goethe


Jutta Assel | Georg Jäger

Der faule Heinz und
das dumme Katherlieschen

Zwei Märchen aus Grimms Kinder- und Hausmärchen.
Mit Zeichnungen von Leopold von Kalckreuth

Eingestellt: Oktober 2019

 

Der Verlag Bruno Cassirer gab in seiner Reihe "Das Märchenbuch" zwei Bände mit Illustrationen von Leopold von Kalckreuth (1855-1928) zu Grimms Kinder- und Hausmärchen heraus. Kalckreuth, zeitgenössisch als "poetischer Realist" charakterisiert, schuf schlichte, locker gezeichnete, teilweise komische Schwarz-Weiss-Illustrationen. Im Folgenden publiziert das Goethezeitportal zwei selten zu lesende Texte über Faulheit und Dummheit: die Märchen vom "faulen Heinz" (KMH 164) sowie vom "Frieder und dem dummen Katherlieschen" (KHM 59). Aus den Anmerkungen der Brüder Grimm geht hervor, dass das Märchen vom dummen Katherlieschen, das die Wünsche ihres Mannes auf groteske Weise wörtlich nimmt, in verschiedenen lokalen Varianten verbreitet war. Auf ihr naiv-fehlerhaftes Verhalten hingewiesen, antwortet die junge Frau: "Friederchen, das habe ich nicht gewusst, hättest mir's sagen müssen."



Mit Illustration "Die Nelke"

Gliederung

1. Der faule Heinz (KHM 164)
2. Der Frieder und das Katherlieschen (KHM 50)
3. Kurzbiographie zu Leopold von Kalckreuth
4. Rechtlicher Hinweis und Kontaktanschrift

*****

1.Der faule Heinz
(KHM 164)

Illustrationen und Textvorlage:
Das Märchenbuch. Zweites Buch, Deutsche Märchen mit Zeichnungen von Leopold von Kalckreuth. 1918 bei Bruno Cassirer, Berlin, verlegt. S. 55-59.

Heinz war faul, und obgleich er weiter nichts zu tun hatte, als seine Ziege täglich auf die Weide zu treiben, so seufzte er dennoch, wenn er nach vollbrachtem Tagewerk abends nach Hause kam. »Es ist in Wahrheit eine schwere Last,« sagte er, »und ein mühseliges Geschäft, so eine Ziege jahraus jahrein bis in den späten Herbst ins Feld zu treiben. Und wenn man sich noch dabei hinlegen und schlafen könnte! Aber nein, da muss man die Augen aufhaben, damit sie die jungen Bäume nicht beschädigt, durch die Hecke in einen Garten dringt oder gar davonläuft. Wie soll da einer zur Ruhe kommen und seines Lebens froh werden!« Er setzte sich, sammelte seine Gedanken und überlegte, wie er seine Schultern von dieser Bürde frei machen könnte. Lange war alles Nachsinnen vergeblich, plötzlich fiel's ihm wie Schuppen von den Augen. »Ich weiß, was ich tue,« rief er aus, »ich heirate die dicke Trine, die hat auch eine Ziege und kann meine mit austreiben, so brauche ich mich nicht länger zu quälen.«

Heinz erhob sich also, setzte seine müden Glieder in Bewegung, ging quer über die Straße, denn weiter war der Weg nicht, wo die Eltern der dicken Trine wohnten, und hielt um ihre arbeitsame und tugendreiche Tochter an. Die Eltern besannen sich nicht lange, »Gleich und gleich gesellt sich gern,« meinten sie und willigten ein. Nun ward die dicke Trine Heinzens Frau und trieb die beiden Ziegen aus. Heinz hatte gute Tage und brauchte sich von keiner andern Arbeit zu erholen als von seiner eigenen Faulheit. Nur dann und wann ging er mit hinaus und sagte: »Es geschieht bloß, damit mir die Ruhe hernach desto besser schmeckt: man verliert sonst alles Gefühl dafür.«

Aber die dicke Trine war nicht minder faul. »Lieber Heinz,« sprach sie eines Tages, »warum sollen wir uns das Leben ohne Not sauer machen und unsere beste Jugendzeit verkümmern? Ist es nicht besser, wir geben die beiden Ziegen, die jeden Morgen einen mit ihrem Meckern im besten Schlafe stören, unserm Nachbar, und der gibt uns einen Bienenstock dafür? Den Bienenstock stellen wir an einen sonnigen Platz hinter das Haus und bekümmern uns weiter nicht darum. Die Bienen brauchen nicht gehütet und nicht ins Feld getrieben zu werden: sie fliegen aus, finden den Weg von selbst wieder und sammeln Honig, ohne dass es uns die geringste Mühe macht.« »Du hast wie eine verständige Frau gesprochen,« antwortete Heinz, »deinen Vorschlag wollen wir ohne Zaudern ausführen: außerdem schmeckt und nährt der Honig besser als die Ziegenmilch und lässt sich auch länger aufbewahren.«

Der Nachbar gab für die beiden Ziegen gerne einen Bienenstock. Die Bienen flogen unermüdlich vom frühen Morgen bis zum späten Abend aus und ein, und füllten den Stock mit dem schönsten Honig, so dass Heinz im Herbst einen ganzen Krug voll herausnehmen konnte.

Sie stellten den Krug auf ein Brett, das oben an der Wand in ihrer Schlafkammer befestigt war, und weil sie fürchteten, er könnte ihnen gestohlen werden oder die Mäuse könnten darüber geraten, so holte Trine einen starken Haselstock herbei und legte ihn neben ihr Bett, damit sie ihn, ohne unnötigerweise aufzustehen, mit der Hand erreichen und die ungebetenen Gäste von dem Bette aus verjagen könnte.

Der faule Heinz verließ das Bett nicht gerne vor Mittag: »Wer früh aufsteht,« sprach er, »sein Gut verzehrt.« Eines Morgens, als er so am hellen Tage noch in den Federn lag und von dem langen Schlaf ausruhte, sprach er zu seiner Frau: »Die Weiber lieben die Süßigkeit, und du naschest von dem Honig, es ist besser, ehe er von dir allein ausgegessen wird, daß wir dafür eine Gans mit einem jungen Gänslein erhandeln.« »Aber nicht eher,« erwiderte Trine, »als bis wir ein Kind haben, das sie hütet. Soll ich mich etwa mit den jungen Gänsen plagen und meine Kräfte dabei unnötigerweise zusetzen?« »Meinst du,« sagte Heinz, »der Junge werde Gänse hüten? heutzutage gehorchen die Kinder nicht mehr: sie tun nach ihrem eigenen Willen, weil sie sich klüger dünken als die Eltern, gerade wie jener Knecht, der die Kuh suchen sollte und drei Amseln nachjagte.« »O,« antwortete Trine, »dem soll es schlecht bekommen, wenn er nicht tut, was ich sage. Einen Stock will ich nehmen und mit ungezählten Schlägen ihm die Haut gerben.

 

Siehst du, Heinz,« rief sie in ihrem Eifer und faßte den Stock, mit dem sie die Mäuse verjagen wollte, »siehst du, so will ich auf ihn losschlagen.« Sie holte aus, traf aber unglücklicherweise den Honigkrug über dem Bette. Der Krug sprang wider die Wand und fiel in Scherben herab, und der schöne Honig floss auf den Boden. »Da liegt nun die Gans mit dem jungen Gänslein,« sagte Heinz, »und braucht nicht gehütet zu werden. Aber ein Glück ist es, dass mir der Krug nicht auf den Kopf gefallen ist, wir haben alle Ursache, mit unserm Schicksal zufrieden zu sein.« Und da er in einer Scherbe noch etwas Honig bemerkte, so langte er danach und sprach ganz vergnügt: »Das Restchen, Frau, wollen wir uns noch schmecken lassen und dann nach dem gehabten Schrecken ein wenig ausruhen, was tut's, wenn wir etwas später als gewöhnlich aufstehen, der Tag ist doch noch lang genug.« »Ja,« antwortete Trine, »man kommt immer noch zu rechter Zeit. Weißt du, die Schnecke war einmal zur Hochzeit eingeladen, machte sich auf den Weg, kam aber zur Kindtaufe an. Vor dem Hause stürzte sie noch über den Zaun und sagte: »Eilen tut nicht gut«.«

Anmerkungen der Brüder Grimm zum Kinder- und Hausmärchen Nr. 164. Über Herkunft und Verbreitung des Motivs und unterschiedliche Erzählungen:

Brüder Grimm: Kinder- und Hausmärchen. Ausgabe letzter Hand mit den Originalanmerkungen der Brüder Grimm. Band 3. Originalanmerkungen, Herkunftsnachweise (Universal-Bibliothek Nr. 3193) Stuttgart: Philipp Reclam 1980. Hier S. 244.

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2. Der Frieder und das Katherlieschen
(KHM 59)

Illustrationen und Textvorlage:
Das Märchenbuch. Zweites Buch, Deutsche Märchen mit Zeichnungen von Leopold von Kalckreuth. 1918 bei Bruno Cassirer, Berlin, verlegt. S. 83-94.

Es war ein Mann, der hieß Frieder, und eine Frau, die hieß Katherlieschen, die hatten einander geheiratet und lebten zusammen als junge Eheleute. Eines Tages sprach der Frieder »Ich will jetzt zu Acker, Katherlieschen, wann ich wiederkomme, muss etwas Gebratenes auf dem Tisch stehen für den Hunger, und ein frischer Trunk dabei für den Durst.« »Geh nur, Friederchen,« antwortete die Katherlies, »geh nur, will dirs schon rechtmachen.« Als nun die Essenszeit herbeirückte, holte sie eine Wurst aus dem Schornstein, tat sie in eine Bratpfanne, legte Butter dazu und stellte sie übers Feuer. Die Wurst fing an zu braten und zu brutzeln, Katherlieschen stand dabei, hielt den Pfannenstiel und hatte so seine Gedanken: da fiel ihm ein: »Bis die Wurst fertig wird, derweil könntest du ja im Keller den Trunk zapfen.« Also stellte es den Pfannenstiel fest, nahm eine Kanne, ging hinab in den Keller und zapfte Bier. Das Bier lief in die Kanne, und Katherlieschen sah ihm zu, da fiel ihm ein: »Holla, der Hund oben ist nicht beigetan, der könnte die Wurst aus der Pfanne holen, du kämst mir recht!« und im Hui war es die Kellertreppe hinauf; aber der Spitz hatte die Wurst schon im Maul und schleifte sie auf der Erde mit sich fort. Doch Katherlieschen, nicht faul, setzte ihm nach und jagte ihn ein gut Stück ins Feld; aber der Hund war geschwinder wie Katherlieschen, ließ auch die Wurst nicht fahren, sondern über die Äcker hinhüpfen.

»Hin ist hin!« sprach Katherlieschen, kehrte um, und weil es sich müde gelaufen hatte, ging es hübsch langsam und kühlte sich ab. Während der Zeit lief das Bier aus dem Fass immerzu, denn Katherlieschen hatte den Hahn nicht umgedreht, und als die Kanne voll und sonst kein Platz da war, so lief es in den Keller und hörte nicht eher auf, als bis das ganze Fass leer war. Katherlieschen sah schon auf der Treppe das Unglück. »Spuk,« rief es, »was fängst du jetzt an, dass es der Frieder nicht merkt!« Es besann sich ein Weilchen, endlich fiel ihm ein, von der letzten Kirmes stände noch ein Sack mit schönem Weizenmehl auf dem Boden, das wollte es herabholen und in das Bier streuen. »Ja,« sprach es, »wer zu rechter Zeit was spart, der hat's hernach in der Not,« stieg auf den Boden, trug den Sack herab und warf ihn gerade auf die Kanne voll Bier, dass sie umstürzte und der Trunk des Frieders auch im Keller schwamm. »Es ist ganz recht,« sprach Katherlieschen, »wo eins ist, muss das andere auch sein,« und zerstreute das Mehl im ganzen Keller. Als es fertig war, freute es sich gewaltig über seine Arbeit und sagte: »Wie's so reinlich und sauber hier aussieht!«

Um Mittagszeit kam der Frieder heim. »Nun, Frau,was hast du mir zurechtgemacht?« »Ach, Friederchen,« antwortete sie, »ich wollte dir ja eine Wurst braten, aber während ich das Bier dazu zapfte, hat sie der Hund aus der Pfanne weggeholt, und während ich dem Hund nachsprang, ist das Bier ausgelaufen, und als ich das Bier mit dem Weizenmehl auftrocknen wollte, hab ich die Kanne auch noch umgestoßen; aber sei nur zufrieden, der Keller ist wieder ganz trocken.« Sprach der Frieder »Katherlieschen, Katherlieschen, das hättest du nicht tun müssen! lässt die Wurst wegholen und das Bier aus dem Fass laufen, und verschüttest obendrein unser feines Mehl!« »Ja, Friederchen, das habe ich nicht gewusst, hättest mir's sagen müssen.«

Der Mann dachte: »Geht das so mit deiner Frau, so musst du dich besser vorsehen.« Nun hatte er eine hübsche Summe Taler zusammengebracht, die wechselte er in Gold ein und sprach zum Katherlieschen: »Siehst du, das sind gelbe Gickelinge, die will ich in einen Topf tun und im Stall unter der Kuhkrippe vergraben: aber dass du mir ja davonbleibst, sonst geht dir's schlimm.« Sprach sie: »Nein, Friederchen, will's gewiss nicht tun.«

Nun, als der Frieder fort war, da kamen Krämer, die irdene Näpfe und Töpfe feil hatten, ins Dorf und fragten bei der jungen Frau an, ob sie nichts zu handeln hätte. »O, ihr lieben Leute,« sprach Katherlieschen, »ich hab kein Geld und kann
nichts kaufen; aber  könnt ihr gelbe Gickelinge brauchen, so will ich wohl kaufen.« »Gelbe Gickelinge, warum nicht? Lasst sie einmal sehen.« »So geht in den Stall und grabt unter der Kuhkrippe, so werdet ihr die gelben Gickelinge finden, ich darf nicht dabeigehen.« Die Spitzbuben gingen hin, gruben und fanden eitel Gold. Da packten sie auf damit, liefen fort und ließen Töpfe und Näpfe im Hause stehen. Katherlieschen meinte, sie müsste das neue Geschirr auch brauchen: weil nun in der Küche ohnehin kein Mangel daran war, schlug sie jedem Topf den Boden aus und steckte sie insgesamt zum Zierat auf die Zaunpfähle rings ums Haus herum. Wie der Frieder kam und den neuen Zierat sah, sprach er »Katherlieschen, was hast du gemacht?« »Hab's gekauft, Friederchen, für die gelben Gickelinge, die unter der Kuhkrippe steckten: bin selber nicht dabeigegangen, die Krämer haben sich's herausgraben müssen.« »Ach, Frau,« sprach der Frieder, »was hast du gemacht! Das waren keine Gickelinge, es war eitel Gold und war all unser Vermögen; das hättest du nicht tun sollen.« »Ja, Friederchen,« antwortete sie, »das hab' ich nicht gewusst, hättest mir's vorher sagen sollen.«

Katherlieschen stand ein Weilchen und besann sich, da sprach sie: »Hör, Friederchen, das Gold wollen wir schon wiederkriegen, wollen hinter den Dieben herlaufen.« »So komm,« sprach der Frieder, »wir wollen's versuchen; nimm aber Butter und Käse mit, dass wir auf dem Weg was zu essen haben.« »Ja, Friederchen, will's mitnehmen.« Sie machten sich fort, und weil der Frieder besser zu Fuß war, ging Katherlieschen hintennach. »Ist mein Vorteil,« dachte es, »wenn wir umkehren, hab ich ja ein Stück voraus.« Nun kam es an einen Berg, wo auf beiden Seiten des Wegs tiefe Fahrgleise waren. »Da sehe einer,« sprach Katherlieschen, »was sie das arme Erdreich zerrissen, geschunden und gedrückt haben! Das wird sein Lebtag nicht wieder heil.« Und aus mitleidigem Herzen nahm es seine Butter und bestrich die Gleisen, rechts und links, damit sie von den Rädern nicht so gedrückt würden: und wie es sich bei seiner Barmherzigkeit so bückte, rollte ihm ein Käse aus der Tasche den Berg hinab. Sprach das Katherlieschen: »Ich habe den Weg schon einmal herauf gemacht, ich gehe nicht wieder hinab, es mag ein anderer hinlaufen und ihn wieder holen.« Also nahm es einen andern Käs und rollte ihn hinab. Die Käse aber kamen nicht wieder, da ließ es noch einen dritten hinablaufen und dachte: »Vielleicht warten sie auf Gesellschaft und gehen nicht gern allein.« Als sie alle drei ausblieben, sprach es: »Ich weiß nicht, was das vorstellen soll! doch kann's ja sein, der dritte hat den Weg nicht gefunden und sich verirrt, ich will nur den vierten schicken, daß er sie herbeiruft.« Der vierte machte es aber nicht viel besser als der dritte. Da ward das Katherlieschen ärgerlich und warf da noch den fünften und sechsten hinab, und das waren die letzten. Eine Zeitlang blieb es stehen und lauerte, dass sie kämen, als sie aber immer nicht kamen, sprach es: »O, ihr seid gut nach dem Tod schicken, ihr bleibt fein lange aus; meint ihr, ich wollt noch länger auf euch warten? Ich gehe meiner Wege, ihr könnt mir nachlaufen, ihr habt jüngere Beine als ich.« Katherlieschen ging fort und fand den Frieder, der war stehengeblieben und hatte gewartet, weil er gerne was essen wollte. »Nun, gib einmal her, was du mitgenommen hast.« Sie reichte ihm das trockene Brot. »Wo ist Butter und Käse?« fragte der Mann. »Ach, Friederchen,« sagte Katherlieschen, »mit der Butter hab' ich die Fahrgleise geschmiert, und die Käse werden bald kommen; einer lief mir fort, da hab' ich die andern nachgeschickt, sie sollten ihn rufen.« Sprach der Frieder »Das hättest du nicht tun sollen, Katherlieschen, die Butter an den Weg schmieren und die Käse den Berg hinabrollen.« »Ja, Friederchen, hättest mir's sagen müssen.«

Da aßen sie das trockne Brot zusammen, und der Frieder sagte: »Katherlieschen, hast du auch unser Haus verwahrt, wie du fortgegangen bist?« »Nein, Friederchen, hättest mir's vorher sagen sollen.« »So geh wieder heim und bewahr' erst das Haus, ehe wir weitergehen; bring auch etwas anderes zu essen mit, ich will hier auf dich warten.« Katherlieschen ging zurück und dachte: »Friederchen will etwas anderes zu essen, Butter und Käse schmeckt ihm wohl nicht, so will ich ein Tuch voll Hutzeln und einen Krug Essig zum Trunk mitnehmen.« Danach riegelte es die Obertüre zu, aber die Untertüre hob es aus, nahm sie auf die Schulter und glaubte, wenn es die Türe in Sicherheit gebracht hätte, müsste das Haus wohl bewahrt sein. Katherlieschen nahm sich Zeit zum Weg und dachte: »Desto länger ruht sich Friederchen aus.« Als es ihn wieder erreicht hatte, sprach es: »Da, Friederchen, hast du die Haustüre, da kannst du das Haus selber verwahren.« »Ach, Gott,« sprach er, »was hab' ich für eine kluge Frau! hebt die Türe unten aus, daß alles hineinlaufen kann, und riegelt sie oben zu. Jetzt ist's zu spät, noch einmal nach Haus zu gehen, aber hast du die Türe hierhergebracht, so sollst du sie auch ferner tragen.« »Die Türe will ich tragen, Friederchen, aber die Hutzeln und der Essigkrug werden mir zu schwer: ich hänge sie an die Türe, die mag sie tragen.«

Nun gingen sie in den Wald und suchten die Spitzbuben, aber sie fanden sie nicht. Weil's endlich dunkel ward, stiegen sie auf einen Baum und wollten da übernachten. Kaum aber saßen sie oben, so kamen die Kerle daher, die forttragen, was nicht mitgehen will, und die Dinge finden, ehe sie verloren sind. Sie ließen sich gerade unter dem Baum nieder, auf dem Frieder und Katherlieschen saßen, machten sich ein Feuer an und wollten ihre Beute teilen. Der Frieder stieg von der andern Seite herab und sammelte Steine, stieg damit wieder hinauf und wollte die Diebe totwerfen. Die Steine aber trafen nicht, und die Spitzbuben riefen: »Es ist bald Morgen, der Wind schüttelt die Tannäpfel herunter.« Katherlieschen hatte die Türe noch immer auf der Schulter, und weil sie so schwer drückte, dachte es, die Hutzeln wären schuld, und sprach: »Friederchen, ich muss die Hutzeln hinabwerfen.« »Nein, Katherlieschen, jetzt nicht,« antwortete er, »sie könnten uns verraten.« »Ach, Friederchen, ich muss, sie drücken mich gar zu sehr.« »Nun so tu's, ins Henkers Namen!« Da rollten die Hutzeln zwischen den Ästen herab, und die Kerle unten sprachen: »Die Vögel misten.« Eine Weile danach, weil die Türe noch immer drückte, sprach Katherlieschen: »Ach, Friederchen, ich muss den Essig ausschütten.« »Nein Katherlieschen, das darfst du nicht, es könnte uns verraten.« »Ach, Friederchen, ich muß, er drückt mich gar zu sehr.« »Nun so tu's ins Henkers Namen!« Da schüttelte es den Essig aus, daß er die Kerle bespritzte. Sie sprachen untereinander: »Der Tau tröpfelt schon herunter.« Endlich dachte Katherlieschen: »Sollte es wohl die Türe sein, was mich so drückt?« und sprach: »Friederchen, ich muß die Türe hinabwerfen.« »Nein, Katherlieschen, jetzt nicht, sie könnte uns verraten.« »Ach, Friederchen, ich muss, sie drückt mich gar zu sehr.« »Nein, Katherlieschen, halt sie ja fest.« »Ach, Friederchen, ich lass sie fallen.« »Ei,« antwortete Frieder ärgerlich, »so lass sie fallen ins Teufels Namen!« Da fiel sie herunter mit starkem Gepolter, und die Kerle unten riefen: »Der Teufel kommt vom Baum herab,« rissen aus und ließen alles im Stich. Frühmorgens, wie die zwei herunterkamen, fanden sie all ihr Gold wieder und trugen's heim.

Als sie wieder zu Haus waren, sprach der Frieder:  »Katherlieschen, nun musst du aber auch fleißig sein und arbeiten.« »Ja, Friederchen, will's schon tun, will ins Feld gehen, Frucht schneiden.« Als Katherlieschen im Feld war, sprach's mit sich selber: »Eß ich, eh' ich schneid', oder schlaf ich, eh' ich schneid'? Hei, ich will eher essen!« Da aß Katherlieschen und ward überm Essen schläfrig, und fing an zu schneiden und schnitt halb träumend alle seine Kleider entzwei, Schürze, Rock und Hemd. Wie Katherlieschen nach langem Schlaf wieder erwachte, stand es halb nackigt da und sprach zu sich selber: »Bin ich's, oder bin ich's nicht? Ach, ich bin's nicht!« Unterdessen ward's Nacht, da lief Katherlieschen ins Dorf hinein, klopfte an ihres Mannes Fenster und rief »Friederchen?« »Was ist denn?« »Möcht' gern wissen, ob Katherlieschen drinnen ist.« »Ja, ja,« antwortete der Frieder, »es wird wohl drin liegen und schlafen.« Sprach sie: »Gut, dann bin ich gewiss schon zu Haus,« und lief fort.

Draußen fand Katherlieschen Spitzbuben, die wollten stehlen. Da ging es bei sie und sprach: »Ich will euch helfen stehlen.« Die Spitzbuben meinten, es wüsste die Gelegenheit des Ortes, und waren es zufrieden. Katherlieschen ging vor die Häuser und rief: »Leute, habt ihr was? Wir wollen stehlen.« Dachten die Spitzbuben »Das wird gut werden,« und wünschten, sie wären Katherlieschen wieder los. Da sprachen sie zu ihm: »Vorm Dorfe hat der Pfarrer Rüben auf dem Feld, geh hin und rupf uns Rüben.« Katherlieschen ging hin aufs Land und fing an zu rupfen, war aber so faul und hob sich nicht in die Höhe. Da kam ein Mann vorbei, sah's und stand still und dachte, das wäre der Teufel, der so in den Rüben wühlte. Lief fort ins Dorf zum Pfarrer und sprach: »Herr Pfarrer, in Eurem Rübenland ist der Teufel und rupft.« »Ach Gott,« antwortete der Pfarrer, »ich habe einen lahmen Fuß, ich kann nicht hinaus und ihn wegbannen.« Sprach der Mann: »So will ich Euch hockeln,« und hockelte ihn hinaus. Und als sie bei das Land kamen, machte sich das Katherlieschen auf und reckte sich in die Höhe. »Ach der Teufel!« rief der Pfarrer, und beide eilten fort, und der Pfarrer konnte vor großer Angst mit seinem lahmen Fuße gerade laufen, als der Mann, der ihn gehockelt hatte, mit seinen gesunden Beinen.


Anmerkungen der Brüder Grimm zu dem Kinder- und Hausmärchen, Nr. 59:

Zu Grunde liegt eine Erzählung [von Dorothea Viehmann] aus Zwehrn, dagegen ist aus einer andern hessischen aufgenommen, wie Catherlieschen auf dem Weg die Butter mitleidig verbraucht und die Käse fortrollen läßt. Nach einer dritten aus Fritzlar ist der Schwank mit den Gickelingen und dem irdenen Geschirr erzählt.

In jener aus Zwehrn gibt der Mann vor, er habe einen Hasenbalg unter der Kuhkrippe begraben. Catherlieschen heißt die Krämer diesen hervorholen, worauf sie den Schatz heben. Die gekauften Töpfe hängt es rings ums Haus an die Nägel die da stecken.

Eine vierte Erzählung aus den Diemelgegenden [Sauerland] hat verschiedene Eigenthümlichkeiten.  Der Mann geht zur Feldarbeit und sagt der Frau 'steck Fleisch in den Kohl, und wenns fertig ist, brings hinaus aufs Feld'. Sie nimmt das rohe Fleisch, trägts hinaus aufs Feld wo ihr Kohl steht, und steckts da hinein. Der Hund witterts bald und holt den Braten weg; sie lauft ihm nach, fängt ihn und bindet ihn daheim zur Strafe an das Bierfaß im Keller und zwar an den Krahn. Der Hund wird wild und ungeduldig und zieht den Krahn heraus. Wie die Frau in den Keller kommt, schwimmt alles Bier darin. Nun trocknet sie es mit Mehl auf. Sie nimmt Essig und Hutzeln in die Hand und, um das Haus zu verwahren, die ausgehobene Hausthüre auf die Schulter und geht hinaus. Der Mann macht ihr Vorwürfe über das schlechte Essen, doch setzen sie sich dazu nieder; indem sehen sie zwölf Räuber kommen. Vor Angst steigen sie auf einen Baum und nehmen das Essen und die Thüre, um nicht verrathen zu werden, mit hinauf. Die Räuber setzen sich gerade darunter und wollen sechs Säcke mit Gold theilen. Sie werden aber, wie in unserm Märchen, verscheucht, und die zwei schleppen die Säcke heim. Die Frau borgt bei ihrer Nachbarin ein Maß das Gold zu messen, ein Stückchen bleibt darin hängen und macht diese aufmerksam. Die Frau erzählt darauf wie es sich zugetragen hat. Nun läuft alles in den Wald Gold zu holen, es kommt aber niemand wieder, weil niemand so dumm war wie die Frau, und die Räuber jeden todt schlugen, der sich im Walde blicken ließ. Der Mann und die dumme Frau lebten vergnügt und ohne Sorgen bis an ihren Tod. [...]

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3. Kurzbiographie zu Leopold von Kalckreuth



Selbstbildnis 1906
Entnommen Wikipedia

Leopold von Kalckreuth (geb. 1855 in Düsseldorf, gest. 1928 auf Gut Eddelsen, Hifffeld bei Hamburg), Maler. Er wuchs in den Hof- und Künstlerkreisen Weimars auf, dessen Kunstschule sein Vater leitete. 1878 ging er nach München, wo er Lenbach kennenlernte; 1885 war er in Weimar tätig, 1895 an der Akademie in Karlsruhe; 1900 wurde er an die Stuttgarter Kunstschule berufen, die unter seinem Direktorat den Titel "Königliche Akademie der bildenden Künste" erhielt. Um den Stuttgarter Künstlern ein Forum zu schaffen, wurde er Mitbegründer des "Stuttgarter Künstlerbundes". 1903 wurde Kalkreuth zum ersten Präsidenten des neugegründeten Deutschen Künstlerbundes gewählt.

Kalckreuth  war tätig als Genre-, Landschafts- und Porträtmaler, Radierer, Grafiker sowie Illustrator; er übersetzte Baudelaire und Verlaine. "Vom 'Pleinair' herkommend, fühlte sich Kalckreuth zwar als Impressionist, als Figurenmaler wird er jedoch Schilderer des Menschencharakters. Sein Vorbild ist Jean-Francois Millet." (NDB) Die Ausstellung, die ihm die Hamburger Kunsthalle 2005 widmete, charakterisiert ihn als "Poetischen Realisten".

Mit den Grimmschen Märchen beschäftigte sich Kalckreuth mehrfach. In der Reihe "Das Märchenbuch" kam 1922 als Band 12 mit dem Titel "Bruder Lustig und anderes erzählt von den Gebrüdern Grimm" ein weiteres Buch mit Märchen der Brüder Grimm und Zeichnungen von Leopold von Kalckreuth heraus.

Eintrag "Leopold von Kalckreuth" in Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Leopold_von_Kalckreuth

Wolfgang Löhneysen über Leopold von Kalckreuth in der Neuen Deutschen Biografie (NDB):
https://www.deutsche-biographie.de/sfz39569.html


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