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Clemens Brentano:
Die Chronik des fahrenden Schülers

Historistisches Buchdesign
mit Illustrationen von Eduard von Steinle


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[Aus der Jugendgeschichte von Johannes, dem fahrenden Schüler.] In der Kirche aber gingen wir zur Linken in eine Kapelle, da stand auf dem Altare St. Jörgen Bild, wie er den Drachen durchbohret; den Altar haben die Ritter von der Laurenburg gestiftet, und viele Gaben zu dem Kloster gethan, haben auch ihr Begräbniß in dieser Kapelle, wie ich nachmals erfahren. Zur Rechten des Altares kniete ich mit meiner Mutter nieder bei einem steinernen Bilde, das in die Wand gemauert war. Dieses stellte aber einen alten Ritter vor, der hatte ein langes geistliches Gewand an, und legte einem jungen Ritter, der vor ihm kniete, die Hände auf das Haupt. Meine Mutter sah oft und mit recht innerlicher Bewegung nach dem knieenden Ritter. Ich betrachtete ihn auch, und empfand eine große Freude an ihm, hätte ihm auch gerne etwas Liebes gethan, und setzte ihm darum einen grünen Kranz auf sein steinern Haupt, den ich mir im Walde geflochten und noch spielend in der Hand trug. Da meine Mutter dies sah, fuhr es wie ein Blitz durch ihre Augen, und umarmte sie mich heftig in der Kirche; aber ihre Wangen wurden schamroth und ihre Augen voll Thränen; da ließ sie mich los, und senkte das Haupt auf den Betstuhl. Ich empfand große Bangigkeit um ihre rührende Geberde. Da trat ein Ordensbruder aus der Skristei mit einer schönen bunten Wachskerze, die zündete er an der ewigen Lampe an, nahte unserem Betstuhle und reichte sie meiner Mutter und mir zum küssen; und als wir dies gethan, steckte er sie auf St. Jörgen Leuchter, der neben St. Jörgen Altar stand, und gestaltet war wie eine Lanze, die durch einen Lindwurm gestochen ist. Das war die Opferkerze, die uns der Herr Abt versprochen. Nun klang das Glöcklein, und der fromme liebreiche Herr trat mit dem Ministranten zum Altar und las uns die heilige Messe selbst mit großer Andacht. Da sagte mir meine Mutter in's Ohr: "Bete hübsch fromm, Johannes; der stehende alte Ritter ist der alte Laurenburger, dein Großvater, bete hübsch für ihn." Nun hatte ich den Muth nicht mehr, nach dem Bilde zu schauen, und ward mir mein Großvater von damals an ein gar ernster und sorglicher Gedanke; aber ich habe zum ersten Male gebetet mit einer recht innerlichen Herzensangst, wie früher nie; warum ich aber so gebetet, kann ich mich nicht mehr deutlich entsinnen.


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