goethe


Freund Heins Erscheinungen

Der Lottospieler

Mit wem der Lieblingswunsch heranwächst reich zu sterben,
der muß von dreyen unumgänglich eins verstehn:
die leichte Kunst, den Sparer zu beerben;
um eine reiche Braut zu werben;
Gewinn im kleinen nicht leichtsinnig zu verschmähn:
viel Bächlein schwellen an zum Flusse,
und Sparsamkeit führt endlich zum Genusse.
   
Indessen wer gemeinen Weltlauf kennt,
weiß unerinnert, daß der schönste Plan leicht scheitert,
wofern das Glük nicht den gewöhnlichen Assent
dazu ertheilt; nur dem Begünstigten erheitert
die Göttin ungebeten sein Geschik,
und stösset den Verschmähten stolz zurück.
Er wird um keinen zähen Oheim trauren;
vergebens auf die Braut, mit reicher Mitgift, lauren;
wie Märzenschnee, im Sonnenschein, zerrinnt
sein Spargut, das er mit verlohrner Müh gewinnt.
Wohl ihm, wenn er Zufriedenheit und Wonne
nicht auf das Spiel erträumter Hoffnung wagt,
und mit dem Philosophen in der Tonne
entbehren kan, was ihm das Glück versagt.
   
Wenn aber, in der Lüste süssen Schlummer,
die blinde Göttin, ohn Verdienst und Würdigkeit,
den Wüstling, sorgenlos und frey von Kummer,
mit ihrer Prädilektion erfreut;
wenn für zerrüttete Finanzen
des Uebermüthlers und verschwenderischer Schranzen,
selbst Neckers Scharfsinn keinen Rath
zu finden weiß, und den das Glük zum Mündel
sich auserwählt, den der Verzweiflung Schwindel
zum nahen Fall bereits ergriffen hat:
so wurzelt er bald grund- und bodenfeste,
treibt mächtig, wie der Eichbaum, Stamm und Aeste,
in dessen Schatten sich der müde Wandrer kühlt,
der schwüle Mittagshize fühlt.
Was er begehrt, darf seine Phantasie nur träumen,
und es wird ihm zu Theil: sein Händewerk gedeiht,
und alle seine Wünsche keimen
zu Wachsthum und Vollkommenheit.
   
Einmal begegnet, nach der Regel, jedem Pilger
doch auf dem Lebenspfad, früh oder spät
das Glük, eh der gewaltsame Vertilger
ihn unvermeidlich mit der Sense mäht.
Im heissen Sand zu waden, unterm Pol zu frieren,
gelüstete dem unverdrossnen Chrysophil,
um Tonnen Goldes einst zu kommandiren:
doch seine Müh führt ihn nicht näher an das Ziel:
er kehret mit dem Wanderstabe
zurük, denn all sein Gut und die erworbne Habe
verschlang die See, so wie ein ungestümmer Ozean
von Gläubigern des Wechslers Proli Schäze.
Vom Glük verlassen, schuf er einen neuen Plan,
des Reichthums edle Fäll und Flöze, (x)
durch arithmetisches Genie
sich zu eröffnen, reihte Zahlen, kalkulirte,
mit eherner Geduld und unbelohnter Müh,
der Ziffern mögliche Verbindung, die
im Glüksrad schlafen, und entführte,
im schmeichelhaften Traum, schon des Gewinns gewiß,
aus kolchischer Verschlossenheit das goldne Vließ.
Allein der spröden Göttin reiche Spende
fiel nur dem Günstling in die Hände,
und immer kamen Probabilität
und Algebra, bey dem Gewinn, zu spät.
   
Triumph ausharrender Geduld ist es beschieden,
den Eigensinn des Glükes zu ermüden:
ein Bote, der sonst nicht willkommen ist,
wenn er die Sterblichen begrüßt,
keucht freudig dir entgegen, aus der Ferne
Freund Chrysophil, mit der gewonnenen Quaterne,
die dir des Glük-Rads günstger Schwung verlieh.
Du staunest? Ists Entzüken oder Furcht, o Feiger?
Wovon erbebt das Herz, und warum wankt das Knie?
der Lieblingswunsch, zu sterben als ein Reicher,
ist nun erreicht!
   
Er. Ach! aus der Todeshand
ist Nektar Gift und süsses Labsal Galle.
Lacht mir das Glük erst an des Grabes Rand,
wenn ich schon auf dem Pfade der Vernichtung walle:
so ist mir ein Geschenk nicht dankens werth,
das meinen Hingang nur erschwert.
   
Gewährt dir ein erreichter Wunsch Entzüken,
so freue dich mit weiser Mäßigung.
Vertrau nicht allzuschmeichelhafter Liebkosung
des Glüks: es trägt den Schalk im Rüken.

(x) In der Bergmännischen Technologie soviel als Fundgruben.

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