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Jutta Assel | Georg Jäger

Sagen-Motive auf Postkarten

Jakob Götzenbergers Freskobilder
in der Trinkhalle zu Baden-Baden

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Die Nixe des Wildsees

Auf dem südlichen Abhange des Kniebis schimmert inmitten von Heidekraut und Moos der Wildsee. In seiner Nähe war ein Hirtenknabe aufgewachsen, der ganz verschieden von den andern Kindern war. Still, verschlossen mied er die Gesellschaft der Menschen und hielt heimliche Zwiegespräche mit den Sternen, Vögeln und den Blüten der Heide. Als er heranwuchs, erfand er auch liebliche Weisen, welche er, am Ufer sitzend, mit weicher, schwermütiger Stimme sang.

So hörte ihn auch die schöne Nixe, welche im See ihre Wohnung hatte. Sie kam an die Oberfläche, um ihn zu besehen. Alsbald fing sie auch an, ihn mit ihren Zauberkünsten zu umstricken. Er unterlag.

Eines Tages vergaß er die Warnung, sie bei ihrem Namen zu rufen. Sie war ihm nämlich einige Tage nicht erschienen, um seine Leidenschaft aufs höchste zu entflammen. Auf seinen Ruf hin sah er sie auch am Ufer sitzen, schöner und bestrickender denn je. Zur Seite hatte sie ein weißes Reh, und ihre Finger glitten durch die Saiten einer Harfe, zu ihren Füßen aber ringelte sich eine Schlange. Trotz der Bitte eines Mönchs, der den Jüngling dem Zauber entreißen wollte, stürzte dieser auf die Nixe zu und umschlang sie in seligem Entzücken. Aber schon hob sich auch der See mit rasender Schnelle, und Hirte und Nixe waren in der Tiefe verschwunden.

 

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