goethe


Freund Heins Erscheinungen

Unwillkommne Dienstbeflissenheit

Mutter Natur gab dem Knaben frühen Instinkt sein hölzernes Roß zu satteln, die Trommel ertönen zu lassen, und in kindischer Rüstung den festen Gang und Mannestritt des Heereszugs nachzuahmen; dem sittsamern Mädchen gab sie die Puppe, um die keimende Generation anzulehren, bey reifenden Jahren, die jedem Geschlecht zugetheilten Geschäfte des Lebens, ohne Widerwillen zu tragen.
   
Das Spielzeug der Puppe ist Hebel und Triebwerk den drükenden Beruf des Weibes zu mildern: der zarte Arm gewöhnt zu umfassen, zu heben und tragen, zu schaukeln und gängeln, verschmähet in der Folge nicht, mit der Bürde schmerzlich errungener Liebesbeute sich zu belasten. Der erste Hauch des Lebens, facht den glimmenden Funken mütterlichen Gefühls zur reinen Flamme auf, unverlöschend wie das Feuer der Vesta. Wachsamkeit und Obhut, Sorgfalt und zärtliche Kümmerniß, schweben um die Wiege des Pfleglings der Liebe: denn das spähende Auge der Mutter ahndet auch im Schooß der Sicherheit Gefahr.
   
Gleichwohl achtet sie nicht der lästigen Mühe ihrer Bestimmung: die Macht der Sympathie polstert die harte Tenne mütterlicher Pflicht mit dem sanften Pflaum des Vergnügens, läßt Rosen aufblühen zwischen den Dornen und beleuchtet das Gewölke des Unmuths mit der Farbe der Morgenröthe. Das holde Lächeln des Säuglings bezahlt mit Wucher alle Schmerzen der duldsamen Gebährerin, und die geschäftige Arbeit ihrer treuen Pflege.
   
Häusliche Gattin des ämsigen Markantils,
den über Meer, ins ferne Abendland,
unkundig zärtlichen Gefühls,
Die Liebe zum Gewinn aus deinem Arm verbannt,
dir weilet nicht die Stunde banger Einsamkeit,
harrst nicht mit Ungeduld, im stillen Aufenthalt,
des Wandrers Wiederkehr: der süsse Knabe lallt
dir wonnige Zufriedenheit
entgegen, wenn der Tag erwacht,
und die dem Schlaf geraubte Nacht kürzt die Geselligkeit des zarten Herzgespiels.
   
Den Mutterfreuden gleicht kein ander Erdenglück.
Ach daß ein ehernes Geschik
so leicht sie stöhret! Unverhoft
erstirbt der Blüthen bunte Flor vom Hauch
des Südwinds; oder der erzürnte Sturm
entschüttelt sie dem mütterlichen Strauch,
des Schmuk sie gestern waren. Oft
benaget ein verborgner Wurm
die zarte Pflanze, schön vom Ansehn, saftig, stark,
und zehrt an ihrem innern Mark.
   
Vertrau, o Mutter, süssen Ahndungen nicht ganz!
Die rege Phantasie flicht einen bunten Kranz
von seltnen Gaben um des Säuglings Haupt;
späht Blik und Mienen, deutet jeden Zug
des Angesichts mit frohem Selbstbetrug;
weissaget aus dem Keim der Hülse reife Frucht;
erträumt Gedeihn der mütterlichen Zucht:
indeß der hagre Tod vielleicht
mit leisem Tritt sich an die Wiege schleicht,
und dir das Pfand der Liebe neidisch raubt!
   
Welche Wirthschaftssorge rief dich ab von der Hut des schlummernden Knaben? Wars die Stimme der Milchlämmer, die der erwachende Tag auf die Weide lokte; oder das ängstliche Girren der Hausdauben, über die der gierige Weih herabschwebte; oder rief dich der lachende Morgen aus der dumpfen Zelle des Schlafgemachs, gesunden Blüthenduft einzuathmen, und die erschlafften Kräften durch kühlen Thau zu der Arbeit des Tages zu stärken? Unter Schloß und Riegel liessest du den Sohn der Liebe im Arm der Ruhe, wähntest nichts Arges, und hoftest, daß der Erwachte bey deiner Wiederkehr durch Lächeln die Mutter erkennen, und lächelnd die erste Nahrung des Tages aus ihrer Brust begehren würde.
   
Dreymahl schlich die Horchsame an die wohlverwahrte Thür; - Noch lag der holde Knabe in sanfter Betäubung des Schlummers. Mit Mühe widerstund sie dem Verlangen ihn durch Liebkosungen zu ermuntern, um sich desto früher mit der geliebten Bürde zu beladen. - Bald verkündete die weinende Stimme des Kindes ihr sein Erwachen und Bedürfniß. - Wie sputete sich die gute Mutter herbey zu eilen des zarten Säuglings zu pflegen.
   
Was schaudert sie zurück? - Unausredbarer Schmerz
zerreißt ihr mütterliches Herz:
Erbarmen! rief sie, Gott! Erbarmen!
und rang die Hände: weh mir Armen!
Drauf stund sie stumm wie eine Säule da,
als sie mit Mutterblik ihr Unglük übersah.
   
Die zarte Knospe der gemähten Rose,
der kleine Liebling lag dem Tod im Schoosse,
ihm füllte sichtbarlich Freund Hein
Gift der Verwesung für gesunde Nahrung ein.
Noch zum Beschlusse schob die schauervolle Fratze
Aus Schäkerey der lauersamen Katze
den Ueberrest des Sterbemahles hin.
   
Du deines Zöglings treue Pflegerin,
sey zu Erfüllung deiner Pflicht nie träge:
ein Augenblik versäumter Mutterpflege
zernichtet froher Hoffnung blühenden Gewinn.

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