goethe


Künstler- und Denkerenzyklopädie

Gottfried August Bürger
(1747 - 1794)

Vertonungen seiner Lieder durch Carl Christian Agthe und Friedrich Wilhelm Weis

 

Schön Suschen

Schön Suschen kannt’ ich lange Zeit:
Schön Suschen war wohl fein;
Voll Tugend war ’s und Sittsamkeit:
Das sah ich klärlich ein.
Ich kam und ging, ich ging und kam,
Wie Ebb’ und Flut zur See.
Ganz wohl mir tat es, wann ich kam,
Und wann ich ging, nicht weh.

Und es geschah. Daß nach der Zeit,
Ganz anders ich vernahm:
Da thats mir, wann ich schied, so leid,
Und wohl mir, wann ich kam:
Da hatt’ ich keinen Zeitvertreib,
Und kein Geschäft, als sie:
Da fühlt’ ich ganz an Seel und Leib,
Und fühlte nichts als sie.

Ich war wohl dumm und stumm und
taub
Vernahm nichts, außer ihr;
Sah nirgends blühen Blum und Land;
Nur Suschen blühte mir.
Nicht Sonne, Mond und Sternenschein,
Mir glänzte nur mein Kind;
Ich sah, wie in die Sonn’ hinein,
Und sah mein Auge blind.

Und wieder kam zur andre Zeit,
Gar anders ward es mir;
Doch alle Tugend, Sittsamkeit,
Und Schönheit blieb an ihr. Ich kam
und gieng, und gieng und kam,
Wie Ebb’ und Flut zur See.
Ganz wohl mir that es, wenn ich kam
Doch, wann ich gieng, nicht weh.

Ihr Weisen, hoch und tief gelahrt,
Die ihr ’s ersinnt, und wißt,
Wie, wo, und wann sich alles paart?
Warum sich ’s liebt und küßt?
Ihr hohen Weisen, sagt mir ’s an!
Ergrübelt, was mir da,
Ergrübelt mir, wo, wie, und wann,
Warum mir so geschah! –

Ich selber sann wohl Nacht und Tag,
Und wieder Tag und Nacht,
So wundersamen Dingen nach;
Doch hab ich nichts erdacht. –
Drum, Lieb’ ist wohl, wie Wind im
Meer:
Sein Sausen ihr wohl hört,
Allein, ihr wisset nicht woher?
Wißt nicht, wohin er fährt?


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