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Der Göttinger Hain
Gründung und Mitglieder

Patrick Peters
Johann Ludwig Thomas Wehrs

 

Einer der „seldom mentioned members“ des Göttinger Hainbunds ist Thomas Ludwig Wehrs. Er wurde 1751 in Göttingen als Sohn des Licent-Kontrolleurs Johann Ludwig Wehrs geboren und starb nicht einmal 60-jährig im Januar 1811 in Isernhagen bei Hannover. Dort war der studierte Theologe Wehrs seit 1788 Pastor, nachdem er zuvor seit 1780 in Kirchhorst (ebenfalls nahe Hannover gelegen) seinen Dienst als Pastor versehen hatte. Eine kurze Skizze seines Charakters liegt uns im Eintrag zu Wehrs in der Allgemeinen Deutschen Biographie vor.

Er war ein Mann […] der vielen Geschmack, sehr viele Kenntnisse und besonders historische, und Kenntniß der französischen, englischen und italienischen Sprache besaß. In seinen früheren Jahren hat er mehrere kleine Schriften philosophischen Inhalts herausgegeben. Als Burgdorf abgebrannt war, zeigte er sich sehr menschenfreundlich, indem er den Abgebrannten Schinken, Bröde und Wein selbst mit sehr vieler Theilnahme brachte. Er hat eine kinderlose Ehe geführt.

(„Wehrs, Johann Thomas Ludwig“ von Max Mendheim, in: Allgemeine Deutsche Biographie, hg. v. d. Hist. Komm. bei d. Bayerischen Akademie d. Wissenschaften, Band 41 (1896), S. 440—441, hier S. 441; Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: http://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wehrs,_Johann_Thomas_Ludwig&oldid=988338)

 

Wehrs gehörte in jener geschichtsträchtigen Nacht des 12. September 1772 zu den Gründungsmitgliedern des Hainbundes, sein Bardenname der Bundesversammlungen war Reimund bzw. Raimund. Besondere Qualität innerhalb des Bundes gewann Wehrs zudem durch seine enge Freundschaft zu Ludwig Christoph Heinrich Hölty: Der junge Dichter starb am 1. September 1776 in Wehrs Armen (vgl. Kelletat, Der Göttinger Hain, S. 396). Dafür ist er als Dichter nicht in Erscheinung getreten: Einzig im Göttinger Musenalmanach von 1777 ist ein Gedicht von ihm enthalten, sonst ist nichts erhalten. Der Text „Liebespein. Im May 1774“ im Musenalmanach auf das Jahr 1777 ist mit „W-r-s“ unterzeichnet und wird eindeutig Thomas Wehrs zugeordnet. Zwar ist im Vossischen Musenalmanach von 1776 ein Text verzeichnet, der mit „W-s“ gezeichnet ist; er ist aber „nicht mit Sicherheit als sein [Wehrs; P. P.] Werk zu bezeichnen“ („Wehrs“, in: ADB, S. 441). Johann Heinrich Voß drückte sich, in der er ihm ganz eigenen, offenen Art in einem Brief an Brückner folgendermaßen aus:

Von Wehrs hab‘ ich Ihnen schon gesagt. Er hat Geschmack, aber nicht Feuer genug, den Flug des Gesanges zu wagen. Seine Versuche sind matt.

(Johann Heinrich Voß: Briefe. Nebst erläuternden Beilagen herausgegeben von Abraham Voß. Erster Band. Zweite unveränderte Auflage. Leipzig 1840, S. 89)

Thomas Wehrs erscheint uns, ausgehend von diesem Brief Vossens, mit dem er freilich durch die gemeinsamen Bundeserlebnisse gut bekannt war, mehr als ein Mensch, der beurteilt, der prüft und kritisiert als einer, der selbst zur Feder greift, um Lyrik zu Papier zu bringen. „Matt“ seien seine Versuche, schreibt Voß, und in dieser Beurteilung steckt eine massive Abwertung des lyrischen Schaffens Wehrs: Gerade die poetische Schöpferkraft ist ja wichtig zur Zeit der Göttinger Hainbündler, deren dichterisches Werk ja in die Hochzeit des Sturm und Drang fällt und die in zahlreichen Gedichten den „Genius“ oder das „Genie“ als Sinnbild für ihre entfesselte Schöpferkraft anrufen und zum Thema machen. Da passt „matte“ Lyrik, um in Vossens Duktus zu bleiben, natürlich nicht hinein, und dies mag ein Grund dafür sein, dass es bei Wehrs bei wenigen Versuchen, von denen nur einer überliefert ist, geblieben und er als Dichter der Geniezeit nicht in Erinnerung geblieben ist.


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