goethe


Freund Heins Erscheinungen


Schulvisitation

Glücklicher Despot des kleinen Staates,
der dir, ohne Beystand eines hohen Rathes,
ohne Parlamentsgeschwäzigkeit und Zwist,
als Selbstherrscher unterworfen ist;
dessen Lehnvasallen Wink' und Willen
des gefürchteten Diktators, treu und tugendsam,
wie es biedern Sassen ziemt, erfüllen,
ohn ein trozig Veto und Niposwolam! (x)
   
Dich umstrahlet Glanz und Amteswürde:
dennoch dükt dein Haupt die schwre Bürde
güldner Kronen, oder ehernes Gewicht
banger Sorgen, deine Schultern nicht.
Vor dem hölzernen Regentenstabe,
der wie Ahasveros Zepter furchtbar dräut,
flieht die Petulanz; gehorchend schweigt der Knabe,
wenn dein Machtspruch ihm Silentium gebeut.
   
Du, der freyen Künste siebenfacher Meister,
satt und wohlgenähret, aber drum nicht feister,
welche glückliche Zufriedenheit
ebnet dir die Wallfarth deiner Lebenszeit!
von dem Stuhle deiner Herrschaft stürzet
dich kein Damien, mit frechgezüktem Stahl;
kein von Bonzentrug erkaufter Mundkoch würzet,
mit verborgnem Gifte, dein gesundes Mahl!
   
Aber was empört den sichern Zwinger
des Philanthropins, schrekt Meister und die Jünger
guter Zucht und Lehren, aus dem stillen Lauf
ihrer Wißbegierde, so urplözlich auf?
Welcher Aufruhr löset der sittsamen Schaaren
pythagorisch Schweigen, daß von Bank zu Bank
Unfug und Getöse sich veroffenbahren,
wie der Leidenschaften wilder Sturm und Drang?
   
Flüchtig eilt, mit langgestrektem Schritte,
der wachsame Kustos, aus der Mitte
des bestürzten Haufens, zu des Hörsaals Thür,
suchet Schuz und Zuflucht hinter ihr;
und dort schmieget, mit angstvollen Bliken,
in dem ungebändigten Gewühl,
sich an des schuzlosen Lehrstuhls Rüken,
der verzagte Rundkopf Theophil.
   
Selbst der kleine Waghals, der so dreuste
Puterhahn und Widder oft mit Heldengeiste
zu bekämpfen strebte, weicht wie Vogel Strauß,
auf der Flucht, dem Räuber seiner Federn aus:
er verbirgt den schlauen Kopf behende,
bey dem ersten Schreken drohender Gefahr,
und beut, nach Gewohnheit, die gelenke Lende
dem unfreundlichen Geschik der Schule dar.
   
Da indessen seine Mitgenossen
rings um ihn, beklommen, unentschlossen,
dämisch gaffen, staunen, oder Angstgeschrey
von sich hören lassen, und durch mancherley
Zukungen, mit schüchterner Gebehrde
Furcht verrathen. - Ach dem armen Duns
fällt die Fibel, (xx) vor Entsezen, auf die Erde,
und sein sträubig Haar zerrauft der feige Kunz.
   
Hu! welche Schrekbild stehet auf der Schwelle,
und begehret Eingang in die Zelle!
Hu! wie schauderlich schnarrt Klapperzahn
den erschroknen Pädagogen an:
Buch zu, Meister! Steig herab vom Stuhle,
Stundenglas ist leer, verronnen Zeit und Sand;
Feyerabend ist nun in der Schule:
Dank' mirs, daß ich dich vom Joche loßgespannt!
   
Lieber Tod, das hat nicht eben Eile,
laß mir meine Bürde und verweile,
biß ich seh Gedeihen guter Zucht,
biß sie reifet, meiner Mühe Frucht.
Laß mich erst des Staates junge Bürger,
zu gemeinem Nuz und Frommen auferziehn,
dann geleite mich, du lieber Menschenwürger,
an der Freundes Hand zur kühlen Kammer hin!
   
Mit dem Tode zu kapituliren,
heißt vergebens Müh und Zeit verlieren.
O du Händefaltender Sollicitant,
dich schüzt weder dein Verdienst noch Stand!
kein Diplom - - sey Doktor, sey Magister,
aller Werth den Glük, auch den Talent dir gab,
gilt hier gleich: den Kaiser und den Küster
ruft Freund Hein von Amt und Würden ab.

(x) Ein bekanntes Machtwort wodurch der polnische Reichstag so oft zerrissen wird.
(xx) A, B, C, Buch.

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