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Goethe, Schiller und die Goethezeit auf Google+

Goethes Italienische Reise, Rom

Jutta Assel | Georg Jäger

Goethes Juno

Eine Dokumentation

Stand: Mai 2009

 

Juno Ludovisi.
Max Wegner: Goethes Anschauung antiker Kunst.
Berlin: Gebr. Mann 1944. Abb. 55.

 

Gliederung

1. Juno Ludovisi
2. Goethe über die Juno Ludovisi
3. Das Juno-Zimmer im Haus am Frauenplan
4. Beschreibungen und Charakteristiken der Juno Ludovisi
5. Gedichte über die Juno Ludovisi
6. Rechtlicher Hinweis und Kontaktadresse

 

 

1. Juno Ludovisi

"Der kolossale Frauenkopf [Marmor, Höhe: 1,14 m; Rom, Thermenmuseum] wurde wohl in Rom gefunden und gelangte 1622 in die Sammlung Ludovisi [daher >Juno Ludovisi<]. Vor allem im späten 18. Jahrhundert genoss er höchste Verehrung. Winckelmann, Herder, Goethe, Schiller, Wilhelm von Humboldt [...] und andere sahen in ihm den Inbegriff griechischer Idealität. Schon zuvor hatte sich die Auffassung durchgesetzt, es handle sich um ein Kultbild der Hera, Tochter des Kronos und der Rhea, Schwester und Gemahlin des Zeus, Schutzgöttin der Ehe [gleichgesetzt mit der griechischen Hera bzw. Here].

Die unpersönlich wirkenden Gesichtszüge, die Frisur mit Mittelscheitel und Korkenzieherlocken, das hohe palmettengeschmückte Diadem, vor allem aber das monumentale Format schienen für ein Götterbild zu sprechen. Seit dem späten 19. Jahrhundert mehrten sich jedoch die Stimmen, die in der Dargestellten eine historische Persönlichkeit aus der frühen römischen Kaiserzeit, eine Angehörige der julisch-claudischen Dynastie [...] erblickten.

Als wahrscheinlichste Kandidatin gilt heute Antonia Minor, Nichte des Augustus, Mutter des Kaisers Claudius (36 v. Chr.- 37 n. Chr.) [...]. Vergleiche mit Münzbildern der Antonia stützen diese Identifizierung. Hinzu kommt ein sehr ähnlicher (jedoch nicht kolossaler) Kopf, der im Sommer 2003 bei Ausgrabungen auf der Insel Pantelleria, zwischen Sizilien und Tunesien, [...] entdeckt wurde."

Virtuelles Antikenmuseum Göttingen. Sammlung der Gipsabgüsse. Archäologisches Institut der Universität Göttingen. – Vgl. Wolfgang Helbig, Führer durch die öffentlichen Sammlungen klassischer Altertümer in Rom, auf der Seite Forum Rom, für Italien- und Romfreunde.

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Juno Ludovisi
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Oben links: Roma - Giunone (Museo delle Terme). Verso: Ernesto Richter, Roma 506. Cartolina Postale. Nicht gelaufen.

Oben rechts: 216 Roma. Museo delle Terme. Giunone: Signet. Verso: N.P.G. [Neue Photographische Gesellschaft, Berlin-Steglitz] Signet. Diffida - Le nostre edizioni sono depositate ... Cartolina Postale. Nicht gelaufen.

Unten links: 1672a - Roma. Museo Nazionale - Giunone. Signet: PEC. Verso, Signet: PEC im Rad, umschrieben: Roma. The Tourist's Schop. P. E. Chauffourier Piazza di Spagna, 65 - Roma. Im Briefmarkenfeld: Produzione Italiana. Nicht gelaufen.

Unten rechts: 1672a - Roma. Museo Nazionale - Giunone. Signet: PEC. Verso, Signet: PEC im Rad [P. E. Chauffourier]. Via Tacito, 7 - Roma. Im Briefmarkenfeld: Produzione Italiana. Nicht gelaufen.

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2. Goethe über die Juno Ludovisi

 

Goethe in seiner Wohnung am Corso in Rom. Zeichnung von J. H. W. Tischbein. Text: "das verfluchte zweite Küssen". In: Marcel Brion: Und jeder Atemzug für dich. Goethe und die Liebe. Wien, Hamburg: Paul Zsolnay 1982.

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Johann Wolfgang von Goethe:
Italienische Reise.
Bericht April 1788.

Diese neue Wohnung [Tischbeins Atelier, in das Goethe für seinen zweiten Rom-Aufenthalt umgezogen war] gab nun Gelegenheit, eine Anzahl von Gipsabgüssen, die sich nach und nach um uns gesammelt hatten, in freundlicher Ordnung und gutem Lichte aufzustellen, und man genoss jetzt erst eines höchst würdigen Besitzes. Wenn man, wie in Rom der Fall ist, sich immerfort in Gegenwart plastischer Kunstwerke der Alten befindet, so fühlt man sich wie in Gegenwart der Natur vor einem Unendlichen, Unerforschlichen. Der Eindruck des Erhabenen, des Schönen, so wohltätig er auch sein mag, beunruhigt uns, wir wünschen unsre Gefühle, unsre Anschauung in Worte zu fassen: dazu müssten wir aber erst erkennen, einsehen, begreifen; wir fangen an zu sondern, zu unterscheiden, zu ordnen, und auch dieses finden wir, wo nicht unmöglich, doch höchst schwierig, und so kehren wir endlich zu einer schauenden und genießenden Bewunderung zurück.

Überhaupt aber ist dies die entschiedenste Wirkung aller Kunstwerke, dass sie uns in den Zustand der Zeit und der Individuen versetzen, die sie hervorbrachten. Umgeben von antiken Statuen, empfindet man sich in einem bewegten Naturleben, man wird die Mannigfaltigkeit der Menschengestaltung gewahr und durchaus auf den Menschen in seinem reinsten Zustande zurückgeführt, wodurch denn der Beschauer selbst lebendig und rein menschlich wird. Selbst die Bekleidung, der Natur angemessen, die Gestalt gewissermaßen noch hervorhebend, tut im allgemeinen Sinne wohl. Kann man dergleichen Umgebung in Rom tagtäglich genießen, so wird man zugleich habsüchtig darnach; man verlangt, solche Gebilde neben sich aufzustellen, und gute Gipsabgüsse als die eigentlichsten Faksimiles geben hiezu die beste Gelegenheit. Wenn man des Morgens die Augen aufschlägt, fühlt man sich von dem Vortrefflichsten gerührt; alles unser Denken und Sinnen ist von solchen Gestalten begleitet, und es wird dadurch unmöglich, in Barbarei zurückzufallen.

Den ersten Platz bei uns behauptete Juno Ludovisi, um desto höher geschätzt und verehrt, als man das Original nur selten, nur zufällig zu sehen bekam und man es für ein Glück achten musste, sie immerwährend vor Augen zu haben; denn keiner unsrer Zeitgenossen, der zum erstenmal vor sie hintritt, darf behaupten, diesem Anblick gewachsen zu sein.

Noch einige kleinere Junonen standen zur Vergleichung neben ihr, vorzüglich Büsten Jupiters und, um anderes zu übergehen, ein guter alter Abguss der Medusa Rondanini; ein wundersames Werk, das, den Zwiespalt zwischen Tod und Leben, zwischen Schmerz und Wollust ausdrückend, einen unnennbaren Reiz wie irgendein anderes Problem über uns ausübt.

Doch erwähn' ich noch eines Herkules Anax, so kräftig und groß, als verständig und mild; sodann eines allerliebsten Merkur, deren beider Originale sich jetzt in England befinden.

Halberhobene Arbeiten, Abgüsse von manchen schönen Werken gebrannter Erde, auch die ägyptischen, von dem Gipfel des großen Obelisk genommen, und was nicht sonst an Fragmenten, worunter einige marmorne waren, standen wohl eingereiht umher.

Ich spreche von diesen Schätzen, welche nur wenige Wochen in die neue Wohnung gereiht standen, wie einer, der sein Testament überdenkt, den ihn umgebenden Besitz mit Fassung, aber doch gerührt ansehen wird. Die Umständlichkeit, die Bemühung und Kosten und eine gewisse Unbehilflichkeit in solchen Dingen hielten mich ab, das Vorzüglichste sogleich nach Deutschland zu bestimmen. Juno Ludovisi war der edlen Angelika [Kauffmann] zugedacht, weniges andere den nächsten Künstlern, manches gehörte noch zu den Tischbeinischen Besitzungen, anderes sollte unangetastet bleiben und von [Friedrich] Bury, der das Quartier nach mir bezog, nach seiner Weise benutzt werden.

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Medusa Rondanini
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Max Wegner:
Goethes Anschauung antiker Kunst.
Berlin: Gebr. Mann 1944. Abb. 14.

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Goethe an Charlotte von Stein.
Rom, 6. Januar 1787

Seit gestern hab ich einen kolossalen Junokopf in dem Zimmer oder vielmehr nur den Vorderteil, die Maske davon. Es war dieser meine erste Liebschaft in Rom und nun besitz ich diesen Wunsch. Stünd ich nur schon mit dir davor. Ich werde ihn gewiss nach Deutschland schaffen und wie wollen wir uns einer solchen Gegenwart erfreuen.
Keine Worte geben eine Ahndung davon, er ist wie ein Gesang Homers.

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Goethe an Johann Gottfried Herder.
Rom, 13. Januar 1787


In meiner Stube hab ich schon die schönste Jupiter Büste, eine kolossale Juno über allen Ausdruck groß und herrlich, eine andre kleiner und geringer, das Haupt des Apoll von Belvedere und in Tischbeins Studio steht auch manches dessen Wert mir aufgeht. Nun rücke ich zu den Gemmen, und alle Wege bahnen sich vor mir, weil ich in der Demut wandle.

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3. Das Juno-Zimmer
im Haus am Frauenplan

Einer der Gesellschaftsräume in Goethes Wohnhaus am Frauenplan in Weimar - im ersten Stockwerk, mit Blick auf den Frauenplan - erhielt den Namen >Junozimmer< nach dem dort aufgestellten Abguss der Juno Ludovisi, den Goethe 1823 vom Staatsrat [Christoph Friedrich Ludwig] Schultz in Berlin geschenkt bekam. Den Abguss in seiner römischen Wohnung hatte er Angelika Kauffmann überlassen.

"Das Junozimmer diente als Empfangs- und Musiksalon. Hier stand (und steht noch heute) der Streichersche Flügel, auf dem der jugendliche Felix Mendelssohn und die kleine Clara Wieck Goethe vorgespielt, hier hing (und hängt noch) die Kopie der Aldobrandinischen Hochzeit von [Johann Heinrich] Meyer [...]". Die Aldobrandinische Hochzeit, an der rechten Wand der folgenden Fotopostkarten gut zu erkennen, gehörte zu den vom alten Goethe am höchsten geschätzten Kunstwerken. – Goethe-Handbuch. Hrsg. von Julius Zeitler. Bd. II. Stuttgart: J. B. Metzlersche Buchhandlung 1917, Artikel Junozimmer.

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Von Meyer stammt auch die Supraporte über der Tür: Satyr, von Amoretten geplagt. Auf dem runden Tisch in der mittleren und unteren Abbildung steht eine geflügelte Viktoria, Gipsabguss nach einem römischen Bronzeoriginal. Zu den weiteren Kunstwerken und Sammlungsgegenständen vgl. Willi Ehrlich: Goethes Wohnhaus am Frauenplan in Weimar. 6. Aufl. Weimar: Nationale Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur in Weimar 1982.

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Junozimmer
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Oben: Goethe-Haus in Weimar. (Juno-Zimmer I). Louis Held, Weimar 1906. Verso: Postkarte. Nicht gelaufen. – Vgl. Weimar um 1900. Photographien von Louis Held. Hrsg. von Renate und Eberhard Renno. München: Schirmer/Mosel 1984.

Mitte
: [Ohne Titel.] Verso: Junozimmer im Goethehaus II, Weimar. Goethe-Nationalmuseum, Weimar. Nachdruck verboten. Nicht gelaufen.

Unten: [Ohne Titel.] Verso: Weimar. Goethe-Nationalmuseum. Junozimmer. Verl. L. Held, Weimar, Marienstr. | Nachdruck verboten. Echte Fotografie. III/18/197. Rechts unten: A 88/55. Im Briefmarkenfeld: 48. Nicht gelaufen.

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Junozimmer zur Zeit der DDR

Weimar. Klassiker-Stätten im Bild. Hrsg. von den Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur in Weimar. Abbildungen: Fotothek der NFG und Kl. G. Beyer, Weimar. 5. Aufl. Weimar 1975. Tafel 8.

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Aldobrandinische Hochzeit
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Wandfries augusteischer Zeit, um 1600 gefunden, zunächst im Besitz des Kardinals Aldobrandini, heute im Vatikan. "Künstler wie Rubens, van Dyck und Poussin haben das Bild gekannt und bewundert, letzerer auch kopiert. Goethe hat das Gemälde in Italien nicht gesehen, da es sich damals noch im Privatbesitz befand. Er lernte es erst im Oktober 1797 in der Kopie [Johann Heinrich] Meyers kennen, als er während seiner dritten Schweiz-Reise mit diesem in Stäfa die Ankunft von Meyers römischen Sendungen erwartete. Da sie >diesen Schatz fremden Händen und neuen Zufällen nicht aussetzen< wollten, reiste die Kopie im Gepäck Goethes mit nach Weimar und wurde dort im Junozimmer des Hauses am Frauenplan aufgehängt (November 1797)." Goethe Handbuch. 2. Aufl. Hrsg. von Alfred Zastrau. Bd. 1. Stuttgart: J. B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung 1961. Artikel "Aldobrandinische Hochzeit", Sp.123f. Abbildung nach Max Wegner: Goethes Anschauung antiker Kunst. Berlin: Gebr. Mann 1944.

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4. Beschreibungen und Charakteristiken
der Juno Ludovisi

Johann Joachim Winckelmann:
Geschichte der Kunst des Altertums

[...] Juno zeigt sich als Frau und Göttin über andere erhaben, im Gewächse sowohl als königlichem Stolze. Die Schönheit in dem Blicke der großen rundgewölbten Augen der Juno ist gebieterisch wie in einer Königin, die herrschen will, verehrt sein und Liebe erwecken muss: der schönste Kopf derselben ist kolossalisch, in der Villa Ludovisi.

Johann Joachim Winckelmann: Geschichte der Kunst des Altertums. Unverändeter Nachdruck der Ausgabe Wien 1934. Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft 1982, S. 163.

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Friedrich Schiller:
Über die ästhetische Erziehung des Menschen.

Fünfzehnter Brief. (1795)

Es ist weder Anmut, noch ist es Würde, was aus dem herrlichen Antlitz einer Juno Ludovisi zu uns spricht; es ist keines von beiden, weil es beides zugleich ist. Indem der weibliche Gott unsre Anbetung heischt, entzündet das gottgleiche Weib unsre Liebe; aber indem wir uns der himmlischen Holdseligkeit aufgelöst hingeben, schreckt die himmlische Selbstgenügsamkeit uns zurück. In sich selbst ruhet und wohnt die ganze Gestalt, eine völlig geschlossene Schöpfung, und als wenn sie jenseits des Raumes wäre, ohne Nachgeben, ohne Widerstand; da ist keine Kraft, die mit Kräften kämpfte, keine Blöße, wo die Zeitlichkeit einbrechen könnte. Durch jenes unwiderstehlich ergriffen und angezogen, durch dieses in der Ferne gehalten, befinden wir uns zugleich in dem Zustand der höchsten Ruhe und der höchsten Bewegung, und es entsteht jene wunderbare Rührung, für welche der Verstand keinen Begriff und die Sprache keinen Namen hat.

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Johann Gottfried Herder:
Briefe zur Beförderung der Humanität.

Sechste Sammlung (1795)
Nr. 66, 67 und 70

Mit heiligem Ernst treten wir zum Olymp hinauf und sehen Götterformen im Menschengebilde. Jede Religion kultivierter Völker (die christliche nicht ausgenommen) hat ihren Gott oder ihre Götter mehr oder minder humanisiert; die Griechen allein wagten es, humanisierte Gottheiten, ihrer und der Menschheit würdig, in Kunst, d.i. auf eine dem Gedanken rein und völlig entsprechende Weise, darzustellen. Oder vielmehr sie läuterten alles Schöne, Vortreffliche, Würdige im Menschen zu seiner höchsten Bedeutung, zur obersten Stufe seiner Vollkommenheit, zur Gottheit hinauf und theifizierten die Menschheit. [Nr. 66]

[...] Das verschlossene Bild der Juno Ludovisi stellet die Königin des Himmels dar, des höchsten Gottes Schwester und Gemahlin. Alle weibliche Majestät, Pracht und Größe ist in dies ruhige Antlitz gesenkt. Sie hat nicht ihres gleichen; ihres gleichen kann sie nicht haben; die göttliche, königliche Juno. Besäßen wir vom Jupiter selbst ein Bild wie dieses! [Nr. 67]

Die Griechen erfanden und vollendeten Ideale; sie schufen Klassen der Menschheit und trennten ab, was nicht zu ihr gehöret. Damit bildeten sie den reinen göttlichen Begriff unsres Geschlechts zart und vielseitig aus; wem haben sie hiemit geschadet? Wer sich edler als Kastor und Pollux, schöner als Dionysos oder Apollo, jungfräulicher als Diana, dämonischer als Minerva fühlt, der trete her, und die Kunst wird ihm opfern. Ein König, der über Jupiter, eine Königin, die über Juno herrlich, eine Geliebte, die zärtlicher ist als Psyche, trete her, und die Kunst wird ihr opfern. Die hohen Sternbilder, die geordneten Sonnensysteme stehen da, und zwischen ihnen ist Raum zu andern Systemen. [Nr. 70]

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Jacob Burckhardt:
Der Cicerone [1855]

Diese göttlichen Züge lernt man nun weit besser als aus irgendeiner Statue aus zwei berühmten Kolossalköpfen kennen. Der eine die Juno im Hauptsaal der Villa Ludovisi in Rom, erschien einst Goethe "wie ein Gesang Homers," und in der Tat wird die Seele griechisches Maß und griechische Schönheit selten so vernehmlich zu sich reden hören. Der andere, im Museum von Neapel (Halle des Tiberius), gibt in schöner frühgriechischer Arbeit einen ältern, strengern Typus wieder, dem zur vollen Majestät noch die Anmut fehlt, aus einer Zeit, da die griechische Kunst noch nicht ihre volle harmonische Größe erreicht hatte; es ist noch die homerische, erbarmungslose Hera, während aus der Ludovisischen eine königliche Milde hervorblickt. Verweilen wir noch bei diesem Haupte, sooft und solange die Strenge des Besitzers die Tür offen lässt! Die göttliche Anmut liegt wesentlich in der Linie des Mundes und in den nächstliegenden Teilen der Wangen, auch in den nur mäßig großen, mild umrandeten Augen (wie hart und scharf sind die Augenlider der neapolitanischen!). Das einzige Leiden ist die Restauration der Nasenspitze, welche man sich auf irgendeine Art verdecken möge.

Jacob Burckhardt: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Neudruck der Urausgabe [1855]. Stuttgart: Alfred Kröner 1978, S. 405.

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Johannes Overbeck:
Geschichte der griechischen Plastik

[1857]

Versuchen wir es, uns diese Schönheit in ihrer charaktervollen Eigentümlichkeit zum Bewusstsein zu bringen. Die mehr breit als hoch, besonders nach der Mitte und nach unten mächtig vorgewölbte, aber wenig modellierte Stirn spiegelt mehr einen starren Willen und einen kräftigen Charakter, als tiefes Denken, wie die Stirn des Zeus; die in großem und regelmäßigem Bogen geschwungenen Brauen, auf denen der Stolz der Götterkönigin thront, begrenzen die Stirn mit festem Abschluss, und indem sie das tief liegende Auge mächtig überschatten, zeigen sie den oberen Teil des Gesichtes in himmlischer Klarheit, während sie dem Blicke des weit geöffneten Auges eine Intensität verleihen, die uns an subjektivere Bewegungen im Gemüte des königlichen Weibes gemahnt. Mit breitem Rücken zwischen den Brauen anhebend, steigt die Nase gradlinig, fast starr in den unteren Teil des Antlitzes herab, wo der wenig geöffnete Mund diesen Zug von Strenge und Herbheit aufnimmt, und uns viel eher ein gebietendes Wort als ein sanftes Lächeln erwarten lässt, während das ganz besonders kräftig und voll vorspringende Kinn den Eindruck der höchsten Energie hervorbringt, und der gewaltige, von einer fast graden Profillinie eingeschlossene Hals uns die unbeugsame Willensstärke der Göttin noch einmal zum Bewusstsein bringt. Aber trotz aller dieser Großheit und Erhabenheit ist Here doch das göttliche Weib in der reifsten Vollendung; über die blühenden Wangen sind die Jahrtausende dahingegangen, ohne ihre Spuren zu hinterlassen, und die weiche Rundung der vorderen Fläche des Halses lässt uns die Fülle des blühenden Busens ahnen, an welchem Zeus mit Entzücken ruht.

Mehr noch als durch die Weichheit der fleischigen Teile des Gesichts hat der Künstler es verstanden, durch die Behandlung des Haares den strengen Eindruck seines Idealbildes zu sänftigen. Ja, der Kontrast dieses üppigen, sanft gewölbten, von tiefen Schatten durchfurchten und gleichsam gelockerten Haares gegen die ehern glatte Stirn und den unbeugsamen Hals der Göttin ist unvergleichlich ersonnen, und wenn von Anmut bei dieser Büste die Rede gewesen ist, so beruht das wesentlich auf diesem Kontraste. Wohl ist dieses weiche Haar einfach zurück gestrichen, fern von der kunstvollen Zierlichkeit, mit welcher Aphrodite das ihrige schmückt, aber es ist doch sorgfältig geordnet, und der Perlenkranz, den die Göttin unter der anthemiengeschmückten Stirnkrone durch die Locken geschlungen hat, zeigt uns, dass Here Weib genug ist, um ihrem himmlischen Gatten schön erscheinen zu wollen.

So dürfen wir wohl sagen, dass das Ideal der Himmelskönigin und der Ehegöttin hier vollendet sei [...]


Das Titelblatt und den gesamten Text finden Sie in einer
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Johannes Overbeck: Geschichte der griechischen Plastik für Künstler und Kunstfreunde. Bd. 1. Leipzig: Verlag der J. C. Hinrichs'schen Buchhandlung 1857. Insgesamt S. 304-308. Zitat S. 307 f. Redigiert, heutige Rechtschreibung. Abbildung auf eigenem Blatt nach S. 307 zum Herausklappen.

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5. Gedichte über die Juno Ludovisi

Wilhelm von Humboldt
Juno Ludovisi

Du lebtest nie, hast nie dich aufgeschwungen
Zum Göttersitz, bist niemals ihm entstiegen;
Im Marmor ewig deine Lippen schwiegen,
Aus Künstlers Phantasie bist du entsprungen.
  
Doch hast du eignes Wesen dir errungen,
Das ruht in deinen stillen Götterzügen,
Und keine Macht der Zeit kann es besiegen,
Da tief es ist in Menschenbrust gedrungen.
  
So alle Ewigkeiten zu durchwalten,
Dass in der Schattenmenge Traumgewirre
Er nicht, ein Bruchstück nur des Haufens, irre
  
Kann auch der Mensch zu Eignem sich gestalten.
Dem Erdenstoff ein Funken nur entsprühet,
Die eigne Bahn er dann selbst leuchtend ziehet.

Wilhelm von Humboldt: Gesammelte Schriften. Hrsg. von der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften. 1. Abt.: Werke. Hrsg. von Albert Leitzmann. Bd. 9: Gedichte. Berlin.

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Friedrich Hebbel
Juno Ludovisi

Du lässest uns die Blüte alles Schönen
Und seines Werdens holdes Wunder sehen;
Die Stirn ist streng, man siehts in ihr entstehen,
Wo es noch ringen muss mit herben Tönen.
  
Die Wange will sich schon mit Anmut krönen,
Doch darf sie noch im Lächeln nicht zergehen,
Der Mund jedoch zerschmilzt in süßen Wehen,
Dass Ernst und Milde sich im Reiz versöhnen.
  
Erst keusches Leben, wurzelhaft gebunden,
Dann scheuer Vortraum von sich selbst, der leise
Hinüberführt zur wirklichen Entfaltung;
  
Und nun ist auch der Werdekampf verwunden,
Man sieht nicht Anfang mehr, noch Schluss im Kreise,
Und dieses ist der Gipfel der Gestaltung.

Friedrich Hebbel: Werke. Hrsg. von Gerhard Fricke, Werner Keller und Karl Pörnbacher. München: Carl Hanser 1965. Bd. 3, S. 114. – Rom, 18. September 1845. Hebbel an Elise, 30. März 1845: "Ich war nun schon zweimal in der Villa Ludovisi … und habe dort gesehen, was über alles, was man sehen kann, selbst in Rom, hinausgeht, die Juno." (Ebd., S.903)

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Paul Heyse:
Juno Ludovisi
(Kunst und Künstler, 1877/78)

»Wie ein Gesang des Homer»? Und was denn sagte dies Antlitz
     Mir vom Zorn des Achill, von der Sirenen Gesang?
Nein, kein dichtender Geist, kein irdischer Zauber beseelt dich:
     So unnahbar und kühl leuchtet der Äther allein.

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6. Rechtlicher Hinweis und Kontaktadresse

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Kontaktanschrift:

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Ludwig-Maximilians-Universität München
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E-Mail: georg.jaeger@germanistik.uni-muenchen.de.

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