goethe


Freund Heins Erscheinungen

Getäuschte Erwartung

Es lag in blühender Au ein Haus,
ein wakrer Junker ging ein und aus,
war sein ererbtes Guth und Theil,
und ihm um keine Grafschaft feil.
   
Bequem und ländlich, kein stolzer Pallast;
doch rings mit einem Park umfaßt,
durchweht von reiner gesunder Luft,
und angefüllt mit Blüthenduft.
   
Am Tage beleuchtete Sonnenschein,
bey Nacht der freundliche Mond den Hain,
hier haußte, ohne Kind und Frau,
der Junker von der blühenden Au.
   
War weiland Königs Kämmerling,
Wahrzeichen deß: ein Schlüssel hing,
von Gold, am Faltenknopf des Kleids,
zu Truz und Hohn des scheelen Neids.
   
Am Hofe, bey mancher zarten Frau,
Ging Junker Falkaug auf die Schau,
bald da, bald dort, trieb Minnespiel
und andrer guten Schwänke viel.
   
Kein Fräulein gewann sein freyes Herz:
die Liebe war ihm nur leichter Scherz,
und Wort und Schwur verwehte geschwind,
wie Seifenblasen, Sturm und Wind.
   
Doch wurde, von Amors sichtigem Pfeil,
des Junkers Herz nur selten heil;
von Liebesglut, wie Wachs, zerschmolz
es öfter; doch blieb er Hagestolz.
   
Entfloh der Höflinge lästigem Schwarm,
aus Ueberdruß, und warf sich in Arm
der stillen ländlichen Natur,
im kleinen Hause der blühenden Flur.
   
Bald aber herbergt das Ungethüm,
die grämliche Langeweile bey ihm:
er lebte so einsam und allein,
da fiel ihm plötzlich das Freyen ein.
   
Bestieg das Roß, in vollem Trab
ritt er das Land wohl auf und ab,
und sah, nach lüsterner Junker Brauch,
den jungen Dirnen zärtlich ins Aug.
   
Sann hin, sann her, bey schlafloser Nacht,
ein Liedchen zu wählen mit reifem Bedacht,
das pro und contra erschwerte die Wahl,
und preßte sein Herz mit langer Quaal.
   
Der allbelebende Lenz entfloh,
der schwüle Sommer eben so,
schon saußte der Wind durchs Stoppelfeld,
und ohne Braut zog heim der Held.
   
Nach manches Frühlings Wiederkehr,
lustwandelte von ungefehr
im Park der Junker, Morgens früh,
vertieft in süsse Phantasie.
   
Da schwebt' eine weibliche Gestalt
vor ihm daher, im düstern Wald,
wie eine Braut, schön, zart und jung,
geschmükt mit stolzem Federnschwung.
   
Er sah sie von fern, nur hinterwärts,
doch schlug vor Freuden ihm das Herz;
ihr Zauberreiz zog allgemach
den Späher ihren Schritten nach.
   
Und als das Fräulein, zierlich und schlank,
bald drauf vernahm des Kommenden Gang,
drehte sie sich um im schnellen Nu,
und hüpfte freundlich auf ihn zu.
   
Both traulich ihm die Arme dar,
Hilf Gott, wie stieg zu Berg sein Haar!
Eiskalt durchschauderts ihm die Haut:
Ein Todtengespenste war die Braut.
   
Sieh Junker, sieh da dein Ehgemahl!
so glükts nach lang verzögerter Wahl.
Nimm hin das dir beschiedne Loos,
Nimm hin das Fräulein Atropos.
   
Die Parze, im modernen Gewand,
den Fächer statt Spindel in der Hand,
übt an dem sterblichen Geschlecht
noch immer aus ihr altes Recht.
   
Darum wer freyen will und kan,
der nehme gute Lehren an:
Wer auf den Handel sich versteht
wählt, eh der Markt zu Ende geht.

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