goethe


Jutta Assel | Georg Jäger

Das Märlein
von Schneeweisschen und Rosenroth.

Mit Bildern
von Franz Graf von Pocci

Eingestellt: September 2016

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Vorlage:
Das Märlein von Schneeweisschen und Rosenroth. Mit Bildern von Franz Graf von Pocci. Verlag der Lindauer'schen Buchhandlung in München [1839]. Höhe 14,9; Breite 11 cm (Einband).

Werknachweise:
* H[yazinth] Holland: Franz Graf Pocci als Dichter und Künstler. München, Kgl Hof- und Universitäts-Buchdruckerei von Dr. C. Wolf & Sohn 1877. Hier Nr. 71.
* Verzeichnis der Werke Franz von Poccis 1821-2006. Hrsg von Gisela Tegeler (Franz von Pocci, Werkausgabe, Abt. X, Bd. 1) München: Allitera 2007. Hier Nr. 97. ISBN 978-3-86520-400-4x

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Gliederung

1. Das Märchen von Schneeweisschen und Rosenroth
2. Pocci: Schneeweisschen und Rosenroth
Text und Illustrationen
3. Kurzbiographie zu Franz Graf von Pocci
4. Literaturhinweise und Weblinks
5. Rechtlicher Hinweis und Kontaktanschrift

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1. Das Märchen
von Schneeweisschen und Rosenroth

Das Märchen erzählt von zwei unzertrennlichen Schwestern, Schneeweißchen und Rosenrot, die nach zwei Rosenbäumchen benannt sind, die weiße bzw. rote Rosen tragen. Sie stehen vor dem "Hüttchen" ihrer Mutter, einer Witwe, die mit ihren Mädchen ein bescheidenes und frommes Leben im Einklang mit der Natur führt. Zur Hausgemeinschaft gehören ein Lämmchen und Täubchen; im Winter aufgenommen wird auch ein schwarzer Bär, der sprechen kann und mit den Schwestern spielt und tollt. Drei Mal treffen die Schwestern auf ihren Gängen auf einen hässlichen Zwerg, den sie aus lebensbedrohlichen Situationen retten, zum Dank aber beschimpft werden. Der Zwerg ist nur an der Mehrung seiner Schätze (Gold, Edelsteine, Perlen) interessiert. Zum Verhängnis wird ihm, dass er "auf einem reinlichen Plätzchen" - auf dem er sich unbeobachtet glaubt - einen Sack mit Edelsteinen ausschüttet, um seinen funkelnden Schatz zu genießen. Doch der Bär hat den Zwerg, der auch dessen Schätze geraubt hatte,  ausgemacht und tötet ihn. Sogleich verwandelt sich der Bär in einen Königssohn. "Schneeweißchen ward mit ihm vermählt und Rosenrot mit seinem Bruder, und sie teilten die großen Schätze miteinander, die der Zwerg in seine Höhle zusammengetragen hatte."

Pocci illustriert das Märchen "Schneeweißchen und Rosenrot" in der Fassung der "Kinder- und Hausmärchen" der Brüder Grimm (KHM 161). "Es geht auf die Erzählung Der undankbare Zwerg von Caroline Stahl (Fabeln, Märchen und Erzählungen für Kinder, Nürnberg 1818) zurück und wurde um den von Friedrich Kind veröffentlichen Vers "Schneeweißchen, Rosenrot, / schlägst dir den Freier tot." ergänzt." (1)

Anmerkungen:
(1) Brüder Grimm: Kinder- und Hausmärchen. Ausgabe letzter Hand mit den Originalanmerkungen der Brüder Grimm und Herkunftsnachweisen. Hrsg. von Heinz Rölleke. 3 Bde. (Universal-Bibliothek Nr. 3191-3193) Stuttgart: Philipp Reclam junior 1980. Text Bd.2, S. 278-285. Originalanmerkung Bd. 3, S.255. Herkunftsnachweis Bd.3, S.504.

Siehe den Eintrag "Schneeweißchen und Rosenrot" in Wikipedia
https://de.wikipedia.org/wiki/Schneeweißchen_und_Rosenrot

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2. Pocci: Schneeweisschen und Rosenroth
Text und Illustrationen

Eine arme Wittwe, die lebte einsam in einem Hüttchen, und vor dem Hüttchen war ein Garten, darin standen zwei Rosenbäumchen, davon trug das eine weiße, das andere rothe Rosen; und sie hatte zwei Kinder, die glichen den beiden Rosenbäumchen und das eine hieß Schneeweißchen, das andere Rosenroth. Sie waren aber so fromm und gut, so arbeitsam und unverdrossen, als je zwei Kinder auf der Welt gewesen sind: Schneeweißchen war nur stiller und sanfter als Rosenroth. Rosenroth sprang lieber in den Wiesen und Feldern umher [...]

[Rosenroth] suchte Blumen und fing Sommervögel; Schneeweißchen aber saß daheim bei der Mutter, half ihr im Hauswesen oder las ihr vor, wenn nichts zu thun war. Die beiden Kinder hatten einander so lieb, daß sie sich immer an den Händen faßten, so oft sie zusammen ausgingen, und wenn Schneeweißchen sagte: »wir wollen uns nicht verlassen«, so antwortete Rosenroth: »so lange wir leben nicht«, und die Mutter setzte hinzu: »was das eine hat, soll's mit dem andern theilen.« Oft liefen sie im Walde allein umher, und sammelten rothe Beeren, aber kein Thier that ihnen etwas zu leid, sondern sie kamen vertraulich herbei: das Häschen [...]

[das Häschen] fraß ein Kohlblatt aus ihren Händen; das Reh graste an ihrer Seite; der Hirsch sprang ganz lustig vorbei; die Vögel blieben auf den Ästen sitzen, und sangen was sie wußten. Kein Unfall traf sie; wenn sie sich im Walde verspätet hatten und die Nacht sie überfiel, so legten sie sich nebeneinander auf das Moos und schliefen bis der Morgen kam, und die Mutter wußte das, und hatte ihretwegen keine Sorge. Einmal, als sie im Walde übernachtet hatten, und das Morgenroth sie aufweckte, da sahen sie ein schönes Kind in einem weißen, glänzenden Kleidchen neben ihrem Lager sitzen. Es stand auf, und blickte sie ganz freundlich an, sprach aber nichts, und ging in den Wald hinein. Und als sie sich umsahen, so hatten sie ganz nahe bei einem Abgrunde geschlafen, und wären gewiß hinein gefallen, wenn sie in der Dunkelheit noch ein paar Schritte weiter gegangen wären. Die Mutter aber sagte ihnen, das müßte der Engel gewesen seyn, der gute Kinder bewache.

Schneeweißchen und Rosenroth hielten das Hüttchen der Mutter so reinlich, daß es eine Freude war, hinein zu schauen. Im Sommer besorgte Rosenroth das Haus, und stellte der Mutter jeden Morgen, ehe sie aufwachte, einen Blumenstrauß vor's Bett, darin war von jedem Bäumchen eine Rose. Im Winter zündete Schneeweißchen das Feuer an, und hing den Kessel an den Feuerhaken, und der Kessel war von Messing, glänzte aber wie Gold, so rein war er gescheuert. Abends, wenn die Flocken fielen, sagte die Mutter: »geh, Schneeweißchen, und schieb den Riegel vor«, und dann setzten sie sich an den Herd, und die Mutter las aus einem großen Buche vor, und die beiden Mädchen hörten zu, saßen und spannen; neben ihnen lag ein Lämmchen auf dem Boden, und hinter ihnen auf einer Stange saß ein weißes Täubchen, und hatte seinen Kopf unter den Flügel gesteckt.
       Eines Abends, als sie so vertraulich beisammen saßen, klopfte jemand an die Thüre, als wollte er eingelassen seyn. Die Mutter sprach: »geschwind, Rosenroth, mach auf, es wird ein Wanderer seyn, der Obdach sucht.« Rosenroth [...] 

[Rosenroth] ging und schob den Riegel weg, aber statt daß ein Mensch gekommen wäre, streckte ein Bär seinen dicken schwarzen Kopf zur Thüre herein. Rosenroth schrie laut, und sprang zurück; das Lämmchen blökte, das Täubchen flatterte auf, und Schneeweißchen versteckte sich hinter der Mutter Bett. Der Bär aber fing an zu sprechen, und sagte: »fürchtet euch nicht, ich thue euch nichts zuleid, ich bin halb erfroren, und will mich nur ein wenig bei euch wärmen.« »Ei, du armer Bär«, sprach die Mutter, »leg dich an's Feuer, und gieb nur acht, daß dir dein Pelz nicht brennt.« Dann rief sie: »Schneeweißchen, Rosenroth, kommt hervor! der Bär thut euch nichts, er meints ehrlich.« Da kamen sie beide heran, und nach und nach näherten sich auch das Lämmchen [...]

[das Lämmchen] und Täubchen, und hatten keine Furcht mehr. Der Bär sprach: »ihr Kinder, klopft mir den Schnee ein wenig aus dem Pelzwerk«, und sie holten den Besen, und kehrten dem Bär das Fell rein, er aber streckte sich an's Feuer und brummte ganz vergnügt und behaglich. Nicht lange, so wurden sie ganz vertraut, und trieben Muthwillen mit dem unbeholfenen Gast, zausten ihm das Fell mit den Händen, setzten ihre Füßchen auf seinen Rücken, und walgerten ihn hin und her, oder sie nahmen eine Haselrute und schlugen auf ihn los, und wenn er brummte, so lachten sie. Der Bär ließ sich's aber gerne gefallen, nur wenn sie's gar zu arg machten, rief er: »laßt mich am Leben, ihr Kinder:

            Schneeweißchen, Rosenroth,
            schlägst dir den Freier todt.«

       Als Schlafenszeit war, und die andern zu Bett gingen, sagte die Mutter zu dem Bär: »du kannst in Gottes Namen da am Herde liegen bleiben, so bist du vor der [Kälte ...]

[...] Kälte und dem bösen Wetter geschützt.« Als der Tag graute, ließen ihn die beiden Kinder hinaus, und er trabte über den Schnee in den Wald hinein. Von nun an kam der Bär jeden Abend zu der bestimmten Stunde, legte sich an den Herd, und erlaubte den Kindern, Kurzweil mit ihm zu treiben, soviel sie wollten; und sie waren so gewöhnt an ihn, daß die Thüre nicht eher zugeriegelt ward, als bis der schwarze Gesell angelangt war.

       Als das Frühjahr herangekommen und draußen alles grün war, sagte der Bär eines Morgens zu Schneeweißchen: »nun muß ich fort, und darf den ganzen Sommer nicht wieder kommen.« »Wo gehst du denn hin, lieber Bär?« fragte Schneeweißchen. »Ich muß in den Wald und meine Schätze vor den bösen Zwergen hüten: im Winter, wenn die Erde hart gefroren ist, müssen sie wohl unten bleiben und können sich nicht durcharbeiten, aber jetzt, wenn die Sonne die Erde aufgethaut und erwärmt hat, da brechen sie durch, steigen herauf, suchen und stehlen; und was einmal in ihren Händen ist und in ihren Höhlen liegt, das kommt so leicht nicht wieder an des Tages Licht.« Schneeweißchen war ganz trau[rig ...]

[... trau]rig über den Abschied, und riegelte ihm die Thüre auf, und als der Bär sich hinaus drängte, blieb er an dem Thürhaken hängen, und ein Stück seiner Haut riß auf, und da war es Schneeweißchen, als hätte es Gold durchschimmern gesehen; aber es war seiner Sache nicht gewiß, weil der Bär eilig fortlief und bald hinter den Bäumen verschwunden war.
       Nach einiger Zeit schickte die Mutter die Kinder in den Wald, Reisig zu sammeln. Da fanden sie draußen einen [...]

großen Baum, der lag gefällt auf dem Boden, und an dem Stamme sprang zwischen dem Gras etwas auf und ab, sie konnten aber nicht unterscheiden, was es war. Als sie näher kamen, sahen sie einen Zwerg mit einem alten, verwelkten Gesicht und einem ellenlangen schneeweißen Bart. Das Ende des Bartes war in eine Spalte des Baums eingeklemmt, und der Kleine sprang hin und her wie ein Hündchen an einem Seil, und wußte nicht, wie er sich helfen sollte. Er glotzte die Mädchen mit seinen roten feurigen Augen an, und schrie. »was steht ihr da! könnt ihr nicht herbei gehen und mir Beistand leisten?« »Was hast du angefangen, kleines Männchen?« fragte Rosenroth. »Dumme, neugierige Gans!« antwortete der Zwerg, »den Baum habe ich mir spalten wollen, um kleines Holz in der Küche zu haben; bei den dicken Klötzen verbrennt gleich das Bischen [!] Speise, das unser einer braucht, der nicht so viel hinunter schlingt, als ihr, grobes Volk. Ich hatte einen Keil hinein getrieben, und es wäre alles nach Wunsch gegangen, [...]

[...] aber das verwünschte Holz war zu glatt, und sprang unversehens heraus, und der Baum fuhr so geschwind zusammen, daß ich meinen schönen weißen Bart nicht mehr herausziehen konnte; nun steckt er drin, und ich kann nicht fort. Da lachen die albernen glatten Milchgesichter! pfui, was seyd ihr garstig!« Die Kinder gaben sich alle Mühe, aber sie konnten den Bart nicht herausziehen, er steckte zu fest. »Ich will laufen, und Leute herbeiholen«, sagte Rosenroth. »Wahnsinnige Schafsköpfe«, schnarrte der Zwerg, »wer wird gleich Leute herbei rufen, ihr seid mir schon um zwei zu viel; fällt euch nicht besseres ein?« »Sey nur nicht ungeduldig«, sagte Schneeweißchen, »ich will schon Rath schaffen», und holte sein Scheerchen aus der Tasche, und schnitt das Ende des Bartes ab. Sobald der Zwerg sich frei fühlte, griff er nach einem Sack, der zwischen den Wurzeln des Baums steckte, und mit Gold gefüllt war, hob ihn heraus, und brummte vor sich hin: »ungehobeltes Volk, schneidet mir ein Stück von meinem stolzen Barte ab! lohn's euch der Guckuck!« Damit schwang er seinen Sack auf den Rücken, und ging fort, ohne die Kinder nur noch einmal anzusehen.

Einige Zeit darnach wollten Schneeweißchen und Rosenroth ein Gericht Fische angeln. Als sie auf den Bach zugingen, sahen sie, daß etwas wie eine große Heuschrecke nach dem Wasser zu hüpfte, als wollte es hineinspringen. Sie liefen heran, und erkannten den Zwerg. »Wo willst du hin?« sagte Rosenroth, »du willst doch nicht ins Wasser?« »Solch ein Narr bin ich nicht«, schrie der Zwerg, »seht ihr nicht, der verwünschte Fisch will mich hinein ziehen?« Der Kleine hatte da gesessen und geangelt, und unglücklicherweise hatte der Wind seinen Bart mit der Angelschnur verflochten; als gleich darauf ein großer Fisch anbiß, fehlten dem Zwerg die Kräfte, ihn herauszuziehen, der Fisch behielt die Oberhand, und riß den Zwerg zu sich hin. Zwar hielt er sich an allen Halmen und Binsen, aber das half nicht viel, er mußte den Bewegungen des Fisches folgen, und war in beständiger Gefahr, ins Wasser gezogen zu werden. Die Mädchen kamen zu rechter Zeit, hielten ihn fest, und versuchten den Bart von der Schnur loszumachen, aber vergebens, Bart und Schnur waren fest ineinander verwirrt. Es blieb nichts übrig, als [...]

[...] das Scheerchen hervor zu holen und den Bart abzuschneiden; dabei ging ein kleiner Teil desselben verloren. Als der Zwerg das sah, schrie er sie an: »Ist das Manier, ihr Lorche, einem das Gesicht zu schänden! nicht genug, daß ihr mir den Bart unten abgestutzt habt, jetzt schneidet ihr mir den besten Teil davon ab; ich darf mich vor den Meinigen gar nicht sehen lassen. Das [!] ihr laufen müßtet und die Schuhsohlen verloren hättet!« Dann holte er einen Sack Perlen, der im Schilfe lag, und ohne ein Wort weiter zu sagen, schleppte er ihn fort, und verschwand hinter einem Stein.

Es trug sich zu, daß bald hernach die Mutter die beiden Mädchen nach der Stadt schickte, Zwirn, Nadeln, Schnüre und Bänder einzukaufen. Der Weg führte sie über eine Heide, auf der hier und da mächtige Felsenstücke zerstreut lagen, da sahen sie einen großen Vogel in der Luft schweben, der langsam über ihnen kreiste, sich immer tiefer herabsenkte, und endlich nicht weit bei einem Felsen niederstieß. Gleich darauf hörten sie einen durchdringenden, jämmerlichen Schrei. Sie liefen herzu, und sahen mit Schrecken, daß der Adler ihren alten Bekannten, den Zwerg, gepackt hatte und ihn forttragen wollte. Die mitleidigen Kinder hielten gleich das Männchen fest, und zerrten sich so lange mit dem Adler herum, bis er seine Beute fahren ließ. Als der Zwerg sich von dem ersten Schrecken erholt hatte, sprach er: »konntet ihr nicht säuberlicher mit mir umgehen, gerissen habt ihr an meinem dünnen Röckchen, daß es überall zerfetzt und durchlöchert ist, unbeholfenes und täppisches Gesindel, das ihr seyd!« Dann nahm er einen Sack mit Edelsteinen, und [...]

[...] schlüpfte wieder unter den Felsen in seine Höhle. Die Mädchen waren an seinen Undank schon gewöhnt, setzten ihren Weg fort, und verrichteten ihr Geschäft in der Stadt. Als sie beim Heimweg wieder auf die Heide kamen, überraschten sie den Zwerg, der auf einem reinlichen Plätzchen seinen Sack mit Edelsteinen ausgeschüttet und nicht gedacht hatte, daß so spät noch jemand daherkommen würde. Die Abendsonne schien über die glänzenden Steine, und sie schimmerten und leuchteten so prächtig in allen Farben, daß die Kinder stehenblieben und sie betrachteten. »Was steht ihr da, und habt Maulaffen feil!« schrie der Zwerg, und sein asch[...]

[...]graues Gesicht ward zinnoberroth vor Zorn. Er wollte mit seinen Scheltworten fortfahren, als sich ein lautes Brummen hören ließ, und ein schwarzer Bär aus dem Walde herbeitrabte. Erschrocken sprang der Zwerg auf, aber er konnte nicht mehr zu seinem Schlupfwinkel gelangen, der Bär war schon in seiner Nähe. Da rief er in Herzensangst: »lieber Herr Bär, verschont mich! ich will euch alle meine Schätze geben, seht, die schönen Edelsteine, die da liegen. Schenkt mir das Leben, was habt ihr an mir kleinen schmächtigen Kerl? Ihr spürt mich nicht zwischen den Zähnen; da, die beiden gottlosen Mädchen packt, das sind für euch zarte Bissen, fett wie junge Wachteln, die freßt in Gottes Namen.« Der Bär kümmerte sich um seine Worte nicht, gab dem boshaften Geschöpf einen einzigen Schlag mit der Tatze, und es regte sich nicht mehr.

Die Mädchen waren fortgesprungen, aber der Bär rief ihnen nach: »Schneeweißchen, Rosenroth, fürchtet euch nicht, wartet, ich will mit euch gehen.« Da erkannten sie seine Stimme, und blieben stehen, und als der Bär bei ihnen war, fiel plötzlich die Bärenhaut ab, und er stand da als ein schöner Mann, und war ganz in Gold gekleidet. Er sagte: »ich bin eines Königs Sohn, und war von dem gottlosen Zwerg, der mir meine Schätze gestohlen hatte, verwünscht als ein wilder Bär in dem Walde zu laufen, bis ich durch seinen Tod erlöst würde. Jetzt hat er seine wohlverdiente Strafe empfangen.«

Schneeweißchen wurde mit ihm, und Rosenroth mit seinem Bruder vermählt, und sie theilten die großen Schätze miteinander, die der Zwerg in seiner Höhle zusammengetragen hatte. Die alte Mutter lebte noch lange Jahre ganz glücklich bei ihren Kindern. Die zwei Rosenbäumchen aber nahm sie mit, und sie standen vor ihrem Fenster, und trugen jedes Jahr die schönsten Rosen, weiß und roth.

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3. Kurzbiographie von Franz Graf von Pocci

Franz Graf von Pocci (1807-1876), der verschiedene Ämter am bayerischen Königshof bekleidete (Zeremonienmeister, Hofmusikintendant, Oberstkämmerer), war ein vielseitiger, produktiver und fantasievoller Dichter, Komponist (über 600 Musikstücke) und Zeichner. Am volkstümlichsten wurde er als Schöpfer der Figur des "Kasperl Larifari" und seinen über 40 Stücken für das Marionettentheater (daher "Kasperlgraf") sowie seinen Beiträgen für die "Fliegenden Blätter" und die "Münchener Bilderbogen". Zahlreiche Werke wenden sich an Kinder: Lieder wie auch Illustrationen und Nachdichtungen von Märchen wie "Blaubart," "Fundevogel", "Hänsel und Gretel" oder "Schneewittchen." 

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4. Literaturhinweise und Weblinks

Literaturhinweise:

* Franz Graf von Pocci: Die gesamte Druckgraphik. Hrsg. von Marianne Bernhard. Vorwort von Eugen Roth. München: Rogner & Bernhard 1974. Hier S. 619f., ohne Abbildung. ISBN 3-8077-0022-6

* H[yazinth] Holland: Franz Graf Pocci als Dichter und Künstler. München, Kgl Hof- und Universitäts-Buchdruckerei von Dr. C. Wolf & Sohn 1877. Hier Nr. 71.

* Hyazinth Holland: Franz Graf Pocci, ein Dichter- und Künstlerleben (Bayrische Bibliothek; 3) Bamberg: Buchner 1890.

* Aloys Dreyer: Franz Pocci der Dichter, Künstler und Kinderfreund. München, Leipzig: Georg Müller 1907. Darin: Illustrationen zu deutschen Märchen, S. 39-50.

* Hans Ries: Illustration und Illustratoren des Kinder- und Jugendbuchs im deutschsprachigen Raum 1871-1914. Osnabrück: Wenner 1992, S. 782-784. ISBN 3-87898-329-8

* Sigrid von Moisy: Franz Graf Pocci (1807-1876). Schriftsteller, Zeichner, Komponist unter drei Königen. München: Allitera 2007. ISBN 978-3-86520-265-9

* Verzeichnis der Werke Franz von Poccis 1821-2006. Hrsg von Gisela Tegeler (Franz von Pocci, Werkausgabe, Abt. X, Bd. 1) München: Allitera 2007. Hier Nr. 97. ISBN 978-3-86520-400-4x


Weblinks zu Pocci:

* Projekt Gutenberg-DE
http://gutenberg.spiegel.de/autor/franz-graf-von-pocci-464

* Wikisource (Liste der Digitalisate)
https://de.wikisource.org/wiki/Franz_von_Pocci

* Neue Deutsche Biographie, Eintrag Franz Graf von Pocci
http://www.deutsche-biographie.de/sfz96457.html

* Literaturportal Bayern, Eintrag Franz Graf von Pocci
https://www.literaturportal-bayern.de/autorinnen-autoren?task=lpbauthor.default&pnd=118595245

* Franz Graf von Pocci Gesellschaft
http://www.grafpocci-gesellschaft.de/

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Siehe die weiteren Pocci-Seiten im Goethezeitportal

Sechs Lieder gedichtet von Fr. Beck
als Weihnachtsgabe den Kindern gewidmet
http://www.goethezeitportal.de/index.php?id=6860

Weihnachtslieder
http://www.goethezeitportal.de/index.php?id=6851

Frühlingslaube für gute Kinder
http://www.goethezeitportal.de/index.php?id=6888

Das Mährlein von Hubertus
und seinem Horn
http://www.goethezeitportal.de/index.php?id=6863 

Minnelieder
(1855)
http://www.goethezeitportal.de/index.php?id=6876

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