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Jutta Assel | Georg Jäger

Sagen und Legenden

Adelheid von Stolterfoth: Rheinischer Sagen-Kreis

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Siegfried, der Drachentödter


Herr Siegfried kommt, der Herr der Nibelungen,
Und vor ihm her ist manches Lied erklungen.
Wo lebt auch wohl ein Sänger, dessen Weisen
Ihn herrlich nicht vor allen Helden preisen?
Mit zwölf gewalt'gen Recken zog er aus
Von seines Vaters, König Siegmunds, Haus.
  
Ihn treibt sein Herz zum Lande der Burgunden -
O könnt' er doch des Schicksals Spruch erkunden!
Er will Chrimhildens holde Schönheit minnen
Und sich die Braut mit starkem Arm gewinnen.
Schon kommt er fröhlich her am Rheinesstrand
Und grüsst die sieben Berge hoch im Land.
  
"Lasst uns," so sagt er jetzt zu seinen Treuen,
"Mit Childerich den Freundschaftsbund erneuen!
Seht ihr sein Schloss, umweht von Rebenkränzen,
Im Abendstral von jenen Auen glänzen?
Vom Vater sag' ich ihm manch' trautes Wort
Und morgen zieh'n wir rüstig wieder fort."
  
Er sagt's und reitet an die Königshallen. -
Da hört er nicht, wie sonst, die Harfen schallen,
Da grüsst ihn nicht, wie sonst, ein munt'rer Reigen,
Und ihn empfängt nur traurig ödes Schweigen.
Herr Siegfried tritt zum alten König ein,
Der sitzt im Saale finster und allein.
  
Die schwachen Hände zittern ihm entgegen
Und traurig schüttelt sie der junge Degen.
Lang fliesst des Königs greiser Bart hernieder
Und kaum erkennet er den Jüngling wieder;
Sein Aug' hat Gram und Alter fast umhüllt
Und bald zerfallen wird sein Heldenbild.
  
"Seyd mir gegrüst, o Herr! nach vielen Tagen,
Auf eurem Antlitz les' ich manche Klagen,
Ihr herrscht doch noch im weiten Reich der Franken
Und eurer Mannen Treue will nicht wanken?"
"Noch drückt die Krone dieses müde Haupt,
Noch hat sie nicht des Todes Hand geraubt."
  
"Viel süsse Klänge hört' ich einst erschallen,
O König! um euch her in diesen Hallen.
Und wie ein Schwan durchschifft' das Meer der Töne
Des Sängers Lied von eurer Tochter Schöne;
Wo weilt Gunhilde mit dem gold'nem Haar?
Gern grüsst ich wieder sie nach manchem Jahr."
  
Da hebt der König traurig seine Hände
Und zeigt empor auf steile Felsenwände.
"O weh' mir!" ruft er aus mit bittren Schmerzen,
"Nie ruht Gunhilde mehr am Vaterherzen,
Dort oben, in der Höhle finstrer Nacht,
Hält sie gefesselt böse Zaubermacht.
  
Unlängst war Herzog Hunold, liebentglommen,
Von seiner Felsenburg herabgekommen.
Doch seine Hand verschmähte kalt Gunhilde,
Ihr Herz hängt still an einem andern Bilde.
Doch Hunold, der ein mächt'ger Zaubrer ist,
Hat sie voll Wuth geraubt und arger List.
  
Nun hält er, als ein scheusslich grimmer Drache,
Bis sie ihn wählt, vor ihrem Kerker Wache.
Schon dreissig tapfre Ritter mussten sterben,
Die wollten sich im Kampf die Braut erwerben;
Der Sieger sollte theilen meinen Thron,
Doch ach! kein Held begehrt mehr solchen Lohn."
  
Und freudig ruft der Herr der Nibelungen:
"Mit einem Lindwurm hab' ich einst gerungen
Und hoffe kühn, es soll mir auch gelingen,
Den Zauberdrachen siegreich zu bezwingen;
Ruft gleich mich zu Chrimhilden mein Geschick,
So bring ich doch die Tochter euch zurück."
  
Der alte König hört's mit heitren Blicken
Und drückt ihn an den Busen voll Entzücken. -
"Wenn einer lebt auf diesem Erdenrunde,
Der ihm ertheilen kann die Todeswunde,
So seyd ihr es, Herr Siegfried, ganz allein;
Gesegnet soll mir euer Kommen seyn!
  
Und wollt ihr nicht im Reich der Franken weilen
Und meinen Thron und meine Herrschaft theilen,
So sollen hundert starke Rosse tragen,
Was euch an Gold und Schätzen mag behagen."
Doch Siegfried dankt mit freundlich mildem Wort,
Denn ihm gehört der Nibelungen Hort.
  
Und Childerich gebeut, dass Harfen klingen
Und lässt gefüllt die goldnen Hörner bringen.
Herr Siegfried sitzt bei ihm auf hohem Saale
Und seine Recken freuen sich beim Mahle.
Spät endlich legen alle sich zur Ruh'
Und süsser Schlaf schliesst ihre Augen zu.
  
Doch eh' der Morgen noch beginnt zu tagen,
Schleicht Siegfried sich hinweg, den Kampf zu wagen,
Bald trägt sein starkes Ross ihn vom Gestade
Steil aufwärts durch verschlung'ne Waldespfade.
Und liegt die heil'ge Stadt im Nebel fern
Und bleich am Himmel glänzt der Morgenstern.
  
Schon lichten sich des Ostens weite Räume
Und frischer Morgenwind durchrauscht die Bäume.
Als bei der Höhle Siegfried angekommen,
Wird rasch die Lanze nun zur Hand genommen,
Mit lauter Stimme ruft er seinen Feind
Und sieh' - ein fürchterlicher Drach' erscheint.
  
Den Lindwurf schaute Siegfried sonder Bangen,
Hier bebt er fast zurück mit bleichen Wangen,
Ein solches Scheusal ward noch nie gesehen.
Kann er, ein Sterblicher, den Kampf bestehen?
Wär' er nicht fest vom Fusse bis zum Haupt,
Er hätte schon verloren sich geglaubt.
  
Der Drache sprüht aus seinen Augen Gluten
Und aus dem Rachen braussen Wasserfluten,
Mit Sturmesschnelle schlägt er tausend Reife
Weit um sich her mit dem geschuppten Schweife,
Von seinem Brüllen zittern Fels' und Wald,
Weil es wie Donner durch die Lüfte hallt.
  
Er sträubt das borst'ge Haar gleich der Hyäne,
Wie scharfe Schwerter funkeln seine Zähne,
Schon schwillt der Kamm des Hauptes hoch und breiter
Und schäumend steigt das Ross mit seinem Reiter,
Der drückt ihm in die Seiten tief den Sporn,
Die Lanze schwingend mit gewalt'gem Zorn.
  
Zum heil'gen Georg erhebt er seine Stimme
Und dann beginnt der Kampf mit wildem Grimme.
Der Drache hüllt ihn ein in gift'ge Dünste
Und fruchtlos scheinen alle Fechterkünste.
Die Lanze hat das Unthier schon verschluckt,
Als sie der Held ihm in den Schlund gezuckt.
  
Da glückt's dem Ritter seitwärts sich zu wenden,
Er zieht sein Schwert Balmung mit raschen Händen.
Was sterblich ist, das muss zum Tod erbleichen
Von dieser Klinge fürchterlichen Streichen.
Und vor die Seele schwebt dem Helden mild
Chrimhildens fernes, oft geträumtes Bild.
  
Nun hebt er hoch den Arm, steht auf im Bügel
Und lässt dem treuen Ross die losen Zügel,
Dann schmettert er mit allgewalt'gen Schlägen
Dem hochgebäumten Drachenhaupt entgegen,
Und eh' die Sonne stralt in voller Pracht,
Deckt es der starke Held mit ew'ger Nacht.
  
Und sieh! Gunhildens ehrne Fesseln fallen,
Wie Hunolds Seele muss zur Hölle wallen -
Und aus der Höhle nächtlich finstrem Grauen,
Tritt sie hervor, die herrlichste der Frauen;
Sie reicht dem Sieger dankend ihre Hand,
Der lang noch stumm und träumend vor ihr stand.
  
Ein weisses Kleid umfängt Gunhildens Glieder
Und golden wallt ihr langes Haar hernieder,
Doch aus dem Himmel ihrer Augen sinken
Zwei Thränen, die wie Thau des Morgens blinken.
Ihr leises Ach! giebt stille Schmerzen kund
und süsses Lächeln schwebt um ihren Mund.
  
"Bald sollt ihr an der Vaterbrust erwarmen." - -
Er hebt sie schnell zu Ross mit starken Armen,
Doch eh' sie halb vom Drachenfels gekommen,
Wird schon der Zug von unten wahrgenommen,
Der alte König eilt, so schnell er kann,
Mit grosser Schaar den steilen Weg hinan.
  
Wie hält er seine Tochter fest umschlungen
Und dankt dem edlen Herrn der Nibelungen.
Behalten hätten beide wohl ihn gerne,
Doch Siegfried treibt es rastlos in die Ferne.
Gunhilde sagt - fast scheint's mit stillem Leid -
Ihr Leben sey dem Himmel einst geweiht.
  
Doch Siegfried zieht geehrt, geliebt von dannen
Aus Childrichs Schloss mit seinen treuen Mannen.
In Sehnsucht reitet der der Braut entgegen,
Doch viele Thränen folgen seinen Wegen;
Er grüsst von fern noch einmal jene Au'n,
Doch ach! um niemals wieder sie zu schau'n.
  
O wär' er doch im Frankenreich geblieben,
Wo sich um ihn Gunhildens Tage trüben.
Soll sagen ich, wie er die Braut gewonnen
Und durch Verrätherhand sein Blut geronnen?
Nein! schweige Lied, in einer andern Zeit
Sey wehmuthsvolle Trauer ihm geweiht.   

   

 

Siegfried, der Held des Nibelungen-Liedes, begegnet uns auch in den nordischen Sagen, nach welchen er den in eine Schlange verwandelten Fafner besiegte.

Die Höhle, worin nach der alten rheinischen Sage der Drache gehaußt haben soll, welchen der kühne Siegfried erschlug, ist noch an der südwestlichen Seite des Berges zu sehen, worauf die Ruine der Burg Drachenfels steht. Wir finden übrigens, daß diese Burg der Sitz eines burggräflichen Geschlechts gleichen Namens gewesen ist, welches 1580 erlosch.

Die Aussicht von dieser Höhe (x), einer der steilsten des Siebengebirgs, ist unstreitig die schönste und erhabenste am Rhein, vielleicht in Deutschland.

(x) 1055 Fuß über der Meeresfläche.

 

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