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Der Göttinger Hain
Gründung und Mitglieder

Patrick Peters
Schack Hermann Ewald

 

 

Als eines der wenigen Mitglieder des Hainbunds zu Göttingen war Schack Hermann Ewald, dessen etwas seltsam anmutender Vorname Schack sich vom französischen Jacques ableitet, kein Student mehr, als er 1772 Bundesbruder wurde. Der am 6. Februar 1745 geborene Jurist, ausgebildet an der Universität zu Erfurt, war seit 1769 als Advokat (= Anwalt) in seiner Heimatstadt Gotha tätig (wo er am 5. Mai 1822 starb) und kam 1772 als Hofmeister mit einem Studenten an die Göttinger Universität. Dort befreundete er sich mit den zum Teil wesentlich jüngeren Gründungsmitgliedern des Bundes und wurde recht zügig nach seiner Ankunft in den zu jener Zeit noch sehr jungen Hainbund aufgenommen.

 

Die Allgemeine Deutsche Biographie schreibt über diese Aufnahme: Ewald scheint den Göttingern „persönlich werth gewesen zu sein […], obgleich sie sich über die Oden, die er noch 1772  herausgab, sehr abfällig äußern“ (http://de.wikisource.org/wiki/ADB%3AEwald%2C_Schack_Hermann) Diese Aussage trifft besonders auf Johann Heinrich Voß zu, der in einem Brief an seinen Freund und Bundesbruder Ernst Theodor Johann Brückner Schack Hermann Ewalds literarische Versuche folgendermaßen bewertet: „Ewald, ein feuriges Genie, das sich aber zu seinem Unglück von dem windigen Riedel [hat; P. P.] verführen lassen, ungefeilte Oden herauszugeben [...]“ (Voß, Briefe, Band 1, S. 83).

 

Mit dem „windigen Riedel“ ist vermutlich der Erfurter Literaturwissenschaftler und Philosoph Friedrich Justus Riedel gemeint, der mit seiner Theorie der schönen Künste und Wissenschaften 1767 eine „relativistische Ästhetik“ vorgelegt hatte, wie Ulrich Gaier sagt (http://www.philoges.de/images/stories/philoges/hoelderlin_prof_ulrich_gaier.pdf); doch auch ohne genaue Kenntnis des Verhältnisses von Ewald und Riedel können wir die Aussage Vossens, die aus mehreren Teilen besteht, inhaltlich bestimmen. Zuerst einmal ist bemerkenswert, dass Voß seinen Bundesbruder als „feuriges Genie“ bezeichnet. Das wirft helles Licht auf die hohe Meinung, die der Übersetzer der Illias und Odysee vom dem älteren Juristen hat. Genie – das hat nicht jeder, es ist ein großes Lob, wenn einem, in den Anfangsjahren des Sturm und Drang Genie zugesprochen wird. Genie haben heißt: ein von der Natur mit Talenten begünstigter Dichter, der seine Kenntnisse nicht durch Studien erlangt hat, sondern sie einfach besitzt. Dieses Genie befähigt den Menschen, in diesem Falle Schack Hermann Ewald, in der Regel dazu, bedeutende dichterische Leistungen abzuliefern, aus denen man die natürlichen Begabungen deutlich ersehen kann. Diese Beurteilung steht in deutlichem Widerspruch zu der akuten Bewertung des Schaffens des Juristen: Zu seinem „Unglück“ habe sich Ewald dazu verleiten lassen, „ungefeilte Oden herauszugeben“. Voss will damit sagen: Obwohl seine Begabungen etwas anderes hätten vollbringen können, ist nur eine schlechte Sammlung daraus geworden. Ungefeilt, unfertig, unrund seien die Oden des Bundesbruders, nicht Ausdruck eines hohen dichterischen Genies, sondern Beispiel für eine schnelle, kaum richtig bearbeitete lyrische Produktion. Schuld daran, so Voss, ist dieser „windige[.] Riedel“, der Ewald anscheinend dazu gebracht hat, seine Oden zu veröffentlichen, ohne auf die Details, die die Dichtungen des Genies ausmachen, zu achten. Dadurch bilden die Oden, die im Übrigen alle vor dem Eintritt in den Bund – ab 1771, nach der Darstellung in einer Edition der Oden von Schack Hermann Ewald (Gotha 1773) ist kein lyrischer Text mehr von Ewald überliefert, so er denn überhaupt noch welche geschrieben hatte – entstanden sind, einen Kontrapunkt zur Einschätzung Vossens. Genie und nicht ausgefeilte literarische Produktionen gehen nicht zusammen, und der Anlass für die Verfehlung ist rein menschlich: die Beeinflussung durch Riedel. Ewald hat sich scheinbar täuschen lassen und sein Genie hinter die (fehlgegangene) Beziehung zu Riedel zurückgestellt. Das ist für Voss das „Unglück“ – denn lese aus Vossens Aussage über Ewald, dass in einer anderen Konstellation die Oden durchaus hätten etwas werden können, das dem „feurige[n] Genie“ entsprochen hätte und seiner würdig gewesen wäre.

 

Doch was ist der Grund für Vossens Abwertung des wenig umfangreichen Schaffens des Bundesbruders? In meinen Augen genügt ein Blick in die ersten Oden der Sammlung, um die Kritik des auf Kunstfertigkeit und Stil bedachten Voß zu verstehen. Ewalds Oden entsprechen in der formalen Ausführung nicht dem, was Klopstock als Übervater des Bundes in seinen Sammlungen vorgelebt hatte; Nachahmungen der antiken Formen und eine hohe, feierliche Sprache, wie Klopstock sie zum Beispiel in seiner Ode Der Zürchersee zur Perfektion gebracht hatte, finden sich bei Ewald nicht. Seine Nachahmung einer lateinischen Dichtung des Johannes Secundus, Der Abschied des Frühlings (Oden von Schack Hermann Ewald, S. 8ff.), ist eine gutes Beispiel für die 'Formlosigkeit' der Ewaldschen Odenstrophe.

 

Weg ist der Lenz, und Daulia
Klagt nicht mehr Itys Tod;
Hoch auf dem Baume stand sie da,
Der ihr den Wipfel both.

Izt brennt der Krebs im Sonnenstral;
Die müden Hirten ruhn
Mit ihren Heerden, in dem Thal
Der Schattenbaeume nun, ...

Und jeder, der das Sonnenlicht
Um warmen Sommer bath,
Schilt nun die Sonne, dass sie dicht
An unsre Erde trat.

So flieht die Zeit! was heute war,
Sinkt mit dein Tag hinab;
Diess find die Rechte, die dem Jahr
Das Schiksal selber gab.

Dem armen Menschen konnte nie
Der Frühling ewig blühn;
Die guten Götter sind es, die
Wohlthaetig ihn entziehn.

Nur in Elysiens Gefild
Lebt so der Frommen Schaar
Den ew'gen Frühling, der so mild,
Wie ihre Seele war.

Da schlaegt der Hagel nicht die Saat;
Da braust kein Nord, da blaest
Kein Oft; den ewig grünen Pfad
Durchwallt allein der West.'

 

Vom hohen Stil, den die Ode des 18. Jahrhundert auszeichnet, ist hier, wie bereits angedeutet, nicht viel zu sehen. Der in diesem Falle sehr monoton leiernde, streng alternierende Jambus, die gleichartig gebauten Verszeilen (erste und dritte: acht Silben; zweite und vierte: sechs Silben) und die wenig einfallsreichen Kreuzreime vermitteln vielmehr den Eindruck eines höchst konventionellen Gedichts, bei dem es nicht auf Besonderheiten in der Form angekommen ist.  Schaut man sich die gängigen Odenstrophen des 18. Jahrhunderts an, so findet man formal und stilistisch ungemein kunstfertige Texte: Die Asklepiadeische Strophe zum Beispiel, die auf den griechischen Dichter Asklepios zurückgeht, besteht aus zwei zwölfsilbigen Verszeilen, einer sieben- und einer achtsilbigen Verszeile und spielt sehr gekonnt mit metrischen Wechseln, die auch auf antike Verfüße wie den Choriambus (einer direkten Folge von einem Trochäus und einem Jambus) zurückgreifen und grundsätzlich ungereimt sind. Durch diese regelmäßige Vermischung unterschiedlicher Versfüße (1: Trochäus / Choriambus / Choriambus / Jambus; 2: Trochäus / Choriambus / Choriambus / Jambus; 3: Trochäus / Choriambus (katalektisch mit unvollständigem Jambus); 4: Trochäus / Choriambus / Jambus) ist die Asklepiadeische Strophe nicht nur metrisch sehr abwechslungsreich, sondern zeugt auch von einem hohen lyrischen Verständnis des Autors. Das lässt sich von Der Abschied des Frühlings nicht gerade behaupten. Der Ton ist eher anakreontisch, die Naturbilder beziehen sich ebenso auf die Strömung, die in den 1740ern und 1750ern ihren Höhepunkt erlebte, aber noch im Sturm und Drang von einigen Autoren, unter anderem so manchem Hainbündler und auch Goethe, aufgegriffen wurde. Auch inhaltlich bringt Ewalds Text keine große Überraschungen oder schöne lyrische Wendungen mit sich. Es ist eine bildlich stereotype Schilderung des ausklingenden Frühlings und des beginnenden Sommers. Dass nun vor allem Voß sich daran reibt, lässt sich auch aus seiner künstlerischen Biographie heraus verstehen: Immerhin sollte der Hainbündler später, wie oben gesagt, Homers Illias und Odysee in der strengen antiken Hexameter-Form ins Deutsche, was sehr schwierig ist, übertragen. Diese Übersetzung ist auch heute noch gültig.

 

Selbst wenn seine Lyrik nicht zum Besten zählt, was der Hainbund hervorgebracht hat: Ewald muss ein Mitglied gewesen sein, wie die Göttinger sich es nur wünschen konnten! Bei seiner Abschiedsfeier erhoben sich die Hainbündler – auch Gottfried August Bürger war dabei – von den Stühlen und brachten Trinksprüche gegen von ihnen gehasste „Sittenverderber“ (Voß, Briefe, Band 1, S. 94) aus – unter anderem Christoph Martin Wieland, dessen Idris ja auf Klopstocks 50. Geburtstag unrühmlich verbrannt worden war. „Gesundheiten wurden auch getrunken“ (Voß, Briefe, Band 1, S. 93), zuerst auf Klopstock, dann auf Gleim, Ramler, Gerstenberg und andere mehr. Die ganze Schilderung suggeriert den für die Hainbündler typischen vaterländisch-tugendhaften Gestus, der sich dem entsprechend wohl auch auf den Habitus Ewalds übertragen lassen kann. Einem Mann, der diese grundsätzliche Einstellung nicht teilt, wäre trotz seines Abschiedes seitens des Bundes nicht mit diesen Ehren begegnet worden. Das Deutschsein im Sinne der altdeutschen Tugendgebote, die die Hainbündler zur Grundlage ihres Bundes erhoben haben, zeichnet auch Ewald aus; deshalb ist er ihnen  „persönlich werth gewesen“, wie die Allgemeine Deutsche Biographie schließlich schreibt. Die Feier spiegelt also den Charakter des scheidenden Mitglieds wider.

 

Kurz nach diesem Abend verließ er Göttingen und kehrte nach Gotha zurück, wo er 1780 Registrator beim Hofmarschallamt, 1784 Hofmarschallamtssekretär, 1798 Hofsekretär und 1803 sachsen-gothaischer Rat wurde. Zudem war er von 1774 bis 1804 Herausgeber der Gothaische Gelehrten-Zeitung.

 

Wie viele seiner Bundesbrüder engagierte sich Schack Hermann Ewald auch in Freimaurerlogen. In Gotha wurde er am 31. August 1778 Mitglied in den Logen „Ernst zum Kompass“ und „Zum Rautenkranz“, verfasste zahlreiche Freimaurerlieder, einen Texte über die Geschichte der Gothaer Logen und betätigte sich auch sonst als Autor auf dem Gebiet der Mysterien (Eleusis, über den Ursprung und Zweck der alten Mysterien). Unter dem Namen Cassiodor wurde er 1786 in der von Adam Weißhaupt gegründeten Vereinigung der Illuminaten aufgenommen.

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