goethe


 Jutta Assel | Georg Jäger

Johann Wolfgang Goethe
Hermann und Dorothea

Illustriert von Ernst Bosch

Stand: Mai 2019

"Hermann und Dorothea", 1796/97 entstanden und 1798 publiziert, ist eine "idyllisch-epische" Dichtung in Hexametern, deren neun Gesänge nach den Musen benannt sind. Die Handlung spielt in einem rechtsrheinischen Städtchen und schildert einen Flüchtlingszug aus Frankreich im Gefolge der Revolutionswirren. Am 5. Dezember 1796 schreibt Goethe an Heinrich Meyer: "Ich habe das reine Menschliche der Existenz einer kleinen deutschen Stadt in dem epischen Tiegel von seinen Schlacken abzuscheiden gesucht und zugleich die großen Bewegungen und Veränderungen des Welttheaters aus einem kleinen Spiegel zurück zu werfen getrachtet." Die Handlung spielt unter den Honoratioren des Ortes – dem begüterten Wirtsehepaar zum Goldenen Löwen, dem Apotheker und Pfarrer – und hat zum Mittelpunkt die Brautwahl. Hermann, der Sohn der Wirtsleute, und das Flüchtlingsmädchen, die ebenso schöne wie tüchtige und mutige Dorothea, werden ein Paar. Im 19. Jahrhundert wurde die Dichtung überaus hoch geschätzt, weil sie bürgerliche Lebensvorstellungen und Geschlechterstereotypien, nicht ohne Ironie von Seiten des Erzählers, in klassischer Form gestaltet.

Von den zahlreichen Illustrationen, die das Werk erfuhr, hat das Goethezeitportal bereits mehrere publiziert. Hier folgen die Bilder des Düsseldorfer Malers, Zeichners und Grafikers Ernst Bosch (1834-1917), der eine Reihe literarische Werke illustrierte. Populär wurde er durch diese Zeichnungen, die als Radierungen oder Holzstiche in Familienzeitschriften wie der "Gartenlaube" und "Daheim" erschienen. Wiedergegeben wird der gesamte Text und der Bericht des Altertumskundlers Karl August Böttiger, der von zwei Lesungen Goethes 1796 und 1797, also in der Entstehungszeit des Werkes, berichtet, es kommentiert und würdigt.

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Gliederung

1. Johann Wolfgang Goethe: Hermann und Dorothea.
Illustriert von Ernst Bosch
2. Goethe liest "Hermann und Dorothea",
aufgezeichnet und kommentiert von Karl August Böttiger
3. Kurzbiografie von Ernst Bosch
4. Kontaktanschrift und rechtlicher Hinweis

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1. Johann Wolfgang Goethe
Hermann und Dorothea
Illustriert von Ernst Bosch

Text, Illustrationen und Buchschmuck sind folgender Ausgabe entnommen: 
Hermann und Dorothea von Goethe. Mit Zeichnungen von Ernst Bosch, in Holz geschnitten von R. Brend'amour. Berlin, G. Grote'sche Verlagsbuchhandlung 1868. Druck von B. G. Teubner in Leipzig.

Wiedergegeben werden die reich geschmückten Kapitel-Vignetten mit den Namen der neun Musen, nach denen die  Gesänge benannt sind, die Initialen oder die Bilder, die den Anfangsbuchstaben des jeweiligen Gesanges mit einer Illustration ausgestalten, sowie die Titelillustration.


Zu Ernst Bosch (1834-1917), Maler, Zeichner und Grafiker, siehe Kap. 3.

Zu Richard Brend'amour (1831-1915) siehe den Eintrag in Wikipedia. URL:
de.wikipedia.org/wiki/Richard_Brend'amour

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Schicksal und Antheil

Hab' ich den Markt und die Straßen doch nie so einsam gesehen!
Ist doch die Stadt wie gekehrt! wie ausgestorben! Nicht funfzig,
Däucht mir, blieben zurück von allen unsern Bewohnern.
Was die Neugier nicht thut! So rennt und läuft nun ein jeder,
Um den traurigen Zug der armen Vertriebnen zu sehen.
Bis zum Dammweg, welchen sie ziehn, ist's immer ein Stündchen,
Und da läuft man hinab, im heißen Staube des Mittags.
Möcht' ich mich doch nicht rühren vom Platz, um zu sehen das Elend
Guter fliehender Menschen, die nun, mit geretteter Habe,
Leider, das überrheinische Land, das schöne, verlassend,
Zu uns herüber kommen und durch den glücklichen Winkel
Dieses fruchtbaren Thals und seiner Krümmungen wandern.
Trefflich hast du gehandelt, o Frau, dass du milde den Sohn fort
Schicktest, mit altem Linnen und etwas Essen und Trinken,
Um es den Armen zu spenden; denn Geben ist Sache des Reichen.
Was der Junge doch fährt! und wie er bändigt die Hengste!
Sehr gut nimmt das Kütschchen sich aus, das neue; bequemlich
Säßen viere darin, und auf dem Bocke der Kutscher.
Diesmal fuhr er allein; wie rollt es leicht um die Ecke!
So sprach, unter dem Thore des Hauses sitzend am Markte,
Wohlbehaglich, zur Frau der Wirth zum goldenen Löwen.

Und es versetzte darauf die kluge, verständige Hausfrau:
Vater, nicht gerne verschenk ich die abgetragene Leinwand,
Denn sie ist zu manchem Gebrauch und für Geld nicht zu haben,
Wenn man ihrer bedarf. Doch heute gab ich so gerne
Manches bessere Stück an Ueberzügen und Hemden,
Denn ich hörte von Kindern und Alten, die nackend daher gehn.
Wirst du mir aber verzeihn? denn auch dein Schrank ist geplündert.
Und besonders den Schlafrock mit indianischen Blumen,
Von dem feinsten Cattun, mit feinem Flanelle gefüttert,
Gab ich hin; er ist dünn und alt und ganz aus der Mode.

Aber es lächelte drauf der treffliche Hauswirth und sagte:
Ungern vermiss ich ihn doch, den alten cattunenen Schlafrock,
Echt ostindischen Stoffs; so etwas kriegt man nicht wieder.
Wohl! ich trug ihn nicht mehr. Man will jetzt freilich, der Mann soll
Immer gehn im Sürtout und in der Pekesche sich zeigen,
Immer gestiefelt sein; verbannt ist Pantoffel und Mütze.

Siehe! versetzte die Frau, dort kommen schon einige wieder,
Die den Zug mit gesehn; er muss doch wohl schon vorbei seyn.
Seht, wie allen die Schuhe so staubig sind! wie die Gesichter
Glühen! und jeglicher führt das Schnupftuch und wischt sich den Schweiß ab.
Möcht' ich doch auch in der Hitze nach solchem Schauspiel so weit nicht
Laufen und leiden! Fürwahr, ich habe genug am Erzählten.

Und es sagte darauf der gute Vater mit Nachdruck:
Solch ein Wetter ist selten zu solcher Ernte gekommen,
Und wir bringen die Frucht herein, wie das Heu schon herein ist,
Trocken; der Himmel ist hell, es ist kein Wölkchen zu sehen,
Und von Morgen wehet der Wind mit lieblicher Kühlung.
Das ist beständiges Wetter! und überreif ist das Korn schon;
Morgen fangen wir an zu schneiden die reichliche Ernte.

Als er so sprach, vermehrten sich immer die Schaaren der Männer
Und der Weiber, die über den Markt sich nach Hause begaben;
Und so kam auch zurück mit seinen Töchtern gefahren
Rasch, an die andere Seite des Markts, der begüterte Nachbar,
An sein erneuertes Haus, der erste Kaufmann des Ortes,
Im geöffneten Wagen (er war in Landau verfertigt).
Lebhaft wurden die Gassen; denn wohl war bevölkert das Städtchen,
Mancher Fabriken befliß man sich da, und manches Gewerbes.

Und so saß das trauliche Paar, sich unter dem Thorweg
Über das wandernde Volk mit mancher Bemerkung ergetzend.
Endlich aber begann die würdige Hausfrau und sagte:
Seht! dort kommt der Prediger her; es kommt auch der Nachbar
Apotheker mit ihm: die sollen uns alles erzählen,
Was sie draußen gesehn und was zu schauen nicht froh macht.

Freundlich kamen heran die beiden und grüßten das Ehpaar,
Setzten sich auf die Bänke, die hölzernen, unter dem Thorweg,
Staub von den Füßen schüttelnd, und Luft mit dem Tuche sich fächelnd.
Da begann denn zuerst, nach wechselseitigen Grüßen,
Der Apotheker zu sprechen und sagte, beinahe verdrießlich:
So sind die Menschen fürwahr! und einer ist doch wie der andre,
Da er zu gaffen sich freut, wenn den Nächsten ein Unglück befället!
Läuft doch jeder, die Flamme zu sehn, die verderblich emporschlägt,
Jeder den armen Verbrecher, der peinlich zum Tode geführt wird.
Jeder spaziert nun hinaus, zu schauen der guten Vertriebnen
Elend, und niemand bedenkt, dass ihn das ähnliche Schicksal
Auch, vielleicht zunächst, betreffen kann, oder doch künftig.
Unverzeihlich find ich den Leichtsinn; doch liegt er im Menschen.

Und es sagte darauf der edle verständige Pfarrherr,
Er, die Zierde der Stadt, ein Jüngling, näher dem Manne.
Dieser kannte das Leben und kannte der Hörer Bedürfniß,
War vom hohen Werthe der heiligen Schriften durchdrungen,
Die uns der Menschen Geschick enthüllen und ihre Gesinnung;
Und so kannt' er auch wohl die besten weltlichen Schriften.
Dieser sprach: Ich tadle nicht gerne, was immer dem Menschen
Für unschädliche Triebe die gute Mutter Natur gab;
Denn was Verstand und Vernunft nicht immer vermögen, vermag oft
Solch ein glücklicher Hang, der unwiderstehlich uns leitet.
Lockte die Neugier nicht den Menschen mit heftigen Reizen,
Sagt! erführ' er wohl je, wie schön sich die weltlichen Dinge
Gegen einander verhalten? Denn erst verlangt er das Neue,
Suchet das Nützliche dann mit unermüdetem Fleiße;
Endlich begehrt er das Gute, das ihn erhebet und werth macht.
In der Jugend ist ihm ein froher Gefährte der Leichtsinn,
Der die Gefahr ihm verbirgt und heilsam geschwinde die Spuren
Tilget des schmerzlichen Uebels, sobald es nur irgend vorbeizog.
Freilich ist er zu preisen, der Mann, dem in reiferen Jahren
Sich der gesetzte Verstand aus solchem Frohsinn entwickelt,
Der im Glück wie im Unglück sich eifrig und thätig bestrebet;
Denn das Gute bringt er hervor und ersetzet den Schaden.

Freundlich begann sogleich die ungeduldige Hausfrau:
Saget uns, was ihr gesehn; denn das begehrt' ich zu wissen.

Schwerlich, versetzte darauf der Apotheker mit Nachdruck,
Werd' ich so bald mich freun nach dem, was ich alles erfahren.
Und wer erzählet es wohl, das mannichfaltigste Elend!
Schon von ferne sahn wir den Staub, noch eh' wir die Wiesen
Abwärts kamen; der Zug war schon von Hügel zu Hügel
Unabsehlich dahin, man konnte wenig erkennen.
Als wir nun aber den Weg, der quer durchs Thal geht, erreichten,
War Gedräng' und Getümmel noch groß der Wandrer und Wagen.
Leider sahen wir noch genug der Armen vorbeiziehn,
Konnten einzeln erfahren, wie bitter die schmerzliche Flucht sey,
Und wie froh das Gefühl des eilig geretteten Lebens.
Traurig war es zu sehn, die mannichfaltige Habe,
Die ein Haus nur verbirgt, das wohlversehne, und die ein
Guter Wirth umher an die rechten Stellen gesetzt hat,
Immer bereit zum Gebrauche, denn alles ist nöthig und nützlich,
Nun zu sehen das alles, auf mancherlei Wagen und Karren
Durcheinander geladen, mit Uebereilung geflüchtet.
Ueber dem Schranke lieget das Sieb und die wollene Decke,
In dem Backtrog das Bett und das Leintuch über dem Spiegel.
Ach! und es nimmt die Gefahr, wie wir beim Brande vor zwanzig
Jahren auch wohl gesehn, dem Menschen alle Besinnung,
Daß er das Unbedeutende fasst und das Theure zurücklässt.
Also führten auch hier, mit unbesonnener Sorgfalt,
Schlechte Dinge sie fort, die Ochsen und Pferde beschwerend:
Alte Bretter und Fässer, den Gänsestall und den Käfig.
Auch so keuchten die Weiber und Kinder, mit Bündeln sich schleppend,
Unter Körben und Butten voll Sachen keines Gebrauches;
Denn es verlässt der Mensch so ungern das Letzte der Habe.
Und so zog auf dem staubigen Weg der drängende Zug fort,
Ordnungslos und verwirrt. Mit schwächeren Tieren der eine
Wünschte langsam zu fahren, ein anderer emsig zu eilen.
Da entstand ein Geschrei der gequetschten Weiber und Kinder,
Und ein Blöken des Viehes, dazwischen der Hunde Gebelfer,
Und ein Wehlaut der Alten und Kranken, die hoch auf dem schweren
Uebergepackten Wagen auf Betten saßen und schwankten.
Aber, aus dem Gleise gedrängt, nach dem Rande des Hochwegs
Irrte das knarrende Rad; es stürzt' in den Graben das Fuhrwerk,
Umgeschlagen, und weithin entstürzten im Schwunge die Menschen,
Mit entsetzlichem Schrein, in das Feld hin', aber doch glücklich.
Später stürzten die Kasten und fielen näher dem Wagen.
Wahrlich, wer im Fallen sie sah, der erwartete nun sie
Unter der Last der Kisten und Schränke zerschmettert zu schauen.
Und so lag zerbrochen der Wagen, und hülflos die Menschen;
Denn die übrigen gingen und zogen eilig vorüber,
Nur sich selber bedenkend und hingerissen vom Strome.
Und wir eilten hinzu und fanden die Kranken und Alten,
Die zu Haus' und im Bett schon kaum ihr dauerndes Leiden
Trügen, hier auf dem Boden, beschädigt, ächzen und jammern,
Von der Sonne verbrannt und erstickt vom wogenden Staube.

Und es sagte darauf gerührt der menschliche Hauswirth:
Möge doch Hermann sie treffen und sie erquicken und kleiden.
Ungern würd' ich sie sehn; mich schmerzt der Anblick des Jammers.
Schon von dem ersten Bericht so großer Leiden gerühret,
Schickten wir eilend ein Scherflein von unserm Ueberfluß, daß nur
Einige würden gestärkt, und schienen uns selber beruhigt.
Aber laßst uns nicht mehr die traurigen Bilder erneuern;
Denn es beschleichet die Furcht gar bald die Herzen der Menschen,
Und die Sorge, die mehr als selbst mir das Uebel verhaßt ist.
Tretet herein in den hinteren Raum, das kühlere Sälchen.
Nie scheint Sonne dahin, nie dringet wärmere Luft dort
Durch die stärkeren Mauern; und Mütterchen bringt uns ein Gläschen
Dreiundachtziger her, damit wir die Grillen vertreiben.
Hier ist nicht freundlich zu trinken; die Fliegen umsummen die Gläser.
Und sie gingen dahin und freuten sich alle der Kühlung.

Sorgsam brachte die Mutter des klaren herrlichen Weines,
In geschliffener Flasche auf blankem zinnernem Runde,
Mit den grünlichen Römern, den echten Bechern des Rheinweins. -
Und so sitzend umgaben die drei den glänzend gebohnten,
Runden, braunen Tisch, er stand auf mächtigen Füßen.
Heiter klangen sogleich die Gläser des Wirthes und Pfarrers;
Doch unbeweglich hielt der dritte denkend das seine,
Und es fordert' ihn auf der Wirth mit freundlichen Worten:

Frisch, Herr Nachbar, getrunken! denn noch bewahrte vor Unglück
Gott uns gnädig, und wird auch künftig uns also bewahren.
Denn wer erkennet es nicht, dass seit dem schrecklichen Brande,
Da er so hart uns gestraft, er uns nun beständig erfreut hat,
Und beständig beschützt, so wie der Mensch sich des Auges
Köstlichen Apfel bewahrt, der vor allen Gliedern ihm lieb ist.
Sollt' er fernerhin nicht uns schützen und Hülfe bereiten?
Denn man sieht es erst recht, wie viel er vermag, in Gefahren;
Sollt' er die blühende Stadt, die er erst durch fleißige Bürger
Neu aus der Asche gebaut und dann sie reichlich gesegnet,
Jetzo wieder zerstören und alle Bemühung vernichten?

Heiter sagte darauf der treffliche Pfarrer, und milde:
Haltet am Glauben fest, und fest an dieser Gesinnung;
Denn sie macht im Glücke verständig und sicher, im Unglück
Reicht sie den schönsten Trost und belebt die herrlichste Hoffnung.

Da versetzte der Wirth mit männlichen, klugen Gedanken:
Wie begrüßt' ich so oft mit Staunen die Fluthen des Rheinstroms,
Wenn ich, reisend nach meinem Geschäft, ihm wieder mich nahte!
Immer schien er mir groß und erhob mir Sinn und Gemüthe;
Aber ich konnte nicht denken, daß bald sein liebliches Ufer
Sollte werden ein Wall, um abzuwehren den Franken,
Und sein verbreitetes Bett ein allverhindernder Graben.
Seht, so schützt die Natur, so schützen die wackeren Deutschen
Und so schützt uns der Herr; wer wollte thöricht verzagen?
Müde schon sind die Streiter, und alles deutet auf Frieden.
Möge doch auch, wenn das Fest, das lang' erwünschte, gefeiert
Wird in unserer Kirche, die Glocke dann tönt zu der Orgel,
Und die Trompete schmettert, das hohe Te Deum begleitend, –
Möge mein Hermann doch auch an diesem Tage, Herr Pfarrer,
Mit der Braut, entschlossen, vor Euch, am Altare sich stellen,
Und das glückliche Fest, in allen den Landen begangen,
Auch mir künftig erscheinen, der häuslichen Freuden ein Jahrstag!
Aber ungern seh' ich den Jüngling, der immer so thätig
Mir in dem Hause sich regt, nach außen langsam und schüchtern.
Wenig findet er Lust, sich unter Leuten zu zeigen;
Ja, er vermeidet sogar der jungen Mädchen Gesellschaft
Und den fröhlichen Tanz, den alle Jugend begehret.

Also sprach er und horchte. Man hörte der stampfenden Pferde
Fernes Getöse sich nahn, man hörte den rollenden Wagen,
Der mit gewaltiger Eile nun donnert' unter den Thorweg.

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Hermann

Als nun der wohlgebildete Sohn ins Zimmer hereintrat,
Schaute der Prediger ihm mit scharfen Blicken entgegen,
Und betrachtete seine Gestalt und sein ganzes Benehmen
Mit dem Auge des Forschers, der leicht die Mienen enträthselt,
Lächelte dann und sprach zu ihm mit traulichen Worten:
Kommt Ihr doch als ein veränderter Mensch! Ich habe noch niemals
Euch so munter gesehn und Eure Blicke so lebhaft.
Fröhlich kommt Ihr und heiter; man sieht, Ihr habet die Gaben
Unter die Armen vertheilt und ihren Segen empfangen.

Ruhig erwiederte drauf der Sohn, mit ernstlichen Worten:
Ob ich löblich gehandelt? ich weiß es nicht; aber mein Herz hat
Mich geheißen zu thun, so wie ich genau nun erzähle.
Mutter, Ihr kramtet so lange, die alten Stücke zu suchen
Und zu wählen; nur spät war erst das Bündel zusammen,
Auch der Wein und das Bier ward langsam, sorglich gepacket.
Als ich nun endlich vors Thor und auf die Straße hinauskam,
Strömte zurück die Menge der Bürger mit Weibern und Kindern,
Mir entgegen; denn fern war schon der Zug der Vertriebnen.
Schneller hielt ich mich dran und fuhr behende dem Dorf zu,
Wo sie, wie ich gehört, heut' übernachten und rasten.

Als ich nun meines Weges die neue Straße hinanfuhr,
Fiel mir ein Wagen ins Auge, von tüchtigen Bäumen gefüget,
Von zwei Ochsen gezogen, den größten und stärksten des Auslands;
Neben her aber ging mit starken Schritten, ein Mädchen,
Lenkte mit langem Stabe die beiden gewaltigen Thiere,
Trieb sie an und hielt sie zurück, sie leitete klüglich.
Als mich das Mädchen erblickte, so trat sie den Pferden gelassen
Näher und sagte zu mir: Nicht immer war es mit uns so
Jammervoll, als Ihr uns heut' auf diesen Wegen erblicket.
Noch nicht bin ich gewohnt, vom Fremden die Gabe zu heischen,
Die er oft ungern giebt, um los zu werden den Armen;
Aber mich dränget die Noth, zu reden. Hier auf dem Strohe
Liegt die erst entbundene Frau des reichen Besitzers,
Die ich mit Stieren und Wagen noch kaum, die schwangre, gerettet.
Spät nur kommen wir nach, und kaum das Leben erhielt sie.
Nun liegt, neugeboren, das Kind ihr nackend im Arme,
Und mit wenigem nur vermögen die Unsern zu helfen,
Wenn wir im nächsten Dorf, wo wir heute zu rasten gedenken,
Auch sie finden, wiewohl ich fürchte, sie sind schon vorüber.
Wär' Euch irgend von Leinwand nur was Entbehrliches, wenn Ihr
Hier aus der Nachbarschaft seyd, so spendet's gütig den Armen.

Also sprach sie, und matt erhob sich vom Strohe die bleiche
Wöchnerin, schaute nach mir; ich aber sagte dagegen:
Guten Menschen, fürwahr, spricht oft ein himmlischer Geist zu,
Daß sie fühlen die Not, die dem armen Bruder bevorsteht;
Denn so gab mir die Mutter, im Vorgefühle von Eurem
Jammer, ein Bündel, sogleich es der nackten Nothdurft zu reichen.
Und ich löste die Knoten der Schnur und gab ihr den Schlafrock
Unsers Vaters dahin; und gab ihr Hemden und Leintuch.
Und sie dankte mit Freuden und rief: ›Der Glückliche glaubt nicht,
Daß noch Wunder geschehn; denn nur im Elend erkennt man
Gottes Hand und Finger, der gute Menschen zum Guten
Leitet. Was er durch Euch an uns thut, thu er Euch selber.
Und ich sah die Wöchnerin froh die verschiedene Leinwand,
Aber besonders den weichen Flanell des Schlafrocks befühlen.
Eilen wir, sagte zu ihr die Jungfrau, dem Dorf zu, in welchem
Unsre Gemeine schon rastet und diese Nacht durch sich aufhält;
Dort besorg' ich sogleich das Kinderzeug, alles und jedes.
Und sie grüßte mich noch und sprach den herzlichsten Dank aus,
Trieb die Ochsen; da ging der Wagen. Ich aber verweilte,
Hielt die Pferde noch an; denn Zwiespalt war mir im Herzen,
Ob ich mit eilenden Rossen das Dorf erreichte, die Speisen
Unter das übrige Volk zu spenden, oder sogleich hier
Alles dem Mädchen gäbe, damit sie es weislich vertheilte.
Und ich entschied mich gleich in meinem Herzen und fuhr ihr
Sachte nach und erreichte sie bald und sagte behende:
Gutes Mädchen, mir hat die Mutter nicht Leinwand alleine
Auf den Wagen gegeben, damit ich den Nackten bekleide,
Sondern sie fügte dazu noch Speis' und manches Getränke,
Und es ist mir genug davon im Kasten des Wagens.
Nun bin ich aber geneigt, auch diese Gaben in deine
Hand zu legen, und so erfüll ich am besten den Auftrag;
Du vertheilst sie mit Sinn, ich müßte dem Zufall gehorchen‹
Drauf versetzte das Mädchen: ›Mit aller Treue verwend' ich
Eure Gaben; der Dürftige soll sich derselben erfreuen.
Also sprach sie. Ich öffnete schnell die Kasten des Wagens,
Brachte die Schinken hervor, die schweren, brachte die Brode,
Flaschen Weines und Biers, und reicht' ihr alles und jedes.
Gerne hätt' ich noch mehr ihr gegeben; doch leer war der Kasten.
Alles packte sie drauf zu der Wöchnerin Füßen und zog so
Weiter; ich eilte zurück mit meinen Pferden der Stadt zu.

Als nun Hermann geendet, da nahm der gesprächige Nachbar
Gleich das Wort und rief: O glücklich, wer in den Tagen
Dieser Flucht und Verwirrung in seinem Haus nur allein lebt,
Wem nicht Frau und Kinder zur Seite bange sich schmiegen!
Glücklich fühl' ich mich jetzt; ich möcht' um vieles nicht heute
Vater heißen und nicht für Frau und Kinder besorgt seyn.
Oefters dacht' ich mir auch schon die Flucht und habe die besten
Sachen zusammengepackt, das alte Geld und die Ketten
Meiner seligen Mutter, woran noch nichts verkauft ist,
Freilich bliebe noch vieles zurück, das so leicht nicht geschafft wird.
Selbst die Kräuter und Wurzeln, mit vielem Fleiße gesammelt,
Mißt' ich ungern, wenn auch der Werth der Waare nicht groß ist.
Bleibt der Provisor zurück, so geh' ich getröstet von Hause.
Hab ich die Baarschaft gerettet und meinen Körper, so hab' ich
Alles gerettet; der einzelne Mann entfliehet am leichtsten.

Nachbar, versetzte darauf der junge Hermann mit Nachdruck,
Keinesweges denk ich wie Ihr, und tadle die Rede.
Ist wohl der ein würdiger Mann, der im Glück und im Unglück
Sich nur allein bedenkt und Leiden und Freuden zu theilen
Nicht verstehet und nicht dazu von Herzen bewegt wird?
Lieber möcht' ich als je mich heute zur Heirath entschließen;
Denn manch gutes Mädchen bedarf des schützenden Mannes,
Und der Mann des erheiternden Weibs, wenn ihm Unglück bevorsteht.

Lächelnd sagte darauf der Vater: So hör' ich dich gerne!
Solch ein vernünftiges Wort hast du mir selten gesprochen.

Aber es fiel sogleich die gute Mutter behend ein:
Sohn, fürwahr! du hast recht; wir Eltern gaben das Beispiel.
Denn wir haben uns nicht an fröhlichen Tagen erwählet,
Und uns knüpfte vielmehr die traurigste Stunde zusammen.
Montag Morgens – ich weiß es genau, denn Tages vorher war
Jener schreckliche Brand, der unser Städtchen verzehrte –
Zwanzig Jahre sind's nun; es war ein Sonntag wie heute,
Heiß und trocken die Zeit, und wenig Wasser im Orte.
Alle Leute waren, spazierend in festlichen Kleidern,
Auf den Dörfern vertheilt und in den Schenken und Mühlen.
Und am Ende der Stadt begann das Feuer. Der Brand lief
Eilig die Straßen hindurch, erzeugend sich selber den Zugwind.
Und es brannten die Scheunen der reichgesammelten Ernte,
Und es brannten die Straßen bis zu dem Markt, und das Haus war
Meines Vaters hierneben verzehrt und dieses zugleich mit.
Wenig flüchteten wir. Ich saß, die traurige Nacht durch,
Vor der Stadt auf dem Anger die Kasten und Betten bewahrend;
Doch zuletzt befiel mich der Schlaf, und als nun des Morgens
Mich die Kühlung erweckte, die vor der Sonne herabfällt,
Sah ich den Rauch und die Gluth und die hohlen Mauern und Essen.
Da war beklemmt mein Herz; allein die Sonne ging wieder
Herrlicher auf als je und flößte mir Muth in die Seele.
Da erhob ich mich eilend. Es trieb mich, die Stätte zu sehen,
Wo die Wohnung gestanden, und ob sich die Hühner gerettet,
Die ich besonders geliebt; denn kindisch war mein Gemüth noch.
Als ich nun über die Trümmer des Hauses und Hofes daher stieg,
Die noch rauchten, und so die Wohnung wüst und zerstört sah,
Kamst du zur andern Seite herauf und durchsuchtest die Stätte.
Dir war ein Pferd in dem Stalle verschüttet; die glimmenden Balken
Lagen darüber und Schutt, und nichts zu sehn war vom Thiere.
Also standen wir gegen einander, bedenklich und traurig:
Denn die Wand war gefallen, die unsere Höfe geschieden.
Und du faßtest darauf mich bei der Hand an und sagtest:
Lieschen, wie kommst du hierher? Geh weg! du verbrennest die Sohlen;
Denn der Schutt ist heiß, er sengt mir die stärkeren Stiefeln.
Und du hobest mich auf, und trugst mich herüber, durch deinen
Hof weg. Da stand noch das Thor des Hauses mit seinem Gewölbe
Wie es jetzt steht; es war allein von allem geblieben.
Und du setztest mich nieder und küßtest mich und ich verwehrt' es.
Aber du sagtest darauf mit freundlich bedeutenden Worten:
Siehe, das Haus liegt nieder. Bleib hier, und hilf mir es bauen,
Und ich helfe dagegen auch deinem Vater an seinem.
Doch ich verstand dich nicht, bis du zum Vater die Mutter
Schicktest, und schnell das Gelübd' der fröhlichen Ehe vollbracht war.
Noch erinnr' ich mich heute des halbverbrannten Gebälkes
Freudig, und sehe die Sonne noch immer so herrlich heraufgehn;
Denn mir gab der Tag den Gemahl, es haben die ersten
Zeiten der wilden Zerstörung den Sohn mir der Jugend gegeben.
Darum lob' ich dich, Hermann, daß du mit reinem Vertrauen
Auch ein Mädchen dir denkst in diesen traurigen Zeiten,
Und es wagtest zu frein im Krieg und über den Trümmern.

Da versetzte sogleich der Vater lebhaft und sagte:
Die Gesinnung ist löblich, und wahr ist auch die Geschichte,
Mütterchen, die du erzählst; denn so ist alles begegnet.
Aber besser ist besser. Nicht einen jeden betrifft es,
Anzufangen von vorn sein ganzes Leben und Wesen;
Nicht soll jeder sich quälen, wie wir und andere thaten,
Oh, wie glücklich ist der, dem Vater und Mutter das Haus schon
Wohlbestellt übergeben, und der mit Gedeihen es ausziert!
Aller Anfang ist schwer, am schwersten der Anfang der Wirthschaft.
Mancherlei Dinge bedarf der Mensch, und alles wird täglich
Theurer; da seh' er sich vor, des Geldes mehr zu erwerben.
Und so hoff' ich von dir, mein Hermann, daß du mir nächstens
In das Haus die Braut mit schöner Mitgift hereinführst;
Denn ein wackerer Mann verdient ein begütertes Mädchen,
Und es behaget so wohl, wenn mit dem gewünscheten Weibchen
Auch in Körben und Kasten die nützliche Gabe hereinkommt.
Nicht umsonst bereitet durch manche Jahre die Mutter
Viele Leinwand der Tochter, von feinem und starkem Gewebe;
Nicht umsonst verehren die Pathen ihr Silbergeräthe,
Und der Vater sondert im Pulte das seltene Goldstück:
Denn sie soll dereinst mit ihren Gütern und Gaben
Jenen Jüngling erfreun, der sie vor allen erwählt hat.
Ja, ich weiß, wie behaglich ein Weibchen im Hause sich findet,
Das ihr eignes Geräth in Küch' und Zimmern erkennet
Und das Bette sich selbst und den Tisch sich selber gedeckt hat.
Nur wohl ausgestattet möcht' ich im Hause die Braut sehn;
Denn die Arme wird doch nur zuletzt vom Manne verachtet,
Und er hält sie als Magd, die als Magd mit dem Bündel hereinkam.
Ungerecht bleiben die Männer, und die Zeiten der Liebe vergehen.
Ja, mein Hermann, du würdest mein Alter höchlich erfreuen,
Wenn du mir bald ins Haus ein Schwiegertöchterchen brächtest
Aus der Nachbarschaft her, aus jenem Hause, dem grünen.
Reich ist der Mann fürwahr: sein Handel und seine Fabriken
Machen ihn täglich reicher: denn wo gewinnt nicht der Kaufmann?
Nur drei Töchter sind da; sie theilen allein das Vermögen.
Schon ist die ältste bestimmt, ich weiß es; aber die zweite,
Wie die dritte sind noch, und vielleicht nicht lange, zu haben.
Wär' ich an deiner Statt, ich hätte bis jetzt nicht gezaudert,
Eins mir der Mädchen geholt, so wie ich das Mütterchen forttrug.

Da versetzte der Sohn bescheiden dem dringenden Vater:
Wirklich, mein Wille war auch, wie Eurer, eine der Töchter
Unsers Nachbars zu wählen. Wir sind zusammen erzogen,
Spielten neben dem Brunnen am Markt in früheren Zeiten,
Und ich habe sie oft vor der Knaben Wildheit beschützet.
Doch das ist lange schon her; es bleiben die wachsenden Mädchen
Endlich billig zu Haus' und fliehn die wilderen Spiele.
Wohlgezogen sind sie gewiß! Ich ging auch zu Zeiten
Noch aus alter Bekanntschaft, so wie Ihr es wünschtet, hinüber;
Aber ich konnte mich nie in ihrem Umgang erfreuen.
Denn sie tadelten stets an mir, das mußt' ich ertragen:
Gar zu lang war mein Rock, zu grob das Tuch, und die Farbe
Gar zu gemein, und die Haare nicht recht gestutzt und gekräuselt.
Endlich hatt' ich im Sinne, mich auch zu putzen wie jene
Handelsbübchen, die stets am Sonntag drüben sich zeigen,
Und um die, halbseiden, im Sommer das Läppchen herumhängt.
Aber noch früh genug merkt' ich, sie hatten mich immer zum besten,
Und das war mir empfindlich, mein Stolz war beleidigt; doch mehr noch
Kränkte mich's tief, dass so sie den guten Willen verkannten,
Den ich gegen sie hegte, besonders Minchen, die jüngste.
Denn so war ich zuletzt an Ostern hinübergegangen,
Hatte den neuen Rock, der jetzt nur oben im Schrank hängt,
Angezogen und war frisiert wie die übrigen Bursche.
Als ich eintrat, kicherten sie; doch zog ich's auf mich nicht.
Minchen saß am Clavier; es war der Vater zugegen,
Hörte die Töchterchen singen und war entzückt und in Laune.
Manches verstand ich nicht, was in den Liedern gesagt war,
Aber ich hörte viel von Pamina, viel von Tamino;
Und ich wollte doch auch nicht stumm sein! Sobald sie geendet,
Fragt' ich dem Texte nach und nach den beiden Personen.
Alle schwiegen darauf und lächelten; aber der Vater
Sagte: Nicht wahr, mein Freund, Er kennt nur Adam und Eva?
Niemand hielt sich alsdann, und laut auf lachten die Mädchen,
Laut auf lachten die Knaben, es hielt den Bauch sich der Alte.
Fallen ließ ich den Hut vor Verlegenheit, und das Gekicher
Dauerte fort und fort, soviel sie auch sangen und spielten.
Und ich eilte beschämt und verdrießlich wieder nach Hause,
Hängte den Rock in den Schrank und zog die Haare herunter
Mit den Fingern und schwur, nicht mehr zu betreten die Schwelle.
Und ich hatte wohl recht; denn eitel sind sie und lieblos,
Und ich höre, noch heiß' ich bei ihnen immer Tamino.

Da versetzte die Mutter: Du solltest, Hermann, so lange
Mit den Kindern nicht zürnen; denn Kinder sind sie ja sämmtlich.
Minchen fürwahr ist gut und war dir immer gewogen;
Neulich fragte sie noch nach dir. Die solltest du wählen!

Da versetzte bedenklich der Sohn: Ich weiß nicht, es prägte
Jener Verdruß sich so tief bei mir ein, ich möchte fürwahr nicht
Sie am Claviere mehr sehn und ihre Liedchen vernehmen.

Doch der Vater fuhr auf und sprach die zornigen Worte:
Wenig Freud' erleb ich an dir! Ich sagt' es doch immer,
Als du zu Pferden nur und Lust nur bezeigtest zum Acker:
Was ein Knecht schon verrichtet des wohlbegüterten Mannes,
Tust du; indessen muss der Vater des Sohnes entbehren,
Der ihm zur Ehre doch auch vor andern Bürgern sich zeigte.
Und so täuschte mich früh mit leerer Hoffnung die Mutter,
Wenn in der Schule das Lesen und Schreiben und Lernen dir niemals
Wie den andern gelang und du immer der unterste saßest.
Freilich! das kommt daher, wenn Ehrgefühl nicht im Busen
Eines Jünglinges lebt und wenn er nicht höher hinauf will.
Hätte mein Vater gesorgt für mich, so wie ich für dich tat,
Mich zur Schule gesendet und mir die Lehrer gehalten,
Ja, ich wäre was anders als Wirt zum goldenen Löwen!«

Aber der Sohn stand auf und nahte sich schweigend der Thüre,
Langsam und ohne Geräusch; allein der Vater, entrüstet,
Rief ihm nach: So gehe nur hin! ich kenne den Trotzkopf!
Geh und führe fortan die Wirtschaft, daß ich nicht schelte;
Aber denke nur nicht, du wollest ein bäurisches Mädchen
Je mir bringen ins Haus als Schwiegertochter, die Trulle!
Lange hab ich gelebt und weiß mit Menschen zu handeln,
Weiß zu bewirten die Herren und Frauen, dass sie zufrieden
Von mir weggehn; ich weiß den Fremden gefällig zu schmeicheln.
Aber so soll mir denn auch ein Schwiegertöchterchen endlich
Wiederbegegnen und so mir die viele Mühe versüßen;
Spielen soll sie mir auch das Clavier; es sollen die schönsten,
Besten Leute der Stadt sich mit Vergnügen versammeln,
Wie es Sonntags geschieht im Hause des Nachbars. Da drückte
Leise der Sohn auf die Klinke, und so verließ er die Stube.

 *******

 

Die Bürger

Also entwich der bescheidene Sohn der heftigen Rede;
Aber der Vater fuhr in der Art fort, wie er begonnen:
Was im Menschen nicht ist, kommt auch nicht aus ihm, und schwerlich
Wird mich des herzlichsten Wunsches Erfüllung jemals erfreuen,
Daß der Sohn dem Vater nicht gleich sey, sondern ein beßrer.
Denn was wäre das Haus, was wäre die Stadt, wenn nicht immer
Jeder gedächte mit Lust zu erhalten und zu erneuen,
Und zu verbessern auch, wie die Zeit uns lehrt und das Ausland!
Soll doch nicht als ein Pilz der Mensch dem Boden entwachsen,
Und verfaulen geschwind an dem Platze, der ihn erzeugt hat,
Keine Spur nachlassend von seiner lebendigen Wirkung!
Sieht man am Hause doch gleich so deutlich, weß Sinnes der Herr sey,
Wie man, das Städtchen betretend, die Obrigkeiten beurtheilt.
Denn wo die Thürme verfallen und Mauern, wo in den Gräben
Unrath sich häufet und Unrath auf allen Gassen herumliegt,
Wo der Stein aus der Fuge sich rückt und nicht wieder gesetzt wird,
Wo der Balken verfault, und das Haus vergeblich die neue
Unterstützung erwartet: der Ort ist übel regieret.
Denn wo nicht immer von oben die Ordnung und Reinlichkeit wirket,
Da gewöhnet sich leicht der Bürger zu schmutzigem Saumsal,
Wie der Bettler sich auch an lumpige Kleider gewöhnet.
Darum hab' ich gewünscht, es solle sich Hermann auf Reisen
Bald begeben, und sehn zum wenigsten Straßburg und Frankfurt,
Und das freundliche Mannheim, das gleich und heiter gebaut ist.
Denn wer die Städte gesehn, die großen und reinlichen, ruht nicht,
Künftig die Vaterstadt selbst, so klein sie auch sey, zu verzieren.
Lobt nicht der Fremde bei uns die ausgebesserten Thore
Und den geweihten Thurm und die wohlerneuerte Kirche?
Rühmt nicht jeder das Pflaster? die wasserreichen, verdeckten,
Wohlverteilten Canäle, die Nutzen und Sicherheit bringen,
Daß dem Feuer sogleich beim ersten Ausbruch gewehrt sey?
Ist das nicht alles geschehn seit jenem schrecklichen Brande?
Bauherr war ich sechsmal im Rath und habe mir Beifall,
Habe mir herzlichen Dank von guten Bürgern verdienet,
Was ich angab, emsig betrieben und so auch die Anstalt
Redlicher Männer vollführt, die sie unvollendet verließen.
So kam endlich die Lust in jedes Mitglied des Rathes.
Alle bestreben sich jetzt, und schon ist der neue Chausseebau
Fest beschlossen, der uns mit der großen Straße verbindet.
Aber ich fürchte nur sehr, so wird die Jugend nicht handeln!
Denn die Einen, sie denken auf Lust und vergänglichen Putz nur,
Andere hocken zu Haus und brüten hinter dem Ofen.
Und das fürcht' ich, ein solcher wird Hermann immer mir bleiben.

Und es versetzte sogleich die gute verständige Mutter:
Immer bist du doch, Vater, so ungerecht gegen den Sohn! und
So wird am wenigsten dir dein Wunsch des Guten erfüllet.
Denn wir können die Kinder nach unserem Sinne nicht formen;
So wie Gott sie uns gab, so muss man sie haben und lieben,
Sie erziehen aufs Beste und jeglichen lassen gewähren.
Denn der eine hat die, die anderen andere Gaben;
Jeder braucht sie, und jeder ist doch nur auf eigene Weise
Gut und glücklich. Ich lasse mir meinen Hermann nicht schelten;
Denn, ich weiß es, er ist der Güter, die er dereinst erbt,
Wert und ein trefflicher Wirth, ein Muster Bürgern und Bauern,
Und im Rathe gewiß, ich seh' es voraus, nicht der Letzte.
Aber täglich mit Schelten und Tadeln hemmst du dem Armen
Allen Mut in der Brust, so wie du es heute getan hast.
Und sie verließ die Stube sogleich und eilte dem Sohn nach,
Dass sie ihn irgendwo fänd' und ihn mit gütigen Worten
Wieder erfreute; denn er, der treffliche Sohn, er verdient' es.

Lächelnd sagte darauf, sobald sie hinweg war, der Vater:
Sind doch ein wunderlich Volk die Weiber, so wie die Kinder!
Jedes lebet so gern nach seinem eignen Belieben,
Und man sollte hernach nur immer loben und streicheln.
Einmal für allemal gilt das wahre Sprüchlein der Alten:
Wer nicht vorwärts geht, der kommt zurücke! So bleibt es.

Und es versetzte darauf der Apotheker bedächtig:
Gerne geb' ich es zu, Herr Nachbar, und sehe mich immer
Selbst nach dem Besseren um, wofern es nicht theuer, doch neu ist;
Aber hilft es fürwahr, wenn man nicht die Fülle des Gelds hat,
Thätig und rührig zu sein und innen und außen zu bessern?
Nur zu sehr ist der Bürger beschränkt; das Gute vermag er
Nicht zu erlangen, wenn er es kennt; zu schwach ist sein Beutel,
Das Bedürfniß zu groß; so wird er immer gehindert.
Manches hätt' ich gethan; allein wer scheut nicht die Kosten
Solcher Verändrung, besonders in diesen gefährlichen Zeiten!
Lange lachte mir schon mein Haus im modischen Kleidchen,
Lange glänzten durchaus mit großen Scheiben die Fenster;
Aber wer thut dem Kaufmann es nach, der bei seinem Vermögen
Auch die Wege noch kennt, auf welchen das Beste zu haben?
Seht nur das Haus an da drüben, das neue! Wie prächtig in grünen
Feldern die Stuckatur der weißen Schnörkel sich ausnimmt!
Groß sind die Tafeln der Fenster; wie glänzen und spiegeln die Scheiben,
Und verdunkelt stehn die übrigen Häuser des Marktes!
Und doch waren die unsern gleich nach dem Brande die schönsten,
Die Apotheke zum Engel so wie der goldene Löwe.
So war mein Garten auch in der ganzen Gegend berühmt, und
Jeder Reisende stand und sah durch die roten Stacketen
Nach den Bettlern von Stein und nach den farbigen Zwergen.
Wem ich den Kaffee dann gar in dem herrlichen Grottenwerk reichte,
Das nun freilich verstaubt und halb verfallen mir dasteht,
Der erfreute sich hoch des farbig schimmernden Lichtes
Schöngeordneter Muscheln; und mit geblendetem Auge
Schaute der Kenner selbst den Bleiglanz und die Korallen.
Eben so ward in dem Saale die Malerei auch bewundert,
Wo die geputzten Herren und Damen im Garten spazieren
Und mit spitzigen Fingern die Blumen reichen und halten.
Ja, wer sähe das jetzt nur noch an! Ich gehe verdrießlich
Kaum mehr hinaus; denn alles soll anders seyn und geschmackvoll,
Wie sie's heißen, und weiß die Latten und hölzernen Bänke.
Alles ist einfach und glatt, nicht Schnitzwerk oder Vergoldung
Will man mehr, und es kostet das fremde Holz nun am meisten.
Nun, ich wär' es zufrieden, mir auch was Neues zu schaffen;
Auch zu gehn mit der Zeit und oft zu verändern den Hausrath;
Aber es fürchtet sich jeder, auch nur zu rücken das Kleinste,
Denn wer vermöchte wohl jetzt die Arbeitsleute zu zahlen?
Neulich kam mir's in Sinn, den Engel Michael wieder,
Der mir die Offizin bezeichnet, vergolden zu lassen,
Und den greulichen Drachen, der ihm zu Füßen sich windet;
Aber ich ließ ihn verbräunt, wie er ist; mich schreckte die Fordrung.

*******

 

Mutter und Sohn

 

Also sprachen die Männer, sich unterhaltend. Die Mutter
Ging indessen, den Sohn erst vor dem Hause zu suchen,
Auf der steinernen Bank, wo sein gewöhnlicher Sitz war.
Als sie daselbst ihn nicht fand, so ging sie, im Stalle zu schauen,
Ob er die herrlichen Pferde, die Hengste, selber besorgte,
Die er als Fohlen gekauft und die er niemand vertraute.
Und es sagte der Knecht: Er ist in den Garten gegangen.
Da durchschritt sie behende die langen doppelten Höfe,
Ließ die Ställe zurück und die wohlgezimmerten Scheunen,
Trat in den Garten, der weit bis an die Mauern des Städtchens
Reichte, schritt ihn hindurch, und freute sich jeglichen Wachsthums,
Stellte die Stützen zurecht, auf denen beladen die Aeste
Ruhten des Apfelbaums, wie des Birnbaums lastende Zweige,
Nahm gleich einige Raupen vom kräftig strotzenden Kohl weg;
Denn ein geschäftiges Weib thut keine Schritte vergebens.
Also war sie ans Ende des langen Gartens gekommen,
Bis zur Laube, mit Geißblatt bedeckt; nicht fand sie den Sohn da,
Ebenso wenig, als sie bis jetzt ihn im Garten erblickte.
Aber nur angelehnt war das Pförtchen, das aus der Laube,
Aus besonderer Gunst, durch die Mauer des Städtchens gebrochen
Hatte der Ahnherr einst, der würdige Burgemeister.
Und so ging sie bequem den trocknen Graben hinüber,
Wo an der Straße sogleich der wohl umzäunete Weinberg
Aufstieg steileren Pfads, die Fläche zur Sonne gekehret.
Auch den schritt sie hinauf und freute der Fülle der Trauben
Sich im Steigen, die kaum sich unter den Blättern verbargen.
Schattig war und bedeckt der hohe mittlere Laubgang,
Den man auf Stufen erstieg von unbehauenen Platten.
Und es hingen herein Gutedel und Muscateller,
Rötlichblaue darneben von ganz besonderer Größe,
Alle mit Fleiße gepflanzt, der Gäste Nachtisch zu zieren.
Aber den übrigen Berg bedeckten einzelne Stöcke,
Kleinere Trauben tragend, von denen der köstliche Wein kommt.
Also schritt sie hinauf, sich schon des Herbstes erfreuend
Und des festlichen Tags, an dem die Gegend im Jubel
Trauben lieset und tritt, und den Most in die Fässer versammelt,
Feuerwerke des Abends von allen Orten und Enden
Leuchten und knallen und so der Ernten schönste geehrt wird.
Doch unruhiger ging sie, nachdem sie dem Sohne gerufen
Zwei-, auch dreimal und nur das Echo vielfach zurückkam,
Das von den Thürmen der Stadt, ein sehr geschwätziges, herklang.
Ihn zu suchen war ihr so fremd; er entfernte sich niemals
Weit, er sagt' es ihr denn, um zu verhüten die Sorge
Seiner liebenden Mutter und ihre Furcht vor dem Unfall.
Aber sie hoffte noch stets, ihn doch auf dem Wege zu finden;
Denn die Thüren, die untre sowie die obre des Weinbergs
Standen gleichfalls offen. Und so nun trat sie ins Feld ein,
Das mit weiter Fläche den Rücken des Hügels bedeckte.
Immer noch wandelte sie auf eigenem Boden, und freute
Sich der eigenen Saat und des herrlich nickenden Kornes,
Das mit goldener Kraft sich im ganzen Felde bewegte.
Zwischen den Aeckern schritt sie hindurch, auf dem Raine, den Fußpfad,
Hatte den Birnbaum im Auge, den großen, der auf dem Hügel
Stand, die Gränze der Felder, die ihrem Hause gehörten.
Wer ihn gepflanzt, man konnt' es nicht wissen. Er war in der Gegend
Weit und breit gesehn, und berühmt die Früchte des Baumes.
Unter ihm pflegten die Schnitter des Mahls sich zu freuen am Mittag
Und die Hirten des Viehs in seinem Schatten zu warten;
Bänke fanden sie da von rohen Steinen und Rasen.

Und sie irrete nicht; dort saß ihr Hermann und ruhte,
Saß, mit dem Arme gestützt, und schien in die Gegend zu schauen
Jenseits, nach dem Gebirg', er kehrte der Mutter den Rücken.
Sachte schlich sie hinan und rührt' ihm leise die Schulter.
Und er wandte sich schnell; da sah sie ihm Thänen im Auge.

Mutter«, sagt' er betroffen, Ihr überrascht mich! Und eilig
Trocknet' er ab die Thräne, der Jüngling edlen Gefühles.
Wie? du weinest, mein Sohn? versetzte die Mutter betroffen;
Daran kenn' ich dich nicht! ich habe das niemals erfahren!
Sag', was beklemmt dir das Herz? was treibt dich, einsam zu sitzen
Unter dem Birnbaum hier? was bringt dir Thränen ins Auge?

Und es nahm sich zusammen der treffliche Jüngling, und sagte:
Wahrlich, dem ist kein Herz im ehernen Busen, der jetzo
Nicht der Noth der Menschen, der umgetriebnen, empfindet;
Dem ist kein Sinn in dem Haupte, der nicht um sein eigenes Wohl sich
Und um des Vaterlands Wohl in diesen Tagen bekümmert.
Was ich heute gesehn und gehört, das rührte das Herz mir;
Und nun ging ich heraus, und sah die herrliche weite
Landschaft, die sich vor uns in fruchtbaren Hügeln umher schlingt,
Sah die goldene Frucht den Garben entgegen sich neigen,
Und ein reichliches Obst uns volle Kammern versprechen.
Aber, ach! wie nah ist der Feind! Die Fluthen des Rheines
Schützen uns zwar; doch ach! was sind nun Fluthen und Berge
Jenem schrecklichen Volke, das wie ein Gewitter daherzieht!
Denn sie rufen zusammen aus allen Enden die Jugend
Wie das Alter, und dringen gewaltig vor, und die Menge
Scheut den Tod nicht; es dringt gleich nach der Menge die Menge.
Ach! und ein Deutscher wagt, in seinem Hause zu bleiben?
Hofft vielleicht zu entgehen dem alles bedrohenden Unfall?
Liebe Mutter, ich sag' Euch, am heutigen Tage verdrießt mich,
Daß man mich neulich entschuldigt, als man die Streitenden auslas
Aus den Bürgern. Fürwahr, ich bin der einzige Sohn nur,
Und die Wirthschaft ist groß und wichtig unser Gewerbe;
Aber wär' ich nicht besser, zu widerstehen da vorne
An der Gränze, als hier zu erwarten Elend und Knechtschaft?
Ja, mir hat es der Geist gesagt, und im innersten Busen
Regt sich Muth und Begier, dem Vaterlande zu leben
Und zu sterben, und andern ein würdiges Beispiel zu geben.
Wahrlich, wäre die Kraft der deutschen Jugend beisammen,
An der Gränze, verbündet, nicht nachzugeben den Fremden,
O, sie sollten uns nicht den herrlichen Boden betreten
Und vor unseren Augen die Früchte des Landes verzehren,
Nicht den Männern gebieten und rauben Weiber und Mädchen!
Sehet, Mutter, mir ist im tiefsten Herzen beschlossen,
Bald zu thun und gleich, was recht mir deucht und verständig;
Denn wer lange bedenkt, der wählt nicht immer das Beste.
Sehet, ich werde nicht wieder nach Hause kehren! Von hier aus
Geh' ich gerad' in die Stadt und übergebe den Kriegern
Diesen Arm und dieß Herz, dem Vaterlande zu dienen.
Sage der Vater alsdann, ob nicht der Ehre Gefühl mir
Auch den Busen belebt und ob ich nicht höher hinauf will!

Da versetzte bedeutend die gute verständige Mutter,
Stille Tränen vergießend, sie kamen ihr leichtlich ins Auge:
»Sohn, was hat sich in dir verändert und deinem Gemüte,
Daß du zu deiner Mutter nicht redest wie gestern und immer,
Offen und frei, und sagst, was deinen Wünschen gemäß ist?
Hörte jetzt ein Dritter dich reden, er würde fürwahr dich
Höchlich loben und deinen Entschluss als den edelsten preisen,
Durch dein Wort verführt und deine bedeutenden Reden.
Doch ich tadle dich nur; denn sieh, ich kenne dich besser.
Du verbirgst dein Herz und hast ganz andre Gedanken.
Denn ich weiß es, dich ruft nicht die Trommel, nicht die Trompete,
Nicht begehrst du zu scheinen in der Montur vor den Mädchen;
Denn es ist deine Bestimmung, so wacker und brav du auch sonst bist,
Wohl zu verwahren das Haus und stille das Feld zu besorgen.
Darum sage mir frei: was dringt dich zu dieser Entschließung?«

Ernsthaft sagte der Sohn: Ihr irret, Mutter. Ein Tag ist
Nicht dem anderen gleich. Der Jüngling reifet zum Manne;
Besser im Stillen reift er zur That oft als im Geräusche
Wilden schwankenden Lebens, das manchen Jüngling verderbt hat.
Und so still ich auch bin und war, so hat in der Brust mir
Doch sich gebildet ein Herz, das Unrecht hasset und Unbill,
Und ich verstehe recht gut die weltlichen Dinge zu sondern;
Auch hat die Arbeit den Arm und die Füße mächtig gestärket.
Alles, fühl' ich, ist wahr; ich darf es kühnlich behaupten.
Und doch tadelt Ihr mich mit Recht, o Mutter, und habt mich
Auf halbwahren Worten ertappt und halber Verstellung.
Denn, gesteh' ich es nur, nicht ruft die nahe Gefahr mich
Aus dem Hause des Vaters und nicht der hohe Gedanke,
Meinem Vaterland hülfreich zu seyn und schrecklich den Feinden.
Worte waren es nur, die ich sprach: sie sollten vor Euch nur
Meine Gefühle verstecken, die mir das Herz zerreißen.
Und so laßt mich, o Mutter! Denn da ich vergebliche Wünsche
Hege im Busen, so mag auch mein Leben vergeblich dahin gehn.
Denn ich weiß es recht wohl: der Einzelne schadet sich selber,
Der sich hingiebt, wenn sich nicht alle zum Ganzen bestreben.

Fahre nur fort«, so sagte darauf die verständige Mutter,
Alles mir zu erzählen, das Größte wie das Geringste;
Denn die Männer sind heftig, und denken nur immer das Letzte,
Und die Hinderniß treibt die Heftigen leicht von dem Wege;
Aber ein Weib ist geschickt, auf Mittel zu denken, und wandelt
Auch den Umweg, geschickt zu ihrem Zweck zu gelangen.
Sage mir alles daher, warum du so heftig bewegt bist,
Wie ich dich niemals gesehn, und das Blut dir wallt in den Adern,
Wider Willen die Thräne dem Auge sich dringt zu entstürzen.

Da überließ sich dem Schmerze der gute Jüngling, und weinte,
Weinte laut an der Brust der Mutter und sprach so erweichet:
Wahrlich! des Vaters Wort hat heute mich kränkend getroffen,
Das ich niemals verdient, nicht heut' und keinen der Tage.
Denn die Eltern zu ehren, war früh mein Liebstes, und niemand
Schien mir klüger zu seyn und weiser, als die mich erzeugten,
Und mit Ernst mir in dunkeler Zeit der Kindheit geboten.
Vieles hab ich fürwahr von meinen Gespielen geduldet,
Wenn sie mit Tücke mir oft den guten Willen vergalten;
Oftmals hab' ich an ihnen nicht Wurf noch Streiche gerochen:
Aber spotteten sie mir den Vater aus, wenn er Sonntags
Aus der Kirche kam mit würdig bedächtigem Schritte,
Lachten sie über das Band der Mütze, die Blumen des Schlafrocks,
Den er so stattlich trug und der erst heute verschenkt ward:
Fürchterlich ballte sich gleich die Faust mir; mit grimmigem Wüthen
Fiel ich sie an und schlug und traf, mit blindem Beginnen,
Ohne zu sehen wohin. Sie heulten mit blutigen Nasen
Und entrissen sich kaum den wüthenden Tritten und Schlägen.
Und so wuchs ich heran, um viel vom Vater zu dulden,
Der statt anderer mich gar oft mit Worten herum nahm,
Wenn bei Rath ihm Verdruß in der letzten Sitzung erregt ward;
Und ich büßte den Streit und die Ränke seiner Collegen.
Oftmals habt Ihr mich selbst bedauert; denn vieles ertrug ich,
Stets in Gedanken der Eltern von Herzen zu ehrende Wohlthat,
Die nur sinnen, für uns zu mehren die Hab' und die Güter,
Und sich selber manches entziehn, um zu sparen den Kindern.
Aber, ach! nicht das Sparen allein, um spät zu genießen,
Macht das Glück, es macht nicht das Glück der Haufe beim Haufen,
Nicht der Acker am Acker, so schön sich die Güter auch schließen.
Denn der Vater wird alt, und mit ihm altern die Söhne,
Ohne die Freude des Tags, und mit der Sorge für morgen.
Sagt mir, und schauet hinab, wie herrlich liegen die schönen,
Reichen Gebreite nicht da, und unten Weinberg und Gärten,
Dort die Scheunen und Ställe, die schöne Reihe der Güter!
Aber seh' ich dann dort das Hinterhaus, wo an dem Giebel
Sich das Fenster uns zeigt von meinem Stübchen im Dache,
Denk ich die Zeiten zurück, wie manche Nacht ich den Mond schon
Dort erwartet und schon so manchen Morgen die Sonne,
Wenn der gesunde Schlaf mir nur wenige Stunden genügte:
Ach! da kommt mir so einsam vor, wie die Kammer, der Hof und
Garten, das herrliche Feld, das über die Hügel sich hinstreckt;
Alles liegt so öde vor mir: ich entbehre der Gattin.

Da antwortete drauf die gute Mutter verständig:
»Sohn, mehr wünschest du nicht, die Braut in die Kammer zu führen,
Daß dir werde die Nacht zur schönen Hälfte des Lebens
Und die Arbeit des Tags dir freier und eigener werde,
Als der Vater es wünscht und die Mutter. Wir haben dir immer
Zugeredet, ja dich getrieben, ein Mädchen zu wählen.
Aber mir ist es bekannt, und jetzo sagt es das Herz mir:
Wenn die Stunde nicht kommt, die rechte, wenn nicht das rechte
Mädchen zur Stunde sich zeigt, so bleibt das Wählen im Weiten,
Und es wirket die Furcht, die falsche zu greifen, am meisten.
Soll ich dir sagen, mein Sohn, so hast du, ich glaube, gewählet,
Denn dein Herz ist getroffen und mehr als gewöhnlich empfindlich.
Sag' es gerad nur heraus, denn mir schon sagt es die Seele:
Jenes Mädchen ist's, das vertriebene, die du gewählt hast.

Liebe Mutter, Ihr sagt's! versetzte lebhaft der Sohn drauf.
Ja, sie ist's! und führ' ich sie nicht als Braut mir nach Hause
Heute noch, ziehet sie fort, verschwindet vielleicht mir auf immer
In der Verwirrung des Kriegs und im traurigen Hin- und Herziehn.
Mutter, ewig umsonst gedeiht mir die reiche Besitzung
Dann vor Augen; umsonst sind künftige Jahre mir fruchtbar.
Ja, das gewohnte Haus und der Garten ist mir zuwider;
Ach! und die Liebe der Mutter, sie selbst nicht tröstet den Armen.
Denn es löset die Liebe, das fühl' ich, jegliche Bande,
Wenn sie die ihrigen knüpft; und nicht das Mädchen allein läßt
Vater und Mutter zurück, wenn sie dem erwähleten Mann folgt;
Auch der Jüngling, er weiß nichts mehr von Mutter und Vater,
Wenn er das Mädchen sieht, das einziggeliebte, davon ziehn.
Darum lasset mich gehn, wohin die Verzweiflung mich antreibt!
Denn mein Vater, er hat die entscheidenden Worte gesprochen,
Und sein Haus ist nicht mehr das meine, wenn er das Mädchen
Ausschließt, das ich allein nach Haus zu führen begehre.

Da versetzte behend die gute verständige Mutter:
Stehen wie Felsen doch zwei Männer gegen einander!
Unbewegt und stolz will keiner dem andern sich nähern,
Keiner zum guten Worte, dem ersten, die Zunge bewegen.
Darum sag ich dir, Sohn: noch lebt die Hoffnung in meinem
Herzen, daß er sie dir, wenn sie gut und brav ist, verlobe,
Obgleich arm, so entschieden er auch die Arme versagt hat.
Denn er redet gar manches in seiner heftigen Art aus,
Das er doch nicht vollbringt; so giebt er auch zu das Versagte.
Aber ein gutes Wort verlangt er und kann es verlangen;
Denn er ist Vater! Auch wissen wir wohl, sein Zorn ist nach Tische,
Wo er heftiger spricht und anderer Gründe bezweifelt,
Nie bedeutend; es reget der Wein dann jegliche Kraft auf
Seines heftigen Wollens und lässt ihn die Worte der andern
Nicht vernehmen, er hört und fühlt alleine sich selber.
Aber es kommt der Abend heran, und die vielen Gespräche
Sind nun zwischen ihm und seinen Freunden gewechselt.
Milder ist er fürwahr, ich weiß, wenn das Räuschchen vorbei ist,
Und er das Unrecht fühlt, das er andern lebhaft erzeigte.
Komm! wir wagen es gleich; das Frischgewagte geräth nur,
Und wir bedürfen der Freunde, die jetzo bei ihm noch versammelt
Sitzen; besonders wird uns der würdige Geistliche helfen.

Also sprach sie behende und zog, vom Steine sich hebend,
Auch vom Sitze den Sohn, den willig folgenden. Beide
Kamen schweigend herunter, den wichtigen Vorsatz bedenkend.

*****

 

Der Weltbürger

Aber es saßen die drei noch immer sprechend zusammen,
Mit dem geistlichen Herrn der Apotheker beim Wirthe,
Und es war das Gespräch noch immer ebendasselbe,
Das viel hin und her nach allen Seiten geführt ward.
Aber der treffliche Pfarrer versetzte, würdig gesinnt, drauf:
Widersprechen will ich Euch nicht. Ich weiß es, der Mensch soll
Immer streben zum Bessern; und, wie wir sehen, er strebt auch
Immer dem Höheren nach, zum wenigsten sucht er das Neue.
Aber geht nicht zu weit! Denn neben diesen Gefühlen
Gab die Natur uns auch die Lust, zu verharren im Alten
Und sich dessen zu freun, was jeder lange gewohnt ist.
Aller Zustand ist gut, der natürlich ist und vernünftig.
Vieles wünscht sich der Mensch, und doch bedarf er nur wenig;
Denn die Tage sind kurz, und beschränkt der Sterblichen Schicksal.
Niemals tadl' ich den Mann, der immer, thätig und rastlos
Umgetrieben, das Meer und alle Straßen der Erde
Kühn und emsig befährt und sich des Gewinnes erfreuet,
Welcher sich reichlich um ihn und um die Seinen herum häuft,
Aber jener ist auch mir werth, der ruhige Bürger,
Der sein väterlich Erbe mit stillen Schritten umgehet
Und die Erde besorgt, so wie es die Stunden gebieten.
Nicht verändert sich ihm in jedem Jahre der Boden,
Nicht streckt eilig der Baum, der neugepflanzte, die Arme
Gegen den Himmel aus, mit reichlichen Blüthen gezieret.
Nein, der Mann bedarf der Geduld; er bedarf auch des reinen,
Immer gleichen, ruhigen Sinns und des graden Verstandes.
Denn nur wenige Samen vertraut er der nährenden Erde,
Wenige Thiere nur versteht er, mehrend, zu ziehen,
Denn das Nützliche bleibt allein sein ganzer Gedanke.
Glücklich, wem die Natur ein so gestimmtes Gemüth gab!
Er ernähret uns alle. Und Heil dem Bürger des kleinen
Städtchens, welcher ländlich Gewerb mit Bürgergewerb paart!
Auf ihm liegt nicht der Druck, der ängstlich den Landmann beschränket;
Ihn verwirrt nicht die Sorge der viel begehrenden Städter,
Die dem Reicheren stets und dem Höheren, wenig vermögend,
Nachzustreben gewohnt sind, besonders die Weiber und Mädchen.
Segnet immer darum des Sohnes ruhig Bemühen
Und die Gattin, die einst er, die gleichgesinnte, sich wählet.

Also sprach er. Es trat die Mutter zugleich mit dem Sohn ein,
Führend ihn bei der Hand und vor den Gatten ihn stellend.
Vater, sprach sie, wie oft gedachten wir, untereinander
Schwatzend, des fröhlichen Tags, der kommen würde, wenn künftig
Hermann, seine Braut sich erwählend, uns endlich erfreute!
Hin und wieder dachten wir da; bald dieses, bald jenes
Mädchen bestimmten wir ihm mit elterlichem Geschwätze.
Nun ist er kommen, der Tag; nun hat die Braut ihm der Himmel
Hergeführt und gezeigt, es hat sein Herz nun entschieden.
Sagten wir damals nicht immer: er solle selber sich wählen?
Wünschtest du nicht noch vorhin, er möchte heiter und lebhaft
Für ein Mädchen empfinden? Nun ist die Stunde gekommen!
Ja, er hat gefühlt und gewählt, und ist männlich entschieden.
Jenes Mädchen ist's, die Fremde, die ihm begegnet.
Gieb sie ihm; oder er bleibt, so schwur er, im ledigen Stande.

Und es sagte der Sohn: Die gebt mir, Vater! Mein Herz hat
Rein und sicher gewählt; Euch ist sie die würdigste Tochter.

Aber der Vater schwieg. Da stand der Geistliche schnell auf,
Nahm das Wort und sprach: Der Augenblick nur entscheidet
Ueber das Leben des Menschen und über sein ganzes Geschicke;
Denn nach langer Berathung ist doch ein jeder Entschluss nur
Werk des Moments, es ergreift doch nur der Verständ'ge das Rechte.
Immer gefährlicher ist's, beim Wählen dieses und jenes
Nebenher zu bedenken und so das Gefühl zu verwirren.
Rein ist Hermann, ich kenn' ihn von Jugend auf; und er streckte
Schon als Knabe die Hände nicht aus nach diesem und jenem.
Was er begehrte, das war ihm gemäß; so hielt er es fest auch.
Seyd nicht scheu und verwundert, daß nun auf einmal erscheinet,
Was Ihr so lange gewünscht. Es hat die Erscheinung fürwahr nicht
Jetzt die Gestalt des Wunsches, so wie Ihr ihn etwa geheget.
Denn die Wünsche verhüllen uns selbst das Gewünschte; die Gaben
Kommen von oben herab, in ihren eignen Gestalten.
Nun verkennet es nicht, das Mädchen, das Eurem geliebten,
Guten, verständigen Sohn zuerst die Seele bewegt hat.
Glücklich ist der, dem sogleich die erste Geliebte die Hand reicht,
Dem der lieblichste Wunsch nicht heimlich im Herzen verschmachtet!
Ja, ich seh' es ihm an, es ist sein Schicksal entschieden.
Wahre Neigung vollendet sogleich zum Manne den Jüngling.
Nicht beweglich ist er; ich fürchte, versagt Ihr ihm dieses,
Gehen die Jahre dahin, die schönsten, in traurigem Leben.

Da versetzte sogleich der Apotheker bedächtig,
Dem schon lange das Wort von der Lippe zu springen bereit war:
Lasst uns auch diesmal doch nur die Mittelstraße betreten!
Eile mit Weile! das war selbst Kaiser Augustus' Devise.
Gerne schick' ich mich an, den lieben Nachbarn zu dienen,
Meinen geringen Verstand zu ihrem Nutzen zu brauchen:
Und besonders bedarf die Jugend, dass man sie leite.
Lasst mich also hinaus; ich will es prüfen, das Mädchen,
Will die Gemeinde befragen, in der sie lebt und bekannt ist.
Niemand betrügt mich so leicht; ich weiß die Worte zu schätzen.

Da versetzte sogleich der Sohn mit geflügelten Worten:
Thut es, Nachbar, und geht und erkundigt Euch. Aber ich wünsche,
Daß der Herr Pfarrer sich auch in Eurer Gesellschaft befinde;
Zwei so treffliche Männer sind unverwerfliche Zeugen.
O, mein Vater! sie ist nicht hergelaufen, das Mädchen,
Keine, die durch das Land auf Abenteuer umherschweift,
Und den Jüngling bestrickt, den unerfahrnen, mit Ränken.
Nein; das wilde Geschick des allverderblichen Krieges,
Das die Welt zerstört und manches feste Gebäude
Schon aus dem Grunde gehoben, hat auch die Arme vertrieben.
Streifen nicht herrliche Männer von hoher Geburt nun im Elend?
Fürsten fliehen vermummt, und Könige leben verbannet.
Ach, so ist auch sie, von ihren Schwestern die beste,
Aus dem Lande getrieben; ihr eigenes Unglück vergessend,
Steht sie anderen bei, ist ohne Hülfe noch hülfreich.
Groß sind Jammer und Noth, die über die Erde sich breiten;
Sollte nicht auch ein Glück aus diesem Unglück hervorgehn
Und ich, im Arme der Braut, der zuverlässigen Gattin,
Mich nicht erfreuen des Kriegs, so wie Ihr des Brandes Euch freutet?

Da versetzte der Vater und that bedeutend den Mund auf:
Wie ist, o Sohn, dir die Zunge gelöst, die schon dir im Munde
Lange Jahre gestockt und nur sich dürftig bewegte!
Muß ich doch heut' erfahren, was jedem Vater gedroht ist:
Daß den Willen des Sohns, den heftigen, gerne die Mutter
Allzugelind begünstigt und jeder Nachbar Partei nimmt,
Wenn es über den Vater nur hergeht oder den Ehmann.
Aber ich will Euch zusammen nicht widerstehen; was hülf' es?
Denn ich sehe doch schon hier Trotz und Thränen im voraus.
Gehet und prüfet und bringt in Gottes Namen die Tochter
Mir ins Haus; wo nicht, so mag er das Mädchen vergessen!

Also der Vater. Es rief der Sohn mit froher Gebärde:
Noch vor Abend ist Euch die trefflichste Tochter bescheret,
Wie sie der Mann sich wünscht, dem ein kluger Sinn in der Brust lebt.
Glücklich ist die Gute dann auch, so darf ich es hoffen;
Ja, sie danket mir ewig, dass ich ihr Vater und Mutter
Wiedergegeben in Euch, so wie sie verständige Kinder
Wünschen. Aber ich zaudre nicht mehr; ich schirre die Pferde
Gleich und führe die Freunde hinaus auf die Spur der Geliebten,
Ueberlasse die Männer sich selbst und der eigenen Klugheit,
Richte, so schwör ich Euch zu, mich ganz nach ihrer Entscheidung,
Und ich seh' es nicht wieder, als bis es mein ist, das Mädchen.
Und so ging er hinaus, indessen manches die andern
Weislich erwogen und schnell die wichtige Sache besprachen.

Hermann eilte zum Stalle sogleich, wo die muthigen Hengste
Ruhig standen, und rasch den reinen Hafer verzehrten
Und das trockene Heu, auf der besten Wiese gehauen.
Eilig legt' er ihnen darauf das blanke Gebiss an,
Zog die Riemen sogleich durch die schön versilberten Schnallen
Und befestigte dann die langen, breiteren Zügel,
Führte die Pferde heraus in den Hof, wo der willige Knecht schon
Vorgeschoben die Kutsche, sie leicht an der Deichsel bewegend.
Abgemessen knüpften sie drauf an die Wage mit saubern
Stricken die rasche Kraft der leicht hinziehenden Pferde.
Hermann fasste die Peitsche; dann saß er und rollt' in den Thorweg.
Als die Freunde nun gleich die geräumigen Plätze genommen,
Rollte der Wagen eilig und ließ das Pflaster zurücke,
Ließ zurück die Mauern der Stadt und die reinlichen Thürme.
So fuhr Hermann dahin, der wohlbekannten Chaussee zu,
Rasch, und säumete nicht und fuhr bergan wie bergunter.
Als er aber nunmehr den Thurm des Dorfes erblickte,
Und nicht fern mehr lagen die gartenumgebenen Häuser,
Dacht' er bei sich selbst, nun anzuhalten die Pferde.

Von dem würdigen Dunkel erhabener Linden umschattet,
Die Jahrhunderte schon an dieser Stelle gewurzelt,
War, mit Rasen bedeckt, ein weiter, grünender Anger
Vor dem Dorfe, den Bauern und nahen Städtern ein Lustort.
Flachgegraben befand sich unter den Bäumen ein Brunnen.
Stieg man die Stufen hinab, so zeigten sich steinerne Bänke,
Rings um die Quelle gesetzt, die immer lebendig hervorquoll,
Reinlich, mit niedriger Mauer gefaßt, zu schöpfen bequemlich.
Hermann aber beschloss, in diesem Schatten die Pferde
Mit dem Wagen zu halten. Er that so und sagte die Worte:
Steiget, Freunde, nun aus und geht, damit Ihr erfahret,
Ob das Mädchen auch werth der Hand sei, die ich ihr biete.
Zwar ich glaub' es, und mir erzählt Ihr nichts neues und seltnes;
Hätt' ich allein zu thun, so ging' ich behend zu dem Dorf hin,
Und mit wenigen Worten entschiede die Gute mein Schicksal.
Und Ihr werdet sie bald vor allen andern erkennen;
Denn wohl schwerlich ist an Bildung ihr eine vergleichbar.
Aber ich geb' Euch noch die Zeichen der reinlichen Kleider:
Denn der rothe Latz erhebt den gewölbeten Busen,
Schön geschnürt, und es liegt das schwarze Mieder ihr knapp an;
Sauber hat sie den Saum des Hemdes zur Krause gefaltet,
Die ihr das Kinn umgiebt, das runde, mit reinlicher Anmuth;
Frei und heiter zeigt sich des Kopfes zierliches Eirund;
Stark sind vielmal die Zöpfe um silberne Nadeln gewickelt;
Vielgefaltet und blau fängt unter dem Latze der Rock an,
Und umschlägt ihr im Gehn die wohlgebildeten Knöchel.
Doch das will ich Euch sagen und noch mir ausdrücklich erbitten:
Redet nicht mit dem Mädchen, und lasst nicht merken die Absicht,
Sondern befraget die andern und hört, was sie alles erzählen.
Habt Ihr Nachricht genug, zu beruhigen Vater und Mutter,
Kehret zu mir dann zurück, und wir bedenken das Weitre.
Also dacht' ich mir's aus, den Weg her, den wir gefahren.

Also sprach er. Es gingen darauf die Freunde dem Dorf zu,
Wo in Gärten und Scheunen und Häusern die Menge von Menschen
Wimmelte, Karrn an Karrn die breite Straße dahin stand.
Männer versorgten das brüllende Vieh und die Pferd' an den Wagen,
Wäsche trockneten emsig auf allen Hecken die Weiber,
Und es ergetzten die Kinder sich plätschernd im Wasser des Baches.
Also durch die Wagen sich drängend, durch Menschen und Thiere,
Sahen sie rechts und links sich um, die gesendeten Späher,
Ob sie nicht etwa das Bild des bezeichneten Mädchens erblickten;
Aber keine von allen erschien die herrliche Jungfrau.
Stärker fanden sie bald das Gedränge. Da war um die Wagen,
Streit der drohenden Männer, worein sich mischten die Weiber,
Schreiend. Da nahte sich schnell mit würdigen Schritten ein Alter,
Trat zu den Scheltenden hin; und sogleich verklang das Getöse,
Als er Ruhe gebot, und väterlich ernst sie bedrohte.
Hat uns, rief er, noch nicht das Unglück also gebändigt,
Daß wir endlich verstehn, uns untereinander zu dulden
Und zu vertragen, wenn auch nicht jeder die Handlungen abmißt?
Unverträglich fürwahr ist der Glückliche! Werden die Leiden
Endlich euch lehren, nicht mehr, wie sonst, mit dem Bruder zu hadern?
Gönnet einander den Platz auf fremdem Boden und theilet,
Was ihr habet, zusammen, damit ihr Barmherzigkeit findet!

Also sagte der Mann, und alle schwiegen; verträglich
Ordneten Vieh und Wagen die wieder besänftigten Menschen.
Als der Geistliche nun die Rede des Mannes vernommen
Und den ruhigen Sinn des fremden Richters entdeckte,
Trat er an ihn heran und sprach die bedeutenden Worte:
Vater, fürwahr! wenn das Volk in glücklichen Tagen dahin lebt,
Von der Erde sich nährend, die weit und breit sich aufthut,
Und die erwünschten Gaben in Jahren und Monden erneuert,
Da geht alles von selbst, und jeder ist sich der Klügste
Wie der Beste; und so bestehen sie neben einander,
Und der vernünftigste Mann ist wie ein andrer gehalten;
Denn was alles geschieht, geht still, wie von selber, den Gang fort.
Aber zerrüttet die Noth die gewöhnlichen Wege des Lebens,
Reißt das Gebäude nieder und wühlet Garten und Saat um,
Treibt den Mann und das Weib vom Raume der traulichen Wohnung,
Schleppt in die Irre sie fort, durch ängstliche Tage und Nächte:
Ach! da sieht man sich um, wer wohl der verständigste Mann sey,
Und er redet nicht mehr die herrlichen Worte vergebens.
Sagt mir, Vater, Ihr seyd gewiss der Richter von diesen
Flüchtigen Männern, der Ihr sogleich die Gemüther beruhigt?
Ja, Ihr erscheint mir heut' als einer der ältesten Führer,
Die durch Wüsten und Irren vertriebene Völker geleitet.
Denk' ich doch eben, ich rede mit Josua oder mit Moses.

Und es versetzte darauf mit ernstem Blicke der Richter:
Wahrlich, unsere Zeit vergleicht sich den seltensten Zeiten,
Die die Geschichte bemerkt, die heilige wie die gemeine.
Denn wer gestern und heut' in diesen Tagen gelebt hat,
Hat schon Jahre gelebt: so drängen sich alle Geschichten.
Denk' ich ein wenig zurück, so scheint mir ein graues Alter
Auf dem Haupte zu liegen, und doch ist die Kraft noch lebendig.
O, wir anderen dürfen uns wohl mit jenen vergleichen,
Denen in ernster Stund' erschien im feurigen Busche
Gott der Herr; auch uns erschien er in Wolken und Feuer.

Als nun der Pfarrer darauf noch weiter zu sprechen geneigt war,
Und das Schicksal des Manns und der Seinen zu hören verlangte,
Sagte behend der Gefährte mit heimlichen Worten ins Ohr ihm:
Sprecht mit dem Richter nur fort und bringt das Gespräch auf das Mädchen;
Aber ich gehe herum, sie aufzusuchen, und komme
Wieder, sobald ich sie finde. Es nickte der Pfarrer dagegen,
Und durch die Hecken und Gärten und Scheunen suchte der Späher.

*****

 

Das Zeitalter

Als nun der geistliche Herr den fremden Richter befragte,
Was die Gemeine gelitten, wie lang sie von Hause vertrieben,
Sagte der Mann darauf: Nicht kurz sind unsere Leiden;
Denn wir haben das Bittre der sämmtlichen Jahre getrunken,
Schrecklicher, weil auch uns die schönste Hoffnung zerstört ward.
Denn wer läugnet es wohl, daß hoch sich das Herz ihm erhoben,
Ihm die freiere Brust mit reineren Pulsen geschlagen,
Als sich der erste Glanz der neuen Sonne heranhob,
Als man hörte vom Rechte der Menschen, das allen gemein sey,
Von der begeisternden Freiheit und von der löblichen Gleichheit!
Damals hoffte jeder, sich selbst zu leben; es schien sich
Aufzulösen das Band, das viele Länder umstrickte,
Das der Müßiggang und der Eigennutz in der Hand hielt.
Schauten nicht alle Völker in jenen drängenden Tagen
Nach der Hauptstadt der Welt, die es schon so lange gewesen
Und jetzt mehr als je den herrlichen Namen verdiente?
Waren nicht jener Männer, der ersten Verkünder der Botschaft,
Namen den höchsten gleich, die unter die Sterne gesetzt sind?
Wuchs nicht jeglichem Menschen der Mut und der Geist und die Sprache?

Und wir waren zuerst, als Nachbarn, lebhaft entzündet.
Drauf begann der Krieg, und die Züge bewaffneter Franken
Rückten näher; allein sie schienen nur Freundschaft zu bringen.
Und sie brachten sie auch: denn ihnen erhöht war die Seele
Allen; sie pflanzten mit Lust die munteren Bäume der Freiheit,
Jedem das Seine versprechend, und jedem die eigne Regierung.
Hoch erfreute sich da die Jugend, sich freute das Alter,
Und der muntere Tanz begann um die neue Standarte.
So gewannen sie bald, die überwiegenden Franken,
Erst der Männer Geist, mit feurigem, munterm Beginnen,
Dann die Herzen der Weiber mit unwiderstehlicher Anmuth.
Leicht selbst schien uns der Druck des vielbedürfenden Krieges;
Denn die Hoffnung umschwebte vor unsern Augen die Ferne,
Lockte die Blicke hinaus in neueröffnete Bahnen.

O, wie froh ist die Zeit, wenn mit der Braut sich der Bräut'gam
Schwinget im Tanze, den Tag der gewünschten Verbindung erwartend!
Aber herrlicher war die Zeit, in der uns das Höchste,
Was der Mensch sich denkt, als nah und erreichbar sich zeigte.
Da war jedem die Zunge gelöst; es sprachen die Greise,
Männer und Jünglinge laut voll hohen Sinns und Gefühles.

Aber der Himmel trübte sich bald. Um den Vortheil der Herrschaft
Stritt ein verderbtes Geschlecht, unwürdig, das Gute zu schaffen.
Sie ermordeten sich und unterdrückten die neuen
Nachbarn und Brüder, und sandten die eigennützige Menge.
Und es praßten bei uns die Obern und raubten im Großen,
Und es raubten und praßten bis zu dem Kleinsten die Kleinen;
Jeder schien nur besorgt, es bleibe was übrig für morgen.
Allzugroß war die Noth, und täglich wuchs die Bedrückung;
Niemand vernahm das Geschrei, sie waren die Herren des Tages.
Da fiel Kummer und Wut auch selbst ein gelaßnes Gemüth an,
Jeder sann nur und schwur, die Beleidigung alle zu rächen,
Und den bittern Verlust der doppelt betrogenen Hoffnung.
Und es wendete sich das Glück auf die Seite der Deutschen,
Und der Franke floh mit eiligen Märschen zurücke.
Ach, da fühlten wir erst das traurige Schicksal des Krieges!
Denn der Sieger ist groß und gut; zum wenigsten scheint er's,
Und er schonet den Mann, den Besiegten, als wär' er der seine,
Wenn er ihm täglich nützt und mit den Gütern ihm dienet.
Aber der Flüchtige kennt kein Gesetz; denn er wehrt nur den Tod ab
Und verzehret nur schnell und ohne Rücksicht die Güter,
Dann ist sein Gemüth auch erhitzt, und es kehrt die Verzweiflung
Aus dem Herzen hervor das frevelhafte Beginnen.
Nichts ist heilig ihm mehr; er raubt es. Die wilde Begierde
Dringt mit Gewalt auf das Weib, und macht die Lust zum Entsetzen.
Ueberall sieht er den Tod und genießt die letzten Minuten
Grausam, freut sich des Bluts, und freut sich des heulenden Jammers.

Grimmig erhob sich darauf in unsern Männern die Wuth nun,
Das Verlorne zu rächen und zu vertheid'gen die Reste.
Alles ergriff die Waffen, gelockt von der Eile des Flüchtlings
Und vom blassen Gesicht und scheu unsicheren Blicke.
Rastlos nun erklang das Getön der stürmenden Glocke,
Und die künft'ge Gefahr hielt nicht die grimmige Wuth auf.
Schnell verwandelte sich des Feldbau's friedliche Rüstung
Nun in Wehre; da troff von Blute Gabel und Sense.
Ohne Begnadigung fiel der Feind und ohne Verschonung;
Ueberall raste die Wuth und die feige tückische Schwäche.
Möcht' ich den Menschen doch nie in dieser schnöden Verirrung
Wiedersehn! Das wüthende Thier ist ein besserer Anblick.
Sprech' er doch nie von Freiheit, als könn' er sich selber regieren!
Losgebunden erscheint, sobald die Schranken hinweg sind,
Alles Böse, das tief das Gesetz in die Winkel zurücktrieb.

Trefflicher Mann! versetzte darauf der Pfarrer mit Nachdruck,
Wenn ihr den Menschen verkennt, so kann ich Euch darum nicht schelten;
Habt Ihr doch Böses genug erlitten vom wüsten Beginnen!
Wolltet Ihr aber zurück die traurigen Tage durchschauen,
Würdet Ihr selber gestehen, wie oft Ihr auch Gutes erblicktet,
Manches Treffliche, das verborgen bleibt in dem Herzen,
Regt die Gefahr es nicht auf, und drängt die Noth nicht den Menschen,
Daß er als Engel sich zeig', erscheine den andern ein Schutzgott.

Lächelnd versetzte darauf der alte würdige Richter:
Ihr erinnert mich klug, wie oft nach dem Brande des Hauses
Man den betrübten Besitzer an Gold und Silber erinnert,
Das geschmolzen im Schutt nun überblieben zerstreut liegt.
Wenig ist es fürwahr, doch auch das wenige köstlich;
Und der Verarmte gräbet ihm nach, und freut sich des Fundes,
Und so kehr' ich auch gern die heitern Gedanken zu jenen
Wenigen guten Thaten, die aufbewahrt das Gedächtniß.
Ja, ich will es nicht läugnen, ich sah sich Feinde versöhnen,
Um die Stadt vom Uebel zu retten; ich sah auch der Freunde,
Sah der Eltern Lieb' und der Kinder Unmögliches wagen;
Sah, wie der Jüngling auf einmal zum Mann ward, sah, wie der Greis sich
Wieder verjüngte, das Kind sich selbst als Jüngling enthüllte;
Ja, und das schwache Geschlecht, so wie es gewöhnlich genannt wird,
Zeigte sich tapfer und mächtig, und gegenwärtigen Geistes.
Und so laßt mich vor allen der schönen That noch erwähnen,
Die hochherzig ein Mädchen vollbrachte, die treffliche Jungfrau,
Die auf dem großen Gehöft allein mit den Mädchen zurückblieb;
Denn es waren die Männer auch gegen die Fremden gezogen.
Da überfiel den Hof ein Trupp verlaufnen Gesindels,
Plündernd, und drängte sogleich sich in die Zimmer der Frauen.
Sie erblickten das Bild der schön erwachsenen Jungfrau
Und die lieblichen Mädchen, noch eher Kinder zu heißen.
Da ergriff sie wilde Begier; sie stürmten gefühllos
Auf die zitternde Schaar und aufs hochherzige Mädchen.
Aber sie riß dem einen sogleich von der Seite den Säbel,
Hieb ihn nieder gewaltig; er stürzt' ihr blutend zu Füßen.
Dann mit männlichen Streichen befreite sie tapfer die Mädchen,
Traf noch viere der Räuber; doch die entflohen dem Tode.
Dann verschloß sie den Hof, und harrte der Hülfe, bewaffnet.

Als der Geistliche nun das Lob des Mädchens vernommen,
Stieg die Hoffnung sogleich für seinen Freund im Gemüth auf,
Und er war im Begriff, zu fragen, wohin sie gerathen?
Ob auf der traurigen Flucht sie nun mit dem Volk sich befinde?

Aber da trat herbei der Apotheker behende,
Zupfte den geistlichen Herrn und sagte die wispernden Worte:
Hab' ich doch endlich das Mädchen aus vielen hundert gefunden,
Nach der Beschreibung! So kommt und sehet sie selber mit Augen;
Nehmet den Richter mit Euch, damit wir das Weitere hören!
Und sie kehrten sich um, und weg ward gerufen der Richter
Von den Seinen, die ihn, bedürftig des Rathes, verlangten.

Doch es folgte sogleich dem Apotheker der Pfarrherr
An die Lücke des Zauns, und jener deutete listig.
Seht Ihr, sagt' er, das Mädchen? Sie hat die Puppe gewickelt,
Und ich erkenne genau den alten Cattun und den blauen
Kissenüberzug wohl, den ihr Hermann im Bündel gebracht hat.
Sie verwendete schnell, fürwahr, und gut die Geschenke.
Diese sind deutliche Zeichen, es treffen die übrigen alle;
Denn der rothe Latz erhebt den gewölbeten Busen,
Schön geschnürt, und es liegt das schwarze Mieder ihr knapp an;
Sauber ist der Saum des Hemdes zur Krause gefaltet
Und umgiebt ihr das Kinn, das runde, mit reinlicher Anmuth;
Frei und heiter zeigt sich des Kopfes zierliches Eirund,
Und die starken Zöpfe um silberne Nadeln gewickelt;
Sitzt sie gleich, so sehen wir doch die treffliche Größe,
Und den blauen Rock, der, vielgefaltet, vom Busen
Reichlich herunterwallt zum wohlgebildeten Knöchel.
Ohne Zweifel ist sie's. Drum kommet, damit wir vernehmen,
Ob sie gut und tugendhaft sey, ein häusliches Mädchen.

Da versetzte der Pfarrer, mit Blicken die Sitzende prüfend:
Daß sie den Jüngling entzückt, fürwahr, es ist mir kein Wunder,
Denn sie hält vor dem Blick des erfahrenen Mannes die Probe.
Glücklich, wem doch Mutter Natur die rechte Gestalt gab!
Denn sie empfiehlet ihn stets, und nirgends ist er ein Fremdling.
Jeder nahet sich gern, und jeder möchte verweilen,
Wenn die Gefälligkeit nur sich zu der Gestalt noch gesellet.
Ich versichr' Euch, es ist dem Jüngling ein Mädchen gefunden,
Das ihm die künftigen Tage des Lebens herrlich erheitert,
Treu mit weiblicher Kraft durch alle Zeiten ihm beisteht.
So ein vollkommener Körper gewiß verwahrt auch die Seele
Rein, und die rüstige Jugend verspricht ein glückliches Alter.

Und es sagte darauf der Apotheker bedenklich:
Trüget doch öfter der Schein! Ich mag dem Aeußern nicht trauen,
Denn ich habe das Sprichwort so oft erprobet gefunden:
Eh' du den Scheffel Salz mit dem neuen Bekannten verzehret,
Darfst du nicht leichtlich ihm trauen; dich macht die Zeit nur gewisser,
Wie du es habest mit ihm und wie die Freundschaft bestehe.
Lasset uns also zuerst bei guten Leuten uns umthun,
Denen das Mädchen bekannt ist, und die uns von ihr nun erzählen.

Auch ich lobe die Vorsicht, versetzte der Geistliche folgend;
Frein wir doch nicht für uns! Für andere frein ist bedenklich.
Und sie gingen darauf dem wackern Richter entgegen,
Der in seinen Geschäften die Straße wieder heraufkam.
Und zu ihm sprach sogleich der kluge Pfarrer mit Vorsicht:
Sagt! wir haben ein Mädchen gesehn, das im Garten zunächst hier
Unter dem Apfelbaum sitzt und Kindern Kleider verfertigt
Aus getragnem Kattun, der ihr vermuthlich geschenkt ward.
Uns gefiel die Gestalt, sie scheinet der Wackeren eine.
Saget uns, was Ihr wißt; wir fragen aus löblicher Absicht.

Als, in den Garten zu blicken der Richter sogleich nun herzutrat,
Sagt' er: Diese kennet Ihr schon; denn wenn ich erzählte
Von der herrlichen That, die jene Jungfrau verrichtet,
Als sie das Schwert ergriff und sich und die Ihren beschützte –
Diese war's! Ihr seht es ihr an, sie ist rüstig geboren,
Aber so gut wie stark; denn ihren alten Verwandten
Pflegte sie bis zum Tode, da ihn der Jammer dahinriß
Ueber des Städtchens Not und seiner Besitzung Gefahren.
Auch, mit stillem Gemüth, hat sie die Schmerzen ertragen
Ueber des Bräutigams Tod, der, ein edler Jüngling, im ersten
Feuer des hohen Gedankens, nach edler Freiheit zu streben,
Selbst hinging nach Paris und bald den schrecklichen Tod fand;
Denn wie zu Hause, so dort, bestritt er Willkür und Ränke.
Also sagte der Richter. Die beiden schieden und dankten,
Und der Geistliche zog ein Goldstück (das Silber des Beutels
War vor einigen Stunden von ihm schon milde verspendet,
Als er die Flüchtlinge sah in traurigen Haufen vorbeiziehn),
Und er reicht' es dem Schulzen und sagte: »Theilet den Pfennig
Unter die Dürftigen aus, und Gott vermehre die Gabe!
Doch es weigerte sich der Mann, und sagte: Wir haben
Manchen Thaler gerettet und manche Kleider und Sachen,
Und ich hoffe, wir kehren zurück, noch eh es verzehrt ist.

Da versetzte der Pfarrer und drückt' ihm das Geld in die Hand ein:
Niemand säume zu geben in diesen Tagen, und niemand
Weigre sich anzunehmen, was ihm die Milde geboten!
Niemand weiß, wie lang' er es hat, was er ruhig besitzet;
Niemand, wie lang' er noch in fremden Landen umherzieht
Und des Ackers entbehrt und des Gartens, der ihn ernähret.

Ei doch! sagte darauf der Apotheker geschäftig,
Wäre mir jetzt nur Geld in der Tasche, so solltet Ihr's haben,
Groß wie klein; denn viele gewiss der Euren bedürfen's.
Unbeschenkt doch laß ich Euch nicht, damit Ihr den Willen
Sehet, woferne die Tat auch hinter dem Willen zurückbleibt.
Also sprach er und zog den gestickten ledernen Beutel
An den Riemen hervor, worin der Toback ihm verwahrt war,
Oeffnete zierlich und theilte; da fanden sich einige Pfeifen.
Klein ist die Gabe, setzt' er dazu. Da sagte der Schultheiß:
Guter Toback ist doch dem Reisenden immer willkommen.
Und es lobte darauf der Apotheker den Knaster.

Aber der Pfarrherr zog ihn hinweg, und sie schieden vom Richter.
Eilen wir! sprach der verständige Mann; es wartet der Jüngling
Peinlich! er höre so schnell als möglich die fröhliche Botschaft.
Und sie eilten und kamen und fanden den Jüngling gelehnet
An den Wagen unter den Linden. Die Pferde zerstampften
Wild den Rasen; er hielt sie im Zaum, und stand in Gedanken,
Blickte still vor sich hin und sah die Freunde nicht eher,
Bis sie kommend ihn riefen und fröhliche Zeichen ihm gaben.
Schon so ferne begann der Apotheker zu sprechen;
Doch sie traten näher hinzu. Da faßte der Pfarrherr
Seine Hand, und sprach und nahm dem Gefährten das Wort weg:
Heil dir, junger Mann! dein treues Auge, dein treues
Herz hat richtig gewählt! Glück dir und dem Weibe der Jugend!
Deiner ist sie werth; drum komm und wende den Wagen,
Daß wir fahrend sogleich die Ecke des Dorfes erreichen,
Um sie werben und bald nach Hause führen die Gute.

Aber der Jüngling stand, und ohne Zeichen der Freude
Hört' er die Worte des Boten, die himmlisch waren und tröstlich,
Seufzete tief und sprach: Wir kamen mit eilendem Fuhrwerk,
Und wir ziehen vielleicht beschämt und langsam nach Hause;
Denn hier hat mich, seitdem ich warte, die Sorge befallen,
Argwohn und Zweifel und alles, was nur ein liebendes Herz kränkt.
Glaubt Ihr, wenn wir nur kommen, so werde das Mädchen uns folgen,
Weil wir reich sind, aber sie arm und vertrieben einherzieht?
Armuth selbst macht stolz, die unverdiente. Genügsam
Scheint das Mädchen und thätig; und so gehört ihr die Welt an.
Glaubt Ihr, es sei ein Weib von solcher Schönheit und Sitte
Aufgewachsen, um nie den guten Jüngling zu reizen?
Glaubt Ihr, sie habe bis jetzt ihr Herz verschlossen der Liebe?
Fahret nicht rasch bis hinan; wir möchten zu unsrer Beschämung
Sachte die Pferde herum nach Hause lenken. Ich fürchte
Irgendein Jüngling besitzt dies Herz, und die wackere Hand hat
Eingeschlagen und schon dem Glücklichen Treue versprochen.
Ach! da steh' ich vor ihr mit meinem Antrag beschämet.

Ihn zu trösten, öffnete drauf der Pfarrer den Mund schon;
Doch es fiel der Gefährte mit seiner gesprächigen Art ein:
Freilich! so wären wir nicht vorzeiten verlegen gewesen,
Da ein jedes Geschäft nach seiner Weise vollbracht ward.
Hatten die Eltern die Braut für ihren Sohn sich ersehen,
Ward zuvörderst ein Freund vom Hause vertraulich gerufen;
Diesen sandte man dann als Freiersmann zu den Eltern
Der erkorenen Braut, der dann in stattlichem Putze,
Sonntags etwa nach Tische, den würdigen Bürger besuchte,
Freundliche Worte mit ihm im allgemeinen zuvörderst
Wechselnd, und klug das Gespräch zu lenken und wenden verstehend.
Endlich nach langem Umschweif ward auch der Tochter erwähnet,
Rühmlich, und rühmlich des Manns und des Hauses, von dem man gesandt war.
Kluge Leute merkten die Absicht; der kluge Gesandte
Merkte den Willen gar bald, und konnte sich weiter erklären.
Lehnte den Antrag man ab, so war auch ein Korb nicht verdrießlich.
Aber gelang es denn auch, so war der Freiersmann immer
In dem Hause der Erste bei jedem häuslichen Feste;
Denn es erinnerte sich durchs ganze Leben das Ehpaar,
Daß die geschickte Hand den ersten Knoten geschlungen.
Jetzt ist aber das alles, mit andern guten Gebräuchen,
Aus der Mode gekommen, und jeder freit für sich selber.
Nehme denn jeglicher auch den Korb mit eigenen Händen,
Der ihm etwa beschert ist, und stehe beschämt vor dem Mädchen!

Sey es, wie ihm auch sey versetzte der Jüngling, der kaum auf
Alle die Worte gehört und schon sich im Stillen entschlossen.
Selber geh' ich und will mein Schicksal selber erfahren
Aus dem Munde des Mädchens, zu dem ich das größte Vertrauen
Hege, das irgend ein Mensch nur je zu dem Weibe gehegt hat.
Was sie sagt, das ist gut, es ist vernünftig, das weiß ich.
Soll ich sie auch zum letztenmal sehn, so will ich noch einmal
Diesem offenen Blick des schwarzen Auges begegnen;
Drück' ich sie nie an das Herz, so will ich die Brust und die Schultern
Einmal noch sehn, die mein Arm so sehr zu umschließen begehret;
Will den Mund noch sehen, von dem ein Kuß und das Ja mich
Glücklich macht auf ewig, das Nein mich auf ewig zerstöret.
Aber laßt mich allein! Ihr sollt nicht warten. Begebet
Euch zu Vater und Mutter zurück, damit sie erfahren,
Daß sich der Sohn nicht geirrt, und daß es werth ist, das Mädchen.
Und so laßt mich allein! Den Fußweg über den Hügel
An den Birnbaum hin, und unsern Weinberg hinunter
Geh' ich näher nach Hause zurück. O, dass ich die Traute
Freudig und schnell heimführte! Vielleicht auch schleich ich alleine
Jene Pfade nach Haus, und betrete froh sie nicht wieder.

Also sprach er und gab dem geistlichen Herren die Zügel,
Der verständig sie faße, die schäumenden Rosse beherrschend,
Schnell den Wagen bestieg und den Sitz des Führers besetzte.

Aber du zaudertest noch, vorsichtiger Nachbar, und sagtest:
Gerne vertrau' ich, mein Freund, Euch Seel' und Geist und Gemüth an;
Aber Leib und Gebein ist nicht zum besten verwahret,
Wenn die geistliche Hand der weltlichen Zügel sich anmaßt.
Doch du lächeltest drauf, verständiger Pfarrer, und sagtest:
Sitzet nur ein, und getrost vertraut mir den Leib, wie die Seele;
Denn geschickt ist die Hand schon lange, den Zügel zu führen,
Und das Auge geübt, die künstlichste Wendung zu treffen;
Denn wir waren in Straßburg gewohnt, den Wagen zu lenken,
Als ich den jungen Baron dahin begleitete; täglich
Rollte der Wagen, geleitet von mir, das hallende Thor durch,
Staubige Wege hinaus, bis fern zu den Auen und Linden,
Mitten durch Schaaren des Volks, das mit Spazieren den Tag lebt.

Halb getröstet bestieg darauf der Nachbar den Wagen,
Saß wie einer, der sich zum weislichen Sprunge bereitet;
Und die Hengste rannten nach Hause, begierig des Stalles.
Aber die Wolke des Staubs quoll unter den mächtigen Hufen.
Lange noch stand der Jüngling, und sah den Staub sich erheben,
Sah den Staub sich zerstreun; so stand er ohne Gedanken.

*****

 

Dorothea

 

Wie der wandernde Mann, der vor dem Sinken der Sonne
Sie noch einmal ins Auge, die schnellverschwindende, faßte,
Dann im dunkeln Gebüsch und an der Seite des Felsens
Schweben siehet ihr Bild; wohin er die Blicke nur wendet,
Eilet es vor und glänzt und schwankt in herrlichen Farben:
So bewegte vor Hermann die liebliche Bildung des Mädchens
Sanft sich vorbei, und schien dem Pfad' ins Getreide zu folgen.
Aber er fuhr aus dem staunenden Traum auf, wendete langsam
Nach dem Dorfe sich zu, und staunte wieder; denn wieder
Kam ihm die hohe Gestalt des herrlichen Mädchens entgegen.
Fest betrachtet' er sie; es war kein Scheinbild, sie war es
Selber. Den größeren Krug und einen kleinern am Henkel
Tragend in jeglicher Hand, so schritt sie geschäftig zum Brunnen.
Und er ging ihr freudig entgegen. Es gab ihm ihr Anblick
Muth und Kraft; er sprach zu seiner Verwunderten also:
Find' ich dich, wackeres Mädchen, so bald aufs neue beschäftigt,
Hülfreich andern zu seyn und gern zu erquicken die Menschen?
Sag', warum kommst du allein zum Quell, der doch so entfernt liegt,
Da sich andere doch mit dem Wasser des Dorfes begnügen?
Freilich ist dieß von besonderer Kraft und lieblich zu kosten.
Jener Kranken bringst du es wohl, die du treulich gerettet?

Freundlich begrüßte sogleich das gute Mädchen den Jüngling,
Sprach: So ist schon hier der Weg mir zum Brunnen belohnet,
Da ich finde den Guten, der uns so vieles gereicht hat;
Denn der Anblick des Gebers ist, wie die Gaben, erfreulich.
Kommt und sehet doch selber, wer Eure Milde genossen,
Und empfanget den ruhigen Dank von allen Erquickten.
Daß Ihr aber sogleich vernehmet, warum ich gekommen,
Hier zu schöpfen, wo rein und unablässig der Quell fließt,
Sag' ich Euch dieß: es haben die unvorsichtigen Menschen
Alles Wasser getrübt im Dorfe, mit Pferden und Ochsen
Gleich durchwatend den Quell, der Wasser bringt den Bewohnern.
Und so haben sie auch mit Waschen und Reinigen alle
Tröge des Dorfes beschmutzt und alle Brunnen besudelt;
Denn ein jeglicher denkt nur, sich selbst und das nächste Bedürfniß
Schnell zu befried'gen und rasch, und nicht des Folgenden denkt er.

Also sprach sie und war die breiten Stufen hinunter
Mit dem Begleiter gelangt; und auf das Mäuerchen setzten
Beide sich nieder des Quells. Sie beugte sich über, zu schöpfen;
Und er fasste den anderen Krug, und beugte sich über.
Und sie sahen gespiegelt ihr Bild in der Bläue des Himmels
Schwanken, und nickten sich zu, und grüßten sich freundlich im Spiegel.
Laß mich trinken, sagte darauf der heitere Jüngling;
Und sie reicht' ihm den Krug. Dann ruhten sie beide, vertraulich
Auf die Gefäße gelehnt; sie aber sagte zum Freunde:
Sage, wie find' ich dich hier? und ohne Wagen und Pferde
Ferne vom Ort, wo ich erst dich gesehn? wie bist du gekommen?

Denkend schaute Hermann zur Erde; dann hob er die Blicke
Ruhig gegen sie auf und sah ihr freundlich ins Auge,
Fühlte sich still und getrost. Jedoch ihr von Liebe zu sprechen,
Wär' ihm unmöglich gewesen; ihr Auge blickte nicht Liebe,
Aber hellen Verstand, und gebot verständig zu reden.
Und er faßte sich schnell, und sagte traulich zum Mädchen:
»Laß mich reden, mein Kind, und deine Fragen erwiedern.
Deinetwegen kam ich hierher! was soll ich's verbergen?
Denn ich lebe beglückt mit beiden liebenden Eltern
Denen ich treulich das Haus und die Güter helfe verwalten,
Als der einzige Sohn, und unsre Geschäfte sind vielfach.
Alle Felder besorg' ich, der Vater waltet im Hause
Fleißig, die thätige Mutter belebt im Ganzen die Wirthschaft.
Aber du hast gewiß auch erfahren, wie sehr das Gesinde
Bald durch Leichtsinn und bald durch Untreu plaget die Hausfrau,
Immer sie nöthigt zu wechseln und Fehler um Fehler zu tauschen.
Lange wünschte die Mutter daher sich ein Mädchen im Hause,
Das mit der Hand nicht allein, das auch mit dem Herzen ihr hülfe
An der Tochter Statt, der leider frühe verlornen.
Nun, als ich heut' am Wagen dich sah, in froher Gewandtheit,
Sah die Stärke des Arms und die volle Gesundheit der Glieder,
Als ich die Worte vernahm, die verständigen, war ich betroffen,
Und ich eilte nach Hause, den Eltern und Freunden die Fremde
Rühmend nach ihrem Verdienst. Nun komm ich dir aber zu sagen,
Was sie wünschen wie ich. – Verzeih mir die stotternde Rede.

Scheuet Euch nicht, so sagte sie drauf, das Weitre zu sprechen;
Ihr beleidigt mich nicht, ich hab' es dankbar empfunden.
Sagt es nur grad' heraus; mich kann das Wort nicht erschrecken:
Dingen möchtet Ihr mich als Magd für Vater und Mutter,
Zu versehen das Haus, das wohlerhalten Euch dasteht;
Und Ihr glaubet an mir ein tüchtiges Mädchen zu finden,
Zu der Arbeit geschickt und nicht von rohem Gemüthe.
Euer Antrag war kurz, so soll die Antwort auch kurz sein.
Ja, ich gehe mit Euch und folge dem Rufe des Schicksals.
Meine Pflicht ist erfüllt, ich habe die Wöchnerin wieder
Zu den Ihren gebracht, sie freuen sich alle der Rettung;
Schon sind die meisten beisammen, die übrigen werden sich finden.
Alle denken gewiß, in kurzen Tagen zur Heimath
Wiederzukehren; so pflegt sich stets der Vertriebne zu schmeicheln.
Aber ich täusche mich nicht mit leichter Hoffnung in diesen
Traurigen Tagen, die uns noch traurige Tage versprechen:
Denn gelöst sind die Bande der Welt; wer knüpfet sie wieder
Als allein nur die Noth, die höchste, die uns bevorsteht!
Kann ich im Hause des würdigen Manns mich, dienend, ernähren
Unter den Augen der trefflichen Frau, so thu' ich es gerne;
Denn ein wanderndes Mädchen ist immer von schwankendem Rufe.
Ja, ich gehe mit Euch, sobald ich die Krüge den Freunden
Wiedergebracht und noch mir den Segen der Guten erbeten.
Kommt! Ihr müsset sie sehen, und mich von ihnen empfangen.

Fröhlich hörte der Jüngling des willigen Mädchens Entschließung,
Zweifelnd, ob er ihr nun die Wahrheit sollte gestehen.
Aber es schien ihm das Beste zu sein, in dem Wahn sie zu laßen,
In sein Haus sie zu führen, zu werben um Liebe nur dort erst.
Ach! und den goldenen Ring erblickt' er am Finger des Mädchens;
Und so ließ er sie sprechen, und horchte fleißig den Worten.

Laßt uns, fuhr sie nun fort, »zurücke kehren! Die Mädchen
Werden immer getadelt, die lange beim Brunnen verweilen;
Und doch ist es am rinnenden Quell so lieblich zu schwätzen.
Also standen sie auf und schauten beide noch einmal
In den Brunnen zurück, und süßes Verlangen ergriff sie.

Schweigend nahm sie darauf die beiden Krüge beim Henkel,
Stieg die Stufen hinan, und Hermann folgte der Lieben.
Einen Krug verlangt' er von ihr, die Bürde zu theilen.
Laßt ihn, sprach sie; es trägt sich besser die gleichere Last so.
Und der Herr, der künftig befiehlt, er soll mir nicht dienen.
Seht mich so ernst nicht an, als wäre mein Schicksal bedenklich!
Dienen lerne bei Zeiten das Weib nach ihrer Bestimmung;
Denn durch Dienen allein gelangt sie endlich zum Herrschen,
Zu der verdienten Gewalt, die doch ihr im Hause gehöret.
Dienet die Schwester dem Bruder doch früh, sie dienet den Eltern,
Und ihr Leben ist immer ein ewiges Gehen und Kommen,
Oder ein Heben und Tragen, Bereiten und Schaffen für andre.
Wohl ihr, wenn sie daran sich gewöhnt, daß kein Weg ihr zu sauer
Wird, und die Stunden der Nacht ihr sind wie die Stunden des Tages,
Daß ihr niemals die Arbeit zu klein und die Nadel zu fein dünkt,
Daß sie sich ganz vergißt und leben mag nur in andern!
Denn als Mutter, fürwahr, bedarf sie der Tugenden alle,
Wenn der Säugling die Krankende weckt und Nahrung begehret
Von der Schwachen, und so zu Schmerzen Sorgen sich häufen.
Zwanzig Männer verbunden ertrügen nicht diese Beschwerde,
Und sie sollen es nicht; doch sollen sie dankbar es einsehn.

Also sprach sie, und war mit ihrem stillen Begleiter
Durch den Garten gekommen, bis an die Tenne der Scheune,
Wo die Wöchnerin lag, die sie froh mit den Töchtern verlassen,
Jenen geretteten Mädchen, den schönen Bildern der Unschuld.
Beide traten hinein; und von der anderen Seite
Trat, ein Kind an jeglicher Hand, der Richter zugleich ein.
Diese waren bisher der jammernden Mutter verloren;
Aber gefunden hatte sie nun im Gewimmel der Alte.
Und sie sprangen mit Lust, die liebe Mutter zu grüßen,
Sich des Bruders zu freun, des unbekannten Gespielen;
Auf Dorotheen sprangen sie dann und grüßten sie freundlich,
Brot verlangend und Obst, vor allem aber zu trinken.
Und sie reichte das Wasser herum. Da tranken die Kinder,
Und die Wöchnerin trank mit den Töchtern, so trank auch der Richter.
Alle waren geletzt, und lobten das herrliche Wasser;
Säuerlich war's und erquicklich, gesund zu trinken den Menschen.

Da versetzte das Mädchen mit ernsten Blicken und sagte:
Freunde, dieses ist wohl das letztemal, daß ich den Krug Euch
Führe zum Munde, daß ich die Lippen mit Wasser Euch netze;
Aber wenn Euch fortan am heißen Tage der Trunk labt,
Wenn Ihr im Schatten der Ruh' und der reinen Quellen genießet,
Dann gedenket auch mein und meines freundlichen Dienstes,
Den ich aus Liebe mehr als aus Verwandtschaft geleistet.
Was Ihr mir Gutes erzeigt, erkenn' ich durchs künftige Leben.
Ungern laß' ich Euch zwar; doch jeder ist dießmal dem andern
Mehr zur Last als zum Trost, und alle müssen wir endlich
Uns im fremden Lande zerstreun, wenn die Rückkehr versagt ist.
Seht, hier steht der Jüngling, dem wir die Gaben verdanken,
Diese Hülle des Kinds und jene willkommene Speise.
Dieser kommt und wirbt, in seinem Haus mich zu sehen,
Daß ich diene daselbst den reichen trefflichen Eltern;
Und ich schlag' es nicht ab; denn überall dienet das Mädchen,
Und ihr wäre zur Last, bedient im Hause zu ruhen.
Also folg' ich ihm gern; er scheint ein verständiger Jüngling,
Und so werden die Eltern es seyn, wie Reichen geziemet.
Darum lebet nun wohl, geliebte Freundin, und freuet
Euch des lebendigen Säuglings, der schon so gesund Euch anblickt.
Drücket Ihr ihn an die Brust in diesen farbigen Wickeln,
Oh, so gedenket des Jünglings, des guten, der sie uns reichte,
Und der künftig auch mich, die Eure, nähret und kleidet
Und Ihr, trefflicher Mann, so sprach sie, gewendet zum Richter,
Habet Dank, daß Ihr Vater mir wart in mancherlei Fällen!

Und sie kniete darauf zur guten Wöchnerin nieder,
Küßte die weinende Frau, und vernahm des Segens Gelispel.
Aber du sagtest indeß, ehrwürdiger Richter, zu Hermann:
»Billig seyd Ihr, o Freund, zu den guten Wirthen zu zählen,
Die mit tüchtigen Menschen den Haushalt zu führen bedacht sind.
Denn ich habe wohl oft gesehn, dass man Rinder und Pferde,
So wie Schafe, genau bei Tausch und Handel betrachtet;
Aber den Menschen, der alles erhält, wenn er tüchtig und gut ist,
Und der alles zerstreut und zerstört durch falsches Beginnen,
Diesen nimmt man nur so auf Glück und Zufall ins Haus ein,
Und bereuet zu spät ein übereiltes Entschließen.
Aber es scheint, Ihr versteht's; denn Ihr habt ein Mädchen erwählet,
Euch zu dienen im Haus und Euren Eltern, das brav ist.
Haltet sie wohl! Ihr werdet, solang sie der Wirtschaft sich annimmt,
Nicht die Schwester vermissen, noch Eure Eltern die Tochter.

Viele kamen indeß der Wöchnerin nahe Verwandte,
Manches bringend und ihr die bessere Wohnung verkündend.
Alle vernahmen des Mädchens Entschluss und segneten Hermann
Mit bedeutenden Blicken und mit besondern Gedanken.
Denn so sagte wohl eine zur andern flüchtig ans Ohr hin:
Wenn aus dem Herrn ein Bräutigam wird, so ist sie geborgen.
Hermann faßte darauf sie bei der Hand an und sagte:
Laß uns gehen! es neigt sich der Tag, und fern ist das Städtchen.«
Lebhaft gesprächig umarmten darauf Dorotheen die Weiber.
Hermann zog sie hinweg; noch viele Grüße befahl sie.
Aber da fielen die Kinder, mit Schrein und entsetzlichem Weinen,
Ihr in die Kleider und wollten die zweite Mutter nicht lassen.
Aber ein' und die andre der Weiber sagte gebietend:
Stille, Kinder! sie geht in die Stadt, und bringt euch des guten
Zuckerbrodes genug, das euch der Bruder bestellte,
Als der Storch ihn jüngst beim Zuckerbäcker vorbeitrug,
Und ihr sehet sie bald mit den schön vergoldeten Deuten.
Und so ließen die Kinder sie los, und Hermann entriß sie
Noch den Umarmungen kaum und den ferne winkenden Tüchern.

*****

 

Herrmann und Dorothea

Also gingen die zwei entgegen der sinkenden Sonne,
Die in Wolken sich tief, gewitterdrohend, verhüllte,
Aus dem Schleier, bald hier bald dort, mit glühenden Blicken
Strahlend über das Feld die ahnungsvolle Beleuchtung.
Möge das drohende Wetter, so sagte Hermann, nicht etwa
Schloßen uns bringen und heftigen Guß; denn schön ist die Ernte.
Und sie freuten sich beide des hohen wankenden Kornes,
Das die Durchschreitenden fast, die hohen Gestalten, erreichte.
Und es sagte darauf das Mädchen zum leitenden Freunde:
Guter, dem ich zunächst ein freundlich Schicksal verdanke,
Dach und Fach, wenn im Freien so manchem Vertriebnen der Sturm dräut!
Saget mir jetzt vor allem, und lehret die Eltern mich kennen,
Denen ich künftig zu dienen von ganzer Seele geneigt bin;
Denn kennt jemand den Herrn, so kann er ihm leichter genug thun,
Wenn er die Dinge bedenkt, die jenem die wichtigsten scheinen,
Und auf die er den Sinn, den festbestimmten, gesetzt hat.
Darum saget mir doch: wie gewinn' ich Vater und Mutter?

Und es versetzte dagegen der gute, verständige Jüngling:
O, wie geb' ich dir recht, du gutes, treffliches Mädchen,
Daß du zuvörderst dich nach dem Sinne der Eltern befragest!
Denn so strebt' ich bisher vergebens, dem Vater zu dienen,
Wenn ich der Wirthschaft mich, als wie der meinigen, annahm,
Früh den Acker und spät und so besorgend den Weinberg.
Meine Mutter befriedigt' ich wohl, sie wußt' es zu schätzen;
Und so wirst du ihr auch das trefflichste Mädchen erscheinen,
Wenn du das Haus besorgst, als wenn du das Deine bedächtest.
Aber dem Vater nicht so; denn dieser liebet den Schein auch.
Gutes Mädchen, halte mich nicht für kalt und gefühllos,
Wenn ich den Vater dir sogleich, der Fremden, enthülle.
Ja, ich schwör' es, das erstemal ist's, daß frei mir ein solches
Wort die Zunge verlässt, die nicht zu schwatzen gewohnt ist;
Aber du lockst mir hervor aus der Brust ein jedes Vertrauen.
Einige Zierde verlangt der gute Vater im Leben,
Wünschet äußere Zeichen der Liebe, so wie der Verehrung,
Und er würde vielleicht vom schlechteren Diener befriedigt,
Der dieß wüßte zu nutzen, und würde dem besseren gram seyn.

Freudig sagte sie drauf, zugleich die schnelleren Schritte
Durch den dunkelnden Pfad verdoppelnd mit leichter Bewegung:
Beide zusammen hoff' ich fürwahr zufrieden zu stellen;
Denn der Mutter Sinn ist wie mein eigenes Wesen,
Und der äußeren Zierde bin ich von Jugend nicht fremde.
Unsere Nachbarn, die Franken, in ihren früheren Zeiten
Hielten auf Höflichkeit viel; sie war dem Edlen und Bürger
Wie den Bauern gemein, und jeder empfahl sie den Seinen.
Und so brachten bei uns auf deutscher Seite gewöhnlich
Auch die Kinder des Morgens mit Händeküssen und Knixchen
Segenswünsche den Eltern und hielten sittlich den Tag aus.
Alles, was ich gelernt und was ich von jung auf gewohnt bin,
Was von Herzen mir geht – ich will es dem Alten erzeigen.
Aber wer sagt mir nunmehr: wie soll ich dir selber begegnen,
Dir, dem einzigen Sohn, und künftig meinem Gebieter?

Also sprach sie, und eben gelangten sie unter den Birnbaum.
Herrlich glänzte der Mond, der volle, vom Himmel herunter;
Nacht war's, völlig bedeckt das letzte Schimmern der Sonne.
Und so lagen vor ihnen in Massen gegen einander
Lichter, hell wie der Tag, und Schatten dunkeler Nächte.
Und es hörte die Frage, die freundliche, gern in dem Schatten
Hermann des herrlichen Baums, am Orte, der ihm so lieb war,
Der noch heute die Thränen um seine Vertriebne gesehen.
Und indem sie sich nieder ein wenig zu ruhen gesetzet,
Sagte der liebende Jüngling, die Hand des Mädchens ergreifend:
Lass dein Herz dir es sagen, und folg' ihm frei nur in allem.
Aber er wagte kein weiteres Wort, so sehr auch die Stunde
Günstig war; er fürchtete, nur ein Nein zu ereilen,
Ach! und er fühlte den Ring am Finger, das schmerzliche Zeichen.
Also saßen sie still und schweigend neben einander.
Aber das Mädchen begann und sagte: Wie find ich des Mondes
Herrlichen Schein so süß! er ist der Klarheit des Tags gleich.
Seh' ich doch dort in der Stadt die Häuser deutlich und Höfe,
An dem Giebel ein Fenster; mich däucht, ich zähle die Scheiben.

Was du siehst, versetzte darauf der gehaltene Jüngling,
Das ist unsere Wohnung, in die ich nieder dich führe,
Und dieß Fenster dort ist meines Zimmers im Dache,
Das vielleicht das deine nun wird; wir verändern im Hause.
Diese Felder sind unser, sie reifen zur morgenden Ernte.
Hier im Schatten wollen wir ruhn und des Mahles genießen.
Aber laß uns nunmehr hinab durch Weinberg und Garten
Steigen; denn sieh, es rückt das schwere Gewitter herüber,
Wetterleuchtend und bald verschlingend den lieblichen Vollmond.
Und so standen sie auf und wandelten nieder, das Feld hin,
Durch das mächtige Korn, der nächtlichen Klarheit sich freuend;
Und sie waren zum Weinberg gelangt und traten ins Dunkel.

Und so leitet' er sie die vielen Platten hinunter,
Die, unbehauen gelegt, als Stufen dienten im Laubgang.
Langsam schritt sie hinab, auf seinen Schultern die Hände;
Und mit schwankenden Lichtern, durchs Laub, überblickte der Mond sie,
Eh er, von Wetterwolken umhüllt, im Dunkeln das Paar ließ.
Sorglich stützte der Starke das Mädchen, das über ihn herhing;
Aber sie, unkundig des Steigs und der roheren Stufen,
Fehlte tretend; es knackte der Fuß, sie drohte zu fallen.
Eilig streckte gewandt der sinnige Jüngling den Arm aus,
Hielt empor die Geliebte; sie sank ihm leis' auf die Schulter,
Brust war gesenkt an Brust und Wang' an Wange. So stand er,
Starr wie ein Marmorbild, vom ernsten Willen gebändigt,
Drückte nicht fester sie an, er stemmte sich gegen die Schwere.
Und so fühlt' er die herrliche Last, die Wärme des Herzens
Und den Balsam des Atems, an seinen Lippen verhauchet,
Trug mit Mannesgefühl die Heldengröße des Weibes.

Doch sie verhehlte den Schmerz, und sagte die scherzenden Worte:
Das bedeutet Verdruß, so sagen bedenkliche Leute,
Wenn beim Eintritt ins Haus, nicht fern von der Schwelle, der Fuß knackt.
Hätt' ich mir doch, fürwahr, ein besseres Zeichen gewünschet!
Laß uns ein wenig verweilen, damit dich die Eltern nicht tadeln
Wegen der hinkenden Magd, und ein schlechter Wirth du erscheinest.

*****

 

Aussicht

Musen, die ihr so gern die herzliche Liebe begünstigt,
Auf dem Wege bisher den trefflichen Jüngling geleitet,
An die Brust ihm das Mädchen noch vor der Verlobung gedrückt habt,
Helfet auch ferner den Bund des lieblichen Paares vollenden.
Theilet die Wolken sogleich, die über ihr Glück sich heraufziehn!
Aber saget vor allem, was jetzt im Hause geschiehet!

Ungeduldig betrat die Mutter zum drittenmal wieder
Schon das Zimmer der Männer, das sorglich erst sie verlassen,
Sprechend vom nahen Gewitter, vom schnellen Verdunkeln des Mondes;
Dann vom Außenbleiben des Sohns und der Nächte Gefahren;
Tadelte lebhaft die Freunde, daß, ohne das Mädchen zu sprechen,
Ohne zu werben für ihn, sie so bald sich vom Jüngling getrennet.

Mache nicht schlimmer das Uebel!« versetzt' unmuthig der Vater;
Denn du siehst, wir harren ja selbst, und warten des Ausgangs.

Aber gelassen begann der Nachbar sitzend zu sprechen:
Immer verdank' ich es doch in solch unruhiger Stunde
Meinem seligen Vater, der mir, als Knaben, die Wurzel
Aller Ungeduld ausriß, daß auch kein Fäschen zurückblieb
Und ich erwarten lernte sogleich, wie keiner der Weisen.
Sagt, versetzte der Pfarrer, welch Kunststück brauchte der Alte?
Das erzähl' ich Euch gern, denn jeder kann es sich merken,
Sagte der Nachbar darauf. Als Knabe stand ich am Sonntag
Ungeduldig einmal, die Kutsche begierig erwartend,
Die uns sollte hinaus zum Brunnen führen der Linden.
Doch sie kam nicht; ich lief wie ein Wiesel dahin und dorthin,
Treppen hinauf und hinab und von dem Fenster zur Thüre.
Meine Hände prickelten mir; ich kratzte die Tische,
Trappelte stampfend herum, und nahe war mir das Weinen.
Alles sah der gelassene Mann; doch als ich es endlich
Gar zu töricht betrieb, ergriff er mich ruhig beim Arme,
Führte zum Fenster mich hin und sprach die bedenklichen Worte:
Siehst du des Tischlers da drüben für heute geschlossene Werkstatt?
Morgen eröffnet er sie; da rühret sich Hobel und Säge,
Und so geht es von frühe bis Abend die fleißigen Stunden.
Aber bedenke dir dieß: der Morgen wird künftig erscheinen,
Da der Meister sich regt mit allen seinen Gesellen,
Dir den Sarg zu bereiten und schnell und geschickt zu vollenden;
Und sie tragen das bretterne Haus geschäftig herüber,
Das den Geduld'gen zuletzt und den Ungeduldigen aufnimmt,
Und gar bald ein drückendes Dach zu tragen bestimmt ist.
Alles sah ich sogleich im Geiste wirklich geschehen,
Sah die Bretter gefügt und die schwarze Farbe bereitet,
Saß geduldig nunmehr und harrete ruhig der Kutsche.
Rennen andere nun in zweifelhafter Erwartung
Ungebärdig herum, da muß ich des Sarges gedenken.

Lächelnd sagte der Pfarrer: Des Todes rührendes Bild steht
Nicht als Schrecken dem Weisen, und nicht als Ende dem Frommen.
Jenen drängt es ins Leben zurück, und lehret ihn handeln;
Diesem stärkt es, zu künftigem Heil, im Trübsal die Hoffnung;
Beiden wird zum Leben der Tod. Der Vater mit Unrecht
Hat dem empfindlichen Knaben den Tod im Tode gewiesen.
Zeige man doch dem Jüngling des edel reifenden Alters
Werth und dem Alter die Jugend, daß beide des ewigen Kreises
Sich erfreuen und so sich Leben im Leben vollende!

Aber die Thür' ging auf. Es zeigte das herrliche Paar sich,
Und es erstaunten die Freunde, die liebenden Eltern erstaunten
Ueber die Bildung der Braut, des Bräutigams Bildung vergleichbar;
Ja, es schien die Thüre zu klein, die hohen Gestalten
Einzulassen, die nun zusammen betraten die Schwelle.
Hermann stellte den Eltern sie vor mit fliegenden Worten.
Hier ist«, sagt' er, ein Mädchen, so wie Ihr im Hause sie wünschet.
Lieber Vater, empfanget sie gut; sie verdient es. Und liebe
Mutter, befragt sie sogleich nach dem ganzen Umfang der Wirthschaft,
Daß Ihr seht, wie sehr sie verdient, Euch näher zu werden.
Eilig führt' er darauf den trefflichen Pfarrer beiseite,
Sagte: Würdiger Herr, nun helft mir aus dieser Besorgniß
Schnell, und löset den Knoten, vor dessen Entwicklung ich schaudre.
Denn ich habe das Mädchen als meine Braut nicht geworben,
Sondern sie glaubt, als Magd in das Haus zu gehn, und ich fürchte,
Daß unwillig sie flieht, sobald wir gedenken der Heirath.
Aber entschieden sey es sogleich! Nicht länger im Irrtum
Soll sie bleiben, wie ich nicht länger den Zweifel ertrage.
Eilet und zeiget auch hier die Weisheit, die wir verehren!
Und es wendete sich der Geistliche gleich zur Gesellschaft.
Aber leider getrübt war durch die Rede des Vaters
Schon die Seele des Mädchens; er hatte die munteren Worte
Mit behaglicher Art, im guten Sinne gesprochen:
Ja, das gefällt mir, mein Kind! Mit Freuden erfahr' ich, der Sohn hat
Auch, wie der Vater, Geschmack, der seinerzeit es gewiesen.
Immer die Schönste zum Tanze geführt und endlich die Schönste
In sein Haus, als Frau, sich geholt; das Mütterchen war es.
Denn an der Braut, die der Mann sich erwählt, läßt gleich sich erkennen,
Welches Geistes er ist, und ob er sich eigenen Werth fühlt.
Aber Ihr brauchtet wohl auch nur wenig Zeit zur Entschließung?
Denn mich dünket fürwahr, ihm ist so schwer nicht zu folgen.

Hermann hörte die Worte nur flüchtig; ihm bebten die Glieder
Innen, und stille war der ganze Kreis nun auf einmal.

Aber das treffliche Mädchen, von solchen spöttischen Worten,
Wie sie ihr schienen, verletzt und tief in der Seele getroffen,
Stand, mit fliegender Röthe die Wange bis gegen den Nacken
Uebergossen; doch hielt sie sich an und nahm sich zusammen,
Sprach zu dem Alten darauf, nicht völlig die Schmerzen verbergend:
Traun! zu solchem Empfang hat mich der Sohn nicht bereitet,
Der mir des Vaters Art geschildert, des trefflichen Bürgers;
Und ich weiß, ich stehe vor Euch, dem gebildeten Manne,
Der sich klug mit jedem beträgt und gemäß den Personen.
Aber so scheint es, Ihr fühlt nicht Mitleid genug mit der Armen,
Die nun die Schwelle betritt und die Euch zu dienen bereit ist;
Denn sonst würdet Ihr nicht mit bitterem Spotte mir zeigen,
Wie entfernt mein Geschick von Eurem Sohn und von Euch sey.
Freilich tret' ich nur arm, mit kleinem Bündel ins Haus ein,
Das, mit allem versehn, die frohen Bewohner gewiß macht;
Aber ich kenne mich wohl, und fühle das ganze Verhältniß.
Ist es edel, mich gleich mit solchem Spotte zu treffen,
Der auf der Schwelle beinah mich schon aus dem Hause zurücktreibt?

Bang bewegte sich Hermann, und winkte dem geistlichen Freunde,
Daß er ins Mittel sich schlüge, sogleich zu verscheuchen den Irrthum.
Eilig trat der Kluge heran, und schaute des Mädchens
Stillen Verdruß und gehaltenen Schmerz und Thränen im Auge.
Da befahl ihm sein Geist, nicht gleich die Verwirrung zu lösen,
Sondern vielmehr das bewegte Gemüth zu prüfen des Mädchens.
Und er sagte darauf zu ihr mit versuchenden Worten:
Sicher, du überlegtest nicht wohl, o Mädchen des Auslands,
Wenn du bei Fremden zu dienen dich allzu eilig entschlossest,
Was es heiße, das Haus des gebietenden Herrn zu betreten;
Denn der Handschlag bestimmt das ganze Schicksal des Jahres,
Und gar vieles zu dulden verbindet ein einziges Jawort.
Sind doch nicht das Schwerste des Diensts die ermüdenden Wege,
Nicht der bittere Schweiß der ewig drängenden Arbeit;
Denn mit dem Knechte zugleich bemüht sich der thätige Freie;
Aber zu dulden die Laune des Herrn, wenn er ungerecht tadelt,
Oder dieses und jenes begehrt, mit sich selber in Zwiespalt,
Und die Heftigkeit noch der Frauen, die leicht sich erzürnet,
Mit der Kinder roher und übermüthiger Unart:
Das ist schwer zu ertragen, und doch die Pflicht zu erfüllen
Ungesäumt und rasch, und selbst nicht mürrisch zu stocken.
Doch du scheinst mir dazu nicht geschickt, da die Scherze des Vaters
Schon dich treffen so tief, und doch nichts gewöhnlicher vorkommt,
Als ein Mädchen zu plagen, daß wohl ihr ein Jüngling gefalle.

Also sprach er. Es fühlte die treffende Rede das Mädchen,
Und sie hielt sich nicht mehr; es zeigten sich ihre Gefühle
Mächtig, es hob sich die Brust, aus der ein Seufzer hervordrang,
Und sie sagte sogleich mit heiß vergossenen Thränen:
O, nie weiß der verständige Mann, der im Schmerz uns zu rathen
Denkt, wie wenig sein Wort, das kalte, die Brust zu befreien
Je von dem Leiden vermag, das ein hohes Schicksal uns auflegt.
Ihr seyd glücklich und froh, wie sollt' ein Scherz Euch verwunden!
Doch der Krankende fühlt auch schmerzlich die leise Berührung.
Nein, es hülfe mir nichts, wenn selbst mir Verstellung gelänge.
Zeige sich gleich, was später nur tiefere Schmerzen vermehrte
Und mich drängte vielleicht in stillverzehrendes Elend.
Laßt mich wieder hinweg! Ich darf im Hause nicht bleiben;
Ich will fort und gehe, die armen Meinen zu suchen,
Die ich im Unglück verließ, für mich nur das Bessere wählend.
Dieß ist mein fester Entschluß; und ich darf Euch darum nun bekennen,
Was im Herzen sich sonst wohl Jahre hätte verborgen.
Ja, des Vaters Spott hat tief mich getroffen: nicht, weil ich
Stolz und empfindlich bin, wie es wohl der Magd nicht geziemet,
Sondern weil mir fürwahr im Herzen die Neigung sich regte
Gegen den Jüngling, der heute mir als ein Erretter erschienen.
Denn als er erst auf der Straße mich ließ, so war er mir immer
In Gedanken geblieben; ich dachte des glücklichen Mädchens,
Das er vielleicht schon als Braut im Herzen möchte bewahren.
Und als ich wieder am Brunnen ihn fand, da freut' ich mich seines
Anblicks so sehr, als wär' mir der Himmlischen einer erschienen.
Und ich folgt' ihm so gern, als nun er zur Magd mich geworben.
Doch mir schmeichelte freilich das Herz (ich will es gestehen)
Auf dem Wege hierher, als könnt' ich vielleicht ihn verdienen,
Wenn ich würde des Hauses dereinst unentbehrliche Stütze.
Aber, ach! nun seh' ich zuerst die Gefahren, in die ich
Mich begab, so nah dem still Geliebten zu wohnen.
Nun erst fühl' ich, wie weit ein armes Mädchen entfernt ist
Von dem reicheren Jüngling, und wenn sie die tüchtigste wäre.
Alles das hab' ich gesagt, damit ihr das Herz nicht verkennet,
Das ein Zufall beleidigt, dem ich die Besinnung verdanke.
Denn das mußt' ich erwarten, die stillen Wünsche verbergend,
Dass er sich brächte zunächst die Braut zum Hause geführet;
Und wie hätt' ich alsdann die heimlichen Schmerzen ertragen!
Glücklich bin ich gewarnt, und glücklich löst das Geheimniß
Von dem Busen sich los, jetzt, da noch das Uebel ist heilbar.
Aber das sey nun gesagt! Und nun soll im Hause mich länger
Hier nichts halten, wo ich beschämt und ängstlich nur stehe,
Frei die Neigung bekennend und jene thörichte Hoffnung.
Nicht die Nacht, die breit sich bedeckt mit sinkenden Wolken,
Nicht der rollende Donner (ich hör' ihn) soll mich verhindern,
Nicht des Regens Guß, der draußen gewaltsam herabschlägt,
Noch der sausende Sturm. Das hab' ich alles ertragen
Auf der traurigen Flucht und nah am verfolgenden Feinde.
Und ich gehe nun wieder hinaus, wie ich lange gewohnt bin,
Von dem Strudel der Zeit ergriffen, von allem zu scheiden.
Lebet wohl! ich bleibe nicht länger; es ist nun geschehen.

Also sprach sie, sich rasch zurück nach der Thüre bewegend,
Unter dem Arm das Bündelchen noch, das sie brachte, bewahrend.
Aber die Mutter ergriff mit beiden Armen das Mädchen,
Um den Leib sie fassend, und rief verwundert und staunend:
Sag, was bedeutet mir dies? und diese vergeblichen Thränen?
Nein, ich lasse dich nicht; du bist mir des Sohnes Verlobte.
Aber der Vater stand mit Widerwillen dagegen,
Auf die Weinende schauend, und sprach die verdrießlichen Worte:
Also das ist mir zuletzt für die höchste Nachsicht geworden,
Daß mir das Unangenehmste geschieht noch zum Schlusse des Tages!
Denn mir ist unleidlicher nichts, als Thränen der Weiber,
Leidenschaftlich Geschrei, das heftig verworren beginnet,
Was mit ein wenig Vernunft sich ließe gemächlicher schlichten.
Mir ist lästig, noch länger dieß wunderliche Beginnen
Anzuschauen. Vollendet es selbst! ich gehe zu Bette.
Und er wandte sich schnell und eilte zur Kammer zu gehen,
Wo ihm das Ehbett stand und wo er zu ruhen gewohnt war.
Aber ihn hielt der Sohn und sagte die flehenden Worte:
Vater, eilet nur nicht und zürnt nicht über das Mädchen!
Ich nur habe die Schuld von aller Verwirrung zu tragen,
Die unerwartet der Freund noch durch Verstellung vermehrt hat.
Redet, würdiger Herr! denn Euch vertraut' ich die Sache.
Häufet nicht Angst und Verdruß; vollendet lieber das Ganze!
Denn ich möchte so hoch Euch nicht in Zukunft verehren,
Wenn Ihr Schadenfreude nur übt statt herrlicher Weisheit.

Lächelnd versetzte darauf der würdige Pfarrer und sagte:
Welche Klugheit hätte denn wohl das schöne Bekenntniß
Dieser Guten entlockt und uns enthüllt ihr Gemüthe?
Ist nicht die Sorge sogleich dir zur Wonn' und Freude geworden?
Rede darum nur selbst! was bedarf es fremder Erklärung?
Nun trat Hermann hervor und sprach die freundlichen Worte:
Laß dich die Thränen nicht reun, noch diese flüchtigen Schmerzen;
Denn sie vollenden mein Glück und, wie ich wünsche, das deine.
Nicht das treffliche Mädchen als Magd, die Fremde, zu dingen,
Kam ich zum Brunnen; ich kam, um deine Liebe zu werben.
Aber, ach! mein schüchterner Blick, er konnte die Neigung
Deines Herzens nicht sehn; nur Freundlichkeit sah er im Auge,
Als aus dem Spiegel du ihn des ruhigen Brunnens begrüßtest.
Dich ins Haus nur zu führen, es war schon die Hälfte des Glückes.
Aber nun vollendest du mir's! O, sey mir gesegnet!
Und es schaute das Mädchen mit tiefer Rührung zum Jüngling
Und vermied nicht Umarmung und Kuss, den Gipfel der Freude,
Wenn sie den Liebenden sind die lang ersehnte Versichrung
Künftigen Glücks im Leben, das nun ein unendliches scheinet.

Und den Uebrigen hatte der Pfarrherr alles erkläret.
Aber das Mädchen kam, vor dem Vater sich herzlich mit Anmuth
Neigend, und so ihm die Hand, die zurückgezogene, küssend,
Sprach: Ihr werdet gerecht der Überraschten verzeihen,
Erst die Thränen des Schmerzes, und nun die Thränen der Freude.
O, vergebt mir jenes Gefühl! vergebt mir auch dieses,
Und laßt nur mich ins Glück, das neu mir gegönnte, mich finden!
Ja, der erste Verdruß an dem ich Verworrene schuld war,
Sey der letzte zugleich! Wozu die Magd sich verpflichtet,
Treu, zu liebendem Dienst, den soll die Tochter Euch leisten!

Und der Vater umarmte sie gleich, die Thränen verbergend.
Traulich kam die Mutter herbei und küßte sie herzlich,
Schüttelte Hand in Hand; es schwiegen die weinenden Frauen.

Eilig faßte darauf der gute verständige Pfarrherr
Erst des Vaters Hand und zog ihm vom Finger den Trauring
(Nicht so leicht; er war vom rundlichen Gliede gehalten),
Nahm den Ring der Mutter darauf und verlobte die Kinder,
Sprach: Noch einmal sei der goldenen Reifen Bestimmung,
Fest ein Band zu knüpfen, das völlig gleiche dem alten.
Dieser Jüngling ist tief von der Liebe zum Mädchen durchdrungen,
Und das Mädchen gesteht, daß auch ihr der Jüngling erwünscht ist.
Also verlob' ich euch hier und segn' euch künftigen Zeiten,
Mit dem Willen der Eltern, und mit dem Zeugnis des Freundes.

Und es neigte sich gleich mit Segenswünschen der Nachbar.
Aber als der geistliche Herr den goldenen Reif nun
Steckt' an die Hand des Mädchens, erblickt' er den anderen staunend,
Den schon Hermann zuvor am Brunnen sorglich betrachtet.
Und er sagte darauf mit freundlich scherzenden Worten:
Wie! du verlobest dich schon zum zweitenmal? Daß nicht der erste
Bräutigam bei dem Altar sich zeige mit hinderndem Einspruch!

Aber sie sagte darauf. Oh laßt mich dieser Erinnrung
Einen Augenblick weihen! Denn wohl verdient sie der Gute,
Der mir ihn scheidend gab und nicht zur Heimath zurückkam.
Alles sah er voraus, als rasch die Liebe der Freiheit,
Als ihn die Lust, im neuen veränderten Wesen zu wirken,
Trieb, nach Paris zu gehn, dahin, wo er Kerker und Tod fand.
Lebe glücklich, sagt' er. Ich gehe; denn alles bewegt sich
Jetzt auf Erden einmal, es scheint sich alles zu trennen.
Grundgesetze lösen sich auf der festesten Staaten,
Und es löst der Besitz sich los vom alten Besitzer,
Freund sich los von Freund; so löst sich Liebe von Liebe.
Ich verlasse dich hier; und, wo ich jemals dich wieder
Finde – wer weiß es? Vielleicht sind diese Gespräche die letzten.
Nur ein Fremdling, sagt man mit Recht, ist der Mensch hier auf Erden;
Mehr ein Fremdling als jemals ist nun ein jeder geworden.
Uns gehört der Boden nicht mehr; es wandern die Schätze;
Gold und Silber schmilzt aus den alten heiligen Formen;
Alles regt sich, als wollte die Welt, die gestaltete, rückwärts
Lösen in Chaos und Nacht sich auf, und neu sich gestalten.
Du bewahrst mir dein Herz; und finden dereinst wir uns wieder
Ueber den Trümmern der Welt, so sind wir erneute Geschöpfe,
Umgebildet und frei und unabhängig vom Schicksal.
Denn was fesselte den, der solche Tage durchlebt hat!
Aber soll es nicht seyn, daß je wir, aus diesen Gefahren
Glücklich entronnen, uns einst mit Freuden wieder umfangen,
O, so erhalte mein schwebendes Bild vor deinen Gedanken,
Daß du mit gleichem Muthe zu Glück und Unglück bereit seyst!
Locket neue Wohnung dich an und neue Verbindung,
So genieße mit Dank, was dann dir das Schicksal bereitet!
Liebe die Liebenden rein, und halte dem Guten dich dankbar.
Aber dann auch setze nur leicht den beweglichen Fuß auf;
Denn es lauert der doppelte Schmerz des neuen Verlustes.
Heilig sey dir der Tag; doch schätze das Leben nicht höher
Als ein anderes Gut, und alle Güter sind trüglich.
Also sprach er: und nie erschien der Edle mir wieder.
Alles verlor ich indeß, und tausendmal dacht' ich der Warnung.
Nun auch denk' ich des Worts, da schön mir die Liebe das Glück hier
Neu bereitet und mir die herrlichsten Hoffnungen aufschließt.
Oh, verzeih, mein trefflicher Freund, daß ich, selbst an dem Arm dich
Haltend, bebe! So scheint dem endlich gelandeten Schiffer
Auch der sicherste Grund des festesten Bodens zu schwanken.

Also sprach sie und steckte die Ringe nebeneinander.
Aber der Bräutigam sprach mit edler männlicher Rührung:
Desto fester sey, bei der allgemeinen Erschüttrung,
Dorothea, der Bund! Wir wollen halten und dauern,
Fest uns halten und fest der schönen Güter Besitzthum.
Denn der Mensch, der zur schwankenden Zeit auch schwankend gesinnt ist,
Der vermehret das Uebel und breitet es weiter und weiter;
Aber wer fest auf dem Sinne beharrt, der bildet die Welt sich.
Nicht dem Deutschen geziemt es, die fürchterliche Bewegung
Fortzuleiten, und auch zu wanken hierhin und dorthin.
Dies ist unser! so laß uns sagen und so es behaupten!
Denn es werden noch stets die entschlossenen Völker gepriesen,
Die für Gott und Gesetz, für Eltern, Weiber und Kinder
Stritten und gegen den Feind zusammenstehend erlagen.
Du bist mein; und nun ist das Meine meiner als jemals.
Nicht mit Kummer will ich's bewahren und sorgend genießen,
Sondern mit Muth und Kraft. Und drohen dießmal die Feinde
Oder künftig, so rüste mich selbst und reiche die Waffen.
Weiß ich durch dich nur versorgt das Haus und die liebenden Eltern,
O, so stellt sich die Brust dem Feinde sicher entgegen.
Und gedächte jeder wie ich, so stünde die Macht auf
Gegen die Macht, und wir erfreuten uns alle des Friedens.

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2. Goethe liest "Hermann und Dorothea" am  25. Dezember 1796
und 15. April 1797 in Weimar. Aufgezeichnet und kommentiert von Karl August Böttiger

Göthe liest mir seinen Hermann und Dorothea.

Den 25 Decembr[is] [17]96.

Warum ist das Städtchen so leer, so öde die Straßen? Damit fängt sich ohne alle weitere Ankündigung oder sonst gewöhnliche Anrufung der Muse das Gedicht so gleich dramatisch an zu bewegen. In einem niedlichen Landstädtchen ohnfern dem Rheine ist Alt und Jung und alles was Füsse und Wagen hatte, hinaus auf die Landstraße gegangen, um dort einen langen Zug von Auswandernden mit ihrem Gepäck und Gewirre vorüberziehen zu sehn. Der Dichter denkt die Szene zu Anfang des Julius dieses 96 Jahres, wo vor dem Andringen der Neufranken sich die wohlhabendsten Anwohner des Rheins in unabsehlichen Haufen flüchteten. Der Wirth zum goldenen Löwen mit seiner verständigen Hausfrau ist zwar aus Bequemlichkeit und weil ihn der Anblick zu sehr verwunden würde, zu Hause geblieben, hat aber seinen einzigen 20jährigen Sohn, Hermann zu Wagen hinausgeschickt, u. die sorgsame Mutter hat ihm ein Paket alte Leinewand und des Vaters cattunenen Schlafrock, so wie auch Mundprovision mitgegeben, um den Nothdürftigsten damit auszuhelfen. Unterredung des auf der steinernen Bank vor dem Hause sitzenden Wirths mit seiner Frau, die sich mit dem Wunsche endigt: wenn doch mein Hermann mir bald eine junge Wirthin ins Haus brächte! Unterdessen kommen die Haufe der Neugierigen zurück, es wird lebendiger auf den Straßen, es kommt auch der geschäfftige Apotheker und der ehrwürdige junge Pfarrherr zurück, der erste der Nachbar, der zweite der Hausfreund des Gastwirths. Beide referiren, was sie gesehn. Eine hohe epische Stelle, wobey man sich doch der Thränen kaum erwehren kann. Laßt uns in die kühle Hinterstube gehn, sagt der Wirth, und dort ein Glas Wein zur Stärkung und Erquickung trinken! Ende des ersten Gesangs.

Hermann kommt zum Hofthore hereingefahren, tritt dann in die Stube und erzählt, daß er über dem sorgsamen Einpacken der Mutter verspätet, den eigentlichen Emigrantenzug nicht mehr angetroffen, wohl aber einen einzelnen Wagen, mit zwey großen ausländischen Ochsen bespannt und von einer trefflichen, beyhergehenden jungen Dirne getrieben, eingehohlt habe. Die Treiberin bittet ihn mit edelm Stolze um Hülle und Leinewand für die im Wagen befindliche grade vor dem Eintritt der Flucht entbundene junge Frau. Hermann langt mit bewegtem Herzen sein mütterliches Packet hervor und eilt ihr, als der Wagen schon vorwärts ist, um dem im nächsten Dorfe Nachtquartier machenden Zuge noch nachzukommen, noch einmal nach, und hier giebt er der holden Treiberin auch noch die Lebensmittel zur Vertheilung und Selbstgebrauch, die er anfänglich selbst ins Dorf zu überbringen entschlossen war. So weit die höchstrührende, Herzergreifende Erzählung des jungen Hermanns. Reflexionen der Geselschafft. Der Vater wiederholt seinen schon früher gegen die Mutter allein geäußerten Wunsch noch einmal laut gegen den Sohn: er möge sich doch bald von den Töchtern des gewerbsamen Kaufmanns im schönen grünen Hause gegenüber eine zur Frau aussuchen. Es sey doch gut eine bemittelte Frau sich zu wählen. Da würden Kisten und Kasten gefüllt u.s.w. Nun erwiedert Hermann seine Zweifel. Er sey sonst auch der Meinung geweßen, sey aber, als er jüngst im erwählten Sontagsputz die Mädchen besucht habe, von Vater und Töchtern wegen seiner Unwissenheit, wer Tamino und Pamina sei, spöttisch verlacht worden, da eben Minnchen am Clavier Arien gespielt habe. Diesen Spott könne er nie vergeben, Nun poltert der Vater hitzig auf, schilt den Sohn einen Bauerntölpel, der ihm nie Ehre machen werde, und versichert grade zu: ein armes Mädchen werde er nie als Schwiegertochter über die Schwelle kommen lassen. Der Apotheker spricht seine Sentenzen über den Luxus der Zeit, und Hermann schleicht betrübt zur Thüre hinaus. Zweiter Gesang.

Während der Pfarherr zum Frieden redet, schleicht die gute Mutter dem Sohne nach, erfährt im Hofe, er sey in Garten am Hause gegangen, findet ihn auch da nicht, geht durch die Pforte in der Stadtmauer hinaus, auf ihren hart anliegenden Weinberg, findet auch da nichts, und geht ihm bis eben an den großen Birnbaum, der hinten ihre Aecker begränzt, mit schwerem Herzen nach. Hier beschleicht sie den Sohn mit einer Thräne im Auge aufs Gebirge hin blickend. Der unmuthsvolle will Soldat werden, u. vors Vaterland fechten. Sohn, sagt die Alte, du täuschst mich nicht. Dir blutet eine tiefere Wunde. Rührende Geständnisse des Sohnes im Schooß der treuen Mutter. Das holde Mädchen, die den Wagen trieb, muß heute noch meine Braut werden, oder ich heurathe nie. Aber der Vater will nicht. Also – Tröstender Zuspruch:

     Steht doch immer ein Mann dem Mann, wie ein Felsen dem andern!
     Du mußt bitten können, ich will auch helfen. Komm zum Vater! Dritter Gesang.

Eben hat der Prediger ein treffliches Wort zu seiner Zeit gesprochen, als die Mutter mit dem Sohne hereintritt, u. in sanfter, doch fester Rede den Entschluß ihres Hermanns dem Vater kund thut, worauf auch dem Sohne die Zunge gelößt wird. Der Prediger stimmt ein. Der Apotheker erbietet sich so gleich als Brautwerber ins Dorf zu fahren, Endlich willigt auch der überwundene Vater ein, daß Hermann so gleich mit dem Prediger und Apotheker hinausfahren soll. Jene beiden sollen sich nach dem guten Namen und den Umständen des Mädchens erkundigen. Dieß soll entscheiden. Es wird angespannt. Hermann führt sie fort, und hält, als sie ans Dorf gekommen sind, unter den Linden am Anger. Die Abgesanden gehn, nachdem H[ermann] ihnen zuvor das Mädchen durch eine meisterhafte Schilderung kenntlich gemacht hat. So weit laß Göthe auch den vierten Gesang vor. Man erräth schon das Ende. Dorothea, so heißt das Mädchen, wird noch beim Mondschein diesen Abend heimgeführt. So läuft die ganze Geschichte ununterbrochen fort, in dem engen Zeitraum von Nachmittag um 3 Uhr bis Abends um 9 Uhr eingeschlossen.

Man sieht, daß die Fabel des Gedichts so äuserst einfach ist, daß sie sich kaum auch nur erträglich erzählen läßt. Aber desto mehr Breite, desto belebenderes Detail, gestattet nun diese scheinbar einfache Alletagsgeschichte. Und hier ist Göthe Homerisch groß und neu. Stellen, wie die Episode, wo die Wirthin erzählt, wie vor 21 Jahren, als das Städtchen abbrannte, ihr jetziger Mann auf der rauchenden Brandstätte ihr seine Hand anbot, Schilderungen, wie der Gang der Mutter durch Garten, Weinberg, Kornflur mit den bezeichnenden Localumständen, Lebenssprüche. wie sie der edle Pfarherr zu verschiedenenmalen ausspricht, müssen alle Classen und alle Stände gleich stark ergreifen und hinreißen. War je eine Epopöe Volksgedicht, so muß es dieß werden. Der gemeinste Verstand wird es fühlen, der geübteste und gelehrteste wird es bewundern.

Goethe gieng seit 2 Jahren mit diesem Süjet schwanger, und versuchte es erst als Drama, dann als eine Idyllenreihe. Aber grade durch diese vorbereitenden Studien wurde er erst des Gegenstandes ganz mächtig, u. konnte nun alle diese mühsamen Vorbereitungen wie Blüthenblätter zu einem Fruchtknoten schließen.

Des großen Meisters würdig sind folgende Rücksichten bey diesem Gedichte. Es steht auf einer ungeheuren Basis, auf der französischen Revolution, und eilt schon dadurch einer ganzen Generazion zuvor, indem es Effekte schildert, deren Umfang und Größe erst nach 30 bis 40 Jahren ganz gemessen werden wird. Nur durch diesen fürchterlichen und in ihrer Art einzigen Länder- und Völkerumsturz wurde dieß Gedicht möglich, und doch sieht man ihn [!] die Schrecknisse nur aus der Ferne, hört das Gewitter nur hinter dem Cebürge, wird nie im fröhlichen Genuße der sichern Gegenwart gestört. Dabei kennt der Dichter kein Vaterland, keine Parthei. Das Gedicht kann jenseits des Rheins mit so herzlicher Theilnahme durchgenossen werden, als disseits. Es sind menschliche, nicht Nationalscenen. Es kann so gar in alle Sprachen übersetzt, und in allen Zungen gleich herzlich empfunden werden. Es ist die einzige Odyssee, die in unsern Tagen noch möglich schien. Denn wie sich dort die Irsaale eines einzigen Menschen doch auf den gewaltigen Hintergrund des Kampfes zweier Welttheile miteinander, des zerstörten Troja und [der] bei der Rückkehr verderbten Griechen lehnen: so stützt sich hier die schnelle Bewerbung eines erbar redlichen Gastwirthsson um eine in flüchtender Armuth edle Braut auf eine Kriegsfluth und Emigration, wie sie vieleicht kein folgendes Jahrhundert wieder sieht.

Das Colorit des Gedichts ist das hellste, was nur unser nordisches Clima gewähren kann. Es ist ein heller klarer Sommertag in der Jahreszeit, wo alles den Scheunen und Kellern entgegen reift, in schwellender Ueppigkeit und glühender Sonnenbeleuchtung. Darum wandeln auch alle Figuren in so reinen, klaren Umrissen; man sieht im Anfang des Gedichts den Flüchtlingszug auf der bestaubten Chaussee, man fühlt die Kühlung im Hinterzimmer des Wirths, man greift den Seegen des Jahres im Dahingehn der Mutter durch den Obstgarten, wo sie die Stützen der Bäume richtet, u. die Raupen vom Kohl abließt, und in die Geißblattlaube guckt, und alle die Naturgeschenke, die ihr gehören, mit Hausmütterlicher Aemsigkeit durchschreitet. Man erblickt von der Anhöhe des Birnbaums herab das Kammerfensterchen Hermanns, auf das er im Gespräch der Mutter hindeutet, von den Stralen der sinkenden Sonne beschimmert u. s. w. Um dieß Kunststück zu vollenden, wird im 6ten Gesang eben diese Gegend noch einmal im vollen Mondschein aufgethan werden.

Die Charaktere der handelnden Personen sind aus der Menschenklasse genommen, die in unsern Tagen allein noch Individualität und Naturgepräge haben, und doch ist es keine phantastische Idyllenwelt. Es sind die sogenannten Honoratioren einer kleinen Stadt, wie sie leiben und leben. Dieß, sagte Göthe, ist Voßens Verdienst, ohne dessen Luise dieß Gedicht nicht entstanden seyn könnte. Voß hat durch die epische Behandlung einer Landpredigersfamilie einen verständigen Fingerzeig gegeben, wo unser Epos hingehört. Nun kann seine Luise darum schon kein eigentliches Heldengedicht seyn, weil ihm alle Continuität, aller Zusammenhang fehlt. Dann hat er auch durch alzuausführliche Malerei des kleinsten hors d'oeuvre den epischen Eindruck vernichtet.

Die Charaktere selbst vereinigen die zwey so schwer zu vereinbarenden Foderungen, daß das bestimmteste Individuum doch überal Repräsentant seines ganzen Geschlechts sey. Man hat solche Mütter, solche Väter, wie Hermanns Eltern sind, solche verschlossene, tiefe, aber im entscheidenden Augenblick unwiderstehlich hervordringende Gemüther, wie das des jungen Hermann's ist, solche behäglich pedantische Apotheker, wie hier der Nachbar aus der Engelsapotheke ist, oft schon im Leben bemerkt. Aber durch die sinnige Behandlungsart des Dichters würde man doch die hier gezeichneten Menschen wieder unter tausend ihrer Art und Gattung herausgreifen können.

Da alle Cultur der neuern Zeit von der Bibel ausgegangen ist: so kann der kluge Epopöendichter, der sich in dem angeführten Kreise bewegt, kaum der Citaten und Anspielungen auf die Bibel, auf gewisse Kernsprüche und Trostsentenzen entbehren. Auch in diesem Gedichte läßt der Dichter den Wirth einigemal biblisch sprechen. Der Prediger hingegen, der schon auf einer höhern Culturstufe steht, bedient sich dieser Sprache nie selbst. Seine selbsterprobte Weisheit ist aus keinem Sprachregister geschöpft. Er ist gleichsam der Gott des Stückes selbst, der nicht durch fremde Offenbarung zu helfen braucht, und erhält schon dadurch den Rang der ersten und vornehmsten Figur in dieser Gallerie.

Denn an eine Maschinerie einer von ausen herein übernatürlich eingreifenden Kraft, die man sonst vom Heldengedicht unzertrennlich dachte, konnte natürlich ein Göthe nicht mehr denken. Sein höheres Wesen, sein Jupiter oder Minerva ist, wie gesagt, der Prediger. Aber noch eine Neuigkeit dieses Gedichts ist: es kommt kein einziges Gleichniß darinnen vor. Auch diesem Nothbehelf früherer Zeiten entsagt der Dichter.

Der Gang des Hexameters in diesem Gedichte ist der rascheste Wechseltanz, den je eine nordische Sprache in griechischer Modulation einherschwebte. Wie verschieden von dem leichtsinnigen Hüpfen im Reinecke Fuchs, und von dem pathetischen Gang in einigen Uebersetzungen homerischer Hymnen. Man fühlt es, daß der Dichter bis auf das Sylbenmaaß selbst, in dem er sich bewegt, Schöpfer war, und seyn wollte. Jeder Vers mahlt, und doch ist kein Gedanke an kindische Ziererey. Freilich, um alles zu verstehn, mußte man den göttlichen Rhapsoden sein Gedicht selbst deklamiren hören.

Wohl mir, die heutige Weihnachtsfreude war die genußreichste meines Lebens!


D[en] 15 April[is] [17]97.

Ich habe diesen Abend die letzten 5 Gesänge von Hermann und Dorothea vom Meistersänger selbst vorlesen hören. Welch eine Welt von Handlung und Gefühl in welchem engen Raum mit wie wenigen Mitteln? 

Göthe fühlte, daß so bald seine Dorothea auftrete, Hermann gewissermaaßen nur zur zweiten Figur herabsinken müsse, und daß je später sie auftritt, desto größer die Spannung der Hörer (Leser möcht ich bei einem Gedicht nicht sagen, daß eigentlich nur durchs Ohr empfangen werden sollte) seyn müsse. Im 5ten Gesang fährt Hermann mit den zwey Brautwerbern ins Dorf. Da ist noch gar nicht die Rede von ihr. Aber im 6ten dreht sich alles um sie. Hermann signalisirt sie nach ihrer Kleidung und Wesen, damit sie von seinen Begleitern, die sie unter dem Getümmel im Dorfe aufsuchen sollen, erkannt werden könne. Hier die erste sinnliche Beschauung der Heldin, die doch noch nicht gesehn wird. Nun erzählt der Richter der fliehenden Menge dem Pfarherrn eine Großthat vom Mädchen, die ihre geistige Physiognomie ohngefähr eben so treffend charakterisirt, als vorher Hermanns Schilderung ihre Aeuserlichkeit. Immer höher wird die Erwartung gespannt. Nun hat sie der spähende Apotheker unter dem Apfelbaume im Garten die Docke wickelnd gefunden. Er kommt und erzählt es dem Pfarherrn. Beide gehn hin. Jetzt erscheint sie wirklich, durch alle Vorbereitungen ein Wesen höherer Art. So wird bei einem Schaugepränge, oder theatralischen Aufzug dadurch die Hauptfigur, der König, der Gott auf dem Triumphwagen durch jeden vorausgehenden im Zuge gleichsam um eine Stufe höher gestellt.

Als sie der Pfarrer erblickt, gesteht er: so ein Mädchen finde er selbst vor allen ihres Geschlechts liebenswürdig! Die Art, wie er dieß Geständniß ablegt, ist im Kleinen völlig mit jenem berühmten Geständniß der Trojanischen Greise auf dem Skӓischen Thore von der Helena im 3ten Gesange der Ilias parallel.

Aber noch immer wird sie nur gesehn. Hermann entläßt seine Begleiter, die nun zurückfahren. (Ein herrlicher Kunstgriff. Hätte Hermann, wie man anfangs erwartet oder vielmehr befürchtet, seine Dorothea im Wagen heimgeführt: so wäre alle patriarchalische Hoheit und Simplicizät des Gedichts, auf welches doch alles zusammengehalten ist, verloren gegangen. Er muß mit ihr im Mondschein nach Hause gehen.) Er bleibt in Gedanken verloren am Brunnen vor dem Dorfe sitzen.

Siebenter Gesang. Da tritt Dorothea plötzlich, wie Pallas Athena offt in der Odyssee erscheint, selbst hervor. Sie kommt mit zwey Wasserkrügen reines Brunnenwasser an diesem Quell zu schöpfen. Hier finden sich die Liebenden. Hermann hilft ihr schöpfen. Ihre im Quell sich spiegelnden Gesichter begegnen sich. Eine unbeschreiblich schöne, rührende patriarchalische Pastorale! Aber Hermann erblickt an Dorotheens Finger einen goldenen Ring (sie hatte wirklich einen Liebhaber gehabt, der aber in Paris guillotinirt worden war) Fürchterliche Zweifel bekämpfen seine Brust, u. als nun das Mädchen fragt: Warum kamst du hieher? antwortet er sich verstellend: Dich als Haushälterin bey unserm großen Hauswesen zu dingen. Sie entschließt sich auf der Stelle: sie will, statt ein herumstreifendes Leben zu führen, dienen. Hier eine der schönsten Stellen über die Bestimmung des Weibes: Nur durch Dienen kann sie herschen! Abschied von den Ihren im Garten. Eine Szene, wobey der Vorleser und wir Zuhörer die Thränen im Auge hatten.

Achter Gesang. Nun wandeln sie, Hermann vorausleitend, den Fußpfad zur Stadt durch reifende volle Kornfelder. Ein Gewitter thürmt sich vor die untergehende Sonne. Wechselgespräch. Hermann beschreibt seiner Geworbenen die Gemüthsart seiner Eltern. So gelangen sie unter den Birnbaum. Dieß alles ist mein! sagt Hermann. Nur der Anblick des verhaßten Ringes kämpft das Geständniß zurück in die pochende Brust. Im Mondschein schimmert das Kammerfenster Hermanns. Sie steigen die Weinbergstreppe hinab. Dorothea tritt fehl und sinkt dem vorausgehenden Jüngling an die Brust. Aber er bekämpft sich, er bleibt starr und unbeweglich. Dadurch wird er Dorotheens wert, die den Muth hatte, sich zum Dienen zu erniedrigen. Ein magischer Zug des Gedichtes.

Neunter Gesang. Aengstliches Harren im Hause des Gastwirths. Endlich treten sie, wie höhere Gestalten, zur Stubensthür ein. Gewaltige Misverständnisse. Ehe der auf die Seite gerufene Pfarherr dem alten Vater das Verständniß öffnen und ihm sagen kann, daß die eigentliche Brautwerbung noch gar nicht gethan sei, platzt dieser los, u. bewilkommt sie als Braut. Dieß muß Dorothea als bittern Spott nehmen. Ihr gekränkter Stolz macht sich Luft. Der Pfarrer reizt sie absichtlich noch mehr. Nun gesteht sie selbst ihre Liebe zu Hermann, aber auch den festen Entschluß, auf der Stelle zu den Ihrigen zurückzukehren. Hermann, die Mutter springen dazwischen. Alles entwickelt sich. Die letzten 100 Verse ein treffliches Nachhallen u. Besänftigen.

O, es ist eine unnennbare Kunst in der ganzen Cornposition. Man kann es kühn versuchen, irgend einen Fall, einen Knoten der Verwicklung anders anzunehmen. Nirgends käme dieser Effekt heraus. Die Alten sagten eben dieß von der Odyssee.

Im ganzen Gedicht kommen nur 2 Gleichnisse vor, und die Anrufung der Musen erst im letzten Gesange.

Die herrlichen Verse, die in einen vollen Spondeus ausgehn.

Quelle:
Karl August Böttiger: Literarische Zustände und Zeitgenossen. Begegnungen und Gespräche im klassischen Weimar. Hrsg. von Klaus Gerlach und René Sternke. Berlin Aufbau-Verlag 1998, S. 80-89. ISBN 3-351-02829-6 - Rechtschreigung und Zeichensetzung nach Vorlage.

Karl August Böttiger (geb. 1760 in Reichenbach / Vogtland, gest. 1835 in Dresden), bedeutender Altertumskenner und Journalist, 1791 bis 1804 Direktor des Gymnasiums und Oberkonsistorialrat in Weimar. Siehe den Eintrag in Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_August_Böttiger

Böttiger vermittelte den Kontakt mit dem Verleger von "Hermann und Dorothea", J. F. Vieweg in Braunschweig, und begleitete die Publikation. Die Höhe des Honorars wünschte Goethe im Wege einer Vickrey-Auktion (Zweitpreis-Auktion) mit verdeckten Geboten zu ermitteln. Beide Seiten schlugen "Eintausend Thaler in Golde" vor. Zu dieser Auktionsart siehe den Eintrag in Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Zweitpreisauktion

Die Dokumente zur Entstehungs- und Publikationsgeschichte von "Hermann und Dorothea" werden vollständig wiedergegeben und kommentiert in folgender Ausgabe: Die Entstehung von Goethes Werken in Dokumenten. Hrsg. von Katharina Mommsen. Bd. VII. Berlin: Walter de Gruyter 2015, S. 202 ff. Zur Vickrey-Auktion siehe S. 221-226. Hier auch zur unterschiedlichen Ausstattung der verschiedenen Ausgaben. Zur Position Viewegs siehe dessen Schreiben an Böttiger (S.226f): Der "beßere", aber auch "kleinere Theil" des Publikums werde keine Kupfer vermissen, wohl aber seien diese "unentbehrlich" für das "große Publikum". Über die Sujets der Kupfer für den Kalenderteil siehe die Zusammenfassung von Mommsen auf S. 214.

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Seiten zu Goethes "Hermann und Dorothea" im Goethezeitportal:

* Goethes "Hermann und Dorothea, illustriert von Arthur von Ramberg
http://www.goethezeitportal.de/index.php?id=2558
* Goethes "Hermann und Dorothea" in Illustrationen von Emil Klein
http://www.goethezeitportal.de/index.php?id=3011
* Goethes "Hermann und Dorothea", Illustriert von Benjamin Vautier
http://www.goethezeitportal.de/index.php?id=6917
* Goethes "Hermann und Dorothea". Postkartenserie im Verlag Paul Fink, Berlin
http://www.goethezeitportal.de/index.php?id=2974
* Goethes "Hermann und Dorothea", Illustriert von Hans Looschen
http://www.goethezeitportal.de/index.php?id=6934


* Malte Stein: Stilles Unglück im Winkel. Die Familie in Goethes bürgerlichem Epos "Hermann und Dorothea"
http://www.goethezeitportal.de/db/wiss/goethe/stein_familie.pdf

Zu einer produktiven Rezeption siehe:
* Ferdinand von Saar: Hermann und Dorothea [1902]. Hrsg. von Rolf Bogner (Austriaca curiosa et memorabilia) Saarbrücken: universaar 2011. Mit umfangreichem Nachwort. ISBN 978-3-86223-057-0

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August Graf von Platen
Hermann und Dorothea

Holpricht ist der Hexameter zwar; doch wird das Gedicht stets
Bleiben der Stolz Deutschlands, bleiben die Perle der Kunst.

Quelle:
Platens sämtliche Werke in vier Bänden. Mit einer biographischen Einleitung von Karl Gödeke. Bd. 2. Stuttgart:  J.G. Cotta'sche Buchhandlung | Gebrüder Kröner o.J., S. 208.

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3. Kurzbiografie von Ernst Bosch

Ernst Bosch (geb. 23. März 1834 in Krefeld; gest. 22. März 1917 in Düsseldorf), Porträt- und Genremaler, Zeichner und Grafiker. Wuchs in Wesel auf, besuchte das Gymnasium bis zur Sekundareife und wurde Privatschüler des Historienmalers Josef Schex aus Wesel, der ihn in die Ölmalerei einführte. 1851 bis 1856 studierte er an der Kunstakademie Düsseldorf , zuletzt in der Meisterklasse des Akademiedirektors Wilhelm von Schadow. Bosch lebte seit 1851 in Düsseldorf, wo er Mitglied des Kunstvereins und des Künstlervereins Malkasten war.

In seinen Bildern bearbeitete er Themen aus dem bürgerlichen und ländlichen Leben, schuf zahlreiche Bildnisse und viele Hundedarstellungen. Er illustrierte bekannte literarische Werke wie Coopers "Lederstrumpf", Goethes "Werther", Goethes "Hermann und Dorothea", Immermanns "Münchhausen", Raabes "Chronik der Sperlingsgasse" wie auch Märchen der Brüder Grimm ("Aschenputtel", "Rotkäppchen"). Populär wurde er durch seine Zeichnungen, die als Radierungen und Holzstiche in populären Zeitschriften wie der "Gartenlaube" und "Daheim" erschienen.

Quellen:

* Eintrag "Ernst Bosch" in Wikipedia
de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Bosch
* Siegfried Weiß: Ernst Bosch (1834-1917), Leben und Werk. Zur Düsseldorfer Malerei der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Dissertation, Ludwig Maximilians Universität München. 1992.

Foto Arnold Overbeck, Gebr. G. & A. Overbeck in Düsseldorf. Entnommen aus Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Bosch#/media/File:Ernst_Bosch.jpg

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