Federzeichnungen von Hans Bender
zu Heinrich Pestalozzis Volksbuch
"Lienhard und Gertrud"
Siebentes Kapitel:
Er fängt eine Vogtsarbeit an.
Auszug
Da der Vogt jetzt in die Scherstube kam, grüßte er den Scherer und die Frau und die Nachbarn, ohne Husten, und ehe er sich setzte. Sonst hustete und räusperte er sich allemal vorher, und warf dann sein "Gott grüß euch!" erst dar, wenn er ausgespieen und sich gesetzt hatte.
Die Bauern antworteten mit Lächeln, und setzten ihre Kappen viel schneller wieder auf den Kopf, als sie sonst thaten, wenn der Herr Untervogt sie gegrüßt hatte. Er aber fieng alsobald das Gespräch an. Immer gute Losung, Meister Scherer? sagte er, und so viel Arbeit, daß mich wundert, wie ihr das Alles nur so mit zwei Händen machen könnt?
Der Scherer war sonst ein stiller Mann, der auf solche Worte nicht gern antwortete; aber der Vogt hatte ihn jetzt etliche Monate nach einander, und das allemal des Sonntags am Morgen zwischen der Predigt, mit solchen Stichelreden verdrüßlich gemacht; und wie es denn geht, er wollte einmal jetzt auch antworten, und sagte: Herr Untervogt, es sollte euch nicht wundern, wie man mit zwei Händen viel arbeiten und doch wenig verdienen kann; aber wie man mit beiden Händen nichts thun, und dabei viel Geld verdienen kann, das sollte euch wundern.
Vogt. Ja, das ist wahr, Scherer. Du solltest es auch probieren. Die Kunst ist: Man legt die Hände auf eine Art und Gattung zusammen, wie es recht ist; dann regnet es Geld zum Dach herein.
Der Scherer wagte noch mehr, und sagte: Nein, Vogt, man wickelt sie wohl unter den zweifarbigen Mantel, und sagt die drei Worte: Es ist so! bei meinem Eid: es ist so! und bei gutem Anlaß streckt man kräftig drei Finger aufwärts und zwei hinab - abrakadabra (1) - und die Säcke strotzen von Geld.
[...]
Der Vogt aber fuhr tüchtig fort, und sagte: Der Scherer ist ein ausgemachter Herr! Er darf unser einem wohl nicht antworten. Er trägt ja Spitzhosen, Stadtschuhe und am Sonntag Manschetten; er hat Hände so zart wie ein Junker und Waden wie ein Stadtschreiber.
Die Bauern liebten den Scherer, hatten das auch schon gehört, und lachten nicht über des Vogts Witz. Nur der junge Galli, der eben saß, mußte über die Stadtschreiberwaden lachen; denn er kam eben aus der Kanzlei, wo der Spaß mit den Waden just eintraf. Aber der Scherer, dem er sich unter dem Messer bewegte, schnitt ihn in die obere Lippe. Das machte die Bauern unwillig, daß alle die Köpfe schüttelten.
Anmerkung:
(1) Abrakadabra, ein Wort ohne Sinn, wovon der Aberglaube sagt, daß es bei Krankheiten und in Unfällen wunderbare Wirkungen thue, wenn man es in Form eines umgekehrten Kegels auf einen Zettel schreibe, und diesen bei sich trage.