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Jutta Assel | Georg Jäger

Sagen und Legenden

Adelheid von Stolterfoth: Rheinischer Sagen-Kreis

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Der Mäusethurm


Rasch fliegt mein Schiff von dannen,
Die nächt'gen Ufer flieh'n,
Und an den dunklen Bergen
Seh' ich die Wolken zieh'n.
  
"Sag' an, mein alter Schiffer,
Wie heisst der graue Thurm,
Den dort auf kahlen Felsen
Umbraus't der Wogensturm?"
  
"Der dort so traurig raget -
Umbraus't vom Wogensturm,
Seit längstvergangenen Zeiten,
Das ist der Mäusethurm."
  
"Wer wohnt in seinen Hallen?
Ich seh' ein schwaches Licht,
Das aus den Fensterbogen
Mit irrem Strale bricht."
  
"Dort wohnet Bischof Hatto
Viel hundert Jarhe schon,
Und kann zur Ruh' nicht kommen
Auf seinem Felsenthron.
  
Er hat zu Mainz im Grimme
Die Hungrigen verbrannt,
Als sie um Brod geschrieen
Mit Waffen in der Hand.
  
Hört ihr die Mäuse pfeifen,
So rief er höhnend aus,
Als ihre Todesklage
Tön't aus dem Flammengraus.
  
Da kamen alle Mäuse
Rings aus dem Land umher,
Nicht Ruhe konnt' er finden
Vor ihrem grimmen Heer.
  
Man bracht' ihm alle Katzen,
Die Besten weit und breit,
Doch keine that von allen
Den Mäusen was zu Leid.
  
Wollt' er die Messe halten
Und hob den Kelch empor,
So sprang mit lautem Pfeifen
Rasch eine Maus hervor.
  
Und wollt' er sich bei'm Mahle
Erfreu'n im hohen Saal,
Sp sprangen tausend Mäuse
Umher zu seiner Qual.
  
Und schloss er seine Augen,
Voll Schlaf und Kummer, zu,
So weckt das Heer der Mäuse
Ihn bald aus kurzer Ruh.
  
Allnächtlich muss er träumen
So fürchterlich und schwer -
Ihm ist, als schwebten viele
Gestalten um ihn her. -
  
Die Frau'n und Kinder kommen,
Die Männer aus dem Grab -
Sie wogen bleich und drohend
Wie Nebel, auf und ab.
  
Er hat sie einst gesehen,
Er hat sie einest gehört,
Eh' sie zu Staub zerfielen
Von wilder Glut verzehrt. -
  
Da flieht er voll Verzweiflung
Auf jenen Thurm im Rhein,
Und wähnt sich endlich sicher,
und schläft beruhigt ein.
  
Als Mitternacht gekommen,
Weckt ihn der alte Klang -
Es rasselt an der Thüre,
Es pfeifet auf dem Gang. -
  
Und mit Entsetzen sieht er,
Bei'm bleichen Lampenschein,
Die Mäuse sind gekommen
Auch durch den wilden Rhein.
  
Und wieder in die Seele
Kommt ihm der Traum so schwer,
Ihm ist, als schwebten plötzlich
Gestalten um ihn her -
  
Sie kommen immer näher,
Er kann sich retten nicht,
Sie schleudern schwarze Mäuse
Ihm in das Angesicht.
  
Da fasst ihn finst'res Grauen
Und wilder Todesschmerz,
Gebrochen ist sein Auge,
Gebrochen ist sein Herz. -
  
Oft schon in stillen Nächten
Schifft' ich am Thurm vorbei,
Und sah die Lampe schimmern
Und hört' den Todesschrei!
  
Seht ihr wie aus dem Thurme
Ein schwacher Schimmer irrt? --
Horcht! -- hat nicht durch due Lüfte
Ein banger Ruf geschwirrt --?"   

 

 

Die seit Jahrhunderten bekannte Sage vom Mäusethurm durfte in diesen Blättern nicht fehlen. Bergmann (x) hat sie hinlänglich erklärt, so wie auch die Entstehung des auf einer Felseninsel im Rhein liegenden Thurmes. Er wurde im 13. Jahrhundert erbaut, gleich wie die nahe dabei am Rüdesheimer Berg hängende Veste Ehrenfels und mag ursprünglich ein mit Geschütz (dem altdeutschen Wort Muserie) versehener Wachtposten zum Schutz des Rheinzolles gewesen seyn.

Der einsam und traurig aus den Fluten ragende Thurm erhöht den romantischen Charakter der Gegend um Vieles und verdiente darum auch erhalten zu werden. Unfern von dem Mäusethurm braußt das Binger Loch. Vor alter Zeit sah der Volksglaube in dieser für die Schifffahrt einst sehr gefährlichen Stelle, eine rheinische Charibdis - was sie verschlungen hatte, glaubte man aus dem Wirbel der Bank bei St. Goar wieder emporkommen zu sehen. Man dankt nun die Gefahrlosigkeit des Binger Lochs der Sorge des Preußischen Gouvernements. Dasselbe ließ in den Jahren 1830-1832 die Sprengung der verborgenen Felsen, welche die Durchfahrt verengten, vollenden. Ein Denkstein am linken Rheinufer bewahrt das Andenken an diese schwierige und um die rheinische Schifffahrt hochverdienstliche Arbeit.

x Rheingauische Alterthümer I. S. 148 u. f.


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