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Jutta Assel | Georg Jäger

Sagen-Motive auf Postkarten

Jakob Götzenbergers Freskobilder
in der Trinkhalle zu Baden-Baden

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Allerheiligen

Das Kloster Allerheiligen bei Achern war der Sage nach von einer Gräfin von Zähringen gestiftet und war mit der Zeit zu großer Macht und hohem Ansehen gelangt. Später, nachdem der Orden schon aufgehoben war, zerstörte ein Blitzstrahl die heilige Stätte, und jetzt ist Allerheiligen eine der anziehendsten Ruinen, die inmitten einer herrlichen Natur den Eindruck des Ernstes und des Friedens macht.

Zur Zeit, wo das Kloster noch eine Schule hatte, brachte der Junker von Wessenberg drei Jahre daselbst zu. Er war ein lebensfroher begabter und sehr fleißiger Jüngling und wurde allgemein geliebt. Er genoss mehr Freiheit als die andern Zöglinge und benutzte sie auch. So lernte er gegen das Ende seines Aufenthalts Erda, eine junge Zigeunerin, kennen, die dem schönen Junker, der sie für seinen Glauben und seine Liebe gewinnen wollte, willig ihr Herz öffnete. Aber nur am Altare verbunden, durften sie sich angehören. Sie vertrauten sich einem Mönche des Kloster an, der, durch die Bekehrung des Mädchens gerührt, versprach, die Beiden zu verbinden und die Eltern des Junkers mit dem Geschehenen auszusöhnen. Als Pfand seiner Treue schenkte der Jüngling Erda einen kostbaren Ring. Als die Jungfrau denselben ihrer alten Pflegemutter zeigte, empfahl ihr diese, den Ring stets auf dem Herzen zu tragen und ja nicht vor der Hochzeit an den Finger zu stecken, denn sonst würde ihr Glück für immer dahin sein.

Am Morgen ihres Hochzeitstages saß Erda an einem lauschigen Plätzchen im Walde, und nur an ihr nahes Glück denkend, vergaß sie der Warnung, zog den Ring hervor, steckte ihn an und ließ ihn in der Sonne funkeln. Durch Rabengeschrei erschrocken, ließ sie den Ring fallen, den ein Rabe sofort erhaschte und in sein Nest, hoch oben auf dem Felsen, trug. Auf ihr Jammergeschrei eilte der Junker herbei, hörte, was geschehen und versprach ihr, den Ring wieder zu verschaffen. Aber um welchen Preis! Während Erda sich zur Trauung schmückte, erklomm der Jüngling den Rabenfelsen; aber dicht unter dem Neste verlor er den Halt und stürzte von Klippe zu Klippe in den Abgrund hinab. Als Erda im Kloster statt des harrenden Geliebten dessen verstümmelten Leichnam erblickte, sank sie gebrochenen Herzens tot neben der Bahre nieder. Beide ruhen in Allerheiligen.

 

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