goethe


Jutta Assel | Georg Jäger

Heinrich von Kleist
Der zerbrochene Krug

Illustriert von Adolph Menzel

Eingestellt: März 2013
Update: März 2014

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Gliederung

1. Vorlage
2. Text und Illustrationen
3. Kurzbiographie von Adolph Menzel
4. Notizen zu den reproduzierenden Künstlern
5. Rechtlicher Hinweis und Kontaktanschrift

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1. Vorlage

Der zerbrochene Krug. Von Heinrich von Kleist. Eingeleitet von Franz Dingelstedt. Mit 30 Illustrationen und 4 Photographien nach Original-Compositionen von Adolph Menzel. Gewidmet Sr. Kaiserlichen und Königlichen Hoheit dem Kronprinzen des Deutschen Reichs und von Preußen. Berlin, A. Hofmann & Co. 1877. Druck von B. G. Teubner in Leipzig. Einband: A. Schmidt Leipzig. Kaliko-Einband mit abgeschrägten Kanten; Gold-, Schwarz- und Blindpressung; dreiseitiger Goldschnitt. Höhe 42,5; Breite 32 cm (Einband).

Zum Prachtwerk siehe die Seite:
* In zarte Frauenhand. Anthologie von Karl Zettel

Zu den im Impressum genannten Firmen siehe die betreffenden Einträge in Wikipedia bzw. Wikisource:
* Albert Hofmann & Co. in Berlin. K. F. Pfau, ADB.
* B. G. Teubner in Leipzig

Nachdruck:
Dortmund : Harenberg 1978 (Die bibliophilen Taschenbücher; 61).

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Adolph Menzel, Illustration zu Heinrich von Kleist, Der zerbrochene Krug


Allegorie
Signiert: Menzel. [Stecher:] HKaeseberg.
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Zwischen zwei lorbeerbekränzten Frauengestalten (Personifizierungen der komischen und der tragischen Muse) steht auf einem Postament das gerahmte Bildnis Kleists, von dem eben der Trauerschleier abgenommen wird, der die Jahreszahl 1811, Kleists Sterbejahr, zeigt. Während oben Putti eine lange Lorbeergirlande um das Bild zu drapieren versuchen, staubt einer ihrer Gefährten das Gemälde mit einem Federwisch ab.

Auf dem Sockel ist ein Schild mit Kleists Geburtsjahr 1777 angebracht; zwischen den Ziffern schaukelt fröhlich eine Wiege. Flankiert wird das Schild von den Masken der Thalia und Melpomene, die den Frauengestalten oben zugeordnet sind. Ein weiterer Putto unterhalb des Postamentes hält ein flatterndes Band mit der Beschriftung "Einleitung"; ferner schüttet er mit der Rechten von einer Kehrichtschaufel eine Schere und eine Pfeife (das Stück ist von der Kritik zerfetzt und vom Publikum ausgepfiffen worden, d.h. es war kein Erfolg zu Kleists Lebzeiten) in das Feuer, das in einem - an ein Mieder erinnernden - zerbrochenen Krug brennt. Auf dessen Sockel hat Menzel seine Signatur und das Initial  des Textes angebracht und eine weitere Besonderheit versteckt:

Gisold Lammel hat die rätselhaften Zeichnungsfragmente darauf gedeutet. "Es ist bemerkenswert, dass Menzel nicht nur bei seinem frühen [zu Goethes Jugendgedicht "Künstlers Erdenwallen"), sondern auch bei seinem letzten Illustrationswerk sein Selbstporträt eingefügt hat, und zwar bei der Vignette mit dem Anfangsbuchstaben E, zu Kleists "Zerbrochenem Krug". Dort ist er zu einer eigenartigen Lösung gekommen, da brachte er nämlich sein Profilbildnis auf einem aus vielen Kacheln bestehenden Sockel an [...] einige dieser Kacheln sind so plaziert worden, dass ihre ursprüngliche Ordnung aufgegeben und somit das Porträt zum Teil auseinandergerissen worden ist." Menzel sah wohl, ähnlich wie seinerzeit Kleist, sein Werk ungerechter, ignoranter Kritik ausgesetzt. (Gisold Lammel: Adolph Menzel. Bildwelt und Bildregie. Dresden: Verlag der Kunst 1993, S.160)

Das Bildnis von Kleist geht auf die Miniatur von Peter Friedel, 1801, zurück. "Einziges authentisches Kleist-Bildnis, angefertigt für Wilhelmine vor der Abreise nach Paris." (Eberhard Siebert: Heinrich von Kleist. Eine Bildbiographie [Heilbronner Kleist-Biographien; 2] Heilbronn: Kleist-Archiv Sembdner 2009. Nr. 131-133, S. 104-106.)

Die Einleitung von Franz Dingelstedt - die auf der oben wiedergegebenen Seite beginnt - würdigt die Bedeutung des Lustspiels, informiert über dessen Entstehung, über die Uraufführung, die ersten Darsteller des Dorfrichters Adam und deren Interpretationen ihrer Rolle sowie über die Aufführungsgeschichte bis zur Entstehung der vorliegenden Publikation. Sie finden den Text mit mehreren Illustrationen im PDF-Format. Klicken Sie hier.

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2. Text und Illustrationen

Von allen Illustrationen wurden Ausschnitte bzw. Vergrößerungen gemacht, um die meisterhafte Umsetzung der Zeichnungen Menzels in den Holzstich und die Details zu zeigen.

Heinrich von Kleist
Der zerbrochene Krug
Ein Lustspiel

Personen

Adolph Menzel, Illustration zu Heinrich von Kleist, Der zerbrochene Krug, Personen

Signiert: Ad. Menzel. A. V. sc[ulpsit]
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Walter, Gerichtsrat.
Adam, Dorfrichter.
Licht, Schreiber.
Frau Marthe Rull.
Eve, ihre Tochter.
Veit Tümpel, ein Bauer.
Ruprecht, sein Sohn.
Frau Brigitte.
Ein Bedienter, Büttel, Mägde usw.

Die Handlung spielt in einem niederländischen Dorfe bei Utrecht.
Szene: Die Gerichtsstube.

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Erster Auftritt
Adam sitzt und verbindet sich ein Bein. Licht tritt auf.

Adolph Menzel, Illustration zu Heinrich von Kleist, Der zerbrochene Krug, Erster Auftritt


LICHT.
Ei, was zum Henker, sagt, Gevatter Adam!
Was ist mit Euch geschehn? Wie seht Ihr aus?

ADAM.
Ja, seht. Zum Straucheln braucht's doch nichts, als Füße.
Auf diesem glatten Boden, ist ein Strauch hier?
Gestrauchelt bin ich hier; denn jeder trägt
Den leidgen Stein zum Anstoß in sich selbst.

LICHT.
Nein, sagt mir, Freund! Den Stein trüg jeglicher –?

ADAM.
Ja, in sich selbst!

LICHT.
Verflucht das!

ADAM.
Was beliebt?

LICHT.
Ihr stammt von einem lockern Ältervater,
Der so beim Anbeginn der Dinge fiel,
Und wegen seines Falls berühmt geworden;
Ihr seid doch nicht –?

ADAM.
Nun?

LICHT.
Gleichfalls –?

ADAM.
Ob ich –? Ich glaube –!
Hier bin ich hingefallen, sag ich Euch.

LICHT.
Unbildlich hingeschlagen?

ADAM.
Ja, unbildlich.
Es mag ein schlechtes Bild gewesen sein.

LICHT.
Wann trug sich die Begebenheit denn zu?

ADAM.
Jetzt, in dem Augenblick, da ich dem Bett
Entsteig. Ich hatte noch das Morgenlied
Im Mund, da stolpr' ich in den Morgen schon,
Und eh ich noch den Lauf des Tags beginne,
Renkt unser Herrgott mir den Fuß schon aus.

LICHT.
Und wohl den linken obenein?

ADAM.
Den linken?

LICHT.
Hier, den gesetzten?

ADAM.
Freilich!

LICHT.
Allgerechter!
Der ohnhin schwer den Weg der Sünde wandelt.

ADAM.
Der Fuß! Was! Schwer! Warum?

LICHT.
Der Klumpfuß?

ADAM.
Klumpfuß!
Ein Fuß ist, wie der andere, ein Klumpen.

LICHT.
Erlaubt! Da tut Ihr Eurem rechten Unrecht.
Der rechte kann sich dieser – Wucht nicht rühmen,
Und wagt sich eh'r aufs Schlüpfrige.

ADAM.
Ach, was!
Wo sich der eine hinwagt, folgt der andre.

LICHT.
Und was hat das Gesicht Euch so verrenkt?

ADAM.
Mir das Gesicht?

LICHT.
Wie? Davon wisst Ihr nichts?

ADAM.
Ich müsst ein Lügner sein – wie sieht's denn aus?

LICHT.
Wie's aussieht?

ADAM.
Ja, Gevatterchen.

LICHT.
Abscheulich!

ADAM.
Erklärt Euch deutlicher.

LICHT.
Geschunden ist's,
Ein Greul zu sehn. Ein Stück fehlt von der Wange,
Wie groß? Nicht ohne Waage kann ich's schätzen.

ADAM.
Den Teufel auch!

LICHT bringt einen Spiegel.
Hier! Überzeugt Euch selbst!
Ein Schaf, das, eingehetzt von Hunden, sich
Durch Dornen drängt, lässt nicht mehr Wolle sitzen,
Als Ihr, Gott weiß wo? Fleisch habt sitzen lassen.

ADAM.
Hm! Ja! 's ist wahr. Unlieblich sieht es aus.
Die Nas hat auch gelitten.

LICHT.
Und das Auge.

ADAM.
Das Auge nicht, Gevatter.

LICHT.
Ei, hier liegt
Querfeld ein Schlag, blutrünstig, straf mich Gott,
Als hätt ein Großknecht wütend ihn geführt.

ADAM.
Das ist der Augenknochen. – Ja, nun seht,
Das alles hatt ich nicht einmal gespürt.

LICHT.
Ja, ja! So geht's im Feuer des Gefechts.

ADAM.
Gefecht! Was! – Mit dem verfluchten Ziegenbock,
Am Ofen focht ich, wenn Ihr wollt. Jetzt weiß ich's.
Da ich das Gleichgewicht verlier, und gleichsam
Ertrunken in den Lüften um mich greife,
Fass ich die Hosen, die ich gestern abend
Durchnässt an das Gestell des Ofens hing.
Nun fass ich sie, versteht Ihr, denke mich,
Ich Tor, daran zu halten, und nun reißt
Der Bund; Bund jetzt und Hos und ich, wir stürzen,
Und häuptlings mit dem Stirnblatt schmettr' ich auf
Den Ofen hin, just wo ein Ziegenbock
Die Nase an der Ecke vorgestreckt.

LICHT lacht.
Gut, gut.

ADAM.
Verdammt!

LICHT.
Der erste Adamsfall,
Den Ihr aus einem Bett hinaus getan.

ADAM.
Mein Seel! – Doch, was ich sagen wollte, was gibt's Neues?

LICHT.
Ja, was es Neues gibt! Der Henker hol's,
Hätt ich's doch bald vergessen.

ADAM.
Nun?

LICHT.
Macht Euch bereit auf unerwarteten
Besuch aus Utrecht.

ADAM.
So?

LICHT.
Der Herr Gerichtsrat kömmt.

ADAM.
Wer kömmt?

LICHT.
Der Herr Gerichtsrat Walter kömmt, aus Utrecht.
Er ist in Revisionsbereisung auf den Ämtern,
Und heut noch trifft er bei uns ein.

ADAM.
Noch heut! Seid Ihr bei Trost?

LICHT.
So wahr ich lebe.
Er war in Holla, auf dem Grenzdorf, gestern,
Hat das Justizamt dort schon revidiert.
Ein Bauer sah zur Fahrt nach Huisum schon
Die Vorspannpferde vor den Wagen schirren.

ADAM.
Heut noch, er, der Gerichtsrat, her, aus Utrecht!
Zur Revision, der wackre Mann, der selbst
Sein Schäfchen schiert, dergleichen Fratzen hasst.
Nach Huisum kommen, und uns kujonieren!

LICHT.
Kam er bis Holla, kommt er auch bis Huisum.
Nehmt Euch in acht.

ADAM.
Ach geht!

LICHT.
Ich sag es Euch.

ADAM.
Geht mir mit Eurem Märchen, sag ich Euch.

LICHT.
Der Bauer hat ihn selbst gesehn, zum Henker.

ADAM.
Wer weiß, wen der triefäugige Schuft gesehn.
Die Kerle unterscheiden ein Gesicht
Von einem Hinterkopf nicht, wenn er kahl ist.
Setzt einen Hut dreieckig auf mein Rohr,
Hängt ihm den Mantel um, zwei Stiefeln drunter,
So hält so'n Schubiack ihn für wen Ihr wollt.

LICHT.
Wohlan so zweifelt fort, ins Teufels Namen,
Bis er zur Tür eintritt.

ADAM.
Er, eintreten! –
Ohn uns ein Wort vorher gesteckt zu haben.

LICHT.
Der Unverstand! Als ob's der vorige
Revisor noch, der Rat Wachholder, wäre!
Es ist Rat Walter jetzt, der revidiert.

ADAM.
Wenngleich Rat Walter! Geht, lasst mich zufrieden.
Der Mann hat seinen Amtseid ja geschworen,
Und praktisiert, wie wir, nach den
Bestehenden Edikten und Gebräuchen.

LICHT.
Nun, ich versichr' Euch, der Gerichtsrat Walter
Erschien in Holla unvermutet gestern,
Vis'tierte Kassen und Registraturen,
Und suspendierte Richter dort und Schreiber,
Warum? ich weiß nicht, ab officio.

ADAM.
Den Teufel auch? Hat das der Bauer gesagt?

LICHT.
Dies und noch mehr –

ADAM.
So?

LICHT.
Wenn Ihr's wissen wollt.
Denn in der Frühe heut sucht man den Richter,
Dem man in seinem Haus Arrest gegeben,
Und findet hinten in der Scheuer ihn
Am Sparren hoch des Daches aufgehangen.

ADAM.
Was sagt Ihr?

LICHT.
Hülf inzwischen kommt herbei,
Man löst ihn ab, man reibt ihn, und begießt ihn,
Ins nackte Leben bringt man ihn zurück.

ADAM.
So? Bringt man ihn?

LICHT.
Doch jetzo wird versiegelt,
In seinem Haus, vereidet und verschlossen,
Es ist, als wär er eine Leiche schon,
Und auch sein Richteramt ist schon beerbt.

ADAM.
Ei, Henker, seht! – Ein liederlicher Hund war's –
Sonst eine ehrliche Haut, so wahr ich lebe,
Ein Kerl, mit dem sich's gut zusammen war;
Doch grausam liederlich, das muss ich sagen.
Wenn der Gerichtsrat heut in Holla war,
So ging's ihm schlecht, dem armen Kauz, das glaub ich.

LICHT.
Und dieser Vorfall einzig, sprach der Bauer,
Sei schuld, dass der Gerichtsrat noch nicht hier;
Zu Mittag treff er doch ohnfehlbar ein.

ADAM.
Zu Mittag! Gut, Gevatter! Jetzt gilt's Freundschaft
Ihr wisst, wie sich zwei Hände waschen können.
Ihr wollt auch gern, ich weiß, Dorfrichter werden,
Und Ihr verdient's, bei Gott, so gut wie einer.
Doch heut ist noch nicht die Gelegenheit,
Heut lasst Ihr noch den Kelch vorübergehn.

LICHT.
Dorfrichter, ich! Was denkt Ihr auch von mir?

ADAM.
Ihr seid ein Freund von wohlgesetzter Rede,
Und Euren Cicero habt Ihr studiert
Trotz einem auf der Schul in Amsterdam.
Drückt Euren Ehrgeiz heut hinunter, hört Ihr?
Es werden wohl sich Fälle noch ergeben,
Wo Ihr mit Eurer Kunst Euch zeigen könnt.

LICHT.
Wir zwei Gevatterleute! Geht mir fort.

ADAM.
Zu seiner Zeit, Ihr wisst's, schwieg auch der große
Demosthenes. Folgt hierin seinem Muster.
Und bin ich König nicht von Mazedonien,
Kann ich auf meine Art doch dankbar sein.

LICHT.
Geht mir mit Eurem Argwohn, sag ich Euch.
Hab ich jemals –?

ADAM.
Seht, ich, ich, für mein Teil,
Dem großen Griechen folg ich auch. Es ließe
Von Depositionen sich und Zinsen
Zuletzt auch eine Rede ausarbeiten:
Wer wollte solche Perioden drehn?

LICHT.
Nun, also!

ADAM.
Von solchem Vorwurf bin ich rein,
Der Henker hol's! Und alles, was es gilt,
Ein Schwank ist's etwa, der zur Nacht geboren,
Des Tags vorwitz'gen Lichtstrahl scheut.

LICHT.
Ich weiß.

ADAM.
Mein Seel! Es ist kein Grund, warum ein Richter,
Wenn er nicht auf dem Richtstuhl sitzt,
Soll gravitätisch, wie ein Eisbär, sein.

LICHT.
Das sag ich auch.

ADAM.
Nun denn, so kommt Gevatter,
Folgt mir ein wenig zur Registratur;
Die Aktenstöße setz ich auf, denn die,
Die liegen wie der Turm zu Babylon.

 

Adolph Menzel, Illustration zu Heinrich von Kleist, Der zerbrochene Krug, Erster Auftritt

 


*****

Zweiter Auftritt
Ein Bedienter tritt auf. Die Vorigen. – Nachher: Zwei Mägde.

Adolph Menzel, Illustration zu Heinrich von Kleist, Der zerbrochene Krug, Zweiter Auftritt

 


DER BEDIENTE.
Gott helf, Herr Richter! Der Gerichtsrat Walter
Lässt seinen Gruß vermelden, gleich wird er hier sein.

ADAM.
Ei, du gerechter Himmel! Ist er mit Holla
Schon fertig?

DER BEDIENTE.
Ja, er ist in Huisum schon.

ADAM.
He! Liese! Grete!

LICHT.
Ruhig, ruhig jetzt.

ADAM.
Gevatterchen!

LICHT.
Lasst Euern Dank vermelden.

DER BEDIENTE.
Und morgen reisen wir nach Hussahe.

ADAM.
Was tu ich jetzt? Was lass ich?

Er greift nach seinen Kleidern.

ERSTE MAGD tritt auf.
Hier bin ich, Herr.

LICHT.
Wollt Ihr die Hosen anziehn? Seid Ihr toll?

ZWEITE MAGD tritt auf.
Hier bin ich, Herr Dorfrichter.

LICHT.
Nehmt den Rock.

ADAM sieht sich um.
Wer? Der Gerichtsrat?

LICHT.
Ach, die Magd ist es.

ADAM.
Die Bäffchen! Mantel! Kragen!

ERSTE MAGD.
Erst die Weste!

ADAM.
Was? – Rock aus! Hurtig!

LICHT zum Bedienten.
Der Herr Gerichtsrat werden
Hier sehr willkommen sein. Wir sind sogleich
Bereit ihn zu empfangen. Sagt ihm das.

ADAM.
Den Teufel auch! Der Richter Adam lässt sich
Entschuldigen.

LICHT.
Entschuldigen!

ADAM.
Entschuldgen.
Ist er schon unterwegs etwa?

DER BEDIENTE.
Er ist
Im Wirtshaus noch. Er hat den Schmied bestellt;
Der Wagen ging entzwei.

ADAM.
Gut. Mein Empfehl.
Der Schmied ist faul. Ich ließe mich entschuldgen.
Ich hätte Hals und Beine fast gebrochen,
Schaut selbst, 's ist ein Spektakel, wie ich ausseh;
Und jeder Schreck purgiert mich von Natur.
Ich wäre krank.

LICHT.
Seid Ihr bei Sinnen? –
Der Herr Gerichtsrat wär sehr angenehm.
– Wollt Ihr?

ADAM.
Zum Henker!

LICHT.
Was?

ADAM.
Der Teufel soll mich holen,
Ists nicht so gut, als hätt ich schon ein Pulver!

LICHT.
Das fehlt noch, dass Ihr auf den Weg ihm leuchtet.

ADAM.
Margrete! he! Der Sack voll Knochen! Liese!

DIE BEIDEN MÄGDE.
Hier sind wir ja. Was wollt Ihr?

ADAM.
Fort! sag ich.
Kuhkäse, Schinken, Butter, Würste, Flaschen,
Aus der Registratur geschafft! Und flink! –
Du nicht. Die andere. – Maulaffe! Du ja!
– Gotts Blitz, Margrete! Liese soll, die Kuhmagd,
In die Registratur!

Die erste Magd geht ab.

DIE ZWEITE MAGD.
Sprecht, soll man Euch verstehn!

ADAM.
Halts Maul jetzt, sag ich –! Fort! schaff mir die Perücke!
Marsch! Aus dem Bücherschrank! Geschwind! Pack dich!

Die zweite Magd ab.

LICHT zum Bedienten.
Es ist dem Herrn Gerichtsrat, will ich hoffen,
Nichts Böses auf der Reise zugestoßen?

DER BEDIENTE.
Je, nun! Wir sind im Hohlweg umgeworfen.

ADAM.
Pest! Mein geschundner Fuß! Ich krieg die Stiefeln –

LICHT.
Ei, du mein Himmel! Umgeworfen, sagt Ihr?
Doch keinen Schaden weiter –?

DER BEDIENTE.
Nichts von Bedeutung.
Der Herr verstauchte sich die Hand ein wenig.
Die Deichsel brach.

ADAM.
Dass er den Hals gebrochen!

LICHT.
Die Hand verstaucht! Ei, Herr Gott! Kam der Schmied schon?

DER BEDIENTE.
Ja, für die Deichsel.

LICHT.
Was?

ADAM.
Ihr meint, der Doktor.

LICHT.
Was?

DER BEDIENTE.
Für die Deichsel?

ADAM.
Ach, was! Für die Hand.

DER BEDIENTE.
Adies, ihr Herrn. – Ich glaub, die Kerls sind toll.

Ab.

LICHT.
Den Schmied meint ich.

ADAM.
Ihr gebt Euch bloß, Gevatter.

LICHT.
Wieso?

ADAM.
Ihr seid verlegen.

LICHT.
Was!

Die erste Magd tritt auf.

ADAM.
He! Liese!
Was hast du da?

ERSTE MAGD.
Braunschweiger Wurst, Herr Richter.

ADAM.
Das sind Pupillenakten.

LICHT.
Ich, verlegen!

ADAM.
Die kommen wieder zur Registratur.

ERSTE MAGD.
Die Würste?

ADAM.
Würste! Was! Der Einschlag hier.

LICHT.
Es war ein Missverständnis.

DIE ZWEITE MAGD tritt auf.
Im Bücherschrank,
Herr Richter, find ich die Perücke nicht.

ADAM.
Warum nicht?

ZWEITE MAGD.
Hm! Weil Ihr –

ADAM.
Nun?

ZWEITE MAGD.
Gestern abend –
Glock eilf –

ADAM.
Nun? Werd ich's hören?

ZWEITE MAGD.
Ei, Ihr kamt ja,
Besinnt Euch, ohne die Perück ins Haus.

ADAM.
Ich, ohne die Perücke?

ZWEITE MAGD.
In der Tat.
Da ist die Liese, die's bezeugen kann.
Und Eure andr' ist beim Perückenmacher.

ADAM.
Ich wär –?

ERSTE MAGD.
Ja, meiner Treu, Herr Richter Adam!
Kahlköpfig wart Ihr, als Ihr wiederkamt;
Ihr spracht, Ihr wärt gefallen, wisst Ihr nicht?
Das Blut musst ich Euch noch vom Kopfe waschen.

ADAM.
Die Unverschämte!

ERSTE MAGD.
Ich will nicht ehrlich sein.

ADAM.
Halts Maul, sag ich, es ist kein wahres Wort.

LICHT.
Habt Ihr die Wund seit gestern schon?

ADAM.
Nein, heut.
Die Wunde heut und gestern die Perücke.
Ich trug sie weiß gepudert auf dem Kopfe,
Und nahm sie mit dem Hut, auf Ehre, bloß,
Als ich ins Haus trat, aus Versehen ab.
Was die gewaschen hat, das weiß ich nicht.
– Scher dich zum Satan, wo du hingehörst!
In die Registratur!

Erste Magd ab.

Geh, Margarete!
Gevatter Küster soll mir seine borgen;
In meine hätt die Katze heute morgen
Gejungt, das Schwein! Sie läge eingesäuet
Mir unterm Bette da, ich weiß nun schon.

LICHT.
Die Katze? Was? Seid Ihr –?

ADAM.
So wahr ich lebe.
Fünf Junge, gelb und schwarz, und eins ist weiß.
Die schwarzen will ich in der Vecht ersäufen.
Was soll man machen? Wollt Ihr eine haben?

LICHT.
In die Perücke?

ADAM.
Der Teufel soll mich holen!
Ich hatte die Perücke aufgehängt,
Auf einen Stuhl, da ich zu Bette ging,
Den Stuhl berühr ich in der Nacht, sie fällt –

LICHT.
Drauf nimmt die Katze sie ins Maul –

ADAM.
Mein Seel –

LICHT.
Und trägt sie unters Bett und jungt darin.

ADAM.
Ins Maul? Nein –

LICHT.
Nicht? Wie sonst?

ADAM.
Die Katz? Ach, was!

LICHT.
Nicht? Oder Ihr vielleicht?

ADAM.
Ins Maul! Ich glaube –!
ch stieß sie mit dem Fuße heut hinunter,
Als ich es sah.

LICHT.
Gut, gut.

ADAM.
Kanaillen die!
Die balzen sich und jungen, wo ein Platz ist.

ZWEITE MAGD kichernd.
So soll ich hingehn?

ADAM.
Ja, und meinen Gruß
An Muhme Schwarzgewand, die Küsterin.
Ich schickt ihr die Perücke unversehrt
Noch heut zurück – ihm brauchst du nichts zu sagen.
Verstehst du mich?

ZWEITE MAGD.
Ich werd es schon bestellen.

Ab.

Adolph Menzel, Illustration zu Heinrich von Kleist, Der zerbrochene Krug, Zweiter Auftritt, Katze mit Perücke

 


*****

Dritter Auftritt
Adam und Licht.

Adolph Menzel, Illustration zu Heinrich von Kleist, Der zerbrochene Krug, Dritter Auftritt


ADAM.
Mir ahndet heut nichts Guts, Gevatter Licht.

LICHT.
Warum?

ADAM.
Es geht bunt alles überecke mir.
Ist nicht auch heut Gerichtstag?

LICHT.
Allerdings.
Die Kläger stehen vor der Türe schon.

*****

Adolph Menzel, Illustration zu Heinrich von Kleist, Der zerbrochene Krug, Vollbild. Adam: Mir träumt', es hätt' ein Kläger mich ergriffen, und schleppte vor den Richterstuhl mich.

Signiert Ad. Menzel. J. B. Obermetter.
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Mir träumt', es hätt' ein Kläger mich ergriffen,
Und schleppte vor den Richterstuhl mich.

*****

ADAM.
– Mir träumt', es hätt ein Kläger mich ergriffen,
Und schleppte vor den Richtstuhl mich; und ich,
Ich säße gleichwohl auf dem Richtstuhl dort,
Und schält' und hunzt' und schlingelte mich herunter,
Und judiziert den Hals ins Eisen mir.

LICHT.
Wie? Ihr Euch selbst?

ADAM.
So wahr ich ehrlich bin.
Drauf wurden beide wir zu eins, und flohn,
Und mussten in den Fichten übernachten.

LICHT.
Nun? Und der Traum meint Ihr?

ADAM.
Der Teufel hol's.
Wenns auch der Traum nicht ist, ein Schabernack,
Seis, wie es woll, ist wider mich im Werk!

LICHT.
Die läppsche Furcht! Gebt Ihr nur vorschriftsmäßig,
Wenn der Gerichtsrat gegenwärtig ist,
Recht den Parteien auf dem Richterstuhle,
Damit der Traum vom ausgehunzten Richter
Auf andre Art nicht in Erfüllung geht.

Adolph Menzel, Illustration zu Heinrich von Kleist, Der zerbrochene Krug, Dritter Auftritt

 


*****

Vierter Auftritt
Der Gerichtsrat Walter tritt auf. Die Vorigen.

Adolph Menzel, Illustration zu Heinrich von Kleist, Der zerbrochene Krug, Vierter Auftritt


WALTER.
Gott grüß Euch, Richter Adam.

ADAM.
Ei willkommen!
Willkommen, gnädger Herr, in unserm Huisum!
Wer konnte, du gerechter Gott, wer konnte
So freudigen Besuches sich gewärtgen.
Kein Traum, der heute früh Glock achte noch
Zu solchem Glücke sich versteigen durfte.

WALTER.
Ich komm ein wenig schnell, ich weiß; und muss
Auf dieser Reis, in unsrer Staaten Dienst,
Zufrieden sein, wenn meine Wirte mich
Mit wohlgemeintem Abschiedsgruß entlassen.
Inzwischen ich, was meinen Gruß betrifft,
Ich meins von Herzen gut, schon wenn ich komme.
Das Obertribunal in Utrecht will
Die Rechtspfleg auf dem platten Land verbessern,
Die mangelhaft von mancher Seite scheint,
Und strenge Weisung hat der Missbrauch zu erwarten.
Doch mein Geschäft auf dieser Reis ist noch
Ein strenges nicht, sehn soll ich bloß, nicht strafen,
Und find ich gleich nicht alles, wie es soll,
Ich freue mich, wenn es erträglich ist.

ADAM.
Fürwahr, so edle Denkart muss man loben.
Euer Gnaden werden hie und da, nicht zweifl' ich,
Den alten Brauch im Recht zu tadeln wissen;
Und wenn er in den Niederlanden gleich
Seit Kaiser Karl dem Fünften schon besteht:
Was lässt sich in Gedanken nicht erfinden?
Die Welt, sagt unser Sprichwort, wird stets klüger,
Und alles liest, ich weiß, den Pufendorf;
Doch Huisum ist ein kleiner Teil der Welt,
Auf den nicht mehr, nicht minder, als sein Teil nur
Kann von der allgemeinen Klugheit kommen.
Klärt die Justiz in Huisum gütigst auf,
Und überzeugt Euch, gnädger Herr, Ihr habt
Ihr noch sobald den Rücken nicht gekehrt,
Als sie auch völlig Euch befriedgen wird;
Doch fändet Ihr sie heut im Amte schon
Wie Ihr sie wünscht, mein Seel, so wärs ein Wunder,
Da sie nur dunkel weiß noch, was Ihr wollt.

WALTER.
Es fehlt an Vorschriften, ganz recht. Vielmehr
Es sind zu viel, man wird sie sichten müssen.

ADAM.
Ja, durch ein großes Sieb. Viel Spreu! Viel Spreu!

WALTER.
Das ist dort der Herr Schreiber?

LICHT.
Der Schreiber Licht,
Zu Eurer hohen Gnaden Diensten. Pfingsten
Neun Jahre, dass ich im Justizamt bin.

ADAM bringt einen Stuhl.
Setzt Euch.

WALTER.
Lasst sein.

ADAM.
Ihr kommt von Holla schon.

WALTER.
Zwei kleine Meilen – Woher wisst Ihr das?

ADAM.
Woher? Euer Gnaden Diener –

LICHT.
Ein Bauer sagt' es,
Der eben jetzt von Holla eingetroffen.

WALTER.
Ein Bauer?

ADAM.
Aufzuwarten.

WALTER.
– Ja! Es trug sich
Dort ein unangenehmer Vorfall zu,
Der mir die heitre Laune störte,
Die in Geschäften uns begleiten soll. –
Ihr werdet davon unterrichtet sein?

ADAM.
Wärs wahr, gestrenger Herr? Der Richter Pfaul,
Weil er Arrest in seinem Haus empfing,
Verzweiflung hätt den Toren überrascht,
Er hing sich auf?

WALTER.
Und machte Übel ärger.
Was nur Unordnung schien, Verworrenheit,
Nimmt jetzt den Schein an der Veruntreuung,
Die das Gesetz, Ihr wisst's, nicht mehr verschont. –
Wie viele Kassen habt Ihr?

ADAM.
Fünf, zu dienen.

WALTER.
Wie, fünf! Ich stand im Wahn – Gefüllte Kassen?
Ich stand im Wahn, dass Ihr nur vier –

ADAM.
Verzeiht!
Mit der Rhein-Inundations-Kollektenkasse?

WALTER.
Mit der Inundations-Kollektenkasse!
Doch jetzo ist der Rhein nicht inundiert,
Und die Kollekten gehn mithin nicht ein.
– Sagt doch, Ihr habt ja wohl Gerichtstag heut?

ADAM.
Ob wir –?

WALTER.
Was?

LICHT.
Ja, den ersten in der Woche.

WALTER.
Und jene Schar von Leuten, die ich draußen
Auf Eurem Flure sah, sind das –?

ADAM.
Das werden –

LICHT.
Die Kläger sinds, die sich bereits versammeln.

WALTER.
Gut. Dieser Umstand ist mir lieb, ihr Herren.
Lasst diese Leute, wenns beliebt, erscheinen.
Ich wohne dem Gerichtsgang bei; ich sehe
Wie er in Eurem Huisum üblich ist.
Wir nehmen die Registratur, die Kassen,
Nachher, wenn diese Sache abgetan.

ADAM.
Wie Ihr befehlt. – Der Büttel! He! Hanfriede!

Adolph Menzel, Illustration zu Heinrich von Kleist, Der zerbrochene Krug, Vierter Auftritt, Der Büttel


*****

Fünfter Auftritt
Die zweite Magd tritt auf. Die Vorigen.

Adolph Menzel, Illustration zu Heinrich von Kleist, Der zerbrochene Krug, Fünfter Auftritt


ZWEITE MAGD.
Gruß von Frau Küsterin, Herr Richter Adam;
So gern sie die Perück Euch auch –

ADAM.
Wie? Nicht?

ZWEITE MAGD.
Sie sagt, es wäre Morgenpredigt heute;
Der Küster hätte selbst die eine auf,
Und seine andre wäre unbrauchbar,
Sie sollte heut zu dem Perückenmacher.

ADAM.
Verflucht!

ZWEITE MAGD.
Sobald der Küster wieder kömmt,
Wird sie jedoch sogleich Euch seine schicken.

ADAM.
Auf meine Ehre, gnädger Herr –

WALTER.
Was gibt's?

ADAM.
Ein Zufall, ein verwünschter, hat um beide
Perücken mich gebracht. Und jetzt bleibt mir
Die dritte aus, die ich mir leihen wollte:
Ich muss kahlköpfig den Gerichtstag halten.

WALTER.
Kahlköpfig!

ADAM.
Ja, beim ewigen Gott! So sehr
Ich ohne der Perücke Beistand um
Mein Richteransehn auch verlegen bin.
– Ich müsst es auf dem Vorwerk noch versuchen,
Ob mir vielleicht der Pächter –?

WALTER.
Auf dem Vorwerk!
Kann jemand anders hier im Orte nicht –?

ADAM.
Nein, in der Tat –

WALTER.
Der Prediger vielleicht.

ADAM.
Der Prediger? Der –

WALTER.
Oder Schulmeister.

ADAM.
Seit der Sackzehnde abgeschafft, Euer Gnaden,
Wozu ich hier im Amte mitgewirkt,
Kann ich auf beider Dienste nicht mehr rechnen.

WALTER.
Nun, Herr Dorfrichter? Nun? Und der Gerichtstag?
Denkt Ihr zu warten, bis die Haar Euch wachsen?

ADAM.
Ja, wenn Ihr mir erlaubt, schick ich aufs Vorwerk.

WALTER.
– Wie weit ists auf das Vorwerk?

ADAM.
Ei! Ein kleines
Halbstündchen.

WALTER.
Eine halbe Stunde, was!
Und Eurer Sitzung Stunde schlug bereits.
Macht fort! Ich muss noch heut nach Hussahe.

ADAM.
Macht fort! Ja –

WALTER.
Ei, so pudert Euch den Kopf ein!
Wo Teufel auch, wo ließt Ihr die Perücken?
– Helft Euch so gut Ihr könnt. Ich habe Eile.

ADAM.
Auch das.

DER BÜTTEL tritt auf.
Hier ist der Büttel!

ADAM.
Kann ich inzwischen
Mit einem guten Frühstück, Wurst aus Braunschweig,
Ein Gläschen Danziger etwa –

WALTER.
Danke sehr.

ADAM.
Ohn Umständ!

WALTER.
Dank', Ihr hörts, habs schon genossen.
Geht Ihr, und nutzt die Zeit, ich brauche sie
In meinem Büchlein etwas mir zu merken.

ADAM.
Nun, wenn Ihr so befehlt – Komm, Margarete!

WALTER.
– Ihr seid ja bös verletzt, Herr Richter Adam.
Seid Ihr gefallen?

ADAM.
– Hab einen wahren Mordschlag
Heut früh, als ich dem Bett entstieg, getan:
Seht, gnädger Herr Gerichtsrat, einen Schlag
Ins Zimmer hin, ich glaubt es wär ins Grab.

WALTER.
Das tut mir leid. – Es wird doch weiter nicht
Von Folgen sein?

ADAM.
Ich denke nicht. Und auch
In meiner Pflicht solls weiter mich nicht stören. –
Erlaubt!

WALTER.
Geht, geht!

ADAM zum Büttel.
Die Kläger rufst du – Marsch!

Adam, die Magd und der Büttel ab.

Adolph Menzel, Illustration zu Heinrich von Kleist, Der zerbrochene Krug, Fünfter Auftritt, Adam


*****

Sechster Auftritt
Frau Marthe, Eve, Veit und Ruprecht treten auf.
– Walter und Licht im Hintergrunde
.

Adolph Menzel, Illustration zu Heinrich von Kleist, Der zerbrochene Krug, Sechster Auftritt


FRAU MARTHE.
Ihr krugzertrümmerndes Gesindel, ihr!
Ihr sollt mir büßen, ihr!

VEIT.
Sei Sie nur ruhig,
Frau Marth! Es wird sich alles hier entscheiden.

FRAU MARTHE.
O ja. Entscheiden. Seht doch. Den Klugschwätzer.
Den Krug mir, den zerbrochenen, entscheiden.
Wer wird mir den geschiednen Krug entscheiden?
Hier wird entschieden werden, dass geschieden
Der Krug mir bleiben soll. Für so 'n Schiedsurteil
Geb ich noch die geschiednen Scherben nicht.

VEIT.
Wenn Sie sich Recht erstreiten kann, Sie hörts,
Ersetz ich ihn.

FRAU MARTHE.
Er mir den Krug ersetzen.
Wenn ich mir Recht erstreiten kann, ersetzen.
Setz Er den Krug mal hin, versuch Ers mal,
Setz Er 'n mal hin auf das Gesims! Ersetzen!
Den Krug, der kein Gebein zum Stehen hat,
Zum Liegen oder Sitzen hat, ersetzen!

VEIT.
Sie hörts! Was geifert Sie? Kann man mehr tun?
Wenn einer Ihr von uns den Krug zerbrochen,
Soll Sie entschädigt werden.

FRAU MARTHE.
Ich entschädigt!
Als ob ein Stück von meinem Hornvieh spräche.
Meint Er, dass die Justiz ein Töpfer ist?
Und kämen die Hochmögenden und bänden
Die Schürze vor, und trügen ihn zum Ofen,
Die könnten sonst was in den Krug mir tun,
Als ihn entschädigen. Entschädigen!

RUPRECHT.
Lass Er sie, Vater. Folg Er mir. Der Drache!
's ist der zerbrochne Krug nicht, der sie wurmt,
Die Hochzeit ist es, die ein Loch bekommen,
Und mit Gewalt hier denkt sie sie zu flicken.
Ich aber setze noch den Fuß eins drauf:
Verflucht bin ich, wenn ich die Metze nehme.

FRAU MARTHE.
Der eitle Flaps! Die Hochzeit ich hier flicken!
Die Hochzeit, nicht des Flickdrahts, unzerbrochen
Nicht einen von des Kruges Scherben wert.
Und stünd die Hochzeit blankgescheuert vor mir,
Wie noch der Krug auf dem Gesimse gestern,
So fasst ich sie beim Griff jetzt mit den Händen,
Und schlüg sie gellend ihm am Kopf entzwei,
Nicht aber hier die Scherben möcht ich flicken!
Sie flicken!

EVE.
Ruprecht!

RUPRECHT.
Fort du –!

EVE.
Liebster Ruprecht!

RUPRECHT.
Mir aus den Augen!

EVE.
Ich beschwöre dich.

RUPRECHT.
Die lüderliche –! Ich mag nicht sagen, was.

EVE.
Lass mich ein einzges Wort dir heimlich –

RUPRECHT.
Nichts!

EVE.
– Du gehst zum Regimente jetzt, o Ruprecht,
Wer weiß, wenn du erst die Muskete trägst,
Ob ich dich je im Leben wieder sehe.
Krieg ists, bedenke, Krieg, in den du ziehst:
Willst du mit solchem Grolle von mir scheiden?

RUPRECHT.
Groll? Nein, bewahr mich Gott, das will ich nicht.
Gott schenk dir so viel Wohlergehn, als er
Erübrigen kann. Doch kehrt ich aus dem Kriege
Gesund, mit erzgegossnem Leib zurück,
Und würd in Huisum achtzig Jahre alt,
So sagt ich noch im Tode zu dir: Metze!
Du willsts ja selber vor Gericht beschwören.

FRAU MARTHE zu Eve.
Hinweg! Was sagt ich dir? Willst du dich noch
Beschimpfen lassen? Der Herr Korporal
Ist was für dich, der würdge Holzgebein,
Der seinen Stock im Militär geführt,
Und nicht dort der Maulaffe, der dem Stock
Jetzt seinen Rücken bieten wird. Heut ist
Verlobung, Hochzeit, wäre Taufe heute,
Es wär mir recht, und mein Begräbnis leid ich,
Wenn ich dem Hochmut erst den Kamm zertreten,
Der mir bis an die Krüge schwillet.

EVE.
Mutter!
Lasst doch den Krug! Lasst mich doch in der Stadt versuchen,
Ob ein geschickter Handwerksmann die Scherben
Nicht wieder Euch zur Lust zusammenfügt.
Und wärs um ihn geschehn, nehmt meine ganze
Sparbüchse hin, und kauft Euch einen neuen.
Wer wollte doch um einen irdnen Krug,
Und stammt er von Herodes' Zeiten her,
Solch einen Aufruhr, so viel Unheil stiften.

FRAU MARTHE.
Du sprichst, wie dus verstehst. Willst du etwa
Die Fiedel tragen, Evchen, in der Kirche
Am nächsten Sonntag reuig Buße tun?
Dein guter Name lag in diesem Topfe,
Und vor der Welt mit ihm ward er zerstoßen,
Wenn auch vor Gott nicht, und vor mir und dir.
Der Richter ist mein Handwerksmann, der Schergen,
Der Block ists, Peitschenhiebe, die es braucht,
Und auf den Scheiterhaufen das Gesindel,
Wenns unsre Ehre weiß zu brennen gilt,
Und diesen Krug hier wieder zu glasieren.

Adolph Menzel, Illustration zu Heinrich von Kleist, Der zerbrochene Krug, Sechster Auftritt


*****

Siebenter Auftritt
Adam im Ornat, doch ohne Perücke, tritt auf. Die Vorigen.

Adolph Menzel, Illustration zu Heinrich von Kleist, Der zerbrochene Krug, Siebenter Auftritt


ADAM für sich.
Ei, Evchen. Sieh! Und der vierschrötge Schlingel,
Der Ruprecht! Ei, was Teufel, sieh! die ganze Sippschaft!
– Die werden mich doch nicht bei mir verklagen?

EVE.
O liebste Mutter, folgt mir, ich beschwör Euch,
Lasst diesem Unglückszimmer uns entfliehen!

ADAM.
Gevatter! Sagt mir doch, was bringen die?

LICHT.
Was weiß ich? Lärm um nichts; Lappalien.
Es ist ein Krug zerbrochen worden, hör ich.

ADAM.
Ein Krug! So! Ei! – Ei, wer zerbrach den Krug?

LICHT.
Wer ihn zerbrochen?

ADAM.
Ja, Gevatterchen.

LICHT.
Mein Seel, setzt Euch: so werdet Ihrs erfahren.

ADAM heimlich.
Evchen!

EVE gleichfalls.
Geh Er.

ADAM.
Ein Wort.

EVE.
Ich will nichts wissen.

ADAM.
Was bringt ihr mir?

EVE.
Ich sag Ihm, Er soll gehn.

ADAM.
Evchen! Ich bitte dich! Was soll mir das bedeuten?

EVE.
Wenn Er nicht gleich –! Ich sags Ihm, lass Er mich.

ADAM zu Licht.
Gevatter, hört, mein Seel, ich halts nicht aus.
Die Wund am Schienbein macht mir Übelkeiten;
Führt Ihr die Sach, ich will zu Bette gehn.

LICHT.
Zu Bett –? Ihr wollt –? Ich glaub, Ihr seid verrückt.

ADAM.
Der Henker hols. Ich muss mich übergeben.

LICHT.
Ich glaub, Ihr rast, im Ernst. Soeben kommt Ihr –?
– Meinthalben. Sagts dem Herrn Gerichtsrat dort.
Vielleicht erlaubt ers. – Ich weiß nicht, was Euch fehlt?

ADAM wieder zu Even.
Evchen! Ich flehe dich! Um alle Wunden!
Was ists, das ihr mir bringt?

EVE.
Er wirds schon hören.

ADAM.
Ist's nur der Krug dort, den die Mutter hält,
Den ich, soviel –?

EVE.
Ja, der zerbrochne Krug nur.

ADAM.
Und weiter nichts?

EVE.
Nichts weiter.

ADAM.
Nichts? Gewiss nichts?

EVE.
Ich sag Ihm, geh Er. Lass Er mich zufrieden.

ADAM.
Hör du, bei Gott, sei klug, ich rat es dir.

EVE.
Er, Unverschämter!

ADAM.
In dem Attest steht
Der Name jetzt, Frakturschrift, Ruprecht Tümpel.
Hier trag ichs fix und fertig in der Tasche;
Hörst du es knackern, Evchen? Sieh, das kannst du,
Auf meine Ehr, heut übers Jahr dir holen,
Dir Trauerschürz und Mieder zuzuschneiden,
Wenns heißt: der Ruprecht in Batavia
Krepiert' – ich weiß, an welchem Fieber nicht,
Wars gelb, wars scharlach, oder war es faul.

WALTER.
Sprecht nicht mit den Partein, Herr Richter Adam,
Vor der Session! Hier setzt Euch, und befragt sie.

ADAM.
Was sagt er? – Was befehlen Euer Gnaden?

WALTER.
Was ich befehl? – Ich sagte deutlich Euch,
Dass Ihr nicht heimlich vor der Sitzung sollt
Mit den Partein zweideutge Sprache führen.
Hier ist der Platz, der Eurem Amt gebührt,
Und öffentlich Verhör, was ich erwarte.

ADAM für sich.
Verflucht! Ich kann mich nicht dazu entschließen –!
– Es klirrte etwas, da ich Abschied nahm –

LICHT ihn aufschreckend.
Herr Richter! Seid Ihr –?

ADAM.
Ich? Auf Ehre nicht!
Ich hatte sie behutsam drauf gehängt,
Und müsst ein Ochs gewesen sein –

LICHT.
Was?

ADAM.
Was?

LICHT.
Ich fragte –!

ADAM.
Ihr fragtet, ob ich –?

LICHT.
Ob Ihr taub seid, fragt ich.
Dort Seiner Gnaden haben Euch gerufen.

ADAM.
Ich glaubte –! Wer ruft?

LICHT.
Der Herr Gerichtsrat dort.

ADAM für sich.
Ei! Hols der Henker auch! Zwei Fälle gibts,
Mein Seel, nicht mehr, und wenns nicht biegt, so brichts.
– Gleich! Gleich! Gleich! Was befehlen Euer Gnaden?
Soll jetzt die Prozedur beginnen?

WALTER.
Ihr seid ja sonderbar zerstreut. Was fehlt Euch?

ADAM.
– Auf Ehr! Verzeiht. Es hat ein Perlhuhn mir,
Das ich von einem Indienfahrer kaufte,
Den Pips: ich soll es nudeln, und verstehs nicht,
Und fragte dort die Jungfer bloß um Rat.
Ich bin ein Narr in solchen Dingen, seht,
Und meine Hühner nenn ich meine Kinder.

WALTER.
Hier. Setzt Euch. Ruft den Kläger und vernehmt ihn.
Und Ihr, Herr Schreiber, führt das Protokoll.

ADAM.
Befehlen Euer Gnaden den Prozess
Nach den Formalitäten, oder so,
Wie er in Huisum üblich ist, zu halten?

WALTER.
Nach den gesetzlichen Formalitäten,
Wie er in Huisum üblich ist, nicht anders.

ADAM.
Gut, gut. Ich werd Euch zu bedienen wissen.
Seid Ihr bereit, Herr Schreiber?

LICHT.
Zu Euren Diensten.

ADAM.
– So nimm, Gerechtigkeit, denn deinen Lauf!
Klägere trete vor.

FRAU MARTHE.
Hier, Herr Dorfrichter!

ADAM.
Wer seid Ihr?

FRAU MARTHE.
Wer –?

ADAM.
Ihr.

FRAU MARTHE.
Wer ich –?

ADAM.
Wer Ihr seid!
Wes Namens, Standes, Wohnorts, und so weiter.

FRAU MARTHE.
Ich glaub, Er spaßt, Herr Richter.

ADAM.
Spaßen, was!
Ich sitz im Namen der Justiz, Frau Marthe,
Und die Justiz muss wissen, wer Ihr seid.

LICHT halblaut.
Laßt doch die sonderbare Frag –

FRAU MARTHE.
Ihr guckt
Mir alle Sonntag in die Fenster ja,
Wenn Ihr aufs Vorwerk geht!

WALTER.
Kennt Ihr die Frau?

ADAM.
Sie wohnt hier um die Ecke, Euer Gnaden,
Wenn man den Fußsteig durch die Hecken geht;
Witw' eines Kastellans, Hebamme jetzt,
Sonst eine ehrliche Frau, von gutem Rufe.

WALTER.
Wenn Ihr so unterrichtet seid, Herr Richter,
So sind dergleichen Fragen überflüssig.
Setzt ihren Namen in das Protokoll,
Und schreibt dabei: dem Amte wohlbekannt.

ADAM.
Auch das. Ihr seid nicht für Formalitäten.
Tut so, wie Seiner Gnaden anbefohlen.

WALTER.
Fragt nach dem Gegenstand der Klage jetzt.

ADAM.
Jetzt soll ich –?

WALTER.
Ja, den Gegenstand ermitteln!

ADAM.
Das ist gleichfalls ein Krug, verzeiht.

WALTER.
Wie? Gleichfalls!

ADAM.
Ein Krug. Ein bloßer Krug. Setzt einen Krug,
Und schreibt dabei: dem Amte wohlbekannt.

LICHT.
Auf meine hingeworfene Vermutung
Wollt Ihr, Herr Richter –?

ADAM.
Mein Seel, wenn ichs Euch sage,
So schreibt Ihrs hin. Ists nicht ein Krug, Frau Marthe?

FRAU MARTHE.
Ja, hier der Krug –

ADAM.
Da habt Ihrs.

FRAU MARTHE.
Der zerbrochne –

ADAM.
Pedantische Bedenklichkeit.

LICHT.
Ich bitt Euch –

ADAM.
Und wer zerbrach den Krug? Gewiss der Schlingel –?

FRAU MARTHE.
Ja, er, der Schlingel dort –

ADAM für sich.
Mehr brauch ich nicht.

RUPRECHT.
Das ist nicht wahr, Herr Richter.

ADAM für sich.
Auf, aufgelebt, du alter Adam!

RUPRECHT.
Das lügt sie in den Hals hinein –

ADAM.
Schweig, Maulaffe!
Du steckst den Hals noch früh genug ins Eisen.
– Setzt einen Krug, Herr Schreiber, wie gesagt,
Zusamt dem Namen des, der ihn zerschlagen.
Jetzt wird die Sache gleich ermittelt sein.

WALTER.
Herr Richter! Ei! Welch ein gewaltsames Verfahren.

ADAM.
Wieso?

LICHT.
Wollt Ihr nicht förmlich –?

ADAM.
Nein! sag ich;
Ihr Gnaden lieben Förmlichkeiten nicht.

WALTER.
Wenn Ihr die Instruktion, Herr Richter Adam,
Nicht des Prozesses einzuleiten wisst,
Ist hier der Ort jetzt nicht, es Euch zu lehren.
Wenn Ihr Recht anders nicht, als so, könnt geben,
So tretet ab: vielleicht kanns Euer Schreiber.

ADAM.
Erlaubt! Ich gabs, wie's hier in Huisum üblich;
Euer Gnaden habens also mir befohlen.

WALTER.
Ich hätt –?

ADAM.
Auf meine Ehre!

WALTER.
Ich befahl Euch,
Recht hier nach den Gesetzen zu erteilen;
Und hier in Huisum glaubt ich die Gesetze,
Wie anderswo in den vereinten Staaten.

ADAM.
Da muss submiss ich um Verzeihung bitten!
Wir haben hier, mit Euerer Erlaubnis,
Statuten, eigentümliche, in Huisum,
Nicht aufgeschriebene, muss ich gestehn, doch durch
Bewährte Tradition uns überliefert.
Von dieser Form, getrau ich mir zu hoffen,
Bin ich noch heut kein Jota abgewichen.
Doch auch in Eurer andern Form bin ich,
Wie sie im Reich mag üblich sein, zu Hause.
Verlangt Ihr den Beweis? Wohlan, befehlt!
Ich kann Recht so jetzt, jetzo so erteilen.

WALTER.
Ihr gebt mir schlechte Meinungen, Herr Richter.
Es sei. Ihr fangt von vorn die Sache an. –

ADAM.
Auf Ehr! Gebt acht, Ihr sollt zufrieden sein.
– Frau Marthe Rull! Bringt Eure Klage vor.

FRAU MARTHE.
Ich klag, Ihr wissts, hier wegen dieses Krugs;
Jedoch vergönnt, dass ich, bevor ich melde
Was diesem Krug geschehen, auch beschreibe
Was er vorher mir war.

ADAM.
Das Reden ist an Euch.

FRAU MARTHE.
Seht ihr den Krug, ihr wertgeschätzten Herren?
Seht ihr den Krug?

ADAM.
O ja, wir sehen ihn.

FRAU MARTHE.
Nichts seht ihr, mit Verlaub, die Scherben seht ihr;
Der Krüge schönster ist entzwei geschlagen.
Hier grade auf dem Loch, wo jetzo nichts,
Sind die gesamten niederländischen Provinzen
Dem span'schen Philipp übergeben worden.
Hier im Ornat stand Kaiser Karl der Fünfte:
Von dem seht ihr nur noch die Beine stehn.
Hier kniete Philipp, und empfing die Krone:
Der liegt im Topf, bis auf den Hinterteil,
Und auch noch der hat einen Stoß empfangen.
Dort wischten seine beiden Muhmen sich,
Der Franzen und der Ungarn Königinnen,
Gerührt die Augen aus; wenn man die eine
Die Hand noch mit dem Tuch empor sieht heben,
So ists, als weinete sie über sich.
Hier im Gefolge stützt sich Philibert,
Für den den Stoß der Kaiser aufgefangen,
Noch auf das Schwert; doch jetzo müsst er fallen,
So gut wie Maximilian: der Schlingel!
Die Schwerter unten jetzt sind weggeschlagen.
Hier in der Mitte, mit der heilgen Mütze,
Sah man den Erzbischof von Arras stehn;
Den hat der Teufel ganz und gar geholt,
Sein Schatten nur fällt lang noch übers Pflaster.
Hier standen rings, im Grunde, Leibtrabanten,
Mit Hellebarden, dicht gedrängt, und Spießen,
Hier Häuser, seht, vom großen Markt zu Brüssel,
Hier guckt noch ein Neugierger aus dem Fenster:
Doch was er jetzo sieht, das weiß ich nicht.

ADAM.
Frau Marth! Erlasst uns das zerscherbte Paktum,
Wenn es zur Sache nicht gehört.
Uns geht das Loch – nichts die Provinzen an,
Die darauf übergeben worden sind.

FRAU MARTHE.
Erlaubt! Wie schön der Krug, gehört zur Sache! –
Den Krug erbeutete sich Childerich,
Der Kesselflicker, als Oranien
Briel mit den Wassergeusen überrumpelte.
Ihn hatt ein Spanier, gefüllt mit Wein,
Just an den Mund gesetzt, als Childerich
Den Spanier von hinten niederwarf,
Den Krug ergriff, ihn leert', und weiter ging.

ADAM.
Ein würdger Wassergeuse.

FRAU MARTHE.
Hierauf vererbte
Der Krug auf Fürchtegott, den Totengräber;
Der trank zu dreimal nur, der Nüchterne,
Und stets vermischt mit Wasser aus dem Krug.
Das erstemal, als er im Sechzigsten
Ein junges Weib sich nahm; drei Jahre drauf,
Als sie noch glücklich ihn zum Vater machte;
Und als sie jetzt noch funfzehn Kinder zeugte,
Trank er zum dritten Male, als sie starb.

ADAM.
Gut. Das ist auch nicht übel.

FRAU MARTHE.
Drauf fiel der Krug
An den Zachäus, Schneider in Tirlemont,
Der meinem sel'gen Mann, was ich euch jetzt
Berichten will, mit eignem Mund erzählt.
Der warf, als die Franzosen plünderten,
Den Krug, samt allem Hausrat, aus dem Fenster,
Sprang selbst, und brach den Hals, der Ungeschickte,
Und dieser irdne Krug, der Krug von Ton,
Aufs Bein kam er zu stehen, und blieb ganz.

ADAM.
Zur Sache, wenns beliebt, Frau Marthe Rull! Zur Sache!

FRAU MARTHE.
Drauf in der Feuersbrunst von sechsundsechzig,
Da hatt ihn schon mein Mann, Gott hab ihn selig –

ADAM.
Zum Teufel! Weib! So seid Ihr noch nicht fertig?

*****

Adolph Menzel, Illustration zu Heinrich von Kleist, Der zerbrochene Krug, Vollbild. Adam: Zum Teufel! Weib! so seid ihr noch nicht fertig?

J. B. Obernetter.
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Zum Teufel! Weib! so seid ihr noch nicht fertig?

*****

FRAU MARTHE.
– Wenn ich nicht reden soll, Herr Richter Adam,
So bin ich unnütz hier, so will ich gehn,
Und ein Gericht mir suchen, das mich hört.

WALTER.
Ihr sollt hier reden: doch von Dingen nicht,
Die Eurer Klage fremd. Wenn Ihr uns sagt,
Dass jener Krug Euch wert, so wissen wir
So viel, als wir zum Richten hier gebrauchen.

FRAU MARTHE.
Wieviel ihr brauchen möget, hier zu richten,
Das weiß ich nicht, und untersuch es nicht;
Das aber weiß ich, dass ich, um zu klagen,
Muss vor euch sagen dürfen, über was.

WALTER.
Gut denn. Zum Schluss jetzt. Was geschah dem Krug?
Was? – Was geschah dem Krug im Feuer
Von Anno sechsundsechzig? Wird mans hören?
Was ist dem Krug geschehn?

FRAU MARTHE.
Was ihm geschehen?
Nichts ist dem Krug, ich bitt euch sehr, ihr Herren,
Nichts Anno sechsundsechzig ihm geschehen.
Ganz blieb der Krug, ganz in der Flammen Mitte,
Und aus des Hauses Asche zog ich ihn
Hervor, glasiert, am andern Morgen, glänzend,
Als käm er eben aus dem Töpferofen.

WALTER.
Nun gut. Nun kennen wir den Krug. Nun wissen
Wir alles, was dem Krug geschehn, was nicht.
Was gibts jetzt weiter?

FRAU MARTHE.
Nun diesen Krug jetzt seht – den Krug,
Zertrümmert einen Krug noch wert, den Krug
Für eines Fräuleins Mund, die Lippe selbst
Nicht der Frau Erbstatthalterin zu schlecht,
Den Krug, ihr hohen Herren Richter beide,
Den Krug hat jener Schlingel mir zerbrochen.

ADAM.
Wer?

FRAU MARTHE.
Er, der Ruprecht dort.

RUPRECHT.
Das ist gelogen,
Herr Richter.

ADAM.
Schweig Er, bis man Ihn fragen wird.
Auch heut an Ihn noch wird die Reihe kommen.
– Habt Ihrs im Protokoll bemerkt?

LICHT.
O ja.

ADAM.
Erzählt den Hergang, würdige Frau Marthe.

FRAU MARTHE.
Es war Uhr eilfe gestern –

ADAM.
Wann, sagt Ihr?

FRAU MARTHE.
Uhr eilf.

ADAM.
Am Morgen!

FRAU MARTHE.
Nein, verzeiht, am Abend,
Und schon die Lamp im Bette wollt ich löschen,
Als laute Männerstimmen, ein Tumult,
In meiner Tochter abgelegnen Kammer,
Als ob der Feind einbräche, mich erschreckt.
Geschwind die Trepp eil ich hinab, ich finde
Die Kammertür gewaltsam eingesprengt,
Schimpfreden schallen wütend mir entgegen,
Und da ich mir den Auftritt jetzt beleuchte,
Was find ich jetzt, Herr Richter, was jetzt find ich?
Den Krug find ich zerscherbt im Zimmer liegen,
In jedem Winkel liegt ein Stück,
Das Mädchen ringt die Händ, und er, der Flaps dort,
Der trotzt, wie toll, Euch in des Zimmers Mitte.

ADAM.
Ei, Wetter!

FRAU MARTHE.
Was?

ADAM.
Sieh da, Frau Marthe!

FRAU MARTHE.
Ja! –
Drauf ists, als ob in so gerechtem Zorn,
Mir noch zehn Arme wüchsen, jeglichen
Fühl ich mir wie ein Geier ausgerüstet.
Ihn stell ich dort zu Rede, was er hier
In später Nacht zu suchen, mir die Krüge
Des Hauses tobend einzuschlagen habe:
Und er, zur Antwort gibt er mir, jetzt ratet?
Der Unverschämte! Der Halunke, der!
Aufs Rad will ich ihn sehen, oder mich
Nicht mehr geduldig auf den Rücken legen:
Er spricht, es hab ein anderer den Krug
Vom Sims gestürzt – ein anderer, ich bitt Euch,
Der vor ihm aus der Kammer nur entwichen;
– Und überhäuft mit Schimpf mir da das Mädchen.

ADAM.
Oh! faule Fische – Hierauf?

FRAU MARTHE.
Auf dies Wort
Seh ich das Mädchen fragend an; die steht
Gleich einer Leiche da, ich sage: Eve! –
Sie setzt sich; ists ein anderer gewesen,
Frag ich? Und Joseph und Maria, ruft sie,
Was denkt Ihr Mutter auch? – So sprich! Wer wars?
Wer sonst, sagt sie, – und wer auch konnt es anders?
Und schwört mir zu, dass er's gewesen ist.

EVE.
Was schwor ich Euch? Was hab ich Euch geschworen?
Nichts schwor ich, nichts Euch –

FRAU MARTHE.
Eve!

EVE.
Nein! Dies lügt Ihr. –

RUPRECHT.
Da hört ihrs.

ADAM.
Hund, jetzt, verfluchter, schweig,
Soll hier die Faust den Rachen dir noch stopfen!
Nachher ist Zeit für dich, nicht jetzt.

FRAU MARTHE.
Du hättest nicht –?

EVE.
Nein, Mutter! Dies verfälscht Ihr.
Seht, leid tuts in der Tat mir tief zur Seele,
Dass ich es öffentlich erklären muss:
Doch nichts schwor ich, nichts, nichts hab ich geschworen.

ADAM.
Seid doch vernünftig, Kinder.

LICHT.
Das ist ja seltsam.

FRAU MARTHE.
Du hättest mir, o Eve, nicht versichert?
Nicht Joseph und Maria angerufen?

EVE.
Beim Schwur nicht! Schwörend nicht! Seht dies jetzt schwör ich,
Und Joseph und Maria ruf ich an.

ADAM.
Ei, Leutchen! Ei, Frau Marthe! Was auch macht Sie?
Wie schüchtert Sie das gute Kind auch ein.
Wenn sich die Jungfer wird besonnen haben,
Erinnert ruhig dessen, was geschehen,
– Ich sage, was geschehen ist, und was,
Spricht sie nicht, wie sie soll, geschehn noch kann.
Gebt acht, so sagt sie heut uns aus, wie gestern,
Gleichviel, ob sies beschwören kann ob nicht.
Lasst Joseph und Maria aus dem Spiele.

WALTER.
Nicht doch, Herr Richter, nicht! Wer wollte den
Parteien so zweideutge Lehren geben.

FRAU MARTHE.
Wenn sie ins Angesicht mir sagen kann,
Schamlos, die liederliche Dirne, die,
Dass es ein andrer, als der Ruprecht war,
So mag meintwegen sie – ich mag nicht sagen, was.
Ich aber, ich versichr' es Euch, Herr Richter,
Und kann ich gleich nicht, dass sies schwor, behaupten,
Dass sies gesagt hat gestern, das beschwör ich,
Und Joseph und Maria ruf ich an.

ADAM.
Nun weiter will ja auch die Jungfer –

WALTER.
Herr Richter!

ADAM.
Euer Gnaden? – Was sagt er? – Nicht, Herzens-Evchen?

FRAU MARTHE.
Heraus damit! Hast dus mir nicht gesagt?
Hast dus mir gestern nicht, mir nicht gesagt?

EVE.
Wer leugnet Euch, dass ich's gesagt –

ADAM.
Da habt ihrs.

RUPRECHT.
Die Metze, die!

ADAM.
Schreibt auf.

VEIT.
Pfui, schäm Sie sich.

WALTER.
Von Eurer Aufführung, Herr Richter Adam,
Weiß ich nicht, was ich denken soll. Wenn Ihr selbst
Den Krug zerschlagen hättet, könntet Ihr
Von Euch ab den Verdacht nicht eifriger
Hinwälzen auf den jungen Mann, als jetzt. –
Ihr setzt nicht mehr ins Protokoll, Herr Schreiber,
Als nur der Jungfer Eingeständnis, hoff ich,
Vom gestrigen Geständnis, nicht vom Facto.
– Ists an die Jungfer jetzt schon auszusagen?

ADAM.
Mein Seel, wenns ihre Reihe noch nicht ist,
In solchen Dingen irrt der Mensch, Euer Gnaden.
Wen hätt ich fragen sollen jetzt? Beklagten?
Auf Ehr! Ich nehme gute Lehre an.

WALTER.
Wie unbefangen! – Ja, fragt den Beklagten.
Fragt, macht ein Ende, fragt, ich bitt Euch sehr:
Dies ist die letzte Sache, die Ihr führt.

ADAM.
Die letzte! Was! Ei freilich! Den Beklagten!
Wohin auch, alter Richter, dachtest du?
Verflucht, das pipsge Perlhuhn mir! Dass es
Krepiert wär an der Pest in Indien!
Stets liegt der Kloß von Nudeln mir im Sinn.

WALTER.
Was liegt? Was für ein Kloß liegt Euch –?

ADAM.
Der Nudelkloß,
Verzeiht, den ich dem Huhne geben soll.
Schluckt mir das Aas die Pille nicht herunter,
Mein Seel, so weiß ich nicht, wies werden wird.

WALTER.
Tut Eure Schuldigkeit, sag ich, zum Henker!

ADAM.
Beklagter trete vor.

RUPRECHT.
Hier, Herr Dorfrichter.
Ruprecht, Veits des Kossäten Sohn, aus Huisum.

ADAM.
Vernahm Er dort, was vor Gericht soeben
Frau Marthe gegen Ihn hat angebracht?

RUPRECHT.
Ja, Herr Dorfrichter, das hab ich.

ADAM.
Getraut Er sich
Etwas dagegen aufzubringen, was?
Bekennt Er, oder unterfängt Er sich,
Hier wie ein gottvergessner Mensch zu leugnen?

RUPRECHT.
Was ich dagegen aufzubringen habe,
Herr Richter? Ei! Mit Euerer Erlaubnis,
Dass sie kein wahres Wort gesprochen hat.

ADAM.
So? Und das denkt Er zu beweisen?

RUPRECHT.
O ja.

ADAM.
Die würdige Frau Marthe, die.
Beruhige Sie sich. Es wird sich finden.

WALTER.
Was geht Ihn die Frau Marthe an, Herr Richter?

ADAM.
Was mir –? Bei Gott! Soll ich als Christ –?

WALTER.
Bericht
Er, was Er für sich anzuführen hat. –
Herr Schreiber, wisst Ihr den Prozess zu führen?

ADAM.
Ach, was!

LICHT.
Ob ich – ei nun, wenn Euer Gnaden –

ADAM.
Was glotzt Er da? Was hat Er aufzubringen?
Steht nicht der Esel, wie ein Ochse, da?
Was hat Er aufzubringen?

RUPRECHT.
Was ich aufzubringen?

WALTER.
Er ja, Er soll den Hergang jetzt erzählen.

RUPRECHT.
Mein Seel, wenn man zu Wort mich kommen ließe.

WALTER.
's ist in der Tat, Herr Richter, nicht zu dulden.

RUPRECHT.
Glock zehn Uhr mocht es etwa sein zu Nacht, –
Und warm, just diese Nacht des Januars
Wie Mai, als ich zum Vater sage: Vater!
Ich will ein bissel noch zur Eve gehn.
Denn heuren wollt ich sie, das müsst ihr wissen,
Ein rüstig Mädel ists, ich habs beim Ernten
Gesehn, wo alles von der Faust ihr ging,
Und ihr das Heu man flog, als wie gemaust.
Da sagt' ich: willst du? Und sie sagte: ach!
Was du da gakelst. Und nachher sagt' sie, ja.

ADAM.
Bleib Er bei seiner Sache. Gakeln! Was!
Ich sagte, willst du? Und sie sagte, ja.

RUPRECHT.
Ja, meiner Treu, Herr Richter.

WALTER.
Weiter! Weiter!

RUPRECHT.
Nun –
Da sagt ich: Vater, hört Er? Lass Er mich.
Wir schwatzen noch am Fenster was zusammen.
Na, sagt er, lauf; bleibst du auch draußen, sagt er?
Ja, meiner Seel, sag ich, das ist geschworen.
Na, sagt er, lauf, um eilfe bist du hier.

ADAM.
Na, so sag du, und gakle, und kein Ende.
Na, hat er bald sich ausgesagt?

RUPRECHT.
Na, sag ich,
Das ist ein Wort, und setz die Mütze auf,
Und geh; und übern Steig will ich, und muss
Durchs Dorf zurückgehn, weil der Bach geschwollen.
Ei, alle Wetter, denk ich, Ruprecht, Schlag!
Nun ist die Gartentür bei Marthens zu:
Denn bis um zehn lässt 's Mädel sie nur offen,
Wenn ich um zehn nicht da bin, komm ich nicht.

ADAM.
Die liederliche Wirtschaft, die.

WALTER.
Drauf weiter?

RUPRECHT.
Drauf – wie ich übern Lindengang mich näh're,
Bei Marthens, wo die Reihen dicht gewölbt,
Und dunkel, wie der Dom zu Utrecht, sind,
Hör ich die Gartentüre fernher knarren.
Sieh da! Da ist die Eve noch! sag ich,
Und schicke freudig Euch, von wo die Ohren
Mir Kundschaft brachten, meine Augen nach –
– Und schelte sie, da sie mir wiederkommen,
Für blind, und schicke auf der Stelle sie
Zum zweitenmal, sich besser umzusehen,
Und schimpfe sie nichtswürdige Verleumder,
Aufhetzer, niederträchtge Ohrenbläser,
Und schicke sie zum drittenmal, und denke,
Sie werden, weil sie ihre Pflicht getan,
Unwillig los sich aus dem Kopf mir reißen,
Und sich in einen andern Dienst begeben:
Die Eve ists, am Latz erkenn ich sie,
Und einer ists noch obenein.

ADAM.
So? Einer noch? Und wer, Er Klugschwätzer?

RUPRECHT.
Wer? Ja, mein Seel, da fragt Ihr mich –

ADAM.
Nun also!
Und nicht gefangen, denk ich, nicht gehangen.

WALTER.
Fort! Weiter in der Rede! Lasst ihn doch!
Was unterbrecht Ihr ihn, Herr Dorfrichter?

RUPRECHT.
Ich kann das Abendmahl darauf nicht nehmen,
Stockfinster wars, und alle Katzen grau.
Doch müsst Ihr wissen, dass der Flickschuster,
Der Lebrecht, den man kürzlich losgesprochen,
Dem Mädel längst mir auf die Fährte ging.
Ich sagte vorgen Herbst schon: Eve, höre,
Der Schuft schleicht mir ums Haus, das mag ich nicht;
Sag ihm, dass du kein Braten bist für ihn,
Mein Seel, sonst werf ich ihn vom Hof herunter.
Die spricht: ich glaub, du schierst mich, sagt ihm was,
Das ist nicht hin, nicht her, nicht Fisch, nicht Fleisch:
Drauf geh ich hin, und werf den Schlingel herunter.

ADAM.
So? Lebrecht heißt der Kerl?

RUPRECHT.
Ja, Lebrecht.

ADAM.
Gut.
Das ist ein Nam. Es wird sich alles finden.
– Habt Ihrs bemerkt im Protokoll, Herr Schreiber?

LICHT.
O ja, und alles andere, Herr Richter.

ADAM.
Sprich weiter, Ruprecht, jetzt, mein Sohn.

RUPRECHT.
Nun schießt,
Da ich Glock eilf das Pärchen hier begegne,
– Glock zehn Uhr zog ich immer ab – das Blatt mir.
Ich denke, halt, jetzt ists noch Zeit, o Ruprecht,
Noch wachsen dir die Hirschgeweihe nicht: –
Hier musst du sorgsam dir die Stirn befühlen,
Ob dir von fern hornartig etwas keimt.
Und drücke sacht mich durch die Gartenpforte,
Und berg in einen Strauch von Taxus mich:
Und hör Euch ein Gefispre hier, ein Scherzen,
Ein Zerren hin, Herr Richter, Zerren her,
Mein Seel, ich denk, ich soll vor Lust –

EVE.
Du Böswicht!
Was das, o schändlich ist von dir!

FRAU MARTHE.
Halunke!
Dir weis ich noch einmal, wenn wir allein sind,
Die Zähne! Wart! Du weißt noch nicht, wo mir
Die Haare wachsen! Du sollsts erfahren!

RUPRECHT.
Ein Viertelstündchen dauerts so, ich denke,
Was wirds doch werden, ist doch heut nicht Hochzeit?
Und eh ich den Gedanken ausgedacht,
Husch! sind sie beid ins Haus schon, vor dem Pastor.

EVE.
Geht, Mutter, mag es werden, wie es will –

ADAM.
Schweig du mir dort, rat ich, das Donnerwetter
Schlägt über dich ein, unberufne Schwätzerin!
Wart, bis ich auf zur Red dich rufen werde.

WALTER.
Sehr sonderbar, bei Gott!

RUPRECHT.
Jetzt hebt, Herr Richter Adam
Jetzt hebt sichs, wie ein Blutsturz, mir. Luft!
Da mir der Knopf am Brustlatz springt: Luft jetzt!
Und reiße mir den Latz auf: Luft jetzt sag ich!
Und geh, und drück, und tret und donnere,
Da ich der Dirne Tür, verriegelt finde,
Gestemmt, mit Macht, auf einen Tritt, sie ein.

ADAM.
Blitzjunge, du!

RUPRECHT.
Just da sie auf jetzt rasselt,
Stürzt dort der Krug vom Sims ins Zimmer hin,
Und husch! springt einer aus dem Fenster Euch:
Ich seh die Schöße noch vom Rocke wehn.

ADAM.
War das der Leberecht?

RUPRECHT.
Wer sonst, Herr Richter?
Das Mädchen steht, die werf ich übern Haufen,
Zum Fenster eil ich hin, und find den Kerl
Noch in den Pfählen hangen, am Spalier,
Wo sich das Weinlaub aufrankt bis zum Dach.
Und da die Klinke in der Hand mir blieb,
Als ich die Tür eindonnerte, so reiß ich
Jetzt mit dem Stahl eins pfundschwer übern Detz ihm:
Den just, Herr Richter, konnt ich noch erreichen.

ADAM.
Wars eine Klinke?

RUPRECHT.
Was?

ADAM.
Ob's –

RUPRECHT.
Ja, die Türklinke.

ADAM.
Darum.

LICHT.
Ihr glaubtet wohl, es war ein Degen?

ADAM.
Ein Degen? Ich – wieso?

RUPRECHT.
Ein Degen!

LICHT.
Je nun!
Man kann sich wohl verhören. Eine Klinke
Hat sehr viel Ähnlichkeit mit einem Degen.

ADAM.
Ich glaub –!

LICHT.
Bei meiner Treu! Der Stiel, Herr Richter?

ADAM.
Der Stiel!

RUPRECHT.
Der Stiel! Der war's nun aber nicht.
Der Klinke umgekehrtes Ende war's.

ADAM.
Das umgekehrte Ende war's der Klinke!

LICHT.
So! So!

RUPRECHT.
Doch auf dem Griffe lag ein Klumpen
Blei, wie ein Degengriff, das muss ich sagen.

ADAM.
Ja, wie ein Griff.

LICHT.
Gut. Wie ein Degengriff.
Doch irgendeine tücksche Waffe musst es
Gewesen sein. Das wusst ich wohl.

WALTER.
Zur Sache stets, ihr Herrn, doch! Zur Sache!

ADAM.
Nichts als Allotrien, Herr Schreiber! – Er, weiter!

RUPRECHT.
Jetzt stürzt der Kerl, und ich schon will mich wenden,
Als ichs im Dunkeln auf sich rappeln sehe.
Ich denke, lebst du noch? und steig aufs Fenster
Und will dem Kerl das Gehen unten legen:
Als jetzt, ihr Herrn, da ich zum Sprung just aushol,
Mir eine Handvoll grobgekörnten Sandes –
– Und Kerl und Nacht und Welt und Fensterbrett,
Worauf ich steh, denk ich nicht, straf mich Gott,
Das alles fällt in einen Sack zusammen –
Wie Hagel, stiebend, in die Augen fliegt.

ADAM.
Verflucht! Sieh da! Wer tat das?

RUPRECHT.
Wer? Der Lebrecht.

ADAM.
Halunke!

RUPRECHT.
Meiner Treu! Wenn ers gewesen.

ADAM.
Wer sonst!

*****

Adolph Menzel, Illustration zu Heinrich von Kleist, Der zerbrochene Krug, Vollbild. Ruprecht: Als stürzte mich ein Schlossenregen von eines Berges hohen Abhang, so schlag ich jetzt vom Fenster euch in's Zimmer.

J. B. Obernetter
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Als stürzte mich ein Schlossenregen von eines Berges hohen Abhang,
So schlag ich jetzt vom Fenster euch in's Zimmer.

*****

RUPRECHT.
Als stürzte mich ein Schlossenregen
Von eines Bergs zehn Klaftern hohen Abhang,
So schlag ich jetzt vom Fenster Euch ins Zimmer:
Ich denk, ich schmettere den Boden ein.
Nun brech ich mir den Hals doch nicht, auch nicht
Das Kreuz mir, Hüften, oder sonst, inzwischen
Konnt ich des Kerls doch nicht mehr habhaft werden,
Und sitze auf, und wische mir die Augen.
Die kommt, und ach, Herr Gott! ruft sie, und Ruprecht!
Was ist dir auch? Mein Seel, ich hob den Fuß,
Gut wars, dass ich nicht sah, wohin ich stieß.

ADAM.
Kam das vom Sande noch?

RUPRECHT.
Vom Sandwurf, ja.

ADAM.
Verdammt! Der traf!

RUPRECHT.
Da ich jetzt aufersteh
Was sollt ich auch die Fäuste hier mir schänden?
So schimpf ich sie, und sage liederliche Metze,
Und denke, das ist gut genug für sie.
Doch Tränen, seht, ersticken mir die Sprache.
Denn da Frau Marthe jetzt ins Zimmer tritt,
Die Lampe hebt, und ich das Mädchen dort
Jetzt schlotternd, zum Erbarmen vor mir sehe,
Sie, die so herzhaft sonst wohl um sich sah,
So sag ich zu mir, blind ist auch nicht übel.
Ich hätte meine Augen hingegeben,
Knippkügelchen, wer will, damit zu spielen.

EVE.
Er ist nicht wert, der Böswicht –

ADAM.
Sie soll schweigen.

RUPRECHT.
Das Weitre wisst ihr.

ADAM.
Wie, das Weitere?

RUPRECHT.
Nun ja, Frau Marthe kam, und geiferte,
Und Ralf, der Nachbar, kam, und Hinz, der Nachbar,
Und Muhme Sus und Muhme Liese kamen,
Und Knecht und Mägd und Hund und Katzen kamen,
's war ein Spektakel, und Frau Marthe fragte
Die Jungfer dort, wer ihr den Krug zerschlagen,
Und die, die sprach, ihr wissts, dass ichs gewesen.
Mein Seel, sie hat so unrecht nicht, ihr Herren.
Den Krug, den sie zu Wasser trug, zerschlug ich,
Und der Flickschuster hat im Kopf ein Loch. –

ADAM.
Frau Marthe! Was entgegnet Ihr der Rede?
Sagt an!

FRAU MARTHE.
Was ich der Red entgegene?
Dass sie, Herr Richter, wie der Marder einbricht,
Und Wahrheit wie ein gakelnd Huhn erwürgt.
Was Recht liebt, sollte zu den Keulen greifen,
Um dieses Ungetüm der Nacht zu tilgen.

ADAM.
Da wird Sie den Beweis uns führen müssen.

FRAU MARTHE.
O ja, sehr gern. Hier ist mein Zeuge. – Rede!

ADAM.
Die Tochter? Nein, Frau Marthe.

WALTER.
Nein? Warum nicht?

ADAM.
Als Zeugin, gnädger Herr? Steht im Gesetzbuch
Nicht titulo, ists quarto? oder quinto?
Wenn Krüge oder sonst, was weiß ich?
Von jungen Bengeln sind zerschlagen worden,
So zeugen Töchter ihren Müttern nicht?

WALTER.
In Eurem Kopf liegt Wissenschaft und Irrtum
Geknetet, innig, wie ein Teig, zusammen;
Mit jedem Schnitte gebt Ihr mir von beidem.
Die Jungfer zeugt noch nicht, sie deklariert jetzt;
Ob, und für wen, sie zeugen will und kann,
Wird erst aus der Erklärung sich ergeben.

ADAM.
Ja, deklarieren. Gut. Titulo sexto.
Doch was sie sagt, das glaubt man nicht.

WALTER.
Tritt vor, mein junges Kind.

ADAM.
He! Lies' –! – Erlaubt!
Die Zunge wird sehr trocken mir – Margrete!

Adolph Menzel, Illustration zu Heinrich von Kleist, Der zerbrochene Krug, Siebenter Auftritt


*****

Achter Auftritt
Eine Magd tritt auf. Die Vorigen.

Adolph Menzel, Illustration zu Heinrich von Kleist, Der zerbrochene Krug, Achter Auftritt, Magd


ADAM.
Ein Glas mit Wasser! –

DIE MAGD.
Gleich!

Ab.

ADAM.
Kann ich Euch gleichfalls –?

WALTER.
Ich danke.

ADAM.
Franz? oder Mos'ler? Was Ihr wollt.

Walter verneigt sich; die Magd bringt Wasser und entfernt sich.

Adolph Menzel, Illustration zu Heinrich von Kleist, Der zerbrochene Krug, Achter Auftritt, Magd


*****

Neunter Auftritt
Walter. Adam. Frau Marthe usw. ohne die Magd.

Adolph Menzel, Illustration zu Heinrich von Kleist, Der zerbrochene Krug, Neunter Auftritt


ADAM.
– Wenn ich freimütig reden darf, Ihr Gnaden,
Die Sache eignet gut sich zum Vergleich.

WALTER.
Sich zum Vergleich? Das ist nicht klar, Herr Richter.
Vernünftge Leute können sich vergleichen;
Doch wie Ihr den Vergleich schon wollt bewirken,
Da noch durchaus die Sache nicht entworren,
Das hätt ich wohl von Euch zu hören Lust.
Wie denkt Ihrs anzustellen, sagt mir an?
Habt Ihr ein Urteil schon gefasst?

ADAM.
Mein Seel!
Wenn ich, da das Gesetz im Stich mich lässt,
Philosophie zu Hülfe nehmen soll,
So wars – der Leberecht –

WALTER.
Wer?

ADAM.
Oder Ruprecht –

WALTER.
Wer?

ADAM.
Oder Lebrecht, der den Krug zerschlug.

WALTER.
Wer also war's? Der Lebrecht oder Ruprecht?
Ihr greift, ich seh, mit Eurem Urteil ein,
Wie eine Hand in einen Sack voll Erbsen.

ADAM.
Erlaubt!

WALTER.
Schweigt, schweigt, ich bitt Euch.

ADAM.
Wie Ihr wollt.
Auf meine Ehr, mir wärs vollkommen recht,
Wenn sie es alle beid gewesen wären.

WALTER.
Fragt dort, so werdet Ihrs erfahren.

ADAM.
Sehr gern.
Doch wenn Ihrs herausbekommt, bin ich ein Schuft.
– Habt Ihr das Protokoll da in Bereitschaft?

LICHT.
Vollkommen.

ADAM.
Gut.

LICHT.
Und brech ein eignes Blatt mir,
Begierig, was darauf zu stehen kommt.

ADAM.
Ein eignes Blatt? Auch gut.

WALTER.
Sprich dort, mein Kind.

ADAM.
Sprich, Evchen, hörst du, sprich jetzt, Jungfer Evchen!
Gib Gotte, hörst du, Herzchen, gib, mein Seel,
Ihm und der Welt, gib ihm was von der Wahrheit.
Denk, dass du hier vor Gottes Richtstuhl bist,
Und dass du deinen Richter nicht mit Leugnen,
Und Plappern, was zur Sache nicht gehört,
Betrüben musst. Ach, was! Du bist vernünftig.
Ein Richter immer, weißt du, ist ein Richter,
Und einer braucht ihn heut, und einer morgen.
Sagst du, dass es der Lebrecht war: nun gut;
Und sagst du, dass es Ruprecht war: auch gut!
Sprich so, sprich so, ich bin kein ehrlicher Kerl,
Es wird sich alles, wie dus wünschest finden.
Willst du mir hier von einem andern trätschen,
Und dritten etwa, dumme Namen nennen:
Sieh, Kind, nimm dich in acht, ich sag nichts weiter.
In Huisum, hols der Henker, glaubt dirs keiner,
Und keiner, Evchen, in den Niederlanden,
Du weißt, die weißen Wände zeugen nicht,
Der auch wird zu verteidigen sich wissen:
Und deinen Ruprecht holt die Schwerenot!

WALTER.
Wenn Ihr doch Eure Reden lassen wolltet.
Geschwätz, gehauen nicht und nicht gestochen.

ADAM.
Verstehens Euer Gnaden nicht?

WALTER.
Macht fort!
Ihr habt zulängst hier auf dem Stuhl gesprochen.

ADAM.
Auf Ehr! Ich habe nicht studiert, Euer Gnaden.
Bin ich euch Herrn aus Utrecht nicht verständlich,
Mit diesem Volk vielleicht verhält sichs anders:
Die Jungfer weiß, ich wette, was ich will.

FRAU MARTHE.
Was soll das? Dreist heraus jetzt mit der Sprache!

EVE.
O liebste Mutter!

FRAU MARTHE.
Du –! Ich rate dir!

RUPRECHT.
Mein Seel, 's ist schwer, Frau Marthe, dreist zu sprechen,
Wenn das Gewissen an der Kehl uns sitzt.

ADAM.
Schweig Er jetzt, Nasweis, mucks Er nicht.

FRAU MARTHE.
Wer war's?

EVE.
O Jesus!

FRAU MARTHE.
Maulaffe, der! Der niederträchtige!
O Jesus! Als ob sie eine Hure wäre.
War's der Herr Jesus?

ADAM.
Frau Marthe! Unvernunft!
Was das für –! Lass Sie die Jungfer doch gewähren!
Das Kind einschrecken – Hure – Schafsgesicht!
So wirds uns nichts. Sie wird sich schon besinnen.

RUPRECHT.
O ja, besinnen.

ADAM.
Flaps dort, schweig Er jetzt.

RUPRECHT.
Der Flickschuster wird ihr schon einfallen.

ADAM.
Der Satan! Ruft den Büttel! He! Hanfriede!

RUPRECHT.
Nun, nun! Ich schweig, Herr Richter, lasst's nur sein.
Sie wird Euch schon auf meinen Namen kommen.

FRAU MARTHE.
Hör du, mach mir hier kein Spektakel, sag ich.
Hör, neunundvierzig bin ich alt geworden
In Ehren: funfzig möcht ich gern erleben.
Den dritten Februar ist mein Geburtstag;
Heut ist der erste. Mach es kurz. Wer war's?

ADAM.
Gut, meinethalben! Gut, Frau Marthe Rull!

FRAU MARTHE.
Der Vater sprach, als er verschied: Hör, Marthe,
Dem Mädel schaff mir einen wackern Mann;
Und wird sie eine liederliche Metze,
So gib dem Totengräber einen Groschen,
Und lass mich wieder auf den Rücken legen:
Mein Seel, ich glaub, ich kehr im Grab mich um.

ADAM.
Nun, das ist auch nicht übel.

FRAU MARTHE.
Willst du Vater
Und Mutter jetzt, mein Evchen, nach dem vierten
Gebot hoch ehren, gut, so sprich: in meine Kammer
Ließ ich den Schuster, oder einen dritten,
Hörst du? Der Bräutgam aber war es nicht.

RUPRECHT.
Sie jammert mich. Lasst doch den Krug, ich bitt Euch;
Ich will'n nach Utrecht tragen. Solch ein Krug –
Ich wollt ich hätt ihn nur entzweigeschlagen.

EVE.
Unedelmütger, du! Pfui, schäme dich,
Dass du nicht sagst, gut, ich zerschlug den Krug!
Pfui, Ruprecht, pfui, o schäme dich, dass du
Mir nicht in meiner Tat vertrauen kannst.
Gab ich die Hand dir nicht, und sagte, ja,
Als du mich fragtest, Eve, willst du mich?
Meinst du, dass du den Flickschuster nicht wert bist?
Und hättest du durchs Schlüsselloch mich mit
Dem Lebrecht aus dem Kruge trinken sehen,
Du hättest denken sollen: Ev ist brav,
Es wird sich alles ihr zum Ruhme lösen,
Und ists im Leben nicht, so ist es jenseits,
Und wenn wir auferstehn ist auch ein Tag.

RUPRECHT.
Mein Seel, das dauert mir zu lange, Evchen.
Was ich mit Händen greife, glaub ich gern.

EVE.
Gesetzt, es wär der Leberecht gewesen,
Warum – des Todes will ich ewig sterben,
Hätt ichs dir Einzigem nicht gleich vertraut;
Jedoch warum vor Nachbarn, Knecht' und Mägden –
Gesetzt, ich hätte Grund, es zu verbergen,
Warum, o Ruprecht, sprich, warum nicht sollt ich,
Auf dein Vertraun hin sagen, dass dus warst?
Warum nicht sollt ichs? Warum sollt ichs nicht?

RUPRECHT.
Ei, so zum Henker, sags, es ist mir recht,
Wenn du die Fiedel dir ersparen kannst.

EVE.
O du Abscheulicher! Du Undankbarer!
Wert, dass ich mir die Fiedel spare! Wert,
Dass ich mit einem Wort zu Ehren mich,
Und dich in ewiges Verderben bringe.

WALTER.
Nun –? Und dies einzge Wort –? Halt uns nicht auf.
Der Ruprecht also war es nicht?

EVE.
Nein, gnädger Herr, weil ers denn selbst so will,
Um seinetwillen nur verschwieg ich es:
Den irdnen Krug zerschlug der Ruprecht nicht,
Wenn ers Euch selber leugnet, könnt Ihrs glauben.

FRAU MARTHE.
Eve! Der Ruprecht nicht?

EVE.
Nein, Mutter, nein!
Und wenn ichs gestern sagte, wars gelogen.

FRAU MARTHE.
Hör, dir zerschlag ich alle Knochen!

Sie setzt den Krug nieder.

EVE.
Tut, was Ihr wollt.

WALTER drohend.
Frau Marthe!

ADAM.
He! Der Büttel! –
Schmeißt sie heraus dort, die verwünschte Vettel!
Warum solls Ruprecht just gewesen sein.
Hat Sie das Licht dabei gehalten, was?
Die Jungfer, denk ich, wird es wissen müssen:
Ich bin ein Schelm, wenns, nicht der Lebrecht war.

FRAU MARTHE.
War es der Lebrecht etwa? Wars der Lebrecht?

ADAM.
Sprich, Evchen, wars der Lebrecht nicht, mein Herzchen?

EVE.
Er Unverschämter, Er! Er Niederträchtger!
Wie kann Er sagen, dass es Lebrecht –

WALTER.
Jungfer!
Was untersteht Sie sich? Ist das mir der
Respekt, den Sie dem Richter schuldig ist?

EVE.
Ei, was! Der Richter dort! Wert, selbst vor dem
Gericht, ein armer Sünder, dazustehn –
– Er, der wohl besser weiß, wer es gewesen!

Sich zum Dorfrichter wendend.

Hat Er den Lebrecht in die Stadt nicht gestern
Geschickt nach Utrecht, vor die Kommission,
Mit dem Attest, die die Rekruten aushebt?
Wie kann Er sagen, dass es Lebrecht war,
Wenn Er wohl weiß, dass der in Utrecht ist?

ADAM.
Nun wer denn sonst? Wenns Lebrecht nicht, zum Henker –
Nicht Ruprecht ist, nicht Lebrecht ist – – Was machst du?

RUPRECHT.
Mein Seel, Herr Richter Adam, lasst Euch sagen,
Hierin mag doch die Jungfer just nicht lügen,
Dem Lebrecht bin ich selbst begegnet gestern,
Als er nach Utrecht ging, früh wars Glock acht,
Und wenn er auf ein Fuhrwerk sich nicht lud,
Hat sich der Kerl, krummbeinig wie er ist,
Glock zehn Uhr nachts noch nicht zurück gehaspelt.
Es kann ein dritter wohl gewesen sein.

ADAM.
Ach, was! Krummbeinig! Schafsgesicht! Der Kerl
Geht seinen Stiefel, der, trotz einem.
Ich will von ungespaltnem Leibe sein,
Wenn nicht ein Schäferhund von mäßger Größe
Muss seinen Trab gehn, mit ihm fortzukommen.

WALTER.
Erzähl den Hergang uns.

ADAM.
Verzeihn Euer Gnaden!
Hierauf wird Euch die Jungfer schwerlich dienen.

WALTER.
Nicht dienen? Mir nicht dienen? Und warum nicht?

ADAM.
Ein twatsches Kind. Ihr sehts. Gut, aber twatsch.
Blutjung, gefirmelt kaum; das schämt sich noch,
Wenns einen Bart von weitem sieht. So'n Volk,
Im Finstern leiden sies, und wenn es Tag wird,
So leugnen sies vor ihrem Richter ab.

WALTER.
Ihr seid sehr nachsichtsvoll, Herr Richter Adam,
Sehr mild, in allem, was die Jungfer angeht.

ADAM.
Die Wahrheit Euch zu sagen, Herr Gerichtsrat,
Ihr Vater war ein guter Freund von mir.
Wollen Euer Gnaden heute huldreich sein,
So tun wir hier nicht mehr, als unsre Pflicht,
Und lassen seine Tochter gehn.

WALTER.
Ich spüre große Lust in mir, Herr Richter,
Der Sache völlig auf den Grund zu kommen. –
Sei dreist, mein Kind; sag, wer den Krug zerschlagen.
Vor niemand stehst du, in dem Augenblick,
Der einen Fehltritt nicht verzeihen könnte.

EVE.
Mein lieber, würdiger und gnädger Herr,
Erlasst mir, Euch den Hergang zu erzählen.
Von dieser Weigrung denkt uneben nicht.
Es ist des Himmels wunderbare Fügung,
Die mir den Mund in dieser Sache schließt.
Dass Ruprecht jenen Krug nicht traf, will ich
Mit einem Eid, wenn Ihrs verlangt,
Auf heiligem Altar bekräftigen.
Jedoch die gestrige Begebenheit,
Mit jedem andern Zuge, ist mein eigen,
Und nicht das ganze Garnstück kann die Mutter,
Um eines einzgen Fadens willen, fordern,
Der, ihr gehörig, durchs Gewebe läuft.
Ich kann hier, wer den Krug zerschlug, nicht melden,
Geheimnisse, die nicht mein Eigentum,
Müsst ich, dem Kruge völlig fremd, berühren.
Früh oder spät will ichs ihr anvertrauen,
Doch hier das Tribunal ist nicht der Ort,
Wo sie das Recht hat, mich darnach zu fragen.

ADAM.
Nein, rechtens nicht. Auf meine Ehre nicht.
Die Jungfer weiß, wo unsre Zäume hängen.
Wenn sie den Eid hier vor Gericht will schwören,
So fällt der Mutter Klage weg:
Dagegen ist nichts weiter einzuwenden.

WALTER.
Was sagt zu der Erklärung Sie, Frau Marthe?

FRAU MARTHE.
Wenn ich gleich was Erkleckliches nicht aufbring,
Gestrenger Herr, so glaubt, ich bitt Euch sehr,
Dass mir der Schlag bloß jetzt die Zunge lähmte.
Beispiele gibts, dass ein verlorner Mensch,
Um vor der Welt zu Ehren sich zu bringen,
Den Meineid vor dem Richterstuhle wagt; doch dass
Ein falscher Eid sich schwören kann, auf heilgem
Altar, um an den Pranger hinzukommen,
Das heut erfährt die Welt zum erstenmal.
Wär, dass ein andrer, als der Ruprecht, sich
In ihre Kammer gestern schlich, gegründet,
Wärs überall nur möglich, gnädger Herr,
Versteht mich wohl, – so säumt ich hier nicht länger.
Den Stuhl setzt ich, zur ersten Einrichtung,
Ihr vor die Tür, und sagte, geh, mein Kind,
Die Welt ist weit, da zahlst du keine Miete,
Und lange Haare hast du auch geerbt,
Woran du dich, kommt Zeit, kommt Rat, kannst hängen.

WALTER.
Ruhig, ruhig, Frau Marthe.

FRAU MARTHE.
Da ich jedoch
Hier den Beweis noch anders führen kann,
Als bloß durch sie, die diesen Dienst mir weigert,
Und überzeugt bin völlig, dass nur er
Mir, und kein anderer den Krug zerschlug,
So bringt die Lust, es kurzhin abzuschwören,
Mich noch auf einen schändlichen Verdacht.
Die Nacht von gestern birgt ein anderes
Verbrechen noch, als bloß die Krugverwüstung.
Ich muss Euch sagen, gnädger Herr, dass Ruprecht
Zur Konskription gehört, in wenig Tagen
Soll er den Eid zur Fahn in Utrecht schwören.
Die jungen Landessöhne reißen aus.
Gesetzt, er hätte gestern nacht gesagt:
Was meinst du, Evchen? Komm. Die Welt ist groß.
Zu Kist' und Kasten hast du ja die Schlüssel –
Und sie, sie hätt ein wenig sich gesperrt:
So hätte ohngefähr, da ich sie störte,
– Bei ihm aus Rach, aus Liebe noch bei ihr –
Der Rest, so wie geschehn, erfolgen können.

RUPRECHT.
Das Rabenaas! Was das für Reden sind!
Zu Kist' und Kasten –

WALTER.
Still!

EVE.
Er, austreten!

WALTER.
Zur Sache hier. Vom Krug ist hier die Rede. –
Beweis, Beweis, dass Ruprecht ihn zerbrach!

FRAU MARTHE.
Gut, gnädger Herr. Erst will ich hier beweisen,
Dass Ruprecht mir den Krug zerschlug,
Und dann will ich im Hause untersuchen. –
Seht, eine Zunge, die mir Zeugnis redet,
Bring ich für jedes Wort auf, das er sagte,
Und hätt in Reihen gleich sie aufgeführt,
Wenn ich von fern geahndet nur, dass diese
Die ihrige für mich nicht brauchen würde.
Doch wenn ihr Frau Brigitte jetzo ruft,
Die ihm die Muhm ist, so genügt mir die,
Weil die den Hauptpunkt just bestreiten wird.
Denn die, die hat Glock halb auf eilf im Garten,
Merkt wohl, bevor der Krug zertrümmert worden,
Wortwechselnd mit der Ev ihn schon getroffen;
Und wie die Fabel, die er aufgestellt,
Vom Kopf zu Fuß dadurch gespalten wird,
Durch diese einzge Zung, ihr hohen Richter,
Das überlass ich selbst euch einzusehn.

RUPRECHT.
Wer hat mich –?

VEIT.
Schwester Briggy?

RUPRECHT.
Mich mit Ev? Im Garten?

FRAU MARTHE.
Ihn mit der Ev, im Garten, Glock halb eilf,
Bevor er noch, wie er geschwätzt, um eilf
Das Zimmer überrumpelnd eingesprengt:
Im Wortgewechsel, kosend bald, bald zerrend,
Als wollt er sie zu etwas überreden.

ADAM für sich.
Verflucht! Der Teufel ist mir gut.

WALTER.
Schafft diese Frau herbei.

RUPRECHT.
Ihr Herrn, ich bitt euch:
Das ist kein wahres Wort, das ist nicht möglich.

ADAM.
O wart, Halunke! – He! Der Büttel! Hanfried! –
Denn auf der Flucht zerschlagen sich die Krüge –
– Herr Schreiber, geht, schafft Frau Brigitt herbei!

VEIT.
Hör, du verfluchter Schlingel, du, was machst du?
Dir brech ich alle Knochen noch.

RUPRECHT.
Weshalb auch?

VEIT.
Warum verschwiegst du, dass du mit der Dirne
Glock halb auf eilf im Garten schon scharwenzt?
Warum verschwiegst dus?

RUPRECHT.
Warum ichs verschwieg?
Gotts Schlag und Donner, weils nicht wahr ist, Vater!
Wenn das die Muhme Briggi zeugt, so hängt mich.
Und bei den Beinen sie meinthalb dazu.

VEIT.
Wenn aber sies bezeugt – nimm dich in acht!
Du und die saubre Jungfer Eve dort,
Wie ihr auch vor Gericht euch stellt, ihr steckt
Doch unter einer Decke noch. 's ist irgend
Ein schändliches Geheimnis noch, von dem
Sie weiß, und nur aus Schonung hier nichts sagt.

RUPRECHT.
Geheimnis! Welches?

VEIT.
Warum hast du eingepackt?
He? Warum hast du gestern abend eingepackt?

RUPRECHT.
Die Sachen?

VEIT.
Röcke, Hosen, ja, und Wäsche;
Ein Bündel, wie's ein Reisender just auf
Die Schultern wirft?

RUPRECHT.
Weil ich nach Utrecht soll!
Weil ich zum Regiment soll! Himmel – Donner –!
Glaubt Er, dass ich –?

VEIT.
Nach Utrecht? Ja, nach Utrecht!
Du hast geeilt, nach Utrecht hinzukommen!
Vorgestern wusstest du noch nicht, ob du
Den fünften oder sechsten Tag wirst reisen.

WALTER.
Weiß Er zur Sache was zu melden, Vater?

VEIT.
– Gestrenger Herr, ich will noch nichts behaupten.
Ich war daheim, als sich der Krug zerschlug,
Und auch von einer andern Unternehmung
Hab ich, die Wahrheit zu gestehn, noch nichts,
Wenn ich jedweden Umstand wohl erwäge,
Das meinen Sohn verdächtig macht, bemerkt.
Von seiner Unschuld völlig überzeugt,
Kam ich hieher, nach abgemachtem Streit
Sein ehelich Verlöbnis aufzulösen,
Und ihm das Silberkettlein einzufordern,
Zusamt dem Schaupfennig, den er der Jungfer
Bei dem Verlöbnis vorgen Herbst verehrt.
Wenn jetzt von Flucht was, und Verräterei
An meinem grauen Haar zutage kommt,
So ist mir das so neu, ihr Herrn, als euch:
Doch dann der Teufel soll den Hals ihm brechen.

WALTER.
Schafft Frau Brigitt herbei, Herr Richter Adam.

ADAM.
– Wird Euer Gnaden diese Sache nicht
Ermüden? Sie zieht sich in die Länge.
Euer Gnaden haben meine Kassen noch,
Und die Registratur – Was ist die Glocke?

LICHT.
Es schlug soeben halb.

ADAM.
Auf eilf!

LICHT.
Verzeiht, auf zwölfe.

WALTER.
Gleichviel.

ADAM.
Ich glaub, die Zeit ist, oder Ihr verrückt.

Er sieht nach der Uhr.

Ich bin kein ehrlicher Mann. – Ja, was befehlt Ihr?

WALTER.
Ich bin der Meinung –

ADAM.
Abzuschließen? Gut –!

WALTER.
Erlaubt! Ich bin der Meinung, fortzufahren.

ADAM.
Ihr seid der Meinung – Auch gut. Sonst würd ich
Auf Ehre, morgen früh, Glock neun, die Sache,
Zu Euerer Zufriedenheit beendgen.

WALTER.
Ihr wisst um meinen Willen.

ADAM.
Wie Ihr befehlt.
Herr Schreiber, schickt die Büttel ab; sie sollen
Sogleich ins Amt die Frau Brigitte laden.

WALTER.
Und nehmt Euch – Zeit, die mir viel wert, zu sparen –
Gefälligst selbst der Sach ein wenig an.

Licht ab.

Adolph Menzel, Illustration zu Heinrich von Kleist, Der zerbrochene Krug, Neunter Auftritt


*****

Zehnter Auftritt
Die Vorigen ohne Licht. Späterhin einige Mägde.

Adolph Menzel, Illustration zu Heinrich von Kleist, Der zerbrochene Krug, Zehnter Auftritt


ADAM aufstehend.
Inzwischen könnte man, wenn's so gefällig,
Vom Sitze sich ein wenig lüften –?

WALTER.
Hm! O ja.
Was ich sagen wollt –

ADAM.
Erlaubt Ihr gleichfalls,
Dass die Partein, bis Frau Brigitt erscheint –?

WALTER.
Was? Die Partein?

ADAM.
Ja, vor die Tür, wenn Ihr –

WALTER für sich.
Verwünscht!

Laut.

Herr Richter Adam, wisst Ihr was?
Gebt ein Glas Wein mir in der Zwischenzeit.

ADAM.
Von ganzem Herzen gern. He! Margarete!
Ihr macht mich glücklich, gnädger Herr. – Margrete!

Die Magd tritt auf.

DIE MAGD.
Hier.

ADAM.
Was befehlt Ihr? – Tretet ab, ihr Leute.
Franz? – Auf dem Vorsaal draußen. – Oder Rhein?

WALTER.
Von unserm Rhein.

ADAM.
Gut. – Bis ich rufe. Marsch!

WALTER.
Wohin?

ADAM.
Geh, vom versiegelten, Margrete. –
Was? Auf den Flur bloß draußen. – Hier. – Der Schlüssel.

WALTER.
Hm! Bleibt.

ADAM.
Fort! Marsch, sag ich! – Geh, Margarete!
Und Butter, frisch gestampft, Käs auch aus Limburg,
Und von der fetten pommerschen Räuchergans.

WALTER.
Halt! Einen Augenblick! Macht nicht so viel
Umständ, ich bitt Euch sehr, Herr Richter.

ADAM.
Schert
Zum Teufel euch, sag ich! Tu, wie ich sagte.

WALTER.
Schickt Ihr die Leute fort, Herr Richter?

ADAM.
Euer Gnaden?

WALTER.
Ob Ihr –?

ADAM.
Sie treten ab, wenn Ihr erlaubt.
Bloß ab, bis Frau Brigitt erscheint.
Wie, oder soll's nicht etwa –?

WALTER.
Hm! Wie Ihr wollt.
Doch ob's der Mühe sich verlohnen wird?
Meint Ihr, dass es so lange Zeit wird währen,
Bis man im Ort sie trifft?

ADAM.
's ist heute Holztag,
Gestrenger Herr. Die Weiber größtenteils
Sind in den Fichten, Sträucher einzusammeln.
Es könnte leicht –

RUPRECHT.
Die Muhme ist zu Hause.

WALTER.
Zu Haus. Lasst sein.

RUPRECHT.
Die wird sogleich erscheinen.

WALTER.
Die wird uns gleich erscheinen. Schafft den Wein.

ADAM für sich.
Verflucht!

WALTER.
Macht fort. Doch nichts zum Imbiss, bitt ich,
Als ein Stück trocknen Brotes nur, und Salz.

ADAM für sich.
Zwei Augenblicke mit der Dirn allein –

Laut.

Ach trocknes Brot! Was! Salz! Geht doch.

WALTER.
Gewiss.

ADAM.
Ei, ein Stück Käs aus Limburg mindstens. Käse
Macht erst geschickt die Zunge, Wein zu schmecken.

WALTER.
Gut. Ein Stück Käse denn, doch weiter nichts.

ADAM.
So geh. Und weiß, von Damast, aufgedeckt.
Schlecht alles zwar, doch recht.

Die Magd ab.

Das ist der Vorteil
Von uns verrufnen hagestolzen Leuten,
Dass wir, was andre knapp und kummervoll,
Mit Weib und Kindern täglich teilen müssen,
Mit einem Freunde zur gelegnen Stunde,
Vollauf genießen.

WALTER.
Was ich sagen wollte –
Wie kamt Ihr doch zu Eurer Wund, Herr Richter?
Das ist ein böses Loch, fürwahr, im Kopf, das!

ADAM.
– Ich fiel.

WALTER.
Ihr fielt. Hm! So. Wann? Gestern abend?

ADAM.
Heut, Glock halb sechs, verzeiht, am Morgen, früh,
Da ich soeben aus dem Bette stieg.

WALTER.
Worüber?

ADAM.
Über – gnädger Herr Gerichtsrat,
Die Wahrheit Euch zu sagen, über mich.
Ich schlug Euch häuptlings an den Ofen nieder,
Bis diese Stunde weiß ich nicht, warum?

WALTER.
Von hinten?

ADAM.
Wie? Von hinten –

WALTER.
Oder vorn?
Ihr habt zwo Wunden, vorne ein' und hinten.

ADAM.
Von vorn und hinten. – Margarete!

Die beiden Mägde mit Wein usw. Sie decken auf, und gehen wieder ab.

WALTER.
Wie?

ADAM.
Erst so, dann so. Erst auf die Ofenkante,
Die vorn die Stirn mir einstieß, und sodann
Vom Ofen rückwärts auf den Boden wieder,
Wo ich mir noch den Hinterkopf zerschlug.

Er schenkt ein.

Ist's Euch gefällig?

WALTER nimmt das Glas.
Hättet Ihr ein Weib,
So würd ich wunderliche Dinge glauben,
Herr Richter.

ADAM.
Wieso?

WALTER.
Ja, bei meiner Treu,
So rings seh ich zerkritzt Euch und zerkratzt.

ADAM lacht.
Nein, Gott sei Dank! Fraunnägel sind es nicht.

WALTER.
Glaubs. Auch ein Vorteil noch der Hagestolzen.

ADAM fortlachend.
Strauchwerk, für Seidenwürmer, das man trocknend
Mir an dem Ofenwinkel aufgesetzt. –
Auf Euer Wohlergehn!

Sie trinken.

WALTER.
Und grad auch heut
Noch die Perücke seltsam einzubüßen!
Die hätt Euch Eure Wunden noch bedeckt.

ADAM.
Ja, ja. Jedwedes Übel ist ein Zwilling. –
Hier – von dem fetten jetzt – kann ich –?

WALTER.
Ein Stückchen.
Aus Limburg?

ADAM.
Rect' aus Limburg, gnäd'ger Herr.

WALTER.
– Wie Teufel aber, sagt mir, ging das zu?

ADAM.
Was?

WALTER.
Dass Ihr die Perücke eingebüßt.

ADAM.
Ja seht. Ich sitz und lese gestern abend
Ein Aktenstück, und weil ich mir die Brille
Verlegt, duck ich so tief mich in den Streit,
Dass bei der Kerze Flamme lichterloh
Mir die Perücke angeht. Ich, ich denke,
Feu'r fällt vom Himmel auf mein sündig Haupt,
Und greife sie, und will sie von mir werfen;
Doch eh ich noch das Nackenband gelöst,
Brennt sie wie Sodom und Gomorrha schon.
Kaum dass ich die drei Haare noch mir rette.

WALTER.
Verwünscht! Und Eure andre ist in der Stadt.

ADAM.
Bei dem Perückenmacher. – Doch zur Sache.

WALTER.
Nicht allzurasch, ich bitt, Herr Richter Adam.

ADAM.
Ei, was! Die Stunde rollt. Ein Gläschen hier.

Er schenkt ein.

WALTER.

Der Lebrecht – wenn der Kauz dort wahr gesprochen –
Er auch hat einen bösen Fall getan.

ADAM.
Auf meine Ehr.

Er trinkt.

WALTER.
Wenn hier die Sache,
Wie ich fast fürchte, unentworren bleibt,
So werdet Ihr, in Eurem Ort, den Täter
Leicht noch aus seiner Wund entdecken können.

Er trinkt.

Niersteiner?

ADAM.
Was?

WALTER.
Oder guter Oppenheimer?

ADAM.
Nierstein. Sieh da! Auf Ehre! Ihr verstehts
Aus Nierstein, gnädger Herr, als hätt ich ihn geholt.

WALTER.
Ich prüft ihn, vor drei Jahren, an der Kelter.

Adam schenkt wieder ein.

– Wie hoch ist Euer Fenster – dort! Frau Marthe.

FRAU MARTHE.
Mein Fenster?

WALTER.
Das Fenster jener Kammer, ja,
Worin die Jungfer schläft?

FRAU MARTHE.
Die Kammer zwar
Ist nur vom ersten Stock, ein Keller drunter,
Mehr als neun Fuß das Fenster nicht vom Boden;
Jedoch die ganze, wohlerwogene
Gelegenheit sehr ungeschickt zum Springen.
Denn auf zwei Fuß steht von der Wand ein Weinstock,
Der seine knotgen Äste rankend hin
Durch ein Spalier treibt, längs der ganzen Wand:
Das Fenster selbst ist noch davon umstrickt.
Es würd ein Eber, ein gewaffneter,
Müh mit den Fängern haben, durchzubrechen.

ADAM.
Es hing auch keiner drin.

Er schenkt sich ein.

WALTER.
Meint Ihr?

ADAM.
Ach, geht!

Er trinkt.

WALTER zu Ruprecht.
Wie traf Er denn den Sünder? Auf den Kopf?

ADAM.
Hier.

WALTER.
Lasst.

ADAM.
Gebt her.

WALTER.
's ist halb noch voll.

ADAM.
Wills füllen.

WALTER.
Ihr hörts.

ADAM.
Ei, für die gute Zahl.

WALTER.
Ich bitt Euch.

ADAM.
Ach, was! Nach der Pythagoräer – Regel.

Er schenkt ihm ein.

WALTER wieder zu Ruprecht.
Wie oft traf Er dem Sünder denn den Kopf?

ADAM.
Eins ist der Herr. Zwei ist das finstre Chaos;
Drei ist die Welt. Drei Gläser lob ich mir.
Im dritten trinkt man mit den Tropfen Sonnen,
Und Firmamente mit den übrigen.

WALTER.
Wie oftmals auf den Kopf traf Er den Sünder?
Er, Ruprecht, Ihn dort frag ich!

ADAM.
Wird mans hören?
Wie oft trafst du den Sündenbock? Na, heraus!
Gotts Blitz, seht, weiß der Kerl wohl selbst, ob er –
Vergaßt du's?

RUPRECHT.
Mit der Klinke?

ADAM.
Ja, was weiß ich.

WALTER.
Vom Fenster, als Er nach ihm herunterhieb?

RUPRECHT.
Zweimal, ihr Herrn.

ADAM.
Halunke! das behielt er!

Er trinkt.

WALTER.
Zweimal! Er konnt ihn mit zwei solchen Hieben
Erschlagen, weiß Er –?

RUPRECHT.
Hätt ich ihn erschlagen,
So hätt ich ihn. Es wär mir grade recht.
Läg er hier vor mir, tot, so könnt ich sagen,
Der wars, ihr Herrn, ich hab euch nicht belogen.

ADAM.
Ja, tot! das glaub ich. Aber so –

Er schenkt ein.

WALTER.
Konnt Er ihn denn im Dunkeln nicht erkennen?

RUPRECHT.
Nicht einen Stich, gestrenger Herr. Wie sollt ich?

ADAM.
Warum sperrtst du nicht die Augen auf – Stoßt an!

RUPRECHT.
Die Augen auf! Ich hatt sie aufgesperrt.
Der Satan warf sie mir voll Sand.

ADAM in den Bart.
Voll Sand, ja!
Warum sperrtst du deine großen Augen auf.
– Hier. Was wir lieben, gnädger Herr! Stoßt an!

WALTER.
– Was recht und gut und treu ist, Richter Adam!

Sie trinken.

ADAM.
Nun denn, zum Schluss jetzt, wenn's gefällig ist.

Er schenkt ein.

WALTER.
Ihr seid zuweilen bei Frau Marthe wohl,
Herr Richter Adam. Sagt mir doch,
Wer, außer Ruprecht, geht dort aus und ein.

ADAM.
Nicht allzuoft, gestrenger Herr, verzeiht.
Wer aus und ein geht, kann ich Euch nicht sagen.

WALTER.
Wie? Solltet Ihr die Witwe nicht zuweilen
Von Eurem sel'gen Freund besuchen?

ADAM.
Nein, in der Tat, sehr selten nur.

WALTER.
Frau Marthe!
Habt Ihrs mit Richter Adam hier verdorben?
Er sagt, er spräche nicht mehr bei Euch ein?

FRAU MARTHE.
Hm! Gnädger Herr, verdorben? Das just nicht.
Ich denk er nennt mein guter Freund sich noch.
Doch dass ich oft in meinem Haus ihn sähe,
Das vom Herrn Vetter kann ich just nicht rühmen.
Neun Wochen sind's, dass ers zuletzt betrat,
Und auch nur da noch im Vorübergehn.

WALTER.
Wie sagt Ihr?

FRAU MARTHE.
Was?

WALTER.
Neun Wochen wärens –?

FRAU MARTHE.
Neun,
Ja – Donnerstag sinds zehn. Er bat sich Samen
Bei mir, von Nelken und Aurikeln aus.

WALTER.
Und – sonntags – wenn er auf das Vorwerk geht –?

FRAU MARTHE.
Ja, da – da guckt er mir ins Fenster wohl,
Und saget guten Tag zu mir und meiner Tochter;
Doch dann so geht er wieder seiner Wege.

WALTER für sich.
Hm! Sollt ich auch dem Manne wohl –

Er trinkt.

Ich glaubte,
Weil Ihr die Jungfer Muhme dort zuweilen
In Eurer Wirtschaft braucht, so würdet Ihr
Zu Dank die Mutter dann und wann besuchen.

ADAM.
Wieso, gestrenger Herr?

WALTER.
Wieso? Ihr sagtet,
Die Jungfer helfe Euren Hühnern auf,
Die Euch im Hof erkranken. Hat sie nicht
Noch heut in dieser Sach Euch Rat erteilt?

FRAU MARTHE.
Ja, allerdings, gestrenger Herr, das tut sie.
Vorgestern schickt' er ihr ein krankes Perlhuhn
Ins Haus, das schon den Tod im Leibe hatte.
Vorm Jahr rettete sie ihm eins vom Pips,
Und dies auch wird sie mit der Nudel heilen:
Jedoch zum Dank ist er noch nicht erschienen.

WALTER verwirrt.
– Schenkt ein, Herr Richter Adam, seid so gut.
Schenkt gleich mir ein. Wir wollen eins noch trinken.

ADAM.
Zu Eurem Dienst. Ihr macht mich glücklich. Hier.

Er schenkt ein.

WALTER.
Auf Euer Wohlergehn! – Der Richter Adam,
Er wird früh oder spät schon kommen.

FRAU MARTHE.
Meint Ihr? Ich zweifle.
Könnt ich Niersteiner, solchen, wie Ihr trinkt,
Und wie mein sel'ger Mann, der Kastellan,
Wohl auch, von Zeit zu Zeit, im Keller hatte,
Vorsetzen dem Herrn Vetter, wärs was anders:
Doch so besitz ich nichts, ich arme Witwe,
In meinem Hause, das ihn lockt.

WALTER.
Um so viel besser.

Adolph Menzel, Illustration zu Heinrich von Kleist, Der zerbrochene Krug, Zehnter Auftritt


*****

Eilfter Auftritt
Licht. Frau Brigitte mit einer Perücke in der Hand. Die Mägde. Die Vorigen.

Adolph Menzel, Illustration zu Heinrich von Kleist, Der zerbrochene Krug, Elfter Auftritt


LICHT.
Hier, Frau Brigitte, herein.

WALTER.
Ist das die Frau, Herr Schreiber Licht?

LICHT.
Das ist die Frau Brigitte, Euer Gnaden.

WALTER.
Nun denn, so lasst die Sach uns jetzt beschließen.
Nehmt ab, ihr Mägde. Hier.

Die Mägde mit Gläsern usw. ab.

ADAM währenddessen.
Nun, Evchen, höre,
Dreh du mir deine Pille ordentlich,
Wie sichs gehört, so sprech ich heute abend
Auf ein Gericht Karauschen bei euch ein.
Dem Luder muss sie ganz jetzt durch die Gurgel,
Ist sie zu groß, so mags den Tod dran fressen.

WALTER erblickt die Perücke.
Was bringt uns Frau Brigitte dort für eine
Perücke?

LICHT.
Gnädger Herr?

WALTER.
Was jene Frau uns dort für eine
Perücke bringt?

LICHT.
Hm!

WALTER.
Was?

LICHT.
Verzeiht –

WALTER.
Werd ichs erfahren?

LICHT.
Wenn Euer Gnaden gütigst
Die Frau, durch den Herrn Richter, fragen wollen,
So wird, wem die Perücke angehört,
Sich, und das Weitre, zweifl' ich nicht, ergeben.

WALTER.
– Ich will nicht wissen, wem sie angehört.
Wie kam die Frau dazu? Wo fand sie sie?

LICHT.
Die Frau fand die Perücke im Spalier
Bei Frau Margrete Rull. Sie hing gespießt,
Gleich einem Nest, im Kreuzgeflecht des Weinstocks,
Dicht unterm Fenster, wo die Jungfer schläft.

FRAU MARTHE.
Was? Bei mir? Im Spalier?

WALTER heimlich.
Herr Richter Adam,
Habt Ihr mir etwas zu vertraun,
So bitt ich, um die Ehre des Gerichtes,
Ihr seid so gut, und sagt mirs an.

ADAM.
Ich Euch –?

WALTER.
Nicht? Habt Ihr nicht –?

ADAM.
Auf meine Ehre –
Er ergreift die Perücke.

WALTER.
Hier die Perücke ist die Eure nicht?

ADAM.
Hier die Perück ihr Herren, ist die meine!
Das ist, Blitz-Element, die nämliche,
Die ich dem Burschen vor acht Tagen gab,
Nach Utrecht sie zum Meister Mehl zu bringen.

WALTER.
Wem? Was?

LICHT.
Dem Ruprecht?

RUPRECHT.
Mir?

ADAM.
Hab ich Ihm Schlingel,
Als Er nach Utrecht vor acht Tagen ging,
Nicht die Perück hier anvertraut, sie zum
Friseur, dass er sie renoviere, hinzutragen?

RUPRECHT.
Ob Er –? Nun ja. Er gab mir –

ADAM.
Warum hat Er
Nicht die Perück, Halunke, abgegeben?
Warum nicht hat Er sie, wie ich befohlen,
Beim Meister in der Werkstatt abgegeben?

RUPRECHT.
Warum ich sie –? Gotts, Himmel-Donner – Schlag!
Ich hab sie in der Werkstatt abgegeben.
Der Meister Mehl nahm sie –

ADAM.
Sie abgegeben?
Und jetzt hängt sie im Weinspalier bei Marthens?
O wart, Kanaille! So entkommst du nicht.
Dahinter steckt mir von Verkappung was,
Und Meuterei, was weiß ich? – Wollt Ihr erlauben,
Dass ich sogleich die Frau nur inquiriere?

WALTER.
Ihr hättet die Perücke –?

ADAM.
Gnäd'ger Herr,
Als jener Bursche dort, vergangnen Dienstag,
Nach Utrecht fuhr mit seines Vaters Ochsen,
Kam er ins Amt, und sprach, Herr Richter Adam,
Habt Ihr im Städtlein etwas zu bestellen?
Mein Sohn, sag ich, wenn du so gut willt sein,
So lass mir die Perück hier auftoupieren –
Nicht aber sagt ich ihm, geh und bewahre
Sie bei dir auf, verkappe dich darin,
Und lass sie im Spalier bei Marthens hängen.

FRAU BRIGITTE.
Ihr Herrn, der Ruprecht, mein ich, halt zu Gnaden,
Der wars wohl nicht. Denn da ich gestern nacht
Hinaus aufs Vorwerk geh, zu meiner Muhme,
Die schwer im Kindbett liegt, hör ich die Jungfer
Gedämpft, im Garten hinten jemand schelten:
Wut scheint und Furcht die Stimme ihr zu rauben.
Pfui, schäm Er sich, Er Niederträchtiger,
Was macht Er? Fort. Ich werd die Mutter rufen;
Als ob die Spanier im Lande wären.
Drauf: Eve! durch den Zaun hin: Eve! ruf ich.
Was hast du? Was auch gibt's? – Und still wird es:
Nun? Wirst du antworten? – Was wollt Ihr, Muhme? –
Was hast du vor, frag ich? – Was werd ich haben. –
Ist es der Ruprecht? – Ei so ja, der Ruprecht.
Geht Euren Weg doch nur. – So koch dir Tee.
Das liebt sich, denk ich, wie sich andre zanken.

FRAU MARTHE.
Mithin –?

RUPRECHT.
Mithin –?

WALTER.
Schweigt! Lasst die Frau vollenden.

FRAU BRIGITTE.
Da ich vom Vorwerk nun zurückekehre
Zur Zeit der Mitternacht etwa, und just,
Im Lindengang, bei Marthens Garten bin,
Huscht euch ein Kerl bei mir vorbei, kahlköpfig,
Mit einem Pferdefuß, und hinter ihm
Erstinkt's wie Dampf von Pech und Haar und Schwefel.
Ich sprech ein Gottseibeiuns aus, und drehe
Entsetzensvoll mich um, und seh, mein Seel,
Die Glatz, ihr Herren, im Verschwinden noch,
Wie faules Holz, den Lindengang durchleuchten.

RUPRECHT.
Was! Himmel – Tausend –!

FRAU MARTHE.
Ist Sie toll, Frau Briggy?

RUPRECHT.
Der Teufel, meint Sie, wär's –?

LICHT.
Still! Still!

FRAU BRIGITTE.
Mein Seel!
Ich weiß, was ich gesehen und gerochen.

WALTER ungeduldig.
Frau, obs der Teufel war, will ich nicht untersuchen,
Ihn aber, ihn denunziiert man nicht.
Kann Sie von einem andern melden, gut:
Doch mit dem Sünder da verschont Sie uns.

LICHT.
Wollen Euer Gnaden sie vollenden lassen.

WALTER.
Blödsinnig Volk, das!

FRAU BRIGITTE.
Gut, wie Ihr befehlt.
Doch der Herr Schreiber Licht sind mir ein Zeuge.

WALTER.
Wie? Ihr ein Zeuge?

LICHT.
Gewissermaßen, ja.

WALTER.
Fürwahr, ich weiß nicht –

LICHT.
Bitte ganz submiss,
Die Frau in dem Berichte nicht zu stören.
Dass es der Teufel war, behaupt ich nicht;
Jedoch mit Pferdefuß, und kahler Glatze
Und hinten Dampf, wenn ich nicht sehr mich irre,
Hats seine völlge Richtigkeit! – Fahrt fort!

FRAU BRIGITTE.
Da ich nun mit Erstaunen heut vernehme,
Was bei Frau Marthe Rull geschehn, und ich
Den Krugzertrümmrer auszuspionieren,
Der mir zu Nacht begegnet am Spalier,
Den Platz, wo er gesprungen, untersuche,
Find ich im Schnee, ihr Herrn, euch eine Spur –
Was find ich euch für eine Spur im Schnee?
Rechts fein und scharf und nett gekantet immer,
Ein ordentlicher Menschenfuß,
Und links unförmig grobhin eingetölpelt
Ein ungeheurer klotzger Pferdefuß.

WALTER ärgerlich.
Geschwätz, wahnsinniges, verdammenswürdges –!

VEIT.
Es ist nicht möglich, Frau!

FRAU BRIGITTE.
Bei meiner Treu!
Erst am Spalier, da, wo der Sprung geschehen,
Seht, einen weiten, schneezerwühlten Kreis,
Als ob sich eine Sau darin gewälzt;
Und Menschenfuß und Pferdefuß von hier,
Und Menschenfuß und Pferdefuß, und Menschenfuß und Pferdefuß,
Quer durch den Garten, bis in alle Welt.

ADAM.
Verflucht! – hat sich der Schelm vielleicht erlaubt,
Verkappt des Teufels Art –?

RUPRECHT.
Was! Ich!

LICHT.
Schweigt! Schweigt!

FRAU BRIGITTE.
Wer einen Dachs sucht, und die Fährt entdeckt,
Der Weidmann, triumphiert nicht so, als ich.
Herr Schreiber Licht, sag ich, denn eben seh ich
Von euch geschickt, den Würdgen zu mir treten,
Herr Schreiber Licht, spart eure Session,
Den Krugzertrümmrer judiziert ihr nicht,
Der sitzt nicht schlechter euch, als in der Hölle:
Hier ist die Spur die er gegangen ist.

WALTER.
So habt Ihr selbst Euch überzeugt?

LICHT.
Euer Gnaden,
Mit dieser Spur hats völlge Richtigkeit.

WALTER.
Ein Pferdefuß?

LICHT.
Fuß eines Menschen, bitte,
Doch praeter propter wie ein Pferdehuf.

ADAM.
Mein Seel, ihr Herrn, die Sache scheint mir ernsthaft.
Man hat viel beißend abgefasste Schriften,
Die, dass ein Gott sei, nicht gestehen wollen;
Jedoch den Teufel hat, soviel ich weiß,
Kein Atheist noch bündig wegbewiesen.
Der Fall, der vorliegt, scheint besonderer
Erörtrung wert. Ich trage darauf an,
Bevor wir ein Konklusum fassen,
Im Haag bei der Synode anzufragen
Ob das Gericht befugt sei, anzunehmen,
Dass Beelzebub den Krug zerbrochen hat.

WALTER.
Ein Antrag, wie ich ihn von Euch erwartet.
Was wohl meint Ihr, Herr Schreiber?

LICHT.
Euer Gnaden werden
Nicht die Synode brauchen, um zu urteiln.
Vollendet – mit Erlaubnis! – den Bericht,
Ihr Frau Brigitte, dort; so wird der Fall
Aus der Verbindung, hoff ich, klar konstieren.

FRAU BRIGITTE.
Hierauf: Herr Schreiber Licht, sag ich, lasst uns
Die Spur ein wenig doch verfolgen, sehn,
Wohin der Teufel wohl entwischt mag sein.
Gut, sagt er, Frau Brigitt, ein guter Einfall;
Vielleicht gehn wir uns nicht weit um,
Wenn wir zum Herrn Dorfrichter Adam gehn.

WALTER.
Nun? Und jetzt fand sich –?

FRAU BRIGITTE.
Zuerst jetzt finden wir
Jenseits des Gartens, in dem Lindengange,
Den Platz, wo Schwefeldämpfe von sich lassend,
Der Teufel bei mir angeprellt: ein Kreis,
Wie scheu ein Hund etwa zur Seite weicht,
Wenn sich die Katze prustend vor ihm setzt.

WALTER.
Drauf weiter?

FRAU BRIGITTE.
Nicht weit davon jetzt steht ein Denkmal seiner,
An einem Baum, dass ich davor erschrecke.

WALTER.
Ein Denkmal? Wie?

FRAU BRIGITTE.
Wie? Ja, da werdet Ihr –

ADAM für sich.
Verflucht mein Unterleib.

LICHT.
Vorüber, bitte,
Vorüber hier, ich bitte, Frau Brigitte.

WALTER.
Wohin die Spur Euch führte, will ich wissen!

FRAU BRIGITTE.
Wohin? Mein Treu, den nächsten Weg zu euch,
Just wie Herr Schreiber Licht gesagt.

WALTER.
Zu uns? Hierher?

FRAU BRIGITTE.
Vom Lindengange, ja,
Aufs Schulzenfeld, den Karpfenteich entlang,
Den Steg, quer übern Gottesacker dann,
Hier, sag ich, her, zum Herrn Dorfrichter Adam.

WALTER.
Zum Herrn Dorfrichter Adam?

ADAM.
Hier zu mir?

FRAU BRIGITTE.
Zu Euch, ja.

RUPRECHT.
Wird doch der Teufel nicht
In dem Gerichtshof wohnen?

FRAU BRIGITTE.
Mein Treu, ich weiß nicht,
Ob er in diesem Hause wohnt; doch hier,
Ich bin nicht ehrlich, ist er abgestiegen:
Die Spur geht hinten ein bis an die Schwelle.

ADAM.
Sollt er vielleicht hier durchpassiert –?

FRAU BRIGITTE.
Ja, oder durchpassiert. Kann sein. Auch das.
Die Spur vornaus –

WALTER.
War eine Spur vornaus?

LICHT.
Vornaus, verzeihn Euer Gnaden, keine Spur.

FRAU BRIGITTE.
Ja, vornaus war der Weg zertreten.

ADAM.
Zertreten. Durchpassiert. Ich bin ein Schuft.
Der Kerl, passt auf, hat den Gesetzen hier
Was angehängt. Ich will nicht ehrlich sein,
Wenn es nicht stinkt in der Registratur.
Wenn meine Rechnungen, wie ich nicht zweifle,
Verwirrt befunden werden sollten,
Auf meine Ehr, ich stehe für nichts ein.

WALTER.
Ich auch nicht.

Für sich.

Hm! Ich weiß nicht, wars der linke,
War es der rechte? Seiner Füße einer –
Herr Richter! Eure Dose! – Seid so gefällig.

ADAM.
Die Dose?

WALTER.
Die Dose. Gebt! Hier!

ADAM zu Licht.
Bringt dem Herrn Gerichtsrat.

WALTER.
Wozu die Umständ? Einen Schritt gebrauchts.

ADAM.
Es ist schon abgemacht. Gebt Seiner Gnaden.

WALTER.
Ich hätt Euch was ins Ohr gesagt.

ADAM.
Vielleicht, dass wir nachher Gelegenheit –

WALTER.
Auch gut.

Nachdem sich Licht wieder gesetzt.

Sagt doch, ihr Herrn, ist jemand hier im Orte,
Der missgeschaffne Füße hat?

LICHT.
Hm! Allerdings ist jemand hier in Huisum –

WALTER.
So? Wer?

LICHT.
Wollen Euer Gnaden den Herrn Richter fragen –

WALTER.
Den Herrn Richter Adam?

ADAM.
Ich weiß von nichts.
Zehn Jahre bin ich hier im Amt zu Huisum,
Soviel ich weiß, ist alles grad gewachsen.

WALTER zu Licht.
Nun? Wen hier meint Ihr?

FRAU MARTHE.
Lass Er doch seine Füße draußen!
Was steckt Er untern Tisch verstört sie hin,
Dass man fast meint, Er wär die Spur gegangen.

WALTER.
Wer? Der Herr Richter Adam?

ADAM.
Ich? die Spur?
Bin ich der Teufel? Ist das ein Pferdefuß?

Er zeigt seinen linken Fuß.

WALTER.
Auf meine Ehr. Der Fuß ist gut.

Heimlich.

Macht jetzt mit der Session sogleich ein Ende.

ADAM.
Ein Fuß, wenn den der Teufel hätt,
So könnt er auf die Bälle gehn und tanzen.

FRAU MARTHE.
Das sag ich auch. Wo wird der Herr Dorfrichter –

ADAM.
Ach, was! Ich!

WALTER.
Macht, sag ich, gleich ein Ende.

FRAU BRIGITTE.
Den einzgen Skrupel nur, ihr würdgen Herrn,
Macht, dünkt mich, dieser feierliche Schmuck!

ADAM.
Was für ein feierlicher –?

FRAU BRIGITTE.
Hier, die Perücke!
Wer sah den Teufel je in solcher Tracht?
Ein Bau, getürmter, strotzender von Talg,
Als eines Domdechanten auf der Kanzel!

ADAM.
Wir wissen hierzuland nur unvollkommen,
Was in der Hölle Mod ist, Frau Brigitte!
Man sagt, gewöhnlich trägt er eignes Haar.
Doch auf der Erde, bin ich überzeugt,
Wirft er in die Perücke sich, um sich
Den Honoratioren beizumischen.

WALTER.
Nichtswürdger! Wert, vor allem Volk ihn schmachvoll
Vom Tribunal zu jagen! Was Euch schützt,
Ist einzig nur die Ehre des Gerichts.
Schließt Eure Session!

ADAM.
Ich will nicht hoffen –

WALTER.
Ihr hofft jetzt nichts. Ihr zieht Euch aus der Sache.

ADAM.
Glaubt Ihr, ich hätte, ich, der Richter, gestern,
Im Weinstock die Perücke eingebüßt?

WALTER.
Behüte Gott! Die Eur' ist ja im Feuer,
Wie Sodom und Gomorrha, aufgegangen.

LICHT.
Vielmehr – vergebt mir, gnädger Herr! die Katze
Hat gestern in die seinige gejungt.

ADAM.
Ihr Herrn, wenn hier der Anschein mich verdammt:
Ihr übereilt euch nicht, bitt ich. Es gilt
Mir Ehre oder Prostitution.
Solang die Jungfer schweigt, begreif ich nicht,
Mit welchem Recht ihr mich beschuldiget.
Hier auf dem Richterstuhl von Huisum sitz ich,
Und lege die Perücke auf den Tisch:
Den, der behauptet, dass sie mein gehört,
Fordr' ich vors Oberlandgericht in Utrecht.

LICHT.
Hm! Die Perücke passt Euch doch, mein Seel,
Als wär auf Euren Scheiteln sie gewachsen.

Er setzt sie ihm auf.

ADAM.
Verleumdung!

LICHT.
Nicht?

ADAM.
Als Mantel um die Schultern
Mir noch zu weit, wie viel mehr um den Kopf.

Er besieht sich im Spiegel.

RUPRECHT.
Ei, solch ein Donnerwetter-Kerl!

WALTER.
Still, Er!

FRAU MARTHE.
Ei, solch ein blitz-verfluchter Richter, das!

WALTER.
Noch einmal, wollt Ihr gleich, soll ich die Sache enden?

ADAM.
Ja, was befehlt Ihr?

RUPRECHT zu Eve.
Eve, sprich, ist ers?

WALTER.
Was untersteht der Unverschämte sich?

VEIT.
Schweig du, sag ich.

ADAM.
Wart, Bestie! Dich fass ich.

RUPRECHT.
Ei, du Blitz-Pferdefuß!

WALTER.
Heda! der Büttel!

VEIT.
Halts Maul, sag ich.

RUPRECHT.
Wart! Heute reich ich dich.
Heut streust du keinen Sand mir in die Augen.

WALTER.
Habt Ihr nicht so viel Witz, Herr Richter –?

ADAM.
Ja, wenn Euer Gnaden
Erlauben, fäll ich jetzo die Sentenz.

WALTER.
Gut. Tut das. Fällt sie.

ADAM.
Die Sache jetzt konstiert,
Und Ruprecht dort, der Racker, ist der Täter.

WALTER.
Auch gut das. Weiter.

ADAM.
Den Hals erkenn ich
Ins Eisen ihm, und weil er ungebührlich
Sich gegen seinen Richter hat betragen,
Schmeiß ich ihn ins vergitterte Gefängnis.
Wie lange, werd ich noch bestimmen.

EVE.
Den Ruprecht –?

RUPRECHT.
Ins Gefängnis mich?

EVE.
Ins Eisen?

WALTER.
Spart eure Sorgen, Kinder – Seid Ihr fertig?

ADAM.
Den Krug meinthalb mag er ersetzen, oder nicht.

WALTER.
Gut denn. Geschlossen ist die Session.
Und Ruprecht appelliert an die Instanz zu Utrecht.

EVE.
Er soll, er, erst nach Utrecht appellieren?

RUPRECHT.
Was? Ich –?

WALTER.
Zum Henker, ja! Und bis dahin –

EVE.
Und bis dahin –?

RUPRECHT.
In das Gefängnis gehn?

EVE.
Den Hals ins Eisen stecken? Seid Ihr auch Richter?
Er dort, der Unverschämte, der dort sitzt,
Er selber wars –

WALTER.
Du hörsts, zum Teufel! Schweig!
Ihm bis dahin krümmt sich kein Haar –

EVE.
Auf, Ruprecht!
Der Richter Adam hat den Krug zerbrochen!

RUPRECHT.
Ei, wart, du!

FRAU MARTHE.
Er?

FRAU BRIGITTE.
Der dort?

EVE.
Er, ja! Auf, Ruprecht!
Er war bei deiner Eve gestern!
Auf! Fass ihn! Schmeiß ihn jetzo, wie du willst.

WALTER steht auf.
Halt dort! Wer hier Unordnungen –

EVE.
Gleichviel!
Das Eisen ist verdient, geh Ruprecht!
Geh schmeiß ihn von dem Tribunal herunter.

ADAM.
Verzeiht, ihr Herrn.

Läuft weg.

EVE.
Hier! Auf!

RUPRECHT.
Halt ihn!

EVE.
Geschwind!

ADAM.
Was?

RUPRECHT.
Blitz-Hinketeufel!

EVE.
Hast du ihn?

RUPRECHT.
Gotts Schlag und Wetter!
Es ist sein Mantel bloß!

WALTER.
Fort! Ruft den Büttel!

RUPRECHT schlägt den Mantel.
Ratz! Das ist eins. Und Ratz! Und Ratz! Noch eins.
Und noch eins! In Ermangelung des Buckels.

WALTER.
Er ungezogner Mensch! – Schafft hier mir Ordnung!
– An ihm, wenn Er sogleich nicht ruhig ist,
Ihm wird der Spruch vom Eisen heut noch wahr.

VEIT.
Sei ruhig, du vertrackter Schlingel!

Adolph Menzel, Illustration zu Heinrich von Kleist, Der zerbrochene Krug, Elfter Auftritt

*****

Zwölfter Auftritt
Die Vorigen ohne Adam.

Adolph Menzel, Illustration zu Heinrich von Kleist, Der zerbrochene Krug, Zwölfter Auftritt


Sie begeben sich alle in den Vordergrund der Bühne.

RUPRECHT.
Ei, Evchen!
Wie hab ich heute schändlich dich beleidigt!
Ei Gotts Blitz, alle Wetter; und wie gestern!
Ei, du mein goldnes Mädchen, Herzens-Braut!
Wirst du dein Lebtag mir vergeben können?

EVE wirft sich dem Gerichtsrat zu Füßen.

Herr! Wenn Ihr jetzt nicht helft, sind wir verloren!

WALTER.
Verloren? Warum das?

RUPRECHT.
Herr Gott! Was gibt's?

EVE.
Errettet Ruprecht von der Konskription!
Denn diese Konskription – der Richter Adam
Hat mirs als ein Geheimnis anvertraut,
Geht nach Ostindien; und von dort, Ihr wisst,
Kehrt von drei Männern einer nur zurück!

WALTER.
Was! Nach Ostindien! Bist du bei Sinnen?

EVE.
Nach Bantam, gnädger Herr; verleugnets nicht!
Hier ist der Brief, die stille heimliche
Instruktion, die Landmiliz betreffend,
Die die Regierung jüngst deshalb erließ:
Ihr seht, ich bin von allem unterrichtet.

WALTER nimmt den Brief und liest ihn.
O unerhört, arglistiger Betrug! –
Der Brief ist falsch!

EVE.
Falsch?

WALTER.
Falsch, so wahr ich lebe!
Herr Schreiber Licht, sagt selbst, ist das die Ordre,
Die man aus Utrecht jüngst an euch erließ?

LICHT.
Die Ordre! Was! Der Sünder, der! Ein Wisch,
Den er mit eignen Händen aufgesetzt! –
Die Truppen, die man anwarb, sind bestimmt
Zum Dienst im Landesinneren; kein Mensch
Denkt dran, sie nach Ostindien zu schicken!

EVE.
Nein, nimmermehr, ihr Herrn?

WALTER.
Bei meiner Ehre!
Und zum Beweise meines Worts: den Ruprecht,
Wärs so, wie du mir sagst: ich kauf ihn frei!

*****

Adolph Menzel, Illustration zu Heinrich von Kleist, Der zerbrochene Krug, Vollbild. Eve: O Himmel! Wie belog der Böswicht mich!

J. B. Obernetter
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O Himmel! Wie belog der Böswicht mich!

*****

EVE steht auf.
O Himmel! Wie belog der Böswicht mich!
Denn mit der schrecklichen Besorgnis eben,
Quält' er mein Herz, und kam, zur Zeit der Nacht,
Mir ein Attest für Ruprecht aufzudringen;
Bewies, wie ein erlognes Krankheitszeugnis,
Von allem Kriegsdienst ihn befreien könnte;
Erklärte und versicherte und schlich,
Um es mir auszufertgen, in mein Zimmer:
So Schändliches, ihr Herren, von mir fordernd,
Dass es kein Mädchenmund wagt auszusprechen!

FRAU BRIGITTE.
Ei, der nichtswürdig-schändliche Betrüger

RUPRECHT.
Lass, lass den Pferdehuf, mein süßes Kind!
Sieh, hätt ein Pferd bei dir den Krug zertrümmert,
Ich wär so eifersüchtig just, als jetzt!

Sie küssen sich.

VEIT.
Das sag ich auch! Küsst und versöhnt und liebt euch;
Und Pfingsten, wenn ihr wollt, mag Hochzeit sein!

LICHT am Fenster.
Seht, wie der Richter Adam, bitt ich euch,
Berg auf, Berg ab, als flöh er Rad und Galgen,
Das aufgepflügte Winterfeld durchstampft!

WALTER.
Was? Ist das Richter Adam?

LICHT.
Allerdings!

MEHRERE.
Jetzt kommt er auf die Straße. Seht! seht!
Wie die Perücke ihm den Rücken peitscht!

WALTER.
Geschwind, Herr Schreiber, fort! Holt ihn zurück!
Dass er nicht Übel rettend ärger mache.
Von seinem Amt zwar ist er suspendiert,
Und Euch bestell ich, bis auf weitere
Verfügung, hier im Ort es zu verwalten;
Doch sind die Kassen richtig, wie ich hoffe,
Zur Desertion ihn zwingen will ich nicht.
Fort! Tut mir den Gefallen, holt ihn wieder!

Licht ab.

Adolph Menzel, Illustration zu Heinrich von Kleist, Der zerbrochene Krug, Zwölfter Auftritt


*****

Letzter Auftritt
Die Vorigen ohne Licht.

Adolph Menzel, Illustration zu Heinrich von Kleist, Der zerbrochene Krug, Letzter Auftritt


FRAU MARTHE.
Sagt doch, gestrenger Herr, wo find ich auch
Den Sitz in Utrecht der Regierung?

WALTER.
Weshalb, Frau Marthe?

FRAU MARTHE empfindlich.
Hm! Weshalb? Ich weiß nicht –
Soll hier dem Kruge nicht sein Recht geschehn?

WALTER.
Verzeiht mir! Allerdings. Am großen Markt,
Und Dienstag ist und Freitag Session.

FRAU MARTHE.
Gut! Auf die Woche stell ich dort mich ein.

Alle ab.

Adolph Menzel, Illustration zu Heinrich von Kleist, Der zerbrochene Krug, Applaus


*****

3. Kurzbiographie von Adolph Menzel

Adolf Menzel, Bildnis

Zum Vergrößern klicken Sie bitte auf das Bild
Fotopostkarte um 1900. Signet: ATL ligiert [Aristophot. Taucha bei Leipzig]

*****

Adolf Menzel, Maler, Radierer, Lithograph und Zeichner, geb. 8. Dezember 1815 in Breslau, gest. 9. Februar 1905 in Berlin, kam 1830 nach Berlin, besuchte dort kurze Zeit die Akademie, verließ sie aber bald, da er auf eignen Erwerb durch Anfertigung von Lithographien angewiesen war. Schon 1833 trat er mit sechs lithographischen Blättern von geistvoller Erfindung und eigenartiger, realistischer Formgebung unter dem Titel: »Künstlers Erdenwallen« hervor. 1837 erschien von ihm lithographiert ein Zyklus von zwölf Blättern aus der brandenburgischen Geschichte. 1836 führte er sein erstes Ölgemälde: die Schachspieler, aus, dem 1837 die Rechtskonsultation, 1838 die Toilette und ein Weltgeistlicher und ein Mönch folgten. 1839 brachte er es bereits zu einem figurenreichen Gemälde dramatisch bewegten Inhalts, dem Gerichtstag.

Das eigentliche Feld seiner Tätigkeit fand er aber erst mit den 400 Illustrationen, die er 1839–42 zu Franz Kuglers »Geschichte Friedrichs d. Gr.« lieferte. Diese Zeichnungen fesseln durch Reichtum an Originalität und Humor, und gleich bewundernswert ist das dramatische Leben und die treffende Wahrheit der Gestalten wie die geschichtliche Treue, die sich in der genauesten Beobachtung der Kostüme ausspricht. Durch die Ausführung der Zeichnungen in Holzschnitt, die unter seiner Überwachung und unter seinem Einfluss erfolgte, übte Menzel zugleich eine entscheidende Einwirkung auf die Hebung der Holzschneidekunst. Unmittelbar daran schlossen sich 200 Illustrationen zu einer von Friedrich Wilhelm IV. veranstalteten, nur zu Geschenken an hohe Personen bestimmten Prachtausgabe der Werke Friedrichs d. Gr. (1843-49), die von Albert und Otto Vogel, Friedrich Ludwig Unzelmann und Hermann Müller in Holz geschnitten wurden. In diesen Meisterwerken erschöpfte Menzel den ganzen geschichtlichen und kulturgeschichtlichen Inhalt des 18. Jahrhunderts. Er war fortan der berufene Maler Friedrichs d. Gr., der in trüber Zeit durch unablässige Schilderungen des Helden und seiner Feldherren viel zur Stärkung des preußischen Volksbewusstseins beitrug.

Unter seinen andre Stoffe behandelnden Bildern nehmen neben dem großen, den Einzug Heinrichs des Kindes und seiner Mutter in Marburg 1247 darstellenden Karton (1848) die drei Kompositionen den ersten Rang ein, die Menzel als Transparentbilder für die Weihnachtsausstellungen im Berliner Akademiegebäude malte: Christus unter den Schriftgelehrten (1851, existiert auch als Lithographie, von Menzel selbst in Schabmanier auf Stein gezeichnet); Christus, die Wechsler aus dem Tempel treibend (1853), und Adam und Eva (1857). Eine Frucht 15jähriger Studien war das große Bilderwerk »Die Armee Friedrichs d. Gr. in ihrer Uniformierung« (1857), aus 600 kolorierten Lithographien in drei Bänden bestehend. Nur 30 Exemplare, jedes zu 530 Tlr., sind davon abgezogen worden. Ihm ging der Holzschnittzyklus »Aus König Friedrichs Zeit« (1854–56, 12 Blatt, geschnitten von Eduard Kretzschmar in Leipzig) voraus. Den Gipfelpunkt der Friedrich d. Gr. gewidmeten Werke bezeichnen die Ölgemälde: Tafelrunde Friedrichs II. in Sanssouci (1850), Flötenkonzert in Sanssouci (1852), Friedrich d. Gr. auf Reisen (1854), die Huldigung der schlesischen Stände (1855), Friedrich d. Gr. und die Seinen bei Hochkirch (1856), Begegnung in Neiße zwischen Friedrich d. Gr. und Joseph II. (1857), lauter Bilder, in denen sich Lebenswahrheit, poetische Konzeption, vielseitige Beleuchtung und dramatischer Effekt zu einer mächtigen Gesamtwirkung vereinigen. In dieselbe Zeit fallen die Kartons zu zwei Gestalten von Hochmeistern für das Schloss in Marienburg (1855), das Gemälde: Blücher und Wellington bei Waterloo (1855), ein Album von zwölf Gouachemalereien zur Erinnerung an ein Turnier von 1829, das Fest der weißen Rose (1854), Gouachemalereien für ein »Kinderbuch« u. a. m.

Eine zweite Gruppe unter Menzels Werken bilden die Gemälde aus der Zeit Kaiser Wilhelms I., zunächst das große Bild der Krönung in Königsberg (1861–65), eins seiner Hauptwerke; die Abreise König Wilhelms zur Armee (1871), das Ballsouper (1878) und Kaiser Wilhelm, Cercle haltend (1879). In den drei letztern Bildern zeigt sich bereits ein Umschwung in Menzels Stil, der durch einen Aufenthalt in Paris (1867) veranlasst worden ist. Er strebte fortan nach voller Tonwirkung bei pikanter Beleuchtung, wobei er die schwierigsten Probleme zu lösen versuchte, und bei mehr skizzenhafter Behandlung der Form. Diese neue Richtung wird besonders durch folgende Ölgemälde charakterisiert: Sonntag im Tuileriengarten (1867), ein Restaurant der Pariser Weltausstellung (1867), Gottesdienst in der Buchenhalle bei Kösen (1868), Eisenwalzwerk (1875), Prozession in Hofgastein (1881), die Piazza d'Erbe in Verona (1884). In der Zwischenzeit entstanden noch die Illustrationen zu Heinrich v. Kleists »Zerbrochenem Krug« (1877) und eine lange Reihe von Gouachen und Aquarellen, Landschaften, Architekturen, Interieurs, Figuren- und Tierstudien, Adressen, Vorlagen zur Dekoration eines Porzellanservice für den deutschen Kronprinzen Friedrich Wilhelm u. a.

In seiner letzten Zeit widmete er sich ausschließlich der Gouachemalerei und schuf trotz seines hohen Alters eine Reihe von Meisterwerken, die auf kleinem Raum eine Fülle von höchst charakteristischen, ungemein scharf beobachteten Figuren vereinigen. Die hervorragendsten davon sind: der Faschingsmorgen, Szenen aus der japanischen Ausstellung in Berlin, auf der Brunnenpromenade und Biergarten in Kissingen, eine Fahrt durch schöne Natur (Eisenbahncoupéstudie), am Kirchenportal. Daneben hat er auf seinen Reisen unablässig seine Architektur-, Landschafts- und Figurenstudien in zahlreichen Bleistift- und Tuschzeichnungen fortgesetzt.

Menzel war der vielseitigste deutsche Maler der neuern Zeit, ein Virtuos in jeglicher malerischer und zeichnerischer Technik, mit Ausnahme der Wandmalerei, und ein Meister energievoller Charakteristik, die sich ebenso sehr auf das 18. Jahrhundert wie auf das Leben seiner Zeit erstreckt. Er war königlicher Professor und Kanzler der Friedensklasse des Ordens pour le mérite. Aus Anlass seines 70. Geburtstags wurde eine Stiftung von jährlich 800 Mk. für Schüler der Berliner Akademie errichtet, und bei seinem 80. Geburtstag wurde er zum Wirklichen Geheimen Rat mit dem Prädikat Exzellenz und zum Ehrenbürger der Stadt Berlin ernannt. 1898 wurde er durch Verleihung des Schwarzen Adlerordens, mit dem der persönliche Adel verbunden ist, ausgezeichnet.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon. Sechste Auflage 1905–1909 (Digitale Bibliothek; 100) Berlin: Directmedia 2003, S. 128.277-128.282. Redigiert, gekürzt.

Unteres Bild: zeitgenössisch, ohne Angabe von Zeichner und reproduzierendem Künstler.

*****

4. Notizen zu den reproduzierenden Künstlern

Aufgenommen werden Xylographische Anstalten und reproduzierende Künstler, soweit sie signiert haben. Aufgelöst wurden folgende Signaturen: "X.A. v. R.B." und "X.A. R.B." als Xylographische Anstalt von Richard Brend'amour, "A.V. sc." als Albert Vogel sculpsit. Als "Hanebutt-Benz" wird zitiert: Eva-Maria Hanebutt-Benz: Studien zum deutschen Holzstich im 19. Jahrhundert. Frankfurt a.M.: Buchhändler-Vereinigung 1984 (darin Verzeichnisse der Xylographen und der xylographischen Ateliers). Am Ende der Einträge werden die von den jeweiligen reproduzierenden Künstlern gefertigten Illustrationen zu Kleists "Zerbrochenem Krug" aufgeführt.

Zu den Probedrucken siehe: C. G. Boerner, Neue Lagerliste Nr. 99 (1992), Nr. 83, S. 126-129.

Brend'amour, Richard, Holzschneider, geb. am 16. 10. 1831 in Aachen, † 22. Januar 1915 in Düsseldorf, Gründer und Seniorchef der bekannten xylographischen Kunstanstalt in Düsseldorf. Aus seiner früheren Zeit sind namentlich bemerkenswert die Illustrationen zu Immermanns Oberhof nach Zeichnungen Benjamin Vautiers (1863) und die Folge der acht Freskobilder Alfred Rethels im Rathause zu Aachen. (Thieme-Becker) Siehe anebutt-Benz, Sp. 1015, 1189f., sowie den Artikel in Wikipedia. - "Der zerbrochene Krug": Bildnisse La Roche und Döring in der Einleitung, S. XIII; 5. Auftritt, Beginn, S. 20; 6. Auftritt, Beginn, S. 23; 7. Auftritt, Beginn, S. 26.

Hecht, Wilhelm (Karl W.), Holzschneider und Radierer, geb. in Ansbach 28. 3. 1843, † in Linz a. D. Anfang März 1920. War 1857–59 bei dem Holzschneider Döring in Nürnberg in der Lehre, arbeitete 1860–62 in J. J. Webers Artistischer Anstalt in Leipzig, ein Jahr in Berlin für illustrierte Blätter (Porträts berühmter Zeitgenossen) und 1865–68 bei Closs und Ruff in Stuttgart. Kam dann nach München, wo er einige Zeit die Akademie besuchte und eine xylographische Anstalt errichtete. Der Ruf ihrer Erzeugnisse und seiner eigenen Arbeiten verschaffte ihm 1885 eine Berufung nach Wien als Leiter des für die Herstellung der Holzschnitte zu dem Werk „Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild“ neugegründeten xylographischen Instituts der K. K. Hof- und Staatsdruckerei. 1886–98 wirkte er auch als Lehrer an der Kunstgewerbeschule. Nach seiner Versetzung in den Ruhestand lebte Hecht einige Zeit in Graz, dann in München und seit 1912 in Linz.

Sein künstlerisches Glaubensbekenntnis – Recht auf künstlerische Individualität und Treue in der Wiedergabe des Originals – hat er in dem von ihm verfassten Abschnitt der „Vervielfältigenden Künste der Gegenwart“ (Bd. 1) niedergelegt. Hecht ist einer der bedeutendsten Vertreter des deutschen Faksimileholzschnitts. Die Fähigkeit, sich der Eigenart der Vorlage anzupassen und die farbige Wirkung des Originals mit den einfachsten Mitteln wiederzugeben, hat er in zahlreichen hervorragenden Arbeiten bewiesen. Er ist ebenso klar und bestimmt in der Form wie geschickt in der Andeutung zarter Tönungen und feiner Abstufungen. (Thieme-Becker, Ausschnitt) Vgl. Hanebutt-Benz, Sp. 1060, 1202f., und den Eintrag in Wikipedia. - "Der zerbrochene Krug": 1. Auftritt, Ende, S. 9; 4. Auftritt, Beginn, S. 17.

Käseberg, Hugo, reproduzierender Holzschneider, geb. 21.11.1847 in Grimma, † 17.8. 1893 ebenda. Schüler von Flegel und Gehilfe von Ed. Kretzschmar in Leipzig, wo er sich 1871 selbständig machte und 1879 mit Kaspar Oertel die Xylographenfirma Käseberg & Oertel begründete, die den Tonholzstich in Leipzig einführte. Eigenhändige Holzschnitte Käsebergs nach Adolph Menzel: Allegorie (Titel mit dem Porträt Heinrich von Kleists) und Illustrationen zum „Zerbrochenen Krug“ (2. und 11. Auftritt); nach Moritz v. Schwind die Tafeln 4, 6 und 7 zu „Aschenbrödel“ (Faksimileschnitte nach den Thaeterschen Stichen); n. Anton v. Werner: Entführung des jungen Kaisers Heinrich IV; nach Diez: Erstürmung von Weißenburg; nach Paul Thumann: Titel und Illustrationen „Die Macht der Thränen” in „Die schönsten deutschen Volkslieder“; nach Chr. Roth: „Athlet“ (Tafel IX in „Plastisch-anatomischer Atlas für bildende Künstler“). (Thieme-Becker; Hanebutt-Benz, Sp. 1075f., 1206.) - "Der zerbrochene Krug": Allegorie, Anfang der Einleitung,  S. VII; 2. Auftritt, Anfang, S. 10; 6. Auftritt, Ende, S. 25; 10. Auftritt, Beginn, S. 50; 10. Auftritt, Ende, S. 56; 11. Auftritt, Beginn, S. 57; 12. Auftritt, Beginn, S. 67; Letzter Auftritt, Ende, S. 71.

Lütke, Albert, Holzstecher in Pankow bei Berlin in den 1860er und 1870er Jahren. (Hanebutt-Benz, Sp. 1098). - "Der zerbrochene Krug": 1. Auftritt, Beginn, S. 5; 5. Auftritt, Ende, S. 22; 7. Auftritt, Ende, S. 39; 9. Auftritt, Beginn, S. 42; 11. Auftritt, Ende, S. 66.

Obernetter, Johann Baptist, geboren 31. Mai 1840 in München, † 12. April 1887 ebenda, Chemiker, Fotochemiker und Drucker, Entwickler des Lichtdrucks. Siehe den Eintrag in Wikipedia. "Der zerbrochene Krug": 5 Vollbilder.

Vogel, Albert (Johann Philipp Albert), reproduzierender Holzschneider, * 11. 2. 1814 Berlin, † 16. 4. 1886 ebda, Schüler Friedrich Unzelmanns. Einer der tüchtigsten Vertreter des von Menzel zu neuem Leben erweckten Reproduktionsholzschnittes. Von der Baumgärtner'schen Buchhandlung nach Leipzig berufen, war er 19. Jahre für diese tätig, kehrte dann nach Berlin zurück. War zuletzt Vorsteher des Ateliers für Holzschneidekunst an der Berliner Akademie. Arbeitete hauptsächlich in der neuen, von England übernommenen Manier des Holzstiches. Schnitt u. a. die Illustrationen zu Perrault‘s „Märchenbuch“, zu der 1840 vom Wigand‘schen Verlag in Leipzig herausgegebenen Prachtausgabe des Nibelungenliedes (nach Vorlagen von J. Hübner u. E. Bendemann), zu einer von der Baumgärtner'schen Buchhandlung 1838 herausgegebenen Shakespeare-Ausgabe (zusammen mit seinem Bruder Otto, nach eigenen Vorlagen), zu Kuglers „Geschichte Friedrichs d. Gr.“ (nach Vorlagen Menzels) und zu den „Werken Friedrich d. Gr.“ (desgl.; von Vogel 46 Stöcke). (Thieme-Becker). Vgl. Hanebutt-Benz, Sp. 1166-1168. - "Der zerbrochene Krug": Vollbild, Personen, S. 3; 11. Auftritt, Ende, S. 69.

Walla (Valla), József (Josef), Xylograph, geboren um 1844 Budapest, gestorben nach 1907. Tätig in Paris, seit 1870 in Stuttgart, danach am Xylographischen Institut in München (nachweisbar 1875-1888), später in Budapest. (Thieme-Becker; Hanebutt-Benz, Sp. 1169, 1234.) - "Der zerbrochene Krug": Casse, Ende der Einleitung, S. XVI; Dritter Auftritt, Beginn, S. 15; 8. Auftritt, Anfang, S. 40; 8. Auftritt, Ende, S. 41; 9. Auftritt, Ende, S. 49; Letzter Auftritt, Beginn, S. 70.

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