Jutta Assel | Georg Jäger
Carl Maria von Weber: Der Freischütz
Dokumente und Illustrationen
Stand: August 2014
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Gliederung
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1. Johann August Apel:
Der Freischütz. Eine Volkssage
- mit einer biographischen Notiz
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Quelle:Der Freischütz. Friedrich Kinds Operndichtung und ihre Quellen. Hrsg. von Felix Hasselberg. Berlin: Dom-Verlag 1921 (Der Domschatz; 2).
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1.
Höre Mutter - sagte der alte Förster Bertram in Lindenhayn - du weißt, ich tue dir gern alles zuliebe, aber den Gedanken schlag dir aus dem Kopf, und bestärke mir auch das Mädchen weiter nicht drin. Schlag's ihr rund ab, so weint sie ihr Tränchen und ergibt sich drein, mit dem langen Trödeln und Hinhalten wird nichts gut gemacht.
Aber Väterchen - wandte die Försterin vorbittend ein - kann denn unser Kätchen mit dem Amtsschreiber nicht ebenso glücklich leben, als mit dem Jäger Robert? Du kennst den Wilhelm noch gar nicht, er ist so ein braver Mensch, so herzensgut.
Aber kein Jäger - fiel der Förster ein. - Meine Försterei ist nun seit länger als zweihundert Jahren immer vom Vater zum Sohn vererbt. Hättest du mir einen Jungen gebracht, statt des Mädchens, da möcht` es sein, dem hinterließ' ich meine Stelle, und das Mädel, wenn eins dazugekommen wär', möchte freien, wen es wollte; aber so ... nein! Erst hätt' ich Mühe, Angst und Wege gehabt, dass der Herzog meinen Schwiegersohn zum Probeschuss lassen will, wenn er nur sonst ein braver Jäger ist, und nun sollt' ich das Mädel verschleudern? Nein, Mutter Anne, auf den Robert besteh' ich just nicht; wenn er dir nicht gefällt, such' dem Mädel einen andern flinken Jägerburschen aus, dem ich meine Stelle bei Lebzeiten übergeben kann, da wollen wir in Ruhe bei den Kindern unsre alten Tage verleben, aber mit dem Federschützen bleib mir vom Halse.
Mutter Anne hätte gern noch ein gut Wort für den Amtsschreiber gesprochen, aber der Förster, der die Kraft der weiblichen Überredungskunst kannte, wollte seinen Entschluss nicht einem wiederholten Angriff aussetzen; er nahm seine Flinte von der Wand und ging in den Wald.
Kaum war er um die Ecke des Hauses, da steckte Käthchen ihr blondes Lockenköpfchen freundlich zur Tür herein. Ist's gut gegangen, Mutterchen? Ja? - rief sie, und sprang nun munter in das Zimmer und an den Hals der Försterin.
Ach, Käthchen, freue dich nicht zu sehr - sagte diese - der Vater ist gut, herzensgut, aber er gibt dich keinem andern als einem Jäger, und davon geht er nicht ab, da kenne ich ihn schon.
Käthchen weinte und wollte lieber sterben als von ihrem Wilhelm lassen. Die Mutter tröstete und schmälte abwechselnd, endlich weinte sie mit der Tochter. Sie versprach eben, noch einen Hauptsturm auf das Herz des Försters zu versuchen, da klopfte es an der Türe, und Wilhe1m trat herein.
Ach Wilhe1m - rief ihm Käthchen mit verweinten Augen entgegen - wir müssen scheiden! Suche dir ein ander Mädchen, mich sollst du nicht frein und ich dich nicht; der Vater will mich dem Robert geben, weil er ein Jäger ist, und die Mutter kann uns nicht helfen. Aber, muss ich auch von dir lassen, so will ich doch keines anderen sein, und bleibe dein, und dir treu bis zum Tode.
Mutter Anne suchte den Amtsschreiber, der nicht wusste, was er aus Käthchens Reden machen sollte, zu besänftigen, und erzählte ihm, wie Vater Bertram gegen seine Person gar nichts einzuwenden hätte, aber nur seiner Försterei wegen durchaus darauf beständ' einen Jäger zum Eidam zu haben.
Ist es weiter nichts - sagte Wilhelm beruhigt und drückte das weinende Mädchen an seine Brust -so sei gutes Mutes, liebes Käthchen. Ich bin der Jägerei nicht unkundig, denn ich habe bei meinem Ohm, dem Oberförster Finsterbusch, in Lehre gestanden, und musste nur meinem Paten, dem Amtmann, zuliebe die Jagdtasche mit dem Schreibpult vertauschen. Was hilft mir die versprochene Amtmannsstelle, soll ich mein Käthchen nicht als Frau Amtmannin in das Amtshaus einführen? Willst du nicht höher hinaus als deine Mutter, und ist dir der Förster Wilhelm so lieb wie der Amtmann, so tausch' ich gleich, denn mir ist das lustige Jägerleben immer viel lieber gewesen als das steife Leben in der Stadt.
Oh, du lieber, goldner Wilhelm - rief Käthchen, und alle Wolken waren von ihrer Stirn verschwunden, und nur ein glänzender Sonnenregen der Freude zitterte in ihren Augen - willst du das, so sprich recht bald mit meinem Vater, eh' er vielleicht gar dem Robert sein Wort gibt.
Wart, Käthchen - sagte Wilhelm - ich geh' ihm gleich nach in den Wald. Er ist gewiss nach dem Hirsch, der morgen in das Amt geliefert werden soll. Gib mir Flinte und Tasche, ich such' ihn auf, stelle mich ihm mit einem Jägergruß vor und biete ihm gleich meine Dienste als Jägerbursch an.
Mutter und Tochter fielen ihm um den Hals, halfen den neuen Jäger, so gut sie konnten, aufputzen, und sahen ihm mit Hoffnung und Bangigkeit in den Wald nach.
2.
Ein wackerer Bursch, der Wilhelm! - rief der Förster freudig, als die Jäger nach Haus kamen - wer hätt' in dem Federhelden solch einen Schützen gesucht? Nun, morgen sprech' ich selbst mit dem Amtmann, das wär doch jammerschade, wenn der nicht bei der edlen Jägerei blieb! Aus dem wird ein andrer Kuno. Du weißt doch, wer der Kuno war?
Wilhelm verneinte.
Hab' ich dir das noch nicht erzählt - fuhr der Förster fort - Sieh, das war mein Urältervater, der diese Försterei zuerst besessen und erbaut hat. Erst war er armer Reitersbub' und diente bei dem Junker von Wippach, der konnt' ihn wohl leiden und nahm ihn überall mit sich in Fehden und zu Turnieren und Jagden. Einmal war dieser Junker von Wippach auch bei einer großen Jagd, die der Herzog hier hielt mit vielen Rittern und Edeln. Da jagten die Hunde einen Hirsch heran, auf dem saß ein Mensch, der kläglich die Hände rang und jämmerlich schrie, denn das war damals eine tyrannische Weise unter den Jagdherren, dass sie die armen Menschen, oft wegen geringer Jagdfrevel, auf Hirsche schmiedeten, dass sie elendiglich zerstoßen und zerrissen wurden oder vor Hunger und Durst umkommen mussten. Wie der Herzog das ansichtig wurde, ward er über die Maße zornig, stellte gleich das Jagen ein und verhieß einen großen Lohn, wenn sich jemand getraute den Hirsch zu treffen, dabei aber drohte er mit Ungnade und Bann, wenn der Schütze den Menschen verletzte, denn er wollte diesen lebendig haben, damit er wüsste, wer sich gegen sein Verbot solcher grausamen Tat erkühnt hätte. Da wollte sich nun niemand unter den Edeln finden, der den Schuss auf des Herrn Ungnade und Bann wagte. Endlich trat der Kuno vor, mein Urältervater, eben der, den du dort auf dem Bilde gemalt siehst, der sprach zum Herzog: Gnädigster Herr, wollt Ihr mir's gestatten, so wag' ich's mit Gott, fehl' ich, so mögt Ihr, wenn Ihr wollt, mein Leben darum zur Buße nehmen, denn Reichtum und Güter hab' ich nicht, aber mich jammert des armen Menschen, würd' ich doch auch mein Leben dran setzen, wär' er unter Feinde oder Räuber gefallen. Das gefiel dem Herzog: er hieß den Kuno sein Glück versuchen, wiederholte ihm auch die Verheißung, doch ohne der Drohung zu gedenken, dass er ihn nicht furchtsam machte.
Da nahm Kuno seine Büchse, spannte sie in Gottes Namen und befahl die Kugel den heiligen Engeln mit einem gläubigen frommen Gebet. So schoss er wohlgemut ohne lang zu zielen in den Wald, und in dem Augenblicke floh der Hirsch heraus, stürzte und endete, aber der Mensch war unverletzt, ohne dass ihm Hände und Gesicht etwas vom Gesträuch zerritzt waren. Der Herzog hielt Wort und gab dem Kuno zum Lohn diese Försterei für sich und seine Nachkommen erblich.
Aber von Glück und Geschick ist der Neid niemals weit, das erfuhr auch Kuno. Da waren viele, die seine Försterei auch gern für sich oder einen Vetter von der linken Seite gehabt hätten, die beschwatzten den Herzog, der Schuss wäre mit Zauberei und Teufelskünsten geschehn, weil Kuno gar nicht gezielt, sondern einen Freischuss, der allemal treffen muss, ins Blaue hinein getan hätte, da wurde denn beschlossen, dass von Kunos Nachkommen jeder einen Probeschuss tun muss, eh' er die Försterei bekommt; den kann nun freilich der Landjägermeister, der die Probe abnimmt, schwer und leicht aufgeben. Ich musste damals einem hölzernen Vogel, der an der Stange geschaukelt wurde, den Ring aus dem Schnabel schießen. Nun, bis jetzt hat noch keiner im Meisterschuss gefehlt, und wer einmal als mein Eidam mein Nachfolger wird, muss erst ein braver Jäger sein.
Wilhelm hatte zu des Försters Freude mit sichtbarer Teilnahme der Erzählung zugehört. Jetzt fasste er lebhaft des Alten Hand und versprach unter seiner Anleitung ein Jäger zu werden, dessen sich Urvater Kuno nicht schämen sollte.
3.
Noch nicht volle vierzehn Tage war Wilhelm als Jägerbursche in dem Försterhause, als Vater Bertram, der ihn mit jedem Tag lieber gewann, die Einwilligung zu seiner Verbindung mit Käthchen förmlich erteilte. Nur sollte die Verlobung geheim gehalten werden bis zum Tage des Probeschusses, wo der Förster durch die Gegenwart des fürstlichen Landjägermeisters seinem Familienfest noch mehr Feierlichkeit zu geben hoffte. Der Bräutigam schwebte in Entzücken und vergaß sich und die ganze Welt in dem offenen Himmel seiner Liebe, so dass ihn Vater Bertram mehrmals neckte, wie er kein Ziel mehr treffe, seit er Käthchen sich erzielt habe.
Wirklich aber hatte Wilhelm von seinem stillen Verlobungstag an ein ganz eignes Missgeschick auf der Jagd. Bald versagte ihm das Gewehr, bald traf er statt des Wildes einen Baumstamm. Kam er nach Haus und leerte seine Jagdtasche, so fanden sich statt der Rebhühner Dohlen und Krähen, und statt des Hasens eine tote Katze. Der Förster machte ihm endlich ernsthafte Vorwürfe wegen seiner Unachtsamkeit, und Käthchen selbst fing an, für den Probeschuss bange zu werden.
Wilhelm verdoppelte seine Aufmerksamkeit und seinen Fleiß; allein, je näher der Tag rückte, an welchem er sein Probestück ablegen sollte, desto mehr verfolgte ihn das Unglück. Fast jeder Schuss missriet; endlich fürchtete er sich beinahe, ein Gewehr loszudrücken, um nicht Schaden anzustiften, denn er hatte schon eine Kuh auf der Weide angeschossen und den Hirten beinahe verwundet.
Ich bleibe dabei - sagte Rudolf, der Jägerbursch, eines Abends - es hat jemand dem Wilhelm einen Weidemann gesetzt, denn mit natürlichen Dingen geht das nicht zu, und den muss er erst lösen.
Rede nicht so albern - versetzte der Förster verweisend - das ist abergläubisches Zeug, davon muss ein frommer Jäger gar nicht sprechen. Weißt du nicht mehr, lieber Weidmann mein, welches die drei Stücke sein, die ein geschickter Weidmann haben soll und haben kann? Ho, ho, ho! sag' an!
Rudolf räusperte sich zum Weidspruch und sprach schnell: Jo, ho, ho, mein lieber Weidmann, das will ich dir wohl sagen an: Gute Wissenschaft, Gewehr und Hund, der Weidmann braucht zu seinem Grund, wenn er was Tüchtiges will verrichten, und sich nicht lassen gar vernichten, drum wird das gar wohl treffen ein ...
Schon genug - fiel ihm der alte Bertram ins Wort - mit den drei Dingen ist jeder Weidemann zu lösen, denn der heißt allemal entweder Faselhans oder Peter Ungeschick.
Mit Gunst, Vater Bertram - entgegnete Wilhelm etwas verdrießlich - hier ist mein Gewehr, den will ich sehn, der mir etwas daran aussetzen soll, und meine Wissenschaft - ich will mich nicht rühmen, aber jagdgerecht denk' ich zu sein, so gut wie ein anderer, gleichwohl ist's, als gingen meine Kugeln krumm, und als blies sie der Wind mir vor dem Lauf weg. Sagt mir nur, was ich machen soll, ich will
ja gern alles tun!
Es ist wunderlich - murmelte der Förster, der nicht wusste, was er sagen sollte.
Glaub' mir nur, Wilhelm - wiederholte Rudolf - es ist nichts anders, als was ich gesagt habe. Geh' einmal freitags um Mitternacht auf einen Kreuzweg und mache mit dem Ladestock oder mit einem blutigen Degen einen Kreis um dich, den segnest du dreimal, wie es der Priester macht, aber im Namen Sammiel ...
Schweig! - unterbrach ihn der Förster unwillig -Weißt du, was das für ein Name ist? Das ist einer von des Teufels Heerschaaren. Gott bewahre dich und jeden Christen davor!
Wilhelm kreuzte sich ebenfalls und wollte nichts weiter davon hören, wiewohl Rudolf auf seiner Meinung blieb. Er putzte die ganze Nacht an seinem Gewehr, untersuchte jede Schraube und jede Feder, und mit anbrechendem Morgen ging er aus, sein Glück von neuem zu versuchen.
4.
Aber alle Mühe war verloren, das Wild drängte sich um ihn und schien fast ihn zu necken. Zehn Schritte weit schoss er auf einen Rehbock, zweimal versagte ihm das Gewehr, das dritte Mal geriet zwar der Schuss, aber das Wild floh unverletzt durch die Büsche. Unmutig warf sich der unglückliche Jäger unter einen Baum und verwünschte sein Schicksal, da rauschte es im Gebüsch, und ein alter Soldat mit einem Stelzfuß hinkte heraus.
Holla, lieber Weidmann - redete er Wilhelm an -»warum so verdrießlich? Hast du Liebespein, fehlt's im Beutel oder hat dir jemand das Gewehr besprochen? Gib mir eine Pfeife Tabak, wir wollen eins zusammen plaudern.
Wilhelm reichte ihm verdrießlich das Gebetene, und der Stelzfuß warf sich zu ihm ins Gras. Nach einigem Hin- und Herreden kam das Gespräch auf die Jägerei, und Wilhelm erzählte sein Unglück. Der Invalid ließ sich sein Gewehr zeigen. Das ist verzaubert, sagte er, als er es kaum in die Hand genommen hatte, damit wirst du keinen rechtschaffenen Schuss mehr tun, und ist dir der Weidemann recht nach der Kunst gestellt, so geht dir's mit jedem Gewehr so, das du in die Hand nimmst.
Wilhelm erschrak etwas, und wollte Einwendungen gegen den Hexenglauben des Fremden machen, allein dieser erbot sich zu einer Probe. Uns Kriegsleute - sagte er - ist das nichts Seltenes, und ich wollte dir bis auf den Abend und tief in die Nacht hinein Wunderdinge erzählen. Wie wollten die Scharfschützen zurechtkommen, die sich überall hin wagen, und ihren Mann aus dem Pulverdampf heraus schießen, wo ihn kein Mensch sehen kann, wenn sie nicht andre Künste könnten als zielen und losdrücken. Da, zum Exempel, hast du eine Kugel, mit der du sicher treffen sollst, weil sie besondere Tugend hat und allem Hexenwerk widersteht. Versuch' einmal gleich, es wird dir nicht fehlen.
Wilhelm lud sein Gewehr und sah sich nach einem Ziel um. Ein großer Raubvogel schwebte hoch über dem Wald wie ein beweglicher Punkt. Schieß den Stößer da oben, sagte der Stelzfuß. Wilhelm lachte, denn der Vogel schwebte in einer kaum dem Aug' erreichbaren Höhe. Ei, so schieß' - wiederholte jener, ich verwette meinen Stelzfuß, er fällt. Wilhelm schoss, der schwarze Punkt senkte sich, und ein
großer Geier fiel blutend zu Boden.
Das sollte dich nicht wundern - sagte der Invalid zu dem vor Verwunderung sprachlosen Jäger - wenn du ein rechter Weidmann wärst. Solche Kugeln zu gießen ist noch lange kein Hauptstück in der Kunst und will bloß etwas Geschick und Herzhaftigkeit, weil es in der Nacht geschehen muss. Ich will dirs umsonst lernen, wenn wir wieder zusammen kommen, heute muss ich weiter, denn es schlug eben sieben. Versuch' indessen noch ein paar von meinen Kugeln, du siehst mir immer noch aus, wie halb ungläubig. Auf Wiedersehn!
Der Stelzfuß gab bei diesen Worten Wilhelmen eine Hand voll Kugeln und hinkte weiter. Voll Verwunderung versuchte Wilhelm eine zweite von seinen Kugeln, und traf wieder ein fast unerreichbares Ziel; er nahm die gewöhnliche Ladung und fehlte das leichteste. Jetzt wollte er dem Invaliden nach, aber dieser war im Wald nicht mehr zu finden, und Wilhelm musste sich mit dem versprochenen Wiedersehen trösten.
5.
Im Försterhause war große Freude, als Wilhe1m wieder, wie sonst, mit einem Vorrat Wildbret ankam, und den Vater Bertram durch die Tat überzeugte, dass er noch der vorige brave Schütze sei. Er sollte nun die Ursache erzählen, warum ihn das Unglück bisher so wunderbar verfolgt habe, und was er getan, um sie zu heben; allein, er scheute sich, ohne sich eines bestimmten Grundes bewusst zu werden, von den unfehlbaren Kugeln zu sprechen, und schob die Schuld auf einen Fehler am Gewehr, den er erst in voriger Nacht beim Putzen desselben entdeckt haben wollte.
Siehst du, Mutter Anne - sagte nun der Förster lachend - wie ich's gesagt habe: der Weidemann hat im Lauf gesteckt, und dein Kobold, der den Vater Kuno heut früh heruntergeworfen hat, steckt in dem verrosteten Nagel.
Was ist das mit dem Kobold? - fragte Wilhelm.
Nichts - erwiderte der Alte - das Bild fällt heut Morgen, wie eben die Uhr sieben schlug, von selbst herunter, und da meint denn Mutter Anne gleich, es spukt.
Um sieben! - wiederholte Wilhelm, und der Stelzfuß fiel ihm ein, der um eben diese Stunde von ihm geschieden war.
Freilich ist das keine rechte Zeit zum Spuken - fuhr der Förster fort, und klopfte Mutter Annen freundlich die Backen. Aber diese schüttelte noch bedenklich den Kopf: Gott gebe, dass alles natürlich zugegangen ist, sagte sie bedenklich, und Wilhelm entfärbte sich etwas. Er beschloss, seine Kugeln beiseite zu legen, und nur zu seinem Probeschuss eine zu gebrauchen, um sein Glück nicht durch die Bosheit eines Feindes zu verscherzen. Allein, der Förster nötigte ihn mit sich auf die Jagd, und wollte er nicht von neuem Misstrauen gegen seine Geschicklichkeit erregen und den Alten erzürnen, so musste er schon einige von seinen Zauberkugeln dran wagen.
6.
In wenig Tagen hatte sich Wilhelm an seine Glückskugeln so gewöhnt, dass er in ihrem Gebrauch nichts Bedenkliches mehr ahnte. Er ging täglich durch den Wald in der Hoffnung, dem Stelzfuß wieder zu begegnen, denn sein Kugelvorrat hatte sich bis auf zwei vermindert, und wollte er seinen Probeschuss mit Sicherheit bestehen, so war die äußerste Sparsamkeit nötig. Er schlug sogar dem alten Förster heute seine Begleitung auf die Jagd aus; denn morgen wurde der Landjägermeister erwartet, und es konnte möglich sein, dass dieser noch außer dem eigentlichen Probeschuss einen Beweis seiner Geschicklichkeit zu sehen verlangte. Allein am Abend kam statt des Jägermeisters ein Bote, der eine starke Wildbretlieferung für den Hof bestellte und die Ankunft seines Herrn auf acht Tage später ansagte.
Wilhelm glaubte zu Boden sinken zu müssen, und sein Erschrecken hätte Verdacht erregt, wären nicht alle geneigt gewesen, es der getäuschten Hoffnung des Bräutigams zuzuschreiben. Er musste nun auf die Jagd und wenigstens eine seiner Kugeln aufopfern. Von der andern, schwur er, solle ihn nichts trennen als der entscheidende Schuss am Verlobungstage.
Der Vater schmälte, als Wilhelm mit einem einzigen Hirsch von der Jagd zurückkam, denn die verlangte Lieferung war beträchtlich. Er zürnte am andern Mittag noch mehr, als Rudolf mit reicher Beute und Wilhe1m ganz leer nach Haus kam. Am Abend drohte er, ihn fortzuschicken und die Einwilligung zu seiner Verbindung mit Käthchen zurückzunehmen, wenn er nicht den folgenden Morgen wenigstens noch zwei Rehböcke bringen würde. Käthchen war in der größten Angst und bat ihn bei aller ihrer Liebe, doch ja allen Fleiß anzuwenden und lieber auf der Jagd gar nicht an sie zu denken.
So ging Wilhelm verzweiflungsvoll in den Wald. Käthchen sah er in jedem Fall für sich verloren, es blieb ihm nichts übrig als die traurige Wahl, auf welche Art er sein Glück zerstören wollte.
Indem er, unfähig zu wählen, sich in Betrachtung seines Schicksals verlor, zeigte sich ihm ganz in der Nähe ein Rudel Rehe. Maschinenmäßig griff er nach seiner letzten Kugel; sie lastete ihm zentnerschwer in der Hand. Schon wollte er sie zurückfallen lassen, entschlossen, den Schatz zu bewahren, es koste, was es wolle. Da sah er in der Ferne den Stelzfuß auf sich zu kommen; freudig ließ er die Kugel in den Lauf rollen, drückte los, und zwei Rehböcke sanken zu Boden. Wilhelm ließ sie stürzen und eilte nach dem Invaliden, aber dieser musste einen andern Weg eingeschlagen sein; er war nicht zu finden.
7.
Vater Bertram war mit Wilhelm zufrieden, aber dieser ging den ganzen Tag in stiller Verzweiflung umher, und selbst Käthchens Liebkosungen vermochten nicht, ihn aufzuheitern.
Auch am Abend saß er noch ganz stumm und bemerkte kaum, dass der Förster mit Rudolfen in ein ziemlich lebhaftes Gespräch geraten war, bis ihn endlich jener aus seiner Betäubung weckte.
Das darfst du nun so wenig dulden als ich, Wilhelm - rief er dem Träumenden zu - dass jemand unsrem Altvater Kuno solche Dinge nachsagt wie Rudolf eben. Haben die Engel damals ihm und dem armen unschuldigen Menschen beigestanden, wie wir von ihrem englischen Schutz im Alten Testamente mehr Exempel lesen, so wollen wir Gottes wunderbare Güte preisen, aber Teufelskünste lass' ich meinem Urvater nicht nachsagen. Er starb sanft und selig auf seinem Bette unter Kindern und Enkeln, aber wer Teufelskünste treibt, mit dem nimmt's niemals ein gutes Ende, wie ich selbst angesehen habe, als ich noch bei Prag im Böhmischen lernte.
Oh, erzählt doch, wie das war, rief Rudolf, und die andern stimmten bei.
Schlimm genug war es - fuhr der Förster fort - es graut mir noch, wenn ich daran denke. Da war damals in Prag ein junger Mensch, Georg Schmid hieß er, ein verwogener, wilder Bursch, sonst aber brav und flink, der war ein starker Liebhaber von der Jagd, und so oft er konnte, kam er zu uns. Er wär' auch ein tüchtiger Jäger geworden, aber er war zu flüchtig und schoss daher oft neben weg. Einmal, wie wir ihn damit aufzogen, vermaß er sich hoch, er wolle bald besser schießen als alle Jäger und es solle ihm kein Wild entgehen, weder in der Luft noch im Gebüsch. Aber er hielt schlecht Wort. Ein paar Tage drauf pocht uns früh ein unbekannter Jäger heraus, und sagt an, draußen auf der Straße liege ein Mensch halb tot und ohne Hilfe. Wir Burschen machen uns gleich auf und hinaus, da liegt der Georg überall blutig und zerkratzt, als wär' er unter wilden Katzen gewesen, sprechen konnte er nicht, denn er war ganz besinnungslos und gab kaum ein Lebenszeichen von sich. Wir trugen ihn gleich ins Haus, und einer meldet' es in Prag, wo er auch bald abgeholt wurde. Da hat er denn vor seinem Ende ausgesagt, dass er mit einem alten Bergjäger habe Freikugeln gießen wollen, die allezeit treffen, und weil er etwas dabei versehen, habe ihn der Teufel so zugerichtet, dass er's mit seinem Leben bezahlen müsse.
Was hatte er denn versehen - fragte Wilhe1m bebend - ist denn der Teufel bei solchen Künsten allemal im Spiel?
Wer sonst? - erwiderte der Förster - Ich weiß wohl, manche schwatzen von verborgenen Naturkräften und vom Einfluss der Sterne; nun, ich will niemand seinen Glauben nehmen, aber ich bleibe dabei, es ist Teufelsspiel.
Wilhe1m schöpfte etwas freier Atem. Hat denn der Georg nicht erzählt, was ihn so übel zugerichtet? fragte er den Förster.
Freilich - antwortete dieser - vor Gericht hat er's ausgesagt. Er war gegen Mitternacht mit dem Bergjäger auf einen Kreuzweg gegangen; da hatten sie mit einem blutigen Degen einen Kreis gemacht und den mit Totenschädeln und Knochen kreuzweis belegt. Draufhatte der Bergjäger Schmidten unterrichtet, was er zu tun habe. Er solle nämlich mit dem Schlag elf Uhr anfangen, die Kugeln zu gießen, nicht mehr und nicht weniger als dreiundsechzig, eine über oder unter diese Zahl, wenn die Glocke Mitternacht schlüge, so wär' er verloren, auch dürfe er während der Arbeit weder ein Wort sprechen, noch aus dem Kreise treten, es geschehe um ihm, was nur immer wolle. Dafür müssten aber auch sechzig von seinen Kugeln unfehlbar treffen, und nicht mehr als drei würden fehlen. Schmid hatte nun wirklich das Gießen angefangen, aber, wie er sagte, so grausame und erschreckliche Erscheinungen gesehen, dass er endlich laut aufgeschrien und aus dem Kreise gesprungen, worauf er denn bewusstlos zu Boden gefallen, und sich nicht eher besonnen, bis er in Prag unter den Händen der Ärzte und dem Zuspruch der Geistlichen, wie aus einem Traum erwacht sei.
Gott bewahre jeden Christen vor solchen Schlingen des Satans - sagte die Försterin und bekreuzte sich.
Der Georg hatte also wohl ordentlich ein Pakt mit dem Satan gemacht? - fragte Rudolf weiter.
Das will ich nicht grade behaupten - versetzte der Förster - denn es heißt: richtet nicht. Aber das bleibt doch immer ein schwerer Frevel, wenn der Mensch sich in Dinge einlässt, wo der Böse leicht an ihn kommen und ihm an Leib und Seele verderblich werden kann. Der Feind kommt wohl von selbst, ohne dass der Mensch ihn ruft, oder ein Pakt mit ihm schließt. Ein frommer Jäger braucht das auch nicht, du hast es nur erst erprobt, Wilhelm, gut Gewehr und gute Wissenschaft, da braucht der Jäger keine Freikugel und trifft doch, wohin er soll. Ich möcht' auch um keinen Preis eine solche Kugel abschießen, denn der Feind ist ein arger Schalk und könnte mir einmal die Kugel nach seinem Ziel führen, statt nach dem meinen.
8.
Der Förster ging schlafen und ließ Wilhelmen in der peinlichsten Unruhe. Er warf sich vergebens auf sein Lager, der Schlaf floh seine Augen. Der Stelzfuß, Georg, Käthchen, der fürstliche Kommissar, der den Probeschuss verlangte, schwebten abwechselnd seinen Augen vor, und eine fieberhafte Phantasie verwirrte ihre Gestalten zu furchtbaren Gruppen. Bald drohte ihm der unglückliche Geisterbeschwörer warnend als ein blutiges Schreckbild, bald verwandelte sich seine drohende Miene in Käthchens hinsterbendes, totenbleiches Gesicht, und der Stelzfuß stand mit höllischem Hohngelächter daneben. Bald stand er selbst, zum Probeschuss fertig, vor dem fürstlichen Kommissar, er zielte, schoss und - fehlte. Käthchen sank in Ohnmacht, der Vater verstieß ihn, da kam der Stelzfuß und brachte ihm neue Kugeln - zu spät, kein zweiter Schuss war ihm verstattet.
So verstrich ihm die Nacht. Mit dem frühesten Morgen ging er in den Wald, und nicht ganz absichtslos nach der Stelle, wo der Invalid ihm begegnet war. Die frische, klare Morgenluft hatte die düstern Bilder der Nacht in ihm verweht. Tor, sprach er zu sich selbst, weil du das Geheimnisvolle nicht begreifst, muss es darum ein feindliches Geheimnis sein? Und ist es so unnatürlich, was ich suche, dass Geisterhilfe dazu nötig wäre? Der Mensch bändigt den mächtigen Trieb des Tieres, dass es nach des Herrn Willen sich bewegt, warum sollt' er nicht durch natürliche Kunst den Lauf des toten Metalls lenken können, das erst durch ihn Bewegung und Kraft erhält? Die Natur ist so reich an Wirkungen, die wir nicht begreifen, sollt' ich mein Glück um eines Vorurteils willen verscherzen? Geister werd' ich nicht rufen, aber die Natur und ihre verborgenen Kräfte will ich auffordern und gebrauchen, auch wenn ich ihre Geheimnisse zu entziffern nicht vermögend bin. Ja, ich suche den alten Stelzfuß auf, und find' ich ihn nicht - nun ich werde beherzter sein, als jener Georg, ihn stachelte Übermut, mich ruft Lieb' und Ehre.
Allein, der Stelzfuß war nicht zu finden, so angelegentlich auch Wilhelm suchte. Niemand von allen, die er fragte, wollte einen Menschen, wie er ihn beschrieb, gesehen haben.
Der folgende Tag verging unter ebenso fruchtlosen Nachforschungen.
So sei es denn! - beschloss Wilhelm -die Tage sind mir zugezählt. In dieser Nacht noch geh' ich auf den Kreuzweg im Walde. Dort ist es einsam, niemand sieht meine nächtliche Arbeit und den Kreis verlasse ich nicht, bis mein Werk vollendet ist.
9.
Der Abend dämmerte, und Wilhe1m hatte sich mit Blei, Kugelform, Kohlen und allem Nötigen versehen, um nach dem Abendessen unvermerkt das Haus verlassen zu können. Er wollte sich eben entfernen und wünschte dem alten Förster eine ruhige Nacht, als dieser seine Hand fasste.
Wilhelm - sprach er - ich weiß nicht, wie mir so sonderbar zumut ist, ich fühle mich beklommen, dass ich mich vor dieser Nacht fürchte, wer weiß, was mir bevorsteht. Willst du mir einen Gefallen tun, so bleib diese Nacht bei mir, du musst dir darum nicht bange sein lassen, es ist nur für mögliche Fälle.
Käthchen erbot sich sogleich, bei ihrem Vater zu wachen, und wollte seine Pflege niemand anders, selbst ihrem Wilhelm nicht anvertrauen, aber Vater Bertram wies sie zurück. Ein andermal kannst du bleiben - sagt' er - heut' ist mir's, als wär' ich ruhiger, wenn ich den Wilhelm bei mir habe.
Wilhelm hätte gern Einwendungen gemacht, aber Käthchen empfahl ihm die Pflege ihres Vaters so dringend und mit so unwiderstehlichen Bitten, dass er gern blieb und seinen Vorsatz bis zur folgenden Nacht aufschob.
Nach Mitternacht ward Vater Bertram ruhig und schlief fest, so dass er am Morgen selbst über seine Angst lächelte. Er wollte mit Wilhelm in den Wald, allein, dieser hoffte auf den unsichtbar gewordenen Unbekannten, und hielt den Förster mit scheinbarer Besorgnis um seine Gesundheit ab. Der Invalid zeigte sich nicht und Wilhelm beschloss zum zweiten Mal den Gang auf den Kreuzweg.
Als er am Abend von der Jagd zurückkam, sprang ihm Käthchen freudig entgegen. Rat' einmal, Wilhelm - rief sie - »wen du bei uns findest. Du hast Besuch bekommen, recht lieben Besuch; aber ich sag' es dir nicht, du musst raten.
Wilhe1m war nicht aufgelegt zum Raten und noch weniger, Besuch zu sehn, denn der liebste war ihm heute ein unwillkommener Störer. Er wies Käthchens Freude mit Unmut zurück, und sann auf einen Vorwand, umzukehren, da öffnete sich die Tür des Hauses und der Mond beleuchtete einen ehrwürdigen Greis in Jägerkleidung, der heraustretend die Arme gegen Wilhelm ausbreitete.
Wilhelm! rief ihm eine bekannte freundliche Stimme zu, und Wilhelm fühlte sich von den Armen seines Oheims umfangen.
Die ganze Zaubergewalt schöner Erinnerungen von kindlicher Liebe, Freude und Dankbarkeit drang mächtig auf Wilhelm ein, und vergessen war das nächtliche Vorhaben, als mitten im frohen Gespräch die Mitternachtsstunde schlug und Wilhelmen schauerlich an das Versäumte erinnerte.
Noch eine Nacht nur ist mir übrige - dacht' er - morgen oder nie! - Die heftige Bewegung in seinem Innern entging selbst dem Greise nicht, aber gutmütig suchte er den Grund in Wilhelms Ermüdung, und entschuldigte sich des langen Gesprächs wegen mit seiner Abreise, die er nicht länger als bis morgen früh verschieben könne. Lass dich das Stündchen heut' nicht reuen - sagte er beim Auseinandergehn zu Wilhelm - du schläfst vielleicht nun um so sanfter.
Für Wilhelm hatten diese Worte einen tieferen Sinn. Er ahndete dunkel, dass die Ausführung seines Vorhabens die Ruhe des Schlafs von ihm scheuchen könnte.
10.
Der dritte Abend kam. Was getan werden sollte, musste heut' geschehen, denn auf morgen war die Probe angesetzt. Den ganzen Tag hatte Mutter Anne mit Käthchen im Hause herumgeschäftert, um den vornehmen Gast anständig zu empfangen. Am Abend war alles auf das Beste geschmückt. Mutter Anne umarmte Wilhelmen, als er von der Jagd zurückkehrte, und begrüßte ihn zum ersten Male mit dem liebevollen Sohnesnamen. In Käthchens Augen glühte die zarte Sehnsucht einer jungen liebeglühenden Braut. Der Tisch war festlich mit deutungsvollen Blumen geschmückt, und reicher als sonst mit Wilhelms Lieblingsspeisen von der Mutter, und mit lange gesparten Flaschen von dem Vater besetzt. Heute ist unser Fest, sagte der alte Förster, indem er in seinem Bräutigamsschlafrock hereintrat, morgen sind wir nicht allein und können nicht so traulich und herzlich beieinander sitzen, drum lasst uns froh sein, als wollten wir heute für das ganze Leben uns freuen.
Er umarmte alle und war bewegt, dass ihm die Stimme versagte. Nun, Väterchen - sagte die Försterin mit bedeutendem Lächeln - ich denke doch, die jungen Leute werden morgen noch froher sein wie heute, verstehst du mich?
Ich versteh' dich wohl, Mutter - erwiderte der Förster - mögen's denn die Kinder auch verstehen und sich voraus freuen. Kinder, der Pfarrer ist auf morgen mit eingeladen, und wenn der Wilhelm gut geschossen hat ...
Ein Geprassel und ein lauter Schrei von Käthchen unterbrach hier den Förster. Kunos Bild fiel wieder von der Wand und die Ecke des Rahmens verwundete Käthchen an der Stirn. Der Nagel schien zu locker in der Wand gestanden zu haben, denn er fiel mit der Kalkbekleidung nach.
Ich weiß auch nicht - sagte der Förster verdrießlich - warum das Bild nicht ordentlich aufgehängt wird, das ist nun das zweitemal, dass es uns erschreckt. Hast du Schmerz, Käthchen?
Es ist unbedeutend - versetzte sie freundlich und wischte das Blut aus den Locken - ich bin nur sehr erschrocken.
Wilhelm war fürchterlich bewegt, als er Käthchens totenbleiches Gesicht und das Blut an ihrer Stirn sah. So hatte sie seine Phantasie in jener entsetzlichen Nacht ihm gezeigt, und alle diese Bilder wurden jetzt aufgeregt und folterten ihn von neuem. Sein Vorsatz, diese Nacht das zweideutige Werk zu beginnen, war heftig erschüttert, aber der Wein, den er, um seine innre Qual zu verbergen, schneller und häufiger als gewöhnlich trank, erfüllte ihn mit einem wilden Mut, er beschloss von neuem, kühn das Wagstück zu unternehmen, und sah in seinem Vorhaben nichts als den schönen Kampf der Liebe und des Mutes mit der Gefahr.
Die Glocke schlug jetzt neun. Wilhelmen pochte das Herz gewaltig. Er suchte einen Vorwand, sich zu entfernen; vergebens, wie konnte der Bräutigam am Hochzeitvorabend die Braut verlassen? Die Zeit flog ihm pfeilschnell vorüber, er litt namenlose Qualen in den Armen der belohnenden Liebe. Zehn Uhr war nun vorüber, der entscheidende Augenblick war gekommen. Ohne Abschied schlich Wilhelm sich von der Seite der Braut; schon war er mit seinen Werkzeugen vor dem Hause, da kam die Mutter ihm nach. Wohin, Wilhelm? fragte sie ängstlich. Ich habe ein Wild angeschossen, und es im Taumel vergessen, war die Antwort. Vergebens bat sie, vergebens schmeichelte ihm Käthchen, die in seiner verstörten Eile etwas ahndete, was ihr unerklärlich schien. Wilhelm drängte beide zurück und eilte in den Wald.
11.
Der Mond war im Abnehmen und stieg dunkelrot am Horizont herauf. Graue Wolken flogen vorüber und verdunkelten zuweilen die Gegend, die bald darauf sich wieder plötzlich vom Mondstrahl aufhellte. Die Birken und Espen standen wie Gespenster im Wald und die Silberpappel schien Wilhelmen wie eine weiße Schattengestalt zurück zu winken. Er schauderte, und die wunderähnliche Störung seines Vorhabens in den letztvergangenen Nächten, das bedeutende, wiederholte Fallen des Bildes schien ihm die letzte Abmahnung seines weichenden Schutzgeistes von einer bösen Tat zu sein.
Noch einmal schwankt' er im Vorsatz. Schon wollt' er umkehren, da war es, als flüsterte ihm eine Stimme zu: Tor! hast du nicht schon den Zauber gebraucht, scheust du nur die Mühe des Erwerbs? - Er stand, der Mond trat glänzend aus der dunklen Wolke und beleuchtete das friedliche Dach der Försterwohnung. Wilhelm sah Käthchens Fenster im Silberglanz flimmern, er breitete seine Arme aus und schritt bewusstlos nach der Heimat zurück; da flüsterte die Stimme von neuem, ein heftiger Windstoß brachte den Schlag des zweiten' Stundenviertels. Fort, zur Tat! rief es um ihn. Zur Tat, wiederholte er laut, feig ist es und kindisch, auf halbem Wege umzukehren, töricht das Große aufzugeben, wenn man um Kleineres schon vielleicht - sein Heil gewagt hat. Ich will vollenden.
Er schritt mit großen Schritten vorwärts, der Wind jagte die zerrissenen Wolken wieder vor den Mond, und Wilhelm trat in die dichte Finsternis des Waldes.
Jetzt stand er auf dem Kreuzweg. Der Zauberkreis war gezogen, die Schädel und Totenbeine rings umher gelegt. Der Mond hüllte sich immer dichter in das Gewölk und ließ die düstern Kohlen, von abwechselnden Windstößen aufgeblasen, allein die nächtliche Tat mit einem trüben rötlichen Schein beleuchten. In der Ferne schlug eine Turmuhr das dritte Stundenviertel an; Wilhelm legte die Gießkelle auf die Kohlen und warf das Blei hinein, nebst drei Kugeln, die schon früher einmal getroffen hatten, denn von diesem Gebrauch der Freischützen erinnerte er sich, in seiner Lehrzeit gehört zu haben. Im Wald fing es nun an sich zu regen. Zuweilen flatterten Eulen, Fledermäuse und andres lichtscheues Nachtgeflügel, vom Schein geblendet, auf. Sie fielen von ihren Zweigen und setzten sich um den Zauberkreis, wo sie dumpf krächzend mit den Totenschädeln unverständliche Gespräche zu halten schienen. Ihre Zahl vermehrte sich, und unter ihnen huschten neblichte Gestalten, wie Wolken hin, bald tierähnlich, bald menschlicher gebildet. Der Windstoß spielte mit ihren trüben Dunstkörpern, wie mit abendlichem Taugewölk, nur eine stand schattenähnlich, aber unverändert unfern dem Kreis und blickte starr und wehmütig auf Wilhelm. Zuweilen hob sie die blassen Hände klagend empor, und schien zu seufzen. Die Kohlen brannten düstrer, wenn sie die Hände erhob, aber eine graue Eule schwang die Flügel und fachte die verlöschenden an. Wilhelm wandte sich ab, denn das Angesicht seiner toten Mutter schien aus der düstern Gestalt mit klagender Wehmut ihn anzublicken.
Da schlug die Glocke eilf. Die weiße Gestalt verschwand seufzend. Die Eulen und Nachtraben flatterten krächzend auf, die Schädel und Totenbeine rasselten unter ihren Flügeln. Wilhelm kniete an seinem Kohlenherd, er goss, und mit dem letzten Glockenschlag fiel die erste Kugel aus der Form.
12.
Die Eulen und Totenbeine ruhten. Aber auf dem Wege kam ein altes, gebücktes Mütterchen auf den Zauberkreis los. Sie war ringsum mit hölzernen Löffeln, Rührkellen und anderem Küchengerät behangen und machte ein fürchterliches Geklapper, die Eulen krächzten ihr entgegen und streichelten sie mit ihren Flügeln. Am Kreise bückte sie sich nach den Knochen und Schädeln, aber die Kohlen sprühten nach ihr und sie zog die dürren Hände zurück. Da ging sie um den Kreis und hielt Wilhelmen grinsend ihre Ware entgegen. Gib mir die Knöchelchen - gurgelte sie ihm zu -
ich geb' dir ein Löffelchen, gib mir die Schädel, was soll dir der Bettel? Kann dir nichts frommen, wirst nicht entkommen, musst mit zum Hochzeitreihn, lieb Bräut'gam mein.
Wilhelm schauderte, doch blieb er still und eilte mit seiner Arbeit. Das alte Weib war ihm nicht unbekannt. Eine wahnsinnige Bettlerin war sonst öfters in diesem Aufzuge in der Nachbarschaft umhergegangen, bis sie endlich im Irrenhaus eine Versorgung gefunden hatte. Er wusste nicht, war es Wirklichkeit oder ein Trugbild, was sich ihm darstellte. Nach einer Weile warf die Alte zornig ihren Vorrat ab, und mit den Worten: Nimm das zur Polternacht, das Brautbett ist gemacht, morgen, wenn Abend graut, bist du mir angetraut, komm bald, feins Liebchen! trippelte sie langsam in den Wald.
Plötzlich rasselte es, wie Räder und Peitschengeknall. Ein Wagen kam mit einem Sechsgespann und Vorreitern. Was soll das hier auf der Straße? rief der vorderste; Platz da! Wilhelm blickte auf, dem Hufschlag der Pferde entsprangen Funken, und um die Wagenräder leuchtete es wie phosphorischer Schein. Wilhelm ahnete ein Zauberwerk und blieb ruhig. Hinan, hinan, hinüber, darüber, im tollen Lauf hinan, hinauf! rief der Vorreiter zurück, und im Augenblick stürmte die ganze Schar auf den Kreis los. Wilhelm stürzte zu Boden, als die Pferde hoch über seinem Kopf bäumten, aber die lustige Reiterei sauste mit dem Wagen in die Luft, drehte sich einigemal über den Zauberkreis und verschwand in einem Sturm, der die Wipfel zerriss und die Zweige weit umher streute.
Es verging einige Zeit, ehe sich Wilhelm vom Schreck erholte. Er zwang seine zitternden Hände fest zu halten und goss ungestört einige Kugeln. Da schlug die ferne, ihm wohlbekannte Turmglocke. Tröstend, wie eine freundliche Stimme schallte ihm der Klang aus der Menschenwelt in den furchtbaren abgesonderten Kreis herüber, aber die Glocke schlug zweimal, dreimal. Er schauderte über den blitzschnellen Verlauf der Zeit, denn noch war nicht der dritte Teil seiner Arbeit vollendet - sie schlug zum vierten Mal. Wilhelms Kraft war vernichtet, jedes Glied schien gelähmt, und die Gießform entsank seiner bebenden Hand. Er horchte mit verzweifelnder Resignation auf den Schlag der vollen Stunde, der Klang säumte, zögerte, blieb aus. Ein Spiel mit dem Schall der ernsten Mitternachtsstunde schien selbst den furchtbaren Mächten der Tiefe zu gewagt. Voll froher Ahnung ergriff Wilhelm seine Uhr, sie zeigte das zweite Viertel der Stunde. Er blickte dankbar zum Himmel, und eine fromme Empfindung mäßigte seinen Jubel, der gegen die Gesetze der dunkeln Welt eben in einem lauten Ausruf sich Luft machen wollte.
Gefasst und gestärkt gegen neue Täuschung ging er mutig wieder an sein Werk. Tiefe Stille war rings um ihn, nur die Eulen schnarchten und stießen zu Zeiten die Schädel gegen die Totenknochen. Auf einmal knisterten die Büsche. Der Ton war dem kundigen Jäger nicht fremd, er blickte hin, und, wie er vermutete, eine wilde Bache brach durch das Gebüsch und rannte auf den Kreis los. Wilhelm ahndete hier keine Täuschung, er sprang auf, fasste sein Gewehr und drückte es schnell auf das wilde Tier los, aber kein Funken sprang aus dem Stein, er zog den Hirschfänger, aber das borstige Untier fuhr, wie zuvor Wagen und Pferde, über ihn in die Luft und verschwand.
13.
Der geängstete Wilhelm eilte, die verlorne Zeit einzubringen. Sechzig Kugeln waren gegossen, er blickte froh empor, die Wolken öffneten sich, und der Mond warf seine hellen Strahlen wieder auf die Gegend. Da rief eine ängstliche Stimme im Walde: Wilhelm! Wilhelm! es war Käthchens Stimme. Wilhelm sah sie aus dem Gebüsch treten und furchtsam umherblicken. Hinter ihr keuchte das alte Weib und streckte die dürren Arme spinnenartig nach der Fliehenden, deren flatterndes Gewand sie zu erhaschen suchte. Käthchen sammelte die letzten ermattenden Kräfte zur Flucht, da trat ihr der Stelzfuß in den Weg, sie stockte einen Augenblick im Lauf, und jetzt fasste sie die Alte mit den entfleischten Knochenhänden. Wilhelm hielt sich nicht länger, er warf die Form mit der letzten Kugel aus der Hand, und eben wollt' er den Zauberkreis überspringen, da schlug die Glocke Mitternacht, das Zauberbild war verschwunden, die Eulen warfen flatternd Knochen und Schädel untereinander und flogen davon, die Kohlen verloschen, und Wilhelm sank erschöpft zu Boden.
Jetzt kam auf schwarzem Ross langsam ein Reiter heran. Er hielt vor dem zerstörten Zauberkreise. Du hast deine Probe gut bestanden, sprach er, was begehrst du von mir?
Nichts von dir - antwortete Wilhelm - was ich brauche, hab' ich mir selbst bereitet.
Mit meiner Hilfe - fuhr der Fremde fort - darum gehört mir mein Teil.
Mitnichten - rief Wilhelm - ich habe dich weder gedungen noch dir gerufen.
Der Reiter lächelte höhnisch. Du bist kühner - sprach er - als deinesgleichen sonst zu sein pflegen. Nimm die Kugeln, die du bereitet hast. Sechzig für dich, drei für mich; jene treffen, diese äffen, auf Wiedersehn, dann wirst du's verstehn.
Wilhelm wandte sich ab. Ich will dich nicht wiedersehen - rief er - verlass mich!
Warum wendest du dich von mir? - fragte der Fremde mit furchtbarem Lächeln - kennst du mich?
Nein, nein! - schrie Wilhelm schaudernd - ich will dich nicht kennen, ich weiß nichts von dir! Wer du sein magst, verlass mich!
Der schwarze Reiter wendete sein Ross. Dein aufsteigendes Haupthaar - sagte er mit dumpfem Ernst - gesteht, dass du mich kennst. Ich bin der, den mit Schauder im Geist du sträubend nennst.
Mit diesen Worten verschwand er, und die Bäume, unter welchen er gehalten hatte, senkten verdorrte Äste zum Boden.
14.
Barrnherziger Gott, Wilhelm, was ist dir geschehen? - riefen Käthchen und Mutter Anne, als Wilhelm nach Mitternacht bleich und verstört nach Haus kam - du siehst aus wie aus dem Grabe gestiegen.
Es ist von der Nachtluft - antwortete Wilhelm - mir ist in der Tat etwas fieberhaft.
Wilhelm - sagte der Förster, der eben hinzutrat - dir ist etwas im Wald begegnet. Warum ließest du dich nicht halten? Mir machst du keinen blauen Dunst.
Wilhelm war über den Ernst des Vaters betroffen. Nun ja - erwiderte er - mir ist wirklich etwas begegnet. Aber geduldet euch neun Tage. Früher, wisst ihr selbst ...
Gern, lieber Sohn, gern! - fiel der Alte ein - Gott Lob, wenn es etwas ist, was neun Tage geheim bleiben muss. Lass ihn ruhig, Mutter, stör' ihn nicht, Käthchen! Ich hatte beinah dir Unrecht getan, guter Wilhelm! Nun geh', erhole dich, die Nacht, sagt das Sprichwort, ist keines Menschen Freund, aber fasse nur Mut, wer in seinem Beruf ist und auf guten Wegen geht, dem schadet auch der Nachtspuk nicht.
Wilhelm hatte alle Verstellungskunst nötig, um nicht zu verraten, wie sehr des Alten Ahnung mit der Wahrhheit übereinkam. Die schonende Liebe des Vaters, sein unerschüttertes Vertrauen, wo alles auf schwere Verschuldung deutete, zerriss sein Herz. Er eilte auf sein Zimmer, entschlossen, das Zauberwerk zu vernichten. Nur eine Kugel - nur eine will ich brauchen - rief er weinend mit gefalteten Händen zum Himmel - O die Absicht darf doch einmal das zweideutige Mittel entsündigen. Mit tausend Büßungen will ich's ja gern versöhnen, wenn etwas Sündiges an meiner Tat ist! Kann ich denn jetzt noch zurück, ohne mein ganzes Glück, meine Ehre, meine Liebe zu zerstören?
Sein Vorsatz stillte die Unruhe in seiner Brust, und er sah am Morgen der Sonne ruhiger entgegen als er gehofft hatte.
15.
Der fürstliche Kommissarius kam und verlangte vor der ernsthaften Probe eine kleine Jagdpartie mit dem jungen Förster zu machen. Denn - sagte er - es ist ganz gut, dass wir die alte Solennität beibehalten, aber die Kunst des Jägers zeigt sich draußen im Wald am besten. Frisch auf, Herr Expektant, in den Wald!
Wilhelm erblasste und wollte Entschuldigungen vorbringen, und als diese bei dem Landjägermeister nichts fruchteten, bat er, seinen Probeschuss wenigstens zuvor tun zu dürfen. Der alte Förster schüttelte bedenklich den Kopf. Wilhelm, Wilhelm - sagte er mit bebender, tiefer Stimme - hätte ich gestern doch richtig geahndet?
Vater! - rief dieser, und Verzweiflung erstickte seine Stimme. Er entfernte sich schnell, und in wenig Augenblicken war er zur Jagd fertig bei dem Vater und folgte dem Jägermeister in den Wald.
Der alte Förster suchte seine Ahnungen zu unterdrücken, doch bemühte er sich vergebens um eine frohe Miene. Auch Käthchen war niedergeschlagen, und ging wie träumend im Haus umher. Sie fragte den Vater, ob es nicht möglich sei, die Probe aufzuschieben? Ich wollt' es auch, sagte dieser, und umarmte sie schweigend.
Jetzt kam der Pfarrer glückwünschend und erinnerte die Braut an den Kranz. Mutter Anne hatte ihn verschlossen, und in der Eil' beschädigte sie aufschließend das Schloss. Ein Kind wurde geschwind zu einer Kranzhändlerin geschickt, um einen andern Kranz für die Braut zu holen. Lass dir den schönsten geben, rief Mutter Anne dem Kind nach, aber dieses griff in der Unwissenheit nach dem glänzenden, und die missverstehende Verkäuferin gab ihm einen Totenkranz für eine Braut, von Myrte und Rosmarin mit Silber durchwunden. Mutter und Braut erkannten das Deutungsvolle des Zufalls; jede schauderte, und beide suchten, sich umarmend, ihr Grauen in ein Lächeln über den Missgriff des Kindes umzuwandeln. Das Schloss wurde noch einmal versucht, es öffnete sich leicht, die Kränze wurden gewechselt und der Brautkranz in Käthchens Locken gewunden.
16.
Die Jäger kamen zurück. Der Kommissar war unerschöpflich in Wilhelms Lobe. Es dünkt mich fast lächerlich - sprach er - nach solchen Proben noch einen Probeschuss zu verlangen. Doch, dem alten Recht zu Ehren, müssen wir schon einmal etwas Unnötiges tun, und so wollen wir denn die Sache so kurz als möglich abtun. Dort auf dem Pfeiler sitzt eine Taube, schießen Sie die herunter.
Um Gottes willen - schrie Käthchen herzueilend - Wilhelm, schieß nicht danach. Ach, mich träumte diese Nacht, ich war eine weiße Taube, und die Mutter band mir einen Ring um den Hals, da kamst du, und die Mutter ward voll Blut.
Wilhelm zog das schon angelegte Gewehr zurück, aber der Jägermeister lächelte. Ei, ei! - sagte er - so furchtsam? Das schickt sich nicht für ein Jägermädchen. Mut, Mut, Bräutchen! oder ist das Täubchen vielleicht Ihr Favoritchen?
Nein - erwiderte sie - mir ist nur so bang.
Nun dann - rief der Kommissar - Courage, Herr Förster, schießen Sie!
Der Schuss fiel, und in demselben Augenblick stürzte Käthchen mit einem lauten Schrei zu Boden.
Wunderliches Mädchen! - rief der Landjägermeister - und hob Käthchen auf, aber ein Strom Blut quoll über ihr Gesicht, die Stirn war ihr zerschmettert, eine Büchsenkugel lag in der Wunde.
Was ist? - rief Wilhelm - als lautes Geschrei hinter ihm ertönte. Beim Zurückblicken sah er Käthchen totenbleich in ihrem Blut. Neben ihr stand der Stelzfuß , und mit höllischem Hohnlachen grinste er: Sechzig treffen, drei äffen.
Wilhelm riss wütend seinen Hirschfänger aus der Scheide, und hieb nach dem Verhassten. - Verfluchter - schrie er verzweifelnd - so hast du mich getäuscht? Mehr konnte er nicht sprechen, denn er sank besinnungslos neben der blutenden Braut zu Boden.
Der Kommissar und der Pfarrer suchten vergebens, den verwaisten Eltern Trost zuzusprechen. Mutter Anne hatte kaum der bräutlichen Leiche den prophetischen Totenkranz auf die Brust gelegt, als sie den tiefen Schmerz in der letzten Träne ausweinte. Der einsame Vater folgte ihr bald. Wilhelm beschloss sein Leben im Irrenhause.
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Quelle: Gespensterbuch. Hrsg. von Johann August Apel und Friedrich Laun [d.i. Friedrich August Schulze]. Tl. 1. Leipzig : Göschen 1810. - Mehrfach neu gedruckt, u.a.:
* Der Freischütz. Friedrich Kinds Operndichtung und ihre Quellen. Hrsg. von Felix Hasselberg. Berlin: Dom-Verlag 1921 (Der Domschatz; 2), S. 13-44.
* Gespensterbuch. Hrsg. von Johann August Apel und Friedrich Laun. Ausgewählt u. mit e. Nachwort versehen von Robert Stockhammer. Frankfurt a.M.: Insel 1992, S. 11-42 (insel taschenbuch; 1388).
Biographische Notiz: Johann August Apel, geboren 17. September 1771 in Leipzig und gestorben 9. August 1816, schrieb Dramen meist antiken Stoffes, später vor allem Erzählungen und Novellen. Populär wurden von ihm mehrere Sammlungen, so das "Gespensterbuch" (4 Bände, 1810-1813) und als dessen Fortsetzung das "Wunderbuch" (3 Bände, 1815-1817; Nachdruck Hildesheim: Olms 2006).
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"Apels höchst ähnlicher Schattenriß, den er selbst, ohngefähr 32 Jahre alt, bei einem Besuch des Cosel'schen Gartens, für uns ausgeschnitten hat." Friedrich Kind: Der Freischütz. Volks-Oper in drei Aufzügen. Ausgabe letzter Hand mit August Apels Schattenrisse etc. Leipzig: Göschen 1843.
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2. Illustrationen von Johann Heinrich Ramberg
Die von verschiedenen Reproduktionskünstlern gestochenen Illustrationen von Johann Heinrich Ramberg sind folgender Ausgabe entnommen:
* Der Freischütz. Friedrich Kinds Operndichtung und ihre Quellen. Hrsg. von Felix Hasselberg. Berlin: Dom-Verlag 1921 (Der Domschatz; 2).
Die Zitate folgen dem hier wiedergegebenen Libretto von Friedrich Kind.
Abgebildet sind die Illustrationen auch in folgender Ausgabe:
* Der Freischütz. Romantische Oper in drei Aufzügen. Text von Friedrich Kind. Musik von Carl Maria von Weber. Kritische Textbuch-Edition in Zusammenarbeit mit der Carl-Maria-von-Weber-Gesamtausgabe hrsg. von Solveig Schreiter. München: Allitera Verlag 2007 (Opernlibretti - kritisch ediert; 1).
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Der Freischütz I. Aufzug, 7. Auftritt Kupferstich von Carl August Schwerdgeburth nach Johann Heinrich Ramberg Zum Vergrößern klicken Sie bitte auf das Bild. |
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[Samiel schaut mit dem Kopf aus dem Gebüsch, an welchem Max und Caspar sitzen.]
Caspar:
Eins ist eins und drei sind drei!
Drum addiert noch zweierlei
Zu dem Saft der Reben;
Kartenspiel und Würfellust
Und ein Kind mit runder Brust
Hilft zum ew'gen Leben!
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Der Freischütz I. Aufzug, 7. Auftritt Kupferstich von Friedrich Wilhelm Meyer nach Johann Heinrich Ramberg Zum Vergrößern klicken Sie bitte auf das Bild. |
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Kaspar: Geduld! Er sieht nach dem Himmel. Zeigt sich denn nichts? Schnell, indem er ihm das Gewehr gibt. Da! da! Siehst du den Stößer dort? Schieß!
Max: Bist du ein Narr, oder glaubst du, ich bin's? Es ist ganz düster, der Vogel schwebt wie ein schwarzer Punkt in der Luft, wolkenhoch über der Schussweite!
Kaspar: Schieß in's T - Schellobers Namen! ha ha!
Max berührt wie im Zweifel den Stecher; das Gewehr geht los. In demselben Augenblicke hört man ein gellendes Gelächter, so dass sich Max erschrocken nach Kaspar umsieht. Was lachst du? - Wie Fittiche der Unterwelt kreist's dort oben - Ein mächtiger Steinadler schwebt einen Augenblick wirbelnd in der Luft und stürzt dann tot zu Maxens Füßen. - Was ist das?
Kaspar der ihn aufhebt: Der größte Steinadler, den es gibt! Was für Fänge! Und wie herrlich getroffen! Gleich unterm Flügel, sonst nichts verletzt! Kannst ihn ausstopfen lassen, Bruder, für ein Naturalienkabinett! [...]
Caspar, den Adler an den Fittichen ausspreizend:
Glaubst du, dieser Adler sei dir geschenkt?
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Der Freischütz II. Aufzug, 1. Auftritt Kupferstich von Johann Axmann nach Johann Heinrich Ramberg Zum Vergrößern klicken Sie bitte auf das Bild. |
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Annchen:
Grillen sind mir böse Gäste.
Immer mit leichtem Sinn
Tanzen durchs Leben hin,
Das nur ist Hochgewinn -
Sorg' und Gram muss man verjagen!
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Der Freischütz II. Aufzug, 5. Auftritt Kupferstich von Carl August Schwerdgeburth nach Johann Heinrich Ramberg Zum Vergrößern klicken Sie bitte auf das Bild. |
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Kaspar erhebt den Hirschfänger mit dem Totenkopfe und ruft:
Samiel! Samiel! erschein'!
Bei des Zaubrers Hirngebein!
Samiel! Samiel! erschein'!
Er stellt beides wieder in die Mitte des Kreises. Unterirdisches Getös. Ein Felsen spaltet sich. Samiel wird in dem Spalt sichtbar. Kaspar wirft sich vor ihm nieder.
Samiel:
Was rufst du mich!
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Der Freischütz II. Aufzug, 6. Auftritt. Kupferstich von Johann Gottfried Abraham Frenzel nach Johann Heinrich Ramberg Zum Vergrößern klicken Sie bitte auf das Bild. |
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Die Masse in der Gießkelle fängt an zu gären und zu zischen und gibt einen grünlichweißen Schein. Eine Wolke läuft über den Mondstreif, dass die ganze Gegend nur noch von dem Herdfeuer, den Augen der Eule und dem faulen Holze des Baums beleuchtet ist. Kaspar gießt, lässt die Kugel aus der Form fallen und ruft: Eins! Das Echo wiederholt: Eins! Waldvögel kommen herunter, setzen sich um den Kreis, hüpfen und flattern. Kaspar zählt Zwei! Echo wiederholt. Ein schwarzer Eber raschelt durchs Gebüsch und jagt schnaubend vorüber. Kaspar stutzt und zählt: Drei! Echo wie oben. Ein Sturm erhebt sich, braust, bricht Wipfel der Bäume, jagt Funken vom Feuer - Kaspar zählt ängstlich: Vier! Echo wie oben. Man hört Rasseln, Peitschengeknall und Pferdegetrappel. Vier feurige funkenwerfende Räder rollen über die Bühne, ohne dass man wegen der Schnelligkeit ihre eigentliche Gestalt oder den Wagen gewahr werden kann. Kaspar, immer ängstlicher, zählt: Fünf! Echo wiederholt. Hundegebell und Wiehern in der Luft. Nebelgestalten von Jägern zu Fuß und zu Ross, Hirschen und Hunden ziehen in der Höhe vorüber.
Wehe! das wilde Heer! Furchtbarer Gesang:
Durch Berg und Tal, durch Schlund und Schacht,
Durch Tau und Wolken, Sturm und Nacht!
Durch Höhle, Sumpf und Erdenkluft!
Durch Feuer, Erde, See und Luft!
Jaho! Jaho! Wau! Wau!
Kaspar: Sechs! Wehe! - Echo: Sechs! Wehe! Der ganze Himmel wird schwarze Nacht, die vorher miteinander kämpfenden Gewitter treffen zusammen und entladen sich mit furchtbaren Blitzen und Donnern. Platzregen fällt; dunkelblaue Flammen schlagen aus der Erde; Irrlichter zeigen sich auf den Bergen. Bäume werden prasselnd aus den Wurzeln gerissen; der Wasserfall schäumt und tobt; Felsenstücke stürzen herab. Man hört von allen Seiten Wettergeläut. Die Erde scheint zu wanken. Kaspar, zuckend und schreiend: Samiel! Samiel! Samiel, hilf! - Sieben! - Samiel! Echo: Sieben! - Samiel! Kaspar wird zu Boden geworfen.
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Der Freischütz III. Aufzug, 2. Auftritt Kupferstich von Friedrich Wilhelm Meyer nach Johann Heinrich Ramberg Zum Vergrößern klicken Sie bitte auf das Bild. |
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Agathens Stübchen, altertümlich, doch niedlich verziert. An einer Stelle ein kleiner Hausaltar, worauf in einem Blumentopfe ein Strauß weißer Rosen, von dem durchs Fenster hereinfallenden Sonnenstrahl beleuchtet.
Agathe allein, bräutlich und blendend weiß, mit grünem Bande, gekleidet, kniet an dem Altar, steht auf und wendet sich dann vorwärts. Mit wehmütiger Andacht:
Und ob die Wolke sie verhülle,
Die Sonne bleibt am Himmelszelt!
Es waltet dort ein heil'ger Wille;
Nicht blindem Zufall dient die Welt!
Das Auge, rein und ewig klar,
Nimmt aller Wesen liebend wahr!
Für mich auch wird der Höchste sorgen,
Dem kindlich Herz und Sinn vertraut!
Und wär' dies auch mein letzter Morgen,
Rief mich sein Vaterwort als Braut;
Sein Auge, rein und ewig klar,
Nimmt aller seiner Kinder wahr!
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Der Freischütz III. Aufzug, 6. Auftritt Kupferstich von Amadeus Wenzel Böhm nach Johann Heinrich Ramberg Zum Vergrößern klicken Sie bitte auf das Bild. |
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Ottokar: Nun, es ist bloß, um das Herkommen zu beobachten und meine Gunst zu rechtfertigen. Tritt aus dem Gezelt. Gäste und Hofleute folgen. Die Jäger erheben sich, treten auf die andere Seite usw. Wohlauf, junger Schütz! einen Schuss, wie heut früh deine drei ersten, und du bist geborgen! Nachdem er sich umgeschaut. Siehst du dort auf dem Zweige die weiße Taube? Die Aufgabe ist leicht. Schieß!
Max legt an. In dem Augenblicke, da er losdrücken will, tritt Agathe mit den übrigen zwischen den Bäumen heraus, wo die weiße Taube sitzt, und schreit: Schieß nicht! Ich bin die Taube! Die Taube flattert auf und nach dem Baume, von welchem Kaspar eilig herabklettert. Max folgt mit dem Gewehr. Der Schuss fällt; die Taube fliegt fort. Sowohl Agathe als Kaspar schreien und sinken. Hinter der ersten tritt der Eremit hervor, fasst sie auf und verliert sich dann wieder unter dem Volke. Dies alles ist das Werk eines Augenblicks.
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Der Freischütz III. Aufzug, 6. Auftritt Kupferstich von Wilhelm Jury nach Johann Heinrich Ramberg Zum Vergrößern klicken Sie bitte auf das Bild. |
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Einige:
Schaut! o schaut!
Er traf die Braut!
Andere:
Der Jäger stürzte vom Baum!
Noch andere:
Wir wagen's kaum,
Nur hinzuschau'n!
O furchtbar Schicksal, o Grau'n!
Chor:
Unsre Herzen beben, zagen!
Wär' die Schreckenstat geschehn?
Kaum will es das Auge wagen,
Wer das Opfer sei, zu sehn.
Ottokar und seine nähern Umgebungen sind zu Agathen geeilt, geringere Jäger zu Kaspar. Agathe wird von Annchen, den Brautjungfern und einigen Landleuten im Vordergrunde auf eine Rasenerhöhung gelegt. Alle sind um sie beschäftigt. Max liegt vor ihr auf den Knien. [...]
Max und Kuno:
Sie lebt!
Einige:
Den Heil'gen Preis und Dank! -
Sie hat die Augen offen! -
Einige, die Kaspar umstehen:
Hier, dieser ist getroffen,
Der rot im Blute liegt -
Kaspar, sich krampfhaft krümmend:
Ich sah den Klausner bei ihr stehn;
Der Himmel siegt!
Es ist um mich geschen! [...]
Kaspar erblickt Samiel, der, von den übrigen ungesehen, hinter ihm steht:
Du, Samiel! schon hier?
So hieltst du dein Versprechen mir?
Nimm deinen Raub! Ich trotze dem Verderben
Er erhebt die geballte Faust drohend gen Himmel.
Dem Himmel Fluch! - Fluch dir!
Stürzt unter heftigen Zuckungen zusammen. Samiel ist verschwunden.
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3. Friedrich Kind:
Zur Entstehung des Libretto und zur Zusammenarbeit mit Weber
Es mochte im Sommer oder Herbst des Jahres 1816 sein, als der nun verstorbene Kammermusikus Schmiedl einen Fremden zu mir brachte, schwarz gekleidet, blass, doch sehr geistreich von Gesicht, ungefähr von meiner Größe, nur noch schmächtiger, den ich wegen seiner, mir im Verhältnis etwas zu lang dünkenden, Arme und Hände für einen Pianoforte-Virtuosen hielt. Er nannte sich Karl Maria von Weber! Ich war höchst erfreut, seine Bekanntschaft zu machen, da mir sein Name durch Komposition einiger Volkslieder aus der Herder'schen Sammlung oder dem Wunderhorn, vieler Lieder von Theodor Körner und selbst, ohne daß wir vorher in der mindesten Verbindung gestanden, einiger von mir, sehr lieb worden war, ich auch davon gehört hatte, dass man auf ihn als hiesigen Kapellmeister denke.
Wir fanden uns sehr bald; wir sprachen das Hundertste ins Tausendste. Endlich äußerte er: wir würden uns schon näher treten; ich müsse ihm ein Singspiel oder eine Oper dichten. Ich musste lachen; so manches ich schon versucht hatte, etwas dieser Art war mir nie in den Sinn gekommen. Aber der Einfall war für mich reizend, und es stets meine Meinung gewesen, ein Dichter müsse Alles ins Werk setzen können. Ich gestand ihm offen, dass ich kaum die Noten kenne; er meinte, das sei ihm ganz gleich! Ich war anmaßend genug, zu erklären: ich möge höchstens zu den Menschen gehören, die mit Shakspeare zu reden, Musik in sich selbst hätten, was denn bei jedem Dichter der Fall sein werde, und durch Wahl des Metrums, Wort und Reim, Klang und Widerklang, Einheit und Abwechslung etc. sich kund tun müsse. Er blieb dabei, er werde schon mit mir auskommen; nächstens ein Mehreres! Wir schieden, als nicht neue Freunde.
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Wochen und Monate vergingen; es kamen Arbeiten mancher Art, wohl auch neue poetische Vorsätze, doch der Gedanke an ein Liederspiel tauchte mitunter wieder auf. Ich ging, wie nur zum Scherz, mit mir zu Rate, wie so etwas entworfen werden müsse; ich erinnerte mich, dass schon manches von mir Gedichtete komponiert worden sei und gefallen habe; ich entsann mich, irgendwo gelesen zu haben, dass sogar die Tragödie durch Verbindung mit der Oper ihre höchste Stufe erreichen werde. Ich bedachte, was mir beim Besuch der Opern - denn ohne innere Kritik war es dabei doch auch nicht abgegangen - vorteilhaft oder missbilligend und unpassend vorgekommen war, aber ich überzeugte mich auch, dass durch Verbindung aller Künste, als der Poesie, der Musik, der Aktion, der Malerei und des Tanzes, ein Großes zu erreichen sei, und hierüber bei der Oper der Willkür des Dichters ja Alles anheimgestellt sei. Das schöne Bild Klopstocks, welcher von der Sprache, also auch von der Deklamation, also noch mehr von der eigentlichsten Deklamation, der Musik, fordert, sie müsse dem Gedanken anliegen, wie dem Mädchen, das aus dem Bade steigt, das Gewand, trat immer lockender vor meine Blicke.
Endlich, die Zeit weiß ich nicht mehr genau, kam Weber wirklich als Kapellmeister hier an, besuchte mich in den ersten Tagen und regte, nach kurzem Gespräch, seinen Wunsch wegen eines Operntextes ernstlich wieder an. Ich tat wohl von neuem spröde, doch wie ein Mädchen, das denn doch einen Freier für nötig hält!
Ich hatte aber auch von den Anmaßungen vieler Tonsetzer gehört, die bei der Oper Alles nur von ihrem Gesichtspunkte aus ansehen, vielleicht den Plan des Ganzen, wie des Einzelnen angeben wollen, oder hinterher bedeutende Abänderungen verlangen. Ich äußerte hierüber unverhohlen meine Bedenklichkeit. "Wie Sie das Ganze anlegen und ausführen, mein Wort, so komponiere ich's! Kleinigkeiten, weshalb Sie nur eine Feder anzusetzen brauchen, ändern Sie schon mir zu Liebe!"
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Nun galt es um einen tüchtigen Stoff; volkstümlich musste er vor allen Dingen sein, das schien mir zu sehr Webers und mein Kunstcharakter zu fordern. Ich suchte zusammen, was mir dienlich schien - Volksmärchen, Erzählungen, Novellen. Denn - man vergönne es mir, zu sagen - der oft geäußerte Grundsatz, "dass sich aus Erzählungen, Novellen und Romanen schwerlich, oder nie ein gutes Theaterstück, namentlich eine gute Oper bilden lasse," den Einer dem Andern nachsagt, ist, genau betrachtet, nur ein Gemeinplatz, oder beruht auf Sophisterei; nur wenn der Dichter bei seiner Arbeit nicht zu beurteilen weiß, wodurch sich Novelle und Roman von dem Theaterstück unterschieden, mag er etwas gelten! aber freilich dann! - - Er ist übrigens schon oft durch Tatsachen widerlegt worden. Genug, Musäus und Benedikte Naubert, neuere und ältere Erzählungen und Novellen, auch eine und die andere von mir, waren, da ich Weber zur Sichtung erwartete, aufgeschichtet.
Wir begannen die Musterung: manches gefiel, doch zuletzt hatten bald Weber, bald ich, bald wohl wir beide ein gerechtes Bedenken. "Ja," sagt' ich zuletzt, indem ich das zu unterst gelegte Buch hervorzog, "hier wäre etwas für Sie und mich, besonders für Sie, der so schöne Volksweisen schafft, aber - aber -"
"Und was?" - Ich hielt ihm das Gespensterbuch hin - "Apels Freischütz!" (1) Er kannte ihn; er war ergriffen. "Herrlich! herrlich! nur - "
Wir brachten nun gegen einander vor, was sich sagen ließ - dass man vielleicht nirgends die Aufführung wagen werde, denn freilich herrschte damals auf den Bühnen eine strengere Zensur; dass der doppelte Untergang der Liebenden als Schluss allzu tragisch sei; dass man uns der Beförderung des Aberglaubens beschuldigen werde; dass die Aufopferung der Unschuld mit der Schuld als unmoralisch gelten könne usw. Wir wurden zuletzt darüber einig, dass, wenigstens gestalten Sachen nach, auf die Bücher nicht zu rechnen sei. Dies schmerzlich bedauernd, doch ohne eine Wahl zu treffen, schieden wir von einander.
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Doch die Freikugel hatte auch mich schon getroffen; mein Herz schlug unruhig, ich rannte in der Stube auf und ab, ich berauschte mich in Waldlust und Volkston. Endlich dämmerte mir die Morgenröte, das Tagsgestirn trat hinter Nebeln hervor. Ich lief zu Weber, ich weiß nicht mehr ob noch an demselben Abende, oder am folgenden Tage bei früher Zeit.
"Ich dichte Ihnen den Freischützen! mit einem Teufel selbst nehm' ich's auf! Ich drehte das ganze Spiel um! Nichts Modernes; wir leben nach dem dreißigjährigen Kriege, tief im Böhmischen Waldgebirg! Ein frommer Einsiedler ist mir erschienen! Die weiße Rose schützt gegen den höllischen Jäger! Die Unschuld hält den wankenden Schwachen aufrecht! der Orkus liegt unter, der Himmel triumphiert!" Ich setzte Webern den entworfenen Plan gedrängt auseinander; Wir fielen einander jubelnd in die Arme; wir riefen scheidend: "Unser Freischütz hoch!"
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Rasch ging es nun an die Arbeit. Ich hatte früher eine Jagdgeschichte geschrieben: "Die Jägersbräute." (2) Weil mir einige Szenen daraus gefielen, ließ ich mich verführen, etwas davon aufzunehmen, und daher hieß die Operndichtung in dem von Friederiken abgeschriebenen Exemplar, und in meinen und Webers Briefen anfänglich "die Jägersbraut," auch "der Probeschuss." Ich merkte aber, noch ehe ich zum zweiten Akt kam, dass zu weit ausgeholt sei, und strich zwei Szenen weg. Dies war aber keineswegs der Fall mit den, in allen Druckausgaben beibehaltenen, zwei Eremitenszenen, die in dichterischer Hinsicht - und jede Oper muss nicht bloß in musikalischer, sondern auch in poetischer ein Ganzes sein - nicht wegfallen können, ohne sie ist die Oper eine Statue, welcher der Kopf fehlt.
Diese zwei Szenen weglassen zu dürfen, bat mich indes Weber wieder und wieder. Ich sah das Untunliche davon, ich berief mich auf unsern Vertrag, auf sein mir gegebenes Wort, Alles zu lassen, wie ich es angeben werde; ich bat mir das Manuskript wieder aus. Davon wollte er nichts hören, sagte vielmehr, er habe schon komponieren angefangen, wisse auch schon, wo die Oper zuerst in Szene trete, und - hatte überhaupt eine so liebenswürdige Art, jemand zu etwas zu bewegen, dass ich endlich nachgab, und den dadurch entstehenden Mangel in der Mitte des Stücks durch ein Einschiebsel so gut als möglich ersetzte. Ich hätte es nicht tun sollen. Fouqué und andere kritische Freunde haben dies sogar öffentlich gesagt.
Wieso Webern, der doch sonst das Wahre einsah und die Schwächen seiner meisten Kollegen nicht teilte, an dieser Verstümmelung so viel gelegen war, kann ich noch jetzt nicht begreifen. Gesagt ist worden, der, gleich beim Aufzuge des Vorhanges fallende Schuss habe ihm zu neu und für das Ganze zu viel versprechend geschienen; aber, falls er wirklich auf dergleichen etwas gesetzt, sollte der Schuss und das wilde Volksgetümmel nach der frommen idyllischen Verhandlung zwischen dem Einsiedler und Agathen nicht dieselbe, wohl noch größere Wirkung getan haben? Mir hat er als Grund angegeben, dass, wenn jene Szenen blieben, mithin der Eremit auch im Gesang so bedeutend werde, - nun, das war freilich meine Absicht! - so könne er zwei erste Bassisten nicht entbehren, die auf wenigen Theatern zu finden wären. - Wenigstens hätten diejenigen das bedenken sollen, die einen vollständigen Abdruck vielleicht nie gelesen, aber den Einsiedler für einen abgeschmackten, nur um ein Ende zu finden, herbei gerufenen Deum ex machina auszugeben beliebt haben. Der von ihnen für unnütz gehaltene Stein ist ein Eckstein!
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Ich brannte einige Wochen lang; ich schob mit ungeduldiger Hast aus einer früheren Dichtung einen Teil des Geisterchors ein; (3) ich war fertig! Friederike, wenn ich Eile hatte, meine Geheimschreiberin, ward es auch schnell mit der Abschrift. Es waren noch einige Tage bis zu meinem Geburtstage; ich sandte die Abschrift an Weber und lud ihn, nebst Böttiger und noch Einigen, zum Abende des 4. März (1817) ein, um die Dichtung vorlesen zu hören.
Mein Freund kam noch vorher (3. März) sehr fröhlich und erwärmt zu mir; er war höchst zufrieden, sagte mir von gewisser Aussicht, die Oper auf die Bretter zu bringen, doch schien er noch etwas auf dem Herzen zu haben. Da ich glaubte, dass ihm etwas missfalle, bat ich, mir es offenherzig zu bekennen. Nein, so war es nicht! er trat mir der Frage nach dem Honorar hervor.
Ich hatte daran gar nicht gedacht und von Buchhändlern würdiges, von Theatern, in der Mehrzahl, geringeres Honorar erhalten; was aber Brauch und Recht bei Operndichtungen sei, davon wusste ich kein Wort. Ich bat daher, es damit anstehen zu lassen. Er wisse ja gar nicht, ob das: "Samiel hilf!" auch hinsichtlich der Aufführung wirken, und was ihm die Komposition einbringen werde; geschäh Ersteres, so möge er mir, nach Abzug der Auslagen, den dritten oder vierten Teil der Einnahme geben. Weber erwiderte, dass er sicher auf den Grafen Brühl in Berlin rechnen könne, dass aber - was er als gewesener Direktor der Oper in Prag, der auch schon einige Opern (Sylvana und Abu Hassan) in Musik gesetzt, wohl beurteilen konnte, - solch ein anteiliges Honorar viele Weitläufigkeiten und Schwierigkeiten, vieles Hin- und Herschreiben zwischen Autor und Tonsetzer, verursache; ein Theater könne Mehr, das andere Weniger geben - genug, er werde mit dem Komponieren gar nicht ernstlich beginnen, bis der Operntext sein sei. Was blieb mir übrig? ich wünschte, dass die Sache ein Ende nehme, ich wollte weder zu wenig fordern, noch zu anmaßend scheinen; ich meinte endlich, 20 Dukaten würde ich wohl verdient haben. Vor Verlauf von zwei Stunden sandte er mir ein paar freundliche Zeilen und 20 Geharnischte, mit der Umschrift: Concordia res parvae crescunt.
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Die Vorlesung erfolgte im kleinen häuslichen Kreise unter Scherz und Freude. Weber und ich hatten erkannt, dass wir zu einander gehörten; wir verstanden uns in Gesellschaft (z.B. im Liederkreis, wenn etwas vorgelesen ward) durch Blicke; wir holten einer den andern zu Spaziergängen und ins Theater ab; bei etwaigen Festlichkeiten ward auf uns, als Verbundene, gerechnet; wir waren, wie die alten Troubadoure, gleichsam Dichter und Harfner in einem; wenn ich eine Melodie wünschte, er komponierte sie (4); wenn er einen Text (z.B. bei Festtagen des königlichen Hauses) ich dichtete ihn. (5) [...]
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Weber und ich wir hatten uns zusammen eingelebt und glaubten, dass es immer so bleiben werde; wir unternahmen Verschiedenes, wir dachten auf Mehreres für die Zukunft; Weber wohnte den Sommer über in einem Garten der Antonstadt, ich besuchte ihn fast täglich. Wenn er etwas vom Freischützen oder eins meiner andern Lieder komponiert hatte, z.B. das Brautjungfernlied, Kaspars Freveleien, das Jägerchor etc., so beschied er mich zu sich; er oder seine Lina, oder beide zusammen, sangen es zum Pianoforte; wenn wir, um aus der Stadt und in den Garten zu gelangen, über die Elbe fuhren, und die altertümlichen Jägerfiguren auf der kleinen Galerie des Jägerhofs uns ins Auge fielen, so riefen wir: "So ungefähr!" und jauchzten auf. Aber uns genügte, wie gesagt, nicht die Gegenwart. Wir wählten uns Opernstoffe, die zeitlebens ausreichen würden. Wir verabredeten eine Ida Münster, in der ich mir besonders von dem musikalischen Effekt des Vehmgerichts ein Großes versprach, und, war dieser Stoff gleich bereits als Oper erschienen und eine andere Bearbeitung, ich glaube von München aus, angekündigt, einen Cid. Einen Lieblingsplan, die schottische Totenbraut nach der Ballade: "Einst kam ein Geist zu Margreths Tür etc." und einen Raub der Sabinerinnen behielt ich mir heimlich vor, und - gleichsam als Schlussstück, sollte Vathek auf der Bühne erscheinen, wobei aber die Nuronihar und ein ihr untergeschobener böser Geist, nach meiner Angabe, von einer und derselben Sängerin darzustellen war, für die einst so Beglückte gewiss keine gering zu achtende Rolle! Von einem oder dem andern dieser Pläne liegen noch Anfänge unter meinen Papieren. [...]
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[...] Zu Berlin ist der Freischütz, als erste Oper im neuerbauten königl. Theater, am 15. Junius 1821 zum ersten Male aufgeführt worden. (6) Das Gerücht verkündete, dass ihm auf dem neuerbauten Dresdner Theater dieselbe Ehre widerfahren werde, was Wahrscheinlichkeit dadurch gewann, weil die hier hundertste Vorstellung immer verschoben worden, und sowohl Komponist als Dichter, der eine hier Kapellmeister gewesen war, der andere zur Zeit noch hier lebte. Es mögen sich Schwierigkeiten gefunden haben. Wie ich höre, wird anjetzt (Februar 1842) an Dekorationen gemalt. Vielleicht kommt es zum 5. Juni, als Weber's Sterbetage, wenigstens kurz vor, oder nachher.
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Von der glänzenden Aufnahme in Berlin, schrieb mir Weber in einem der Briefe von da. Von der weiteren Verbreitung dieser Oper durch ganz Europa und nach Amerika (7) ist genug in den Zeitungen zu lesen gewesen. Was Weber und seine Erben damit gewonnen, ist des Vaters gerechter Verdienst. Wie viele wankenden Theaterkassen dadurch aufrechterhalten worden sind, ist bekannt; was Maler, Schneider, Friseure usw. dabei gelöst haben, kann schwerlich berechnet werden; eben so wenig, was die vielen Tausend verkaufter Textbüchlein, das Stück 2 Gr., die doch ohne allen Zweifel dem Verfasser vergütet werden sollten, in Summa gegeben haben.
Dem deutschen Dichter hat der Freischütz (außer 20 Dukaten vom Komponisten, und dem Honorar von vier rechtmäßigen Druckauflagen) eingebracht: nach der fünfzigsten und zweihundertsten Aufführung in Berlin jedes Mal 100 Rthlr. und - was ihn unendlich erfreut hat: ein, von einem ebenso genialen und tapferen, als Wissenschaft und Kunst übenden und liebenden General selbst geschossenes Reh!
Anmerkungen
(1) "Gespensterbuch" v. A. Apel und F. Laun. 1stes Bändchen, bei Göschen, 1810, S. 1. - Späterhin Apels Freischütz besonders abgedruckt, Leipzig, bei Ernst Fleischer, 1824.
(2) S. Roswitha. (Leipzig, bei Hartknoch, 1813.) Bd. 3. S. 113.
(3) Im 2. Aufz. 4. Auftr. - Siehe "die Geisterinsel" in "Lenardo's Schwärmereien." I. 101.
(4) Mehrere derselben finden sich in den von mir herausgegebenen Beckerschen Almanachen. Selbst das Brautjungfernchor (im Jahrgang 1821), das dort nicht bemerkt ward, doch, nach den Aufführungen in Berlin und Dresden, von allen Drehorgeln erklang.
(5) Z.B. die Cantate, am Augustustage 1818 in Pillnitz aufgeführt: "Beglückt, wen liebevoll Natur / Mit immer frischem Kranz umwindet etc." in meinen Gedichten V. Bd. S. 24.
(6) Ich fügte auf des Hrn. Gr. Brühl und Webers Bitte das: "Einst träumte meiner alten Base etc." noch ein, weil Dem. Eunike, als auch erste Sängerin, ansonst nicht singen wollte.
(7) Von wo aus mir noch vor einem Halbjahr authentische Erklärung über die kaum misszuverstehende Stelle: "Wie nahte mir der Schlummer etc." abverlangt ward.
Quelle: Friedrich Kind: Der Freischütz. Volks-Oper in drei Aufzügen. Ausgabe letzter Hand mit August Apels Schattenrisse etc. Leipzig: Göschen 1843, Schöpfungsgeschichte des Freischützen, hier S. 117-123, 126f., 130f. Rechtschreibung dem heutigen Stand angeglichen.
Siehe: Der Freischütz. Romantische Oper in drei Aufzügen. Text von Friedrich Kind. Musik von Carl Maria von Weber. Kritische Textbuch-Edition in Zusammenarbeit mit der Carl-Maria-von-Weber-Gesamtausgabe hrsg. von Solveig Schreiter. München: Allitera Verlag 2007 (Opernlibretti - kritisch ediert; 1), Kap. III. Zur Werk-Entstehung und frühen Aufführungsgeschichte.
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4. Friedrich Kind: Freikugeln
[...] Wir haben schon oben des Schicksalsvollen, ja oft wie von einer bösen Macht Herrührenden erwähnt, das dem Schuss inzuwohnen scheine. Der Gedanke daran drängt sich uns im Leben von selbst auf. Nicht genug, dass wir von manchem wundervollen Schusse hören, der nicht geradeswegs zu den Münchhausischen zu rechnen sein kann; nicht genug, dass wir selbst wohl einen Schützen fast ohne Ausnahme ein Astloch, einen Taler, das Herz einer Karte, sicher treffen sehen; wir erleben es ja wohl auch, dass ein mutiger Jüngling im ersten Treffen fällt und ein grauköpfiger Veteran ohne Wunden aus allen Feldzügen zurückkehrt, das ein geschickter und besonnener Jäger seinen liebsten Jagdgefährten, seine Braut, sein eignes Kind tötet.
Die Mittel, sich Freikugeln zu verschaffen, bin ich, obschon mit halbvermoderten Büchern und Handschriften magischer Art nicht ganz unbekannt, schon aus ziemender Furcht vor der heil. Inquisition, anzugeben nicht im Stande. Das in der Oper angeführte Verfahren ist aus manchen dergleichen Rezepten zusammengesetzt, jedoch auch mit einigen, mir aus dichterischer Machtvollkommenheit beliebigen Ingredienzien vermischt. Dagegen will ich sehr gern offenbaren, was mir sonst in Hinsicht auf Kugeln, die, wie man sagt, Blut sehen müssen, oder von denen jeden Tag wenigstens drei treffen, bekannt geworden ist.
Zuerst kommt bei dem Gießen sehr viel auf die Zeit und die Stellung der Himmelszeichen, sodann aber auf noch mancherlei Nebendinge an. Wenn man etwa auf einem Kreuzwege ein verstümmeltes Kruzifix sieht, so erraten freilich Erfahrene, dass der Frevel von verwegenen Jägern, welchen man überhaupt auf dem Lande wenig Gutes zutraut, verübt worden sei. Wirklich Gewitzigte sagen sich jedoch dabei ins Ohr, dass der Schuss nach einer Hostie dieselben Wunderkräfte verleihe, dass aber weder das eine, noch das andere, die verlangte Wirkung hervorbringe, wenn der gotteslästerliche Schuss nicht am Karfreitage, in der Fast- oder einer Christnacht gewagt werde.
Als geringere, nur noch zu größerer Sicherheit gereichende Erfordernisse habe ich erwähnt gefunden, dass eine rechte Freikugel mit des Schützen eigenem Blute gewaschen sein oder schon einmal getroffen haben müsse. Hat sie gar ein sich begattendes Hirschpaar erlegt, dann ist ihre Wirkung außer allem Zweifel. [...]
Anmerkungen
(1) Als Nickel List von andern Räubern bestohlen ward, hatte einer derselben schon auf dem Hinritt einen silbernen Knopf in die Pistolen geladen, weil, seiner Meinung nach, die Leute in List's Hause fest waren. S. "Fürtreffliches Denkmal der Güldenen Tafel." Braunschweig und Hamburg. 1700. Th. II. S. 4.
Quelle: Friedrich Kind: Der Freischütz. Volks-Oper in drei Aufzügen. Ausgabe letzter Hand mit August Apels Schattenrisse etc. Leipzig: Göschen 1843, Erläuterungen, hier S. 222f. Es folgen Quellenauszüge. Rechtschreibung dem heutigen Stand angeglichen.
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5. Max Maria von Weber: Erstaufführung des »Freischütz«.
Berlin, 18. Juni 1821
Vier Stunden vor Eröffnung des Schauspielhauses belagerte eine kompakte Masse dessen unglaublich unpraktisch angelegte Eingänge. Nur den vortrefflichen Maßnahmen der Polizei war es zu danken, dass bei dem fürchterlichen Drang und Kampf nach Eröffnung der Pforten nur Kleider verletzt wurden und bloß kleine Quetschungen vorkamen. Das Parterre füllte, dicht gedrängt, Kopf an Kopf, die jugendliche Intelligenz, das patriotische Feuer, die erklärte Opposition gegen das Ausländische: Studenten, junge Gelehrte, Künstler, Beamte, Gewerbetreibende, die vor acht Jahren in Waffen geholfen hatten, den Franzmann zu verjagen. Unter Carolinens Loge stand Benedikt, die lange schmächtige Gestalt Heinrich Heines, der in seiner sarkastischen Weise sagte: »Er wolle es sich einmal gefallen lassen, ›kindische‹ Verse für Byrons ›Childe Harold‹ einzutauschen« (mit dem er sich gerade beschäftigte), und ein kleiner, kräftiger Student mit gewaltiger Lunge und knallenden Händen. Die Haute-Volée und die Autoritäten der literarischen, musikalischen und gelehrten Kreise Berlins füllten Sperrsitze und Logen. Man sah wenig hohe Beamte, fast gar keine Uniformen. Nach und nach füllte sich das Orchester – die Musiker begannen zu stimmen – das Brausen der in dem übervollen Hause unbequem in glühender Hitze eingekeilten Masse, nahm mehr und mehr zu – da erschallte plötzlich Beifallklatschen im Orchester – Weber war eingetreten – und das ganze volle Haus mit tausend, tausend Händen nahm das schwache Signal im Orchester wie ein donnerndes Echo auf. Drei Mal musste Weber den Taktstock sinken lassen und sich verneigen, ehe er das Zeichen zum Anfange geben konnte.
Auf den stürmischen Empfang folgte die feierlichste Ruhe. Und nun entwickelte sich das zauberische Tongemälde der Ouvertüre in seiner ganzen unwiderstehlich fortreißenden Fülle – der Eindruck war magisch – und als nach den dumpfen, unheimlichen Paukenschlägen – zuletzt der gewaltige C dur-Akkord und dann der lodernde, jubelnde Schluss folgte – da brach ein solcher Sturm des Beifalls, ein solch ungestümes »Da capo«-Rufen los, das dem Verlangen des Publikums Folge geleistet und das Ganze, mit wo möglich gesteigertem Enthusiasmus, wiederholt werden musste.
Die 1. Scene, von Beschort überaus reizend gruppiert und voll Feuer und Leben dargestellt, machte einen außerordentlichen Effekt – aber Kilians Arie und der Spott-Chor, obwohl mit merkwürdigem Verständnis gesungen, wurden nicht gleich vollständig in ihren musikalischen Gewagtheiten erfasst und nicht so günstig aufgenommen, als in dem darauf folgenden Terzett die Stelle: »O lass Hoffnung dich beleben und vertraue dem Geschick«, die teils durch den vortrefflichen Vortrag des Chors, teils durch die Erinnerung an die Ouvertüre, die Herzen wunderbar ergriff und stürmischen Applaus erregte. – »Nun lasset die Hörner erschallen« und der so tief originell verklingende Walzer war vorüber. Die Scene verdüsterte sich und die Aufmerksamkeit des Publikums war bei der Scene des Max: »Nein, länger trag ich nicht die Qualen« auf so hohen Grad gesteigert, dass das schöne Arioso: »Durch die Wälder, durch die Auen«, trotz Stümer's echt künstlerischem und doch so einfachem Vortrage, in der allgemeinen Spannung fast spurlos vorüberging. Bei dem unerwarteten Eintritte Samiel's wehte es wie ein Schauer durch das tiefbewegte Haus, und nur der Lichtblick des: »Jetzt ist wohl ihr Fenster offen« verwischte in Etwas den unheimlichen Eindruck der Erscheinung, der im letzten Allegro noch erhöht wiederkehrte. Rauschender Beifall krönte den Schluss der Arie. Kaspar's Trinklied – so ganz den gewöhnlichen Formen entgegen konzipiert – wurde nicht verstanden, und Blume wollte in seiner Scene nicht recht mit der Stimme heraus – kurz der Vorhang fiel mit einem anticlimax, der Beifall war lau und der lange Zwischenakt gab Veranlassung zu überaus lebhaften, ja sogar stürmischen Diskussionen. Die Spontinianer in Masse rieben sich die Hände und fragten spöttisch: »Ist das die Musik die ›Vestalin‹, ›Cortez‹ und ›Olympia‹ vergessen machen soll? Welchen Lärm um ein einfaches Singspiel, ja fast nur Melodram?!« »Was bedeutet eine Viertelstunde langes Gespräch und langweilige Erzählungen in einer Oper?« »Wie monoton ist so ein langer Akt ohne weibliche Stimme!« – Das Haus brauste von streitenden Lauten. Während des Tumults war der Meister wieder auf seinen Platz zurückgekehrt.
Der Vorhang ging auf und eine Salve von Beifall begrüßte die leuchtenden, lieblichen Gestalten von Agathe und Aennchen (Seidler und Eunicke), die nach dem dunkeln Lokalton des ersten Akts wie lösende Lichterscheinungen hervortraten. Die Oper von Jugend auf gewöhnt, empfinden wir diese Eindrücke kaum mehr! – Das zauberische Duett, so neu in Form und Behandlung – und noch entschiedener Aennchens frische Ariette: »Kommt ein schlanker Bursch gegangen«, erhielten die Zustimmung des ganzen Hauses. Aber der Glanzpunkt der ersten Vorstellung war unstreitig der Seidler große Scene: »Wie nahte mir der Schlummer«. – Hier verschwand alle Opposition – überrascht, hingerissen folgten die eifrigsten Gegner Webers dem allgemeinen unwiderstehlichen Strome. Orchester, Parterre, Logen, Galerie fühlten den Duft der schönen Nacht, beteten »leise, leise« in totenstillem Schweigen andächtig mit, hörten das Rauschen der Bäume – sahen Max mit dem Blumenstrauße nahen und mit Agathes Jubel wallten dem Schöpfer dieses Zauberwerkes Herzen, Hände und Seelen in Jauchzen, Klatschen, Rufen ohne Ende entgegen! – Von diesem Augenblicke an war der Erfolg der Oper entschieden. – Das Terzett fand die aufmerksamsten und dankbarsten Zuhörer. Die Wolfsschlucht mit ihrem abenteuerlichen Zubehör, ihren noch nie dagewesenen Instrumental-Effekten und den so recht aus dem Geiste des Meisters geschaffenen, mächtig wirkenden Dekorationen beschloss den zweiten Akt wahrhaft triumphierend.
Der kräftige Student unter Carolinens Loge nahm die Mütze zwischen den Knien vor, mit denen er sie, um die Hände frei zu haben, gehalten hatte, und sagte in die brennenden Handflächen blasend: Das ist ja ein Teufelskerl, der kleine Weber. Das hält sauer, ihm zu zeigen, wie gut ers gemacht hat! – War das Getümmel nach dem ersten Akte schon groß gewesen, so wurde es jetzt überwältigend; aber welch anderen Charakter hatten die Ausrufe! Die italienische Partei war verstummt. Wundervoll, herrlich – zart und kräftig– eben so neu wie schön – vortrefflich – kühn aber treffend – tönte es jetzt von allen Seiten. Der Meister aber war zu Carolinen und Lichtensteins in die Loge geschlichen, und saß da in einer dunkeln Ecke, die Hand der vor Seligkeit still weinenden Gattin in der seinen.
Nach dem Entreakte, mit Frische und Energie vom Orchester vorgetragen, wurde Agathes Gebet, welches sich mehr der älteren Cavatinenform nähert, so wie Aennchens »kreideweiße Nase« mit der obligaten Viola und dem halb tändelnden, halb zärtlichen Allegro, von der Eunicke bestrickend gesungen, sehr günstig aufgenommen. Das Volkslied: »Wir winden dir den Jungfernkranz«, so durch und durch im besten Sinne des Worts populär und deutsch empfunden und komponiert, musste auf stürmisches Verlangen wiederholt werden, obwohl die Reinwald, seltsam befangen, es mit zitternder Stimme sang. Der »Jägerchor«, obgleich donnernd applaudiert, wurde, seltsamer Weise, doch erst nach der achten oder zehnten Vorstellung, dem Publikum ganz eingehend. Seine Melodie war eine der wenigen aus dem Freischützen, die nicht gleich auf den Straßen gesungen wurden. Fürst Ottokar (Rebenstein) gab das Zeichen zum Schusse auf die Taube, und das herrliche Finale – zwar mit einer Tendenz zur Verkühlung, die seine, im Verhältnis zum Sturmesgang der andern Theile der Oper etwas zögernde Länge, erzeugte – brachte die Oper in glorreicher Weise zu Ende!
Der Vorhang rauschte herab, aber Niemand verließ das Haus, das donnernder Applaus und tausendstimmiges Rufen nach dem Meister erfüllte. Endlich erschien er, Mad. Seidler und Fräul. Eunicke an der Hand führend. Kränze, Jubelrufe, Lieder und Gedichte flogen ihm entgegen!
Der Erfolg war ein ungeheurer und beispielloser! Kritiker, Künstler, Dilettanten und Musikfreunde waren wie berauscht zum ersten Male, für den Abend wenigstens, einstimmig voll Lob, Entzücken und Freude. Das Auditorium brauste auseinander, laut das neue Wunder verkündigend.
Quelle: Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. 3 Bde. Leipzig: Ernst Keil 1864-1866. Hier Bd. 2, S. 312-316. Aus der Bibliothek Zeno.org, URL <http://www.zeno.org/Musik> Redigiert, Rechtschreibung dem heutigen Stand angeglichen.
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6. Motivpostkarten zum Lied "Wir winden dir den Jungfernkranz":
Verkitschung und Verspottung
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Der Freischütz. III. Aufzug, 4. Auftritt. Wir winden dir / den Jungfernkranz / mit veilchenblauer Seide; / Wir führen dich / zu Spiel und Tanz, / zu Glück und Liebesfreude! Verso Signet (Löwe mit Schild: E.S.D.) [= Edgar Schmidt, Dresden] Serie 1639. Rückseite ungeteilt. Nicht gelaufen.
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Links: Wir winden dir den Jungfernkranz ... Verso: W. R. B. & Co., Vienne. Rob. Schiff pinx. Die Carrière. Dessin 6. Serie 22-76. Nicht gelaufen. - Robert Schiff, Bildnismaler, geboren 1869 in Wien. Studierte an der dortigen Akademie sowie in Berlin, München und Paris. 1905/07 in London (Thieme-Becker). Todesjahr nicht ermittelt. | Rechts: Wir winden Dir den Jungfernkranz. Im Bild signiert: Hans Kaufmann. Verso: Salzburger Kunst. Nr. 19. Hans Kaufmann pinx. Verlag: Ferd. Morawetz, Salzburg. - Druck: Wagner, Innsbruck. Nicht gelaufen. - Hans Kaufmann, geboren 1862 in Hohenschwangau, besuchte in München die Kunstgewerbeschule und die Akademie. Lehrer an der Münchner Damenakademie. Malte Porträts, fertigte kunstgewerbliche Entwürfe und Illustrationen. Gestorben nach 1921 (Thieme / Becker).
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Wir winden dir den Jungfernkranz ... Im Bild signiert: A. Murphy. Verso: Signet (teilweise überklebt, nicht lesbar). Nicht gelaufen.
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7. Kurzbiographie zu Carl Maria von Weber
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Bildnis mit faksimilierter Unterschrift. Verso: Stengel & Co., G.m.b.H., Dresden 49068. Text: Carl Maria von Weber, geb. 18. Dez. 1786 in Eutin, gest. 5. Juni 1826 zu London. Kapellmeister an der Oper zu Dresden, Schöpfer der romantischen Richtung in der Oper (Freischütz, Preziosa, Oberon), auch als Lieder- und Klavierkomponist hervorragend. Nicht gelaufen.
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Weber, Karl Maria von, Komponist, geboren 18. Dezember 1786 zu Eutin in Holstein, gestorben 5. Juni 1826 in London, Sohn des kurpfälzischen Offiziers, später Musikdirektors, zuletzt Schauspieldirektors Franz Anton von Weber (des Oheims von Mozarts Gattin Konstanze), verlor bereits 1798 die Mutter und hatte zufolge der wenig sesshaften Natur seines Vaters eine unruhige Jugend, erhielt nur unregelmäßigen, oft wechselnden Unterricht in der Musik. Vater und Sohn beschäftigten sich nebenbei intensiv mit Kupferstich und der damals von Senefelder erfundenen Lithographie und ließen sich sogar 1800 in Freiberg nieder, um mit dort gebrochenen, besonders geeigneten Steinen die Lithographie im großen zu betreiben. In Freiberg komponierte Weber die Oper »Das Waldmädchen«, die zuerst 24. November 1800 daselbst zur Ausführung kam, Weber aber in einen Federstreit mit der Kritik verwickelte, der ihm den Aufenthalt in Freiberg verleidete. 1801 ging die Familie wieder nach Salzburg, und hier schrieb Weber unter Michael Haydns Augen seine zweite Oper: »Peter Schmoll und seine Nachbarn«, die Anfang 1803 in Augsburg gegeben wurde, worauf die Familie nach Wien übersiedelte. Hier setzte Weber seine theoretischen Studien unter Abt Vogler fort, bis dieser ihm 1804 eine Anstellung als Theaterkapellmeister in Breslau verschaffte, wo er eine Oper »Rübezahl« in Angriff nahm, von der aber nur die Ouvertüre fertig wurde und als »Ouvertüre zum Beherrscher der Geister« erhalten ist. Im Herbst 1806 ging Weber als Musikintendant nach Karlsruhe in Schlesien an den Hof des Prinzen Eugen von Württemberg, der aber zufolge der Kriegsläufte 1807 seine Hofhaltung auflöste; doch verschaffte die Herzogin ihm die Stelle eines Hofsekretärs des Prinzen Ludwig von Württemberg in Ludwigsburg. Der Aufenthalt in Württemberg nahm ein jähes Ende, als der Vater, ohne sein Verschulden des Unterschleifes angeklagt, im Februar 1810 mitsamt dem Sohn des Landes verwiesen wurde.
Sie gingen nun zunächst nach Mannheim, dann nach Darmstadt, wo Weber bei Vogler zum zweiten Mal Unterricht nahm. Am 16. September 1810 brachte er in Frankfurt a. M. die in Stuttgart geschriebene »Sylvana« (eine Neubearbeitung des »Waldmädchen«) und in Darmstadt sein jüngstes Werk, die Operette »Abu Hassan«, zur Ausführung und unternahm neue, ausgedehntere Reisen als Klaviervirtuos, die ihn zuerst nach Norddeutschland, dann in die Schweiz führten. Während eines längeren Aufenthalts in Berlin, der ihn mit Fürst Radziwill, Tiedge, Brentano und dem Zoologen Lichtenstein in engeren Verkehr brachte, traf ihn im Frühjahr 1812 die Kunde von dem in Mannheim erfolgten Dahinscheiden seines Vaters. Anfang 1813 führte eine Konzerttour Weber nach Prag, wo er als Direktor der neu zu errichtenden deutschen Oper festgehalten wurde. Weber wirkte hier drei Jahre auf das ersprießlichste; in diese Zeit fällt die Komposition von Körners Freiheitsliedern »Leier und Schwert«, des Werkes, das seine Popularität anbahnte. Misshelligkeiten veranlassten ihn, 1816 aus seinem Prager Wirkungskreis wieder auszuscheiden, und er sah sich kurze Zeit wieder auf das Wanderleben des Virtuosen angewiesen, bis er zur Gründung einer Deutschen Oper nach Dresden berufen wurde.
Am 18. Januar 1817 trat er diese neue Stellung an und löste die hiermit verbundene, durch die Gegenpartei von der Italienischen Oper äußerst schwierig gemachte Aufgabe aufs glänzendste, ohne jedoch anfangs an der Stätte seines Wirkens diejenige Würdigung zu finden, die ihm an allen andern Orten zuteil ward. Am 14. November des Jahres verheiratete er sich mit der trefflichen Opernsoubrette Karoline Brandt, die er schon in Prag kennen gelernt hatte. Gleichzeitig gelangte er auch in die glänzendste Periode seines künstlerischen Schaffens: 1818 wurde die »Jubelouvertüre« zum ersten Mal ausgeführt, 14. März 1821 ging in Berlin »Preciosa« und 18. Juni des Jahres daselbst der »Freischütz« zum ersten Mal in Szene. Diesen Meisterwerken folgten 25. Oktober 1823 in Wien die große Oper »Euryanthe« und 12. April 1826 in London der »Oberon«.
Ein schon seit Jahren sich entwickelndes Lungenleiden hatte bereits ein sehr bedenkliches Stadium erreicht, als Weber nach London abreiste, aber um durch die große in Aussicht stehende Einnahme die Zukunft der Seinen zu sichern, unterzog er sich der großen Strapaze. Seine Kräfte nahmen nun mit so reißender Schnelligkeit ab, dass er schon 5. Juni des Jahres starb. Eine 1821 begonnene Oper: »Die drei Pintos«, blieb unvollendet. Webers Leiche ruhte in der Moorfieldskapelle in London, bis sie 1844 nach Dresden gebracht und in der Familiengruft auf dem katholischen Friedhof beigesetzt wurde.
Von warmer Begeisterung für nationales Wesen erfüllt, wusste Weber für die zu seiner Zeit in Blüte stehende romantische Dichtung den prägnanten musikalischen Ausdruck zu treffen und wurde insbesondere der Schöpfer eines ganz neuen Prinzips der Instrumentierung, nämlich der Ausbeutung der musikalischen Klangfarben zur Charakteristik. Neben dieser der ganzen Folgezeit ihre Signatur ausprägenden Neuerung, die in der Kunst Wagners und der gesamten Programmusik gipfelte, wirkte er besonders durch Aufnahme volkstümlicher Elemente. Aber nicht nur auf dem Gebiete der dramatischen und der Orchestermusik, sondern auch auf dem des Liedes und der Klavierkomposition hat Weber Werke von bleibendem Werte geschaffen. Auch literarisch ist Weber vielfach tätig gewesen, so unter anderem in Dresden, wo er in den ersten Jahren seiner Wirksamkeit es niemals unterließ, die von ihm einstudierten neuen Werke durch einführende Zeitungsartikel vor der Ausführung dem Verständnis des Publikums näherzubringen.
Meyers Großes Konversations-Lexikon, 6. Aufl. 1905-1909 (Digitale Bibliothek; 100) Berlin: Directmedia 2003, S. 209.133-209.138, gekürzt und redigiert.
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Carl Maria v. Weber-Denkmal
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Eutin. Carl Maria v. Weber-Denkmal. Georg Stilke, Berlin. Adressseite: Verlag u. photogr. Aufnahme Julius Simonsen, Oldenburg i. Holst. No. 40. Gelaufen. Poststempel 1903. Adressseite ungeteilt.
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8. Kurzbiographie zu Friedrich Kind
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Quelle: Der Freischütz. Friedrich Kinds Operndichtung und ihre Quellen. Hrsg. von Felix Hasselberg. Berlin: Dom-Verlag 1921 (Der Domschatz; 2). Ein anderes Bildnis bei Wikipedia,
URL <http://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Friedrich_Kind>
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Kind, Johann Friedrich, Dichter und Schriftsteller, geboren 4. März 1768 in Leipzig, gestorben 25. Juni 1843 in Dresden, studierte in Leipzig Rechtswissenschaften, ließ sich 1793 als Rechtsanwalt in Dresden nieder, entsagte aber 1814 der juristischen Praxis, um sich ungestört seiner schriftstellerischen Tätigkeit widmen zu können.
Unter seinen belletristischen Arbeiten fanden Gedichte, Novellen und Erzählungen trotz ihrer platt romantischen Darstellungsweise vielen Beifall. Wir nennen davon: »Lenardos Schwärmereien« (1793), »Natalia« (1802–04, 3 Bde.), »Leben und Liebe Rynos und seiner Schwester Minona« (1805, 2 Bde.), »Malven« (1805, 2 Bde.), »Tulpen« (1806–10, 7 Bde.), »Die Harfe« (1814–19, 8 Bde.), »Lindenblüten« (1819, 4 Bde.) u. a. Von seinen dramatischen Dichtungen (»Theaterschriften«, 1821–27, 4 Bde.) hielten sich einige, wie »Wilhelm der Eroberer«, »Van Dycks Landleben« etc., längere Zeit auf der Bühne. Am meisten Glück aber machten seine Operntexte: »Das Nachtlager von Granada« (von Kreutzer komponiert), »Der Holzdieb« (Musik von Marschner) und besonders der durch K. M. v. Webers Musik unsterblich gemachte »Freischütz« (mit Briefen des Komponisten herausgegeben, 1843). Auch gab er einige Jahrgänge (1815–18) von Beckers »Taschenbuch zum geselligen Vergnügen« heraus; 1817–26 besorgte er mit Winkler (Theodor Hell) die Redaktion der »Abendzeitung«, später auch eine Zeitlang die der »Dresdener Morgenzeitung«. Kinds »Gedichte« (1808, 5 Bde.; 2. Aufl. 1817–25) trugen durchaus das Gepräge schwächlicher Nach- und Anempfindung, das nahezu allen Dichtern des Dresdener Abendzeitungskreises eigen war.
Meyers Großes Konversations-Lexikon, 6. Aufl. 1905-1909 (Digitale Bibliothek; 100) Berlin: Directmedia 2003, S. 101.703f. Vgl. Artikel in ADB (von Joseph Kürschner, Bd. 15, 1882, S. 742-743) und NDB (von Wilhelm Pfannkuch, Bd. 11, 1977, S. 612 f.). Zugriff über das Biographie-Portal, URL <http://www.biographie-portal.eu/search>.
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9. Kurzbiographie zu Johann Heinrich Ramberg
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Porträt Johann Heinrich Rambergs von Julius Giere, 1838. Ferdinand Stuttmann: Johann Heinrich Ramberg. München: F. Bruckmann 1929, S. 11.
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Ramberg, Johann Heinrich, Öl- und Aquarellmaler, Radierer u. Zeichner für den Kupferstich, Geboren 22. 7. 1763 Hannover, gestorben 6. 7. 1840 ebda. Erhielt den ersten Zeichenunterricht vom Vater, einem Verwaltungsbeamten. 1780 entstehen 27 Zeichnungen von Harzlandschaften, die, König Georg III. von England vorgelegt, dem jungen Ramberg dessen Protektion verschaffen. Vom 25. 4. 1781 bis 15. 8.1788 als Schützling Georgs III. und Pensionär der Akademie in London. In London Schüler von Benjamin West. Rückkehr nach Hannover über Dover, Calais, Dünkirchen, Gent, Brüssel und Düsseldorf.
Vor seiner Abreise hatte ihm der König den Auftrag zu einem Theatervorhang für Hannover erteilt und ihm nach Fertigstellung desselben ein Reisestipendium für Italien und die Bestallung zum Hofmaler in Aussicht gestellt. Am 4. 6. 1789 ist der Vorhang, Rambergs Hauptwerk, fertig. Für das Theater im Leineschloß bestimmt, wurden 1852 bei Überführung in das Opernhaus Veränderungen nötig.
1790/93 Reise nach Italien, über Dresden (Begegnung mit Goethe u. a.), Prag, Wien zunächst nach Verona u. Venedig. Nach kurzem Aufenthalt in Bologna, Parma und Florenz trifft er März 1792 in Rom ein. Von da noch nach Neapel. Die Rückreise scheint ihn durch die Schweiz geführt zu haben. 1793 wieder in Hannover, wo ihm die vom König zugesicherte „Hof- und Cabinetsmahlerstelle“ übertragen wird. 1797 Heirat.
Rambergs eigentliche Begabung liegt auf dem Gebiete der zeichnerischen Improvisation, in der sich sein lebhafter Sinn für Humor und Satire am ungehemmtesten aussprechen konnte. Auch die strenge Schulung in London unter West, bei dem er sich zum Historienmaler ausbilden soll, ändert daran nichts. Viel mehr zieht ihn die „unakademische“ englische Zeichenkunst, vor allem die Karikatur (Rowlandson) an. Nebenher aber gehen durchaus akademische Arbeiten im Sinne der offiziellen englischen Kunst. Nach seiner Rückkehr lässt sich ein Stilwandel feststellen. Offenbar unter dem Eindruck seiner Reise durch Belgien und der Sammlungen im väterlichen Hause findet er einen engeren Anschluss an französische Kunst. Für längere Zeit tritt das Erotische stark in den Vordergrund. Die Reise nach Italien ist für seine künstlerische Entwicklung bedeutungslos, obwohl er nach der Antike zeichnet und viele Motive mit nach Hause bringt, die er später häufig benutzt.
In den drauf folgenden Jahren entstehen die bekannten, großen, teilweise gestochenen Blätter, Szenen aus dem italienischen Volksleben, Illustrationen zu Boccaccio und Lafontaine, satirische Blätter, Ansichten von Hannover. Als Illustrator machen ihn die Stiche zur „Fürstenausgabe“ von Wielands Werken (1794/1802) bei Göschen in Leipzig bekannt. Seit Chodowieckis Tod ist er der gesuchteste Illustrator in Deutschland. Es gibt kaum einen zeitgenössischen Schriftsteller, dessen Werke er nicht illustriert hätte. Daneben versorgt er die zahlreich erscheinenden Taschenbücher und Almanache. Alle Stecher von Namen arbeiten für ihn. Neben den Buchillustrationen entstehen in den 20er und Anfang der 30er Jahre noch eine Reihe von großen Blättern, Illustrationen zu Terenz und Shakespeare, Szenen aus Geschichte und Mythologie. In engem Zusammenhang mit den Illustrationen stehen die zyklischen Darstellungen, von denen 3 in Buchform im Handel erschienen (bei Hahn, Hannover): Reinecke Fuchs (1826), Tyll Eulenspiegel (1826), Homers Ilias seriös und komisch (1827). Von einem 4. Zyklus „Das Leben Strunks des Emporkömmlings“ (1825) sind nur 3 Blätter gestochen. Außerdem existieren aus den verschiedensten Zeiten viele Zeichnungen, die auf später nicht zur Ausführung gelangte Pläne in dieser Richtung schließen lassen.
(Thieme/Becker, gekürzt und redigiert. Vgl. Ferdinand Stuttmann: Johann Heinrich Ramberg. München: F. Bruckmann 1929.)
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10. Literaturhinweise und Weblinks
Friedrich Kind: Der Freischütz. Romantische Oper in drei Akten. Online in:
* Projekt Gutenberg. DE, URL
<http://gutenberg.spiegel.de/>
* Bibliothek Zeno.org
<http://www.zeno.org/Musik>
In der Bibliothek Zeno org finden Sie auch:
* Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. 3 Bde. Leipzig: Ernst Keil 1864-1866.
* La Mara (d.i.: Marie Lipsius): Musikalische Studienköpfe. Erster Band: Romantiker. 6., umgearbeitete Aufl. Leipzig: Heinrich Schmidt & Carl Günther 1883.
Literatur:
* Friedrich Kind: Der Freischütz. Volks-Oper in drei Aufzügen. Ausgabe letzter Hand mit August Apels Schattenrisse etc. Leipzig: Göschen 1843 (Digitalisierung durch Google).
* Der Freischütz. Friedrich Kinds Operndichtung und ihre Quellen. Hrsg. von Felix Hasselberg. Berlin: Dom-Verlag 1921 (Der Domschatz; 2).
* Der Freischütz. Romantische Oper in drei Aufzügen. Text von Friedrich Kind. Musik von Carl Maria von Weber. Kritische Textbuch-Edition in Zusammenarbeit mit der Carl-Maria-von-Weber-Gesamtausgabe hrsg. von Solveig Schreiter. München: Allitera Verlag 2007 (Opernlibretti - kritisch ediert; 1). ISBN 978-3-86520-209-3
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