goethe


Jutta Assel | Georg Jäger

Friedrich von Matthisson
"Elysium" und "Der Genfersee"

Mit der Kritik von Wieland und Schiller,
Buchschmuck und Illustrationen

Prof. Dr. Günter Hess gewidmet,
dem Freund und Kollegen

Stand: Dezember 2010

 

 

Gliederung

1. Matthisson: Elysium
2. Der Genfersee
3. Die Gedichte im Urteil Wielands
4. "Der Genfersee" im Urteil Schillers
5. Kurzbiografie von Matthisson
6. Rechtlicher Hinweis und Kontaktadresse

 

 

1. Matthisson: Elysium
(Entstanden 1787, Erstdruck 1789)

 

Hain! der von der Götter Frieden,
   Wie von Thau die Rose, träuft,
Wo die Frucht der Hesperiden
   Zwischen Silberblüten reift;
Den ein rosenfarbner Äther
   Ewig unbewölkt umfleußt,
Der den Klageton verschmähter
   Zärtlichkeit verstummen heißt:
  
Freudig schauernd in der Fülle
   Hoher Götterseligkeit,
Grüßt, entflohn der Erdenhülle,
   Psyche deine Dunkelheit,
Wonne! wo kein Nebelschleier
   Ihres Urstoffs Reine trübt,
Wo sie geistiger und freier
   Den entbundnen Fittig übt.
  
Ha! schon eilt auf Rosenwegen,
   In verklärter Lichtgestalt,
Sie dem Schattenthal entgegen,
   Wo die heilge Lethe wallt;
Fühlt sich magisch hingezogen,
   Wie von leiser Geisterhand,
Schaut entzückt die Silberwogen
   Und des Ufers Blumenrand;
  
Kniet voll süsser Ahndung nieder,
   Schöpfet, und ihr zitternd Bild
Leuchtet aus dem Strome wieder,
   Der der Menschheit Jammer stillt,
Wie auf sanfter Meeresfläche
   Die entwölkte Luna schwimmt,
Oder im Kristall der Bäche
   Hespers goldne Fackel glimmt.
  
Psyche trinkt, und nicht vergebens!
   Plötzlich in der Fluthen Grab
Sinkt das Nachtstück ihres Lebens
   Wie ein Traumgesicht hinab.
Glänzender, auf kühnern Flügeln,
   Schwebt sie aus des Thales Nacht
Zu den goldbeblümten Hügeln,
   Wo ein ewger Frühling lacht.
  
Welch ein feierliches Schweigen!
   Leise nur, wie Zephyrs Hauch,
Säuselts in den Lorbeerzweigen,
   Bebts im Amaranthenstrauch!
So in heilger Stille ruhten
   Luft und Wogen, also schwieg
Die Natur, als aus den Fluthen
   Anadyomene stieg.
  
Welch ein ungewohnter Schimmer!
   Erde! dieses Zauberlicht
Flammte selbst im Lenze nimmer
   Von Aurorens Angesicht!
Sieh! des glatten Efeus Ranken
   Tauchen sich in Purpurglanz!
Blumen, die den Quell umwanken,
   Funkeln wie ein Sternenkranz!
  
So beganns im Hain zu tagen,
   Als die keusche Cynthia,
Hoch vom stolzen Drachenwagen,
   Den geliebten Schläfer sah;
Als die Fluren sich verschönten,
   Und, mit holdem Zauberton,
Göttermelodieen tönten:
   Seliger Endymion!

Text nach: Friedrich Matthissons Gedichte. Vierte Auflage. Zürich, bei Johann Heinrich Füssli Sohn 1797, S. 37-41. Digitalisiert durch Google.

Illustration aus: Friedrich Matthissons Gedichte. Vierte Auflage. Zürich, bei Johann Heinrich Füssli Sohn 1797. Digitalisiert durch Google. – Gezeichnet von Angelika Kauffmann (1741-1807), gestochen von Johann Heinrich Lips (1758-1817).

Fürstin Luise von Anhalt-Dessau vermerkt unter dem 13. Dezember 1795 (Rom): "Auch zeigte mir die Ange[lika Kauffmann] die Zeichnung der Psyche für M[atthisson], die sie entworfen hatte. Die Idee war gut gegeben. Ich konnte es auch nicht anders, als es hübsch finden, aber ich gestehe, daß ich mehr vermuthet hatte, doch wann der Kupferstecher dieses so ganz und richtig nachahmt, so ist's dennoch schön." Die originalen Tagebücher der Fürstin Louise Henriette Wilhelmine von Anhalt-Dessau. Auszüge aus den Jahren 1795 bis 1811. Hrsg. von der Kulturstiftung Dessau Wörlitz. Bearb. von Ingo Pfeifer (Kataloge und Schriften der Kulturstiftung Dessau-Wörlitz; 30) Halle: Mitteldeutscher Verlag 2010 (Hinweis von Uwe Quilitzsch, Kulturstiftung Dessau Wörlitz).

Dazu Joachim Kruse: Johann Heinrich Lips 1758-1817. Ein Zürcher Kupferstecher zwischen Lavater und Goethe (Kataloge der Kunstsammlungen der Veste Coburg) Coburg 1989. Kap. XXV: Zürich: Buchillustrationen - Das Zeitalter der Empfindsamkeit, S. 248-256. Nr. 171. Vgl. auch Angelika Kauffmann. Hrsg. u. bearbeitet von Bettina Baumgärtel. Ostfildern-Ruit: Hatje 1998, Nr. 187. 

Wielands, bei Kruse S. 251 zitierte Erklärung des Gedichtes und der Illustration:

Der Dichter sieht Psyche, oder die Seele, im elysischen Haine, der das Thal der Seligen, das eigentliche Elysium, umgibt, ankommen. Mit frohem Schauer, voll göttlicher Seligkeit, grüßt sie diese neue Welt, wo sie der irdischen Hülle entflohn, und, befreyt von dem Nebel, der ihren reinen Urstoff einschleyerte, ihre entbundenen Flügel freyer und geistiger gebrauchen kann. Unsterblich, und in einer ätherischen Lichtgestalt schwebt sie unter Chören von Geistern daher. Jetzt naht sie sich mit süßem Beben dem heiligen Thale, wo der Fluß der ewigen Vergessenheit, die stille Lethe, unter Geweben von Laub dahinfließt; sie schöpft, sie trinkt, und plötzlich ist ihr, als sinke die ganze Erinnerung ihres Erdenlebens wie ein Traumgesicht in Lethes Fluthen hinab.

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Gedichte von Matthisson. Neueste verbesserte Auflage. Wien und Prag bey Franz Haas 1810. Digitalisiert durch Google. – Vgl. Joachim Kruse: Johann Heinrich Lips 1758-1817. Ein Zürcher Kupferstecher zwischen Lavater und Goethe (Kataloge der Kunstsammlungen der Veste Coburg) Coburg 1989. Erinnert an die Beschreibung von Nr. 180 "Psyche an der Lethe hockend, 1802" (mit unbekannter Verwendung), jedoch mit abweichender Bezeichnung, da vielleicht freie Umsetzung. Die Figur ist "im Ausdruck des Gesichtes lieblicher und freudiger", die Landschaft hat einen "abweisenden Charakter".

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2. Matthisson: Der Genfersee
(Erstdruck 1789, weitere Fassungen 1790 und 1791)

Illustration: Trauernder Genius mit Schmetterling. Aus: Friedrich Matthissons Gedichte. Vierte Auflage. Zürich, bei Johann Heinrich Füssli Sohn 1797, S. 5. Digitalisiert durch Google. – Gezeichnet von Johann Erdmann Hummel (1769-1852; falsch bezeichnet als Humnet), gestochen von Johann Heinrich Lips (1758-1817). Vgl. Joachim Kruse: Johann Heinrich Lips 1758-1817. Ein Zürcher Kupferstecher zwischen Lavater und Goethe (Kataloge der Kunstsammlungen der Veste Coburg) Coburg 1989. Nr. 170. Die Erklärung der Komposition liefert Friederike Brun mit der Beschreibung eines – in der Illustration wohl kopierten – Reliefs auf einer antiken Vase (zitiert S. 251):

Traurig, mit abgewendetem Blick, steht der Genius auf dem Altare, den sich schmerzlich krümmenden Abendschmetterling über die am Fusse des Altars lodernde Fackel haltend. Links [in der Illustration rechts] trägt seinem schmachtenden Blick die Hofnung die Granatblüthe der Befriedigung entgegen. Allein der duldenden Psyche nahe steht rechts [in der Illustration links] Nemesis, die Vergelterin, mit dem lohnenden Apfelzweige der Unsterblichkeit.

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An deinen Ufern, wo, vom Winzerheerd
Bis zu des Burgpalastes Marmorhallen,
Der Überfluss sein goldnes Füllhorn leert,
So weit der Freiheit Jubelhymnen schallen;
  
Wo stets die Freude mir, sokratisch mild,
Die unbewölkte Stirn mit Epheu kränzte,
Seitdem des weissen Berges Riesenbild
Zum erstenmal in deiner Fluth mir glänzte;
  
Wo einsam, auf bemooster Felsenwand,
Am Bergstrom, der aus Tannendunkel schäumte,
Mein Geist, an Xenofons und Platons Hand,
Sich des Jlissus Mirtenhaine träumte;
  
Wo meine Blicke, der Natur geweiht,
An ihr, wie Bienen an der Blüte, hingen:
O See! schwebt mein Gesang in jener Zeit
Als menschenleere Wüsten dich umfingen.
  
Da wälzte, wo im Abendlichte dort,
Geneva, deine Zinnen sich erheben,
Der Rhodan seine Wogen trauernd fort,
Von schauervoller Haine Nacht umgeben.
  
Da hörte deine Paradiesesflur,
Du stilles Thal, voll blühender Gehege,
Die grossen Harmonien der Wildniss nur,
Orkan und Thiergeheul und Donnerschläge.
  
Kein Lustgesang der Traubenleserin,
Kein Erntejubel, keines Hirten Flöte,
Kein schmetternd Horn aus reicher Wälder Grün,
Begrüsste da den Stern der Abendröthe.
  
Kein Rundentanz im sanften Vollmondschein!
Kein Freudenmahl vor Tells verehrtem Bilde!
Kein Gang der Liebenden im Frühlingshain,
An Veilchen reich wie Attikas Gefilde!
  
Die Öde schwieg; wenn auf verwachsnem Pfad,
Wo nur der Bär in Felsenklüften hauste,
Nicht etwa noch des Sees gewohntem Bad,
Ein Uhr mit wilder Lust entgegenbrauste.
  
Als senkte sich sein zweifelhafter Schein
Auf eines Weltballs ausgebrannte Trümmer,
so goss der Mond auf diese Wüstenein,
Voll trüber Nebeldämmrung, seine Schimmer.
  
Da hiess aus dieses Chaos alter Nacht,
Der Herr, so weit des Lemans Fluten wallten,
Voll sanfter Anmuth, voll erhabner Pracht,
Sich zauberisch dies Paradies entfalten.
  
Dies stolzumthürmte Land, gleich Tempes Flur,
Mit jedem Reiz der Schöpfung übergossen!
Dies Wunderwerk der göttlichen Natur,
Von Schönheit, wie von Glanz die Sonn', umflossen!
  
Wo jener, dessen heilgen Aschenkrug
Mit Eichenlaub die Wahrheit selbst umwunden,
Die Bahn zum unerreichten Adlerflug
In Heloisens Zauberwelt gefunden.
  
O Clarens! friedlich am Gestad' erhöht,
Dein Name wird im Buch der Zeiten leben.
O Meillerie! voll rauher Majestät,
Dein Ruhm wird zu den Sternen sich erheben.
  
Zu deinen Felsen, die den Einsturz dräun,
In deren Schlund, wo nie die Dämmrung tagte,
Um Julien, mit Safos wilder Pein,
Mit Orfeus Thränen, der Verbannte klagte;
  
Zu deinen Gipfeln, wo der Adler schwebt,
Und aus Gewölk erzürnte Ströme fallen,
Wird oft, von süssen Schauern tief durchbebt,
An der Geliebten Arm, der Fremdling wallen.
  
Und wär' ich auch, mit Hallers Wissenschaft,
Von Grönlands Eis bis zu Taytis Wogen,
Mit Gessners Blick, mit Ansons Heldenkraft,
Mit Claude Lorrains Kunst die Erd' umflogen:
  
Doch weiht' ich ewig, im Erinnrungstraum,
Nur dir der Sehnsucht und des Dankes Thränen;
Doch würd' ich mich in jedem Schöpfungsraum,
O See! verbannt aus deinen Himmeln wähnen.
  
Schön ists, von Ätnas Haupt des Meeres Plan,
Voll grüner Eiland', und die Fabelauen
Siziliens und Strombolis Volkan
Beglänzt von Föbus erstem Stral zu schauen:
  
Doch schöner, wann der Sommertag sich neigt,
Den Zaubersee, hoch von der Dole Rücken,
Wie Lunas Silberhörner sanft gebeugt,
Umragt von Riesengipfeln, zu erblicken.
  
Süss ists, am Wogensturz in Tiburs Hain,
Wo Flakkus oft, entflohn den Schattenchören,
Im Mondlicht wandelt, bey Albanerwein,
Den Genius der Vorwelt zu beschwören:
  
Doch süsser noch, in Prangins Götterwald,
Wann seine Laubgewölbe sich erneuern,
Und weitumher der Vögel Mailied schallt,
Erhabner Freundschaft Bundestag zu feiern.
  
Entzückend ists, wann donnernd himmelan
Des Feuerberges Wogen sich erheben,
Auf Napels Golf, bey Nacht, im leichten Kahn,
In magischer Beleuchtung hinzuschweben:
  
Mit höhrer Lust sieht auf des Lemans Flut,
Wann Thal und Hügel schon in Dämmrung sinken,
Der hohen Eiswelt reine Purpurglut
Mein Aug' aus dunkler Klarheit wiederblinken.
  
Auf Hellas Höhn erblickt der Wandrer nur,
Von Resten alter Herrlichkeit umgeben,
Der Tirannei tiefeingedrückte Spur,
So reizend auch sich Meer und Land verweben:
  
Hier segn' ich froh Helveziens Geschick,
Hier wo die Flur des Fleisses Lohn verkündet,
Hier theilt mein Herz des freien Volkes Glück,
Auf Menschenrecht und auf Vernunft gegründet.
  
Am Strand der Seine tobt Gewittersturm;
Denn Gallien erwacht mit Löwengrimme!
Die Kette fällt; des Elends Riesenthurm,
O Freiheit! stürzt vor deiner Donnerstimme.
  
Am Leman weht des Friedens Palmenzweig!
In Stadt und Dorf erschallt das Lied der Freude;
Zufrieden, wähnt der ärmste Hirt sich reich,
Und Eintracht schützt der Freiheit Felsgebäude.
  
An diesem Hain, vom Erlenbach durchtanzt,
Ein Gärtchen nur vor einer kleinen Hütte,
Mit schlanken Pappeln malerisch umpflanzt,
Ist alles was ich vom Geschick erbitte.
  
Hier würde mir die Weisheit Rosen streun,
Des Himmels Friede meinen Geist umfliessen,
Und einst, o goldnes Bild! im Abendschein,
Die Freundschaft mir die Augen weinend schliessen.
  
Hell würde sich des reinsten Glückes Spur
Mir dann entwölken, fern vom Weltgetümmel.
Wo Liebe, Freundschaft, Weisheit und Natur
In frommer Eintracht wohnen, ist der Himmel.
  
Auf jenem Vorland, von der Wog' umrauscht,
Wo die Betrachtung gern, auf grünen Matten,
Die leisen Tritte der Natur belauscht,
Erhübe sich mein Grab im Eichenschatten.
  
Kein Marmorbild, kein thatenreicher Stein,
Vor dem erröthend sich die Wahrheit wendet,
Entehrte des Entschlummerten Gebein,
Den eitler Grösse Schimmer nie geblendet.
  
Die Rose nur würd' über meinen Staub
Des zarten Mooses Wohlgeruch verhauchen,
Der Thränenweide niederhangend Laub
Mit leisem Flüstern in die Flut sich tauchen;
  
Die Nachtigall, vom Lenzgesträuch umblüht,
Um ihren Freund dort in der Dämmrung klagen,
Und Dafne mir, von Zärtlichkeit durchglüht,
Das Opfer einer Thräne nicht versagen.
  
Auch würd' im Dorfe bald die Sage gehn,
Dass dort gedämpft, wie ferne Bienenchöre,
Sanft, wie am Blütenbaum des Frühlings Wehn,
Der Hirt in stiller Mondnacht Lieder höre. 

Anmerkungen Matthissons

Sich des Jlissus. Ein Fluss, oder vielmehr ein nur zu Zeiten fliessender Giessbach bei Athen. Chandler fand sein Bette trocken.

Da wälzte wo im Abendlichte dort. "Aus dem geheimsten Winkel der Erde, von den Pforten und aus den Wohnungen ewiger Nacht, wälzt der Fluss Rhodan seine Fluten in stürmische Seen, längs dem traurigen Lande der Celten." Appollonius von Rhodus.

Kein Rundetanz. Mit Gesang verbundene Rundetänze, an schönen Sommerabenden, auf öffentlichen Pläzen und Spaziergängen, ist eine Nationalsitte im Pays-de-Vaud und in einigen Provinzen des südlichen Frankreich.

An Veilchen reich wie Attikas Gefilde. Das Veilchen wurde, als die Lieblingsblume der Athenienser, in einigen Gegenden von Attika auch durch Kultur vervielfältigt. Selbst im Winter verkaufte man, nach dem Aristofanes, Veilchenkränze auf dem Markte von Athen. Pindar nennt diese Stadt die Veilchenbekränzte, und Maler und Bildhauer stellten sie als eine majestätische Frau mit einem Veilchenkranze vor. Die Vorliebe für diese Blume hatte ihren Grund in der Anspielung ihres Namens auf den ionischen Ursprung der Athenienser.

Uhr. Auerochs.

Mit Ansons Heldenkraft. Das Andenken dieses grossen Seehelden, dessen Reise um die Welt (von 1740 bis 44) zu den merkwürdigsten und gefahrvollsten gehört, die jemals unternommen wurden, bedarf noch keiner Erneuerung.

Mit Claude Lorrains Kunst. Claude Lorrain, eigentlich Claude Gelée, starb zu Rom 1682. Vielleicht der grösste Landschaftsmaler aller Zeiten.

Den Zaubersee hoch von der Dole Rücken. Vgl. die PDF-Datei, deren Anzeige auf dem Bildschirm Sie selbst skalieren können.

Am Wogensturz in Tiburs Hain. Die unter dem Namen der Kaskatellen bekannten Fälle des Teverone bei Tivoli.

Prangins Götterwald. Ein zur Baronie Prangins gehöriger Lustwald unweit Nion.

Hellas. Griechenland.

Auf jedem Vorland'. Promentou, eine waldichte Halbinsel, bey welcher der grosse Genfersee anfängt.

Die Rose nur. Die Moosrose.

Sie entglühen lieblicher, als der Schwestern
Blühendster Busch[,] düften süßern Geruch;
Auch schmückt sie ihr moosig Gewand.

(Klopstock)  

Text und Anmerkungen: Friedrich Matthissons Gedichte. Vierte Auflage. Zürich, bei Johann Heinrich Füssli Sohn 1797, S. 5-14, 167-173. Digitalisiert durch Google. – Das Gedicht ist von Matthisson mehrfach überarbeitet worden. Durch die Digitalisierung von Google sind eine Reihe von Ausgaben der Gedichte online zugänglich.

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Matthisson an Karl Victor von Bonstetten, 1792

So oft unser Genfersee mir nun auch schon seit vielen Morgenröthen erscheint (Du kennst ihn den sich immer umgestaltenden Proteus), so bleibt jenes zauberische und warme Colorit, worin ich diesen majestätischen Wasserspiegel vor fünf Jahren erblickte, dennoch immer das nämliche, und mein Wunsch, an seinen Ufern mit dem sterbenden Ritter Bayard einst sagen zu können: Meine Seele verläßt mich zufrieden mit sich selbst! – hat in diesem ganzen Zeitraume noch nichts von seiner ursprünglichen Innigkeit und Stärke verloren.

Zit. n. Friedrich von Matthisson's Leben. Nach den zuverlässigsten Quellen bearbeitet von Dr. Heinrich Döring. Zürich, bey Orell, Füßli und Compagnie 1833, S. 105. Vgl. Briefe von Friedrich Matthisson. Verbesserte Aufl. Zürich, bey Orell, Füssli und Compagnie 1802, S. 277 (17. Brief vom 30. Juli 1792).

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Gedichte von Matthisson. Neueste verbesserte Auflage. Wien und Prag bey Franz Haas 1810. Digitalisiert durch Google. – Die Titelillustration scheint angeregt durch das Gedicht "Lied der Nixen", in dem vom Reiten auf Delphinen die Rede ist.

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3. Die Gedichte im Urteil Wielands
(Teutscher Merkur, Januar 1789)

Hätte ich einen Preis zu geben, so würde ich versucht, vor allen den hundert und fünf Stücken, woraus die Sammlung [Voßischer Musenalmanach auf das Jahr 1789] diesmal besteht, ihn dem Elysium zu geben, einer kleinen Composition, die mir den seltenen Genuß dieser fast ununterbrochenen Melodie der Empfindung und dieses reinen Zusammenhangs der Bilder, der Sprache, des Rhythmus und des Reims, worin, deucht mich, die wahre poetische Musik besteht, gewährt hat.

Es ist ein leichter, lieblicher Morgentraum, aus den anmuthigsten Bildern, wie aus elysischen Blumendüften gewebt, eine magische Vision, so geistig-sinnlich, so transparent, so unwesentlich, so süßtäuschend, wie Elysium selbst. Wie glücklich hat der Dichter in den vier letzten Stanzen die schönsten Formen und Ideale, die für eine empfängliche und an das dichterische Ambrosia gewöhnte Phantasie den meisten Reiz haben, zusammengezaubert, und wie meisterhaft sie durch den Ton, der das so lebhaft und doch nicht zu bunt colorirte Ganze zusammenhält, zu verschmelzen gewußt!

Auch die Wahl des trochäischen Rhythmus beweist sein zartes Gefühl des Schicklichen, ohne welches alle andern Gaben, womit die Feen des Helikons einen neugeborenen Dichter beschenken können, an ihm verloren sind. Man transponire es in Jamben, Dactyle oder irgend eine gemischte Versart, und der ganze Effekt dieses Zauberliedes wird auf einmal verschwunden seyn.

Noch ein Gedicht von eben diesem Verfasser, die Elegie am Genfersee verdient ausgehoben und als ein würdiges Seitenstück zu seinem Elysium aufgestellt zu werden. Wer den Genfersee gesehen hat, wird die schöne Diction sehr natürlich finden, die das Wesen dieses Gedichts ist, und dem Wunsche des Dichters, sich hier eine Hütte bauen zu können, als dem eigentlich elegischen Theile dieser Elegie, zur Haltung dient: aber so natürlich sie ist, so möchte sie doch manchen Mitbrüdern des Dichters nicht eingefallen seyn. Dieses doppelte, so schön contrastirende Gemälde der herrlichen Gegend von Genf, wie man sie sich in ihrer uralten Wildniß denken kann, und wie man sie jetzt in der prächtigen und reizenden Gestalt, die ihr der Genius der Künste, lange Cultur, Reichthum und Geschmack gegeben haben, vor Augen sieht, ist der Gesichtspunkt, aus welchem sich ein solcher Anblick dem Dichter darstellt, dessen Blick, durch eine immer zugleich mit seinem körperlichen Auge sehende Imagination gestärkt und erweitert, ihm im Gegenwärtigen zugleich die Vergangenheit und Zukunft, wär' es diese auch nur durch Wünsche, darstellt.

Alles an diesem schönen Gemälde, Erfindung und Zusammensetzung, Ausdruck und Ton der Farben hat meinen vollen Beyfall; alles ist kräftig und warm, alle Bilder stehen in einem natürlichen, wohl vertheilten Lichte, das Colorit ist (wie es die Sache erforderte) nicht so bunt und schimmernd, als im Elysium; aber der Antheil, den das wirkliche Gefühl des Dichters an dem Produkt hatte, gibt ihm dafür eine Art von Interesse, das jene Zaubervision nicht hat, aber entbehren kann.

Auch der Sprache und Versification gebührt vieles Lob, und der alternirende zehn- und eilfsylbige Jambus, den Herr M. sehr gut zu behandeln weiß, scheint für die Seelenstimmung, die in diesem Gedicht herrscht, für die Gattung der Elegie, worin Traurigkeit und Melancholie nicht der herrschende Ton ist, das angemessenste Metrum zu seyn.

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Die Urteile von Wieland und Schiller wurden von Matthissons Biografen Heinrich Döring zusammengestellt: Friedrich von Matthisson's Leben. Nach den zuverlässigsten Quellen bearbeitet von Dr. Heinrich Döring. Zürich, bey Orell, Füßli und Compagnie 1833. Vollständig als PDF-Datei, deren Anzeige auf dem Bildschirm Sie selbst skalieren können. Digitalisiert durch Google.

Diese Biografie enthält auf S. 281 bis 285 eine Zusammenstellung von Matthissons Schriften, einschließlich der Rezensionen, die sie erfahren haben, und der musikalischen Kompositionen.

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4. "Der Genfersee"
im Urteil Schillers
(1794)

Endlich finden sich unter diesen Landschafts-Gemälden mehrere, die uns durch einen gewissen Geist oder Ideenausdruck rühren, wie gleich das erste der ganzen Sammlung [Gedichte von Friedrich Matthisson. Dritte vermehrte Auflage, 1794], »Der Genfersee« in dessen prachtvollem Eingange uns der Sieg des Lebens über das Leblose, der Form über die gestaltlose Masse sehr glücklich versinnlicht werden. Der Dichter eröffnet dieses schöne Gemälde mit einem Rückblick in die Vergangenheit, wo die vor ihm ausgebreitete paradiesische Gegend noch eine Wüste war:

Da wälzte, wo im Abendlichte dort,
Geneva, deine Zinnen sich erheben,
Der Rhodan seine Wogen traurend fort,
Von schauervoller Haine Nacht umgeben.
  
Da hörte deine Paradieses Flur,
Du stilles Tal voll blühender Gehege,
Die großen Harmonien der Wildnis nur,
Orkan und Tiergeheul und Donnerschläge.
  
Als senkte sich sein zweifelhafter Schein
Auf eines Weltballs ausgebrannte Trümmer,
So goß der Mond auf diese Wüstenein
Voll trüber Nebeldämmrung seine Schimmer. 


Und nun enthüllt sich ihm die herrliche Landschaft, und er erkennt in ihr das Lokal jener Dichterszenen, die ihm den Schöpfer der Heloise ins Gedächtnis rufen.

O Clarens! friedlich am Gestad erhöht,
Dein Name wird im Buch der Zeiten leben.
O Meillerie! voll rauher Majestät,
Dein Ruhm wird zu den Sternen sich erheben.
  
Zu deinen Gipfeln, wo der Adler schwebt
Und aus Gewölk erzürnte Ströme fallen,
Wird oft, von süßen Schauern tief durchbebt,
An der Geliebten Arm der Fremdling wallen. 


Bis hieher wie geistreich, wie gefühlvoll und malerisch! Aber nun will der Dichter es noch besser machen, und dadurch verderbt er. Die nun folgenden, an sich sehr schönen Strophen kommen von dem kalten Dichter, nicht von dem überströmenden, der Gegenwart ganz hingegebenen Gefühl. Ist das Herz des Dichters ganz bei seinem Gegenstande, so kann er sich unmöglich davon losreißen, um sich bald auf den Aetna, bald nach Tibur, bald nach dem Golf bei Neapel u.s.w. zu versetzen und diese Gegenstände nicht etwa bloß flüchtig anzudeuten, sondern sich dabei zu verweilen. Zwar bewundern wir darin die Pracht seines Pinsels, aber wir werden davon geblendet, nicht erquickt; eine einfache Darstellung würde von ungleich größerer Wirkung gewesen sein. So viele veränderte Dekorationen zerstreuen endlich das Gemüt so sehr, dass, wenn nun auch der Dichter zu dem Hauptgegenstand zurückkehrt, unser Interesse an demselben verschwunden ist. Anstatt solches aufs neue zu beleben, schwächt er es noch mehr durch den ziemlich tiefen Fall beim Schluss des Gedichts, der gegen den Schwung, mit dem er anfangs aufflog, und worin er sich so lang zu erhalten wusste, gar auffallend absticht. Hr. M. hat mit diesem Gedicht schon die dritte Veränderung vorgenommen und dadurch, wie wir fürchten, eine vierte nur desto nötiger gemacht. Gerade die vielerlei Gemütsstimmungen, denen er darauf Einfluss gab, haben dem Geist, der es anfangs diktierte, Gewalt angetan, und durch eine zu reiche Ausstattung hat es viel von dem wahren Gehalt, der nur in der Simplizität liegt, verloren.


Friedrich Schiller: Sämtliche Werke. Hrsg. von Gerhard Fricke u. Herbert G. Göpfert. Bd. 5. München: Carl Hanser 1962, S. 1006-1008. – Über Matthissons Gedichte. Erstdruck: Allgemeine Literatur-Zeitung, 11. u. 12. 9.1794. Schiller bezieht sich auf Matthisson als Repräsentanten der Landschaftspoesie, um deren Poetologie es ihm zu tun ist.

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Gedichte von Matthisson.
Vierzehnte Auflage.
Zürich, bey Orell, Füßli und Comp. 1846.

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5. Kurzbiographie von Matthisson

Gedichte von Matthisson. Neueste verbesserte Auflage. Wien und Prag bey Franz Haas 1810. Digitalisiert durch Google.

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Matthisson, Friedrich von, der Landschaftsmaler unter den Dichtern, der Sänger der Elegien und Mondscheinnächte, der Frühlingsbilder und Elfentänze, einer der Lieblinge unserer Lyrik, wurde 1761 in Hohendodeleben bei Magdeburg geboren, studierte in Halle, wurde Lehrer in Dessau, lebte später bei seinem Freunde, [Karl Victor von ]Bonstetten, am Genfersee, und erhielt 1794 den Ruf als Lektor und Reisegefährte der Fürstin von Anhalt-Dessau. In deren Gefolge bereiste er Tyrol, die Schweiz, Italien, Savoyen und das südliche Frankreich. Seine Reiseeindrücke hat er in den »Erinnerungen» geschildert. Nach dem Tode der geistreichen Fürstin wurde er in Württemberg geheimer Legationsrat, Hoftheaterintendant, Oberbibliothekar, erhielt das Adelsdiplom und einen Orden. 1819 reiste er im Gefolge des Herzogs Wilhelm noch einmal nach Italien. So heiter sein Leben war, so trübte den Abend desselben ein gewaltiger Schmerz durch den Tod seiner jugendlichen, liebenswürdigen Gattin. Matthisson zog sich nach Wörlitz bei Dessau zurück, wo er den 12. März 1831 starb.

Als Lyriker hat er für die deutsche Literatur bleibenden Werth; Gedichte wie Elysium, Elegie in den Ruinen eines alten Bergschlosses, Adelaide, Laura betet, der Genfersee etc. sind von unvergänglichem Reize.

Im Leben war der Sänger treu, unbescholten, herzlich und bieder. Auf dem Kirchhofe zu Wörlitz schlummert er zwischen Rosen nicht fern von dem Grabe seiner erlauchten Gönnerin.


Damen Conversations Lexikon. Herausgegeben von Carl Herloßsohn. Neusatz und Faksimile der 10-bändigen Ausgabe Leipzig 1834 bis 1838 (Digitale Bibliothek; 118) Berlin: Directmedia 2005, S. 7208 f. Redigiert, Absätze eingefügt.

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Friedrich Matthissons Gedichte. Vierte Auflage. Zürich, bei Johann Heinrich Füssli Sohn 1797, S. 164 am Ende der Gedichte. Gezeichnet von Ferdinand Hartmann (1774-1842), gestochen von Johann Heinrich Lips (1758-1817). Vgl. Joachim Kruse: Johann Heinrich Lips 1758-1817. Ein Zürcher Kupferstecher zwischen Lavater und Goethe (Kataloge der Kunstsammlungen der Veste Coburg) Coburg 1989, Nr. 169.

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6. Rechtlicher Hinweis und Kontaktadresse

Alle Vorlagen entstammen, wenn nicht anders angegeben, einer privaten Sammlung. Die private Nutzung und die nichtkommerzielle Nutzung zu bildenden, künstlerischen, kulturellen und wissenschaftlichen Zwecken ist gestattet, sofern Quelle (Goethezeitportal) und URL (http://www.goethezeitportal.de/index.php?id=4181) angegeben werden. Die kommerzielle Nutzung oder die Nutzung im Zusammenhang kommerzieller Zwecke (z.B. zur Illustration oder Werbung) ist nur mit ausdrücklicher schriftlicher Genehmigung der Verfasser gestattet. Rechteinhaber konnte das Goethezeitportal nicht ermitteln, ggf. bitten wir höflichst um Nachricht.

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Schellingstr. 3
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E-Mail: georg.jaeger@germanistik.uni-muenchen.de.

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