Federzeichnungen von Hans Bender
zu Heinrich Pestalozzis Volksbuch
"Lienhard und Gertrud"
Fünftes Kapitel:
Er findet seinen Meister.
Auszug
Indessen kam Arner auf den Kirchhof; und viel Volk aus dem Dorfe sammelte sich um ihn her, den guten Herrn zu sehen.
Seid ihr so müßig, oder ist's Feiertag, daß ihr Alle so Zeit habt, hier herumzuschwärmen? sagte der Vogt zu Einigen, die ihm zu nahe standen; denn er verhütete immer, daß Niemand vernehme, was er für Befehle erhielte. Aber Arner bemerkte es, und sagte laut: Vogt, ich habe es gern, daß meine Kinder auf dem Kirchhof bleiben, und selbst hören, wie ich es mit dem Bau haben will. Warum jagst du sie fort? Tief bis an die Erde krümmte sich Hummel, und rief den Nachbarn alsobald laut: Kommt doch wieder zurück; Ihr Gnaden mag euch wohl dulden.
Arner. Hast du die Schatzung vom Kirchbau gesehen?
Vogt. Ja, gnädiger Herr.
Arner. Glaubst du, Lienhard könne den Bau um diesen Preis gut und dauerhaft machen?
Ja, gnädiger Herr, antwortete der Vogt laut; und sehr leise setzte er hinzu: Ich denke, da er im Dorfe wohnt, könnte er es vielleicht noch etwas wohlfeiler übernehmen.
Arner aber antwortete ganz laut. Soviel ich dem Schloßmaurer hätte geben müssen, so viel gebe ich auch diesem. Laß ihn rufen, und sorge, daß Alles, was aus dem Wald und aus den Magazinen dem Schloßmaurer zukommen sollte, auch diesem ausgeliefert werde.
Lienhard war eben wenige Minuten, ehe Arner ihn rufen ließ, ins obere Dorf gegangen, und Gertrud entschloß sich alsobald, mit dem Boten selbst auf den Kirchhof zu gehen, und Arnern ihre Sorgen zu entdecken.
Als aber der Vogt Gertrud und nicht Lienhard mit dem Boten zurückkommen sah, wurde er todtblaß.
Arner bemerkte es und fragte ihn: Wo fehlt's, Herr Untervogt?
Vogt. Nichts, gnädiger Herr, gar Nichts; doch ich habe diese Nacht nicht wohl geschlafen.
Man sah dir fast so was an, sagte Arner, und sah ihm steif in die roten Augen, kehrte sich dann zu Gertrud, grüßte sie freundlich, und sagte: Ist dein Mann nicht da? Doch es ist gleichviel; du mußt ihm nur sagen, daß er zu mir komme. Ich will ihm diesen Kirchbau anvertrauen.
Gertrud stand eine Weile sprachlos da, und durfte vor so viel Volk fast nicht reden ..
Arner. Warum redest du nicht, Gertrud? Ich will deinem Mann den Bau so geben, wie ihn der Schloßmaurer würde übernommen haben. Das sollte dich freuen, Gertrud.
Gertrud hatte sich wieder erholt, und sagte jetzt: Gnädiger Herr, die Kirche ist so nahe am Wirthshause!
Alles Volk fing an zu lachen, und da die meisten ihr Lachen vor dem Vogt verbergen wollten, kehrten sie sich von ihm weg, gerade gegen Arner. Der Vogt aber, der wohl sah, daß dieser Alles bemerkt hatte, stand jetzt entrüstet auf, stellte sich gegen Gertrud, und sprach: Was hast du gegen mein Wirthshaus?
Schnell aber unterbrach Arner den Vogt und sagte: Geht diese Rede dich an, Untervogt! daß du darein redest? Dann wandte er sich wieder zu Gertrud, und sagte: Was ist das? Warum steht dir die Kirche zu nahe am Wirthshause?
Gertrud. Gnädiger Herr, mein Mann ist beim Wein leicht zu verführen, und wenn er täglich so nahe am Wirthshaus arbeiten muß - ach Gott! - ich fürchte, er halte die Versuchung nicht aus.
Arner. Kann er denn das Wirhtshaus nicht meiden, wenn's ihm so gefährlich ist?
Gertrud. Gnädiger Herr, bei der heißen Arbeit dürstet man oft; und wenn dann immer Saufgesellschaft vor seinen Augen auf jede Art mit Freundlichkeit und mit Spotten, mit Weinkäufen und mit Wetten ihn locken wird - ach Gott, ach Gott! - wie wird er es aushalten können! Und wenn er denn nur ein wenig wieder Neues schuldig ist, so ist er wieder angebunden. Gnädiger Herr, wenn Sie doch wüßten, wie ein einziger Abend in solchen Häusern arme Leute ins Joch und in Schlingen bringen kann, wo es fast unmöglich ist, sich wieder herauszuwickeln.
Arner. Ich weiß es, Gertrud, und ich bin entrüstet über das, was du mir gestern sagtest. Da vor deinen Augen und vor allem Volk will ich dir zeigen, daß ich arme Leute nicht will drücken und drängen lassen. Sogleich wandte er sich gegen den Vogt, und sagte ihm mit einer Stimme voll Ernst und mit einem Blicke, der durch Mark und Beine drang: Vogt, ist's wahr, daß die armen Leute in deinem Hause gedrängt, verführt, und vervortheilt werden?
Betäubt und blaß, wie der Tod, antwortete der Vogt: In meinem Leben, gnädiger Herr, ist mir nie so Etwas begegnet, und so lange ich lebe, und Vogt bin ..., sagte er, und wischt den Schweiß von der Stirne, hustet, räuspert, fängt wieder an - es ist erschrecklich!
Arner. Du bist unruhig, Vogt! Die Frage ist einfältig. Ist es wahr, daß du arme Leute drängest, in Verwirrungen bringest, und ihnen in deinem Wirthshause Fallstricke legest, die ihre Haushaltungen unglücklich machen?
Vogt. Nein, gewiß nicht, gnädiger Herr! Das ist der Lohn, wenn man Lumpenleuten dient. Ich hätte es vorher denken sollen; man hat allemal einen solchen Dank, anstatt der Bezahlung.
Arner. Mache dir wegen der Bezahlung keine Sorge; es ist nur die Frage, ob dieses Weib lüge.
Vogt. Ja gewiß, gnädiger Herr! Ich will es tausendfach beweisen.
Arner. Es ist genug am Einfachen; aber nimm dich in Acht, Vogt! Du sagtest gestern, Gertrud sei eine brave, stille, arbeitsame Frau und gar keine Schwätzerin.
Ich weiß nicht, ich ... ich ... besinne ... Sie haben mich ... ich habe sie ... ich habe sie ... dafür angesehen, sagte der keichende Vogt.
Arner. Du bist auf eine Art unruhig, Vogt, daß man jetzt nicht mit dir reden kann; es ist am besten, ich erkundige mich gerade bei diesen dastehenden Nachbarn. Und sogleich wandte er sich zu zwei alten Männern, die still und aufmerksam und ernsthaft da standen, und sagte ihnen: Ist's wahr, liebe Nachbarn, werden die Leute in eurem Wirthshause so zum Bösen verführt und gedrückt? Die Männer sahn sich einer den andern an, und durften nicht reden. Aber Arner ermunterte sie liebreich: Fürchtet euch nicht, sagt mir gerade zu die reine Wahrheit! Es ist mehr als zu wahr, gnädiger Herr! Aber was wollen wir arme Leute gegen den Vogt klagen? sagte endlich der ältere, doch so leise, daß es nur Arner verstehen konnte. Es ist genug, alter Mann, sagte Arner, und wandte sich dann wieder zum Vogt: Ich bin eigentlich jetzt nicht da, um diese Klage zu untersuchen; aber gewiß ist es, daß ich meine Armen vor aller Bedrückung will sicher haben; und schon längst dachte ich, daß kein Vogt Wirth sein sollte. Ich will aber das bis Montag verschieben. Gertrud, sage deinem Mann, daß er zu mir komme, und sei du wegen den Wirthshausgefahren seinethalben jetzt nur ruhig.