goethe


Freund Heins Erscheinungen

Der After-Arzt

Von Morbonens Gifthauch angewehet,
wenn der Seuche Göttin dich beschleicht,
mit Geschwulst dir Fuß und Hüfte blähet,
und die purpurfarbne Wange bleicht;
wenn ein stechend Fieber Mark und Säfte
aus Gebein und Adern saugt,
und der Balsam jugendlicher Kräfte,
wie ein Morgennebel, schnell verraucht:
   
Harrest du, mit ängstlicher Gebehrde,
von der Krankheit siebenfachen Pein,
Seitenweh und schwarzer Galle, werde
dich der Zögling des Galens befreyn.
Wie der Delinquent, an schwerer Kette,
Richterurtheil wünscht und scheut,
harrst du, Siecher, auf dem Krankenbette,
nach des Arztes Urtheil und Bescheid.
   
Heil dir, wenn er nicht Trophän aus Särgen
auferbaut, und Schlächterruhm gewinnt,
wenn sein Kranker tödlichen Latwergen
und der zweifelhaften Kunst entrinnt!
Opfre, nach sokratischem Gebrauche,
einen Hahn dem Aeskulap,
daß er neue Sehkraft deinem Auge,
den erschlafften Nerven Schnellkraft gab.
   
Daß nicht Sänfftl und daß nicht Mesmers Künste
dich bethörten, danke dem Geschik;
nimm dein zweytes Leben, zum Gewinnste,
freudig von Hygeens Sohn zurük.
Ohne Reu dekt, mit des Grabes Sande,
ein verwegner Empirist
hingewürgte Schaaren, seiner Schande
schweigend Zeugniß, das die Welt vergißt:
   
Denn kein Abgeschiedner, der die Gränze
überschritten hat, beklaget sich.
Doch den Arzt mäht auch die Todessense,
die in dessen Hand so fürchterlich
auf dem Saatfeld rauscht: den Kunstgeweihten
und den Sudler mähet sie,
Hallern und den Freund der Einsamkeiten,
wie den Meister Peter Menadie.
   
Weiland war ihm ungestraft zu tödten,
auch Beruf und ein Diplom verliehn,
und die hellen Augen, wie die blöden,
sahen mit Bewunderung auf ihn:
denn er wog die Heilart seiner Kunden
mit bewährter Klugheit ab,
ließ in Friede leben die Gesunden,
und die Siechen fördert' er ins Grab.
   
Wie Merkur die Schaaren bleicher Schatten,
mit dem Schlangenstab, zum Orkus treibt,
Greis und Jüngling, Bräutigam und Gatten,
und den Hagestolz, der unbeweibt,
unbetrauret, aus dem Leben schleichet,
schikt der Heilkunst Aftersohn
Kranke, die sein Wirkungskrais [!] erreichet,
allgemach hinab zum Acheron.
   
Dennoch lagert sich um ihn die Menge
Hülfsbedürftiger, und bestürmt sein Ohr.
Da tritt, mitten aus dem Volksgedränge,
ein Phantom gar abgezehrt hervor:
Arzt, jetzt hülf dir selber, wenn du meiner
Macht zu widerstehn vermagst,
lange harrt des Mähers Sense deiner,
die zu stümpfen du vergebens wagst.
   
A. Wicht, halt ein, mit deiner Macht zu drohen,
im Asyl des Lebens, - fort von hier!
Fürchterlicher, bist du nicht entflohen
oft für meinem Wunderelixier?
T. Deiner Büchsen Quintessenzen waren
Grabeswitterung, die mir
zur Ausbeute, Patienten Schaaren
treulich überlieferten, von dir.
   
A. Laß an dieser Rente dir genügen,
deren wuchernder Ertrag nie fehlt;
will um keinen Kunden dich betrügen,
nimm sie alle von mir wohlgezählt.
Willst du eignen Vortheil so verachten,
den kein guter Wirth verliehrt,
und dein bestes Leghuhn gierig schlachten,
das dir doch so manches Ey gebiehrt?
   
T. Freund, an dieser Brut ist niemals Mangel:
zahllos, wie das Fischgeschlecht im Meer,
mindert sie kein trüglich Nez; mein Angel
macht den Ozean nicht öd und leer.
   
Trieb ich auch mein Spiel mit deinem Orden,
Meister Peter, noch so kraus:
stirbt die Kunst, methodice zu morden,
doch mit deiner Brüderschaft nicht aus.

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