goethe


Jutta Assel | Georg Jäger

Eduard Mörike

Die Historie von der schönen Lau
mit den Illustrationen von Moritz von Schwind

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Eingestellt: Oktober 2014
Stand: Februar 2015

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Blaubeuren um 1830
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Beschreibung des Oberamts Blaubeuren. Mit einer Karte des Oberamts und einer Ansicht von Blaubeuren. Herausgegeben, aus Auftrag der Regierung, von Ober-Steuerrath [Johann Daniel Georg] v. Memminger. Stuttgart und Tübingen, in der J. G. Cotta'schen Buchhandlung 1830 (Digitalisierung durch Google)

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Gliederung

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1. Einführung

Die Märchennovelle "Das Stuttgarter Hutzelmännlein", in die das Märchen von der schönen Lau eingefügt ist, erschien 1853 im Verlag Schweizerbart in Stuttgart in 1.500 Exemplaren. (1) Das Büchlein (Höhe 13,8, Breite 10 cm) kostete geheftet 1 Gulden und 12 Kreuzer, gebunden und mit Goldschnitt 1 Gulden 48 Kreuzer. Im Vorwort heißt es:

"Indem dies Märchen ganz den schwäbischen Charakter tragen und dieser seinen Ausdruck soviel als möglich auch in der Sprache finden sollte, kam dem Verfasser der Umstand zu gute, dass ihm von einem frühern, mehrjährigen Verkehr mit unserm Volke viele Eigentümlichkeiten derselben, einzelne Wörter und Redensarten vollkommen gegenwärtig geblieben waren. Manches floss ihm auf anderm Wege zu, vornehmlich aus einer genauern Bekanntschaft mit Joh. Chr. v. Schmids schwäbischem Wörterbuch, einer in Schwaben viel zu wenig verbreiteten, unschätzbaren Arbeit. Die Worterklärungen und was dazu gehört, im Anhang der Erzählung, sind, mit wenigen Ausnahmen, dem eben genannten Werke entnommen."


Für die schwäbischen Redensarten (2) und Mörikes Studien zur Landesgeschichte Schwabens vgl. Eduard Mörike. Werke und Briefe. Historisch-kritische Gesamtausgabe. Bd. 6, 2. Stuttgart: Klett-Cotta 2008, S. 94, 96. Bei dem Wörterbuch handelt es sich um: Johann Christoph von Schmid: Schwäbisches Wörterbuch. Stuttgart: Schweizerbart 1831. - 2. Ausg. 1844. - Mikrofiche-Ausgabe Erlangen: Fischer 2001 (Historische Dialektwörterbücher aus deutschen Sprachgebieten; 99).

Häufig glaubte man, wie auch Theodor Storm in seinem Brief vom 12. Juli 1853, dass der Hutzelmann "eine Figur des Volksglaubens" sei und Mörike das "in der Überlieferung Vorhandene zu einer Erzählung" vereinigt habe. Dagegen Mörike in seinem Antwortbrief Mitte April 1854:

"Sie setzen voraus es habe hier die schwierige Aufgabe gegolten, vorhandene Sagen künstlich zu verweben. Dem ist jedoch nicht so mit Ausnahme dessen was in den Noten ausdrücklich angeführt wird, ist Alles frei erfunden, zum wenigsten hielt ichs bis jetzt dafür. Das Volk weiß insbesondre nichts von einer Wasserfrau, denn die in den Teich geworfenen Sühnopfer waren vielmehr ordentlich Gott dargebracht. Das Kinderverschen vom Klötzlein cursirt ganz für sich, ohne irgend einen Sinn oder sagenhafte Beziehung in der Leute Mund." (3)

Von der Kritik wurde einerseits "die delikate Verbindung des Unmöglichen mit dem Natürlichen, des Unerhörten mit dem Gewöhnlichen" hervorgehoben, wodurch eine "humoristische Anmuth" erreicht werde. (4) Andererseits wurden "die romantisch-mystisch-magischen Narrheiten" (5) beklagt. Damit geriet das Märchen in die zeitgenössische Kritik an der Romantik.

Anmerkungen:
(1) Der Vertrag sieht 2.000 Exemplare pro Auflage vor, doch wurden durch "ein Versehen in der Druckerei" 500 Exemplare weniger hergestellt. Eduard Mörike. Historisch-kritische Gesamtausgabe. Bd. 6,2. Stuttgart: Klett-Cotta 2008, S. 97f., 111.
(2) Vgl. Friedrich Theodor Vischer in seinem Brief an Mörike vom 5. Juni 1853: "Das volksthümliche, alterthümelnde, Lutherisch Naive Deines Deutsch ist in der That etwas Außerordentliches; ich meine nicht, es könne auf einen größeren, realen Stoff in derselben Weise angewandt werden, aber es ist mir äußerer Ausdruck innerer Classicität, grundwesentlichen Wahrheits- u. Lebensgefühls". Mörike. Historisch-kritische Gesamtausgabe, Bd. 6,2, wie oben, S. 102.
(3) Mörike. Historisch-kritische Gesamtausgabe, Bd. 6,2, wie oben, S. 106f.
(4) Schwäbische Kronik, Nr. 121, 25. Mai 1853. Zit.n. Mörike. Historisch-kritische Gesamtausgabe, Bd. 6,2, wie oben, S. 102f., mit Bezug auf Goethes "neue Melusine". Verfasst möglicherweise von Mörike selbst. - Vgl. das Urteil von Friedrich Theodor Vischer in seinem Brief vom 5. Juni 1853: "diese gesunde Herbigkeit, die körnige deutsche Art u. Sitte, gutes, heimliches, derbes Wesen wie ein recht solider Ranken schwarz Brod mit einem stattlichen Rettig, als feste Erde gegenübergeworfen dem luftigen Wesen der reinen, traumartigen Märchenphantasie." Mörike. Historisch-kritische Gesamtausgabe, Bd. 6,2, wie oben, S. 101f.
(5) Man habe hier vor sich "einen wahren Rattenkönig von Poesie, Phantasterei, Albernheiten und Grillen. Ich hätte nicht gedacht, daß die Phantasie eines Dichters, der seinen Sinn für Klassisches deutlich bewiesen hat, so verwildern könnte." David Friedrich Strauß an Ernst Rapp am 23. Juni 1853. Mörike. Historisch-kritische Gesamtausgabe, Bd. 6,2, wie oben, S. 103. - Strauß hielt das Werk, wie er Vischer am 25. Juni 1853 mitteilt, "für ein mißlungenes Product einer verwilderten oder besser vergrillten Phantasie." Ebd. S. 104.

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Eine Zusammenarbeit mit Ludwig Richter, der die Idylle "Der alte Turmhahn" bildkünstlerisch ausgestaltet hatte (1), kam nicht zustande. Hingegen arbeitete Moritz von Schwind an einem Zyklus zur "Historie von der schönen Lau". Er sah darin "eine schöne malerische Aufgabe" (2), denn er fand "die Vermischung des feenhaften, und purzlichen ganz ausgezeichnet lustig. Da brauchte man nur so fort zu zeichnen". (3) Schwind, der im Februar 1871 verstarb, kam jedoch über das Zeichnungsstadium nicht hinaus und dachte zuletzt auch kaum noch an eine Publikation. (4) Eine Prachtausgabe der "Historie von der schönen Lau" mit den Illustrationen Schwinds erschien erst posthum 1873 - wohl auf Anregung von Ferdinand Weibert, Inhaber der Göschenschen Buchhandlung - nach Umzeichnungen von Julius Naue. Mörike drang auf möglichste Originaltreue gegenüber den Vorlagen Schwinds:

"Je treuer übrigens die Schwindische 'Handschrift' (dies war sein eigener gern gebrauchter Ausdruck) in diesen Contouren wiedergegeben ist, desto gewißer wird das ganze Werk eine höchst schätzbare Gabe mehr für den eigentlichen Kenner und Liebhaber, als für das große Publikum sein, das eben ausgeführte, möglichst geleckte Sachen will. Unter Anderem wird man die Ungleichheit der Physiognomie der Hauptperson anfechten. Ohne Zweifel würde der Meister diesen Punkt vor der Veröffentlichung berichtigt und wohl den minder idealen Typus der Wasserfrau constant auf allen Blättern eingehalten haben. Dem wahren Kunstfreund aber wird Alles lieb und interessant sein wie es steht." (5)


Die Preise von 12 Mark für die Leinenausgabe und 17 Mark für die Ausgabe mit Goldschnitt wurden bald, da sich die Publikation schlecht verkaufte, auf 3 bzw. 5 Mark herabgesetzt. (6) Die Originalzeichnungen wurden 1922 in Lichtdrucktafeln im Beck-Verlag publiziert. (7)

Die Illustrationen werden hier, wenn nicht anders angegeben, reproduziert nach: Schwind. Des Meisters Werke in 1265 Abbildungen. Hrsg. von Otto Weigmann. Stuttgart, Leipzig: Deutsche Verlags-Anstalt 1906 (Klassiker der Kunst in Gesamtausgaben; 9), S. 486-490. - Für eine neuere Ausgabe vgl. Eduard Mörike: Die Historie von der schönen Lau. Mit Illustrationen von Moritz von Schwind und einem Nachwort von Traude Dienel. Frankfurt a.M.: Insel 1974 (insel taschenbuch; 72).

Literaturhinweis:

* Ira Mazzoni: Im Druck erstarrt. Moritz von Schwinds Illustrationen zu Mörikes "Historie von der schönen Lau". In: Weltkunst, 1993, Heft 2, 15. Januar, S. 88-91.

Anmerkungen:
(1) Für Richters Illustrationen zum "alten Turmhahn" siehe die Seite:
<http://www.goethezeitportal.de/index.php?id=4191>
(2) Schwind an Mörike, 30. März 1868. Eduard Mörike. Historisch-kritische Gesamtausgabe. Bd. 6,2. Stuttgart: Klett-Cotta 2008, S. 112.
(3) Brief Schwinds an Mörike vom 27. April 1867. Mörike. Historisch-kritische Gesamtausgabe. Bd. 6,2, wie oben, S. 112.
(4) Zu den "bildkünstlerischen Zeugnissen" vgl. detailliert Mörike. Historisch-kritische Gesamtausgabe, Bd. 6,2, wie oben, S. 111-119.
(5) Brief an Naue, 18. August 1872. Mörike. Historisch-kritische Gesamtausgabe, Bd. 6,2, wie oben, S. 118. Mörike wollte zudem "so werthvolle Reliquien unseres theueren Freundes in ihrer völligen Integrität erhalten wissen" (Mörike an Naue, 22. März 1872. Ebd., S. 117). Zur Diskussion des Verfahrens, "wie die Zeichnungen auf die Kupferplatte zu übertragen seien", ohne dass die Vorlagen leiden, siehe S. 117.
(6) Mörike: Historisch-kritische Ausgabe, Bd. 6,2, wie oben, S. 118f.
(7) Moritz von Schwind. Meister der Spätromantik. Katalog. Ostfildern-Ruit: Gerd Hatje 1996, S. 20.

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2. Eduard Mörike: Historie von der schönen Lau.

Text mit Wort- und Sacherklärungen
sowie den Illustrationen von Moritz von Schwind

Der Blautopf (1) ist der große runde Kessel eines wundersamen Quells bei einer jähen Felsenwand gleich hinter dem Kloster. Gen Morgen sendet er ein Flüsschen aus, die Blau, welche der Donau zufällt. Dieser Teich ist einwärts wie ein tiefer Trichter, sein Wasser von Farbe ganz blau, sehr herrlich, mit Worten nicht wohl zu beschreiben; wenn man es aber schöpft, sieht es ganz hell in dem Gefäß.

Zu unterst auf dem Grund saß ehmals eine Wasserfrau mit langen fließenden Haaren. Ihr Leib war allenthalben wie eines schönen, natürlichen Weibs, dies eine ausgenommen, dass sie zwischen den Fingern und Zehen eine Schwimmhaut hatte, blühweiß und zärter als ein Blatt vom Mohn. Im Städtlein ist noch heutzutag ein alter Bau, vormals ein Frauenkloster, hernach zu einer großen Wirtschaft eingerichtet, und hieß darum der Nonnenhof. Dort hing vor sechzig Jahren noch ein Bildnis von dem Wasserweib, trotz Rauch und Alter noch wohl kenntlich in den Farben. Da hatte sie die Hände kreuzweis auf die Brust gelegt, ihr Angesicht sah weißlich, das Haupthaar schwarz, die Augen aber, welche sehr groß waren, blau. Beim Volk hieß sie die arge Lau (2) im Topf, auch wohl die schöne Lau. Gegen die Menschen erzeigte sie sich bald böse, bald gut. Zuzeiten, wenn sie im Unmut den Gumpen (3) übergehen ließ, kam Stadt und Kloster in Gefahr, dann brachten ihr die Bürger in einem feierlichen Aufzug oft Geschenke, sie zu begütigen, als: Gold- und Silbergeschirr, Becher, Schalen, kleine Messer (4) und andre Dinge, dawider zwar, als einen heidnischen Gebrauch und Götzendienst, die Mönche redlich eiferten, bis derselbe auch endlich ganz abgestellt worden. So feind darum die Wasserfrau dem Kloster war, geschah es doch nicht selten, wenn Pater Emeran die Orgel drüben schlug und kein Mensch in der Nähe war, dass sie am lichten Tag mit halbem Leib heraufkam und zuhorchte; dabei trug sie zuweilen einen Kranz von breiten Blättern auf dem Kopf und auch dergleichen um den Hals.

Ein frecher Hirtenjung belauschte sie einmal in dem Gebüsch und rief: »Hei, Laubfrosch! git's guat Wetter?« Geschwinder als ein Blitz und giftiger als eine Otter fuhr sie heraus, ergriff den Knaben beim Schopf und riss ihn mit hinunter in eine ihrer nassen Kammern, wo sie den ohnmächtig gewordenen jämmerlich verschmachten und verfaulen lassen wollte. Bald aber kam er wieder zu sich, fand eine Tür und kam, über Stufen und Gänge, durch viele Gemächer in einen schönen Saal. Hier war es lieblich, glusam (5) mitten im Winter. In einer Ecke brannte, indem die Lau und ihre Dienerschaft schon schlief, auf einem hohen Leuchter mit goldenen Vogelfüßen als Nachtlicht eine Ampel. Es stand viel köstlicher Hausrat herum an den Wänden, und diese waren samt dem Estrich ganz mit Teppichen staffiert, Bildweberei in allen Farben. Der Knabe hurtig nahm das Licht herunter von dem Stock, sah sich in Eile um, was er noch sonst erwischen möchte, und griff aus einem Schrank etwas heraus, das stak in einem Beutel und war mächtig schwer, deswegen er vermeinte, es sei Gold; lief dann und kam vor ein erzenes Pförtlein, das mochte in der Dicke gut zwo Fäuste sein, schob die Riegel zurück und stieg eine steinerne Treppe hinauf in unterschiedlichen Absätzen, bald links, bald wieder rechts, gewiss vierhundert Stufen, bis sie zuletzt ausgingen und er auf ungeräumte Klüfte stieß; da musste er das Licht dahinten lassen und kletterte so mit Gefahr seines Lebens noch eine Stunde lang im Finstern hin und her, dann aber brachte er den Kopf auf einmal aus der Erde. Es war tief Nacht und dicker Wald um ihn. Als er nach vielem Irregehen endlich mit der ersten Morgenhelle auf gänge Pfade (6) kam und von dem Felsen aus das Städtlein unten erblickte, verlangte ihn am Tag zu sehen, was in dem Beutel wäre; da war es weiter nichts als ein Stück Blei, ein schwerer Kegel, spannenlang, mit einem Öhr an seinem oberen Ende, weiß vor Alter. Im Zorn warf er den Plunder weg, ins Tal hinab, und sagte nachher weiter niemand von dem Raub, weil er sich dessen schämte. Doch kam von ihm die erste Kunde von der Wohnung der Wasserfrau unter die Leute.

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Entwurf Schwinds zu Mörikes "Geschichte von der schönen Lau". Bleistiftzeichnung, Höhe 38; Breite 28,5 cm. In: Schwind. Des Meisters Werke in 1265 Abbildungen. Hrsg. von Otto Weigmann. Stuttgart, Leipzig: Deutsche Verlags-Anstalt 1906 (Klassiker der Kunst in Gesamtausgaben; 9), S. 490.

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Nun ist zu wissen, dass die schöne Lau nicht hier am Ort zu Hause war; vielmehr war sie, als eine Fürstentochter, und zwar, von Mutterseiten her halbmenschlichen Geblüts, mit einem alten Donaunix am Schwarzen Meer vermählt. Ihr Mann verbannte sie, darum, dass sie nur tote Kinder hatte. Das aber kam, weil sie stets traurig war, ohn einige besondere Ursach. Die Schwiegermutter hatte ihr geweissagt, sie möge eher nicht eines lebenden Kindes genesen, als bis sie fünfmal von Herzen gelacht haben würde. Beim fünften Male müsste etwas sein, das dürfe sie nicht wissen, noch auch der alte Nix. Es wollte aber damit niemals glücken, soviel auch ihre Leute deshalb Fleiß anwendeten; endlich da mochte sie der alte König ferner nicht an seinem Hofe leiden und sandte sie an diesen Ort, unweit der obern Donau, wo seine Schwester wohnte. Die Schwiegermutter hatte ihr zum Dienst und Zeitvertreib etliche Kammerzofen und Mägde mitgegeben, so muntere und kluge Mädchen, als je auf Entenfüßen gingen (denn was von dem gemeinen Stamm der Wasserweiber ist, hat rechte Entenfüße); die zogen sie, pur für die Langeweile, sechsmal des Tages anders an - denn außerhalb dem Wasser ging sie in köstlichen Gewändern, doch barfuß -, erzählten ihr alte Geschichten und Mären, machten Musik, tanzten und scherzten vor ihr.

An jenem Saal, darin der Hirtenbub gewesen, war der Fürstin ihr Gaden oder Schlafgemach, von welchem eine Treppe in den Blautopf ging. Da lag sie manchen lieben Tag und manche Sommernacht, der Kühlung wegen. Auch hatte sie allerlei lustige Tiere, wie Vögel, Küllhasen (7) und Affen, vornehmlich aber einen possigen Zwerg, durch welchen vormals einem Ohm der Fürstin war von ebensolcher Traurigkeit geholfen worden. Sie spielte alle Abend Damenziehen, Schachzagel (8) oder Schaf und Wolf mit ihm; sooft er einen ungeschickten Zug getan, schnitt er die raresten Gesichter, keines dem andern gleich, nein, immer eines ärger als das andere, dass auch der weise Salomo das Lachen nicht gehalten hätte, geschweige denn die Kammerjungfern oder du selber, liebe Leserin, wärst du dabei gewesen; nur bei der schönen Lau schlug eben gar nichts an, kaum dass sie ein paarmal den Mund verzog.

Es kamen alle Jahr um Winters Anfang Boten von daheim, die klopften an der Halle mit dem Hammer, da frugen dann die Jungfern:

»Wer pochet, dass einem das Herz erschrickt?«

Und jene sprachen:

»Der König schickt!
Gebt uns wahrhaftigen Bescheid,
Was Guts ihr habt geschafft die Zeit.«

Und sie sagten:

»Wir haben die ferndigen (9) Lieder gesungen,
Und haben die ferndigen Tänze gesprungen,
Gewonnen war es um ein Haar! -
Kommt, liebe Herren, übers Jahr.«

So zogen sie wieder nach Haus. Die Frau war aber vor der Botschaft und darnach stets noch einmal so traurig.

Im Nonnenhof war eine dicke Wirtin, Frau Betha Seysolffin, ein frohes Biederweib, christlich, leutselig, gütig; zumal an armen reisenden Gesellen bewies sie sich als eine rechte Fremdenmutter. Die Wirtschaft führte zumeist ihr ältster Sohn, Stephan, welcher verehlicht war; ein anderer, Xaver, war Klosterkoch, zwo Töchter noch bei ihr. Sie hatte einen kleinen Küchengarten vor der Stadt, dem Topf zunächst. Als sie im Frühjahr einst am ersten warmen Tag dort war und ihre Beete richtete, den Kappis (10), den Salat zu säen, Bohnen und Zwiebel zu stecken, besah sie sich von ungefähr auch einmal recht mit Wohlgefallen wieder das schöne blaue Wasser überm Zaun und mit Verdruss daneben einen alten garstigen Schutthügel, der schändete den ganzen Platz; nahm also, wie sie fertig war mit ihrer Arbeit und das Gartentürlein hinter sich zugemacht hatte, die Hacke noch einmal, riss flink das gröbste Unkraut aus, erlas etliche Kürbiskern' aus ihrem Samenkorb und steckte hin und wieder einen in den Haufen. (Der Abt im Kloster, der die Wirtin, als eine saubere Frau, gern sah - man hätte sie nicht über vierzig Jahr geschätzt, er selber aber war gleich ihr ein starkbeleibter Herr - stand just am Fenster oben und grüßte herüber, indem er mit dem Finger drohte, als halte sie zu seiner Widersacherin.) Die Wüstung grünte nun den ganzen Sommer, dass es eine Freude war, und hingen dann im Herbst die großen gelben Kürbis an dem Abhang nieder bis zu dem Teich.

Jetzt ging einsmals der Wirtin Tochter, Jutta, in den Keller, woselbst sich noch von alten Zeiten her ein offener Brunnen mit einem steinernen Kasten befand. Beim Schein des Lichts erblickte sie darinne mit Entsetzen die schöne Lau, schwebend bis an die Brust im Wasser; sprang voller Angst davon und sagts der Mutter an; die fürchtete sich nicht und stieg allein hinunter, litt auch nicht, dass ihr der Sohn zum Schutz nachfolge, weil das Weib nackt war.

Der wunderliche Gast sprach diesen Gruß:

»Die Wasserfrau ist kommen
Gekrochen und geschwommen,
Durch Gänge steinig, wüst und kraus,
Zur Wirtin in das Nonnenhaus.
Sie hat sich meinethalb gebückt,
Mein' Topf geschmückt
Mit Früchten und mit Ranken,
Das muss ich billig danken.«

Sie hatte einen Kreisel aus wasserhellem Stein in ihrer Hand, den gab sie der Wirtin und sagte: »nehmt dieses Spielzeug, liebe Frau, zu meinem Angedenken! Ihr werdet guten Nutzen davon haben. Denn jüngsthin habe ich gehört, wie Ihr in Eurem Garten der Nachbarin klagtet, Euch sei schon auf die Kirchweih angst, wo immer die Bürger und Bauern zu Unfrieden kämen und Mord und Totschlag zu befahren sei. Derhalben, liebe Frau, wenn wieder die trunkenen Gäste bei Tanz und Zeche Streit beginnen, nehmt den Topf zur Hand und dreht ihn vor der Tür des Saals im Öhrn (11), da wird man hören durch das ganze Haus ein mächtiges und herzliches Getöne, dass alle gleich die Fäuste werden sinken lassen und guter Dinge sein, denn jählings ist ein jeder nüchtern und gescheit geworden. Ist es an dem, so werfet Eure Schürze auf den Topf, da wickelt er sich alsbald ein und lieget stille.«

So redete das Wasserweib. Frau Betha nahm vergnügt das Kleinod samt der goldenen Schnur und dem Halter von Ebenholz, rief ihre Tochter Jutta her (sie stand nur hinter dem Krautfass an der Staffel), wies ihr die Gabe, dankte und lud die Frau, so oft die Zeit ihr lang wär', freundlich ein zu fernerem Besuch, darauf das Weib hinabfuhr und verschwand.

Es dauerte nicht lang, so wurde offenbar, welch einen Schatz die Wirtschaft an dem Topf gewann. Denn nicht allein, dass er durch seine Kraft und hohe Tugend die übeln Händel allezeit in einer Kürze dämpfte, er brachte auch dem Gasthaus bald erstaunliche Einkehr zuwege. Wer in die Gegend kam, gemein oder vornehm, ging ihm zulieb; insonderheit kam bald der Graf von Helfenstein, von Wirtemberg und etliche große Prälaten; ja ein berühmter Herzog aus Lombardenland, so bei dem Herzoge von Bayern gastweis war und dieses Wegs nach Frankreich reiste, bot vieles Geld für dieses Stück, wenn es die Wirtin lassen wollte. Gewiss auch war in keinem andern Land seinesgleichen zu sehn und zu hören. Erst, wenn er anhub sich zu drehen, ging es doucement her, dann klang es stärker und stärker, so hoch wie tief, und immer herrlicher, als wie der Schall von vielen Pfeifen, der quoll und stieg durch alle Stockwerke bis unter das Dach und bis in den Keller, dergestalt, dass alle Wände, Dielen, Säulen und Geländer schienen davon erfüllt zu sein, zu tönen und zu schwellen. Wenn nun das Tuch auf ihn geworfen wurde und er ohnmächtig lag, so hörte gleichwohl die Musik sobald nicht auf, es zog vielmehr der ausgeladene Schwall mit starkem Klingen, Dröhnen, Summen noch wohl bei einer Viertelstunde hin und her.

Bei uns im Schwabenland heißt so ein Topf aus Holz gemeinhin eine Habergeis (12); Frau Betha ihrer ward nach seinem vornehmsten Geschäfte insgemein genannt der Bauren-Schwaiger (13). Er war gemacht aus einem großen Amethyst, des Name besagen will: wider den Trunk, weil er den schweren Dunst des Weins geschwinde aus dem Kopf vertreibt, ja schon von Anbeginn dawider tut, dass einen guten Zecher das Selige (14) berühre; darum ihn auch weltlich und geistliche Herren sonst häufig pflegten am Finger zu tragen.

Die Wasserfrau kam jeden Mond einmal, auch je und je unverhofft zwischen der Zeit, weshalb die Wirtin eine Schelle richten ließ, oben im Haus, mit einem Draht, der lief herunter an der Wand beim Brunnen, damit sie sich gleichbald anzeigen konnte. Also ward sie je mehr und mehr zutunlich zu den wackeren Frauen, der Mutter samt den Töchtern und der Söhnerin (15).

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Oben: Studie Schwinds zu Mörikes "Historie von der schönen Lau". Wohl 1868. Federzeichnung, Höhe 20; Breite 32,5 cm. Friedrich Haack: M. von Schwind. 6. Aufl. Bielefeld u. Leipzig: Velhagen & Klasing 1924 (Künstler-Monographien; 31), Abb. 164 auf S. 146.

Mitte links: Kompositionen von Schwind zu Mörike "Die Historie von der schönen Lau". 1868. Nach den Umriss-Radierungen von Julius Naue, 1873. Nr. 1. Radierung, Höhe 23,5; Breite 17,5 cm. | Mitte rechts:Die schöne Lau. Getönte Bleistift- und Federzeichnung von Moritz von Schwind (1868). In: Mörike. Bilder aus seinem Leben. Hrsg. mit Förderung durch das Kultusministerium Stuttgart von der Landesanstalt für Erziehung und Unterricht, Stuttgart. 3. Aufl. Stuttgart 1960, Abb. 43.

Unten: Kompositionen von Schwind zu Mörike "Die Historie von der schönen Lau". 1868.  Nach den Umriss-Radierungen von Julius Naue. Nr. 2. Radierung, Höhe 23,4; Breite 19,2 cm.

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Einsmals an einem Nachmittag im Sommer, da eben keine Gäste kamen, der Sohn mit den Knechten und Mägden hinaus in das Heu gefahren war, Frau Betha mit der Ältesten im Keller Wein abließ, die Lau im Brunnen aber Kurzweil halben dem Geschäft zusah und nun die Frauen noch ein wenig mit ihr plauderten, da fing die Wirtin an: »Mögt Ihr Euch denn einmal in meinem Haus und Hof umsehn? Die Jutta könnte Euch etwas von Kleidern geben; ihr seid von einer Größe.« »Ja«, sagte sie, »ich wollte lange gern die Wohnungen der Menschen sehn, was alles sie darin gewerben, spinnen, weben, ingleichen auch wie Eure Töchter Hochzeit machen und ihre kleinen Kinder in der Wiege schwenken.«

Da lief die Tochter fröhlich mit Eile hinauf, ein rein Leintuch zu holen, bracht es und half ihr aus dem Kasten steigen, das tat sie sonder Mühe und lachenden Mundes. Flugs schlug ihr die Dirne das Tuch um den Leib und führte sie bei ihrer Hand eine schmale Stiege hinauf in der hintersten Ecke des Kellers, da man durch eine Falltür oben gleich in der Töchter Kammer gelangt. Allda ließ sie sich trocken machen und saß auf einem Stuhl, indem ihr Jutta die Füße abrieb. Wie diese ihr nun an die Sohle kam, fuhr sie zurück und kicherte. »War's nicht gelacht?« frug sie selber sogleich. - »Was anders?« rief das Mädchen und jauchzte: »gebenedeiet sei uns der Tag! ein erstes Mal wär' es geglückt!« - Die Wirtin hörte in der Küche das Gelächter und die Freude, kam herein, begierig, wie es zugegangen, doch als sie die Ursach vernommen - du armer Tropf, so dachte sie, das wird ja schwerlich gelten! - ließ sich indes nichts merken, und Jutte nahm etliche Stücke heraus aus dem Schrank, das Beste was sie hatte, die Hausfreundin zu kleiden. »Seht«, sagte die Mutter: »sie will wohl aus Euch eine Susann Preisnestel (16) machen.« - »Nein«, rief die Lau in ihrer Fröhlichkeit, »lass mich die Aschengruttel (17) sein in deinem Märchen!« - nahm einen schlechten runden Faltenrock und eine Jacke; nicht Schuh noch Strümpfe litt sie an den Füßen, auch hingen ihre Haare ungezöpft bis auf die Knöchel nieder.

So strich sie durch das Haus von unten bis zu oberst, durch Küche, Stuben und Gemächer. Sie verwunderte sich des gemeinsten Gerätes und seines Gebrauchs, besah den rein gefegten Schenktisch und darüber in langen Reihen die zinnenen Kannen und Gläser, alle gleich gestürzt, mit hängendem Deckel, dazu den kupfernen Schwenkkessel samt der Bürste und mitten in der Stube an der Decke der Weber Zunftgeschmuck, mit Seidenband und Silberdraht geziert, in dem Kästlein von Glas. Von ungefähr erblickte sie ihr eigen Bild im Spiegel, davor blieb sie betroffen und erstockt eine ganze Weile stehn, und als darauf die Söhnerin sie mit in ihre Stube nahm und ihr ein neues Spiegelein, drei Groschen wert, verehrte, da meinte sie Wunders zu haben; denn unter allen ihren Schätzen fand sich dergleichen nicht.

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Kompositionen von Schwind zu Mörike "Die Historie von der schönen Lau". 1868.  Nach den Umriss-Radierungen von Julius Naue. Nr. 3. Radierung, Höhe 13,3; Breite 19,2 cm.

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Bevor sie aber Abschied nahm, geschah's, dass sie hinter den Vorhang des Alkoven schaute, woselbst der jungen Frau und ihres Mannes Bett sowie der Kinder Schlafstätte war. Saß da ein Enkelein mit rotgeschlafenen Bakken, hemdig und einen Apfel in der Hand, auf einem runden Stühlchen von guter Ulmer Hafnerarbeit, grünverglaset. Das wollte dem Gast außer Maßen gefallen; sie nannte es einen viel zierlichen Sitz, rümpft' aber die Nase mit eins, und da die drei Frauen sich wandten zu lachen, vermerkte sie etwas und fing auch hell zu lachen an, und hielt sich die ehrliche Wirtin den Bauch, indem sie sprach: »diesmal fürwahr hat es gegolten, und Gott schenk' Euch so einen frischen Buben, als mein Hans da ist!« Die Nacht darauf, dass sich dies zugetragen, legte sich die schöne Lau getrost und wohlgemut, wie schon in langen Jahren nicht, im Grund des Blautopfs nieder, schlief gleich ein, und bald erschien ihr ein närrischer Traum.

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Links: Kompositionen von Schwind zu Mörike "Die Historie von der schönen Lau". 1868. Nach den Umriss-Radierungen von Julius Naue. Nr. 4. Radierung, Höhe 23,5, Breite 15,2 cm. | Rechts: Moritz von Schwind: Die schöne Lau. Das dritte Lachen. Aquarell, Höhe 43; Breite 30 cm. Um 1868. In: Schwind. Des Meisters Werke in 1265 Abbildungen. Hrsg. von Otto Weigmann. Stuttgart, Leipzig: Deutsche Verlags-Anstalt 1906 (Klassiker der Kunst in Gesamtausgaben; 9), S. 490.

Diese Illustration wurde von Mörike besonders geschätzt: "hochkomisch, und von großer Kraft der Zeichnung! Der mehrfältige Widerhall des Kusses ist höchst ingeniös und ergötzlich dadurch angedeutet, daß die Umarmung sich in einer Art von Luftspiegelung einige Maler, näher und entfernter, wiederholt." (Eduard Mörike. Historisch-kritische Gesamtausgabe. Bd. 6,2. Stuttgart: Klett-Cotta 2008, S. 114.) Ferdinand Weibert, der Verleger der illustrierten Ausgabe, wusste freilich zu berichten, dass dieses Bild Anstoß erregte und vom Kauf abhielt: "Wegen dem hübschesten Bilde - wie die dicke Wirthin und der Abt am Brunnen sich ergözen - haben es [das Märchen] hiesige Bücherliebhaber zurückgewiesen, mit dem Bemerken: sie könnten es ihren Frauen und Töchtern nicht als Geschenk geben!" (Mörike. Historisch-kritische Gesamtausgabe. Bd. 6,2, wie oben, S. 119.)

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Ihr deuchte da, es war die Stunde nach Mittag, wo in der heißen Jahreszeit die Leute auf der Wiese sind und mähen, die Mönche aber sich in ihren kühlen Zellen eine Ruhe machen, daher es noch einmal so still im ganzen Kloster und rings um seine Mauern war. Es stund jedoch nicht lange an, so kam der Abt herausspaziert und sah, ob nicht etwa die Wirtin in ihrem Garten sei. Dieselbe aber saß als eine dicke Wasserfrau mit langen Haaren in dem Topf, allwo der Abt sie bald entdeckte, sie begrüßte und ihr einen Kuss gab, so mächtig, das es vom Klostertürmlein widerschallte, und schallte es der Turm ans Refektorium, das sagt' es der Kirche, und die sagt's dem Pferdstall, und der sagt's dem Fischhaus, und das sagt's dem Waschhaus, und im Waschhaus da riefen's die Zuber und Kübel sich zu. Der Abt erschrak bei solchem Lärm; ihm war, wie er sich nach der Wirtin bückte, sein Käpplein in Blautopf gefallen; sie gab es ihm geschwind, und er watschelte hurtig davon.

Da aber kam aus dem Kloster heraus unser Herrgott, zu sehn, was es gebe. Er hatte einen langen weißen Bart und einen roten Rock (18) und frug den Abt, der ihm just in die Hände lief:

»Herr Abt, wie ward Euer Käpplein so nass?«

Und er antwortete:

»Es ist mir ein Wildschwein am Wald verkommen (19),
Vor dem hab ich Reißaus genommen;
Ich rannte sehr und schwitzet' bass (20),
Davon ward wohl mein Käpplein so nass.«

Da hob unser Herrgott, unwirs (21) ob der Lüge, seinen Finger auf, winkt' ihm und ging voran, dem Kloster zu. Der Abt sah hehlings noch einmal nach der Frau Wirtin um, und diese rief: »ach liebe Zeit, ach liebe Zeit, jetzt kommt der gut' alt' Herr in die Prison!«

Dies war der schönen Lau ihr Traum. Sie wusste aber beim Erwachen und spürte noch an ihrem Herzen, dass sie im Schlaf sehr lachte, und ihr hüpfte noch wachend die Brust, dass der Blautopf oben Ringlein schlug.

Weil es den Tag zuvor sehr schwül gewesen, so blitzte es jetzt in der Nacht. Der Schein erhellte den Blautopf ganz, auch spürte sie am Boden, es donnere weitweg. So blieb sie mit zufriedenem Gemüte noch eine Weile ruhen, den Kopf in ihre Hand gestützt, und sah dem Wetterblicken (22) zu. Nun stieg sie auf, zu wissen, ob der Morgen etwa komme: allein es war noch nicht viel über Mitternacht. Der Mond stand glatt und schön über dem Rusenschloss (23);, die Lüfte aber waren voll vom Würzgeruch der Mahden (24).

Sie meinte fast der Geduld nicht zu haben bis an die Stunde, wo sie im Nonnenhof ihr neues Glück verkünden durfte, ja wenig fehlte, dass sie sich jetzt nicht mitten in der Nacht aufmachte und vor Juttas Türe kam (wie sie nur einmal, Trostes wegen, in übergroßem Jammer nach der jüngsten Botschaft aus der Heimat tat), doch sie besann sich anders und ging zu besserer Zeit. Frau Betha hörte ihren Traum gutmütig an, obwohl er ihr ein wenig ehrenrührig schien. Bedenklich aber sagte sie darauf: »Baut nicht auf solches Lachen, das im Schlaf geschah; der Teufel ist ein Schelm. Wenn Ihr auf solches Trugwerk hin die Boten mit fröhlicher Zeitung entließet, und die Zukunft strafte Euch Lügen, es könnte schlimm daheim ergehen.«

Auf diese ihre Rede hing die schöne Lau den Mund gar sehr und sagte: »Frau Ahne hat der Traum verdrossen!« - nahm kleinlauten Abschied und tauchte hinunter.

Es war nah bei Mittag, da rief der Pater Schaffner im Kloster dem Bruder Kellermeister eifrig zu: »Ich merk, es ist im Gumpen letz! die Arge will Euch Eure Fass wohl wieder einmal schwimmen lehren. Tut Eure Läden eilig zu, vermachet alles wohl!«

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Kompositionen von Schwind zu Mörike "Die Historie von der schönen Lau". 1868. Nach den Umriss-Radierungen von Julius Naue. Nr. 5. Radierung, Höhe 23,3; Breite 15 cm.

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Nun aber war des Klosters Koch, der Wirtin Sohn, ein lustiger Vogel, welchen die Lau wohl leiden mochte. Der dachte ihren Jäst (25) mit einem Schnak zu stillen, lief nach seiner Kammer, zog die Bettscher aus der Lagerstätte und steckte sie am Blautopf in den Rasen, wo das Wasser auszutreten pflegte, und stellte sich mit Worten und Gebärden als einen viel getreuen Diener an, der mächtig Ängsten hätte, dass seine Herrschaft aus dem Bette fallen und etwa Schaden nehmen möchte. Da sie nun sah das Holz so recht mit Fleiß gesteckt und über das Bächlein gespreizt, kam ihr in ihrem Zorn das Lachen an, und lachte überlaut, dass man's im Klostergarten hörte.

Als sie hierauf am Abend zu den Frauen kam, da wussten sie es schon vom Koch und wünschten ihr mit tausend Freuden Glück. Die Wirtin sagte: »der Xaver ist von Kindesbeinen an gewesen als wie der Zuberklaus (26), jetzt kommt uns seine Torheit zustatten.«

Nun aber ging ein Monat nach dem andern herum, es wollte sich zum dritten- oder viertenmal nicht wieder schicken. Martini war vorbei, noch wenig Wochen, und die Boten standen wieder vor der Tür. Da ward es den guten Wirtsleuten selbst bang, ob heuer noch etwas zustande käme, und alle hatten nur zu trösten an der Frau. Je größer deren Angst, je weniger zu hoffen war.

Damit sie ihres Kummers eher vergesse, lud ihr Frau Betha einen Lichtkarz (27) ein, da nach dem Abendessen ein halb Dutzend muntre Dirnen und Weiber aus der Verwandtschaft in einer abgelegenen Stube mit ihren Kunkeln sich zusammensetzten. Die Lau kam alle Abend in Juttas altem Rock und Kittel und ließ sich weit vom warmen Ofen weg in einem Winkel auf den Boden nieder und hörte dem Geplauder zu, von Anfang als ein stummer Gast, ward aber bald zutraulich und bekannt mit allen. Um ihretwillen machte sich Frau Betha eines Abends ein Geschäft daraus, ihr Weihnachtskripplein für die Enkel beizeiten herzurichten: die Mutter Gottes mit dem Kind im Stall, bei ihr die drei Weisen aus Morgenland, ein jeder mit seinem Kamel, darauf er hergereist kam und seine Gaben brachte. Dies alles aufzuputzen und zu leimen, was etwa lotter war, saß die Frau Wirtin an dem Tisch beim Licht mit ihrer Brille, und die Wasserfrau mit höchlichem Ergötzen sah ihr zu, sowie sie auch gerne vernahm, was ihr von heiligen Geschichten dabei gesagt wurde, doch nicht, dass sie dieselben dem rechten Verstand nach begriff oder zu Herzen nahm, wie gern auch die Wirtin es wollte.

Frau Betha wußte ferner viel lehrreicher Fabeln und Denkreime, auch spitzweise (28) Fragen und Rätsel; die gab sie nacheinander im Vorsitz auf zu raten, weil sonderlich die Wasserfrau von Hause aus dergleichen liebte und immer gar zufrieden schien, wenn sie es ein und das andre Mal traf (das doch nicht allzu leicht geriet). Eines derselben gefiel ihr vor allen, und was damit gemeint ist, nannte sie ohne Besinnen:

»Ich bin eine dürre Königin,
Trag auf dem Haupt eine zierliche Kron,
Und die mir dienen mit treuem Sinn,
Die haben großen Lohn.

Meine Frauen müssen mich schön frisiern,
Erzählen mir Märlein ohne Zahl,
Sie lassen kein einzig Haar an mir,
Doch siehst du mich nimmer kahl.

Spazieren fahr' ich frank und frei,
Das geht so rasch, das geht so fein;
Nur komm ich nicht vom Platz dabei -
Sagt, Leute, was mag das sein?«


Darüber sagte sie, in etwas fröhlicher denn zuvor: »wenn ich dereinstens wiederum in meiner Heimat bin und kommt einmal ein schwäbisch Landeskind, zumal aus eurer Stadt, auf einer Kriegsfahrt oder sonst durch der Walachen Land an unsere Gestade, so ruf er mich bei Namen, dort wo der Strom am breitesten hineingeht in das Meer - versteht, zehn Meilen einwärts in dieselbe See erstreckt sich meines Mannes Reich, soweit das süße Wasser sie mit seiner Farbe färbt -, dann will ich kommen und dem Fremdling zu Rat und Hilfe sein. Damit er aber sicher sei, ob ich es bin und keine andere, die ihm schaden möchte, so stelle er dies Rätsel. Niemand aus unserem Geschlechte außer mir wird ihm darauf antworten, denn dortzuland sind solche Rocken und Rädlein, als ihr in Schwaben führet, nicht gesehn, noch kennen sie dort eure Sprache; darum mag dies die Losung sein.«

Auf einen andern Abend ward erzählt vom Doktor Veylland und Herrn Konrad von Wirtemberg, dem alten Gaugrafen, in dessen Tagen es noch keine Stadt mit Namen Stuttgart gab. Im Wiesental, da wo dieselbe sich nachmals erhob, stund nur ein stattliches Schloss mit Wassergraben und Zugbrücke, von Bruno, dem Domherrn von Speyer, Konradens Oheim, erbaut, und nicht gar weit davon ein hohes steinernes Haus (29). In diesem wohnte dazumal mit einem alten Diener ganz allein ein sonderlicher Mann, der war in natürlicher Kunst (30) und in Arzneikunst sehr gelehrt und war mit seinem Herrn, dem Grafen, weit in der Welt herumgereist, in heißen Ländern, von wo er manche Seltsamkeit an Tieren, vielerlei Gewächsen und Meerwundern heraus nach Schwaben brachte. In seinem Öhrn sah man der fremden Sachen eine Menge an den Wänden herum hangen: die Haut vom Krokodil sowie Schlangen und fliegende Fische. Fast alle Wochen kam der Graf einmal zu ihm; mit andern Leuten pflegte er wenig Gemeinschaft. Man wollte behaupten, er mache Gold; gewiss ist, dass er sich unsichtbar machen konnte, denn er verwahrte unter seinem Kram einen Krackenfischzahn. Einst nämlich, als er auf dem Roten Meer das Bleilot niederließ, die Tiefe zu erforschen, da zockt' es unterm Wasser, dass das Tau fast riss. Es hatte sich ein Krackenfisch im Lot verbissen und zween seiner Zähne darinne gelassen. Sie sind wie eine Schustersahle spitz und glänzend schwarz. Der eine stak sehr fest, der andre ließ sich leicht ausziehen. Da nun ein solcher Zahn, etwa in Silber oder Gold gefasst und bei sich getragen, besagte hohe Kraft besitzt und zu den größten Gütern, so man für Geld nicht haben kann, gehört, der Doktor aber dafür hielt, es zieme eine solche Gabe niemand besser als einem weisen und wohldenkenden Gebieter, damit er überall, in seinen eigenen und Feindes Landen, sein Ohr und Auge habe, so gab er einen dieser Zähne seinem Grafen, wie er ja ohnedem wohl schuldig war, mit Anzeigung von dessen Heimlichkeit, davon der Herr nichts wusste. Von diesem Tage an erzeigte sich der Graf dem Doktor gnädiger als allen seinen Edelleuten oder Räten und hielt ihn recht als seinen lieben Freund, ließ ihm auch gern und sonder Neid das Lot zu eigen, darin der andere Zahn war, doch unter dem Gelöbnis, sich dessen ohne Not nicht zu bedienen, auch ihn vor seinem Ableben entweder ihm, dem Grafen, erblich zu verlassen oder auf alle Weise der Welt zu entrücken, wo nicht ihn gänzlich zu vertilgen. Der edle Graf starb aber um zwei Jahre eher als der Veylland und hinterließ das Kleinod seinen Söhnen nicht; man glaubt, aus Gottesfurcht und weisem Vorbedacht hab ers mit in das Grab genommen oder sonst verborgen.

Wie nun der Doktor auch am Sterben lag, so rief er seinen treuen Diener Curt zu ihm ans Bett und sagte: »Lieber Curt! es gehet diese Nacht mit mir zum Ende, so will ich dir noch deine guten Dienste danken und etliche Dinge befehlen. Dort bei den Büchern, in dem Fach zu unterst in der Ecke, ist ein Beutel mit hundert Imperialen (31), den nimm sogleich zu dir; du wirst auf Lebenszeit genug daran haben. Zum zweiten, das alte geschriebene Buch in dem Kästlein daselbst verbrenne jetzt vor meinen Augen hier in dem Kamin. Zum dritten findest du ein Bleilot dort, das nimm, verbirgs bei deinen Sachen, und wenn du aus dem Hause gehst in deine Heimat, gen Blaubeuren, lass es dein erstes sein, dass du es in den Blautopf wirfst.« - Hiermit war er darauf bedacht, dass es, ohne Gottes besondere Fügung, in ewigen Zeiten nicht in irgendeines Menschen Hände komme. Denn damals hatte sich die Lau noch nie im Blautopf blicken lassen und hielt man selben überdies für unergründlich.

Nachdem der gute Diener jenes alles teils auf der Stelle ausgerichtet, teils versprochen, nahm er mit Tränen Abschied von dem Doktor, welcher vor Tage noch das Zeitliche gesegnete.

Als nachher die Gerichtspersonen kamen und allen kleinen Quark aussuchten und versiegelten, da hatte Curt das Bleilot zwar beiseit' gebracht, den Beutel aber nicht versteckt, denn er war keiner von den Schlauesten, und musste ihn da lassen, bekam auch nach der Hand nicht einen Deut davon zu sehen, kaum dass die schnöden Erben ihm den Jahreslohn auszahlten.

Solch Unglück ahnete ihm schon, als er, auch ohnedem betrübt genug, mit seinem Bündelein in seiner Vaterstadt einzog. Jetzt dachte er an nichts, als seines Herrn Befehl vor allen Dingen zu vollziehen. Weil er seit dreiundzwanzig Jahren nimmer hier gewesen, so kannte er die Leute nicht, die ihm begegneten, und da er gleichwohl einem und dem andern Guten Abend sagte, gab's ihm niemand zurück. Die Leute schauten sich, wenn er vorüber kam, verwundert an den Häusern um, wer doch da gegrüßt haben möchte, denn keines erblickte den Mann. Dies kam, weil ihm das Lot in seinem Bündel auf der linken Seite hing; ein andermal, wenn er es rechts trug, war er von allen gesehen. Er aber sprach für sich: »zu meiner Zeit sind dia Blaubeuramar so grob ett gwä!«

Beim Blautopf fand er seinen Vetter, den Seilermeister, mit dem Jungen am Geschäft, indem er längs der Klostermauer, rückwärts gehend, Werg aus seiner Schürze spann, und weiterhin der Knabe trillte die Schnur mit dem Rad. - »Gott grüaß di, Vetter Seiler!« rief der Curt und klopft' ihm auf die Achsel. Der Meister guckt sich um, verblasst, lässt seine Arbeit aus den Händen fallen und lauft, was seine Beine mögen. Da lachte der andere, sprechend: »der denkt, mei' Seel, i wandele geistweis! D'Leut hant g'wiß mi für tot hia g'sait, anstatt mein' Herra - ei so schlag!«

Jetzt ging er zu dem Teich, knüpfte sein Bündel auf und zog das Lot heraus. Da fiel ihm ein, er möchte doch auch wissen, ob es wahr sei, dass der Gumpen keinen Grund noch Boden habe (er wär' gern auch ein wenig so ein Spiriguckes (32) wie sein Herr gewesen), und weil er vorhin in des Seilers Korb drei große starke Schnürbund liegen sehn, so holte er dieselben her und band das Lot an einen. Es lagen just auch frischgebohrte Teichel, eine schwere Menge, in dem Wasser bis gegen die Mitte des Topfs, darauf er sicher Posto fassen konnte, und also ließ er das Gewicht hinunter, indem er immer ein Stück Schnur an seinem ausgestreckten Arm abmaß, drei solcher Längen auf ein Klafter rechnete und laut abzählte: »- 1 Klafter, 2 Klafter, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10«; - da ging der erste Schnurbund aus, und musste er den zweiten an das Ende knüpfen, maß wiederum ab und zählte bis auf 20. Da war der andere Schnurbund gar. - » Heidaguguk, ist dees a Tiafe!« - und band den dritten an das Trumm, fuhr fort zu zählen: »21, 22, 23, 24 - Höll-Element, mei' Arm will nimme! - 25, 26, 27, 28, 29, 30 - Jetzet guat Nacht, 's Meß hot a End! Do heißt's halt, mir nex, dir nex, rappede kappede, so isch usganga (33)!« - Er schlang die Schnur, bevor er aufzog, um das Holz, darauf er stand, ein wenig zu verschnaufen und urteilte bei sich: der Topf ist währle bodalaus (34)«.

Indem der Spinnerinnen eine diesen Schwank erzählte, tat die Wirtin einen schlauen Blick zur Lau hinüber, welche lächelte; denn freilich wusste sie am besten, wie es gegangen war mit dieser Messerei; doch sagten beide nichts. Dem Leser aber soll es unverhalten sein.

Die schöne Lau lag jenen Nachmittag auf dem Sand in der Tiefe, und, ihr zu Füßen, eine Kammerjungfer, Aleila, welche ihr die liebste war, beschnitte ihr in guter Ruh die Zehen mit einer goldenen Schere, wie von Zeit zu Zeit geschah.

Da kam hernieder langsam aus der klaren Höh ein schwarzes Ding, als wie ein Kegel, des sich im Anfang beide sehr verwunderten, bis sie erkannten, was es sei. Wie nun das Lot mit neunzig Schuh den Boden rührte, da ergriff die scherzlustige Zofe die Schnur und zog gemach mit beiden Händen, zog und zog, so lang, bis sie nicht mehr nachgab. Alsdann nahm sie geschwind die Schere und schnitt das Lot hinweg, erlangte einen dicken Zwiebel, der war erst gestern in den Topf gefallen und war fast eines Kinderkopfes groß, und band ihn bei dem grünen Schossen an die Schnur, damit der Mann erstaune, ein ander Lot zu finden, als das er ausgeworfen. Derweile aber hatte die schöne Lau den Krackenzahn im Blei mit Freuden und Verwunderung entdeckt. Sie wusste seine Kraft gar wohl, und ob zwar für sich selbst die Wasserweiber oder -männer nicht viel darnach fragen, so gönnen sie den Menschen doch so großen Vorteil nicht, zumalen sie das Meer und was sich darin findet von Anbeginn als ihren Pacht und Lehn ansprechen. Deswegen denn die schöne Lau mit dieser ungefähren Beute sich dereinst, wenn sie zu Hause käme, beim alten Nix, ihrem Gemahl, Lobs zu erholen hoffte. Doch wollte sie den Mann, der oben stund, nicht lassen ohn Entgelt, nahm also alles, was sie eben auf dem Leibe hatte, nämlich die schöne Perlenschnur an ihrem Hals, schlang selbe um den großen Zwiebel, gerade als er sich nunmehr erhob; und daran war es nicht genug; sie hing zuteuerst (35) auch die goldne Schere noch daran und sah mit hellem Aug', wie das Gewicht hinaufgezogen ward.

Die Zofe aber, neubegierig, wie sich das Menschenkind dabei gebärde, stieg hinter dem Lot in die Höhe und weidete sich zwo Spannen unterhalb dem Spiegel an des Alten Schreck und Verwirrung. Zuletzt fuhr sie mit ihren beiden aufgehobenen Händen ein maler viere in der Luft herum, die weißen Finger als zu einem Fächer oder Wadel ausgespreizt. Es waren aber schon zuvor auf des Vetters Seilers Geschrei viel Leute aus der Stadt herausgekommen, die standen um den Blautopf her und sahn dem Abenteuer zu, bis wo die grausigen Hände erschienen; da stob mit eins die Menge voneinander und entrann.

Der alte Diener aber war von Stund an irrsch (36) im Kopf ganzer sieben Tage und sah der Lau ihre Geschenke gar nicht an, sondern saß da, bei seinem Vetter, hinterm Ofen, und sprach des Tags wohl hundertmal ein altes Sprüchlein vor sich hin, von welchem kein Gelehrter in ganz Schwabenland Bescheid zu geben weiß, woher und wie oder wann erstmals es unter die Leute gekommen. Denn von ihm selber hatte es der Alte nicht; man gab es lang vor seiner Zeit, gleichwie noch heutigestags, den Kindern scherzweis auf, wer es ganz hurtig nacheinander ohne Tadel am öftesten hersagen könne; und lauten die Worte:

»'s leit a Klötzle Blei glei bei Blaubeura,
glei bei Blaubeura leit a Klötzle Blei.« (37)

Die Wirtin nannt' es einen rechten Leirenbendel (38) und sagte: »wer hätte auch den mindesten Verstand da drin gesucht, geschweige eine Prophezeiung!«

Als endlich der Curt mit dem siebenten Morgen seine gute Besinnung wiederfand und ihm der Vetter die kostbaren Sachen darwies, so sein rechtliches Eigentum wären, da schmunzelte er doch, tat sie in sicheren Verschluss und ging mit des Seilers zu Rat, was damit anzufangen. Sie achteten alle fürs beste, er reise mit Perlen und Schere gen Stuttgart, wo eben Graf Ludwig sein Hoflager hatte, und biete sie demselben an zum Kauf. So tat er denn. Der hohe Herr war auch nicht karg und gleich bereit, so seltene Zier nach Schätzung eines Meisters für seine Frau zu nehmen; nur als er von dem Alten hörte, wie er dazu gekommen, fuhr er auf und drehte sich voll Ärger auf dem Absatz um, dass ihm der Wunderzahn verloren sei. Ihm war vordem etwas von diesem kund geworden, und hatte er dem Doktor, bald nach Herrn Konrads Hintritt, seines Vaters, sehr darum angelegen, doch umsonst.

Dies war nun die Geschichte, davon die Spinnerinnen damals plauderten. Doch ihnen war das Beste daran unbekannt. Eine Gevatterin, so auch mit ihrer Kunkel unter ihnen saß, hätte noch gar gern gehört, ob wohl die schöne Lau das Lot noch habe, auch was sie damit tue? und red'te so von weitem darauf hin; da gab Frau Betha ihr nach ihrer Weise einen kleinen Stich und sprach zur Lau: »Ja, gelt, jetzt macht Ihr Euch bisweilen unsichtbar, geht herum in den Häusern und guckt den Weibern in die Töpfe, was sie zu Mittag kochen? Eine schöne Sach' um so ein Lot für fürwitzige Leute!«

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Kompositionen von Schwind zu Mörike "Die Historie von der schönen Lau". 1868. Nach den Umriss-Radierungen von Julius Naue. Nr. 6. Radierung, Höhe 17,5; Breite 20,4 cm.

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Inmittelst fing der Dirnen eine an, halblaut das närrische Gesetzlein (39) herzusagen; die anderen taten ein gleiches, und jede wollt' es besser können, und keine brachte es zum dritten oder viertenmal glatt aus dem Mund; dadurch gab es viel Lachen. Zum letzten musste es die schöne Lau probieren, die Jutta ließ ihr keine Ruh. Sie wurde rot bis an die Schläfe, doch hub sie an und klüglicherweise gar langsam:

»'s leit a Klötzle Blei glei bei Blaubeura.«

Die Wirtin rief ihr zu, so sei es keine Kunst, es müsse gehen wie geschmiert! Da nahm sie ihren Anlauf frisch hinweg, kam auch alsbald vom Pfad ins Stoppelfeld, fuhr buntüberecks (40) und wusste nimmer gicks noch gacks. Jetzt, wie man denken kann, gab es Gelächter einer Stuben voll, das hättet ihr nur hören sollen, und mitten drauß hervor der schönen Lau ihr Lachen, so hell wie ihre Zähne, die man alle sah!

Doch unversehens, mitten in dieser Fröhlichkeit und Lust, begab sich ein mächtiges Schrecken. Der Sohn vom Haus, der Wirt, - er kam gerade mit dem Wagen heim von Sonderbuch und fand die Knechte verschlafen im Stall - sprang hastig die Stiege herauf, rief seine Mutter vor die Tür und sagte, dass es alle hören konnten: »um Gottes willen, schickt die Lau nach Haus! Hört Ihr denn nicht im Städtlein den Lärm? der Blautopf leert sich aus, die untere Gasse ist schon unter Wasser, und in dem Berg am Gumpen ist ein Getös und Rollen, als wenn die Sündflut käme!« - Indem er noch so sprach, tat innen die Lau einen Schrei: »das ist der König, mein Gemahl, und ich bin nicht daheim!« - Hiermit fiel sie von ihrem Stuhl sinnlos zu Boden, dass die Stube zitterte. Der Sohn war wieder fort, die Spinnerinnen liefen jammernd heim mit ihren Rocken, die andern aber wussten nicht, was anzufangen mit der armen Lau, welche wie tot da lag. Eins machte ihr die Kleider auf, ein anderes strich sie an, das dritte riss die Fenster auf, und schafften doch alle miteinander nichts.

Da streckte unverhofft der lustige Koch den Kopf zur Tür herein, sprechend: »ich hab mirs eingebildet, sie wär bei euch! Doch, wie ich sehe, geht's nicht allzu lustig her. Macht, dass die Ente in das Wasser kommt, so wird sie schwimmen!« - »Du hast gut reden!« sprach die Mutter mit Beben: »hat man sie auch im Keller und im Brunnen, kann sie sich unten nicht den Hals abstürzen im Geklüft?« - »Was Keller!« rief der Sohn: »was Brunnen! das geht ja freilich nicht - lasst mich nur machen! Not kennt kein Gebot - ich trag' sie in den Blautopf.« - Und damit nahm er, als ein starker Kerl, die Wasserfrau auf seine Arme. »Komm, Jutta - nicht heulen! - geh mir voran mit der Latern.« - »In Gottes Namen!« sagte die Wirtin: »doch nehmt den Weg hinten herum durch die Gärten: es wimmelt die Straße mit Leuten und Lichtern.« - »Der Fisch hat sein Gewicht!« sprach er im Gehn, schritt aber festen Tritts die Stiege hinunter, dann über den Hof und links und rechts, zwischen Hecken und Zäunen hindurch.

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Kompositionen von Schwind zu Mörike "Die Historie von der schönen Lau". 1868. Nach den Umriss-Radierungen von Julius Naue. Nr. 7. Radierung, Höhe 23,3; Breite 17,6 cm.

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Am Gumpen fanden sie das Wasser schon merklich gefallen, gewahrten aber nicht, wie die drei Zofen, mit den Köpfen dicht unter dem Spiegel, ängstig hin und wieder schwammen, nach ihrer Frau ausschauend. Das Mädchen stellte die Laterne hin, der Koch entledigte sich seiner Last, indem er sie behutsam mit dem Rücken an den Kürbishügel lehnte. Da raunte ihm sein eigener Schalk ins Ohr: wenn du sie küsstest, freute dichs dein Leben lang, und könntest du doch sagen, du habest einmal eine Wasserfrau geküsst. - Und eh er es recht dachte, wars geschehen. Da löschte ein Schuck Wasser aus dem Topf das Licht urplötzlich aus, dass es stichdunkel war umher, und tat es dann nicht anders, als wenn ein ganz halb Dutzend nasser Hände auf ein paar kernige Backen fiel, und wo es sonst hintraf. Die Schwester rief: »was gibt es denn?« - »Maulschellen, heißt mans hier herum!« sprach er- »ich hätte nicht gedacht, dass sie am Schwarzen Meer sottige (41) Ding auch kenneten!« - Dies sagend, stahl er sich eilends davon, doch weil es vom Widerhall drüben am Kloster auf Mauern und Dächern und Wänden mit Maulschellen brazzelte, stund er bestürzt, wusste nicht recht wohin, denn er glaubte den Feind vorn und hinten. (Solch einer Witzung (42) brauchte es, damit er sich des Mundes nicht berühme, den er geküsst, unwissend zwar, dass er es müssen tun, der schönen Lau zum Heil.)

Inwährend diesem argen Lärm nun hörte man die Fürstin in ihrem Ohnmachtschlaf so innig lachen, wie sie damals im Traum getan, wo sie den Abt sah springen. Der Koch vernahm es noch von weitem, und ob er's schon auf sich zog und mit Grund, erkannte er doch gern daraus, dass es nicht weiter Not mehr habe mit der Frau.

Bald kam mit guter Zeitung auch die Jutte heim, die Kleider, den Rock und das Leibchen im Arm, welche die schöne Lau zum letztenmal heut am Leibe gehabt. Von ihren Kammerjungfern, die sie am Topf in Beisein des Mädchens empfingen, erfuhr sie gleich zu ihrem großen Trost, der König sei noch nicht gekommen, doch mög es nicht mehr lang anstehn, die große Wasserstraße sei schon angefüllt. Dies nämlich war ein breiter hoher Felsenweg, tief unterhalb den menschlichen Wohnstätten, schön grad und eben mitten durch den Berg gezogen, zwo Meilen lang von da bis an die Donau, wo des alten Nixen Schwester ihren Fürstensitz hatte. Derselben waren viele Flüsse, Bäche, Quellen dieses Gaus dienstbar; die schwellten, wenn das Aufgebot an sie erging, besagte Straße in gar kurzer Zeit so hoch mit ihren Wassern, dass sie mit allem Seegetier, Meerrossen und Wagen füglich befahren werden mochte, welches bei festlicher Gelegenheit zuweilen als ein schönes Schaugepräng mit vielen Fackeln und Musik von Hörnern und Pauken geschah.

Die Zofen eilten jetzo sehr mit ihrer Herrin in das Putzgemach, um sie zu salben, zöpfen und köstlich anzuziehen; das sie auch gern zuließ und selbst mithalf, denn sie in ihrem Innern fühlte, es sei nun jegliches erfüllt zusamt dem Fünften, so der alte Nix und sie nicht wissen durfte. Drei Stunden wohl nachdem der Wächter Mitternacht gerufen, es schlief im Nonnenhof schon alles, erscholl die Kellerglocke zweimal mächtig, zum Zeichen, dass es Eile habe, und hurtig waren auch die Frauen und die Töchter auf dem Platz.

Die Lau begrüßte sie wie sonst vom Brunnen aus, nur war ihr Gesicht von der Freude verschönt, und ihre Augen glänzten, wie man es nie an ihr gesehen. Sie sprach: »Wißt, daß mein Ehgemahl um Mitternacht gekommen ist. Die Schwieger hat es ihm voraus verkündigt ohnelängst, dass sich in dieser Nacht mein gutes Glück vollenden soll, darauf er ohne Säumen auszog, mit Geleit der Fürsten, seinem Ohm und meinem Bruder Synd und vielen Herren. Am Morgen reisen wir. Der König ist mir hold und gnädig, als hieß ich von heute an erst sein Gespons. Sie werden gleich vom Mahl aufstehn, sobald sie den Umtrunk gehalten. Ich schlich auf meine Kammer und hierher, noch meine Gastfreunde zu grüßen und zu herzen. Ich sage Dank, Frau Ahne, liebe Jutta, Euch Söhnerin und Jüngste dir. Grüßet die nicht zugegen sind, die Männer und die Mägde. In jedem dritten Jahr wird euch Botschaft von mir; auch mag es wohl geschehn, dass ich noch bälder komme selber, da bring ich mit auf diesen meinen Armen ein lebend Merkmal, dass die Lau bei euch gelacht. Das wollen euch die Meinen allezeit gedenken, wie ich selbst. Für jetzo, wisset, liebe Wirtin, ist mein Sinn, einen Segen zu stiften in dieses Haus für viele seiner Gäste. Oft habe ich vernommen, wie Ihr den armen wandernden Gesellen Guts getan mit freier Zehrung und Herberg. Damit Ihr solchen fortan mögt noch eine weitere Handreichung tun, so werdet ihr zu diesem Ende finden beim Brunnen hier einen steinernen Krug voll guter Silbergroschen: davon teilt ihnen nach Gutdünken mit, und will ich das Gefäß, bevor der letzte Pfennig ausgegeben, wieder füllen. Zudem will ich noch stiften auf alle hundert Jahr fünf Glückstage (denn dies ist meine holde Zahl), mit unterschiedlichen Geschenken, also, dass, wer von reisenden Gesellen der erste über Eure Schwelle tritt am Tag, der mir das erste Lachen brachte, der soll empfangen, aus Eurer oder Eurer Kinder Hand, von fünferlei Stücken das Haupt. Ein jeder, so den Preis gewinnt, gelobe, nicht Ort noch Zeit dieser Bescherung zu verraten. Ihr findet aber solche Gaben jedesmal hier nächst dem Brunnen. Die Stiftung, wisset, mache ich für alle Zeit, solang ein Glied von Eurem Stammen auf der Wirtschaft ist.«

Nach diesen Worten redete sie noch manches leise mit der Wirtin und sagte zuletzt: »vergesset nicht das Lot! der kleine Schuster soll es nimmermehr bekommen.« Da nahm sie nochmals Abschied und küsste ein jedes. Die beiden Frauen und die Mädchen weinten sehr. Sie steckte Jutten einen Fingerreif mit grünem Schmelzwerk an und sprach dabei: »Ade, Jutta! Wir haben zusammen besondere Holdschaft (43) gehabt, die müsse fernerhin bestehen!« - Nun tauchte sie hinunter, winkte und verschwand.

In einer Nische hinter dem Brunnen fand sich richtig der Krug samt den verheißnen Angebinden. Es war in der Mauer ein Loch mit eisernem Türlein versehen, von dem man nie gewusst, wohin es führe; das stand jetzt aufgeschlagen und war daraus ersichtlich, dass die Sachen durch dienstbare Hand auf diesem Weg seien hergebracht worden, deshalb auch alles wohl trocken verblieb. Es lag dabei: ein Würfelbecher aus Drachenhaut, mit goldenen Buckeln beschlagen, ein Dolch mit kostbar eingelegtem Griff, ein elfenbeinen Weberschifflein, ein schönes Tuch von fremder Weberei und mehr dergleichen. Aparte aber lag ein Kochlöffel aus Rosenholz mit langem Stiel, von oben herab fein gemalt und vergoldet, den war die Wirtin angewiesen, dem lustigen Koch zum Andenken zu geben. Auch keins der andern war vergessen.

Frau Betha hielt bis an ihr Lebensende die Ordnung der guten Lau heilig, und ihre Nachkommen nicht minder. Dass jene sich nachmals mit ihrem Kind im Nonnenhof zum Besuch eingefunden, davon zwar steht nichts in dem alten Buch, das diese Geschichten berichtet, doch mag ich es wohl glauben.

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Eduard Mörike: Anmerkungen

(1) Der Blautopf. Die dunkle, vollkommen blaue Farbe der Quelle, ihre verborgene Tiefe und die wilde Natur der ganzen Umgebung verleihen ihr ein feierliches, geheimnisvolles Ansehn. Kein Wunder, wenn sie in alten Zeiten als heilig betrachtet wurde, und wenn das Volk noch jetzt mit abenteuerlichen Vorstellungen davon sich trägt. - Der Durchmesser des Beckens ist in der einen Richtung vom Wehr an 125', in der anderen 130', der Umfang also 408 Fuß. Der Prälat Weißensee nahm im Jahre 1718 eine Untersuchung vor und fand die Tiefe zu 63 ½ Fuß, gegen welchen Erfund, besonders von seiten des Volks, das sich die Unergründlichkeit nicht nehmen lassen wollte, mancherlei Einwendungen gemacht wurden. Das Ergebnis einer spätern Untersuchung, im Sommer 1829, war aber auch nur 71' am Punkt der größten Tiefe. Dieselbe befindet sich ziemlich in der Mitte des Topfs; nach den Seiten nimmt sie überall ab, so dass sich daraus wirklich eine trichterförmige Gestalt des Beckens ergibt. Die Untersuchung widerlegte auch die Meinung, dass Bäume und Baumstämme auf dem Grund versenkt liegen, denn das Senkblei fand nirgends den mindesten Widerstand. Mit Verwunderung vernahmen einzelne die Messung und fragten, ob denn das Senkblei unten nicht geschmolzen sei? denn eine alte Sage sprach von glühender Hitze in den untersten Schichten. - Die schöne Bläue des übrigens krystallhellen Wassers verstärkt sich mit zunehmender Tiefe; nur an dem Rande, wo die Vegetation einwirkt, fällt sie ins Grüne. Bis jetzt ist dieses Blau noch nicht genügend erklärt. Weder in der Umgebung noch in der Farbe des Grunds kann die Ursache liegen, weil das Wasser sein bläuliches Ansehen bis zum Ausfluss in die Donau behält. Ebensowenig hat eine chemische Untersuchung durch Prof. Schübler einen Gehalt an Metallen oder andern Stoffen, wodurch die Erscheinung veranlasst werden könnte, gezeigt; das Wasser stellte sich nur reiner als die meisten Trinkwasser dar. - Sein Spiegel ist gewöhnlich ganz ruhig, so dass man kein Hervorquellen bemerkt; dennoch ist der Abfluss so stark, dass er nicht nur mittelst des an der Quelle angebrachten Brunnenhauses die ganze Stadt und das Kloster mit Wasser versieht, sondern auch ein ebenfalls daran stehendes Hammerwerk und unmittelbar darauf vier Mühlen treibt. Bei anhaltendem Regen und Tauwetter trübt sich die Quelle, wird auffallend stärker und so unruhig, dass sie beträchtliche Wellen aufwirft und Überschwemmungen verursacht. Im Jahre 1641 soll die Gefahr so groß gewesen sein, dass ein Bettag gehalten, eine Prozession zum Blautopf veranstaltet und zu Versöhnung der erzürnten Gottheit (allerdings keiner Nymphe) zwei vergoldete Becher hineingeworfen wurden, worauf das Toben nachgelassen habe. Unstreitig steht der Blautopf durch unterirdische Klüfte in Verbindung mit der Albfläche und insbesondere mit den darauf befindlichen Erdtrichtern. - Einige hundert Schritte von dem Topf ist ein zweiter ähnlicher Quell, der Gieselbach, an welchem einst die alte Niklaus-Kapelle und ein Nonnenkloster stand. (Nach Memmingers Beschr. d. Ob.-Amts Blaubeuren.) [Beschreibung des Oberamts Blaubeuren. Mit einer Karte des Oberamts und einer Ansicht von Blaubeuren. Herausgegeben, aus Auftrag der Regierung, von Ober-Steuerrath [Johann Daniel Georg] v. Memminger. Stuttgart und Tübingen: J. G. Cotta'sche Buchhandlung 1830, S. 28-31. Digitalisierung durch Google]

(2) Lau, von La, Wasser, welches in lo, lau, b'lau überging, daher nach Schmid der Name des Flüsschens Blau (und Blautopf) abzuleiten wäre.

(3) Gumpen (der), gewöhnlich nur eine vertiefte Stelle auf dem Grunde des Wassers, hier das Ganze einer größeren Wassersammlung mit bedeutender kesselartiger Vertiefung. Wer etwa, wie einige ohne Not wollen, das Wort Topf im Sinn von Kreisel nimmt und es damit erklärt, dass das Wasser, besonders bei starkem Regen- und Tauwetter, wo es sich in der Mitte pyramidalisch erhebt, eine kreisende Bewegung macht, der wird unsern Ausdruck doppelt gerechtfertigt finden, da gumpen, gampen entschieden so viel ist als: hüpfen, tanzen, mutwillig hinausschlagen.

(4) kleine Messer. Es war eine alte Sitte, die noch nicht ganz abgekommen ist, sich zum Zeichen der Freundschaft mit Messern zu beschenken; vorzüglich herrschte sie in den Klöstern. Der Mystiker Meister Heinrich von Nördlingen, Taulers und Susos Freund, schickte den Klosterfrauen zu Medingen öfters Messer zum Geschenke. Daher vielleicht die Redensart: Messerlein geben, d.h. nachgeben, Abbitte tun.

(5) glusam, mäßig erwärmt (auch in moralischer Bedeutung: stillen Charakters).

(6) gänge Pfade, begangene.

(7) Küllhasen, Kaninchen.

(8) Schachzagel (das), Schachspiel.

(9) fernd, voriges Jahr.

(10) Kappis, Kohl.

(11) Öhrn, Hausflur.

(12) Habergeis, von heben, wegen der hüpfenden, hoppelnden Bewegung des Kreises.

(13) Bauren-Schwaiger, von geschweigen, stillen. Die alten Griechen und Römer hatten magische Kreisel, Rollen und Räder meist aus Erz, deren sich Frauen und Mädchen zum Liebeszauber bedienten, indem sie dieselben unter seltsamen Bannsprüchen herumdrehten. So in der zweiten Idylle des Theokrit. Nach einem Epigramm der griechischen Anthologie hatten vornehme Thessalierinnen dergleichen aus Edelstein und Gold, mit Fäden purpurner Wolle umwickelt, welcher besonders eine geheime Kraft inwohnen sollte. Natürlich hat man sich diese Kreisel weit kleiner, überhaupt von andrer Form als den unsern zu denken. In jenem Epigramm wird der Venus ein solches Weihgeschenk gebracht:

Nikos Kreisel, mit dem sie den Mann fern über das Meer zieht
   Oder dem stillen Gemach sittige Mädchen entlockt,
Lieget, ein hell Amethystengerät und mit Golde verzieret,
   Kypris, ein lieber Besitz, deinem Altare geweiht,
Mitten von Wolle des purpurnen Lamms umwunden. Larissas
   Zauberin bracht' ihn dir, Göttin, ein gastlich Geschenk.

(s. Friedrich Christian Wilhelm Jacobs: Leben und Kunst der Alten. Gotha 1824.)

Während der Stoff, woraus das Instrument der Larisserin bestand, zum Zweck selbst nichts beitrug, wird er in unsrem Fall Hauptsache, und die von den Alten dem Amethyst zugeschriebene Wirkung, derenwegen man sonst den Stein in Schmuckform bei sich trug, ist hier an den tönenden Kreisel geknüpft.

(14) Das Selige, Selig, berauscht, ist nicht gleichbedeutend mit glückselig, obwohl darauf hinspielend, sondern gleichen Stamms mit Sal, Rausch, niedersächsisch; soûl, betrunken, französisch. - »Als verfälschten die Bürger den Landwein auf eine so unleidentliche Weise, dass mehrere Leute das Selige berührt hätte.« Gemeiners Regensb. Chron. zum Jahr 1474.

(15) Söhnerin, Schwiegertochter.

(16) Susanne Preisnestel, scherzhafte Bezeichnung aufgeputzter Mädchen. Preis heißt der Saum am Hemd; prisen, einfassen; mit einer Kette, gewöhnlich von Silber, einschnüren, um den bei der vormaligen oberschwäbischen Frauentracht üblichen Brustvorstecker zu befestigen; der hiezu gebrauchte seidene oder wollene Bändel hieß Preisnestel.

(17) Aschengruttel (Aschenbrödel), sonst im Schwäbischen auch Aschengrittel und Äschengrusel genannt.

(18) einen roten Rock. Ein alter Reim, welchen die Wärterinnen hersagen, wenn sie die Kinder auf den Knieen reiten lassen, enthält schon diese Vorstellung:

Hotta, Hotta, Rössle,
Z'Stuagart steht a Schlössle,
Z'Stuagart steht a Gartahaus,
Guckat drei schöne Jungfra raus:
Die ein' spinnt Seide,
die ander' spinnt Weide,
Die dritt' die spinnt an rota Rock
Für unsern liaba Herragott.

(Ernst Heinrich Meier: Deutsche Kinder-Reime und Kinder-Spiele aus Schwaben. Tübingen 1851, S. 5.)

(19) verkommen, begegnen.

(20) bass, sehr, gut, besser.

(21) unwirs, unwirsch, ungehalten

(22) Wetterblicken; der Blick, Durnblick, Wetterblick, Blitz.

(23) Rusenschloss oder Hohen-Gerhausen, vormals eine gewaltige Bergfeste, jetzt äußerst malerische Ruine über dem Dorfe Gerhausen gelegen, in der Nähe vom Ruck, einer minder bedeutenden Burg.

(24) Mahd (das), 1. die zu mähende Wiese, 2. das Gemähte.

(25) Jäst, Jast, Gärung, aufbrausender Zorn

(26) Zuberklausl, ein Mensch, der seltsame Einfälle hat; vielleicht, sagt Schmid, eine scherzhafte Verstümmelung des Wortes superklug, zugleich anspielend auf den Klaus Narr. Letzterer ist ohne Zweifel in dem Wort enthalten, im übrigen hat diese Erklärung etwas zu Modernes. Ein humoristischer Etymolog nimmt die erste Worthälfte bar und will, ich weiß nicht, wo, gefunden haben, dass sich Klaus Narr eines solchen Geräts bei einem Ulmer Schifferstechen als Fahrzeugs, in Ermangelung eines ordentlichen Nachens, bedient habe.

(27) Lichtkarz, Karz; entweder von garten, müßig sein, umherschwärmen, z'Garten gehen, Besuch machen oder wahrscheinlicher von Kerze: Versammlung von Spinnerinnen, auch Vorsitz genannt.

(28) spitzweise, spitzfindig; »mit spitzwysen Worten« (Ulmer Urk).

(29) ein steinernes Haus. Es ist das der Stiftskirche westlich gegenüberstehende, jetzt Architekt Mäntlersche Haus gemeint, das gegenwärtig noch »zum Schlösslein« heißt. Es soll den Herrn von Kaltenthal gehört haben; Memminger, in seiner Beschreibung der Stadt, macht es aber sehr wahrscheinlich, dass das Gebäude von Anfang gräflich wirtembergisches Besitztum, und zwar einer der Sitze oder eine der Burgen gewesen sei, die nächst dem Stutengarten die Entstehung von Stuttgart veranlasst haben mögen.

(30) in natürlicher Kunst. Natürlich, naturkundig. »Von den sachen des siechtumbs nach gemainen löffen der natur schreiben die natürlichen maister«: Steinhöwel (Ulmer Arzt). Natürliche Meister sind aber nicht bloß Ärzte, sondern auch Philosophen. In dem »Buch der sterbenden Menschheit« heißt es: »Ein mächtiger wolgelerter man in philosophia das ist in natürlicher kunst«.

(31) Imperial, war ehmals eine Goldmünze; der Name ist nur noch in Russland üblich.

(32) Spiriguckes, ein wunderwitziger, neugieriger, auf Kuriositäten erpichter Mensch von sonderbarem Wesen.

(33) mir nex - - usganga, sagt man am Schlusse der Erzählung einer Sache, die auf nichts hinausläuft.

(34) bodalaus, bodenlos.

(35) zuteuerst, sogar.

(36) irrsch, nicht recht bei sich.

(37) s'leit a Klötzle, es liegt usw. Diese Zellen finden sich ebenso in E. Meiers »Kinderreimen«.

(38) Leirenbendel, langweiliges Einerlei; zunächst der schwäbische Volksname für einen Vogel, Wendehals.

(39) Gesetzlein, Sprüchlein, Strophe eines Lieds.

(40) buntüberecks, verkehrt, durcheinander.

(41) sottige, söttige, sotte, solche.

(42) Witzung, Witzigung, Warnung.

(43) Holdschaft, Liebschaft, zärtliche Freundschaft.

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Der Text ist mehrfach online zugänglich, u.a.
* Projekt Gutenberg.DE
http://gutenberg.spiegel.de/
* Zeno.org, URL:
http://www.zeno.org/Literatur
* Wikisource, URL:
http://de.wikisource.org/wiki/Historie_von_der_schönen_Lau

Maßgeblich ist der kritisch edierte Text:
Eduard Mörike. Werke und Briefe. Historisch-kritische Gesamtausgabe.
Bd. 6,1. Stuttgart: Klett-Cotta 2005, S. 130-152.

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3. Aus dem Briefwechsel zwischen Schwind und Mörike
sowie zwischen Mörike und Naue

Die Ausschnitte aus dem Briefwechsel zwischen Mörike und Schwind sind folgender Ausgabe entnommen: Briefwechsel zwischen Eduard Mörike und Moriz v. Schwind. Hrsg. von Hanns Wolfgang Rath. 2. Aufl. Stuttgart: Julius Hoffmann [1920].

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Schwind an Mörike. M., 27. April 1867. Briefwechsel zwischen Eduard Mörike und Moriz v. Schwind, S. 70.

Sie werden sich was Schönes von mir denken, daß Sie mir die schönen Bücher schenken ("Vier Erzählungen" und "Hutzelmännchen"), und ich schreibe nichts. [...]
     Es sei Ihnen also angezeigt, daß ich beide Bände mit dem größten Vergnügen gelesen habe. Ich und meine Frau. Wenn Sie zu etwas Illustrationen wollen, da brauchte man keine Seite zu überschlagen, und Sie sollten auch gar nicht lange warten. [...] In dem "Hutzelmännchen" ist die Vermischung des Feenhaften und Purzlichen (1) ganz ausgezeichnet lustig. Da brauchte man nur so fort zu zeichnen.


Erläuterungen:
(1) burzlich, purzlich: wunderlich

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Schwind an Mörike. München, d. 30. März 1868. Briefwechsel zwischen Eduard Mörike und Moriz v. Schwind, S. 105.

Wissen Sie, was eine schöne malerische Aufgabe ist? Die "Fee Lau". Daß dieser ernsthafte Charakter fünf mal lachen muß, das ist etwas Darstellbares. Dreimal lacht sie schon. Nur mit dem "Klötzle Blei" schauts bedenklich aus.

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Schwind an Mörike. Nieder Pöcking bei Starnberg, d. 22. Mai 1868. Briefwechsel zwischen Eduard Mörike und Moriz v. Schwind, S. 110f.

So weit wär' ich mit den 8 Compositionen zu "Fee Lau" fertig. Jetzt möchte ich natürlich wissen, ob Ihnen die Sachen gefallen. Habe also eine Zeichnung gepaust und erlaube mir, sie Ihnen zuzuschicken. Fällt Ihr Urteil günstig aus, so müßte man Cotta unterrichten, daß nicht nur 12, sondern viel mehr Blätter garantiert sind. (Am besten wohl durch Hartmann.) Ist er noch gesonnen, ein Mörike-Album zu unternehmen, so mag er es sagen. Beliebt er eine illustrierte Ausgabe des "Hutzelmännchens", wäre der fortlaufende Teil der Erzählung in Holzschnitten zu illustrieren, wovon auch schon ein Teil da ist, die Geschichte mit dem "magern Pferd" zu ergänzen, "Lucie Gelmeroth" in Stand zu setzen und dgl. mehr, was eine illustrierte Ausgabe der Erzählung gäbe, was auch nicht zu verachten ist und eine Albumsammlung nicht ausschließt.

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Mörike an Schwind, Lorch d. 26. Mai 1868. Briefwechsel zwischen Eduard Mörike und Moriz v. Schwind, S. 112f.

Daß Sie, wie mir bereits Ihr angenehmes Schreiben vom 12ten dieses Mon. verkündigte, ganz ernstlich mit meiner Wasserfrau und obendrein mit jener Episode aus der Lucie Gelmerod [sic!] beschäftigt sind, hat mich außerordentlich überrascht und erfreut! Nun liegt von den acht Compositionen zu dem Märchen auch schon eine Durchzeichnung vor mir, die allerdings voraus bezeugt, was man demnächst am Ganzen haben wird, wofern nur einer Sinn und Augen für so etwas besitzt.
     Das Bild ist eben so schön, als es scharfsinnig ausgedacht ist. Unter dem Letzteren verstehe ich, wie Sie es angegriffen haben, daß eine anschauliche Handlung in diese Situation gebracht wurde, indem die ganze Gesellschaft erwartungsvoll an den Fingern nachzählt, wie oft der Lau das Ding gelingt. Jede tut es ihrem Charakter gemäß mit verschiedenem Ausdruck: auch bei der einen Dirne rechts, die vom Gesicht nur wenig zeigt, stelle ich mir die Miene vor.
     Das eigentliche Lachen der Hauptperson sollte und konnte hier füglich nicht dargestellt werden, aber es ist vor der Tür, der Beschauer sieht es schon kommen, es ist so gut wie da.
     Sodann, wie treffend ist die Nixe durch etwas ganz Spezifisches in der Gesichts- und Kopfbildung (die etwas niedre Stirn als Sitz des Geistigen, das große Aug u.a.) bezeichnet! - ein fremdartig anziehendes Geschöpf als Gast unter den ordentlichen Menschenkindern. Die Jutta haben wir (ich nämlich und meine Schwester, die eben mit unsrer Kleinsten bei mir ist) sogleich in dem lebhaften Mädchen links von der ruhig dasitzenden Hausmutter erkannt. Man kann sie nicht genug ansehn. Von allem Uebrigen, was sich bei Ihnen von selbst versteht - der schönen Gruppierung, den prächtigen Gliedern, Nacken, Haar, dem Faltenwurf etc. sage ich nichts. [...]
     Was wird nun aber Cotta zu Ihrem Vorschlag sagen? Wenn er nicht seinen Vorteil dabei zu finden glaubt, so wird die erste Einwendung vermutlich sein, daß leider weder das Märchen noch die "Vier Erzählungen" in seinem Verlage erschienen sind. Indes, versuchen wir's! Ich schreibe morgenden Tags an Dr. Hartmann. Die Zeichnung schicke ich nach reifer Ueberlegung nicht mit, sondern gebe mein Urteil einfach unter gehörigen Prädikaten. Ist er, wie ich hoffe, vorweg nicht abgeneigt, so ist es besser, ihm mehrere Blätter fertig vorzulegen. Inzwischen stell ich auch das Andere wovon Sie sprechen in nahe Aussicht und erinnere zugleich an das früher besprochene Album, wozu die Rohtraut ein höchst erwünschter Zuwachs wäre.

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Mörike an Schwind, Lorch d. 18. Juli 1868. Briefwechsel zwischen Eduard Mörike und Moriz v. Schwind, S. 118-124.

An einen meiner besten Freunde, dem ich von Zeit zu Zeit unter Anderm über Sie berichten muß, schrieb ich vor kurzem ungefähr wie folgt: - - "Ein zweites Blatt von ihm behandelt den Traum der Wasserfrau, wie der Abt die dicke Wirtin umarmt - hochkomisch und von großer Kraft der Zeichnung! Der mehrfältige Widerhall des Kusses ist höchst ingeniös und ergötzlich dadurch angedeutet, daß die Umarmung sich in einer Art von Luftspiegelung einige Male, näher und entfernter, wiederholt."
     Warum wurde nun dies und Mehreres nicht lieber in der ersten Freude gleich dem Meister selbst mit tausend Dank gesagt? [...]
     Jetzt aber welche Ueberraschung! Ich komme mit den Meinigen (wir sind dermalen zu nicht weniger als unserer Sechse hier) vom Spaziergang heimkehrend, am Bahnhof vorüber, die Kinder gehen an die Post, um Zeitungen und Briefe abzuholen, und was bringen sie - wahrhaftig wieder eine Rolle des wohlbekanntes Formats! Ich bin der feurigen Kohlen von Ihnen auf mein Haupt gewohnt, doch habe ich sie stärker kaum einmal empfunden.
     Was ist nun aber von diesen Bildern zu sagen? Wenn man bei einem Werk der Kunst sich in vollkommen reiner Uebereinstimmung mit dem Künstler befindet, wenn Gefühl und Gedanke ganz in dem Genuß des Schauens aufgehen, so möchte man am liebsten nicht weiter viele Worte drüber machen. Tat ich es dennoch schon, so kam es allemal auf eine hlabe Beschreibung des Gegenstands hinaus, mit preisender Hervorhebung gewisser Einzelheiten, wobei ich mir nie genug tue und deshalb eigentlich voll Aerger bin. Es sind nur miserable kleine Bissen, in denen sich der Künstler da selbst genießen soll. Demungeachtet wollte ich, er hätte einige von unsern simpeln ungesuchten Aeußerungen, als meine Frauenzimmer die Zeichnungen mit mir betrachteten, angehört. Z.B. Scene 1 im Keller, wie die Lau aus dem Bronnen heraussteigt: - "Bedenkt einmal die Stellung der Wirtin zu dem Wasserweib, daß sie - ganz abgesehen von der Decenz - mit ihrem vorgehaltenen Leintuch gerade nur so viel von der schönen Person sehen läßt." (Das Musterhafte an der Composition wurde sofort näher zu zeigen versucht.) - Die Wirtin heißt dick: wie anständig aber ist hier ihre stattliche Breite, sodaß sie selbst neben der Andern noch immer wahrhaft angenehm aussieht! - "Man möchte sie tätscheln! Gleich nimmt einen auch ihre Miene zum vollsten Zutrauen ein" etc.
     Scene 2. In der Kammer. Allgemeiner Ausruf des Erstaunens über die Schönheit beider Gestalten, über die mit höchster Wahrheit ausgedrückte Wirkung des Kitzelns auf dem Gesichte der Lau! - "Seht ihr, sie neigt dabei ein wenig auf die linke Seite. Diese Hand, wie sie unter dem Kinn auf dem Tuch aufliegt - man kann nichts Schöneres sehen." - "Ein so gemischtes Lachen denk ich mir als keine leichte Aufgabe für den Maler. Vielleicht kam sie ihm hier zum erstenmal im Leben vor." Das kernhafte Mädchen mit dem gekräuselten Haar, die wir von früher kennen, die Jutta - ich höre in den Ohren, was sie sagt! etc.
     Scene 3. Bestrafung Kilians wegen des Kusses. Ein gewaltiges Bild! das einem die herb gewürzte Lustigkeit dieses Auftritts vollständig mitteilt. Die geduckte Stellung des kräftigen Kochs - die Lau mit aufgelösten Gliedern hingegossen, im Halbbewußtsein lachend - unvergleichlich! In Summa: "Schwind ist ein Wundermann", schrieb neulich jener Freund. [...]

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Schwind an Mörike. Nieder Pöcking den 13. Sept. 1868. Briefwechsel zwischen Eduard Mörike und Moriz v. Schwind, S. 136.

Die Fee in ihrer klassischen Wut und der possierliche Hammelschwab von Koch sind ein Gegensatz, der sich nur in Gelächter auflösen kann. Sehen Sie, Sie wissen gar nicht, was für malerische Momente in Ihren Sachen stecken. Ist auch nicht nötig, denn unsereiner will auch was verdienen.
     Ich bin nur froh, daß es mich nicht kümmert, ob die Welt von meinen Ideen Notiz nimmt oder nicht. Ruhe ist mir lieber als Geld, und wenn Sie mit den Sachen einverstanden sind, ist das offenbar mehr wert, als wenn sie Herrn von Cotta gefallen.

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Schwind an Mörike. M., 11. Mai 1869. Briefwechsel zwischen Eduard Mörike und Moriz v. Schwind, S. 152.

Die Szene mit dem Prior und der dicken Wirtin hab ich koloriert! Das ist zu lustig. Sie werden's schon sehen.

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Mörike an Julius Naue. Stuttgart, den 22. März 72. Briefwechsel zwischen Eduard Mörike und Moriz v. Schwind, Anhang, S. 199f.

Ich brauche nicht erst zu versichern, wie reizend der Gedanke für mich ist, jene unschätzbaren Schwindschen Blätter durch die tüchtigste, würdigste Hand, die sich nur denken läßt, reproduciert zu sehen, und wie sehr ich dabei die große Liberalität der Frau v. Schwind und Ihre eigene anerkenne. Bei meiner näheren Besprechung mit unserem Unternehmer (1) ergab sich nur ein Punkt der Differenz. Es ist die Art und Weise, wie nach seiner Meinung die kalkierten Zeichnungen zur Episode in dem Hutzelmännchen copiert und respective verkleinert werden sollen: vermittelst des Storchschnabels nämlich (2). Wenn überhaupt dies Instrument, was ich vorerst bezweifle, dienen kann - ist denn nicht sehr zu fürchten, daß die Blätter bei dieser Manipulation mehr oder weniger zu leiden hätten? Als das natürlichste Medium zur Übertragung auf die Kupferplatte dachte ich mir die photographische Aufnahme. [...]
     Indem ich also nun so wertvolle Reliquien unseres teueren Freundes in ihrer völligen Integrität erhalten wissen möchte, versteht mich eben hierin sicher Niemand besser als eben Sie, Verehrtester.


Anmerkungen:
(1) Ferdinand Weibert, Inhaber der Göschenschen Buchhandlung.
(2) Der Storchenschnabel oder Storchschnabel ist "ein Instrument zum Übertragen von Zeichnungen in einen gleichen, größeren oder kleineren Maßstab". Vgl. den Artikel "Pantograf" in Wikipedia, URL: http://de.wikipedia.org/wiki/Pantograf.

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Mörike an Julius Naue. Stuttg. 18. Aug. 1872. Briefwechsel zwischen Eduard Mörike und Moriz v. Schwind, Anhang, S. 201.

Je treuer übrigens die Schwindische "Handschrift" (dies war sein eigener gern gebrauchter Ausdruck) in diesen Conturen wiedergegeben ist, desto gewisser wird das ganze Werk eine höchst schätzbare Gabe mehr für den eigentlichen Kenner und Liebhaber, als für das große Publikum sein, das eben ausgeführte, möglichst geleckte Sachen will. Unter Anderem wird man die Ungleichheit der Physiognomie der Hauptperson anfechten. Ohne Zweifel würde der Meister diesen Punkt vor der Veröffentlichung berichtigt und wohl den minder idealen Typus der Wasserfrau constant auf allen Blättern eingehalten haben. Dem wahren Kunstfreund aber wird Alles lieb und interessant sein, wie es steht. Ich hoffe, daß der Verleger seine Rechnung findet.
     Der Text meiner Erzählung, in Leipzig sehr schön mit neugeschnittenen gotischen Lettern gedruckt, kann nächstens fertig sein, und es wird ein ganz stattliches Heft mir Ihren Radierungen geben.

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4. Historische Texte zum Blautopf und der Wassernixe

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Ohne Titel. Verso: Blaubeuren. Am Blautopf. Kunstverlag H. Sting, Tübingen - Farb-Aufnahme Nr. 525/4. Signet. "Farben-Photos". Gelaufen. Poststempel unleserlich. Datiert 1939. - Siehe den Artikel "Blautopf" in Wikipedia, der freien Enzyklopädie. URL: <http://de.wikipedia.org/wiki/Blautopf>

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Geographisches Statistisch-Topographisches Lexikon von Schwaben oder vollständige alphabetische Beschreibung aller im ganzen Schwäbischen Kreis liegenden Städte, Klöster, Schlösser, Dörfer, Flecken, Berge, Thäler, Flüsse, Seen, merkwürdiger Gegenden u.s.w. Bd. 1. Ulm, im Verlag der Stettinischen Buchhandlung 1800, Sp. 283-285. Absätze eingefügt. (Digitalisierung durch Google)

Blau, ein von seiner grünlichten, ins blaue fallenden Farbe, benannter Fluß, der im wirtembergschen, hinter dem Kloster Blaubeuren, an einem Fuß des hohen Alpengebirges entstehet, den Fluß Aach bei dem Kloster, und die Lauter bei Herrlingen aufnimmt, das davon benannte vier Stunden lange Blauthal, und einen Theil der Stadt Ulm durchfließt, und dann an Ulm in die Donau fällt.

Die Quelle, wo dieser Fluß entstehet, ist ein merkwürdiges Bassin, das 63 bis 64 Fuß Tiefe und 30 bis 40 Fuß Breite hat, und der Blautopf genannt wird. Nach einer, 1718 von dem Geheimenrath Bildinger vorgenommenen, und 1783 wiederholten, Abmessung, durch ein Senkblei, ist die Tiefe von 63 Fuß, gefunden worden. Dieses Bassin stößt so vieles Wasser, und mit so vieler Gewalt von sich, daß der Fluß nur dreißig Schritte davon, zwo, und einige Schritte weiter, wieder eine, also drei Mahlmühlen treibt. Es behält, auch bei der größten Dürre, diese Quelle so viel Wasser, daß in jeder dieser Mühlen allezeit ein Rad geht. Bei einfallendem Regenwetter ist sie stärker, und wird bald trübe, daher höchst glaublich ist, daß ein Theil des sich auf den Alpen sammelnden Regen- oder Schneewassers, sich in diese Quelle ziehe, und dieser Blautopf mit den vielen Erdfällen auf den Alpen einen unmittelbaren Zusammenhang habe. Bei lang anhaltender Dürre, und wenn es Windstill ist, sieht das Wasser in diesem Kessel besonders in der Mitte, blau aus, und eben so bemerkt man auch diese Farbe, wiewohl in geringerem Grade, auch im Flusse selbst. Im Glas aber ist es helle, wie das Meerwasser, das auf seiner Oberfläche grün siehet, und doch im Glas ganz helle ist.

So groß die Menge des Wassers ist, welches aus diesem Bassin ausfließt, so wenig ist in dem Kessel selbst, das Emporsteigen oder Ausfließen sichtbar. Die Oberfläche ist ganz ruhig und spiegelglatt. Kaum bemerkt man, etwas über der Mitte gegen den Berg hin, drei Ringe, welche das aufsteigende Wasser macht, und wenn Wasservögel über diese Quelle hinschwimmen, welches alle Tage geschieht, so sieht man, daß sie in dieser Gegend etwas stärker rudern. Bei dem größten Wasser, welches sich jemals bei Menschen Gedenken, aus dieser Quelle ergoß, welches 1784 gewesen, hat man nur von einiger Höhe einen Stoß des Wassers entdecken können.

An der Abendseite wird dieses Bassin, von einem aus Quadern gebauten Wehr, geschlossen, in welchen Schleusen stehen, die bei starkem Anlauf des Wassers geöffnet werden. Bei diesem Wehr, ist ein Brunnenhaus, welches durch ein Drukwerk, von zwei Stiefeln, das Wasser aus diesem Kessel, in die Brunnen des Klosters und der Stadt führt. In den härtesten Wintern, ist diese merkwürdige Quelle niemals überfroren. Die Blau selbst aber wird an einigen Orten mit Eis bedeckt. Dieser Fluß führt gute Forellen.


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Blaubeuren. Partie an der Blau. Verlag R. Kästlen, Blaubeuren

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Oben: Ohne Titel. Verso: Blaubeuren, Klosterkirche mit Blau. Original Eigentum Gebr. Metz, Tübingen. Im Briefmarkenfeld: 453/9 Kupferdruck U.B. Nicht gelaufen.
Unten: Blaubeuren. Partie an der Blau. Adressseite: Verlag R. Kästlen, Blaubeuren. Handschriftlich: 1921.

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[Karl Julius Weber:] Deutschland, oder Briefe eines in Deutschland reisenden Deutschen. Bd. 1. Stuttgart, bei Gebrüder Franckh 1826, S. 263f. Absatz eingefügt. (Digitalisierung durch Google)

Lange wollte das Schiff nach Regensburg nicht flott werden, und so hatte ich Muse, einen Gang in's Blauthale zu machen, ein lachendes Thal von vier Stunden bis Blaubeuren und der Quelle der Blau, tief und felsigt. Die Mönche von Blaubeuren, die jetzt jungen Theologen Platz gemacht haben, oder einer Klosterschule, cultivirten das Thal, und die Grafen von Helfenstein bauten Burgen, deren Ruinen von schauerlichen Felsen herabblicken.

Das Wasser der Blau ist wirklich blau, die Quelle heißt der Blautopf, eine der drei Burgen der Blauenstein, und das Stadtwappen ist ein blauer Bauer! Hier sollte mein alter humoristischer Freund Wohnung machen, der alles blau haben muß - Kleider, Tapeten, Mobilien, Bücher, Papier, Sand, Blumen, Gläser etc., nur keinen blauen Rücken, und doch ärgert er sich, daß er im Aerger roth und nicht blau, wie über ein schlechtes blau, wenn es grün wird. Er heirathete blos wegen blauer Augen, und würde, ginge es an, die Blaukittel der Thüringer Fuhrleute jedem Anzuge vorziehen. Er liebte die Franzosen wegen ihrer Blauröcke, noch mehr aber um ihrer reichen Phrasen willen, tete bleu, morbleu! ventre bleu, parbleu, eorbleu! hatte aber nichts dagegen, als sie gebläuet wurden von deutschen Blauen. Blaue Wunder und blauen Dunst kann er aber so wenig leiden, als Berliner Blau, und viele, die diese Whims nicht kennen, haben ihn im höchst ungerechten Verdacht, wenn er nach blauen Schürzen greift, ja, ich wäre besorgt für seinen Kopf, wenn er je Ritter es blauen Bandes werden sollte. Er ruht am liebsten unter blauem Himmel, und gewiß dereinst lieber in blauer Luft, als in schwarzer Erde, wenn dieses nicht gegen unsre Sitten, und ein ehrlicher Mann nicht in Gefahr wäre, für einen Galgenschwengel gehalten zu werden!

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Volksthümliches aus Schwaben. Hrsg. von Anton Birlinger. Bd. 1. Freiburg im Breisgau: Herder 1861, Nr. 201 auf S. 133. (Digitalisierung durch Google)

Der Blautopf

Im Jahre 1641, so erzählt eine alte Chronik, war der Topf so stark angelaufen, daß das Kloster Blaubeuren den Untergang fürchtete. Es wurde daher ein allgemeiner Bettag gehalten, eine Prozession zu der erzürnten Quelle veranstaltet, und gleichsam zur Versöhnung der in derselben wohnenden Nymphe wurden zwei vergoldete Becher hineingeworfen, worauf das Toben nachgelassen habe.

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Deutsche Sagen. Hrsg. von Heinrich Pröhle. Berlin: Ulrich Frank 1863, Nr. 108, S. 153f. (Digitalisierung durch Google) Hier wird das Kunstmärchen von Mörike zum anonymen Sagenschatz gerechnet. Lediglich im Vorwort, S. XI, nennt der Autor Mörike unter den "Lebenden, von denen ich gedruckte und geschriebene Mittheilungen benutzte".

Der Blautopf beim Kloster Blaubeuren

Der Blautopf ist der große runde Kessel eines wundersamen Quells bei einer jähen Felsenwand gleich hinter dem Kloster Blaubeuren. Gen Morgen sendet er ein Flüßchen aus, die Blau, welche der Donau zufällt. Dieser Teich ist einwärts wie ein tiefer Trichter, sein Wasser von Farbe ganz blau, sehr herrlich, mit Worten nicht wohl zu beschreiben! wenn man es aber schöpft, sieht es ganz hell in dem Gefäß.

Zu unterst auf dem Grunde saß ehemals eine Wasserfrau mit langen fließenden Haaren. Ihr Leib war allenthalben wie eines schönen, natürlichen Weibes, dies Eine ausgenommen, daß sie zwischen den Fingern und Zehen eine Schwimmhaut hatte, blühweiß  und zarter als ein Blatt vom Mohn. Im Städtlein ist noch heutzutag ein alter Bau, vormals ein Frauenkloster, hernach zu einer großen Wirthschaft eingerichtet und hieß darum der Nonnenhof. Dort hing vor sechzig Jahren noch ein Bildniß von dem Wasserweib, trotz Rauch und Alter noch kenntlich in den Farben. Da hatte sie die Hände kreuzweis auf die Brust gelegt, ihr Angesicht sah weißlich, das Haupthaar schwarz, die Augen aber, welche sehr groß waren, blau. Beim Volk hieß sie die arge Lau im Topf. Gegen die Menschen erzeigte sie sich bald böse, bald gut. Zu Zeiten, wenn sie im Unmuthe den Gumpen übergehen ließ, kam Stadt und Kloster in Gefahr; dann brachten ihr die Bürger in einem feierlichen Aufzuge oft Geschenke, sie zu begütigen, als: Gold- und Silbergeschirr, Becher, Schaalen, kleine Messer und andere Dinge, dawider zwar, als einen heidnischen Gebrauch und Götzendienst, die Mönche redlich eiferten, bis derselbe auch endlich ganz abgestellt worden.

Ein frecher Hinrtenjunge belauschte sie einmal aus dem Gebüsch, wie sie mit halbem Leib aus dem Wasser kam, und rief: "Hei, Laubfrosch, gie's guat Wetter?" Geschwinder als ein Blitz und giftiger als eine Otter fuhr sie da heraus, ergriff den Knaben am Kopf und riß ihn mit in's Wasser.

Im Jahre 1641 überschwemmte der Blautopf seine Umgebung gar sehr. Da wurde ein Bettag gehalten, eine Procession zum Blautopf veranstaltet und wurden dem erzürnten Wesen, das darin wohnte, das man aber zu jener Zeit nicht für eine Wasserfrau hielt, zwei vergoldete Becher hineingeworfen, worauf das Toben nachgelassen.

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Blautopf, Verlag Gebrüder Metz in Tübingen

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Oben: Ohne Titel. Verso: Blaubeuren, Blautopf. Gebr. Metz, Tübingen. Im Briefmarkenfeld: K. S. K. 51/1. Nicht gelaufen.
Mitte
: Ohne Titel. Verso, Stempel: Blaubeuren (Blautopf). Photo-Wörz Blaubeuren. Nicht gelaufen.
Unten: Ohne Titel. Verso: Kurort Blaubeuren. Blautopf. Verlag Photo-Wörz, Blaubeuren. Sch. 639. Beschriftet, aber nicht gelaufen.

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5. "Die schöne Lau" im Krimi

Der Kriminalroman von Felix Huby "Bienzle und die schöne Lau" (Erstpublikation 1985 im Verlag Rowohlt) spielt großenteils in Blaubeuren und auf der Schwäbischen Alb; der Blautopf ist Tatort eines mutmaßlichen Mordes. Nach diesem Roman entstand der gleichnamige Tatort-Fernsehkrimi (Drehbuch: Felix Huby, Werner Zeindler; Regie: Hartmut Griesmayr; Produktionssender: Süddeutscher Rundfunk, Erstsendung  28.03.1993).

Der Höhlentaucher Fritz Laible kommt in einer Unterwasserhöhle des Blautopfes auf mysteriöse Weise ums Leben. Im Zuge der Nachforschungen geschehen weitere Morde und Mordversuche. Liegt bei der attraktiven Gattin von Fritz Laible, "die schöne Lau" genannt, der Schlüssel zur Lösung des Falles?

Vgl.
* Portal "Crimi-Couch.de", Autor Felix Huby, URL:
http://www.krimi-couch.de/krimis/felix-huby.html
* Portal "tatort-fundus", Kommissar Bienzle, URL:
http://www.tatort-fundus.de/web/ermittler/sender/swr/bienzle.html

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6. Kurzbiographie zu Eduard Mörike

Die Familie Mörike. Photo von F. Brandseph (1860). "Rechts vom Dichter sitzt seine Gattin Margarete mit dem Töchterchen Marie, links seine Schwester Klara mit der kleinen Fanny.". In: Mörike. Bilder aus seinem Leben. Hrsg. mit Förderung durch das Kultusministerium Stuttgart von der Landesanstalt für Erziehung und Unterricht, Stuttgart. 3. Aufl. Stuttgart 1960, Abb. 41.

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Mörike, Eduard, geboren 8. September 1804 in Ludwigsburg, gestorben 4. Juni 1875 in Stuttgart, empfing seine Gymnasialbildung im Seminar zu Urach und studierte dann Theologie in Tübingen, wo er sich mit Ludwig Bauer, David Friedrich Strauß u.a. eng befreundete. Als Dichter trat er zuerst mit dem poetisch reichen Roman »Maler Nolten« (1832; 2. umgearbeitete Aufl. 1877) hervor, der mit seiner Darstellung weit über den allgemeinen Lebens- und Stimmungsgehalt der schwäbischen Dichterschule hinauswuchs.

Nachdem Mörike als Pfarrgehilfe an einigen Orten Württembergs tätig gewesen, erhielt er 1834 die Pfarrstelle zu Kleversulzbach bei Weinsberg, die er bis 1843 bekleidete. Krankheit zwang ihn, sein Amt niederzulegen; er lebte hierauf einige Jahre hindurch als Privatgelehrter in Mergentheim. 1851 siedelte er nach Stuttgart über, übernahm hier eine Lehrerstelle am Katharinenstift, die sehr geringe Anforderungen an ihn stellte, und trat 1866 in den Ruhestand. Seine letzten Lebensjahre waren durch häusliche Verhältnisse, an denen seine schwerblütige Natur viel Schuld trug, getrübt; auffallend war auch in Mörikes bessern Jahren sein Mangel an Aktivität.

Das bedeutendste Werk dieses eigentümlichen, unter den nachgoetheschen Lyrikern mit an erster Stelle stehenden Dichters war und blieb die Sammlung seiner »Gedichte« (1838). Ihr Wert beruht auf der vollendeten, auch vom leisesten Zuge der Abstraktion oder falschen Rhetorik freien Unmittelbarkeit des Gefühls, der tiefen Innerlichkeit, volkstümlichen Schlichtheit, lebendigen Anschauung und fein abgestimmten Form. Gedichte wie »Der alte Turmhahn«, »Schön Rohtraut«, »Das verlassene Mädchen« u.a. gehören zu den vollendetsten der deutschen Literatur; viele sind durch Hugo Wolf genial vertont. Reizende Einzelheiten weisen auch »Das Stuttgarter Hutzelmännlein«, Märchen (1852), woraus die »Historie von der schönen Lau« später mit 7 Umrissen von Moritz von Schwind (1873) erschien, das »Idyll vom Bodensee«, in 7 Gesängen (1846), die Novellen: »Mozart auf der Reise nach Prag« (1856), »Der Schatz« und »Lucie Gelmeroth« u.a. auf. Mörike gab außerdem eine Übersetzung von Theokrits Idyllen (mit Friedrich Notter, 1853-56) und des Anakreon (1864) heraus.


Meyers Großes Konversations-Lexikon. Sechste Auflage 1905-1909 (Digitale Bibliothek; 100) Berlin: Directmedia 2003, S. 133341-43. Redigiert, gekürzt.

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Schwind bei Mörike zu Gast, 20. November 1868, nach der Zeichnung von Mörike. Sie zeigt, wie Mörikes Kater Schwind "mit einem Sprung auf seinen Bauch" aus dem Mittagsschlaf weckt. Der Band von Georg Friedrich Daumers Werk "Der Mystagog" (1867), das Mörike seinerzeit las, ist Schwind beim Einschlafen aus der Hand gefallen. Vgl. Briefwechsel zwischen Eduard Mörike und Moriz v. Schwind. Hrsg. von Hanns Wolfgang Rath. 2. Aufl. Stuttgart: Julius Hoffmann [1920], Tafel 8 und S. 140f. - Das Bild an der Wand stellt eine Grafik nach dem Gemälde "Hiob im Unglück" bzw. "Hiob und seine Freunde" des Stuttgarter Males Eberhard Wächter (1762-1852) dar.

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7. Kurzbiographie zu Moritz von Schwind

Moritz von Schwind
(Original aus Mörikes Besitz)

Briefwechsel zwischen Eduard Mörike und Moriz v. Schwind. Hrsg. von Hanns Wolfgang Rath. 2. Aufl. Stuttgart: Julius Hoffmann [1920], Tafel 6.

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Schwind, Moritz von, Maler  und Zeichner, geb. 21. Januar 1804 in Wien, gest. 8. Febr. 1871 in München, erhielt den ersten Unterricht in der Kunst auf der Akademie  in Wien und bei Ludwig Schnorr, bildete sich aber zumeist auf eigne Hand und entfaltete eine große Produktivität in Zeichnungen nach Märchen, Opern, in Illustrationen etc.

1827 ging er nach München, wo Cornelius einen solchen Eindruck  auf ihn machte, dass er sich 1828 dort niederließ. Hier malte er in der Bibliothek der Königin Szenen aus Tiecks Dichtungen und komponierte Szenen aus dem Leben Karls d. Gr. für die Burg Hohenschwangau. 1835 begab sich Schwind nach Rom. Bald heimgekehrt, entwarf er für den Saal Rudolfs von Habsburg im Königsbau einen figurenreichen Kinderfries. 1838 vollendete er Wandbilder in einem Gartensalon des Schlosses Rüdigsdorf bei Altenburg, welche die Mythe von Amor und Psyche behandeln. 1839–44 entstanden die Wand- und Deckenbilder im Antikensaal zu Karlsruhe, die Fresken im Treppenhaus der Kunsthalle, die allegorischen Kompositionen für den Sitzungssaal der badischen Ersten Kammer daselbst, das reizende Tafelbild Ritter Kurts Brautfahrt und die Skizzen zu dem 1847–48 ausgeführten Vater Rhein.

Der Auftrag, für das Städelsche Institut den Sängerkrieg auf der Wartburg zu malen, veranlasste ihn, 1844 nach Frankfurt überzusiedeln. In demselben Jahr entstand der „Almanach von Radierungen von M. v. S. mit erklärendem Text  und Versen von E. Freiherrn von Feuchtersleben“, humoristische Verherrlichungen der Tabakspfeife und des Bechers. Derselben Periode gehören auch die köstlichen kleinen Bilder: der Falkensteiner Ritt und der Hochzeitsmorgen oder die Rose an. 1847 wurde er als Professor an die Münchener Akademie  berufen und komponierte dort 1849 seine originelle Symphonie nach Beethoven. Daran reihte sich das reichgegliederte Aschenbrödel mit seinen verwandten Nebenbildern aus der Mythe der Psyche und dem Märchen von Dornröschen (1854). Als der Großherzog von Sachsen die Wiederherstellung der Wartburg unternahm, beauftragte er Schwind, die bedeutendsten Momente aus dem Leben der heiligen Elisabeth und einige Szenen aus der thüringischen Sage und Geschichte zu malen. Diesen Werken folgte Kaiser Rudolfs Ritt zum Grabe, der Aquarellenzyklus: die sieben Raben  und die treue Schwester (1857), durch den Schwinds eigentümliche Begabung für die Romantik des deutschen Märchens zum ersten Mal allgemeine Anerkennung fand, mehrere Bilder für den Grafen Schack (darunter die Morgenstunde und die Hochzeitsreise) und eine Reihe von Bildern für den Hochaltar der Frauenkirche in München.

Mit unerschöpflichem Humor zeichnete Schwind 1863 in einem über 20 Ellen langen Zyklus wichtige Momente aus dem Leben seines Freundes Franz Lachner (vgl. Die Lachnerrolle. Mit Text von O. Weigmann, München 1904) und schmückte in demselben Jahre die Pfarrkirche in Reichenhall mit Fresken; 1864 entstand die Heimkehr des Grafen von Gleichen und der Karton: die Zauberflöte, der erste der im neuen Opernhaus zu Wien ausgeführten Kartons nach deutschen Opern, die ihm Gelegenheit gaben, alle seine Lieblingsgestalten aus dem Gebiete der Tonkunst vorzuführen. Dieser Zeit gehören auch geistvolle kunstgewerbliche Entwürfe an. An seinem 66. Geburtstag vollendete er den lieblichen Aquarellenzyklus von der schönen Melusine, der nächst den sieben Raben sein Hauptwerk ist.

1855 war er mit seinen Brüdern August, österreichischem Ministerialrat (gest. 1892), und Franz, österreichischem Bergrat, in den österreichischen Ritterstand erhoben worden. Schwinds Vorzüge liegen im Rhythmus der Komposition, in durchweg idealer Anschauung, strenger Zeichnung und innigstem Eingehen auf seinen Stoff bei romantisch-poetischer Grundanschauung.


Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 18. Leipzig 1909, S. 215. Redigiert und gekürzt. Online bei Zeno.org

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Moritz von Schwind vor der Staffelei mit dem Titelbild der "Sieben Raben". Wohl aus dem Jahre 1857. Nach einer Albertschen Photographie. In: Friedrich Haack: M. von Schwind. 6. Aufl. Bielefeld u. Leipzig: Velhagen & Klasing 1924 (Künstler-Monographien; 31), S. 2.

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8. Kurzbiographie zu Julius Naue

Julius Naue. Artikel "Julius Naue" in Wikipedia, der freien Enzyklopädie. URL: <http://de.wikipedia.org/wiki/Julius_Naue>

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Naue, Julius Erdmann August, Historien- u. Bildnismaler, Radierer und Zeichner für den Holzschnitt, Schriftsteller, geboren Köthen (Anhalt) 7. 7. 1833, gestorben München 14. 3. 1907, Schüler von August Kreling und Moritz von Schwind, unter dessen Einfluss er namentlich Stoffe aus der deutschen Sagen- und Märchenwelt behandelte. Naue wurde auch als Archäologe in der Vor- und Frühgeschichtsforschung bekannt. (Thieme-Becker, ergänzt)

Artikel "Julius Naue" in Wikipedia, der freien Enzyklopädie. URL:
* http://de.wikipedia.org/wiki/Julius_Naue

Siehe auch: Julius Naue: Heinrich I. und Prinzessin Ilse. Eine Harzsage in Bildern. Niedersächsische Landesgalerie Hannover 1979 (Im Blickpunkt; 8).

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9. Rechtlicher Hinweis und Kontaktanschrift

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