goethe


Jutta Assel | Georg Jäger

Umrisse zu Schillers Wilhelm Tell.
Erfunden und auf Stein gezeichnet
von Carl Oesterley

Eingestellt: Juni 2018

Carl Oesterley (1805-1891) gehört zu den 'Wissenschaftskünstlern' der Romantik, die ihr künstlerisches Arbeiten mit kunsthistorischer Forschung und ästhetischer Reflexion verbunden haben. Er promovierte 1824, habilitierte sich 1829 und übernahm an der Universität Göttingen eine Professur für Kunstgeschichte. Seine künstlerische Ausbildung erhielt Oesterley an der Dresdner Akademie. Während seines Italienaufenthalt 1824-28 befreundete er sich mit Joseph Führich und verkehrte im Kreis der Deutschrömer. Bekannt wurde er vor allem durch seine Porträts, Historien- und Altarbilder sowie durch Umrisszeichnungen. 150 Umrisszeichnungen nach Antiken verfertigte er für das von Carl Otfried Müller herausgegebene Tafelwerk "Denkmäler der alten Kunst", das in Heften von 1832 bis 1844 erschien. Unter seinen Illustrationen (zu Goethe, Schiller, Uhland u.a.) sind die 12 Umriss-Lithographien zu Schillers "Wilhelm Tell" das umfänglichste Werk. Um bei der Betrachtung der Illustrationen den Gesichtspunkt zu bezeichnen, von dem er beim Entwerfen derselben ausgegangen war, fügte Oesterley als Einleitung eine ästhetische Reflexion bei. Den "Cyklus von Compositionen" vergleicht er darin mit einer Oper, wobei das Titelbild der Ouvertüre entspricht. Beide sollen "allgemeine Stimmungen der Seele" hervorrufen und einen "Totaleindruck des Ganzen" verschaffen. In diesem Sinn stellt das Titelblatt zum "Wilhelm Tell" den "Sieg der Freiheit über die Tyrannei" dar. Der göttliche Wille, in dem Engel personifiziert, "äussert sich am schönsten in dem geistigen und materiellen Lichte; als solches erleuchtet die Sonne im Aufgehen von neuem die frei gewordene Schweiz. Das Unreine, Sündhafte, Materielle, muss vor der Macht des Lichtes weichen, und in den Schooss der Nacht, aus dem es hervorging, zurücksinken. [...] Eine Brücke über die Reus, welche die reine Regenbogenform, als Symbol der Versöhnung zwischen dem Leichten und dem Schweren, dem Guten und Bösen hat, bildet die Pforte des Paradieses der Schweiz, welches der Engel mit dem Flammberge schirmend bewacht. Auf dieser Brücke ruht Tell [...] in der Umarmung seiner Frau und Kinder aus."

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Gliederung

1. Das verwendete Exemplar
mit Widmung
2. Auszug aus der Anzeige von
Oesterleys "Tell"-Illustrationen
in den "Göttingischen gelehrten Anzeigen"
3. Einleitung von Carl Oesterley
4. Umrisse
5. Kurzbiographie von Carl Oesterley
6. Notizen zum Übersetzer
Thomas Collins Banfield
7. Rechtlicher Hinweis und Kontaktanschrift

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1. Das verwendete Exemplar
mit Widmung

Umrisse zu Schiller's Wilhelm Tell. Erfunden und auf Stein gezeichnet von D. Carl Oesterley. Goettingen, 1831. Gedruckt von Gbr. Ritmueller. [Aufkleber:] Göttingen u. Berlin, im Verlag bey den Gebr. Rocca. 2 Blatt Text; 12 Blatt Illustrationen mit Textstellen in Deutsch und Englisch. - Höhe 33; Breite 45,5 cm (Mappe).

Vgl. Renate Senf: Das künstlerische Werk von Carl Oesterley (Göttinger Studien zur Kunstgeschichte ; H. 2) Göttingen u.a.: Musterschmidt 1957. Zugleich Diss., Göttingen. - Hier: Verzeichnis der Werke, VI. Illustrationen, Nr. 24-35. In dieser Auflistung fehlt das letzte, auf vorliegender Seite abgebildete Blatt.

Verlag:
Der Verlag der Gebrüder Rocca firmierte in Berlin und Göttingen bzw. Göttingen und Hannover oder nur Berlin. Er war spezialisiert auf Bildreproduktion (z.B. Porträts, Historienbilder, Karikaturen) und Karten (vor allem Pläne Berlins).

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Widmung auf Vorsatzblatt:
Ier Preis in der 3ten Abtheilung des Unterrichtes in der Zeichnungskunst. Zuerkannt dem Zöglinge Gustav Schlor. München den 24. August 1836. C[?] Direktor. Mit aufgeklebtem Prägestempel: K. B. Erziehungs-Institut für Studierende in München.
Erläuterung: Das "Königliche Erziehungsinstitut für Studierende in München" ging aus der 1574 gegründeten "Domus Gregoriana" hervor und wurde 1905 in "Albertinum" umbenannt. Vgl.
 * Homepage des Studienseminars Albertinum:
http://www.albertinum-online.de/geschichte_des_albertinums/
* Eintrag in Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Studienseminar_Albertinum

Bei dem Schüler könnte es sich um Gustav Schlör oder Schlor (1820-1883), Politiker, Industrieller, bayer. Verkehrs- und Handelsminister handeln.

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2. Auszug aus der Anzeige
von Oesterleys "Tell"-Illustrationen
in den "Göttingischen gelehrten Anzeigen"

Quelle:
Göttingische gelehrte Anzeigen. Der zweyte Band auf das Jahr 1831, S. 1209-1220. Die Beurteilung der Übersetzung wird hier nicht wiedergegeben. Digitalisierung:
https://de.wikisource.org/wiki/Göttingische_Gelehrte_Anzeigen#Ab_1802

Wir haben das Vergnügen unsern Lesern eine doppelte, hier ausgeführte, Unternehmung anzukündigen, bey der die Poesie und die Kunst sich verbunden haben, unsern Schiller auf eine seiner würdige Weise den Briten bekannter zu machen; eine Englische Uebersetzung seines Meisterwerks "Wilhelm Tell" von Hn. Collin-Banfield [Thomas Collins Banfield, 1799 oder 1802-1855], angestelltem Lehrer der Englischen Sprache bey unserer Universität, begleitet von einer Reihe lithographierter Scenen aus demselben, von einem practischen Künstler, unserm Hn. Dr. Carl Oesterley.

William Tell. A dramatic poem, translated from the German of Schiller by Th. C. Banfield, London, 1831. 166 S. in 8.
[...]

Gleichsam Hand in Hand mit dem Uebersetzer ging der Künstler; jedoch so, daß sein Werk auch als für sich bestehend in den Handel kam. Es heißt:

Umrisse zu Schillers Wilhelm Tell; erfunden und auf Stein gezeichnet von Dr. Carl Oesterley. 1831. Fol. XIII. Im Verlag der Kunsthandlung der Gebrüder Rocca in Göttingen.

Wenn man, sagt der Künstler, zu der großen Anzahl von Compositionen in Umrissen gezeichnet, die schon vorhanden sind, noch stets neue hinzukommen sieht, so drängt sich sehr natürlich die Frage auf, welche Umstände es wohl sind, die es veranlaßt haben, daß eigentlich erst seit den letzten 50 Jahren so viele Werke der Kunst, in Umrissen gezeichnet, herausgekommen sind.

Ein Hauptgrund dürfte in dem Mißverhältnisse liegen, welches zwischen der Masse von Künstlern, die ihrem inneren Drange nach Darstellungen der Kunst nicht widerstehen können, und der verhältnißmäßig kleinen Zahl von bemittelten Kunstfreunden, welche den Künstlern Gelegenheit verschaffen können, ihre Phantasien und Ideen im Größeren auszuführen, Statt findet. Kann sonach der Künstler seine Bilder nicht im Großen ausgeführt dem Publicum zeigen, so ist nicht zu leugnen, daß er kein passenderes Mittel in Händen hat, seine Bilder originell und unverfälscht andern vervielfältiget mitzutheilen, als in selbst radierten oder lithographierten Compositionen.

Dazu kommt ein anderer nicht minder erheblicher Grund; besitzt nämlich der Maler nicht eine große Uebung im Kupferstechen, so daß er durch eine gleichmäßige Ausführung, das den Ausdruck, den Character in den Köpfen besonders, bezeichnende, gehörig vor den übrigen Schatten und Tönen hervorheben kann, wobey ein hoher Grad zarter Ausführung Statt finden muß, so wird der Ausdruck durch die vielen andern Linien leicht geschwächt; die Linien welche das Geistige bezeichnen, sind zu versteckt zwischen denen die bloß das Formelle ausdrücken, so, daß durch eine solche Verwirrung der Linien der Ausdruck, wenn auch nicht ganz verloren geht, doch sehr geschwächt wird. Da es nun der Hauptzweck ist, den geistigen Ausdruck in Compositionen zu zeigen, so ist es natürlich, daß man nur die Linien allein hinstellt, die eben die geistigen Linien sind. Hieraus erklärt es sich, wie mit so sehr Wenigem so viel gesagt werden kann, da alles Störende, Schwächende fehlt.

Ein anderer Grund, warum eben bloß in Umrissen viele Compositionen von Künstlern gezeichnet werden, ist auch wohl der, daß man in viel kürzerer Zeit und auf eine für das Publicum viel billigere Weise, nun nicht bloß auf einzelne Bilder sich zu beschränken braucht, sondern ganze Reihefolgen von Bildern liefern kann, die einen innern geistigen Zusammenhang haben. Dabey ist freylich vorauszusetzen, daß der Beschauer solcher Umrisse schon einen gewissen Grad von Kunstbildung haben muß, damit er die Idee, welche der Künstler ausdrücken wollte, richtig aufzufassen vermag. Es sind hier in gewisser Beziehung nur Andeutungen, nur umschreibende Linien gegeben; der Beschauer soll mit seiner Phantasie das Fehlende ausfüllen; aber eben in dieser Thätigkeit der Phantasie, zu welcher der Künstler dem Beschauer noch Raum gelassen hat, liegt ein eigenthümlicher Zauber; indessen wie schon gesagt, nur dem, der da schon hat, wird gegeben; wer keine Phantasie mitbringt, für den bleiben solche Umrisse nur Umrisse, sie werden nicht durch ihn selbst belebt.

Das angezeigte Werk besteht aus einer Vorrede vom Künstler und aus 13 Compositionen in Umrissen auf Stein gezeichnet.

In der Vorrede stellt der Verfasser zuerst eine allgemeine Betrachtung über das Verhältniß der bildenden zu der musischen Kunst auf, worin er eine Parallele zwischen der Ouverture und der Oper mit dem Titelblatte und dem Cyklus von malerischen Compositionen zieht; es werden hier die Grundsätze angedeutet, nach denen der Maler ein Titelblatt und den nachfolgenden Cyklus componieren soll, wobey zugleich die große Schwierigkeit bemerkt ist, daß der Maler, um allgemeine Vorstellungen zu erregen, seine Zuflucht zu Allegorien nahmen muß, welche doch, indem sie hauptsächlich nur den Verstand und nicht so das Gefühl in Thätigkeit setzen, kein Gegenstand der bildenden Kunst seyn sollen. Um dieß Mißverhältniß so viel als möglich auszugleichen, glaubt der Verf. in einem Titelblatte dergestalt allegorische Figuren darstellen zu müssen, daß sie zugleich, abgesehen von der nur dem Verstande erklärlichen Bedeutung, auch unser Gefühl anregen.

Hierauf folgt die Beschreibung derjenigen Compositionen, welche nach der Meinung des Künstlers vielleicht ohne Commentar in einzelnen Puncten nicht ganz verständlich seyn könnten; aus diesem Grunde ist das Titelblatt, den Sieg der Freyheit über die Tyranney allegorisch darstellend, am ausführlichsten beschrieben, zu den übrigen zwölf Compositionen finden sich nur einzelne Andeutungen in der Vorrede, da hier der dargestellte Gegenstand schon durch die, den Moment der Handlung bezeichnenden Stellen, aus Schillers Schauspiel näher bestimmt ist. [...]

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3. Carl Oesterley
Einleitung

Um bei der Betrachtung der vorliegenden Umrisse, den Gesichtspunkt zu bezeichnen, von dem ich bei dem Entwerfen derselben ausging, dürften einige Andeutungen, über die Auffassung und Darstellung derselben, vorauszuschicken seyn.

Es scheint, als könne man einen solchen Cyclus von Compositionen am passendsten mit einer Oper vergleichen. Wie hier in einer fortlaufenden Zeit die Musik, die verschiedenen Handlungen und zugleich Stimmungen des Gemüthes, durch die Begleitung und die Uebergänge vereinigt, so soll dieser innere Zusammenhang der bildlichen Darstellungen, durch die Wahl der Handlungen, und durch angemessene Darstellung derselben erreicht werden.

Eben so, wie nun bei der Oper die Ouvertüre, eine Einleitung zu dem ganzen Werke ist, welche uns einen Totaleindruck des Ganzen verschaffen, und uns in die Stimmung versetzen soll, um das Nachfolgende gehörig auffassen zu können, so soll das Titelbild, im höhern Sinne genommen, denselben Zweck haben.

Besteht die Ouvertüre nicht etwa nur aus Bruchstücken der vorzüglichsten Arien der Oper, oder ist das Titelblatt nicht etwa nur eine Zusammensetzung einzelner Scenen aus den Haupthandlungen, wodurch nie ein Totaleindruck erreicht wird; so wird man, bei einer schärfern Vergleichung der Ouvertüre mit dem Titelblatte bald finden, welche Schwierigkeiten der bildende Künstler, im Verhältnisse zu dem musischen, zu überwinden hat.

Wenn der Musiker seine Gedanken in der Ouvertüre durch Uebergänge aus einem Akkorde zum andern, zu einem in sich abgeschlossenen Ganzen vereinigen kann, so bleibt dem Maler, um dasselbe zu erreichen, nur die Darstellung der symmetrischen Form des Ganzen, in welcher er sich, nach gewissen räumlichen Gesetzen, frei bewegen soll; was dort die fortgehende Zeit ist, ist hier der Raum.

Zum Erregen allgemeiner Vorstellungen, ist wohl keine Kunst geeigneter als die Musik; schwerer wird es ihr dagegen, ganz bestimmte Vorstellungen von Handlungen zu schaffen; dies ist das Reich der bildenden Kunst. - Will diese aber nun allgemeine Stimmungen der Seele hervorbringen, wie dies hier der Zweck des Titelblatt's, dort der Ouvertüre seyn soll, so kann es nicht vermieden werden, zu Allegorien die Zuflucht zu nehmen, und eben hierin besteht die grosse Schwierigkeit, und der Nachtheil des Malers, im Verhältnisse zum Musiker.

Allegorien beschäftigen den Verstand, nicht aber das Gefühl, und doch soll dies bei einem Kunstwerke hauptsächlich erregt werden. Der einzige Ausweg scheint hier der zu seyn, dass die allegorischen Figuren dergestalt in Handlungen dargestellt werden, dass sie zugleich, abgesehen von der nur dem Verstande erklärlichen Bedeutung, auch unser Gefühl anregen.

Diesen Bemerkungen darf ich einige Andeutungen, in Ansehung der einzelnen Darstellungen selbst, hinzufügen.

Je lebhafter ich es fühle, wie weit ich noch hinter dem mir gesteckten Ziele zurückgeblieben bin, desto mehr darf ich auf eine nachsichtige Beurtheilung dieser ersten Arbeit der Art von mir hoffen.

Das Titelblatt soll den Sieg der Freiheit, über die Tyrannei darstellen.

Da nun ohne göttliche Einwirkung nichts in der Welt vorgeht, so ist hier der göttliche Wille, in dem Engel der Rache personificirt. Der göttliche Wille äussert sich am schönsten in dem geistigen und materiellen Lichte; als solches erleuchtet die Sonne im Aufgehen von neuem die frei gewordene Schweiz. Das Unreine, Sündhafte, Materielle, muss vor der Macht des Lichtes weichen, und in den Schooss der Nacht, aus dem es hervorging, zurücksinken. Solche Wesen der Finsterniss, sind: die drei Landvoigte; Wolfenschiessen, welcher von Baumgarten im Bade erschlagen wurde; Gessler als der Haupttyrann, von Tell, dem Helden des Ganzen, erschossen, und der Landenberger, welcher, aus der Schweiz vertrieben, von dem Engel in den Abgrund gestürzt wird. Zu ihnen gesellt sich der Drache, das Symbol der Zwietracht, welcher im Sumpfe bei Weiler von Winkelried erstochen wurde. Albrecht I. aus dem Abgrunde emporsteigend, erscheint als mahnendes Bild, als Gewissensqual, dem Parricida, der den ihm von Tell bezeichneten Pfad zur Busse, an der Reus betreten hat.

Wolken, entstanden durch den Wasserstaub der niederbrausenden Reus und den Dampf des Abgrundes, lassen, zurückweichend vor den Strahlen des Lichts, einen Blick in das Innere der Schweiz zu. Eine Brücke über die Reus, welche die reine Regenbogenform, als Symbol der Versöhnung zwischen dem Leichten und dem Schweren, dem Guten und Bösen hat, bildet die Pforte des Paradieses der Schweiz, welches der Engel mit dem Flammberge schirmend bewacht.

Auf dieser Brücke ruht Tell, nach der Arbeit der Vermittlung zwischen dem Guten und Bösen, in der Umarmung seiner Frau und Kinder aus. Gessler's Hut, früher das Symbol der Tyrannei, ist jetzt das der Freiheit geworden. In den übrigen Figuren ist die letzte Scene in Schillers Schauspiel dargestellt, wie die freien Schweizer heranziehen um Tell, dem Retter ihrer Freiheit, zu danken. Die drei Hauptmotive des Aufstandes der Schweizer, sind die Liebe zu der Geliebten, bei Rudenz, zu dem VVater, bei Melchthal, und zu der Gattin und den Kindern, bei Tell.

Rudenz neben der Bertha sagt die Schlussworte des Schauspiels:

     "Und frey erklär' ich alle meine Knechte"

Attinghausen segnet ihn für diesen edlen Entschluss, und Kuoni reicht ihm zur Versöhnung den Becher, welchen er früher aus Stolz zurückwies. Unter ihm ist Armgart mit den Kindern.

Melchthal, auf der andern Seite, in die Schweiz hineinzeigend, verkündet dem blinden Vater die wiedergekehrte Freiheit. Unter ihnen zeigt Baumgarten seiner Frau den Retter Tell. Walther Fürst und Stauffacher erneuen das Band der Freundschaft, welche sie stark machte in der Zeit der Noth. Hinter allen diesen, ertheilt Rösselmann mit der Monstranz, der Feier der Freiheit die christliche Weihe.

Im Hintergrund werden die drei Hauptbeschäftigungen der Schweizer, das Jäger-, Hirten- und Fischerleben, die nun wieder, nach überstandener Tyrannei, im Schutze der Freiheit, froh gedeihen, angedeutet. Es schien am passendsten, auf dem Titelblatte den Inhalt der drei, die Einleitung des Schillerschen Schauspiels, bildenden Lieder, als Schlussscene, als Folge des Vorangegangenen, anzudeuten. Jetzt, nach wieder erlangter Freiheit, wird der Fischerknabe das Lied beginnen:

     Es lächelt der See u.s.w.

Kaum bedürfen die nachfolgenden zwölf Umrisse einer Erklärung, da durch die beschreibenden Worte, welche sich unter jeder Composition befinden, und die Angabe der Scene und des Aktes in Schiller's Schauspiel, der Moment der Handlung angedeutet ist.

Tell's Character dürfte am besten bezeichnet werden, wenn er als schlichter Landmann dargestellt wird, welcher, so lange es irgend möglich ist, ruhig seine Bahn fortgeht, und nur durch das Unerhörte der Tyrannei bis zum Aeussersten getrieben wurde, welcher fest und kn seine Entschlüsse ausführte, nachdem er stets vorher den Weg der Güte und des Rechts versucht hatte. So rettet er den Baumgarten Nro. 1. nachdem alles Zureden an den Steuermann vergeblich war. In Nro.2. stellt er seine Betrachtungen über den Ausruf wegen des Huts ruhig an, fasst aber, während Stauffacher heftig darüber seinen Unwillen äussert, seinen Entschluss für die Folge. Nro. 6. schien mir in doppelter Beziehung, ein wichtiger Moment, einmal der Worte Hedwig's wegen:

     "Er hat vor dir gezittert - Wehe dir!
      Dass du ihn schwach gesehn, vergibt er nie",

aus welchen die Ursache des Hasses des feigen Tyrannen gegen ihn hervorgeht, und dann schildert Schiller ihn hier am passendsten als den schlichten Alpenjäger, welcher sich seines Vortheils hier über den Landvoigt nicht bediente. Der Moment der Handlung in Nro. 8. schien deshalb in dieser Scene am passendsten zu seyn, weil er das Vorangegangene und Nachfolgende am klarsten errathen lässt, und so, als der Wendepunkkt, zugleich den Uebergang zu den beiden ausserordentlichen Handlungen in Nro. 9 und 11 bildet. Im Contrast zum Parricida ist er Nro. 12. geschildert; er ist kein Mörder, sondern nur der Beschützer und Vertheidiger seiner Familie.

Schliesslich bemerke ich noch, dass die Unterschriften unter die Umrisse deshalb auch in englischer Sprache hinzugesetzt worden [hier nicht abgebildet], weil sie eine metrische Uebersetzung des Schillerschen Wilhelm Tell's in das Englische vom Herrn Professor Thomas Collins Banfield, zu begleiten mit bestimmt sind.

Göttingen 1831.
D. Carl Oesterley

Der Artikel ist mit "Hn" signiert. Nach Senf (Das künstlerische Werk von Carl Oesterley, S. 19) hat Oesterley den begleitenden Artikel zu den Zeichnungen für die "Göttinger Gelehrten Anzeigen" selbst verfasst.

Die englische und französische Ausgabe:
William Tell. A dramatic poem, transl. from the German of [Friedrich von] Schiller by Tho[ma]s C[ollins] Banfield. London: Black, Young and Young 1831.

Guillaume Tell: 13 compositions graveés par Ribault, d'après Carl Oesterley. Précédé d'une analyse du drame de Schiller. Paris: Ribault 1833. 32 S, 13 Taf ; 8". - Erscheinungsort auch: Paris: Pillet, 1833.

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4. Umrisse

Zur Funktion des Titelbildes für die gesamte Komposition
und zur Bedeutung ihrer einzelnen Elemente
siehe das Vorwort von Oesterley.

 

Erster Aufzug, Erste Szene
Kuoni zum Ruodi.

Ihr seid ein Meister Steuermann. Was sich
Der Tell getraut, das konntet Ihr nicht wagen?

Erster Aufzug, Dritte Szene.
Ausrufer.

Verfallen ist mit seinem Leib- und Gut
Dem Könige, wer das Gebot verachtet.

Erster Aufzug, Vierte Szene.

Melchthal (stürzt heraus).
In die Augen, sagt Ihr?

Stauffacher (erstaunt zu Walter Fürst)
Wer ist der Jüngling?

Zweiter Aufzug, Erste Szene.
Kuoni.

Trinket frisch! Es geht
Aus einem Becher und aus einem Herzen.

Zweiter Aufzug, Zweite Szene.
Rösselmann.

Wir wollen trauen auf den höchsten Gott
Und uns nicht fürchten vor der Macht der Menschen.

Dritter Aufzug, Erste Szene.
Tell.

Die Knie versagten ihm, ich sah es kommen,
Dass er jetzt an die Felswand würde sinken.
- Da jammerte mich sein, ich trat zu ihm
Bescheidentlich und sprach: "Ich bin's, Herr Landvogt.

Dritter Aufzug, Zweite Szene.
Bertha.

Dürft Ihr von Liebe reden und von Treue,
Der treulos wird an seinen nächsten Pflichten?

Dritter Aufzug, Dritte Szene.
Tell.

Mit diesem zweiten Pfeil durchschoss ich Euch
Wenn ich mein liebes Kind getroffen hätte
Und Eurer - wahrlich! hätt ich nicht gefehlt!

Vierter Aufzug, Erste Szene.
Tell.

Und mit gewalt'gem Fussstoss hinter mich
Schleudr ich das Schifflein in den Schlund der Wasser.

Vierter Aufzug, Zweite Szene.

Rudenz (rasch eintretend).
Lebt er? O saget kann er mich noch hören?

Walter Fürst (deutet hin mit weggewandtem Gesicht).
Ihr seid jetzt unser Lehensherr und Schirmer,
Und dieses Schloss hat einen andern Namen.

Vierter Aufzug, Dritte Szene.
Gessler.

Das ist Tells Geschoss!

Fünfter Aufzug, Zweite Szene.
Tell.

Frage nicht!
Fort, fort! Die Kinder dürfen es nicht hören.
Geh aus dem Hause - Weit hinweg - Du darfst
Nicht unter einem Dach mit diesem wohnen.

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5. Kurzbiographie von Carl Oesterley

Oesterley, Carl Wilhelm Friedrich, Historien-, Genre- und Bildnismaler, Radierer und Lithograph, Kunstgelehrter, * Göttingen 22. 6. 1805, † Hannover 28. 3. 1891. Promovierte 1824 zum Dr. phil., an der Universität Göttingen, an der er 1831/61 eine Professur für Kunstgeschichte innehatte. Bildete sich als Maler bei J. Krauskopf in Kassel, bei F. Matthäi in Dresden (1824/26), in Rom (1827/29), bei Wilhelm v. Schadow in Düsseldorf (1835) und in München (1838). 1845 Ernennung zum Hofmaler des Königs von Hannover. Werke: Fresken, Historienbilder, Bildnisse, Altarbilder u.a. Unter seinen Illustrationen (zu Goethe, Schiller, Uhland u.a.) sind die 1831 publizierten Umriss-Lithographien zu Schillers "Wilhelm Tell" das umfänglichste Werk. Eine Federzeichnung "Tells Abschied" entstand bereits 1825. (Thieme-Becker, ergänzt und gekürzt)

Vgl. den Eintrag "Carl Oesterley senior" in Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Oesterley_senior

Siehe auch das Projekt der Georg-August-Universität Göttingen "Kunst als Wissenschaftspraxis. Carl Oesterley (1805-1891) und die Begründung der Kunstwissenschaft im 19. Jahrhundert." URL:
https://www.uni-goettingen.de/de/539357.htmlx

Selbstbildnis:
Renate Senf: Das künstlerische Werk von Carl Oesterley (Göttinger Studien zur Kunstgeschichte ; H. 2) Göttingen u.a.: Musterschmidt 1957. Zugleich Diss., Göttingen. Darin: Selbstbildnis, Dresden 1826, Abb. 1.

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6. Notizen zum Übersetzer
Thomas Collins Banfield

"Der Professor am Carolino in Braunschweig Thomas Collins Banfield [1799 oder 1802-1855] wurde hier [an der Universität Göttingen] 1828 als Lehrer der englischen Sprache zugelassen und Ostern 1829 zum Lector ernannt, nahm 1833 seine Entlassung und ging nach Wien."

Quelle: Geschichte der Universität Göttingen in dem Zeitraume vom Jahre 1820 bis zu ihrer ersten Säcularfeier im Jahre 1837 vom Universitätsrate Oesterley [Georg Heinrich Oesterley, 1774-1847] Göttingen, Vandenhoeck und Ruprecht 1838. Nachdruck 2006. § 242, S. 502.

Veröffentlichungen:
* The Beauties of the Poets of Great Britain with explanatory Notes, selected and arranget by Thomas Collins Banfield. 2 Bde. Brunswick: Vieweg 1829, 1831. XII, 584 und VIII, 478 S.
Elektronische Reproduktion: München ; Bayerische Staatsbibliothek ; 2017 ; urn:nbn:de:bvb:12-bsb11256689-3
* Neue praktische Grammatik der englischen Sprache für Deutsche. Wien: Tendler 1832.
* A key to the pract. englisch Grammar for German. Wien 1832.

Vgl. Friederike Klippel: Englischlernen im 18. und 19. Jahrhundert. Die Geschichte der Lehrbücher und Unterrichtsmethoden. Münster: Nodus Publikationen 1994.

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Zu Folgen von Umriss-Illustrationen
siehe die Artikel im Goethezeitportal:

Gottfried August Bürgers "Lenore"
in Bildern von Johann Christian Ruhl
http://www.goethezeitportal.de/index.php?id=1682

Friedrich Schiller: Die Bürgschaft
Lithographiert von Joseph Trentsensky
http://www.goethezeitportal.de/index.php?id=6545

Moritz Retzsch
Schillers "Gang zum Eisenhammer" in Umrissen
Mit Anmerkungen zu literarischen Umrissbildfolgen
http://www.goethezeitportal.de/index.php?id=3763

Moritz Retzsch
Schillers "Pegasus im Joche" in Umrissen
http://www.goethezeitportal.de/index.php?id=2314

Friedrich Schiller
Das Eleusische Fest
Bildlich dargestellt von J. M. Wagner
Gestochen von F. Ruscheweyh
http://www.goethezeitportal.de/index.php?id=6787

Moritz Retzsch
Umrisse zu Schillers Lied von der Glocke
Mit Anmerkungen zu literarischen Umrissbildfolgen
http://www.goethezeitportal.de/index.php?id=6846

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7. Rechtlicher Hinweis und Kontaktanschrift

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