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Jutta Assel | Georg Jäger

Sagen und Legenden

Adelheid von Stolterfoth: Rheinischer Sagen-Kreis

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Die Braut von Rheinstein


Es klingt herab aus Rheinstein's Mauern
Wie Harfenton und Flötenlaut, -
Doch ach! mit Klagen und mit Trauern
Zieht langsam aus der Burg die Braut.
Und weinend richtet sie beim Scheiden
Nach Reichenstein den Blick hinab,
Denn was sie liebte, muss sie meiden,
Und schwur doch Liebe bis zum Grab.
  
Dort von der Feste schaut mit Schmerzen
Ihr Ritter, Kuno, jetzt in's Thal,
In seinem wild durchstürmten Herzen
Des Hasses und der Liebe Qual.
Den Oheim sandt' er aus zu werben
Für ihn um die geliebte Maid;
Der gönnte nicht die Braut dem Erben,
Hat treulos für sich selbst gefreit.
  
Bleich sitzt sie auf dem weissen Rosse,
Das einst Herrn Kuno zugehört,
Ach! Niemand ist im lauten Trosse,
Der mild auf ihre Klagen hört.
Denn fromme Harfentöne schallen
Und durch die Berge hallt Gesang,
Und Niemand sieht die Thräne fallen,
Die heiss aus ihrem Auge drang.
  
Ihr Vater mit gebleichtem Haare,
Rauh, hart und geizig, feig im Streit,
Giebt ihr zum bräutlichen Altare
Mit stolzer Freude das Geleit.
Und an des edlen Kuno's Stelle
Zieht der Verräther Kurt mit ihr.
Sanct Clemens schimmernde Kapelle,
Zeigt schon die grünumlaubte Thür.
  
Und horch! das helle Glöcklein klinget
Und meldet weit umher den Zug.
Dass sich kein Retter niederschwinget
Zur Erde jetzt mit Adlerflug!
Schon zweimal hat mit kühnem Streben
Herr Kuno Gerda's Raub versucht,
Und brachte Freiheit kaum und Leben
Zurück in trauervoller Flucht.
  
Nun ist sein Hoffen ganz entschwunden,
Nun ist gebrochen fast sein Herz;
Er wähnt: es könne nie gesunden
Von seinem tödtlich heissen Schmerz;
Doch heute schaut er noch hernieder
Von seiner Burg in stiller Qual
Und morgen - nimmer kehrt sich's wieder
Aus frommer Klosterbrüder Zahl.
  
Wie blickt er in des Thales Weiten
Und nach dem Kirchlein unverwandt;
Jetzt sieht er beide Ritter reiten -
Die Braut in blendendem Gewand -
Sein Athem stockt, sein Herz klopft länger,
Schon hält der Zug am off'nen Thor; -
Ha! plötzlich durch die Reih'n der Sänger
Brausst Gerda's weisses Ross hervor.
  
Es schäumt und knirscht in seine Zügel
Und steigt mit wüthender Gewalt,
Doch Gerda hält sich fest im Bügel,
Die stolze herzliche Gestalt.
Von einer Bremse ward's gestochen,
Das edle königliche Thier,
Schon hat's der Diener Schaar durchbrochen
Und eilt am Rhein hinab mit ihr.
  
Erst schmettert es mit seinen Hufen
Den alten Herrn von Rheinstein hin -
Doch Kurt sprengt nach mit lautem Rufen:
Den Zügel fester anzuzieh'n;
Die Braut, umwallt vom langen Schleier,
Treibt aber selbst das flücht'ge Ross,
Es trägt sie statt zum falschen Freier,
Hinauf an des Geliebten Schloss.
  
Und Kurt, durchglüht von Zornesflammen,
Denkt kühn, er hole sie noch ein;
Da stürzt sein armes Ross zusammen
Und der Verfolger liegt am Rhein.
Doch Kuno senkt in Eil' die Brücke,
Als er, was sich begab, erschaut,
Und halb im Traum, mit seel'gem Blicke
Empfängt er die geliebte Braut.  

 

 

Die Erbauung der Burg Rheinstein fällt in das 12. oder den Anfang des 13. Jahrhunderts. Ihre Lage auf einem hohen, kühn aufsteigenden Felsen, am rechten Rheinufer, Asmanshausen gegenüber, ist so malerisch und wild romantisch, wie sie wenig andere rheinische Burgen haben. - Ihr Name, Rheinstein, lebt seit uralter Zeit im Munde des Volks, und mag wohl aus dem Wort Rheinbotenstein entstanden seyn, denn das alte Geschlecht der Rheinboten von Bingen, welches das Richteramt daselbst erblich im Besitz hatte, residirte in dieser am Rhein auf einem hohen Stein erbauten Burg.

Das älteste bekannte Mitglied dieser Familie war Walbert, Vogt (altdeutsch Voit) von Bingen, welcher schon 1148 vorkömmt. Daher wurde die Burg von der Würde ihrer Besitzer in Urkunden auch Voitsberg und Vogtsberg genannt. - Aber schon im Jahr 1209 kommt der Letzte aus diesem Geschlechte vor, und wir begegnen in rheinischen Urkunden einer Familie von Rheinstein. - Heinrich von Rheinstein erscheint im Jahr 1260 in einer Mainzisch-Rieneckischen Urkunde, und die vier Brüder, Sifrid, Walther, Zachir und Franko, Söhne eines Ritters Herrmann von Rheinstein, im Jahr 1309 in einer Katzenelnbogischen Urkunde (x). In welcher Beziehung wohl dieses Geschlecht mit der Burg gestanden haben mag?

Eine halbe bis drei viertel Stunden von Rheinstein entfernt, nahe bey dem Dörfchen Drechtingshausen, erheben sich am Berg die Ruinen von Reichenstein (xx), 1282 von Kaiser Rudolf von Habsburg als Raubnest zerstört, doch später wieder aufgebaut. Zwischen diesen beiden Burgen liegt malerisch, von Bäumen umschattet, die Ruine der Clemenskirche, wo sich die Begebenheit, welche das Gedicht erzählt, zugetragen haben soll.

Neues Leben und Interesse erhielt aber die Burg Rheinstein erst seit dem Jahr 1822, wo Seine Königliche Hoheit, Prinz Friedrich von Preußen, die schöne Ruine derselben, und später den auf der Höhe des Berges liegenden Meierhof nebst den dazu gehörigen Feldern und Wald an sich kauften.

Höchst überraschend war der Eindruck, als die Verfasserin dieser Blätter, nach längerer Abwesenheit, wieder die Burg betrat, welche in den Jahren 1825 bis 1829 Seine Königliche Hoheit der Prinz, durch den tüchtigen Baumeister Wilhelm Kuhn (xxx) wieder hatte aufbauen lassen.

Es sey vergönnt, die Stanzen, welche damals an Ort und Stelle niedergeschrieben wurden, hier mitzutheilen, weil sie vielleicht ein anschauliches Bild der schönen Burg zu geben im Stande sind:

Sey mir gegrüßt im Morgenschimmer
O Rheinstein! hohes Felsenschloß,
Einst ging ich hin durch deine Trümmer,
Als Abendglanz mein Haupt umfloß.
Die goldne Harfe ließ ich schallen
Vom hohen Thurm, und sang mein Lied
Und klagte tief, daß du gefallen
Und daß dein Burggeist von dir schied.
  
Seitdem sind Jahre fortgezogen,
Der Woge gleich, die d'runten wallt. -
Ein Adler kam vorbeigeflogen
An deiner sinkenden Gestalt;
Und seine königlichen Schwingen
Erwählten dich zur würd'gen Rast,
Der sechs Jahrhunderte vergingen,
Auf daß dich nicht Zernichtung faßt.
  
Nun schauen freudig meine Blicke,
O stolze Burg! an dir empor.
Ich überschreite rasch die Brücke,
Ich eile durch's gewölbte Thor,
Und steige träumend auf die Zinnen
Und schaue hin auf Strom und Thal -
Und grüße dich in tiefem Sinnen,
Du hohes, schönes Heldenmal.
  
Und alle Sagen, alle Lieder
Aus einer alten kräft'gen Zeit,
Erwachen in der Harfe wieder,
Die ihr so manchen Sang geweiht.
Denn - traut in ritterlichen Hallen
Grüßt mich der alte treue Geist,
Dem mit der Burg, die einst gefallen,
Die Huld des Adlers leben heißt.


Auch die innere Einrichtung der gastlichen Burg Rheinstein versetzt ganz in das Mittelalter zurück. - Die alten Glasmalereien der Fenster, Geräthe, Bilder, Rüstungen und Waffen aller Art, Gefäße, schöne Stickereien und vielerlei interessante Alterthümer und Kunstsachen, geben ein getreues Bild jener Zeiten, und sind die Freude und Bewunderung jedes sinnigen Beschauers.

(x) S. die Burgen Rheinstein und Reichenstein, mit der Clemenskirche am Rhein, historische Schilderung von J. K. Dahl, Domkapitular zu Mainz. 1832. S. 24.
(xx) Auf mehreren Panoramen, Rheinansichten etc., wird diese Burg irrthümlich Falkenburg genannt.
(xxx) Siehe Zeichnungen von der Burg Rheinstein von Wilhelm Kuhn, herausgegeben in der lithographischen Anstalt bey Arnz u. Comp. in Düsseldorf. Erstes Heft. 10 Blätter.

 

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