Jutta Assel | Georg Jäger
Franz Edmund Weirotter
Radierungen aus Rom, Tivoli und Umgebung
Stand: Dezember 2009
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"Überbleibel del Ponte Sublicio."
Werkkatalog Nr. 141.
(Größe: 14,2 x 19,6 cm.)
Im Mittelgrund blickt man auf die mächtigen Ruinenteile der ehemaligen großen Steinbrücke. Am linken Bildrand über dem steil ansteigenden Ufer befindet sich ein massiver Gebäudekomplex, von dem herab auf einen runden Balkon zwei Männer auf die Stadt sehen. Teile der Stadt sind im Hintergrund rechts zu erkennen. Am rechten unteren Bildrand sind zwei Fischer mit einem Netz beschäftigt.
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Gliederung
1. Der Radierer Franz Edmund Weirotter
2. Themenkreise und Sujets
3. Die Staffage in Weirotters Arbeiten
4. Die »vorromantische Stimmung« in der Bildanlage der eigenständigen Blätter Weirotters
5. Kurzbiographie
6. Literatur
7. Rechtlicher Hinweis und Kontaktanschrift
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1. Der Radierer Franz Edmund Weirotter
Die Radiertechnik, die als Mittel des künstlerischen Ausdrucks bereits im frühen 16. Jahrhundert zu finden ist, gilt im 18. Jahrhundert als die gebräuchlichste graphische Methode. Auch Weirotter hat, wie die gesamte Künstlergruppe um Johann Georg Wille, sich von Beginn seiner Tätigkeit an für die Radierung und damit gegen den Kupferstich entschieden. Die Radiertechnik ist am geeignetsten, um die malerische Wirkung zu erzielen.
Im Verlauf des 18. Jahrhunderts erobert die druckgraphisch hergestellte Landschaftsdarstellung neben den anderen Kunstgattungen, wie beispielsweise der Porträtdarstellung, dem Historien- oder Heiligenbild, ihren eigenen Platz.
Die Radierung entspricht auch eher dem Duktus der malerisch ausgeführten Zeichnungen Weirotters. Die graphischen Eigenschaften der Radierung wie Unregelmäßigkeit in der Linie, Weichheit, Spontaneität und Flüssigkeit kommen seiner künstlerischen Intention entgegen. Sie eignen sich zur Umsetzung seiner Ideen und der meist in Rötel, Kreide oder lavierter Tuschfeder gehaltenen Zeichnungen am besten. Im Gegensatz zum Kupferstich ermöglicht die Radierung durch freies Zeichnen in der wachsartigen Deckschicht auf der Platte, ein miteinander verflochtenes Liniengemälde auszuarbeiten. Die Strich- und Linienführung bei Weirotter ist durch verschiedenartig gebrochene, meist kurze Linien charakterisiert. Sie wirken nur miteinander, eigentlich nur in der Menge. Die Umrisse auf seinen Radierungen sind nicht durch scharfe Konturlinien gekennzeichnet. So erreicht Weirotter einen flüssigen, lockeren und malerischen Duktus. Seine Radierungen wirken deshalb zugleich weich und leicht.
Nach Winterberg, „Der Radierer Franz Edmund Weirotter", S. 17.
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"Erste Folge von Gegenden und Bruchstücken Alter Gebaeude."
Mächtige Steinplatte inmitten von Gesträuch und Architekturbruchstücken.
Titelblatt der Folge von 12 Blättern, 1766.
Werkkatalog Nr. 120.
(Größe: 18,3 x 26,7 cm.)
Im Vordergrund sieht man links und rechts verschiedene Bruchstücke antiker Säulen; links zwischen Laubwerk ein kanneliertes Säulenfragment, rechts vor dem Stamm eines umgestürzten Baumes eine liegende Säulenbasis.
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Aus der Umgebung von Rom.
Werkkatalog Nr. 121.
(Größe: 18 x 24,5 cm.)
Das große auf römischen Ruinen aufgebaute Landhaus in weiter Landschaft. Vor dem Haus sind mehrere Figurengruppen zu sehen. Am rechten Rand der Darstellung erkennt man in weiter Ferne die Reste eines römischen Aquäduktes.
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Aus der Umgebung von Tivoli.
Werkkatalog Nr. 122.
(Größe: 18 x 24,5 cm.)
Frauen beim Aufhängen der Wäsche im Innenhof eines großen Gebäudekomplexes. Das Gebäude ist an die Reste alter römischer Rundbogenarchitektur angebaut. Links im Vordergrund sieht man die Frauen bei ihrer Arbeit.
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Im druckgraphischen Werk Weirotters findet man vorwiegend folgende Sujets: weite, meist hügelige Landschaften, Hafenansichten, zerfallene Hütten und von Pflanzen überwucherte Ruinen oder Altertümer. Charakteristisch für seine Arbeiten sind die sanften, ruhigen und ausgewogenen Landschaften mit Figurenszenen, die oft in Verbindung mit Architekturen gezeigt werden. Weirotters Hauptinteresse gilt der ursprünglichen Natur, der sich die Menschen und ihre Gebäude unterordnen.
Sein Repertoire umfasst Themen, die das ruhige Landleben, Vergnügungen auf dem Eis, Boulespieler, Angler oder ein beschauliches urbanes Leben schildern. Auf keinem der Blätter sind Anzeichen von Hektik oder Trubel zu finden; selbst wenn es sich um vielfigurige Szenerien handelt, geht es friedvoll und gemütlich zu. In manchen seiner Arbeiten fängt er geradezu eine „Dolce-far-niente-Stimmung“ ein.
Nach Winterberg, „Themenkreise und Sujets“, S. 18.
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Teilansicht von Rom.
Werkkatalog Nr. 123.
(Größe: 16,7 x 23,5 cm.)
Die große Mühle bei der steinernen Brücke. Das große Gebäude mit dem Wasserrad befindet sich im linken Bildteil; über dem Eingang sieht man ein päpstliches Wappen. Im rechten Bildteil kann man in der Ferne, unter dem Brückenbogen hindurch, eine Rundbogenarchitektur und einen Kuppelbau erkennen.
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"Die Piramide del Sesto beim Thore S: Pauli in Rom".
Werkkatalog Nr. 148.
(Größe: 17,3 x 9,7 cm.)
Im linken Bildteil erhebt sich überhöht die Cestius-Pyramide, zum rechten Rand hin erstreckt sich ein Teil der alten Stadtmauer. Im Vordergrund auf den Felsen befinden sich vier Männer im Gespräch.
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Aus der Umgebung von Rom.
Werkkatalog Nr. 129.
(Größe: 16 x 22 cm.)
Antike Ruinenreste in der weiten Landschaft bei Rom. Im Vordergrund am alten Treppenaufgang stehen vier Männer im Gespräch beieinander. Am rechten Bildrand erkennt man in der Ferne einen Rundturm und Teile eines Aquäduktes.
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Der Einsatz von Figuren in den Bildkompositionen hat neben dem belebenden Moment noch die Bestätigung der fiktiven Wirklichkeit zur Folge. Die Glaubhaftigkeit der geographischen Situation wird dadurch gesteigert und eine wirklichkeitsnahe Bildwirkung erreicht. Die dargestellten Personen ergehen sich in einer unbefangenen Natürlichkeit. Er zeigt sie in den für sie bestimmten Lebensräumen. Seine Figuren, zumeist bäuerlicher Natur, fühlen sich sichtlich wohl in diesen natürlichen, Ruhe ausstrahlenden Landschaftsräumen. Der Einklang ihrer Erscheinung mit der sie umgebenden Natur wird zu einem wichtigen Inhaltsmoment in seinen Radierungen. Die in genrehafter Weise wiedergegebenen Figuren sind in allen seinen Kompositionen im Vorder- oder Mittelgrund zu finden. Dargestellt werden Menschen, die sich unterhalten, die zusammen spielen, angeln oder ihre Fischernetze einziehen. Die Personen stammen in der Regel aus bäuerlichen oder bürgerlichen Gesellschaftsschichten, niemals werden von Weirotter Personen aus gehobeneren Schichten oder gar höfische Szenen dargestellt, auch hier zeigt sich wiederum das aufklärerische Gedankengut.
Die Figurengruppen, die stets unmittelbar vor einer Veränderung abgebildet zu sein scheinen, unterstreichen die Wirkung der von Weirotter gewollten »Momentaufnahme«. Sie erhalten die Funktion von Staffagefiguren. Er integriert sie, unter Berücksichtigung der natürlichen Größenverhältnisse, in seine Landschaftsausschnitte. Der Mensch ist immer nur Teil des Ganzen. In keinem seiner Blatter wirken die Figuren unproportioniert und unangemessen dominant. Sie gleichen einander manchmal sehr, vielfach sind sie nur in ihrer Konstellation zueinander verändert. Die Figuren tragen stets zur Auflockerung der gesamten Komposition bei. Der Künstler versteht es außerordentlich gut, die Bildelemente zu variieren und das Auge des Betrachters geschickt auf die vielen unterschiedlichen Einzelheiten zu lenken. Die erzählerische Wirkung seiner Arbeiten steigert Weirotter vielfach, indem er den Figurengruppen noch einen kleinen Hund zuordnet.
Trotz dieser realistisch wirkenden Staffage niederländischer Herkunft kommt in seinen Landschaften den plastisch ausgearbeiteten Bäumen oder anderen vegetabilen Formen und der Architektur eine größere Bedeutung zu.
Nach Winterberg, „Die Staffage in Weirotters Arbeiten“, S. 19.
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Aus der Umgebung von Rom.
Werkkatalog Nr. 128.
Größe 16 x 22 cm.)
Links im Bild Reiter mit ihren Maultieren an der Tränke. In der Bildmitte steht auf felsigem Grund ein mächtiger viereckiger Turm. Im rechten Bildteil sieht man noch weitere Personen zur Tränke gehen.
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"Alter Tempel zu Tivoli."
Werkkatalog Nr. 135.
(Größe: 14 x 19 cm.)
In eine christliche Kirche umgebauter antiker Tempel. An der Eingangspforte stehen eine junge Frau und ein alter Mönch im Gespräch beieinander, links daneben befindet sich eine weitere Frau mit zwei Kindern und im Hintergrund eine Berglandschaft.
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4. Die »vorromantische Stimmung«
in der Bildanlage der eigenständigen Blätter Weirotters
Schon im 17. J ahrhundert sind zwei grundlegend verschiedene Konzeptionen der Landschaftswiedergabe zu unterscheiden: die »ideale«, die eine nach menschlichen Gesetzen vollkommene Landschaft zeigt und die »naturalistische« Auffassung, die nach natürlichen Gesetzen geordnet scheint. Weirotters Zeichnungen wirken im Vergleich zu seinen später ausgeführten Radierungen naturalistisch. Die Radierungen besitzen einen »Hauch« von Idealität; sie sind gleichsam idealistisch verklärt.
In Übereinstimmung mit den Landschaftstheorien der Zeit sind seine eigenständigen Blätter weitgehend nach dem Naturvorbild ausgeführt. Was dem Figurenmaler das Aktstudium, ist dem Landschafter die vor dem Motiv angefertigte Studie. Die Arbeit »en plein air« würde allerdings eine topographisch genaue Ansicht eines Gebäudes oder die naturgetreue Wiedergabe einer Landschaft erwarten lassen. Weirotter geht es in erster Linie darum, - und dies zeichnet die Eigenständigkeit seiner Arbeiten aus - die Augen für die perspektivischen Verhältnisse in der Landschaft selbst zu schulen, und nicht darum, wahrheitsgetreue Wiedergaben zu erarbeiten. Über die ästhetische Erfahrung und das Studium der Natur wird Weirotter zum künstlerischen Gestalter. Seine pleinairistischen Studien haben eine dienende Rolle in Bezug auf die Vorbereitung der harmonisierten Landschaftskompositionen, die er dann in der Radiertechnik ausführt.
Die Genauigkeit von Details, wie die Beschaffenheit des Bodens, die Rinde der Bäume oder die Unterschiedlichkeit des Laubwerks sind für Weirotter meist von geringer Bedeutung. Das echte Naturgefühl des Künstlers wird deutlich, wenn man sieht, wie er die Baume in ihrem Wesen erfasst und nicht als Vertreter ihrer botanischen Gattung; letztere kann man nur selten bestimmen. Es ist festzustellen, dass man in seinen zahlreichen italienischen Landschaften die für das Land typische Vegetation, wie Agaven und Zypressen, vermisst. Pinien sind nur in wenigen Kompositionen zu finden.
Weirotter arbeitet bei der Gestaltung der Bäume lediglich das Wesentliche heraus. Er betont oftmals den unregelmäßigen Wuchs, die Knorrigkeit der Äste, oder er zeigt voluminöse, mächtige Laubmassen, die jedoch die Struktur der Äste durchschimmern lassen. Großzügig zusammenfassende Schraffuren in den Schattenpartien, abwechselnd mit wenigen Kürzeln, die die beleuchteten, plastisch hervortretenden Laubzonen konkretisieren, machen Bewegung und Luft in den Blättern anschaulich. Er vermittelt so ein direktes Erscheinungsbild der Natur, während nachfolgende Künstlergenerationen Blatt für Blatt eines Baumes ehrfürchtig beobachtend zeichnen und die Einheit des ganzen Baumes aus tausend Details erst mühsam gewinnen müssen.
Weirotter nutzt den Aufenthalt im Freien, um insbesondere die Verteilung von Licht und Schatten und die daraus resultierenden Veränderungen zu beobachten, nicht dagegen um exakt die Natur in seinen Arbeiten zu dokumentieren. Er will das Geheimnis der Natur im unablässigen Studium der Landschaft ergründen und beobachtet gewissenhaft das Licht, das in jedem Augenblick die Raumverhältnisse vom entferntesten Horizont bis zu den Bäumen und Felsen im Vordergrund verändert. Als habe Weirotter die Gedanken von Roger de Piles, Gessners oder Hagedorns verinnerlicht, hat ihn das kontrastierende Spiel des Lichts am meisten interessiert, das in seinen Darstellungen als wichtiger Faktor zur Erzeugung von Plastizität eingesetzt wird. Seine Arbeiten sind stets geprägt von einem interessanten Wechsel verschatteter und beleuchteter Partien. Das Wechselspiel von helleren und dunkleren Akzenten wirkt jetzt bei Weirotter als Beleuchtung, die unabhängig von den Bildgegenständen einstrahlt. Traditionell diente das Hell-Dunkel lediglich als Trennung der Gegenstände von einander. Dieses charakteristische Unterscheidungsmerkmal verdeutlicht den Entwicklungsgrad seiner Landschaftsdarstellungen. So erscheinen auf seinen Radierungen die Bäume vielfach in Nahsicht, unmittelbar zupackend geschildert, von hellem Sonnenlicht gestreift oder tief verschattet. Diese durch Vibrationen von Licht und Schatten möglich gewordene »atmosphärische« Durchdringung der Landschaft trägt zum Reiz der Blatter bei und zeigt, wie Weirotter aufgrund seines ausgeprägten Naturempfindens räumliche Zusammenhange sichtbar macht.
Er erreicht im Vordergrund durch die Verdichtung der radierten Strichlagen eine Akzentuierung, die sich über den Mittelgrund bis zum Hintergrund langsam und stetig abschwächt. Er erzielt damit die perspektivische Illusion und die atmosphärische Weite seiner Landschaftsdarstellungen. Der Blick öffnet sich in eine im Licht aufgelöste Ferne, in der sich Landschaft und Himmel fast grenzenlos verbinden. Die Fernwirkung des landschaftlichen Tiefenraumes erreicht Weirotter selbst im kleinsten Format.
Interessant ist auch die Behandlung von Wasseroberflächen in seinen Darstellungen. Weirotter variiert geschickt seinen Strichduktus. Es ist deutlich der Unterschied zwischen einem stehenden oder fließenden Gewässer zu erkennen. Es handelt sich entweder um parallele, gleichmäßig angeordnete Strichlagen oder um bewegte, krause Strichelungen. Durch den Einsatz von Spiegelungseffekten oder Akzentuierungen von Schattenzonen auf der Wasseroberfläche erreicht er auch hier die gewünschte Raumtiefe.
Die perspektivische Wirkung seiner Landschaften verstärkt Weirotter meist durch die Staffelung schräg in den Raum gestellter Gebäude. Sie erstrecken sich in der Regel vom Vordergrund bis zum Mittelgrund. Durch ihre Schrägstellung wird der Blick des Betrachters in die helleren, lichteren Zonen des Hintergrunds gelenkt; oder es handelt sich um aufgetürmte Formen wie Bäume und Felsen, die die Durchblicke rahmen und mit raumgreifenden Motiven kombiniert sind. Geschwungene Wege oder Uferzonen setzen hierbei zusätzliche Akzente. Die beabsichtigte Tiefenwirkung des Raumes wird außerdem durch perspektivische Verkürzungen und geschicktes Positionieren seiner Figuren gesteigert. Der Bewegungsreiz wird zusätzlich durch die Gesten der Staffagefiguren unterstrichen. So haben seine Personen mitunter einen Arm ausgestreckt, um den Blick des Betrachters bildeinwärts zu lenken.
Die Architekturreste oder auch die vollständig erhaltenen Gebäude sind, wie bereits erwähnt, nicht etwa topographisch genaue Wiedergaben beobachteter Szenerien. Weirotter bevorzugt das phantastische Motiv. Er zeigt mit Vorliebe unvollendete oder ruinöse Bauten aus der Antike, dem Mittelalter oder der Renaissance und verbindet diese mit zum Teil einfachen Hütten. Mit einer solchen Verfremdung, die außerdem noch häufig in ihrer Wirkung durch üppigen Pflanzenbewuchs verstärkt wird, erzielt Weirotter Stimmungen der Verzauberung und Beschaulichkeit. Er erreicht einen pittoresken Eindruck. Der üppige Pflanzenbewuchs bricht die tektonische Form und lässt keine festen Umrisse der Gebäude mehr erkennen. Die geometrische Starrheit der Architektur verschwindet beinahe ganz. Der Bau kann mit den frei bewegten Formen der Natur, mit Bäumen, Sträuchern und Hügeln eine Bindung zu einem malerischen Erscheinungsbild eingehen, wie sie der vollendeten und intakten Architektur versagt ist. Weirotter verwendet solche »unklassischen Ruinenansichten« als Symbol der Vergänglichkeit. Er sucht bewusst diese Verfremdung, um den Reiz der Naturnähe und Beschaulichkeit zu steigern. Das Überwuchern bedeutet eine Inbesitznahme durch die Natur und soll den Beweis erbringen, dass in der Natur die Zukunft liegt und dieser Lebensraum neues Leben hervorbringt. Darin zeigen sich deutlich Ansätze romantischen Gedankengutes.
Weirotter versteht sich nicht als ein »Prospektzeichner«, der dem Betrachter nur das Abbild einer Landschaft in topographisch exakter Form vor Augen führen will oder Architekturen im Vedutenstil wiedergibt. Weirotters komponierte Landschaft ist gezeichnete und radierte Naturdichtung, deren Charakter geprägt ist durch eine Übereinstimmung von Naturgefühl und Wahrheit mit einer Spur Poesie. Er nimmt sich beim Radieren alle künstlerischen Freiheiten gegenüber der Realität.
Die Architekturen werden nicht wie bei Hubert Robert (1733-1808) oder wie bei den nahezu gleichzeitig als Folge unter dem Titel »Vedute di Roma« entstandenen Radierungen von Giovanni Battista Piranesi (1720-1778) wirklichkeitsgetreu wiedergegeben. Diese Romansichten sind im Zeitraum von etwa 1750 - 1760, im Gegensatz zu anderen Folgen Piranesis, in realistischer Weise unter Berücksichtigung jedes architektonischen Details ausgearbeitet worden. Piranesi zeigt in diesen Blättern auf beeindruckende Weise die Strenge der klassischen römischen Architektur. Jeder Stein, jede Büste, jede Nischenfigur einer Gebäudefassade ist richtig beobachtet und auf akribische Weise in der Radierung umgesetzt.
Weirotters Hauptanliegen ist der sinnliche Reiz des gezeigten Naturausschnittes und nicht das sachlich-archäologische Interesse an den Ruinen. Impulse zu solchen Landschaften erhielt Weirotter bereits durch seinen Lehrer Christian Hülfgott Brand (1695-1757) an der Wiener Akademie in den Jahren 1751 - 1756. Brand machte ihn mit der Kunsttheorie Christian Ludwig Hagedorns (1713-1780) bekannt, wonach nur »eine schöne und ausgebesserte Natur [...] Gegenstand der Mahlerey« sein soll. Die Landschaftskunst sei an Regeln gebunden, nach denen Einzelheiten, auch Naturstudien, zu einem gefälligen Ganzen verbunden werden sollen. Er forderte geradezu die Künstler auf, sich nicht mit der Naturimitation zu begnügen, sondern aus interessanten Naturformen eine neue Landschaft zusammenzustellen. (x) Selbst wenn bei Weirotter Titelangaben den Vedutencharakter vorspiegeln, sind diese selten präzise formuliert, um bewusst die Nachprüfbarkeit zu unterbinden. Der topographische Aspekt tritt gänzlich in den Hintergrund, reale Architektur wird nicht verherrlicht, sondern nur noch als Reminiszenz verwendet. Er dokumentiert auf diese Weise ironisch die Vergänglichkeit einstiger Macht.
Seine radierten Landschaften sind phantasievolle Schöpfungen, die Erinnerungen an wirklich Gesehenes frei umgestalten. Dieses subjektivierte Stimmungsbild erscheint trotzdem glaubhaft. Der Betrachter assoziiert, da es mit zahlreichen Versatzstücken kombiniert ist, eine reale Landschaft. Mit der Verwendung solcher realistischer Mittel schafft Weirotter, trotz aller Neugestaltung, trotz aller Umbildung der Wirklichkeit, nicht etwas Willkürliches, Beliebiges oder ein gänzliches Phantasieprodukt, sondern eine fiktive Wirklichkeit. Ziel einer so1chen bildmäßig gestalteten Landschaft ist, im Betrachter bestimmte Empfindungen zu erwecken und sein Gemüt zu bewegen. Damit hat er, im Vergleich zu vielen seiner Zeitgenossen, in seinen Landschaftsschilderungen schon romantisierende Ideen verwirklicht. Weirotter sucht das Eigentliche hinter der Natur. Er halt nicht wie die Klassizisten am Topos der »klassischen« Ideallandschaft fest, ist aber auch kein Realist, der sich um eine möglichst objektive Wiedergabe der sinnlichen Erscheinung der vertrauten landschaftlichen Umgebung bemüht. Es ist stets zu spüren, dass er während des Zeichnens wirklich von der Natur umgeben ist und die Ereignisse von atmosphärischen Veränderungen gut beobachtet und umsetzt. Er wird mit der ihm eigenen Auffassung und seinen romantisierenden Ideen zum Wegbereiter und wichtigen Bindeglied in dieser im Umbruch befindlichen Kunstepoche. Dabei kommt vor allem seinen zahlreichen Radierungen, die in ganz Europa verbreitet sind, eine wichtige Rolle zu.
Die ästhetische Bildwirkung seiner Kompositionen erzielt Weirotter, indem er effektvolle Landschaftsstimmungen arrangiert, die durch die Steigerung vegetabiler Kompositionselemente, genrehafte Realistik und schwungvollen zeichnerischen Vortrag gekennzeichnet sind. Mit dieser bis dahin nicht gekannten Landschaftsauffassung und -wiedergabe erreicht er eine sozusagen »vorromantische Stimmung«.
Dieses Ergebnis ist für die Entwicklung der Landschaftskunst von großer Bedeutung, da erst nach längerer Pause im frühen 19. Jahrhundert vergleichbare Arbeiten zu finden sind. Grund dafür sind die veränderten Themenkreise. Die Landschaftsdarstellung wird traditionell nur als Hintergrundsstaffage oder als Kulisse für großfigurige Personendarstellungen verwendet. Eigentlich erst um 1800 gewinnt die Landschaft selbst allmählich eine eigenständige Bedeutung, in den französischen und englischen Künstlerkreisen sowie nicht zuletzt bei den deutschen Künstlern im Umfeld von Caspar David Friedrich (1774-1840).
x Christian Ludwig von Hagedorn: Betrachtungen über die Mahlerey. Erster Teil. Leipzig 1762, S. 334 ff.
Nach Winterberg, „Die »vorromantische Stimmung« in der Bildanlage der eigenständigen Blätter Weirotters, S. 22-26.
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"Zweite Folge von Gegenden und Bruchstücken Alter Gebaeude", um 1766/68.
Große Steinplatte inmitten von Gesträuch und Architekturbruchstücken.
Titelblatt der Folge, mit genauer Auflistung der zwölf Einzeltitel.
Werkkatalog Nr. 132.
(Größe 184 x 26,6 cm.)
Große Steinplatte inmitten von Gesträuch und Architekturbruchstücken. Auf der Platte sind die einzelnen Titel der folgenden Blätter in römischer Bezifferung von II - XII aufgeführt. Im Vordergrund liegen, meist von Pflanzen überwuchert, verschiedene Bruchstücke einer antiken Säule, Figuren und Reliefteile. Den Hintergrund bildet dichte Vegetation.
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Jakob Matthias Schmutzer, Bildnis Franz Edmund Weirotter, 1775.
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Franz Edmund Weirotter (geb. 29. Mai 1733 in Innsbruck, gest. 11. Mai 1771 in Wien), österreichischer Maler, insbesondere Landschaftsradierer.
Franz Edmund Weirotter verlor mit sieben Jahren seine Eltern und wurde von einer Tante in Innsbruck bis zu seinem 14. Lebensjahr erzogen. In dieser Zeit lernte Weirotter das Malen und Kopieren von Gemälden, 1751 bis 1755 ist sein Aufenthalt an der Wiener Kunstakademie belegt; nebenbei fertigte er für Händler u.a. Kopien nach holländischen Gemälden. Auch auf seinen anschließenden langjährigen Reisen arbeitete er weiterhin für Kunsthändler und verschiedene Auftraggeber, unter anderem für Graf von Eltz in Mainz, für die er mit großem Erfolg Landschaftsgemälde fertigte.
Bei seinem ersten Paris-Aufenthalt 1759 bis 1763 machte Weirotter die Bekanntschaft mit Johann Georg Wille, einem von Diderot beeinflussten, aufklärerisch gesinnten deutschen Künstler, der junge Maler förderte. Die freundschaftliche Verbindung zu Wille und die Schulung in dem Künstlerkreis, der sich um diesen gebildet hatte, führte zu einer Wende in Weirotters Schaffen. Wille schreibt in einem Brief an Hagedorn: „Er ist eigentlich ein Maler, der aber, als er hierher kam, nichts von der Natur studiert hatte; ich führte ihn deswegen auf das Feld und predigte ihm viel vor, wie er die Natur betrachten müsse. Kein Mensch hat je geschwindere Begriffe gezeiget. Er ist so fertig im Zeichnen geworden, dass seine Zeichnungen weit leichter als seine Gemälde aussehen. Die ersten Stückchen, welche er radiert hat, hat er in meinem Hause radieret.“ (Brief Willes an Hagedorn vom 8. Februar 1764, zit. n. Winterberg, S. 9) Wille ließ in der freien Natur zeichnen, um das Auge für Landschafteindrücke – Perspektive, Licht und Schatten - zu schulen und empfänglich zu machen für die Schönheiten der Natur. „Bevorzugte Gegenden waren die sumpfigen Buschlandschaften der Isle-de-France mit alten strohbedeckten Bauernkarten und verfallenen Turmruinen sowie das Tal von Montmorency“ (Winterberg, S. 9). Die in Folge solcher Exkursionen oder nach niederländischen Vorbildern entstandenen Radierungen wurden im Verlag Willes ediert. Für Weirotters künstlerische wie persönliche Entwicklung war der Paris-Aufenthalt bei Wille von großer Bedeutung. Eine Berufung an die Dresdener Akademie lehnte er ab.
Ein Stipendium der königlichen französischen Akademie ermöglichte dem Künstler einen einjährigen Aufenthalt in Rom (1763-1764). Wille gab ihm Empfehlungsschreiben an Johann Joachim Winckelmann und Anton Raphael Mengs mit auf den Weg, die ihm Eingang in die tonangebenden deutschen Künstlerkreise verschafften. Die Kontakte zu den französischen Künstlerkreisen ergaben sich über die „Academie de France à Rome“. Dort lernte er Hubert Robert kennen und freundete sich mit Claude Henri Watelet an. Während seines Italien-Aufenthaltes besuchte er die Umgebung Roms sowie Städte wie Livorno, Viterbo und Florenz. Die vor Ort entstandenen Zeichnungen setzte er später in Wien in Radierungen um. Auf dokumentarische Treue verzichtet er zugunsten der Einbindung der antiken Relikte – wie der Architektur überhaupt - in die Landschaft.
Während seines zweiten Paris-Aufenthaltes (1764-1767) befreundete sich Weirotter mit Jakob Matthias Schmutzer (1733-1811), einem anderen österreichischen Wille-Schüler. Als Schmutzer als Leiter der 1766 neugegründeten Kupferstecher-Akademie nach Wien ging, sorgte er für eine Berufung Weirotters als Professors des Landschaftszeichnens an die Akademie. Weirotter sollte den Unterricht in der freien Natur übernehmen und die Schüler im Zeichnen und Radieren von Landschaften unterweisen. In den Jahren seiner Professorentätigkeit verfertigte Weirotter zahlreiche Radierungen und setzte auch die italienischen Zeichnungen in Radierungen um, die ein internationales Publikum fanden.
Nach Winterberg, „Franz Edmund Weirotter, Lebensstationen“, S. 3-16.)
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Eine in Französisch abgefasste Lebensbeschreibung Weirotters aus den noch nicht veröffentlichen "Papiers de Johann-Georg Wille graveur, nombreuses lettres d'artistes" (Paris, Archives Nationales) können Sie als PDF-Datei aufrufen. Diese Datei koennen Sie selbst skalieren.
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Thilo Winterberg: Franz Edmund Weirotter (1733-1771). Der Landschaftsradierer. Das graphische Werk. Heidelberg: Galeria Palatina. Edition Winterberg 1998. ISBN 3-932204-03-4
Diesem Werk sind die Textauszüge und die Abbildungen mit Beschreibungen und Werkkatalognummern entnommen. Wir danken Herrn Dr. Thilo Winterberg für die Erlaubnis zur Benutzung seiner Dissertation.
Auf der Homepage Winterberg | Kunst finden Sie unter dem Titel "Sehnsucht Italien" eine Ausstellung Weirotters mit verkleinerten Wiedergaben.
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7. Rechtlicher Hinweis und Kontaktanschrift
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