Es gilt, dieses Wechselspiel von Schreiben und Selbstinszenierung ver-gleichend zu untersuchen.

 

 

Gunter E. Grimm: „Nichts ist widerlicher als eine sogenannte Dichterlesung …“ Die Autorenlesung des 20. Jahrhunderts zwischen Marketing und Selbstpräsentation

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist die Autorenlesung zu einer der beliebtesten Präsentationsformen avanciert, in der Schriftsteller sich einer interessierten Öffentlichkeit bekannt machen. Der Beitrag geht der Geschichte dieses Inszenierungsmodells nach, betrachtet die unterschiedlichen – optischen und akustischen – Aspekte der Präsentation und verortet die Lesung im „literarischen Feld“. Besonderes Augenmerk wird dem sich wandelnden Verhältnis von Schriftlichkeit und Mündlichkeit gewidmet. An ausgewählten Beispielen wird gezeigt, welche Funktionen die Autorenlesung im gegenwärtigen Literaturbetrieb, zwischen freiwilliger Selbstdarstellung und verlagsgesteuerter Werbekampagne, zwischen Marketing und Kulturevent hat und welche Rolle sie für Literatur-Rezeption und –Produktion spielt.

 

 

Petra Gropp: „Ich/Goetz/Raspe/Dichter“ – Medienästhetische Verkörperungsformen der Autorfigur Rainald Goetz

Vom ersten Roman an, „Irre“ (1983), spaltet Rainald Goetz die klassische Erzählerfunktion in eine multiper-spektivische Vielzahl von Figuren auf: Rainald, Raspe, Goetz, ich, der Dichter etc. Zugleich sind diverse Autorenbilder – Zeichnungen, Fotografien – in viele seiner Texte eingefügt. Der inszenatorische Charakter dieser Verkörperungsformen wird besonders augenfällig in Rainald Goetz’ Auftritt anlässlich des Ingeborg Bachmann-Wettbewerbs in Klagenfurt 1983. In den 90er Jahren werden die sozialen Praktiken und das Partyleben der Techno-Kultur Goetz zum ereignisorientierten Lebensexperiment – der Autor entwirft sich im Kontext einer Präsenz- und Affektkultur als medienästhetisches Ereignis. Folgt man der Frage, worin diese Strategien pop-literarischer Schriftsteller-Inszenierung gründen, so lässt sich zeigen, dass diesen Verkörperungspraktiken eine transmediale Konzeption der Schrift zugrunde liegt.

 

 

Dieter Heimböckel: Zwischen Elfenbein- und Fernsehturm. Peter Handkes (massen-)mediale Widerspruchsarbeit

Seit Peter Handkes aufsehenerregendem Auftritt beim Treffen der Gruppe 47 in Princeton 1966 sind die Kontroversen um seine Person und sein literarisches Schaffen nicht mehr verstummt. Diese Konstanz seiner Wahrnehmung und Rezeption verdankt sich u. a. einer durchgängig bei ihm zu beobachtenden „Selbst-Profilierung im Widerspruch“ (Otto Lorenz). Obwohl er schon früh für sich in Anspruch genommen hat, ein „Bewohner des Elfenbeinturms“ (1972) zu sein, gehört er zu jenen Autoren, die die Medienöffentlichkeit konsequent zur Kultivierung ihrer Verweigerungshaltungen genutzt haben. Unter der Voraussetzung, daß individuelle Revolte und Grenzgängertum schon in der Zeit seiner literarischen Anfänge mit einer gesell-schaftlichen Stimmung einhergingen, die auf Nonkonformismus zusehends positiver reagierte, bildet die mediale Repräsentanz des Außenseitertums geradezu einen Garanten seiner Wertschätzung. Die Schriftsteller-Inszenierung Handkes erscheint unter diesem Gesichtspunkt als ein (möglicherweise repräsentatives) Rückkoppelungsphänomen, das es über den funktionalen Zusammenhang im System der Literatur hinaus in seiner übergreifenden gesellschaftlichen Bedingtheit zu reflektieren gilt.

 

 

Gaby Herchert: niht anders kann ich iu verjehen… Zur Topik der Selbstrepräsentation

Die Selbstrepräsentationen und Selbstinszenierungen von Autoren haben häufig topischen Charakter. Im Kontext von Werk, Autorenintentionen und Rezipientenerwartungen werden Texten fiktionale Selbstentwürfe eingeschrieben, die als Steuerungsstrategien (Gunter E. Grimm) interpretationsleitend wirken. Ausgehend von der Literatur des Mittelalters wird anhand ausgewählter Beispiele die ungebrochene Tradierung von Topoi der Selbstrepräsentation vorgestellt.

 

 

Jan Knopf: „Wer immer es ist, den ihr sucht: ich bin es nicht“. Bertolt Brechts Rollenspiele in Leben und Werk

Als Brecht 1927 endlich seine Hauspostille veröffentlichte, gab er ihr den Titel: Bertolt Brechts Hauspostille; so war nicht nur der Name des Autors in den Titel eingeschrieben, er signalisierte zugleich auch den Urheber der Texte als Thema und Adressat sowie nicht zuletzt als Warenzeichen. Brecht war sich schon Mitte der 1920er Jahre darüber im Klaren, dass die gewandelten gesellschaftlichen Verhältnisse auch die Kunst irreversibel in Waren verwandelt hatten, die der Hersteller, sprich: Dichter, auch verkaufen musste, wenn er leben wollte. Brecht entwickelte deshalb Strategien der Werbung sowie der öffentlichen Präsenz, die notwendig in den neuen Massenmedien, also Zeitung, Rundfunk, Film, organisiert werden mussten, wollten sie wirklich wirksam sein. Überdies war der Arbeitsprozess neu, d.h. kollektiv, zu organisieren und in den Werken ästhetisch umzusetzen. Damit war das Ende der traditionellen, individuell >schaffenden< Dichterpersön-lichkeit endgültig eingeläutet worden. Ziel Brechts war es, als Person hinter seinen Werken zu verschwinden (nur wer verschwindet, der hält sich) und sich als Persönlichkeit in den öffentlichen Rollen zu üben: »Wer immer es ist, den ihr sucht: ich bin es nicht.«

 

 

Michaela Kopp-Marx: Who's That Girl? Zwischen Inszenierung und Authentizität: Zur Lage des Ich im Roman der Postmoderne

Die Postmoderne liebt die Inszenierung ebenso wie sie den Schein, die Mode und das Design verehrt. Sie ist ästhetisch anspruchsvoll, hat keine Berührungsängste vor dem Entertainment und sie tritt der „Realität“ ziemlich ironisch gegenüber. Seit den stilverwöhnten 80ern wird alles inszeniert: die Kunst, die Natur, die Wissenschaft, die Politik, der Sport, der Alltag und natürlich das eigene Ich. Wie Madonna, die bis heute ein plurales Existenzideal pflegt, sind die Helden postmoderner Romane (z.B. bei Hanns-Josef Ortheil, Dagmar Leupold, Paul Auster, Gilbert Adair) alles andere als identitätslogisch verfaßt – sie betreiben bewußt das Spiel der Möglichkeiten, schreiben sich neu, setzen sich lustvoll als andere in Szene. Zugleich wissen sie um den Preis ihrer multiplen schemenhaften Existenz und suchen die Pluralität wieder zu einem unverfälschten Ganzen zusammenzusetzen.

 

 

Christian Schärf: „Belichtungszeit. Zum Verhältnis von dichterischer Imagologie und Fotografie“

Die Erfindung der Fotografie und die Entstehung der Porträtfotografie provozieren einen nachhaltigen Wan-del in der Selbstdarstellung der Dichter und Schriftsteller. Der Übergang in die fotografische Darstellung des Autors zeichnet eine neue Ebene von Präsenz in die Bildentwürfe ein, die Schriftsteller von sich selbst und die eine kulturelle Öffentlichkeit von diesen herstellt. Dies wirkt auf das gesamte Literatursystem zurück, nicht zuletzt auf die Texte und die Modi ihrer Rezeption. Der Vortrag untersucht den historischen Zeitpunkt dieses Übergangs in die sog. ‚Belichtungszeit’ um 1850. Anhand von Beispielen soll ein Abriss von Entwicklungen des Phänomens am Leitfaden einer Kritik des Begriffs der dichterischen Imagologie unternommen werden.

 

 

Helmut Schmiedt: Karl May - ein früher Popstar der deutschen Literatur

Auf dem Höhepunkt seines zu Lebzeiten erreichten Ruhmes behauptet Karl May öffentlich, mit dem Super-helden seiner Abenteuerromane im handfesten Sinne identisch zu sein: „Ich bin wirklich Old Shatterhand resp. Kara Ben Nemsi“. Er versucht diese Gleichsetzung durch inner- und außerliterarische Strategien glaub-haft zu machen, und die zeitgenössische Leserschaft akzeptiert sie eine Zeitlang. Die nähere Durchleuchtung des kuriosen Sachverhalts erschließt eine Vielfalt von Aspekten zwischen der nahezu neurotischen Disposition eines kreativen Künstlers und den Verfahrensweisen eines geschickt kalkulierten, massenhaft wirksa-men Medieneinsatzes; manches daran besitzt - wie unter anderem Mays eigene spätere Rezeption zeigt - zukunftsweisenden Charakter.

 

 

Rolf Selbmann: Goethes Denkmäler. Selbstbild und Ikonographietradition

Der Beitrag zielt nicht auf eine bebilderte Geschichte der Goethe-Denkmäler, sondern versucht am Beispiel Goethes die Denkfigur Denkmal als Medium der Selbstinszenierung zu verorten. Dabei werden sich fünf Entwicklungsabschnitte herausschälen, die mit Goethes Arbeits- und Lebensphasen korrelieren. In und an ihnen zeigen sich signifikante Veränderungen in Goethes Denkmalsvorstellungen wie in seinem Selbstver-ständnis als Autor. Aus beidem entsteht eine eigenständige Ikonographie, die eine Bildtradition begründet, die bis weit in die Geschichte der Denkmäler für Goethe reicht.

 

 

Volker Wehdeking: Der ‘Poète Maudit’ Helmut Krausser und seine Teufels-Erzählung „Der große Bagarozy“ (1997, Filmadaption 2000) - Selbstdarstellung und Opernobsession im Spiegel der Callas-Biographie und in Kraussers Tagebüchern

Das Referat ist ein Beitrag zum Themen-Block 2 des Symposions, „Schriftsteller in den modemen Medien“. Helmut Kraussers Autoren-Selbstinszenierung steht hier allerdings auch in der Ikonographie der Goethe-Tradition des Genie-Kults (Faust und Mephisto) und der Symbolisten (Poete Maudit), zu der man die beiden Grundwerke des Autors, „Melodien“ und „Thanathos“ ebenso rechnen kann, wie deren Synthese in „Der große Bagarozy“. Die Tagebücher des Autors, besonders jene von 1997-99, zeigen ihn aber auch auf dem Weg zum ‘poeta doctus’. Die Callas-Biographie im Spiegel einer Teufels-Vision wird ausführlicher analy-siert und das Musikthema in drehbuchreifen Szenen mit der Filmadaption 1999/2000 durch Bernd Eichinger verglichen. Der intermediale Ansatz wird ergänzt durch eine Tagebuch-Lektüre, die einen weiteren Medienhorizont er-schließt: die Rückkoppelung mit der eigenen Analyse der Feuilleton-Kritik des sich auch hier stark selbstin-szenierenden Schriftstellers aus der Genie-Tradition.

 

 

Uwe Werlein: „Tiefste Nacht: ‚Ma sehn, was wir im Radio kriegen?’“ Selbstinszenierung in Arno Schmidts Radioessays

Die Radioessays Arno Schmidts sind in mancher Hinsicht besonders aufschlussreich für manche Aspekte der Selbstinszenierung des Autors. Über die stimmliche Darstellung werden bestimmte Rollen medial lanciert und verfestigt, aber auch gegeneinander gestellt und kontrastiert. Plakativ wird naiv-affirmatives Denken einer autoritär-negierenden Haltung gegenübergestellt, die modernes Denken, nicht ohne misanthropischen Grundzug, ablehnt. Erst in der Widersprüchlichkeit der verschiedenen Positionen ergibt sich das Spektrum des Schmidtschen Selbstbildes. Die Radioprogramme zeigen deutlicher als die Texte, Interviews oder Fotos den Widerspruch zwischen stiller, genügsamer und bürgerlicher Existenz (in nachgerade Stifterschem Sinn!) und einer anti-bürgerlichen und gesellschaftskritischen Haltung, wie er für die Selbstdarstellung Arno Schmidts kennzeichnend ist.

 

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