goethe


Jutta Assel | Georg Jäger

Walther von der Vogelweide

Bilder von Eduard Ille
im Schloss Neuschwanstein

Mit Hinweisen zur Rezeption des Minnesangs
im 18. und 19. Jahrhundert

Stand: August 2020

Neuschwanstein
Postkarte, nicht gelaufen
Lichtdruck von Carl Kuhn, München

Mit dem Schloss Neuschwanstein schuf sich König Ludwig II. von Bayern ein "privates Refugium"; es diente ihm "gewissermaßen als bewohnbare Theaterkulisse", in dem er seine romantische Vorstellung vom Mittelalter umsetzen konnte. (Wikipedia) Das Königsschloss war seit 1869 im Bau und bei der Entmündigung und dem Tod des Königs 1886 noch nicht fertiggestellt.

Die detaillierte Planung des Baues und seines Bildprogramms lag in den Händen des Königs. Für die malerische Ausgestaltung der Privatgemächer machte auf Weisung des Königs der Münchener Kunst- und Literarhistoriker Hyazinth Holland Themenvorschläge. "Als dem meistgerühmten und meistgefeierten aller Minnesänger" gebühre Walther von der Vogelweide ein Platz, "wobei er in Szenen aus der Biographie und derjenigen Dichtungen geehrt werden solle, die in inhaltlichem Bezug zu Bayern stünden" (Russ: Neuschwanstein, S. 35)

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Gliederung

1. Produktive Rezeption des Minnesangs
2. Walther von der Vogelweide,
eine Postkartenserie
3. Notizen zu Eduard Ille
4. Literaturhinweise und Weblinks
5. Rechtlicher Hinweis und Kontaktanschrift

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Oben: Kgl. Schloß Neuschwanstein. Toilettenzimmer. Adressseite: Martin Herpich, Kunst- u. Verlagsanstalt, München. Nr. 727. Im Briefmarkenfeld: Kupfer Gravürkarte. Nicht gelaufen.
Mitte: Schloß Neuschwanstein. Toilettenzimmer. Martin Herpich, Kunst- und Verlagsanstalt, München. Nach farbenphotographischen Uvachrom-Aufnahmen.Nr. 760. Nicht gelaufen. - Dieses und das folgende Bild zeigen, wie die Gobelinleinwand in die hölzernen Wandpaneelen eingefügt ist.
Unten: Kgl. Schloss Neuschwanstein. Das "Recht des Herrn". Gemälde am Toilettenschränkchen. Martin Herpich, Kunst- und Verlagsanstalt, München, nach farbenphotogr. Aufnahmen. No. 459a. Im Briefmarkenfeld Signet: FPhG im Dreieck [ Uvachrom Gesellschaft für Farbenphotographie mbH, München - Stuttgart]. Nicht gelaufen. - Das Toilettenschränkchen siehe in den beiden oberen Aufnahmen. - LE  DROIT DÖ SEIGNEÖR (Ius primae noctis):  "das angebliche Recht eines Gerichtsherrn,  bei der Heirat von zwei seiner Herrschaft unterstehenden Personen die erste Nacht mit der Braut zu verbringen oder einen Geldersatz (Stechgroschen) zu verlangen" (Wikipedia, Artikel "Ius primae noctis").

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1. Produktive Rezeption des Minnesangs

Die produktive Rezeption des Minnesangs im 18. Jahrhundert geht aus von der "Sammlung von Minnesingern aus dem schwäbischen Zeitpunkte", die Johann Jacob Bodmer und Johann Jakob Breitinger 1758 /1759 in Zürich herausgaben. Bei der für ein breites Publikum bestimmten Auswahl aus der "Großen Heidelberger Liederhandschrift" (Codex Manesse) handelt es sich fast ausschließlich um Minnelieder. Von den hierdurch angeregten Gedichten wurde das "Minnelied" von Ludwig Hölty besonders bekannt:

Minnelied

Holder klingt der Vogelsang,
Wann die Engelreine,
Die mein Jünglingsherz bezwang,
Wandelt durch die Haine.

Röther blühet Thal und Au,
Grüner wird der Wasen,
Wo die Finger meiner Frau
Maienblumen lasen.

Ohne sie ist alles todt,
Welk sind Blüt' und Kräuter;
Und kein Frühlingsabendroth
Dünkt mir schön und heiter.

Traute, minnigliche Frau,
Wollest nimmer fliehen;
Daß mein Herz, gleich dieser Au,
Mög' in Wonne blühen!

1773, mit 25 Jahren, dichtete Ludwig Hölty (1748-1776) dies "Minnelied", das Franz Schubert (1797-1828) 1816 im Alter von 19 Jahren vertonte. Zu Text, Noten und Gesang siehe:
https://www.schubertlied.de/index.php/de/die-lieder/429-minnelied-d429
Die epochenübergreifende Popularität dieses Liedes geht aus weiteren Vertonungen hervor, u.a. durch Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847) und Johannes Brahms (1833-1897).

Die Ausgabe der Minnelieder durch Tieck (Minnelieder aus dem Schwäbischen Zeitalter. Neu bearbeitet und herausgegeben von Ludewig [!] Tieck. Berlin 1803, mit Vignetten und Titelkupfern von Philipp Otto Runge) enthält ein längeres Vorwort, das sich als "Manifest romantischer Literaturauffassung" (Kristina Hasenpflug) lesen läßt:

"Denn es gibt doch nur Eine Poesie, die in sich selbst von den frühesten Zeiten bis in die fernste Zukunft, mit den Werken, die wir besitzen, und mit den verlorenen, die unsere Phantasie ergänzen möchte, sowie mit den künftigen, welche sie ahnden will, als das menschliche Gemüth selbst in allen seinen Tiefen, jenes unbekannte Wesen, welches immer ein Geheimniß bleiben wird, das sich aber auf unendliche Weise zu gestalten sucht, ein Verständniß, welches sich immer offenbaren will, immer von neuen versiegt, und nach bestimmten Zeiträumen verjüngt und in neuer Verwandlung wieder hervortritt."

Spätestens mit der Romantik 'diffundierte' der Minnesang ins kulturelle Leben, worauf das oben zitierte Minnelied von Hölty und seine Vertonungen bereits hinweisen. Ein weiteres Beispiel stellen die vier Minnelieder dar, die Franz von Pocci (1807-1876) in Einzelblättern publizierte und in das festliche Treiben im Rahmen der Burgen- und Ritterromantik der Münchener Künstlerschaft integrierte. Siehe auf der Seite zu Poccis Minneliedern die "Hinweise zur Wiederentdeckung und produktiven Rezeption der Minnelieder" (mit dem Minnelied "An mein Liebchen", von Johann Martin Miller, 1772).
http://www.goethezeitportal.de/index.php?id=6876

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2. Walther von der Vogelweide,
eine Postkartenserie

Die hier auf Bildpostkarten wiedergegebenen Illustrationen aus dem Leben und dem Werk des Minnesängers Walther von der Vogelweide (um 1170-1230) waren für das königliche Toiletten-Zimmer im Schloss Neuschwanstein bestimmt. Für alle Wandbilder in den Wohnräumen wurde die Teppichmalerei (Malerei auf Stoffgewebe statt auf der Wand) gewählt, "da die zu übermalenden Mauerflächen in nächster Zeit nicht die nothwendige Sicherheit für Freskomalerei bieten (Russ: Neuschwanstein, S. 98. Zum Ausstattungsprojekt des Toiletten-Zimmers siehe die Aufzeichnung III. Das königlicheToilettenzimmer, unterzeichnet von Georg Dollmann, dem leitenden Architekten, und datiert 28. Juni 1880 (Russ: Neuschwanstein, S. 101 f.) Aus diesem Dokument werden die knappen Bildbeschreibungen und die Zitate aus den Gedichten Walthers wiedergegeben. Dergleichen Beschreibungen der projektierten Ausstattungen dienten der Orientierung der Mitarbeiter, informierten den König und bereiteten seine Beschlüsse vor.

Vorlage:
Heldensagen. Gemälde aus dem Schlosse Neuschwanstein. Walther von der Vogelweide von Ed. Ille und F. von Piloty. Serie 248, Nr. 4424-4429. Verlag von Martin Herpich in München.

Der Postkartenverlag von "Martin Herpich" bzw. "Martin Herpich & Sohn" widmete sich schwerpunktmäßig den Bauten von König Ludwig I. und Ludwig II. von Bayern  (Befreiungshalle, Walhalla, Königsschlösser). Er verlegte das erfolgreiche Buch " Der einsame König. Erinnerungen an Ludwig von Bayern" von Werner Bertram (1936; 140.-155. Tsd. ca. 1985).

Walther von der Vogelweide.
Serie 248, Nr. 4424. Ed. Ille pinx.
Jung Walther am Vogelherd

Jung Walther, auf dem einsamen Burggehöfe seines Vaters
unter Falken und Vöglein aller Art sitzend und, sie ätzend und pflegend,
auf ihren Gesang lauschend.

Walther von der Vogelweide.
Serie 248, Nr. 4425. Ed. Ille pinx.
Walther reitet fiedelnd an einer Burg vorüber.

"Mit Segen laß mich heut erstehen,
Herr Gott, in Deinem Schutze gehen
Und reiten, wohinaus mein Weg sich kehre."

Walther von der Vogelweide.
Serie 248, Nr. 4426. Ed. Ille pinx.
Walther von der Vogelweide, bei Hofe sein Lied vortragend.

Walther am Hof des alten Herzogs Welf zu Memmingen in großer Versammlung von Frauen und Rittern, sein Lied zum Preise deutscher Zucht und Sitte singend.

"Deutsche Männer sind wohlerzogen,
Engel gleich die Frauen anzusehen,
Wer sie schilt, der ist betrogen,
Anders kann ich's wahrlich nicht verstehen.
Tugend und reine Minne,
Wer die suchen will,
Der soll kommen in unser Land, da ist der Wonne viel:
Möcht ich nur auch lange leben darinnen!"

Walther von der Vogelweide.
Serie 248, Nr. 4427. Ed. Ille pinx.
Walther von der Vogelweide siegt
im Gesang über Heinrich von Ofterdingen.

Walther von der Vogelweide.
Serie 248, Nr. 4428. Ed. Ille pinx.
Darstellung aus Walthers allbekanntem Minnelied:

"Unter den Linden
An der Heide
Wo ich mit meinem Trauten saß,
Da möcht ihr finden,
Wie wir beide
Die Blumen brachen und das Gras.
Vor dem Wald mit süßem Schall
Tandaradei
Sang im Tal die Nachtigall."

Walther von der Vogelweide.
Serie 248, Nr. 4429. Ed. Ille pinx.
Walther von der Vogelweide
mit Herzog Friedrich von Oesterreich als Kreuzfahrer

Walther mit Herzog Friedrich von Oesterreich als Kreuzfahrer auf der See, dem gelobten Lande zusteuernd, singt sein berühmtes Kreuzlied:

"Nun erst leb ich ohne Fährde (Kummer)
Seit sich meinem Auge weist
Das hehre Land und auch die Erde,
Die man also lobt und preist.
Mein ist, was ich je erbat:
Ich bin kommen, wo den Pfad
Gott im Menschenbilde trat."

"In Würzburg legte sich Walther zur letzten Ruhe, dort hatte er seine alten Tage zugebracht. Im Lorenzgarten des neuen Münsters unter einem Baum wurde er begraben. Wie die Sage erzählt, hat er ein Vermächtnis für die Vögelein gestiftet. Er ließ in seinen Leichenstein vier Löcher hauen, darein sollten täglich Weizenkörnlein und Semmelkrumen gestreut werden zur Weide für die Vögelein. Der Grabstein ist längst zugrunde gegangen, aber einige Jahrhunderte nach seinem Tode wandelte man sein Vermächtnis in eine Semmelstiftung für Chorherren um, die bis in die jüngste Zeit als 'Michelswecke', der der Jugend alljährlich verabreicht wird, fortlebt." (Heldensagen)

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3. Notizen zu Eduard Ille

Eduard Ille (1823-1900), Münchner Maler und Illustrator, "arbeitete als Schüler Schwinds in dessen Atelier; war beteiligt an der Ausmalung von Schloß Neuschwanstein; führender Mitarbeiter der 'Münchener Bilderbogen' und der 'Fliegenden Blätter' " (Ries, S. 614) Von 1850 bis 1897 hat Ille 71 "Münchener Bilderbogen" illustriert (Eichler). Eine Liste der Illustrationen bei Ries.

"Eduard Ille ist ein dichtender Maler, der die altdeutschen Sagen mit neuem Leben erfüllte, so daß uns die Minnesänger des Mittelalters in guter und trefflicher Erinnerung erhalten sind." (Heldensagen)

Siehe auch von Ille illustrierte Seite im Goethezeitportal:
* Das bucklichte Männlein. Münchener Bilderbogen, Nr. 69. URL:
http://www.goethezeitportal.de/index.php?id=6452
*  Der Maskenball der Tiere. Münchener Bilderbücher, Nro. 36. URL:
http://www.goethezeitportal.de/index.php?id=6908
* Die Geschichte des Reineke Fuchs für Kinder bearbeitet.
Münchener Bilderbücher, Nr. 33. URL:
http://www.goethezeitportal.de/index.php?id=6921

Siehe auch
Gunter E. Grimm: „Niflunga-Saga“. Zu einem Gemälde von Eduard Ille. Online im Goethezeitportal.
http://www.goethezeitportal.de/fileadmin/PDF/wissen/projekte-pool/rezeption_nibelungen/niflunga-saga-von-eduard-ille.pdf

Literaturhinweise:
* Eintrag "Eduard Ille" in Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Eduard_Ille
* Hans Ries: Illustration und Illustratoren des Kinder- und Jugendbuchs im deutschsprachigen Raum 1871-1914. Osnabrück: Wenner 1992. ISBN 3-87898-329-8

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4. Literaturhinweise und Weblinks

Literatur:
* Heldensagen. Wandgemälde aus dem Schlosse Neuschwanstein von Piloty - Hauschild - Spiess - Aigner - Ille. München: Martin Herpich. Kunst- und Verlagsanstalt o.J. Darin: Die Sage von Walther von der Vogelweide.
* Gisela Brinker-Gabler: Tiecks Bearbeitungen altdeutscher Literatur. Produktion, Konzeption, Wirkung. Ein Beitrag zur Rezeptionsgeschichte älterer deutscher Literatur. Diss. Universität zu Köln 1973.
* Albert M. Debrunner: Das güldene schwäbische Alter. Johann Jakob Bodmer und das Mittelalter als Vorbildzeit im 18. Jahrhundert (Epistemata; Reihe Literaturwissenschaft; Bd. 170) Würzburg: Königshausen & Neumann 1996. ISBN 3-8260-1178-3
* Kristina Hasenpflug: "Denn es giebt doch nur Eine Poesie ..." Tiecks Minnelieder - ein romantisches Literaturprogramm. In; Edition und Übersetzung. Zur wissenschaftlichen Dokumentation des interkulturellen Texttransfers. Beiträge der internationalen Fachtagung der Arbeitsgemeinschaft für germanistische Edition 2000. Hrsg. von Bodo Plechta und Winfried Woesler (Beihefte zu Editio, Bd.18). Tübingen: Niemeyer 2002, S. 323-340. ISBN 3-484-29518-X
* Ingrid Kasten: Minnesang. In: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Hrsg. von Harald Fricke. Bd. II. Berlin: Walter de Gruyter 2000, S. 604-608.
* Angelika Koller: Minnesang-Rezeption um 1800. Falldarstellungen zu den Romantikern und ihren Zeitgenossen und Exkurse zu ausgewählten Sachfragen (Europäische Hochschulschriften. Reihe I, Bd. 1297) Frankfurt a.M.:Peter Lang 1992. ISBN 3-631-42568-6
* Louise von Kobell: Das Königliche Bayerische Schloß Neuschwanstein. Mit zahlreichen Abbildungen im Text (Monographien der bayerischen Königsschlösser, 4) München: Jos. Albert 1898. - Darin: Ankleidezimmer mit Begebenheiten aus dem Leben Walthers von der Vogelweide auf Gobelinleinwand S. 39-44.
* Sigrid Russ: Neuschwanstein, der Traum eines Königs. München: Süddeutscher Verlag 1983. ISBN 3-7991-6176-7
* Günther Schweikle: Minnesang. 2., korrigierte Auflage (Sammlung Metzler, Bd. 244), Stuttgart Metzler 1995. ISBN 3-476-10244-0
* Ludwig Uhland: Walther von der Vogelweide. Ein altdeutscher Dichter. Stuttgart, Tübingen: Cotta 1822.

Siehe auch die Seite zu den Minneliedern von Franz von Pocci. URL
http://www.goethezeitportal.de/index.php?id=6876

Weblinks:
* Zum Minnesang siehe die Seite in Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Minnesang
* Zu Walther von der Vogelweide siehe die Seite in Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Walther_von_der_Vogelweide

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5. Rechtlicher Hinweis und Kontaktanschrift

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