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Jutta Assel | Georg Jäger

Legenden-Motive auf Postkarten

Joseph Ritter von Führich
Genoveva 

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Genovevas Standhaftigkeit im Kerker.

 

Kap. 6. Genoveva wird im Gefängnis Mutter:

      Genoveva saß mehrere Monate im Gefängnisse. Diese lange Zeit kam kein Mensch zu ihr, als das finstere Weib des Turmwarts und Golo, der ihr seine schändlichen Anträge ohne Aufhören wiederholte und ihr nur unter dieser Bedingung eine Ehrenerklärung und die Befreiung aus dem Gefängnisse versprach. Allein Genoveva sprach zu ihm: "Lieber vor den Menschen ehrlos scheinen, als es in der Tat sein. Lieber in diesem Turme verschmachten, als mich durch eine Übeltat auf einen Königsthron schwingen!"
      Bei solcher ruhiger Standhaftigkeit fuhr Golo zornig auf. Und dann wieder wurde er oft auf einmal ganz anders, kniete nieder vor der Gefangenen und bat und flehte, sie möge ihm doch verzeihen, daß er so handle. Es geschähe ja doch nur aus übergroßer Liebe. "Nur Eure Kälte, Eure Härte, Frau Genoveva, ist schuld, daß Ihr dies leidet! Hier in meinem tiefsten Herzen brennt, mir selber unerträglich, die Qual darüber, daß Ihr mich so von Euch stoßt! Wendet Euch doch nicht so weg, schenkt mir nur einen holden, vergebenden Blick! Ihr sollt meine Fürstin, meine Gebieterin sein, wenn Ihr mich erhört!" —
      Ein Geräusch auf der Turmtreppe ließ Golo aufspringen. Er wandte sich um. Vor der noch offenen Tür sah er Gertrud. Sie stieg aber vor ihm wieder die Treppe hinauf, als er die Tür verschlossen hatte.

 

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