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Der Göttinger Hain
Gründung und Mitglieder

Patrick Peters
Johann Friedrich Hahn


Johann Friedrich Hahn gehört nicht nur zu den wenig bekannten Mitgliedern des studentischen Hainbunds, sondern auch zu dessen traurigsten Gestalten. Der am 28. Dezember 1753 als Sohn eines Oberappellationsgerichtsrates in Gießen Geborene, starb bereits am 30. Mai 1779 verarmt und in geistiger Umnachtung und damit als jüngster Hainbündler überhaupt (der schwindsüchtige Hölty starb als Zweitjüngster mit 28 Jahren). In einem Brief an den engen Hahn-Freund Johann Heinrich Voß bezeichnet Johann Martin Miller Hahn als „unglaubliche[n] Hypochondrist[en]“ (zit. nach http://de.wikisource.org/wiki/ADB:Hahn,_Johann_Friedrich) und legt so Zeugnis von der Verfassung des Mitbegründers des Bundes ab. In Göttingen studierte Johann Friedrich Hahn ab 1771 zuerst Jura, dann Theologie; gemeinsam mit Friedrich Leopold Graf zu Stolberg wurde er 1774 in der Hamburger Freimaurerloge „Zu den drei Rosen“ aufgenommen, kurze Zeit später mitbegründete er in Göttingen die Loge „Zum goldenen Zirkel“.

Seine Rolle für den Bund ist – obgleich er von der Nachwelt kaum gelesen und noch weniger gewürdigt wurde und wird (die einzige Edition der wenigen erhaltenen Gedichte stammt von Carl Redlich und bietet nur einen Querschnitt: „Gedichte und Briefe von Johann Gottfried Hahn“, in: Beiträge zur deutschen Philologie (1880), S. 243—266) –  nicht gering zu schätzen. Immer wurde er „im Göttinger Hain als ein herausragendes Dichtergenie geachtet“ (Kahl, Bundesbuch, S. 391). Erich Schmidt schreibt in der Allgemeinen Deutschen Biographie, Hahn sei „viel bewundert [und] angesungen worden“ (http://de.wikisource.org/wiki/ADB:Hahn,_Johann_Friedrich). Gerade dieses „Ansingen“ möchte ich in einem ersten Schritt behandeln, bevor ich dann auf sein eigenes lyrisches Schaffen – jeweils exemplifiziert an einem Gedicht – eingehe.

Hahn, dessen bardischer Bundesname Teuthard war (damit spielten die Studenten auf seine stramme deutschnationale Gesinnung an – die mythologische Figur Teut bzw. Tuiskon wird als Stammvater der Deutschen gesehen –, die auch in den Texten über und von Hahn Ausdruck findet), war Empfänger von Gedichten anderer Hainbündler. Ein Beispiel ist Höltys Ode An Teuthard (Hölty, Gesammelte Werke und Briefe, S. 106). Hierin präsentiert eine nicht näher konkretisierte Sprechinstanz, die wir aber wohl durch die Widmung mit dem Autor und Bundesbruder Hölty identifizieren können, als einen „Sänger der Tugend“ (21). Hahn ist also ein Sänger, ein neuer germanischer Barde in der Tradition des nordisch-germanischen Dichtergottes Braga, der Kunst schafft, und zwar insbesondere solche, die einem deutschen Nationalgedanken zuträglich ist. Dies wird deutlich, schaut man auf den Kontext dieser Bezeichnung: „Schwing deine Geißel, Sänger der Tugend, schwing / Die Feuergeißel, welche die Braga gab, / Den Natternschwarm, der unsre deutsche / Redligkeit, Keuschheit und Treue tödtet, / Zurückzustäupen. […]“ (21—25) Hahn/Teuthard tritt mit seinen Liedern, die einer „Feuergeißel“ (22) gleichgesetzt werden, gegen den „Natterschwarm“ (23) an, der die „deutsche / Redlichkeit, Keuschheit und Treue tödtet“ (23—24). Die Kunst bekommt also einen eindeutig vaterländischen und kämpferischen Bezug, indem sie eine Schutzfunktion über den deutschen Tugendbereich erhält: Durch das Lied tritt der Barde gegen alles Undeutsche, das schlechterdings als unmoralisch verdammt wird, an und baut es als Schutzschild, als Schildwall auf. Das Deutsche ist redlich, keusch und treu, währenddessen der Feind Deutschlands sehr hässlich und ehrabschneidend als „Natternschwarm“ bezeichnet wird. Diese Nattern sind die „Gallier[.]“ (19), also Franzosen, die Lieblingsfeinde der Hainbündler in jedem lyrischen Diskurs – und damit schließt sich der Kreis zum „Sänger der Tugend“. Der Franzose zeichnet sich negativ durch „Buhlersang“ (18; i. e. Lüsternheit, Anzüglichkeit, auf negative Weise werbend) aus, und seine Lieder werden als „tändelnde Silberaccorde“ (20) abgewertet. Den französischen Wollustsängern tritt der deutsche Tugendbarde Hahn entgegen, der in Inhalt und Gestus absolut unfranzösisch ist. Somit kann man abschließend feststellen, dass Hahn als Deutscher und Künstler von seinem Bundesbruder angesehen und präsentiert wird; zwei Elemente, die zudem grundlegend für das Selbstverständnis des Göttinger Hainbunds sind.

Wir bleiben auch beim Beispiel des Hahn’schen Schaffens im Bereich der Widmungsgedichte. Seine undatierte Ode Teuthard an Minnehold („Gedichte und Briefe von Johann Friedrich Hahn“, S. 245—246) richtet sich aus bardischer Perspektive an den Bundesbruder Johann Martin Miller. Der Text führt den Bundesdiskurs, der in der Dichtung der Hainbündler virulent ist: Hahn beschreibt die Ausrichtung der studentischen Gruppierung hinsichtlich einer spezifisch deutschnationalen Konstitution. „Tuiskons sohn“ (13), „im biederstamme Teuts“ (1) und „mein herz ist deutsch, und deutsch mein herz“ (25) sind typisch-programmatische Begriffe, die den betont deutschen Habitus exemplifizieren. Welche Bedeutung der Bund für Hahn selbst hat, lässt sich aus der zweiten Strophe erschließen: „Noch schloss ein wort voll ernst, und laut / Ein handschlag drauf der herzen bund; / Und ewig war der bund.“ (4—6) Hahn beschwört die eherne, ewige Festigkeit des Männerbundes und erhebt das temporäre Konstrukt damit in eine (freilich rein fiktionale) überzeitliche Ebene. Weiterhin bestätigt Hahn das ihm auch von Hölty zugesprochene vorbildliche Merkmal der Frankophobie. Schon in der ersten Strophe zerlegt er den höfischen Gestus des „höfling[s] mit gesalbtem haar“ (2); diese Ausdrucksweise ist typisch für die Abwertung und Beschreibung typisch französischer Verhaltensweisen bei den Hainbündlern. Ihren Höhepunkt findet der antifranzösische Gesang dann in der dritten Strophe: „Dann kam er übern Rhein, der knecht / Des Burbon, stets der liebe schwur / Im mund, im herzen fluch.“ (7—9) Unehrlichkeit und Unfreiheit sind die Merkmale, mit denen der Franzose identifiziert und damit dem Deutschen diametral gegenübergestellt wird.

Das bündische Thema Verlässlichkeit gegenüber Freunden und ihre Identifikation mit dem Deutschen kommen auch in einem Brief an Friedrich Müller heraus. Am 23. Dezember 1773 schreibt Hahn, er müsse für seine „nachlässigkeit nach altdeutschem brauch“ („Gedichte und Briefe von Johann Friedrich Hahn“, S. 251) bestraft werden. Nachlässigkeit ziemt sich für den Deutschen nicht, will Hahn uns damit sagen – und  das zeigt, wie eng Leben und Werk des jung Verstorbenen mit der Kategorie Vaterland verknüpft war.


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