goethe


Jutta Assel | Georg Jäger

Friedrich Overbeck:
Der Triumph der Religion in den Künsten

Kommentar und Kritik
– eine Dokumentation
Teil I

 

Eingestellt: Februar 2005
Stand: November 2010
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Gliederung

 



1. Friedrich Overbecks
Triumph der Religion in den Künsten



 

Der Triumph der Religion in den Künsten

 

Friedrich Overbeck: Der Triumph der Religion in den Künsten, 1831-1840. Öl auf Leinwand, 392 x 392 cm. In Auftrag gegeben vom Städelschen Institut 1829, erworben 1840. Städelsches Kunstinstitut, Frankfurt a.M. – Abb. im Katalog: Die Nazarener. Hrsg. von Klaus Gallwitz. Frankfurt a.M.: Städel 1977, F 19, S. 288.

 

Zur Beachtung:
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1829 erhielt Friedrich Overbeck, das derzeitig verehrte Vorbild für Werk und Lebensführung der sog. Nazarener in Rom, von der – nach langen Erbstreitigkeiten endlich handlungsfähigen – Stiftungsadministration des nachmaligen Städel'schen Kunstinstitutes in Frankfurt am Main den Auftrag für ein historisches Gemälde, dessen Gegenstand er frei wählen konnte.

Ursprünglich als Leiter bzw. Direktor der neugegründeten Malschule und Galerie des "Städel" vorgesehen, hatte Overbeck auf die Stelle verzichtet zugunsten seines römischen Malerfreundes und Lukasbund-Bruders Philipp Veit (1793-1877), der ab 1830 in Frankfurt amtete und im Sinne Overbecks für eine religiöse Durchdringung und Ausrichtung der Kunst eintrat.

Ab 1832 vergab die Städel-Administration weitere Aufträge: Philipp Veit sollte das 1833 eröffnete Institutsgebäude mit Fresken schmücken. Veits gemaltes Kunstprogramm reflektierte in historischen Figuren, Allegorien und Arabesken Grundzüge der Kunstgeschichte nach den Vorstellungen der Nazarener. So zeigte ein Deckenfresko im sog. "Großen Saal", "wie auf den Trümmern der antiken Kunst nach der Nacht der Barbarei, ein neues Kunstleben durch den Einfluß der Religion erwacht" (J. D. Passavant, in: Kat. Nazarener, Frankfurt 1977, S. 263). Nazarenisches Kunstgeschichte-Konzept mit katholisch-restaurativen, monarchischen Tendenzen kennzeichnet Veits dreiteiliges Wandbild "Die Einführung der Künste in Deutschland durch das Christentum", dessen großes Mittelbild darstellt, wie durch das Christentum deutsche Kultur und Kunst erweckt und gepflegt wurden. Allegorische Figuren der Italia und Germania zeigen die Flügelbilder (sie stehen für die geistlich-päpstliche bzw. die weltlich-kaiserliche Gewalt; das Fresko wurde 1834-36 ausgeführt; s. Kat. Best. Städel 1972, S. 449 ff.).

1831 hatte Overbeck einen ersten Entwurf seines Auftragswerkes (d.i. die Rohfassung des "Triumphes der Religion in den Künsten") nach Frankfurt gesandt und bei seiner im selben Jahr gemachten ersten Deutschlandreise das Programm wohl auch mit Veit u.a. besprochen. Seine dort fixierte Überzeugung über die Abhängigkeit der Kunst vom Christentum spiegelt sich in den parallel entstehenden Arbeiten Philipp Veits (s.o.) und zahlreichen des Nazarenerkreises wider (vgl. z.B. Moritz von Schwinds "Die Künste im Dienste der Religion," 1847, oder Josef Führichs "Die Einführung des Christentums in die germanischen Urwälder," 1864).

Weitere Aufträge der Frankfurter Städel-Administration zielten auf die zeitgenössische Ergänzung der Gemäldesammlung alter Meister aus dem Besitz des Stifters. Zum Zuge kamen während der Amtszeit Philipp Veits (bis 1843) seine ehemaligen Lukasbund-Brüder Julius Schnorr von Carolsfeld ("Der barmherzige Samariter," 1833) und Wilhelm von Schadow ("Die Parabel von den klugen und den thörichten Jungfrauen," bestellt 1835, erworben 1842) bzw. Nazarener-Schüler wie Eduard von Steinle, Moritz von Schwind, Alfred Rethel.

Die materielle Entstehungsgeschichte von Overbecks "Triumph der Religion in den Künsten" läßt sich anhand seines Tagebuches, Briefwechsels und Kunstnotizen verfolgen (vgl. Kat. Best. Städel 1972, S. 267 f.): Im November 1832 wurde die Leinwand auf den Rahmen gezogen; im März / April 1833 der Umriß des Bildes vom Karton auf die Leinwand durchgezeichnet und mit der Feder ausgezogen; Januar bis Juli 1834 arbeitete er an der Untermalung des oberen Teiles; trotz fleißigen Arbeitens ist die Untermalung des gesamten Bildes im August 1835 noch nicht beendet; nebenher mußte Overbeck möglichst gesicherte Porträts der gesamten dargestellten Künstler besorgen, wozu er wohl Bildnisse aus den Künstlerviten von Vasari, Sandrart, Karel van Mander etc. benutzte bzw. zum Teil auch Hilfe von Künstlerfreunden erbat.

Die Fertigstellung schritt nur langsam voran: erst im Frühjahr 1840 legte er letzte Hand an das Bild, das vom 20. Mai an in Overbecks römischem Atelier ausgestellt und von zahlreichen Besuchern besichtigt wurde. Im September fand der Transport nach Frankfurt statt, wo es – noch ungefirnisst – ab dem 30. Oktober im Städel ausgestellt wurde. Begleitet von einer Erläuterungsschrift Overbecks, welche die ikonographische Ausdeutung der Komposition vornimmt (Nr. 3), löste es sofort lebhafte Diskussionen und kritische Stellungnahmen aus (Nr. 4-5).

Als inhaltliche und kompositionelle Anregungen werden in der Literatur seit dem 19. Jahrhundert genannt: August Wilhelm Schlegels Gedicht "Der Bund der Kirche mit der Kunst" (1800) bzw. – als gedankliche wie künstlerische Vorstufe – die beim Abschiedsfest von Kronprinz Ludwig von Bayern am 20. April 1818 in der Villa Schultheiß in Rom aufgestellten programmatischen Transparentbilder, geplant von Peter Cornelius, ausgeführt von den deutschen Künstlern des Nazarenerkreises. Die Transparente zeigten neben fünf allegorischen Figuren der Künste in Porträts die vorbildlichsten Künstler aller Zeiten bzw. die Beschützer und Mäzene der Künste (vgl. Kat. Best. Städel 1972, S. 268).

Für die kompositionell-ästhetische Organisation des Bildes dürften vorbildhaft sein Raffaels Fresken der "Disputa" (1509/10) und der "Schule von Athen" in der Stanza della Segnatura des Vatikans; auch auf seine Foligno-Madonna (1511) wie seine "Marienkrönung" (1503/04) wird hingewiesen (vgl. Kat. Nazarener, Frankfurt 1977, S. 265). Overbeck läßt sich von diesen bewunderten Vorbildern anregen, doch kopierte er nichts, sondern verarbeitete Einzelheiten wie auch die Komposition neu zu einem eigenständigen Werk.

Overbecks "Triumph der Religion in den Künsten," auch "Das Magnificat der Kunst" betitelt, ist eines seiner bedeutendsten Werke und in den Ausmaßen sein größtes (392 x 392 cm). Im oberen Teil erscheint als Vision die Madonna – zugleich als Vertreterin der Poesie als der vornehmsten Kunst –, umgeben von Heiligen des Alten und Neuen Bundes (diese auch als Vertreter der Künste). Im unteren Teil sind, gruppiert um einen Springbrunnen (Lebensbrunnen mit der Fontaine als Symbol der himmelan steigenden Richtung der bildenden Kunst), jene Künstler versammelt, die ihre Kunst ganz oder zum großen Teil der Religion gewidmet haben. Es sind dies christliche Künstler des Südens und Nordens bis zum 16. Jahrhundert; bedeutsam war für Overbeck wohl die Manifestation der ideellen Einheit der altitalienischen und altdeutschen Kunst. Die folgenden Epochen ("Nacht der Barbarei") sind ausgeschlossen wie die Antike. Doch sind am linken mittleren Bildrand drei Zeitgenossen aufgenommen: Overbeck porträtierte sich mit zweien seiner Lukasbrüder, Philipp Veit und Peter Cornelius, als Zeichen, dass sie im Geiste der mittelalterlichen Kunst weiterarbeiteten.

Der Auftrag für ein Gemälde seiner Wahl bot dem vierzigjährigen Overbeck – der in Rom mit Gleichgesinnten in selbstgewählter Bescheidung als freier Künstler immer ausschließlicher sich der christlichen Kunst widmete – die Gelegenheit, seine grundlegenden Kunstanschauungen als gemaltes Manifest vor eine breite Öffentlichkeit zu bringen.

Das Bemerkenswerte an diesem Propagandabild von Overbeck – der nach F. Th. Vischer mit dem "Triumph der Religion" "einen Katechismus gemalt, [...] mit dem Pinsel eine Abhandlung geschrieben, [...] mit der Palette" disputiert hat – sind die sich hierin manifestierende Kontinuität, mit welcher der Künstler seit seinen Anfängen als kritischer Kunstadept in Wien seine damals gefaßten künstlerischen Überzeugungen und Mittel beibehielt, und die Konsequenz, mit der er die kunstmissionarische Linie verfolgte: schon 1807/08 hatte er als Student der Wiener Kunstakademie deren eklektische Lehrmethode wie deren an Anton Raphael Mengs (1728-79) orientierten akademischen Klassizismus (mit ausschließlichem Vorbild der klassischen Antike) heftig abgelehnt; seine ausgeprägt antiakademische Haltung ließ ihn später jede angebotene Stelle innerhalb von Institutionen oder vergleichbaren Abhängigkeiten ausschlagen – im Unterschied zu seinen nazarenischen Künstlerfreunden.

Overbecks außerakademische Kontakte in Wien zu dem Maler Eberhard Wächter, besonders aber seine innige freundschaftliche Bindung an den ebenfalls akademie-kritischen Mitstudenten Franz Pforr ließen ihn nach neuen Wegen in der Kunst suchen: 1808 verbanden sich die beiden mit vier weiteren Akademieschülern (Johann Konrad Hottinger, Joseph Sutter, Ludwig Vogel, Joseph Wintergerst) zu gemeinschaftlichen Studien; 1809 gründeten sie die Lukas-Bruderschaft. Das von Overbeck entworfene Symbol des Bundes zeigt über dem malenden Hl. Lukas und den Initialen der Gründungsmitglieder wie der "Wahrheit" in den Eckzwickeln des Blättchens Schwert und Fackel als Symbole kämpferischen Sendungsbewußtseins!

Die Lukasbrüder praktizierten – besonders nach Overbecks, Pforrs, Vogels und Wintergersts Übersiedlung nach Rom 1810, im neuen gemeinsamen Wohnsitz im Kloster S. Isidoro auf dem Pincio – eine ordensähnliche, ganz dem Kunststudium gewidmete Lebens- und Arbeitsgemeinschaft. Vorbildhaft waren ihnen hierbei die frühromantischen Schriften von Wilhelm Wackenroder und Ludwig Tieck ("Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders," 1797; "Franz Sternbalds Wanderungen," 1798), wohl auch Novalis, Friedrich Schlegel u.a.

Noch in Wien hatten Overbeck und Pforr in den Museen altdeutsche und frühe italienische Werke kennen- und bewundern gelernt; besonders Dürer und der frühe Raffael wurden die verehrten Vorbilder des frühen Lukasbundes. In Rom suchten sie nicht wie die bisherigen Kunstjünger und Bildungsreisende die klassische Antike, sondern die Kunst aus der Zeit vor Raffael, deren Schlichtheit, Einfalt und religiöse Durchdringung ihnen den Weg zur Erneuerung der Kunst zeigen sollten. Reformziel war die künstlerische Wahrheit ihrer Kunst, das Bekenntnis zum inneren Empfinden, die Wahl christlicher und nationaler Themen, genaues Naturstudium sowie die Entwicklung eines exakten Zeichenstils in Anlehnung an die altdeutschen Meister.

Wie vorbildhaft die reine Kunst der italienischen Tre- und Quattrocentisten empfunden wurde, mag eine Tagebuchstelle Overbecks vom 9. Oktober 1811 erhellen:

Nur das ununterbrochene Herzens-Gebet ist im Stande die Begeisterung des Künstlers festzuhalten; nur ein ordentlicher und unsträflicher Lebenswandel giebt ihm diejenige Ruhe des Geistes und Gemüthes, die unumgänglich nothwendig ist, um wahrhaft reine Werke hervorzubringen. Wie rein mag die Seele des frommen Fiesole [Fra Angelico, 1387-1455] gewesen sein, wie so ganz leidenschaftslos, ganz der himmlischen d.i. der christlichen Liebe hingegeben! wie streng und pünktlich sein klösterlicher Lebenswandel! (Howitt: Overbeck, Bd.1, S. 182)

 

Gemeinsame Modell- und Kompositionsstudien, Projekte wie die Pläne zu einer gemeinsamen Bilderbibel (seit 1811) oder die Freskierung der Casa Bartholdy (1816/17) bzw. des Casino Massimo (1817-29) festigten die Gemeinschaft der Lukasbrüder trotz der Differenzen, die es z.B. zwischen dem katholischen und protestantischen Zweig der Künstler gab. Während seiner römischen Jahre (1818-27) galt der begabte Julius Schnorr von Carolsfeld als der Anführer des protestantischen, durch die preußische Gesandtschaft gestützten Flügels. Friedrich Overbeck entwickelte sich, nach seiner Konversion 1813, seit den 1820er Jahren zum Haupt einer zunehmend dogmatischen, ausschließlich der katholischen Kirche dienenden Kunstrichtung; nach ihm sollte die Kunst predigen, nicht verführen.

Wegen ihrer gescheitelten langen Haare, der strengen dunklen Kleidung und ihrer auffallenden Frömmigkeit, die sich gegen die "heidnischen," fröhlich auch dem Genuß lebenden anderen Künstler Roms absetzte, erhielten die Lukasbrüder und ihr Kreis seit ca. 1814 den ironischen Beinamen "i nazareni". Der Lukasbund hatte sich in Rom um zahlreiche Mitglieder erweitert, die ihrer Kunst und ihres Lebenswandels wegen der Aufnahme für würdig befunden wurden: Giovanni Colombo, Wilhelm Schadow, Johannes Veit und sein Bruder Philipp, Christian Keller, Peter Cornelius, Friedrich und Ferdinand Olivier, Julius Schnorr von Carolsfeld, Johannes Scheffer von Leonhardshoff u.a.

Friedrich Overbeck blieb in Rom dem klösterlich-asketischen Lebensideal des Lukasbundes wie den damals in der Gemeinschaft geübten, entwickelten, studierten, erkannten inhaltlichen, formalen und handwerklichen "Erneuerungen" ihrer Kunst Zeit seines Lebens treu. Sie bilden modifiziert noch die wesentlichen Kriterien seiner immer dogmatischeren Kunstdoktrin: Ablehnung der heidnischen antiken und der profanen Kunst seit der Renaissance inklusive des klassizistischen Akademismus; Bindung der Kunst an die katholische Kirche; inhaltliche wie formale Erneuerung durch die Rezeption und Nachempfindung der italienischen und deutschen Kunst der Vorrenaissance; Durchsetzung dieser Kunst durch kompromisslose Bildkonzepte und missionarischen Einsatz dafür.

In seinem "Triumph der Relgion" beschwört Overbeck durch die Zusammenschau ihrer bedeutendsten christlichen Vertreter diesseits und jenseits der Alpen die vergangene Größe dieser Kunst, die es wiederzugewinnen gilt. Die ausschließliche Aufnahme christlicher Künstler bis zum 16. Jahrhundert in einen "Künstler-Parnaß" stieß bei seinen Zeitgenossen sofort auf Kritik. Der wertende Ausschluß sowohl von Künstlern der Antike wie der Nach-Renaissance wie auch die qualifizierende Positionierung der Aufgenommenen um die himmelanstrebende Fontäne (d.i. die christliche Kunst) sorgten sofort für kritische Stellungnahmen aus diversen Lagern, die sich einig waren in der Ablehnung seiner doch sehr borniert-einseitigen Auswahlkriterien wie zum Teil in der Kritik an seiner antiquierten Kompositions- und Malweise.

Der junge Hamburger Künstler Erwin Speckter, der zum Nazarenerkreis gehörte, äußerte sich brieflich bereits 1831 über den in Rom gesehenen Karton-Entwurf Overbecks in einer Weise, welche die späteren Kritiken vorwegnahm:

[...] dieses Bild [hat] mich nicht erfreuet, sondern nur traurig gemacht [...] Erstlich ist es doch ein gänzliches Unding, ein Widerspruch sonder Gleichen, ein christlicher Künstlerparnaß! Entweder auf den Parnaß gehören alle Künstler, oder den christlichen Künstlern gehört nicht der Parnaß – und dann, ist es nicht furchtbar einseitig und engherzig, auch in der Kunst zu scheiden und zu trennen, wie leider genug das Leben schon trennt und scheidet [...] Nein, nicht die alten Meister sind ausgeschlossen, die ruhen schon Jahrhunderte, Jahrtausende in dem Lorbeerschatten des Parnasses und wir sind die Ankömmlinge. Wir nur sollten trachten, daß sie uns aufnehmen! (Kat. Ausst. Overbeck, Lübeck 1989, S. 68)

 

Es ist einigermaßen befremdlich, daß der von allen Zeitgenossen als ausnehmend bescheiden bezeichnete Overbeck sich mit zwei Lukasbund-Brüdern in seinen Künstler-Parnaß aufgenommen hat, während die bedeutendsten – häufig katholischen – Künstler des Barock fehlen. In seinen "Erläuterungen" spart er jeglichen Hinweis auf sich und seine Künstlerfreunde Cornelius und Veit aus!

Sollte Friedrich Pechts, des Münchner Malers und Kunstschriftstellers, Charakteristik Overbecks zutreffend sein, dem der Meister 1852 "mit jener stolz demüthigen Haltung entgegen [trat], die die Frommen fast überall auf den ersten Blick erkennen läßt [...] Wenn er sich sanft und wohlwollend gibt, so wäre es doch sehr unrichtig, ihn für schlaff zu halten, im Gegenteil steht ihm die schneidenste ironische Schärfe zu Gebot, [...] und es ist schwerlich ungerecht, wenn man sich dieser Taubensanftheit auch die Schlangenklugheit zugesellt denkt, so anerkannt edel und unantastbar auch sein Charakter ist [...]." (Kat. Ausst. Overbeck, Lübeck 1989, S. 13f.)


 

Kritische Stimmen

 

Die kritischen Stimmen gegen Overbecks "Triumph der Religion in den Künsten" kommen sowohl von Personen, die ihm und der nazarenischen Kunst gegenüber positiv eingestellt waren, wie von Gegnern derselben.

August Kestner (1777-1853; vgl. Nr. 4) war mit Overbeck seit 1805 in Lübeck bekannt, als er dem kunstinteressierten Jüngling seine mitgeführten neuen Zeichnungen der Brüder Riepenhausen nach altitalienischen Meistern zeigte. Der spätere Legationsrat, Schriftsteller und Malerdilettant blieb Overbeck stets freundschaftlich und in Bewunderung seines Werkes verbunden. Doch Overbecks "Erläuterungen" (Nr. 3) hatten – mehr als das Bild – Kestners entschiedenen Widerspruch provoziert. Seine im "Kunstblatt" 1841 abgedruckte Kritik weist programmatische Positionen Overbecks als intolerant und historisch unmöglich zurück: weder träfe antike Bildhauer, die von Christus ja nichts gewußt haben könnten, die Schuld hieran, noch sollten christliche Künstler das Heidentum "mit entschiedener Verachtung" behandeln. Kestner verurteilte Overbecks Annulierung der Antike unmißverständlich; eine Reaktion Overbecks ist nicht bekannt.

Scharf und bewußt polemisch greift Friedrich Theodor Vischer (1807-1883; vgl. Nr. 5), der bedeutendste Vertreter einer auf Hegel basierenden, systematischen Ästhetik, Overbecks dogmatische Setzungen an. Der als Professor für Philosophie und Ästhetik wegen seiner freisinnig-religionskritischen Antrittsrede 1844 in Tübingen umgehend für zwei Jahre vom Dienst suspendierte Publizist und Kritiker lehnt Overbecks "im tadelnden Sinne modernes Produkt" als tendenziöses Konstrukt ab, weist in den "Erläuterungen" (Nr. 3) logische Widersprüche nach und betrachtet das Gemälde als anachronistisch: die "realistische" belgische Historienmalerei mit ihrem ungewohnt satten Kolorit hatte zeitgleich im Frankfurter Städel Einzug gehalten (vgl. Kat. Ausst. Overbeck, Lübeck 1989, S. 68f.).

Anton Springer (1825-1891; vgl. Nr. 6), einer der Begründer der modernen Kunstgeschichtsschreibung, markiert mit seinem Text die einsetzende objektivierende Einordnung von Overbecks Werk und Wirkung in die "bildenden Künste der Gegenwart" (1856). Bemüht um ein "strengwissenschaftliches Urtheil" (ebd., S. 687), analysiert er kenntnisreich Overbecks Bedeutung für die nazarenische Kunstbewegung wie auch einzelne seiner Werke. Einig ist er sich mit den anderen Kritikern in der Ablehnung des dogmatisch-einseitigen "mittelalterlich-historischen Ideals" wie der "Verachtung des Heidenthums, d.i. der Antike" durch Overbeck, "weil wir diese Verachtung dem Geiste der mittelalterlichen Kunstauffassung selbst widersprechend finden" (ebd., S. 681).

Doch urteilt Springer nuancierter: Overbeck "gibt uns sein künstlerisches Glaubensbekenntnis, seine persönliche Ansicht von der Kunstentwickelung und übt über alle hervorragenden Erscheinungen der Vergangenheit das kritische Richteramt. Zu wissen, was Overbeck von diesem oder jenem Meister urtheilt, mag unter gewissen Verhältnissen von großem Interesse sein. Es ist solche Explication aber ungehörig in einem monumentalen Werke, das die Verherrlichung der Kunst sich zur Aufgabe erwählt. Die göttliche Abkunft der Kunst zu schildern, ist ein großer und reicher Gedanke [...] Aber dann durfte nicht über künstlichen Unterscheidungen die Einheit vergessen werden, die Alle, die sich dem göttlichen Berufe zuwenden, umfaßt" (ebd., S. 683).

Es krankt, mit einem Worte, Overbeck's Bild an der einseitigen Reflexion; es ist mehr mit dem Verstande als mit der Phantasie geschaffen und eben deshalb in unlebendigen, matten Formen durchgeführt. Wenn es sich darum handelt, Overbeck's biblisch-theologischen Scharfsinn, seine reiche und tiefe Denkkraft zu beweisen, dann wird der Triumph der Religion, immer noch das Beste von allen didaktisch-allegorischen Bildern der Gegenwart, [...] zuerst genannt werden müssen" (ebd., S. 684).

 





Da Viele den Wunsch ausgesprochen haben, dass ich selber Einiges zur Erklärung meines Bildes niederschreiben möchte, theils um Missdeutungen zuvorzukommen, theils um Manches, was sonst den Meisten dunkel bleiben dürfte, verständlich zu machen, und endlich um dem Gedächtnis Aller zu Hülfe zu kommen, so habe ich geglaubt, durch nachstehende Zeilen diesem Wunsche zu begegnen, und besonders jungen Künstlern einen Dienst zu erweisen.

Und zwar pflegt leicht die erste Frage zu sein, welchen Namen man dem Bilde zu geben habe, um durch einen einzigen bezeichnenden Ausdruck am leichtesten zum Verständniß des Ganzen zu gelangen. Deswegen will ich damit anheben, dass es mich dünkt, das Bild könne am schicklichsten: Der Triumph der Religion in den Künsten, oder auch kürzer noch: Das Magnificat der Kunst genannt werden. Denn gleichwie oben die Mutter Gottes selber diesen ihren Lobgesang niederschreibt, um, gleichsam als Chorführerin, Alle aufzufordern, Gott dem Herrn die Ehre zu geben, so drückt auch der gesammte Künstlerverein unten, indem er nur aus solchen Meistern besteht, die vorzugsweise ihre Gaben dem Dienste der Religion geweiht, und in ihren Werken zugleich dem Geiste derselben am meisten entsprochen haben, denselben Gedanken aus, dass die Künste hier nur in so weit gefeiert werden, als sie zur Verherrlichung Gottes beigetragen, und so eine der lieblichsten Blüthen bilden, mit denen Seine Kirche geschmückt erscheint.

 

 

 

 

Es ist demnach der ganze obere Theil des Bildes wie eine Vision zu betrachten, die dem Geiste der unten versammelten Künstler vorschwebt; wo sich um die in der Mitte mit dem göttlichen Kinde thronende Jungfrau, zu beiden Seiten diejenigen Heiligen des alten und neuen Bundes ordnen, die am häufigsten der christlichen Kunst zur Aufgabe gedient haben; mit näherer Beziehung zugleich auf die einzelnen Künste in den vier vordersten Gestalten, die einen Beleg bieten, dass Gott der Herr selber sie nicht nur erlaubt, sondern auch mehrfach sanctionirt hat. Und zwar deutet auf der alt-testamentlichen Seite König David mit seinem Saitenspiel auf die Musik, König Salomo mit dem Modell vom ehernen Meer auf die Sculptur; auf der neu-testamentlichen aber der hl. Lucas, nach der bekannten frommen Sage, auf die Malerei, und der hl. Johannes, mit dem Grundriß des himmlischen Jerusalem zu seinen Füßen, auf die Architektur. Die Poesie aber erscheint in der Mitte durch die hl. Jungfrau selbst, die jenen erhabenen Lobgesang niederschreibt, vertreten; indem die Poesie Centrum aller Künste ist, wie das Geheimniß der Menschwerdung Gottes aus der Jungfrau Centrum aller religiösen Ideen ist. In den übrigen Gestalten zu beiden Seiten ist nun einestheils der unerschöpfliche Reichthum angedeutet, der der Kunst in den christlichen Aufgaben geboten ist, so dass sie keineswegs nöthig hat, mit jener Lüsternheit nach den Fabeln des Heidenthums zu blicken, als ob ihr im Gebiete christlicher Begriffe ein allzu enges Feld gegönnt sei; anderntheils aber auch anschaulich gemacht, wie die Künste in dem so bilderreichen Charakter der Religion schon veranlasst sind, da im alten Bunde der Herr selber uns gleichsam ein Bild vor Augen hält von dem, was nachmals, in der Fülle der Zeiten, in Wirklichkeit treten sollte; im neuen aber der Heiland wiederum in seinen Heiligen auf's mannichfaltigste nachgebildet erscheint.

Auf der alt-testamentlichen Seite sitzen zuvorderst Moses, Aaron und Noah mit solchen Attributen, die die göttliche Anordnung der Künste nachweisen; dann sind hinten die hauptsächlichsten Vorbilder zusammengestellt, nemlich der Krieger Josua, der Israel in's gelobte Land eingeführt hat, wie der Erlöser die Seinigen in das Reich Seines Vaters einführt; neben ihm Melchisedek, der das ewige Priestertum Christi vorbildet; hinter diesen Joseph mit der Garbe, der auf die Speisung der Gläubigen durch das lebendige Brod vom Himmel deutet. In weiterer Ferne dann Abraham mit dem Opfermesser, als Bild des ewigen Vaters, der Seinen Eingeborenen opfert; neben ihm Sarah mit Isaak als Bild der Kirche, und zuletzt Adam und Eva, als Ebenbild Gottes und Meisterstück aus der Hand des himmlischen Bildners.

Auf der neu-testamentlichen Seite erscheint zunächst in den drei sitzenden Gestalten Petrus, Paulus und Stephanus, welche die drei Grade des Priesterthums, den Episkopat, Presbyterat und Diakonat bezeichnen, die himmlische Sendung des Heilands nachgebildet, wie Er selber spricht: Wie mich der Vater gesendet hat, also sende ich euch. Dann Sein Lehramt in den Kirchenvätern, Augustinus, Hieronymus und Thomas von Aquin; ferner Sein Leiden in den Martyrern, Sebastianus und Papst Fabianus; Seine fleckenlose Reinheit in den Jungfrauen, Cäcilia und Agnes; und zuletzt beschließt die Gruppe die Kaiserin Helena mit dem Kreuz Christi, durch welches auf den himmlischen Adam hingewiesen wird, wie der irdische die jenseitige Gruppe beschließt; wie denn beide Seiten überhaupt nicht ohne Beziehungen herüber und hinüber gedacht sind, die jedoch, weil nicht überall scharf genug um nachgewiesen zu werden, besser dem eigenen Gefühl des Beschauers aufzufinden überlassen werden.

 

 

 

 

Indem ich nun zu dem untern Theile des Bildes übergehe, so tritt hier zunächst der Brunnen in der Mitte dem Blick entgegen, der durch seinen aufsteigenden Wasserstrahl, anspielend auf das Bild, dessen sich der Herr im Evangelium bedient von dem Springquell der in's ewige Leben emporsprudelt, als Symbol der himmelanstrebenden Richtung der christlichen Kunst erscheint; im Gegensatz zu der Vorstellung der Alten, die sich auf dem Parnaß eine vom Berge abwärts strömende Quelle dachten. So ist demnach jede Kunstrichtung, die sich im Bilde angedeutet findet, nur insofern hier gemeint, als sie nicht in Widerspruch tritt mit eben dieser himmelwärts gerichteten Intention des Ganzen. Denn die christliche Kunst schließt zwar keine Seite der Kunst, keine Entwicklung derselben aus, sie mag sie vielmehr alle in sich zu begreifen, aber um alle zu adeln und zu heiligen, und als Opfer Dem darzubringen, der zu allen die Fähigkeiten in den Menschen gelegt.

Darum erscheint hier auch der Brunnen mit einem zweifachen Wasserspiegel, indem sich in dem obern Becken der Himmel, im untern aber die irdischen Gegenstände abspiegeln; wodurch das doppelte Element der Kunst angedeutet wird, die einerseits zwar geistigen Wesens ist, und als solche wie jeder gute Gedanke vom Himmel stammt, andererseits aber zur Versinnlichung ihrer Ideen des äußern Gewandes sichtbarer Formen bedarf, die sie der uns umgebenden Natur entnimmt.

Diese doppelte Sphäre der Kunst ist nun auch durch die den Brunnen zunächst umgebenden Meister vertreten: auf der einen Seite nemlich betrachten die Venezianer Giovan Bellini und Tizian den Spiegel des untern Beckens, der das Bild zweier Knaben zeigt, von denen der eine, halb entkleidet und mit einem Blumenkranz in der Hand, die in dieser Schule hervorstechende Freude an schöner Carnazion und Pracht der Farben überhaupt bezeichnet, der andere auf die naiven Lebensbilder derselben anspielt. Noch zwei andere Venezianer, Carpaccio und Pordenone, schließen sich dieser Gruppe an, im Gespräch mit Correggio begriffen, der durch sein ihm eigenthümliches Wohlgefallen an den magischen Wirkungen des Lichts ihrer Richtung nicht ferne steht. – Auf der andern Seite dagegen ermuntert Leonardo da Vinci seine Schüler, zur höhern Religion sich zu erheben, und den Idealen, die nicht in dieser niedern Wirklichkeit zu suchen sind, nachzustreben. Neben ihm steht Holbein, sowohl weil seine Werke in mehr als einem Falle mit denen Leonardo's sind verwechselt worden, als auch weil er zum Beispiel dienen kann, wie eine an sich untergeordnetere Sphäre, wie die der Bildnißmalerei, dennoch durch Beziehung auf das Ewige eine höhere Weihe erhalten kann, wie das unter Andern in seinem bekannten Dresdner Bilde der Fall ist (1).

 

 

 

 

Wendet man sich nun von dieser Gruppe zur linken Seite des Bildes, so gewahrt man dort auf derselben Terrasse, auf welcher sich der Brunnen befindet, die Toscaner und Andere einen Halbkreis um Dante bilden und seinem begeisternden Gesange horchen, der so wesentlich ihre Kunstrichtung bestimmt hat, und dessen Divina Commedia auch zugleich den ganzen Ideenkreis umschließt, der der christlichen Kunst zur Aufgabe dient (2). Ihm zunächst stehen seine Zeitgenossen Giotto, Orcagna, und zwischen beiden Simon Memmi; dann Rafael in der Mitte aller derer, die auf ihn besonders Einfluß ausgeübt haben: nemlich auf der einen Seite Pietro Perugino, Ghirlandajo und Masaccio, auf der andern Fra Bartolomeo und Francesco Francia; er selber im weißen Mantel, der die Universalität seines Geistes symbolisirt, in welchem sich ebenso Alles, was man an Andern vereinzelt bewundert, vereinigt findet, wie der Lichtstrahl alle Farben in sich befasst. Zuletzt schließt den Halbkreis, auf antikem Fragmente sitzend, Michel Angelo, mit Lucas Signorelli zur Seite, der bekanntlich als näherer Vorgänger in seiner Richtung zu betrachten ist, wie er, gleich ihm, besonders scheint von Dante begeistert worden zu sein, und deswegen Michel Angelo auf Dante's Gesang zu horchen auffordert.

 

 

 


Was nun auf dieser Seite Dante in begeisterter Dichtung ausspricht, das ist nicht minder auf der
andern Seite, vom Brunnen rechts, Gegenstand der Einigung der verschiedensten Nationen, durch Gruppen von Meistern des Südens und des Nordens dargestellt, die sich in schöner Eintracht begrüßen und in dem Einen Streben einverstanden finden, die Religion zu verherrlichen. In derjenigen, welche sich den Venezianern zunächst anschließt, sind Italiäner, Deutsche und Niederländer vereinigt, und zwar solche hier, die sich durch gleiche Uebung der Kupferkunst neben der Malerei näher mit einander verwandt fühlen. Lucas von Leyden ist es, der dem Mantegna die Hand reicht, und zwischen beiden ragt Albrecht Dürer hervor, die freundliche Begrüßung beider gleichsam vermittelnd; während der erste von Martin Schön begleitet erscheint, und der letztere von Marc-Anton. Dieser Gruppe reiht sich eine zweite an, in welcher der gottselige Angelico da Fiesole und die beiden Brüder van Eyck durch herzliche gegenseitige Bewillkommnung die gegenseitige Anerkennung des christlichen Wirkens im Weltleben und im klösterlichen aussprechen. Fiesole zur Seite steht sein Schüler Benozzo Gozzoli, sowie Hemlink neben seinen Meistern den Brüdern van Eyck, von denen der jüngere Johann sich an den ältern Hubert anlehnt, der an ihm Vaters Stelle vertreten; inmitten dieser fünf erscheint noch ein sechster, der etwa den anonymen Meister des Kölner Dombildes (3) darstellen kann. Ein Pilger, der eben im Begriff ist sich auch zu ihnen zu gesellen, ist Schoreel, der bekanntlich eine Wallfahrt in's gelobte Land gemacht hat. Mit ihm naht auch ein Anderer aus der Fremde, etwa ein Meister aus dem fernen Spanien. In weiterer Ferne sieht man noch zwei weibliche Gestalten, von denen die Nonne eine Schülerin Fiesole's, die andere etwa Margarethe van Eyck darstellen mag, wenn gleich keine von beiden Bildnißähnlichkeit enthält, die an die nicht seltenen Fälle erinnern sollen, dass auch Frauen mit Erfolg der religiösen Kunst sich gewidmet haben.

 

 

 

 

Und damit nun der junge Künstler wohl beherzige, aus welchen Anfängen so Großes hervorgegangen, wie die Meister, die er hier vereinigt sieht, geleistet haben, so sind auf den Stufen der Terrasse, auf welcher sie sich versammelt finden, zwei Mönche sitzend dargestellt, in Betrachtung jener Miniaturen vertieft, welche, als liebliche Frucht der Andacht und des stillen Fleißes, der klösterlichen Einsamkeit ihr Entstehen verdanken; woraus er die Lehre nehmen möge, dass er vor Allem das Geräusch der Welt fliehen und Abgeschiedenheit und Sammlung des Geistes lieben müsse, wenn auch er in die Fußstapfen dieser hohen Meister treten und eine Gott geweihte Kunst wie sie üben will.

 

 

 

 

Wie sich nun aber die Maler auf der Terrasse zusammengefunden, so haben sich im Vorgrunde auf der linken Seite die Bildhauer zu einander gesellt, und auf der rechten die Architekten; in der Mitte dieser ein Papst, sowie inmitten jener ein Kaiser, welche die beiden Gewalten darstellen, die das Gebäude der Kunst gleichsam stützen und tragen durch den beiderseitigen Schutz, der Kirche und des Staates, den sie derselben angedeihen lassen. Bei den Bildhauern hat sich zunächst eine Gruppe um einen Sarkophag gebildet, auf dessen Basrelief Nicolo Pisano aufmerksam macht, anspielend auf die Erzählung Vasari's, dass er einen antiken Sarkophag aufgefunden und durch Studium nach demselben zuerst die Sculptur wieder gehoben habe; neben ihm ein knieender Knabe, der das Wohlgefallen der Sculptur an Anmuth der Form und der Bewegung versinnlicht, und um ihn her Schüler und Mitarbeiter, die er zu seinen großen Werken auch zum Theil aus Deutschland berufen. Damit jedoch der junge Künstler nicht verleitet werde, hier die Meinung vorauszusetzen, als solle ein unbedingtes Studium der Antike angepriesen werden, wodurch leider schon mehr als einmal ein neues Heidenthum in der Kunst ist veranlasst worden, so ist die heidnische Kunst, als solche, als zertrümmerter Götze auf dem Boden angedeutet, während der Sarkophag jener frühsten christlichen Periode angehört, wo noch die Kunst sich keine selbständige Form geschaffen hatte, sondern sich der aus dem eben verlassenen Heidenthum mitgebrachten bediente; und das Basrelief auf demselben stellt die beiden Marien dar, die zum Grabe Christi gehen; anspielend auf die Auferstehung der Kunst zu einem neuen geistigen Leben, nachdem die alte in Ehren zu Grabe getragen erscheint. – Denn wohl soll der christliche Künstler das Heidenthum als solches mit Verachtung liegen lassen; aber er mag sich dennoch die Kunst der Alten, sowie ihre Literatur zu Nutze kommen lassen; gleichwie die Kinder Israel die silbernen und goldenen Gefäße aus Egypten mitgenommen, wofern er sie nur, wie diese, zum Dienste des wahren Gottes in Seinem Tempel umzuschmelzen und zu heiligen weiß (4). – Hinter dieser Gruppe sieht man noch drei andre Meister in traulichem Gespräch beisammen, welche als die Vertreter der drei Hauptrichtungen in der Sculptur angesehen werden mögen; indem in Luca della Robbia der geistige Gehalt und fromme Sinnigkeit vorzuherrschen scheint, in Lorenzo Ghiberti, der in der Mitte hervorragt, Schönheit der Form und in Peter Vischer treue, ungeschminkte Naturauffassung; welche drei Elemente jedoch in der christlichen Sculptur niemals als getrennt gedacht werden können.

Der plastischen Sphäre aber durfte am passendsten die weltliche Gewalt zugeordnet werden, die durch den Kaiser, sammt einem andern Vornehmen, vertreten erscheint, und die eine mit der andern auf der alt-testamentlichen Seite ihren Platz finden; während gegenüber, auf der Seite des neuen, die Architektur, als mehr mystischer Natur, den ihrigen gefunden, und ihr die geistliche Gewalt zugesellt ist.

 

 

 

 

Diese ist nun durch den Papst dargestellt, der die Gesammtheit der Kirche repräsentirt, wie der Kaiser die Gesammtheit des Staates, und neben ihm, in seiner Begleitung ein Bischof, der in dem engeren Bezirk der einzelnen Diöcese denselben Begriff versinnlicht; und zwar sind dem Papste Musiknoten in die Hand gegeben, um an den gregorianischen Kirchengesang und seinen mächtigen Eindruck zu erinnern, der jener alten Fabel gleich, dass der Zauber des Gesanges es gewesen sei, der zuerst die Steine zu Mauern zusammengefügt, hier als Ausdruck christlich religiöser Begeisterung erscheint, die, wie durch Zauber, die vielen herrlichen Dome hervorgerufen, mit denen wir die christliche Welt geschmückt sehen.

Auch auf dieser Seite ist das Antike in Bruchstücken auf dem Boden angedeutet, woran sich dann zuerst die Basilika anschließt, als diejenige frühste Form der christlichen Kirchen, die, indem sie dem zufälligen Zusammenfinden und Benutzen der vorhandenen antiken Ueberreste ihr Entstehen zu verdanken scheint, gleichwohl schon in den einfachsten Grundzügen den Keim der nachmaligen eigenthümlich christlichen Kirchen enthält. Sie ist im Grundriß auf der Tafel angedeutet, und Meister Pilgram, der als Baumeister des schönsten Theiles der St. Stephanskirche in Wien genannt wird, ist es, der einem Kreise von Schülern dieses an ihr nachweiset. Es sind Jünglinge von verschiedenen Nationen, die diesem Unterricht horchen, jeder in seiner Eigenthümlichkeit dargestellt, um die nationelle Verschiedenheit in der Entwicklung der in der Basilika gegebenen Keime zu bezeichnen. In zierlicher Anmuth und Leichtigkeit ist auf dem Säulenschafte sitzend der Franzose kenntlich gemacht; ihm gegenüber der feste, unbewegliche Engländer; hinter diesem der tiefsinnige und glühende Spanier, hinter jenem ein Franciscaner-Noviz, der auf die häufig von Klöstern ausgegangenen Bauunternehmungen in Italien deutet; ein Morgenländer endlich dient dem Meister zur Stütze, weil zu mehr als Einer Zeit der abendländische Baustyl sich auf Einflüsse vom Morgenlande her gegründet findet, in früheren Jahrhunderten durch den weit verbreiteten byzantinischen Styl, zur Zeit der Kreuzzüge durch den maurischen. – An diese Gruppe schließt sich dann unmittelbar, als Vertreter des Spitzbogenstyles, Erwin von Steinbach an, der dem Papst einen Aufriß eines Münsters in diesem Styl vorzeigt und mit Begeisterung hinweiset auf das majestätische Himmelansteigen seiner Thürme; welche Begeisterung der Papst sammt dem Bischofe zu theilen scheinen, während Brunelleschi, als derjenige der zuerst den neueren Styl veranlasst hat, mit mehr kritischem Auge den Aufriß betrachtet. Weiter hinten ist Bramante im Gespräch mit zwei deutschen Baumeistern begriffen, von denen der ihm zunächst stehende in schwarzer Mütze den Ulmer Münster gebaut, der andere aber einen der vielen unbekannteren Meister darstellen kann, die unser Vaterland mit seinen Domen so herrlich geziert.

Und so habe ich dir denn, lieber Kunstjünger, der du mit heißem Verlangen der holden Kunst nachstrebst, ein Bild vor Augen gestellt, in dem du wie in einem Garten dich ergehen magst. Du siehst sie Alle in schöner Eintracht hier beisammen, die hohen Meister, bei deren Namen dir so oft das Herz höher schlug, und magst zu jedem aus ihnen vertraulich hinzutreten, um dich näher und näher mit ihnen zu befreunden. Ausgebreitet liegt vor dir die Zukunft, wie die heitere Ferne dieses Bildes, an der du dich stärken magst zu dem schönen Beruf, den Bau fortzuführen, den jene Meister so herrlich begonnen; der aber unverkennbar, jenem unvollendeten Bau gleich, den du im Mittelgrunde des Bildes gewahrst, in unserm Vaterlande unterbrochen worden und unvollendet geblieben, als im sechzehnten Jahrhundert jene traurigen Spaltungen ausbrachen, die lange und verheerende Kriege veranlasst, wodurch Deutschland so mancher seiner Zierden beraubt worden, die völlige Entwicklung deutscher Kunst aber gänzlich gehindert. An dir ist es nun, was damals unterbrochen ward, wieder aufzunehmen, und was unreif geblieben, zur Reife zu bringen. – So eifre ihnen denn nach, den hohen Meistern, mit der ganzen Kraft deines Geistes; aber wisse, dass du zu ihrer Höhe nur gelangen kannst, wenn du auf dem Wege wandeln wirst, den auch sie gewandelt, und unverrückt das Ziel im Auge behalten, das auch sie im Auge hatten. Die wahre Kunst erlangt man nicht dadurch, dass man die Kunst selber zum Götzen macht; sie will vielmehr nur Dienerin sein im Heiligthum. Dort magst du sie suchen und in ihrem keuschen Schmucke finden, in dem sie Gott und Menschen wohlgefällt, wofern du in Glauben und Demuth wandelst, und deine Gabe Gott dem Herrn zum Opfer bringst, von dem du sie empfangen; denn von Solchen lässt sie sich finden.

Denn mehr als Einer der Meister, die du hier versammelt siehst, mag dir zugleich als warnendes Beispiel dienen, wie Missbrauch der Gaben alsogleich vom rechten Wege abführt und unvermeidlich plötzliches Sinken der Kunst zur Folge hat. – So haben die Venezianer den Weg verloren, sobald sie angefangen den Reiz der Färbung, den die früheren nur als Schmuck besessen, zur Hauptsache zu machen, und dadurch von Stufe zu Stufe in die Sinnlichkeit versunken sind; schneller noch als sie der weichlich harmonische Correggio, als er, gleich ihnen, die Schamhaftigkeit aus den Augen gesetzt und der Ueppigkeit sich hingegeben. Michel Angelo hat von Bewunderung der Antike sich hinreißen lassen, diese gleichsam als neuen Götzen in seiner Schule aufzurichten; und Rafael fühlte sich nicht sobald in der Kraft seiner umfassenden Gaben, als auch ihn gelüstete die Hand nach dem Verbotenen auszustrecken (5). Und so ward denn die Sünde wahrer Apostasie in der Kunst um eben diese Zeit an vielen Orten zugleich vollbracht, indem man nicht mehr Gott dem Herrn mit der Kunst dienen, sondern sie selbst auf den Altar stellen wollte. Und billig traf solche Sünde der Gottvergessenheit auch bald die Strafe der Gottverlassenheit, so dass wir mit Staunen plötzlich die Künste in einen Verfall gerathen sehen, der uns mit größerem Unwillen erfüllt, als die Erzeugnisse irgend einer früheren Zeit.

Wohl hat man dann in der Folge sich vielfach bemüht, die Künste wieder zu höherer Würde zu heben, allein da man das Uebel nicht in der Wurzel zu heilen bedacht war, so konnte auch der Erfolg durchaus nicht den Anstrengungen entsprechen. Darin magst du denn auch den Grund erblicken, warum du keinen der gefeierten späteren Meister hier findest, denen keineswegs ihr künstlerisches Verdienst soll abgesprochen werden, die aber, weil nicht auf dem Grunde ächter christlicher Kunst erbaut, auch nicht als Muster hier aufgestellt werden konnten. Nur wenn die Künste, den klugen Jungfrauen gleich, im Schmuck der Demuth und der Keuschheit, mit brennenden Lampen des Glaubens und der Andacht dem himmlischen Bräutigam entgegengehn, mögen sie hoffen, dass sich ihnen die Thüren des wahren und dauernden Ruhmes öffnen, von denen die Unreinen, und die nur der Augenlust fröhnen, ausgeschlossen bleiben. Denn unmöglich kann Gott ein Bemühen segnen, das nicht in seiner Furcht gegründet ist, und ohne Gottes Segen ist kein Gedeihen denkbar. Ihm sei denn Ehre und Preis dargebracht durch unserer Hände Werk in Seinem Tempel, das ist in Seiner Kirche hier auf Erden, damit wir einst in Ewigkeit Ihn loben mögen mit Seinen auserwählten Heiligen im Himmel. Amen. – – Rom, 1840.

 

Anmerkungen

1 Des Bürgermeisters Meyer Votivbild. zurück

2 Seitwärts von den toscanischen und umbrischen Malern, etwas tiefer, am äußersten Rande des Bildes hinter Dante, hat Overbeck Cornelius, Philipp Veit und sich selber bescheiden angebracht. zurück

3 Meister Stephan, in dem die neuere Forschung Stephan Lochner aus Konstanz gefunden zu haben glaubt. zurück

4 "Wie mit dem Golde und Silber – sagt Gregor von Nyssa – welches die Israeliten von den Aegyptern entlehnt und mit sich genommen hatten, die Stiftshütte hergestellt und geziert wurde, so sollen auch wir die von den Heiden erworbenen Reichthümer des Wissens von ihnen nehmen, und besser sie benützend, mit diesen geistigen Schätzen den Tempel des göttlichen Mysteriums schmücken." Gregorii Nysseni opera. De vita Mosis. zurück

5 Der Zusatz im gedruckten Commentar: "und die Schranken der Gottesfurcht ihm lästig geworden" – ist von Overbeck in seiner für Frau Hoffmann gemachten eigenhändigen und von ihm beglaubigten Abschrift vom Jahre 1854 weggelassen. zurück

Quelle: Friedrich Overbeck. Sein Leben und sein Schaffen. Nach seinen Briefen und andern Documenten des handschriftlichen Nachlasses geschildert von Margaret Howitt. Hrsg. von Frank Binder. Zweiter Band: 1833-1869. Freiburg i. Br.: Herder 1886, S. 61-72. Sperrungen sind kursiv wiedergegeben. Die Anmerkungen entstammen der Vorlage.



 

 




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Jutta Assel
Deutsche Bilderbibeln im 19. Jahrhundert


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