Erläuterungen: ***** Das Motiv vom "bucklich Männel" als attraktiven Ehepartner findet sich auch in einem von Goethe 1771 im Elsass gesammelten Volkslied. Siehe:
***** 5. Das Bucklige Männlein |
Ei Muoter i mag Des buckelig Mändle nit, Magst mir au sage was du witt, Kei Freud hab i bei ihm nit. Jetz gang i in mei Ställe nab Und will mei Küehle melka, Jetz stoht des buckelig Mändle do Und will aheba schelta. Jetz gang i in mei Kämmerle 'nein, Will mei Bettle macha, Jetz stoht des buckelig Mändle do Und will mer eins 'na bacha. Jetz gang i in mei Küeche naus, Will mei Süpple kocha, Jetz stoht des buckelig Mändle do Und lacht aheba Schocha. Jetz gang i in mei Stüble 'nei, Will mei Süpple eßa, Jetz stoht des buckelig Mändle do Thut aheba wäscha. | Jetz gang i naus an Waßerstei Und will mei Schüßele spüele, Jetz stoht des buckelig Mändle do Und will mer drei nei triele. Jetz gang i in mei Zimmer nei, Und will mei Tisch abwäscha, Jetz stoht des buckelig Mändle do Und will aheba drescha. Jetz lang i de Kehrwisch 'rei Und will mei Zimmer fega, Jetz stoht des buckelig Mändle do Und will aheba säga. Jetz gang i in mei Wiesle naus, Will mei Wiesle heua, Jetz stoht des buckelig Mändle do, Will mer Sand drei streua. Jetz gang i in mei Garta naus, Will meine Länder schora, Jetz stoht des buckelig Mändle do, Will aheba bohra. |
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Und was i thue r ist älles nit recht, Den kann i nit begehra, Was i thue r ist älles z'schlecht, Drum laß i mir nit wehra. |
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Schwäbische Volkslieder mit ausgewählten Melodien. Aus mündlicher Ueberlieferung gesammelt von Ernst Meier. Berlin: Georg Reimer 1855, Nr. 196, S. 347–349. Aus Herrenalb [Schwarzwald, bei Karlsruhe]. Vgl. Stöber, Elsäßisches Volksbüchlein, S. 70. Wunderhorn, III. Anhang S. 34. (Digitalisierung durch Google) - aheba: anheben, anfangen.
Eine Edition finden Sie im "Historisch-kritischen Liederlexikon" des Deutschen Volksliedarchivs. URL:
http://www.liederlexikon.de/lieder/will_ich_in_mein_gaertlein_gehn/editionf
Hier wird Strophe 8, Zeile 4 gelesen "fäga" (fegen), doch heißt es Zeile 2 "fega" (fegen). Wegen Wiederholung bei abweichender Schreibung wird oben gelesen: "säga" (sägen). Die Kleinbuchstaben "f" und "s" sind in der benutzten Frakturschrift nur schwer zu unterscheiden.
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Knödel soll ich kochen; Hab' kein Salz, Hab' kein Schmalz, 's Haferl ist mir brochen. Will ich g'schwind zum Hafner laufen, Mir ein anders Haferl kaufen: - Steht ein bucklig's Männlein da, Schmeißt mich über'n Haufen. |
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Alte und neue Kinderlieder, Fabeln, Sprüche und Räthsel. Hrsg. von Georg Scherer. Leipzig: Gustav Mayer 1849, S. 114. Mit der Illustration von Moritz von Schwind. (Digitalisierung durch Google) - Nachdruck Dortmund: Harenberg 1982.
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Holzschnitt hier aus: Schwind. Des Meisters Werke in 1265 Abbildungen. Hrsg. von Otto Weigmann (Klassiker der Kunst in Gesamtausgaben; 9) Stuttgart, Leipzig: Deutsche Verlags-Anstalt 1906, S. 274.
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Solange ich klein war, sah ich beim Spazierengehen gern durch jene waagerechten Gatter, die auch dann erlaubten, vor einem Schaufenster sich aufzustellen, wenn gerade unter ihm ein Schacht sich auftat, welcher dazu diente, mit etwas Licht und Luft die Kellerluken, die in der Tiefe sich befanden, zu versorgen. Die Luken gingen kaum ins Freie, sondern eher ins Unterirdische. Daher die Neugier, mit der ich durch die Stäbe jedes Gatters, auf dem ich gerade fußte, nieder sah, um aus dem Souterrain den Anblick eines Kanarienvogels, einer Lampe oder eines Bewohners mit davonzutragen. Es war nicht immer möglich. Wenn ich aber bei Tage dem vergebens nachgetrachtet hatte, so konnte es geschehen, dass sich nachts der Spieß umkehrte und ich selbst im Traum dingfest gemacht wurde von Blicken, die aus solchen Kellerlöchern nach mir zielten. Gnomen mit spitzen Mützen warfen sie. Doch kaum war ich vor ihnen bis ins Mark erschrocken, waren sie schon wieder fort.
Nicht streng geschieden war für mich die Welt, welche bei Tage diese Fenster bevölkerte, von der, die nachts dort auf der Lauer lag, um mich in meinem Traum zu überfallen. Ich wusste darum gleich, woran ich war, als ich in meinem "Deutschen Kinderbuch" von Georg Scherer auf die Stelle stieß: "Will ich in mein Keller gehn / Will mein Weinlein zapfen; / Steht ein bucklicht Männlein da, / Tät mir ’n Krug wegschnappen." Ich kannte jene Sippe, die auf Schaden und Schabernack versessen war, und dass sie sich im Keller zu Hause fühlte, war nicht wunderlich. "Lumpengesindel" war es. Und gleich erinnerte ich mich der Nachtgesellen, die, so spät, draußen zum Hühnchen und zum Hähnchen stoßen: der Nähnadel sowie der Stecknadel, die beide rufen, "es würde gleich stichdunkel werden". Was sie sodann am Wirt, der sie des Nachts aufnahm, verübten, dünkte sie wohl nur ein Spaß. Mich aber grauste es. Von ihrem Schlage war der Bucklige. Doch kam er mir nicht näher.
Erst heute weiß ich, wie er geheißen hat. Meine Mutter verriet mir’s, ohne es zu wissen. "Ungeschickt lässt grüßen", sagte sie mir immer, wenn ich etwas zerbrochen hatte oder hingefallen war. Und nun verstehe ich, wovon sie sprach. Sie sprach vom bucklichten Männlein, welches mich angesehen hatte. Wen dieses Männlein ansieht, gibt nicht acht. Nicht auf sich selbst und auf das Männlein auch nicht. Er steht verstört vor einem Scherbenhaufen: "Will ich in mein Küchel gehn, / Will mein Süpplein kochen; / Steht ein bucklicht Männlein da, / Hat mein Töpflein brochen." Wo es erschien, da hatte ich das Nachsehn. Ein Nachsehn, dem die Dinge sich entzogen, bis aus dem Garten übers Jahr ein Gärtlein, ein Kämmerlein aus meiner Kammer und ein Bänklein aus der Bank geworden war. Sie schrumpften, und es war, als wüchse ihnen ein Buckel, der sie selber nun der Welt des Männleins für sehr lange einverleibte. Das Männlein kam mir überall zuvor. Zuvorkommend stellte sich’s in den Weg. Doch sonst tat er mir nichts, der graue Vogt, als von jedwedem Ding, an das ich kam, den Halbpart des Vergessens einzutreiben: "Will ich in mein Stüblein gehn, / Will mein Müslein essen: / Steht ein bucklicht Männlein da, / Hat’s schon halber ’gessen." So stand das Männlein oft. Allein, ich habe es nie gesehn. Es sah nur immer mich.
Und desto schärfer, je weniger ich von mir selber sah. Ich denke mir, dass jenes "ganze Leben", von dem man sich erzählt, dass es vorm Blick der Sterbenden vorbeizieht, aus solchen Bildern sich zusammensetzt, wie sie das Männlein von uns allen hat. Sie flitzen rasch vorbei wie jene Blätter der straff gebundenen Büchlein, die einmal Vorläufer unserer Kinematographen waren. Mit leisem Druck bewegte sich der Daumen an ihrer Schnittfläche entlang; dann wurden sekundenweise Bilder sichtbar, die sich voneinander fast nicht unterschieden. In ihrem flüchtigen Ablauf ließen sie den Boxer bei der Arbeit und den Schwimmer, wie er mit seinen Wellen kämpft, erkennen. Das Männlein hat die Bilder auch von mir. Es sah mich im Versteck und vor dem Zwinger des Fischotters, am Wintermorgen und vor dem Telefon im Hinterflur, am Brauhausberge mit den Faltern und auf meiner Eisbahn bei der Blechmusik, vorm Nähkasten und über meinem Schubfach, im Blumeshof und wenn ich krank zu Bett lag, in Glienicke und auf der Bahnstation. Jetzt hat es seine Arbeit hinter sich. Doch seine Stimme, welche an das Summen des Gasstrumpfs anklingt, wispert über die Jahrhundertschwelle mir die Worte nach: "Liebes Kindlein, ach, ich bitt, / Bet fürs bucklicht Männlein mit."
Aus Walter Benjamin: Berliner Kindheit um Neunzehnhundert. Die Prosastücke entstanden 1932/1933 in erster Fassung, Umarbeitungen erfolgten in den Folgejahren. Einige Stücke erschienen erstmals im Zeitungsfeuilleton ("Vossische Zeitung", "Frankfurter Zeitung", "Neue Zürcher Zeitung"), "Das bucklichte Männlein" in der "Frankfurter Zeitung" am 12.8.1933 sowie in der "Magdeburgischen Zeitung" in der Beilage "Die Frau" am 25.7.1934. Buchveröffentlichung aus unterschiedlichen Vorlagen posthum 1950. - In Rechtschreibung dem heutigen Stand angeglichen; Abschnitt eingefügt. - Zur Entstehungs- und Publikationsgeschichte vgl. Walter Benjamin: Gesammelte Schriften, hrsg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser, Bd. IV-2, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1991, S. 964 ff.
Für die Rezeptionsgeschichte des buckligen Männlein aus "Des Knaben Wunderhorn" vgl. neben Benjamin auch Thomas Mann: Buddenbrooks. Verfall einer Familie. Achter Teil, Drittes Kapitel.
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[Da von Benjamin angesprochen, wird das Märchen "Das Lumpengesindel" der Brüder Grimm hier angefügt.]
Hähnchen sprach zum Hühnchen: "Jetzt ist die Zeit, wo die Nüsse reif werden, da wollen wir zusammen auf den Berg gehen und uns einmal recht satt essen, ehe sie das Eichhorn alle wegholt." "Ja", antwortete das Hühnchen, -komm, wir wollen uns eine Lust miteinander machen."
Da gingen sie zusammen fort auf den Berg, und weil es ein heller Tag war, blieben sie bis zum Abend. Nun weiß ich nicht, ob sie sich so dick gegessen hatten oder ob sie übermütig geworden waren, kurz, sie wollten nicht zu Fuß nach Haus gehen, und das Hähnchen musste einen kleinen Wagen von Nussschalen bauen. Als er fertig war, setzte sich Hühnchen hinein und sagte zum Hähnchen: "Du kannst dich nur immer vorspannen." "Du kommst mir recht", sagte das Hähnchen, "lieber geh ich zu Fuß nach Haus, als das ich mich vorspannen lasse; nein, so haben wir nicht gewettet. Kutscher will ich wohl sein und auf dem Bock sitzen, aber selbst ziehen, das tu ich nicht."
Wie sie so stritten, schnatterte eine Ente daher: "Ihr Diebsvolk, wer hat euch geheißen, in meinen Nussberg gehen? Wartet, das soll euch schlecht bekommen!", ging also mit aufgesperrtem Schnabel auf das Hähnchen los. Aber Hähnchen war auch nicht faul und stieg der Ente tüchtig zu Leib, endlich hackte es mit seinen Sporn so gewaltig auf sie los, dass sie um Gnade bat und sich gern zur Strafe vor den Wagen spannen ließ. Hähnchen setzte sich nun auf den Bock und war Kutscher, und darauf ging es fort in einem Jagen: "Ente, lauf zu, was du kannst!"
Als sie ein Stück Weges gefahren waren, begegneten sie zwei Fußgängern, einer Stecknadel und einer Nähnadel. Sie riefen: "Halt! Halt!", und sagten, es würde gleich stichdunkel werden, da könnten sie keinen Schritt weiter, auch wäre es so schmutzig auf der Straße, ob sie nicht ein wenig einsitzen könnten: sie wären auf der Schneiderherberge vor dem Tor gewesen und hätten sich beim Bier verspätet. Hähnchen, da es magere Leute waren, die nicht viel Platz einnahmen, ließ sie beide einsteigen, doch mussten sie versprechen, ihm und seinem Hühnchen nicht auf die Füße zu treten.
Spät abends kamen sie zu einem Wirtshaus, und weil sie die Nacht nicht weiterfahren wollten, die Ente auch nicht gut zu Fuß war und von einer Seite auf die andere fiel, so kehrten sie ein. Der Wirt machte anfangs viel Einwendungen, sein Haus wäre schon voll, gedachte auch wohl, es möchte keine vornehme Herrschaft sein, endlich aber, da sie süße Reden führten, er sollte das Ei haben, welches das Hühnchen unterwegs gelegt hatte, auch die Ente behalten, die alle Tage eins legte, so sagte er endlich, sie möchten die Nacht über bleiben. Nun ließen sie wieder frisch auftragen und lebten in Saus und Braus.
Frühmorgens, als es dämmerte und noch alles schlief, weckte Hähnchen das Hühnchen, holte das Ei, pickte es auf, und sie verzehrten es zusammen; die Schalen aber warfen sie auf den Feuerherd. Dann gingen sie zu der Nähnadel, die noch schlief, packten sie beim Kopf und steckten sie in das Sesselkissen des Wirts, die Stecknadel aber in sein Handtuch, endlich flogen sie, mir nichts dir nichts, über die Heide davon. Die Ente, die gern unter freiem Himmel schlief und im Hof geblieben war, hörte sie fortschnurren, machte sich munter und fand einen Bach, auf dem sie hinab schwamm; und das ging geschwinder als vor dem Wagen.
Ein paar Stunden später machte sich erst der Wirt aus den Federn, wusch sich und wollte sich am Handtuch abtrocknen, da fuhr ihm die Stecknadel über das Gesicht und machte ihm einen roten Strich von einem Ohr zum andern; dann ging er in die Küche und wollte sich eine Pfeife anstecken; wie er aber an den Herd kam, sprangen ihm die Eierschalen in die Augen. "Heute morgen will mir alles an meinen Kopf", sagte er und ließ sich verdrießlich auf seinen Großvaterstuhl nieder; aber geschwind fuhr er wieder in die Höhe und schrie "auweh!", denn die Nähnadel hatte ihn noch schlimmer und nicht in den Kopf gestochen. Nun war er vollends böse und hatte Verdacht auf die Gäste, die so spät gestern abend gekommen waren; und wie er ging und sich nach ihnen umsah, waren sie fort. Da tat er einen Schwur, kein Lumpengesindel mehr in sein Haus zu nehmen, das viel verzehrt, nichts bezahlt und zum Dank noch obendrein Schabernack treibt.
Vgl. Brüder Grimm: Kinder- und Hausmärchen. Ausgabe letzter Hand mit den Originalanmerkungen der Brüder Grimm. Hrsg. von Heinz Rölleke. 3 Bde. (Universal-Bibliothek; 3191-3193) Stuttgart: Philipp Reclam jun. 1980. "Aus dem Paderbörnischen", Erstpublikation 1812.
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