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Jutta Assel | Georg Jäger

Sagen und Legenden

Adelheid von Stolterfoth: Rheinischer Sagen-Kreis

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Die Brüder

Zwei Brüder zieh'n zum wilden Streit
Mit Schwert und Schild heran.
Der Aeltre kommt von Liebenstein
Auf rauher Felsenbahn.
  
Der Jüngre zieht auf steiler Höh'
Vom Sternenfels herab.
Sie wollen kämpfen um die Braut
Und einer soll in's Grab.
  
Sonst waren sie so fest vereint
Bei jeder blut'gen That,
Und manchen Wandrer traf ihr Schwert
Am schmalen Uferpfad.
  
Einst lag vor ihnen bang im Staub
Ein Pilger, fromm und alt,
Der wär' mit reicher Gabe gern
Zum Gnadenbild gewallt.
  
Erbarmen fand sein Flehen nicht
Und nicht sein greises Haar.
Da gab er sterbend einen Fluch
Dem grimmen Brüderpaar.
  
Jetzt wird das schwere Wort erfüllt
Im fürchterlichsten Streit.
Denn die einst blut'ger Hass verband,
Hat Liebe nun entzweit.
  
Sie kämpfen lang und kämpfen wild,
Wie's Löw' und Tieger thun,
Und treffen endlich sich zugleich,
Da müssen Beide ruh'n.
  
Und eine sanfte Magdgestalt
Eilt, ach! zu spät heran.
Die Ritter sinken, blutend schon,
Der Frevel ist gethan.
  
"O sag' mir," seufzt der Aeltre leis',
"Hast du mich nicht geliebt?
Warst immer mir so engelmild
Und hast mich nie betrübt."
  
"Schweig!" ruft der Jüngre matt und dumpf,
"Du bist von Wahn bethört,
Stirb unbeklagt und unbeweint,
Mir hat ihr Herz gehört."
  
Der Aeltre hebt das matte Haupt,
Zum Schwerte zuckt die Hand,
Dann sinkt sie starr in ew'ge Ruh,
Das Haupt sinkt in den Sand.
  
Der Jüngre schaut ihn grimmig an
Mit seiner letzten Glut.
Dann löscht sie schnell in Todesnacht,
Die finster auf ihm ruht.
  
Die junge Maid, so fromm und mild,
Hat keinen je geliebt.
Es hat der wilden Brüder Glut
Ihr Leben nur getrübt.
  
Doch um den Sündern ew'ge Ruh'
Vom Himmel zu erfleh'n,
Will sie die schöne Welt nicht mehr,
Nicht mehr das Leben seh'n.
  
Man gräbt ein Grab für alle Zwei
Und legt sie still hinein;
Ihr Angedenken wird verflucht
Im rhein'schen Lande seyn.
  
Doch bald aus Klostereinsamkeit
Steigt das Gebet hinauf:
"O Herr! vergieb, was sie gethan
Und nimm sie gnädig auf."


 

 

Am rechten Rheinufer, oberhalb dem ehemaligen Kloster Bornhofen, hoch am Gebirge, hängen die Ruinen von Sternberg und Liebenstein, die Brüder genannt, und in der Mitte durch eine hohe Mauer getrennt. Verschiedene Sagen von zwei feindlichen Brüdern, welche dort oben einst gehaust haben sollen, erzählt sich das Volk. Urkundlich kommt indessen die ritterliche Familie von Sternberg schon im 12. Jahrhundert vor. Ueber die weitere Geschichte beider Burgen ist das Wissenswürdigste in Gottschalks Ritterburgen und Bergschlösser Deutschlands, 5. Band, in Vogts rhein. Geschichten, 3. Band u.a. enthalten.

 

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