goethe


Jutta Assel | Georg Jäger

Legenden-Motive auf Postkarten

Joseph Ritter von Führich
Genoveva 

 Vorherige Seite Vorblatt   Nächste Seite 

Genoveva bewegt Grimoald und Benno, die Diener Golos, welche sie und ihren Sohn Schmerzenreich töten sollen, zum Mitleid.

 

Kap. 8. Genoveva wird zur Hinrichtung hinausgeführt:

      [...] Sie [Benno und Grimoald, der Köhler] führten Genoveva weit, weit in den Wald hinein. Nun kamen sie auf einen freien Platz, der rings von hohen, schwarzen Tannen, düsteren Ulmen und zitternden Espen umgeben war. Da sagte Benno, der Mann mit dem Schwerte: "Nun halt, Genoveva, und knie nieder!" Genoveva kniete nieder. "Jetzt gib dein Kind her, und du, Grimoald verbinde ihr die Augen!" fuhr er fort, zog das Schwert aus der Scheide, erhob es und ergriff das Kind beim Ärmlein. Allein Genoveva schloß das Kind fest in ihre Arme, blickte zum Himmel auf und schrie laut: "O Gott, laß mich sterben — nur rette mein Kind!"
      "Mach' keine Umstände!" sagte der rauhe Mann. "Was sein muß, muß sein! Gib her!"
      Aber Genoveva rief weinend und jammernd: "O ihr lieben Männer! wäre es denn möglich, könntet ihr dies arme, unschuldige Kind ermorden? Was hat es verbrochen? Wem hat es ein Leid getan? Ermordet mich! Ich will ja gerne sterben! Seht da meinen entblößten Hals! Nur laßt mein liebes Kind leben! Bringt es zu meinen Eltern! Oder wenn ihr das nicht dürft, so laßt — nicht wegen meiner, sondern meines Kindes wegen — mich leben. Ich will ja diesen Wald in meinem Leben nicht mehr verlassen, und nie mehr unter die Menschen kommen, damit Golo es nicht erfahre, daß ihr mich verschont habt. O seht, ich, eure Herrin und Gräfin, knie vor euch und umfasse flehend eure Knie! Wenn ich euch je etwas zuleid getan habe, so tötet mich! Wenn ich ein Verbrechen begangen habe, so bringt mich um. Aber ihr wißt es ja, daß ich unschuldig bin! O es reut euch einmal gewiß, wenn ihr jetzt meine Tränen nicht achtet! Seid barmherzig mit mir, so wird es Gott auch einst mit euch sein! Laßt euch zeitlichen Lohnes wegen nicht zu bösen Taten verleiten, denn ihre Strafe ist ewig. Fürchtet doch Gott mehr als die Menschen! Oder wollet ihr denn diesen Golo wirklich höher achten als Gott? Vergießt doch nicht unschuldiges Blut, denn das Blut der Unschuldigen schreit zum Himmel um Rache, und ein Mörder hat keine Ruhe mehr."
      "Ich tue nichts," sagte Grimoald, der das Schwert noch immer hoch empor hielt, "als was mir befohlen ist! Ob es recht oder unrecht ist, mögen Golo und der Graf verantworten."
      Allein Genoveva fuhr fort zu bitten und zu flehen. "O blickt doch zum Himmel auf," sprach sie. "Seht ihr dort den Mond! Seht, er verbirgt sich hinter den Tannen, als könnte er die Tat, die ihr vorhabt, nicht ansehen! Seht doch, wie blutrot er untergeht! O so oft ihr ihn künftig so untergehen seht, wird er euch des unschuldig vergossenen Blutes anklagen! Ja, wenn er auch hoch am Himmel steht, und allen Menschen hell und klar scheint, so würde er euch doch blutrot vorkommen. — O horcht doch, horcht, es erhebt sich ein Wind! Hört ihr nicht, wie schauerlich die Bäume rauschen, und wie laut alle Blätter zittern? Die ganze Natur entsetzt sich über den Mord der Unschuld. O künftig wird euch jedes rauschende Blatt erschrecken! — Seht da droben die Sterne! Wie mit tausend Augen schaut der Himmel auf euch herab! Könntet ihr unter Gottes Himmel eine solche Greueltat begehen? Denkt, dort droben unter den Sternen ist ein Gott, vor dessen Gericht ihr einst stehen müßt! — O Gott; du Vater der Witwen und Waisen dort oben, o erweiche du das Herz dieser Männer, die ja auch Weiber und Kinder haben — und halte ihren Arm inne, daß sie einer armen Mutter und ihres wimmernden Kindes schonen und diese schwere Blutschuld nicht auf sich laden!"
      Grimoald, der immer geschwiegen hatte, wischte sich eine Zähre ab und sagte: "Du, Benno, mir bricht das Herz! Wir wollen sie leben lassen. Wenn du Blut vergießen willst, so bedenke, daß es auf dein Haupt kommt, so es unschuldig ist. Und — ich glaube jetzt gar nicht mehr an das, was Golo uns sagte. Ich hab' viel auf ihn gehalten, aber jetzt seh' ich, daß er mich betrogen hat. Diese Frau hier kann nichts Böses begangen haben. Er haßt sie wohl und will sie verderben. Und wir tun ihm mehr Gutes, wenn wir's hindern, daß er die Blutschuld auf sich lädt, als wenn wir ihm noch dazu helfen. Golo ist der Schuldige; sie aber hat in ihrem Leben nichts als Gutes getan. Denk' doch daran, wie viele Wohltaten sie dir in deiner letzten Krankheit erwiesen hat."
      "Sie muß sterben!" sagte Benno. "Da hilft nichts, Grimoald. Es kommt mich, bei meiner armen Seele, auch hart an, sie umzubringen. Allein wenn wir sie leben lassen, müssen wir beide sterben. Und ihr hilft's doch nichts. Golo wird sie doch noch zu finden wissen. Zudem müssen wir ihm ja ihre Augen zum Wahrzeichen bringen, daß wir sie umgebracht haben."
      "Wir wollen sie dennoch leben lassen!" sagte Grimoald. "Wir können es ja so machen: Wir lassen sie, damit wir nicht verraten werden, schwören, immer in diesem Walde zu bleiben — und dem Golo bringen wir die Augen deines Hundes da. Ich wette, das böse Gewissen läßt ihn sie nicht so genau ansehen, daß er den Betrug merkt. Aber nicht wahr, es kommt dich hart an, deinen Hund zu töten? Bedenk' doch, Benno! ob unsre liebe Gräfin und unser junger Graf, ob diese unglückliche Mutter und ihr unschuldiges Kind dir nicht weniger wert sein sollten, als — Gott verzeih' mir's! — dein Hund? Benno, sei doch kein Unmensch!"

 

 Vorherige Seite Vorblatt   Nächste Seite 
Das Fach- und Kulturportal der Goethezeit