goethe


Dieter Borchmeyer
»DuMont Schnellkurs Goethe«

Klassische Dramatik

Aufführung von Goethes »Iphigenie« (1779)
mit Goethe in der Rolle des Orest. Gemälde von Georg Melchior Kraus

 

Iphigenie auf Tauris oder die Humanisierung des Mythos

Das wichtigste poetische Ergebnis der Italienischen Reise ist zweifellos der Abschluß der Versfassung von Iphigenie auf Tauris und die Vollendung des Egmont 1786 und 1787. Beide Dramen haben Goethe fast während des ganzen ersten Weimarer Jahrzehnts beschäftigt, und sie sind wohl dessen bedeutendstes künstlerisches, aber auch ethisches und politisches Vermächtnis. Iphigenie ist überschattet vom Bewußtsein, daß die Zeit des Schönen, nämlich die große Zeit Griechenlands vorüber ist. Iphigenie wie Orest und Pylades fühlen sich als Repräsentanten einer Spätzeit, die sehnsüchtig-bewundernd zu den Heroen der Vergangenheit zurückblickt. Das ist der moderne, sentimentalisch-romantische Grundzug des Stücks, den zumal Schiller so stark empfunden hat. "Er bewies mir", berichtet Goethe später Eckermann (21. März 1830), "daß ich selber wider Willen romantisch sei und meine Iphigenie, durch das Vorwalten der Empfindung, keineswegs so klassisch und im antiken Sinne sei, als man vielleicht glauben möchte."

Dieses >Vorwalten der Empfindung< drückt sich gleich in Iphigenies Eingangsmonolog aus,  befindet sie sich doch im Exil - "das Land der Griechen mit der Seele suchend". Diana hat sie einst nach Tauris entrückt, als sie im Hafen von Aulis der Göttin geopfert werden sollte, um diese für die Überfahrt der Griechen nach Troja günstig zu stimmen. Der Schauplatz des Dramas ist also die Fremde. Sie aber bedeutet für Iphigenie den Verlust "selbstbewußten Lebens", der Selbstbestimmung ihrer Person. Die Situation des Exils wird für sie identisch mit der herkömmlichen Rolle der Frau, gegen die sie immer wieder aufbegehrt. "Ich bin so frei geboren als ein Mann." Der Schutzwall ihrer Selbstbestimmung ist ihre Jungfräulichkeit. Sie verwirft die Ehe mit dem Taurerkönig Thoas, weil sie durch diese Bindung für immer von der Heimat ferngehalten würde und weil sie sich überhaupt gegen die Rolle der Frau im weithin glück- und ehrlosen Schatten des Mannes sträubt. Die entschlossene Selbstbewahrung ihrer Person prägt ihr Verhältnis zu Göttern wie Menschen, hat ethische, religiöse wie politische Aspekte. 

Über dem ganzen Drama lastet die Drohung des Menschenopfers. Vor diesem hat die Göttin Iphigenie einst durch ihre Entrückung nach Tauris gerettet. Aber hier soll ausgerechnet die Gerettete als Priesterin alle auf die Insel verschlagenen Fremden Diana zum Opfer bringen. Zwar hat sie Thoas dazu bewegen können, auf dieses grausame Ritual zu verzichten, doch droht seine Wiederkehr, wenn Iphigenie die Hand des Königs ausschlägt.

Iphigenie wähnt sich lange in gänzlichem Einvernehmen mit den Göttern, glaubt, daß diese ihre Familie, ihren Vater Agamemnon, ihre Mutter und Geschwister  ebenso glücklich bewahrt haben, wie Diana sie selber gerettet hat. Zug um Zug wird indessen dieser optimistische Glaube zunichte gemacht. Sie muß durch ihren - aufgrund eines zweideutigen Orakels nach Tauris gelangten - Bruder Orest erfahren, daß der geliebte Vater durch die eigene Gattin ermordet, diese von ihrem Sohn erschlagen worden ist - ganz im Stile ihrer Vorfahren, der meuchelmörderischen Tantaliden. Und nun soll sie auch noch – so verlangt es Pylades, der Freund ihres Bruders Orest – König Thoas vorlügen, das Kultbild der Diana, der Schwester Apolls, müsse ans Meer gebracht werden, um dort kultisch gereinigt zu werden – in Wirklichkeit: damit die Griechen es rauben können. Die Entführung des Kultbilds ist nämlich die vermeintliche Bedingung der Rettung Orests vor den Erinnyen, den Rächerinnen des Muttermords, und seiner Heilung vom Wahnsinn. Als Iphigenie also durch die von ihr verlangte Lüge ebenfalls in den Zwangszusammenhang des Verbrechens ihrer Vorfahren hineingezogen zu werden droht, erwacht ihr Zweifel am sinnvollen Walten der Götter. In dieser Situation am Ende des vierten Aufzugs singt sie das dunkel-aufrührerische "Lied der Parzen“ nach dem Sturz ihres Ahnherrn Tantalus. 

Sollte die "taube Not" Iphigenie jedoch zum Verbrechen des Kultbildraubs und zum Betrug des Königs zwingen, dann wäre der Beweis für die Unentrinnbarkeit des Tantalidenfluchs, für die Vorherbestimmung auch Iphigenies zum Bösen erbracht. Dieser Fluch ist ein Symbol der Erbsünde, welche die Aufklärung als größtes theologisches Ärgernis empfunden hat, da sie eine Barriere ist, welche den Weg zur menschlichen Selbstbestimmung versperrt. Iphigenie sucht deshalb aus eigener Kraft, auf autonom menschlichem Wege den mythischen Erbzwang, die Kettenfolge des Verbrechens unter den Nachfahren des Tantalus aufzuheben. Das ist mit dem Begriff der "Entsühnung" des Tantalidenhauses gemeint. Auf diese Durchbrechung der Kettenfolge des Verbrechens beziehen sich zweifellos auch die Verse, die Goethe am 31. März 1827 dem Orest-Darsteller Krüger in ein Exemplar der Iphigenie geschrieben hat: "Alle menschlichen Gebrechen / Sühnet reine Menschlichkeit." 

Die Bedingung der >Entsühnung< ist >Reinheit<. Deshalb würde die Lüge den Sinn der Existenz Iphigenies zerstören! Diese eminente Bedeutung des Wahrheitsproblems vebindet Iphigenie mit Immanuel Kants Schrift Über ein vermeintes Recht, aus Menschenliebe lügen (1797) und seinem Traktat Zum ewigen Frieden (1795). Im Gegensatz zur höfisch-absolutistischen Verstellung werden hier Wahrheit und Aufrichtigkeit als "beste Politik" postuliert. Sie allein ermöglichen den ewigen Frieden, während die Verstellung den Krieg ins Unendliche fortsetzt. Allein Wahrheit ist Friede! Das ist die gemeinsame Grundüberzeugung Kants und Goethes. Was Iphigenie über Kants Traktat Zum ewigen Frieden aber hinaushebt, ist die Begründung von Wahrheit und Friede im >Ewig Weiblichen<. "Gewalt und List, der Männer höchster Ruhm" – Machiavelli, der große politische Theoretiker der Renaissance, hat sie im Bilde von Löwe und Fuchs als die beiden wichtigsten Triebkräfte der Politik bezeichnet - "Wird durch die Wahrheit dieser hohen Seele / Beschämt", heißt es am Schluß der letzten Rede Orests.

Seit Bachofens epochemachendem Buch über das Mutterrecht (1861) ist der Atridenmythos, so wie ihn die Orestie von Aischylos dargestellt hat, als Kampf der untergehenden mutterrechtlichen Ordnung - deren Schützerinnen die Erinnyen seien - mit dem in der Heroenzeit aufkommenden und endlich siegenden Vaterrecht gedeutet worden. Anders das mythologische Modell von Goethes Iphigenie: hier weichen die Erinnyen - die Bachofen zufolge bei Aischylos als "Eumeniden" in die neue vaterrechtliche Ordnung integriert werden - nicht einem männlichen, sondern einem weiblichen Recht: dem Recht der Schwesterlichkeit, in der wir das Goethesche Pendant zur aufklärerisch-revolutionären Brüderlichkeit sehen dürfen; diese wie jene lösen eine despotische Vaterordnung ab. Die Lösung des Konflikts und des dramatischen Knotens überhaupt bringt erst die - von Goethe erfundene - >Aufklärung< des Orakelspruchs, demzufolge sich dieser nicht auf das Kultbild der Schwester Apolls, sondern auf die Schwester Orests bezieht. Durch diese Umdeutung des Orakels wird der Einklang des göttlichen Gebots mit den Maßstäben menschlicher Moralität endgültig hergestellt.

Goethe hat seine Iphigenie in späteren Jahren, nämlich in seinem Brief an Schiller vom 19. Februar 1802 als "ganz verteufelt human" bezeichnet. Aus diesem Wort spricht die Skepsis gegenüber der realen Chance der Wahrheit, sich in einer durch das Revolutionszeitalter tiefgreifend veränderten Welt durchzusetzen. Schiller freilich hat auf Goethes skeptischen Brief in seiner Antwort vom 20. Januar 1802 bekannt: "Das, was Sie das Humane darin nennen", werde die "Probe" auf dem Theater "besonders gut aushalten, und davon rate ich, nichts wegzunehmen." Die Wirkungsgeschichte der Iphigenie hat ihm recht gegeben.

 

 

Egmont – Vom Mythos zur Zeitgeschichte

In eine völlig andere stilistische Welt führt Egmont. Dort - in der Iphigenie - Blankvers, hier Prosa, dort Konzentration von Raum, Zeit, Handlung und Personenstand nach dem Muster der drei klassizistischen >Einheiten<, hier epische (>Shakespearesche<) Szenenvielfalt mit verschiedenen Handlungs- und Realitätsebenen. Goethe hat mit seinem Egmont eine Art Mischgattung zwischen Schauspiel und Oper schaffen wollen. Er sah nicht nur für die Liedstrophen Klärchens, der weiblichen Hauptgestalt, sondern auch für die Einleitung und die Zwischenakte Musik vor, ja er wollte das Drama ursprünglich zusammen mit der Partitur veröffentlichen. In diesem Plan, für den er vergeblich auf den befreundeten Komponisten Philipp Christoph Kayser setzte, spiegelt sich sein lebhaftes Engagement für Singspiel und Oper in der Zeit der Italienischen Reise wider. 

Schiller hat in seiner Rezension des Dramas von 1788 an dessen opernhaften Zügen Kritik geübt; das Schlußbild mit der Traumerscheinung Klärchens, Egmonts Geliebter, gar als „Salto mortale in eine Opernwelt“ verworfen. In seiner Bühnenbearbeitung, die er auf Wunsch Goethes 1796 vorgenommen hat und in der das Stück lange gespielt wurde, hat er denn auch die meisten lyrischen Momente, die Lieder Klärchens und die melodramatische Traumvision am Ende eliminiert. In seinem Aufsatz Über das deutsche Theater (1815) hat Goethe Schillers „Redaktion“ als „grausam“ bezeichnet, an ihr jedoch trotz einiger Rückänderungen (so der Wiederherstellung der Traumvision) auch nach Schillers Tod festgehalten. Daß das 19. Jahrhundert mehr und mehr zur Originalfassung zurückkehrte, ist das Verdienst von Beethovens Musik zu Egmont op. 84 (1810). Daß gerade Beethoven die musikalische Tendenz des Egmont besonders tief nachempfinden konnte, zeigt die verwandte Kerkerszene seines Fidelio (1805/14). Florestan, der "in einer an Wahnsinn grenzenden, doch ruhigen Begeisterung" seine Gattin Leonore als "Engel" sieht, der ihn "zur Freiheit ins himmlische Reich" führt, wird zum Bruder Egmonts, dem im Gefängnis sein Klärchen ebenfalls in einer Vision als "Engel" erscheint, welcher ihn (nach dem Vorbild der Befreiung des Petrus in der Apostelgeschichte 5, 19) "durch die Nacht zur Freiheit führt", ja dem sie sich in seinem allegorischen Traumbild in die Gestalt der "Freiheit in himmlischem Gewand" verwandelt. 

Die Entstehung des Egmont hat sich über zwölf Jahre hingezogen. So vermischen sich hier die divergierenden Stilelemente der Frankfurter Jahre (wie in den von Shakespeare inspirierten Volksszenen), der frühen Weimarer Zeit und der Italienischen Reise zu spannungsvoller Einheit. Bleiben die politischen Momente der Iphigenie weithin mythisch-symbolisch verschlüsselt, so treten sie im historischen Trauerspiel Egmont naturgemäß prononcierter hervor. Hier haben die politischen Erfahrungen Goethes während des ersten Weimarer Dezenniums ihren unmittelbaren poetischen Niederschlag gefunden. Im Gewand des geschichtlichen Schauspiels – Schiller hat den Stoff des 16. Jahrhunderts fast gleichzeitig in seiner Geschichte des Abfalls  der vereinigten Niederlande von der spanischen Regierung (1788) als Historiker dargestellt - verbirgt sich ein Zeitstück von geradezu brennender Aktualität. Goethe selbst hat im Zweiten Römischen Aufenthalt auf die Parallele zwischen dem Abfall der Niederlande von der spanischen Monarchie im 16./17.  Jahrhundert und den revolutionären Zeitereignissen in den Österreichischen Niederlanden hingewiesen. Noch Eckermann erfährt von Goethe am 10. Januar 1825: als er in Rom gewesen sei, habe er in den Zeitungen gelesen, „daß die geschilderten revolutionären Szenen in den Niederlanden sich buchstäblich wiederholten. Ich sah daraus, ... daß meine Darstellung einiges Leben haben mußte". 

Kein Zweifel, daß Goethes Darstellung der Politik Philipp II. in den Niederlanden eine Kritik an der Expansionspolitik Joseph II. und an der bürokratisch-rationalistischen Staatsverwaltung des aufgeklärten Absolutismus enthält. Für seine überstürzten Reformen und machtpolitischen Anmaßungen erhielt der Kaiser nun in Brabant die Quittung. Das Scheitern der habsburgischen Politik vor allem in den Österreichischen Niederlanden bestätigte Goethe in seinem Urteil über den aufgeklärten Absolutismus, wie er es sich aufgrund seiner Lektüre der Patriotischen Phantasien von Justus Möser zueigen gemacht hatte, deren Einfluß gerade auf Egmont unverkennbar ist.

Goethe empfand seinen Egmont als eine Art poetischer Vorwegnahme dieser Ereignisse. Die Auseinandersetzung Egmonts mit Alba im vierten Aufzug greift die entscheidenden Streitpunkte zwischen dem alten wie neuen Kaiser und den belgischen Aufständischen auf. Nach Egmont "wünscht der Bürger seine alte Verfassung zu behalten, von seinen Landsleuten regiert zu werden" (Selbstverwaltung), während für Alba "nichts natürlicher [ist], als daß ein König durch sich zu herrschen gedenkt und denen seine Befehle am liebsten aufträgt, ... die seinen Willen unbedingt ausrichten" - also einem zentralisierten Beamtenapparat, der freilich, so wiederum Egmont, "ohne Kenntnis des Landes und seiner Bedürfnisse nach Belieben schalten und walten kann" kann.

Es wäre gewiß verfehlt, Alba völlig zum Sprecher des aufgeklärten Absolutismus zu machen - in manchen Punkten verkörpert er dessen genaues Gegenteil -, aber kein Zweifel, daß Goethe ihm Worte in den Mund legt, die den Maximen Joseph II. genau entsprechen. Wenn Alba es als die "Absicht" des Königs bezeichnet, die Niederländer "zu ihrem eigenen Besten einzuschränken, ihr eigenes Heil, wenn's sein muß, ihnen aufzudringen", wenn Egmont dieses Bestreben mit den Worten kommentiert: "Er will den inneren Kern ihrer Eigenheit verderben, gewiß in der Absicht, sie glücklicher zu machen", damit sie "etwas werden, ein ander Etwas" - so liegt es fast näher, an den römischen Kaiser der Gegenwart als an den spanischen König der Vergangenheit zu denken. 

Man hat sich oft gefragt, wie es zu erklären sei, daß Goethe in seinem 1787 abgeschlossenen Egmont die niederländische "Revolution" in einem durchaus vorteilhaften Licht erscheinen läßt, die Französische Revolution zwei Jahre später jedoch so schroff verurteilt. Kein Zweifel: Revolution und Revolution sind hier für Goethe zwei verschiedene Dinge. Der aus der Astronomie stammende Begriff >Revolution< bedeutet ursprünglich den in sich zurückkehrenden kreisförmigen Umlauf der Gestirne und demgemäß die Wiederkehr der Zeiten: die Wiederherstellung des >alten Rechts<, eines durch Despotismus gestörten Rechtszustandes. Die Französische >Revolution< hat diesem Begriff jedoch einen völlig neuen Sinn verliehen. Sie strebte danach, an die Stelle der komplizierten traditionellen Ordnung die einfachen, aus Naturrecht und reiner Vernunft abgeleiteten Gesetze treten zu lassen. Der Abfall der Niederlande ist demgegenüber eine Revolution im alteuropäischen Sinne: sie wird von ihren Führern verstanden als eine im Rahmen des konstitutionellen Widerstandsrechts verlaufende Erhebung gegen die zentralistisch-absolutistischen Bestrebungen des entstehenden neuzeitlichen Staates, im Namen der alten, nach historischem Recht gesicherten Lebensformen. In diesem Punkt hat Goethes Drama die geschichtliche Wahrheit vollkommen getroffen, so sehr er in der Zeichnung der Einzelcharaktere, zumal Egmonts, von der historischen Wahrheit abweicht. Auch der Unabhängigkeitskampf in den Österreichischen Niederlanden 1787/89 ist noch eine Revolution in der hergebrachten Bedeutung, mit der gleichzeitigen Französischen Revolution also keineswegs tendenzgleich.

 

Torquato Tasso – Die Erfindung des Dichterdramas

Anders als Iphigenie und Egmont ist das dritte der großen Dramen, deren Konzeption noch ins erste Weimarer Dezennium fällt, erst nach der Rückkehr aus Italien vollendet worden: Torquato Tasso. Mit ihm kehrt Goethe in die Welt des klassisch-geschlossenen Dramas zurück. Tasso ist ein Kammerspiel für fünf Personen, sein einziger Schauplatz das Lustschloß Belriguardo. In der an der klassizistsischen französischen Tragödie geschulten Formstrenge spiegelt sich jene >vornehme< Disziplin des Gefühlslebens, die strenge Affektkontrolle der höfischen Zivilisation wider. Goethe hat hier zweifellos eigene Erfahrungen aus der ersten Weimarer Zeit zur Darstellung gebracht: die Kollision des >Sturm und Drang<, der sich gerade die Emanzipation des Gefühls von den Affektzwängen der höfischen Zivilisation zum Zweck gesetzt hatte, mit der "Musik" des "Hoflebens ..., wo jeder seine Takte und Pausen halten muß" (Goethe zu Eckermann, 16. August 1824).

Tasso ist das erste echte Künstler- und Dichterdrama der Weltliteratur. Die Handlung wird gewissermaßen am fiktiven Schnittpunkt zweier Zeitalter angesiedelt. Auf der einen Seite stehen die Repräsentationsansprüche der traditionellen höfischen Gesellschaft, auf der anderen die auf Autonomie pochende moderne Dichterexistenz. Tasso selber - der fiktive, nicht der historische Dichter - spiegelt authentisch die Existenzproblematik des höfisch-bürgerlichen Künstlers am Ausgang des Ancien Régime. Die "Disproportion des Talents mit dem Leben", die Goethe Caroline von Herder gegenüber als den "eigentlichen Sinn" seines Tasso bezeichnet hat, ist – zumindest auch – eine Disproportion zwischen dem ästhetischen Anspruch des modernen Dichters und dem traditionellen sozialen Gefüge, in dem er sich bewegt. 

Tassos Zerrissenheit ist freilich nicht nur sozial-, sondern ebensowohl individualpsychologisch zu begründen. Der historische Tasso galt schon lange vor Goethe als typischer Repräsentant der Künstlermelancholie. Bereits Montaigne hat ihn in diesem Sinne porträtiert. Auch das Psychogramm des Goetheschen Tasso zeigt eine Fülle von Symptomen, welche die Humoralpathologie von jeher dem melancholischen Temperament zurechnete. Dazu gehören sein Hang zur Einsamkeit, sein realitätsblinder Argwohn und Verfolgungswahn bis an den Rand der Misanthropie (die Nähe zu Molières Misanthrope ist nicht zu verkennen), die Selbstquälerei und das verzweifelte Nicht-fertig-werden-Können mit dem eigenen Werk, die hypochondrischen Grillen, die Zerstreutheit und Unfähigkeit, mit Geld und materiellen Dingen haushälterisch umzugehen, ja überhaupt sein Leben selbst zu besorgen usw. Das erste echte Dichterdrama der Weltliteratur ist also geradezu ein Kompendium der Künstlerpathologie.

Der "klassische"Goethe

Scherenschnitt

Iphigenie auf Tauris

Iphigenie und Orest

Kaulbach

 

Iphigenie

Kunstpostkarte

 

Iphigenie mit Orest und Pylades

Kreidezeichnung von
Angelika Kauffmann (1787)

Hörbeispiel zum »Egmont«

Wilhelm Faßbender: Beethoven beim Komponieren im Studierzimmer. Quelle: Beethoven-Haus Bonn

Beethovens Ouvertüre (f-Moll) zu Johann Wolfgang von Goethes Trauerspiel "Egmont" op. 84 (Beethoven Haus Bonn)

Egmont

Plakat Egmont

Leipziger Theater

 

Rollenporträt Egmont

 

Clärchen

Kaulbach

Goethe und Schiller in Jena

Torquato Tasso

Leonore von Este und
Leonore Sanvitale

Künstlerpostkarte

 

Leonore

Kaulbach

 

Dichterkrönung

Kupferstich von Gustav Heinrich Naeke

 

 

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