goethe


Clemens Brentano:
Die Chronik des fahrenden Schülers

Historistisches Buchdesign
mit Illustrationen von Eduard von Steinle


 Vorige Seite   Vorblatt   Nächste Seite 

Zum Vergrößern klicken Sie bitte auf das Bild.

 

Wir gingen aber in die Buchkammer, worin die kleine Orgel stand, da fanden wir die vier Jungfräulein [Töchter des Ritters Veltlin von Türlingen, der Johannes als Schreiber aufgenommen hat]. Pelagia saß vor der Orgel und spielte, ihr zur Seite stand Ottilia, die ich nicht gleich erkannte, denn sie hatte einen ganzen Nonnenhabit an, und wollte sich bereits im Chorsingen üben. Gundelindis aber schwebte munter auf und nieder, indem sie mitsang trat sie die Bälge. Athala saß allein auf einem niedrigen Schemel und sah mit gestütztem Haupte zur Erde, vor ihr lag ein großes Buch aufgeschlagen mit schönen Bildern, aber sie war ermüdet hineinzusehen und die Kerze daneben brannte trüb herunter. Herr Veltlin dankte Pelagien, daß sie sein Abendlied angestimmt und sagte: "Ich habe es gar herzlich mitgesungen."

Da stritten die drei Jungfräulein, welche es zuerst gewollt habe; Gundelindis sprach: "Hab' ich nicht gesagt: nun noch des Vaters Abendlied, das will ich noch treten, dann hör' ich auf, weil ich schon gar müde bin?" Ottilia aber sagte: "Du hast früher gesagt: daß du müde seiest und ich bat dich, noch das Abendlied zu vollenden." Da sprach Pelagia: "Ich spiele es ja alle Abend, wenn der Vater im Garten ist."

Da wendete sich Herr Veltlin zu Athala und sprach: "Du mußt es wohl am besten wissen, da du stille zugehört, sag', wem verdanke ich das Abendlied?" – Die Jungfrau aber fuhr auf, als aus schwerem Traume und hatte auf die Rede nicht gemerket. Da sagte Herr Veltlin: "Von dir werde ich es wohl nicht erfahren, denn du hast seit einigen Tagen gar großes Studiren vorgenommen: ich sehe dich aus meinen allergrößten Büchern lesen und du wirst bald zu wissen thun, wie die Gräslein wachsen." Also sprach der Ritter scherzend; da erwiderte die Jungfrau: "Gnädiger Herr, entzieht mir Eure Liebe nicht, meiner Traurigkeit halber! Ach ich sitze wohl stundenlang und denke und sinne, um sie zu bekämpfen, aber ich vermag es nicht, und wenn ich mich besinne, so bin ich immer nur traurig." Da sprach Herr Veltlin: "Du willst Traurigkeit mit Betrübniß bekämpfen, das geht wohl an, denn man kann wohl mit Tapferkeit einen Tapferen besiegen und mit manchem Schritt legt man eine Reise zurück; aber wer der Sieger sein soll, muß mächtiger sein als der Gegner, darum sei traurig über das Leiden des Herrn, dann wird deine irdische Trauer zerrinnen."

"Aber laß' sehen das Bild, das du betrachtet hast und das dich nicht trösten konnte." Da legte er das Buch auf den Tisch, und wir traten Alle um ihn. Ottilia aber ging ruhig nach ihrer Kammer, um ihr Nonnengewand wieder abzulegen. Das Bild stellte drei Jungfrauen vor, die auf offner See mit verschlungnen Armen in einem Schiffe saßen, das eben untergehen wollte. Vom Lande aber fuhren drei andere Jungfrauen auf sie zu. Da baten die Mägdlein, daß ich ihnen die Schrift lesen möchte. Herr Veltlin setzte sich nieder, und da Ottilia zurückgekehrt war, setzte sie sich auch zu den anderen Jungfrauen und sagte Herr Veltlin: "Nun, Athala, achte fein auf die Geschichte und werde guten Muthes." Da las ich also, wie ich es geschrieben fand:

"Von dem traurigen Untergang zeitlicher Liebe."


Das Fach- und Kulturportal der Goethezeit