goethe


Jutta Assel | Georg Jäger

"O du fröhliche Weihnachtszeit"
Die Bescherung

Eine Dokumentation zu Weihnachten 2009

Stand: Dezember 2018
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Fröhliche Weihnachten. Verso: No. 55. Postkarte. Gelaufen. Poststempel 1906.

Zur Entstehung des Weihnachtsliedes „O du fröhliche“

Die Melodie geht auf ein sizilianisches Fischerlied „An die Jungfrau Maria“ zurück, das Johann Gottfried Herder auf seiner Italienreise 1788 aufzeichnete. In der von Johannes von Müller 1807 neu herausgegebenen Anthologie „Stimmen der Völker in Liedern. Gesammelt, geordnet, zum Theil übersetzt durch Johann Gottfried von Herder“ wird das Marienlied mit Text und Melodie wiedergegeben (vgl. die Faksimiles der Seiten 175-76, digitalisiert durch Google).

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Der lateinische Text und dessen Übersetzung lauten:

O sanctissima!
O piissima!
dulcis Virgo maria!
mater amata
intemerata,
ora, ora pro nobis.
O du Heilige,
Hochbenedeiete,
Süße Mutter der Liebe,
Trösterin im Leiden,
Quelle der Freuden,
Hilf uns, Maria!

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Gruss aus …. O du fröhliche. E. Riedel, Kunstverlag, Berlin S. 42. No. 78. Gelaufen. Poststempel 1898.


Der mit Herder befreundete Johannes Daniel Falk, der ein Rettungshaus für verwaiste und verwahrloste Kinder in Weimar gegründet hatte, nutzte diese Melodie für ein Lied, das er seinen Pfleglingen zudachte. Es wurde im zweiten Bericht der „Gesellschaft der Freunde in der Noth“, einem Förderverein des Rettungshauses, 1817 publiziert. Dieses „Allerdreifeiertagslied“ war den drei Hauptfesten Weihnachten (Geburt Christi), Ostern (Auferstehung Christi) und Pfingsten (Ausgießung des Heiligen Geistes) gewidmet:

O du fröhliche, o du selige,
gnadenbringende Weihnachtszeit!
Welt ging verloren, Christ ist geboren:
Freue, freue dich, o Christenheit!

O du fröhliche, o du selige,
Gnaden bringende Osterzeit!
Welt lag in Banden, Christ ist erstanden:
Freue, freue dich, o Christenheit!

O du fröhliche, o du selige,
Gnaden bringende Pfingstenzeit!
Christ unser Meister, heiligt die Geister:
Freue, freue dich, o Christenheit!

Heinrich Holzschuher, ein Mitarbeiter Falks, machte daraus das uns bekannte Weihnachtslied, indem er die zweite und dritte Strophe umschrieb:

O du fröhliche, o du selige,
gnadenbringende Weihnachtszeit!
Welt ging verloren, Christ ist geboren:
Freue, freue dich, o Christenheit!

O du fröhliche, o du selige,
gnadenbringende Weihnachtszeit!
Christ ist erschienen, uns zu versühnen:
Freue, freue dich, o Christenheit!

O du fröhliche, o du selige,
gnadenbringende Weihnachtszeit!
Himmlische Heere jauchzen Gott Ehre:
Freue, freue dich, o Christenheit!

Die in der ersten Strophe angesprochene Rettung der Menschheit durch Christus, „Quintessenz der neutestamentlichen Theologie“ (Bockwoldt) bildet das Zentrum des Gedichtes. „Die doppelte Aufforderung, sich zu freuen, nimmt die Botschaft des Engels an die Hirten in der Geburtsnacht Jesu (Luk 2, 11) auf: ‚Ich verkünde euch große Freude.‘“ (Bockwoldt) In der Fassung Holzschuhers ist das heute allgegenwärtige Weihnachtslied erst langsam im 19. Jahrhundert populär geworden.

Literatur:
O du fröhliche, aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
* Gerd Bockwoldt: O du fröhliche, o sanctissima … Die Geschichte eines klassischen Weihnachtslieds. In: SZ, 2007, Nr. 296, 24./25./26. 12, S. 11.
* Zu den Postkarten siehe Fritz Franz Vogel: Kitsch per Post. Das süße Leben auf Bromsilberkarten von 1895 bis 1920. Köln: Böhlau Köln 2014. ISBN: 978-3-412-22432-5 - Reiche Auswahl an Weihnachtskarten S. 313-320.


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Frohe Weihnachten. Verso: HWB [Hermann Wolff Berlin] Ser 2496.Import. 
Gelaufen. Datiert 1932. Poststempel unleserlich.

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Weihnachtsbescherung

 

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Zürcher Lichterbaum von 1799. Ältestes Bild einer Weihnachtsfeier. 
Kupferstich von J. H. Lips nach einer Vorlage von J. M. Usteri

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Der Christabend
Quelle: Kat. Ausst. Stadtmuseum München 1984, S. 241.

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Frances Trollope
Der Christbaum der Fürstin Metternich
(1836)

Einer der Vorzüge der Wiener Gesellschaft ist, dass man sich pünktlich zur festgesetzten Stunde einfindet: eine Gewohnheit, die wir, leider, nicht mit uns brachten, denn wir kamen häufig auch bei Veranstaltungen zu spät, so dass wir manchmal den Anfang versäumten. So war es auch am Heiligen Abend. Aus Furcht, zu früh zu kommen, entging uns das erste glückliche Hereinstürmen der Kinder, nachdem das Zeichen gegeben wurde, dass der »Christbaum« angezündet sei. Leider erreichten wir die Gesellschaft erst, als alles, was zu dieser reizenden Feier gehörte, schon in vollem Gange war. 
Der runde Esstisch stand in der Mitte des großen Salons, und auf ihm stand ein Tannenbaum, der fast bis zur Decke reichte. Auf seinen Zweigen waren unzählige kleine Kerzen angebracht, genauso wie sie Andächtige am äußeren Rand der Heiligenbilder, vor denen sie beten, anzubringen pflegen. Über, rundherum und unter den brennenden kleinen Sternen hingen an bunten Bändern viele Bonbons und andere herzige Dinge, die im Scheine der Kerzen glänzten. Sie loszubinden und. unter die Gesell¬schaft zu verteilen, war für den Schluss der Feier vor¬gesehen; einstweilen aber umstand ein lieber Kreis von Kindergesichtern, strahlend vor Wonne, den großen Tisch, wo sie gerade den funkelnden Glanz des Baumes betrachteten und gleichzeitig, mit noch größerem Entzücken, ein Geschenk aus dem reichen Überflusse von Spielsachen, die entweder den Tisch bedeckten oder rings um ihn aufgestellt waren, erhielten. 
Bald darauf wurde es noch lebendiger. Hier wurde ein großes Schaukelpferd durch seinen glücklichen Besitzer in lebhafte Bewegung gesetzt, dort war ein Kegelspiel in vollem Gange. Auf einer Seite ließ ein kleiner fürstlicher Kutscher seine Peitsche über die Köpfe seiner hölzernen Pferde knallen, und auf der anderen machte ein liebes, kleines Mädchen Bekanntschaft mit einer wunderschönen Puppe. Winziges Teegedeck und Tischgeschirr, kleine Stuben und Bibliotheken en miniature und eine Welt von anderen Dingen, an die ich mich nicht im einzelnen zu erinnern vermag, waren so schnell unter eine glückliche Schar entzückender Geschöpfe, wie sie nur je an einem Christabend heißwangig glühten und vor Freu strahlten, verteilt. 
Unter ihnen war die Gastgeberin des Festes nicht weniger bezaubernd. Denn es gibt Menschen, die, wenn sie Freude bereiten können, in ihrem angeborenen Element zu schweben scheinen und dabei zu einem innigeren Gefühle des Lebens und der Freude erwachen als bei jeder anderen Gelegenheit. Die Fürstin Metternich gehört zu diesen, und ich weiß aus guter Quelle, dass sie dies nicht bloß an einem jour de fête beweist. Außer den hübschen Metternichschen Kindern waren zahlreiche Familienmitglieder versammelt. Es befanden sich darunter: die Gräfin Zichy Ferraris, Mutter der Fürstin, die Gräfin Szecheny und die Fürstin Odescalchi, zwei andere ihrer Töchter, und eine Tochter Fürst Metternichs aus seiner ersten Ehe, Gräfin Sandor mit ihrem Gemahl. 
Nachdem alle Kinder mit Geschenken beteilt waren, bemerkte ich, dass der Baum sein Licht noch auf andere Beweise der Zuneigung und des Wohlwollens warf. Viele sehr elegante Geschenke wurden von der Fürstin an ihre Umgebung verteilt. Niemand der Anwesenden wurde vergessen, und das schöne Stammbuch, welches sie mir gab, war mir doppelt willkommen - erstens, weil es ein Geschenk von ihr war, und zweitens, weil es mir guten Anlass zum Sammeln von Autogrammen gab, welche auch ein weniger kostbares Buch wertvoll gemacht hätten. 
Als der Tisch von seinen vielen und verschiedenen Schätzen geräumt war, wurde der Baum mit einiger Schwierigkeit auf den Boden gestellt, und man nahm die von seinen erleuchteten Zweigen hängenden Bonbons ab. Sie wurden unter die tanzende und jubelnde kleine Schar verteilt, welche bereits darauf wartete. Während ich den Glanz des Baumes und seinen sinnvollen Schmuck be¬wunderte, sagte die Fürstin zu mir: „Der Portier hat den gleichen Baum, und seien Sie gewiss, er hat auch einen genauso glücklichen Kreis um sich, wie es der meine ist.“

Frances Trollope: Briefe aus der Kaiserstadt. Hrsg von Rudolf Garstenauer nach der zeitgenössischen Übersetzung von Johann Sporschil, vergleichen mit der englischen Erstausgabe „Vienna and the Austrians“, London 1838, von T. Reichl. (Bibliothek klassischer Reiseberichte) Stuttgart. Steingräber1966. Aus dem Abschnitt „Der Christbaum der Fürstin Metternich“, 26. Dezember 1836.

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Linkes Bild: Privatfoto 1908. | Rechtes Bild: Privatfoto um 1900.

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Kronprinzliche Familie am Weihnachtsabend.
7999 Verlag von Gustav Liersch & Co., Berlin SW
Orig. Aufnahme von W[ilhelm] Niederastroth, Hofphotograph Potsdam

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Hans Christian Andersen
Der Tannenbaum
(Auszug)

Der Baum kam erst wieder zu sich, als er im Hof mit anderen Bäumen abgeladen, einen Mann sagen hörte: „Der ist prächtig! Wir brauchen nur diesen!“ 
Nun kamen zwei Diener in vollem Staat und trugen den Tannenbaum in einen großen schönen Saal. Ringsherum an den Wänden hingen Bilder, und neben dem großen Kachelofen standen hohe chinesische Vasen mit Löwen auf den Deckeln; da gab es Schaukelstühle, seidene Sofas, große Tische voller Bilderbücher und Spielzeug für hundertmal hundert Taler - wenigstens sagten das die Kinder. Und der Tannenbaum wurde in ein großes, mit Sand gefülltes Fass gestellt; aber niemand konnte sehen, dass es ein Fass war, denn es wurde rundherum mit grünem Stoff behängt und stand auf einem großen bunten Teppich! Oh, wie der Baum bebte! Was wird nun wohl geschehen? Die Diener und die Fräulein schmückten ihn; an einen Zweig hängten sie kleine Netze, ausgeschnitten aus farbigem Papier; jedes Netz war mit Zuckerwerk gefüllt; vergoldete Äpfel und Walnüsse hingen herab, als wären sie festgewachsen, und über hundert rote, blaue und weiße Lichterchen wurden in den Zweigen festgesteckt. Puppen, die so lebendig wie Menschen aussahen - der Baum hatte früher nie solche gesehen -, schwebten im Grünen, und hoch oben auf die Spitze wurde ein großer Stern von Flittergold gesetzt; das war prächtig, ganz unvergleichlich prächtig. 
„Heute abend“, sagten alle, „heute abend wird er strahlen!“ 
‚Oh!‘ dachte der Baum, ‚wäre es doch erst Abend! Würden nur die Lichter bald angezündet! Und was dann wohl geschieht? Ob da wohl Bäume aus dem Wald kommen und mich sehen? Ob die Sperlinge an die Fensterscheiben fliegen? Ob ich hier festwachse und Winter und Sommer geschmückt stehen werde?‘ 
Ja, er wusste gut Bescheid! Aber er hatte ordentlich Borkenschmerzen vor lauter Sehnsucht, und Borkenschmerzen sind für einen Baum ebenso schlimm wie Kopfschmerzen für uns andere. 
Nun wurden die Lichter angezündet. Welcher Glanz! Welche Pracht! Der Baum bebte dabei in allen Zweigen, so dass eins der Lichter das Grün anbrannte; es sengte ordentlich. 
„Gott bewahre uns!“ schrien die Fräulein und löschten es hastig aus. 
Nun durfte der Baum nicht einmal beben. Oh, das war ein Schreck! Er hatte Angst, etwas von seinem Schmuck zu verlieren; er war ganz betäubt von all dem Glanz. - Und nun gingen beide Flügeltüren auf – und eine Menge Kinder stürzten herein, als wollten sie den ganzen Baum umwerfen; die älteren Leute kamen bedächtig nach. Die Kleinen standen ganz stumm - aber nur einen Augenblick, dann jubelten sie wieder, dass es nur so schallte; sie tanzten um den Baum herum, und ein Geschenk nach dem andern wurde abgepflückt. 
‚Was machen sie?‘ dachte der Baum. ‚Was soll geschehen?‘ Und die Lichter brannten bis dicht auf die Zweige herunter, und wie sie niederbrannten, löschte man sie aus, und dann bekamen die Kinder die Erlaubnis, den Baum zu plündern. Oh, sie stürzten sich auf ihn, dass es in allen Zweigen knackte; wäre er nicht mit der Spitze und dem Goldstern an der Decke festgebunden gewesen, so wäre er umgestürzt. 
Die Kinder tanzten mit ihrem prächtigen Spielzeuge herum, niemand sah nach dem Baum, nur das alte Kindermädchen blickte zwischen die Zweige, aber nur, um zu sehen, ob nicht noch eine Feige oder ein Apfel vergessen worden war. 

Märchen und Geschichten von Hans Christian Andersen (1805-1875) stehen online zur Verfügung im Projekt Gutenberg.DE. In anderer Übersetzung findet sich die Geschichte in: Reclams Weihnachtsbuch. Hrsg. von Stephan Koranyi. Stuttgart: Philipp Reclam jun. 2004, S. 179-191.

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Unterm Weihnachtsbaum.

Oberes Bild: Privatfoto. Kaffeetafel unterm Weihnachtsbaum. Um 1900. | Mittleres Bild: Privatfoto. Kaffeetisch mit Mutter, Vater und Töchterchen, welches seine neue Puppe im Arm hält. Um 1900. | Unteres Bild: Privatfoto. Erinnerungsfoto einer Großfamilie. Ende 1920er Jahre. 

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Ida Bindschedler
Die Turnachkinder im Winter (1909)
Der Weihnachtstag (Auszug)

Zu Hause saß Großmama schon in der blauen Stube. Onkel Alfred war auch da und ging auf und ab.
"Gelt, Onkel, man kann es fast nicht erwarten", sagte Lotti. "Um sechs Uhr läutet's. Wie lang dauert das noch?"
"49 Minuten 37 und eine halbe Sekunde", sagte der Onkel auf die Uhr schauend.
Dann aber setzte er sich ans Klavier und spielte schöne Akkorde. Es klang, als ob Weihnachtsglocken läuteten.
Endlich kam auch Mama mit dem Schwesterlein auf dem Arm und Papa.
Nun sollte Marianne mit ihrem Lied beginnen. Sie drückte die Hände einen Augenblick ineinander und spürte ihr Herz klopfen. Es war so feierlich, wie alle da still im Kreis saßen. Aber dann fing sie an:
"Du lieber, heil'ger, frommer Christ ..."
und sprach die Verse gut und ohne Stocken.
Lotti auch. Nur einmal mahnte Mama leise:
"Nicht so schnell, Lotti!"
Als Hans das schöne Weihnachtsevangelium von den Hirten und dem Lobgesang der Engel aufgesagt hatte, stimmte Onkel Alfred am Klavier das liebe alte Lied an:
"O du fröhliche, o du selige,
Gnadenbringende Weihnachtszeit ... "
Alle sangen mit. Papas und Onkel Alfreds Stimmen klangen wie Orgeltöne.
Dann aber vernahm man plötzlich einen andern Ton: Das helle Weihnachtsglöcklein läutete unten, so stark es vermochte.
"Mama, jetzt - jetzt - !"
Mama nickte lächelnd. "Ja, jetzt!" Die Kinder stürzten hinaus und die Treppe hinunter. Die Türe des Weihnachtszimmers war weit offen. Einen Augenblick blieben alle vier wie geblendet stehen. Strahlend stand der hohe Christbaum da mit seinen Lichtern, seinen farbigen Kugeln, goldenen Nüssen und dem funkelnden Flitter, der über den Ästen hing. So vertraut und doch so zauberhaft, so unbegreiflich schön!
Dann aber machte sich Werner von Mariannes Hand los.
"O, o, Kühe!" rief er in höchstem Jubel und lief in die Ecke, wo man auf einem niedrigen Tischchen seine Sachen aufgebaut hatte.
Und nun war der Bann gebrochen. Hans erblickte seinen Platz rechts vom Christbaum.
"O, o!" rief auch er und zog einen Schlitten heraus, einen festen Schlitten aus schönem glattem Holz, genau wie er sich ihn gewünscht hatte!
"Marianne, sieh wie lang! Da können wir zu dritt sitzen!" Doch Marianne hörte nicht; sie hatte schon ihre Schlittschuhe in der Hand, ein Paar prächtige Schlittschuhe, ganz wie die von Lily Rabus! Marianne wollte sich gleich hinsetzen, um sie an ihrem Fuß zu messen; aber ihre Augen überflogen den Tisch und erblickten neben allerlei Paketen einen Muff und Pelzkragen, und dahinter stand die Puppenstube neu hergerichtet, mit weißen Vorhängen und grünem Tischteppich, drei neuen Puppenkindern und einem Papa in brauner Hausjoppe mit einer Zeitung, und am Fenster war ein Blumentisch. Nein, diese Seligkeit - !
"Lotti, sieh doch!"
Lotti kniete indessen in lautem Entzücken vor einer Wiege, in der ein Wickelkind schlief, mit blonden Härchen und weißem Kittelchen.
"Es macht die Augen auf und zu! O, du Schatz!" rief sie und küsste die Puppe und sah dann hinten über der Wiege den Kramladen! Frisch gestrichen und lockend stand er da mit Quittenwürstchen und Schokoladeschinken, mit Glasbüchsen voll Zuckererbsen, mit kleinen Brotlaiben und einer Menge weißer Tüten. Das Wickelkind im Arm, machte sich Lotti jauchzend an den Laden.
Am lautesten aber ging es in Werners Ecke her. Er kreischte geradezu vor Wonne über seine Kühe und riss an Onkel Alfred, bis dieser sich zu ihm auf den Boden setzte, um die Tiere anzusehen.
"Die heißt - Dachs!" schrie Werner. "Und die ist die böse, die heißt Bär! Und das ist der Bleß - "
Dann lief er hinter den Ofen und erklärte dort dem Pferd, dass es Platz machen müsse, weil jetzt Kühe kommen. Es war auch ein Heubündel da. Werner hatte so zu tun, dass er die Schachtel mit dem Dorf und das Bilderbuch noch gar nicht betrachten konnte.
Hans wusste ebenfalls nicht, wohin sich wenden. Da war ein Buch, das hieß "Das Wunderland der Pyramiden" und hatte eine Menge Bilder von Kriegern, Denkmälern, seltsamen Göttern und Felsengräbern. Das andere Buch trug den Titel "Sigismund Rüstig" - 
"Marianne, das ist ja die prächtige Geschichte, aus der Papa uns schon erzählt hat!"
Aber im selben Augenblick rief Marianne: "Hans, Lotti! seht doch den Christbaum wieder an, wie schön er ist!"
Ja, wenn man nur alles zugleich hätte bewundern können!
Das Schwesterlein nahm sich am meisten Zeit für den Christbaum. Auf Mamas Arm guckte es mit weit offenen Augen unverwandt in die Lichter und fuhr mit den kleinen Fäusten auf und ab vor Erstaunen und Freude.
Balbine, Sophie und Ulrich waren auch hinzugetreten, und da sah man erst, dass Ulrich etwas in der Hand hielt, ein Geschenk für die Kinder, ein Schiff, das er an den Abenden und Sonntagen aus Holz geschnitzt hatte.
"Nein, so etwas Feines, Ulrich!" jubelten die Kinder.
Es war weiß, blau und rot gestrichen und hatte ein Segel und ein bewegliches Steuerruder. Das Ganze war so kunstvoll und sauber gemacht, dass auch die Großen es bewunderten.
"Ulrich, Sie sind ja ein Schiffbauer erster Güte", sagte Onkel Alfred. "Sie gehören auf eine Werft und nicht in die Garnkammer!"
Ulrich lachte verlegen. Er hatte auch einen Gabentisch und freute sich besonders über Lottis Pulswärmer. Aber vergnügt sah er immer wieder hinüber zu Hans, der das schöne Schiff auf seinen Tisch stellte, mitten unter die Herrlichkeiten, die noch gar nicht alle entdeckt waren. Da gab es ein Taschenmesser, warme Winterhandschuhe, ein Reißzeug, mit dunkelblauem Sammet ausgeschlagen, einen Rucksack mit allerlei nützlichen Nebentaschen. Es war fast zu viel. Hans zog Marianne mit Gewalt herüber, dass sie ihm helfe bewundern.
"Ja, Hans, prachtvoll! Reizend!" stimmte Marianne ein. "Aber komm, sieh meinen Malkasten an! Bitte, nur den! Es sind fünfzehn Farben und vier Pinsel!"
Hans besichtigte den Malkasten; als er aber gleich wieder zu seiner Bescherung hinüberlief, holte sich Marianne Balbine, damit sie helfe, das Kommödchen von Großmama betrachten, und die hübsche Schürze, die Zopfbänder, die Gamaschen und das Buch, das "Roland und Elisabeth" hieß, und gewiss wunderschön zu lesen war.
Lotti hatte sich Ulrichs bemächtigt; er musste das Wickelkind besehen, die gefüllte Federschachtel, den kleinen Pumpbrunnen, den Baukasten und den Regenschirm mit einer Troddel wie der von Mama!
Der fröhliche Lärm wurde immer grösser, da nun Papa und Mama, Großmama und Onkel Alfred auch an ihre Tische getreten waren und mit Ausrufen der Freude und Überraschung ihre Geschenke entgegennahmen. Die Kinder liefen von einem zum andern und standen gespannt dabei, wenn ihre kleinen Pakete aufgemacht wurden.
"Alles Blaue mit Silberschnur ist also von mir!" verkündete Lotti.
Mama wickelte das Rumpelstilzchen aus. Großmama war entzückt über Hansens rosa Pappschachtel, in der Mariannes Blumenkarten lagen. Papa aber entdeckte Werners großartiges Geschenk.
"Gelt, Papa, das hast du nicht erraten können!" triumphierte der Kleine, und ruhte nicht, bis der arme Papa ein Stück von dem dicken grauen Springerlein versuchte.
Dann machte Onkel Alfred mit vielen Umständen Mariannes und Lottis Päckchen auf und hob behutsam den Tintenwischer heraus.
"Reizend - !"
"Für die Tinte!" sagte Lotti und sah den Onkel stolz an.
"Tinte - !" wehrte dieser. "Nein, dafür ist dieses Kunstwerk zu kostbar! Höchstens meine Tränen wische ich damit ab - "
"Ach, Onkel, du weinst ja nie!" riefen Marianne und Lotti belustigt.
"Nie - ! Wo ihr mir grade jetzt Tränen der Freude und Rührung entlockt!"
Und Onkel Alfred fuhr sich mit dem Tintenwischer über die Augen; dann aber befestigte er ihn an seinem Knopfloch und erklärte, er werde ihn als Verdienstorden tragen.
In dem Getümmel schoss auch noch Schnauzel hin und her, aufgeregt durch die Lichter, den Lärm und die Wurst, die er geschenkt bekommen hatte. Papa hatte ihm die Hälfte davon gegeben und die andere in die Höhe gehalten.
"Du begreifst, Schnauzel", hatte er gesagt, "wenn du sie jetzt frissest, so hast du morgen nichts mehr."
"Wau!" bellte Schnauzel und wedelte heftig mit dem kurzen Schwanze, was jedenfalls heißen sollte:
Ja, ich begreife; aber ich will sie doch gern heut noch! worauf Papa ihm das zweite Stück aushändigte, damit auch er an diesem Abend seine ganze Freude habe.

Das Jugendbuch „Die Turnachkinder im Winter“ (1909) von Ida Bindschedler (1854-1919) ist vollständig online verfügbar im Projekt Gutenberg.DE

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Linkes Bild: Zwei Mädchen vorm Christbaum. Gemälde von Hedwig Mechle-Grosmann, um 1900. Ausriss.
Rechtes Bild: Mädchen mit Stoffhund vor dem Christbaum, datiert 1936. 
Photographisches Atelier u. Photohandlung Hans Strauss jun. Altötting.

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Mutter zeigt kleinem Jungen vor dem Weihnachtsbaum die Rute.
Fröhliches Weihnachtsfest! Signet. 712/2. Gelaufen. Datiert 1911.

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Paula Dehmel
Bescheidene Frage

Sankt Nikolas, Sankt Nikolas,
bringst du der flinken Grete was?
Sie ist fast immer artig gewesen,
hat fleißig in ihrer Fibel gelesen,
kann das große H schon ganz richtig schreiben,
wird Ostern gewiss nicht sitzen bleiben;
    Sankt Nikolas, Sankt Nikolas,
    schenkst du ihr was?

Sankt Nikolas, Sankt Nikolas,
bringst du dem dicken Peterle was?
Er ist noch zu klein, um zur Schule zu gehn,
aber beten kann er schon wunderschön:
»Lieber Dott, mach alle Menßen dut,
nimm alle unter deinen Hut!«
    Sankt Nikolas, Sankt Nikolas,
    schenkst du ihm was?

Sankt Nikolas, Sankt Nikolas,
bringst du der kleinen Lene was?
Sie gehört der armen Flick-Marie
und hat schon lange ein schlimmes Knie;
zum Spielen kommt sie gar nicht mehr raus,
sieht immer so blass und ängstlich aus.
    Sankt Nikolas, Sankt Nikolas,
    schenkst du ihr was?

Sankt Nikolas, Sankt Nikolas,
ich wünsch mir selber auch noch was:
möcht in der Weihnacht mit dir gehn,
mir all die fröhlichen Kinder besehn,
wie sie tanzen und tuten, knabbern und schlucken
und am strahlenden Christbaum die Wunder angucken.
    Sankt Nikolas, Sankt Nikolas,
    schenkst du mir das?

Paula Dehmel geb. Oppenheimer (1862-1918) hat allein wie auch zusammen mit ihrem Mann, Richard Dehmel, Kindergedichte geschrieben. Sammlungen ihrer Gedichte sind online verfügbar im Projekt Gutenberg.DE.

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Oberes Bild: Am Gabentisch umarmt sich ein jungen Paar.
Amag [Albrecht & Meister, Aktiengesellschaft, Berlin] 61032/4. Nicht gelaufen.
Unteres Bild: Fröhliche Weihnachten. Junges Paar beschenkt sich am Weihnachtsbau.
Amag [Albrecht & Meister, Aktiengesellschaft, Berlin] 65090/3. Beschriftet, aber nicht gelaufen.

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Kurt Tucholsky
Groß-Stadt – Weihnachten

Nun senkt sich wieder auf die heim’schen Fluren
die Weihenacht! die Weihenacht!
Was die Mamas bepackt nach Hause fuhren,
wir kriegens jetzo freundlich dargebracht.

Der Asphalt glitscht. Kann Emil das gebrauchen?
Die Braut kramt schämig in dem Portemonnaie.
Sie schenkt ihm, teils zum Schmuck und teils zum Rauchen,
den Aschenbecher aus Emalch glasé.

Das Christkind kommt! Wir jungen Leute lauschen
auf einen stillen heiligen Grammophon.
Das Christkind kommt und ist bereit zu tauschen
den Schlips, die Puppe und das Lexikohn.

Und sitzt der wackre Bürger bei den Seinen,
voll Karpfen, still im Stuhl, um halber zehn,
dann ist er mit sich selbst zufrieden und im reinen:
„Ach ja, son Christfest is doch ooch janz scheen!“

Und frohgelaunt spricht er vom ‚Weihnachtswetter‘,
mag es nun regnen oder mag es schnein.
Jovial und schmauchend liest er seine Morgenblätter,
die trächtig sind von süßen Plaudereien.

So trifft denn nur auf eitel Glück hieniden
in dieser Residenz Christkindleins Flug?
Min Gott, sie mimen eben Weihnachtsfrieden …
„Wir spielen alle. Wer es weiß, ist klug.“

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Herzliche Weihnachtsgrüße!
Verein für das Deutschtum im Ausland e.V. Weihnachtskarte Nr. 11 von Paul Hey. 
 Geschäftsstelle: Berlin W 62, Kurfürstenstraße 105. 
Graphische Kunstanstalten F. Bruckmann A.-G. München.

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Stille Weihnacht. Tonzeichnung von Th. Volz.
Künstler-Postkarte der Familienzeitschrift "Das Buch für Alle".

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Joachim Ringelnatz
Schenken

Schenke groß oder klein,
Aber immer gediegen.
Wenn die Bedachten
Die Gaben wiegen,
Sei dein Gewissen rein.

Schenke herzlich und frei.
Schenke dabei,
Was in dir wohnt
An Meinung, Geschmack und Humor,
So dass die eigene Freude zuvor
Dich reichlich belohnt.

Schenke mit Geist ohne List.
Sei eingedenk,
Dass dein Geschenk
Du selber bist.

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