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Jutta Assel | Georg Jäger

Das Märchen vom Schlaraffenland

Eine Postkartenserie von Oskar Herrfurth
und weitere Illustrationen

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Stand: Februar 2021

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Utopien, das Land Nirgendwo, Schlaraffenland, - ein zum Scherz erdachtes Reich, in dem sich für den Faulen alle Vortrefflichkeiten der Welt aufgehäuft vorfinden: Teiche voll gesottener Fische, Wild, welches gleich zur Mahlzeit zubereitet umherläuft etc. Daher Utopist, Jemand, der will, daß ihm die gebratenen Tauben in den Mund fliegen sollen; und utopisch so viel wie nirgendwo, gar nicht da seiend.

Damen Conversations Lexikon. Herausgegeben von Carl Herloßsohn. Neusatz und Faksimile der 10-bändigen Ausgabe Leipzig 1834 bis 1838 (Digitale Bibliothek; 118) Berlin: Directmedia 2005, S. 11.122.

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Gliederung

1. Die Postkartenserie von Oskar Herrfurth
2. Das Märchen in der Fassung der Brüder Grimm
3. Das Märchen in der Fassung Ludwig Bechsteins
4. Hoffmann von Fallersleben: Vom Schlaraffenlande.
Mit vier Illustrationen von Ludwig Richter
5. Franz von Gaudy: Das Märchen vom Schlaraffenlande
6. Kurzbiographie zu Oskar Herrfurth
7. Rechtlicher Hinweis und Kontaktadresse

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1. Die Postkartenserie von Oskar Herrfurth

Wiedergegeben wird die Serie 354, Nr. 5086-5091, der Firma Uvachrom. (In den 1920er Jahren firmiert die Firma als >Verlag der Uvachrom Union Aktiengesellschaft für Farbenfotografie<, mit Hauptsitz in Wien.) Die Bilder sind mit "O. Herrfurth" signiert. Karten nicht gelaufen. Der Text auf der Rückseite wird den Bildern beigegeben.

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1. Vom sagenhaften Schlaraffenland wird erzählt, dass alle Brunnen voll besten Weines und voll Champagner sind, die jedem nur in's Maul hineinlaufen, wenn er es hinhält. Die Häuser sind mit Eierkuchen bedeckt, die Wände aus Lebkuchen, die Balken aus Schweinebraten, die Zäune aus Bratwürsten geflochten. Dahin würde mancher gerne auswandern, wenn er nur wüßte, wo das Schlaraffenland liegt.

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2. Im schönen Schlaraffenland fliegen die Vögel gebraten in der Luft herum, ja sogar direkt in's Maul, wenn man es aufmacht. Die Bäume tragen Würste und Schinken, die Sträucher knusperige Brötchen, die Käse wachsen wie Steine. Spanferkel laufen gebraten umher und tragen auf dem Rücken sogar Messer und Gabel. In den Bächen fließt Milch und Honig und ein echter Schlaraff braucht nur Bst! Bst! zu machen, so kommen die gebratenen Fische in die Hand.

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3. Damen haben es im Schlaraffenland besonders herrlich. Im Walde hängen auf Bäumen die schönsten Kleider, vom Hemd bis zum Mantel, in allen Farben und Stoffen. Die Sträucher tragen Perlen, Broschen und Ringe. Feinste Stiefel und Schuhe, Hüte und Mützen gibt's im Tannenwald. Was wollen die schönen Frauen mehr?

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4. Auch im Schlaraffenland wird man alt und häßlich. Aber auch dagegen hat man ein Mittel, den Jungbrunnen oder die Alt-Weiber-Mühle. Alte Frauen kommen in das Jungbad für drei Tage. Dann sind sie wieder jung und schön wie Mädchen von achtzehn Jahren, so daß eitel Freude herrscht, wenn sie wie neugeboren vom Mann nach Hause getragen werden.

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5. Wer im Schlaraffenland am meisten essen, trinken, spielen und schlafen kann, wer der Gefräßigste und Faulste zugleich ist, wird König. Er braucht sich nur auf seinen Thron zu setzen und sich zu füttern lassen, bis er einschläft. Wer will König von Schlaraffenland werden?

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6. Wo ist das Schlaraffenland? Nur ein Blinder kann den Weg zeigen. Zuletzt steht der Sucher vor einer berghohen Mauer aus Reisbrei, die um das ganze Land geht. Wer hinein will, der muß sich erst durchfressen. Wer will's probieren?

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2. Das Märchen in der Fassung der Brüder Grimm

Das Märchen vom Schlauraffenland

In der Schlauraffenzeit, da ging ich und sah, an einem kleinen Seidenfaden hing Rom und der Lateran, und ein fußloser Mann, der überlief ein schnelles Pferd, und ein bitterscharfes Schwert, das durchhieb eine Brücke. Da sah ich einen jungen Esel mit einer silbernen Nase, der jagte hinter zwei schnellen Hasen her, und eine Linde, die war breit, auf der wuchsen heiße Fladen. Da sah ich eine alte dürre Geiß, trug wohl hundert Fuder Schmalzes an ihrem Leibe und sechzig Fuder Salzes. Ist das nicht gelogen genug?

Da sah ich zackern einen Pflug ohne Ross und Rinder, und ein jähriges Kind warf vier Mühlensteine von Regensburg bis nach Trier und von Trier hinein in Straßburg, und ein Habicht schwamm über den Rhein: das tat er mit vollem Recht. Da hört ich Fische miteinander Lärm anfangen, dass es in den Himmel hinaufscholl, und ein süßer Honig floss wie Wasser voll einem tiefen Tal auf einen hohen Berg; das waren seltsame Geschichten.

Da waren zwei Krähen, mähten eine Wiese, und ich sah zwei Mücken an einer Brücke bauen, und zwei Tauben zerrupften einen Wolf, zwei Kinder, die wurfen zwei Zicklein, aber zwei Frösche droschen miteinander Getreid aus. Da sah ich zwei Mäuse einen Bischof weihen, zwei Katzen, die einem Bären die Zunge auskratzten. Da kam eine Schnecke gerannt und erschlug zwei wilde Löwen. Da stand ein Bartscherer, schor einer Frauen ihren Bart ab, und zwei säugende Kinder hießen ihre Mutter stillschweigen. Da sah ich zwei Windhunde, brachten eine Mühle aus dem Wasser getragen, und eine alte Schindmähre stand dabei, die sprach, es wäre recht. Und im Hof standen vier Rosse, die droschen Korn aus allen Kräften, und zwei Ziegen, die den Ofen heizten, und eine rote Kuh schoss das Brot in den Ofen.

Da krähte ein Huhn: »Kikeriki, das Märchen ist auserzählt, kikeriki.«

Online verfügbar im Projekt Gutenberg.DE. Vgl. Brüder Grimm: Kinder- und Hausmärchen. Ausgabe letzter Hand mit den Originalanmerkungen der Brüder Grimm. Mit einem Anhang sämtlicher, nicht in allen Auflagen veröffentlichter Märchen und Herkunftsnachweisen hrsg. von Heinz Rölleke (Universal-Bibliothek; 3191-3193) 3 Bde. Stuttgart: Reclam 1980. Text Bd. 2, S. 275f.; Anmerkung Grimms Bd. 3, S.251-254.

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3. Das Märchen in der Fassung Ludwig Bechsteins

Das Märchen vom Schlauraffenland

Hört zu, ich will euch von einem guten Lande sagen, dahin würde mancher auswandern, wüsste er, wo selbes läge und eine gute Schiffsgelegenheit. Aber der Weg dahin ist weit für die Jungen und für die Alten, denen es im Winter zu kalt ist und zu heiß im Sommer. Diese schöne Gegend heißt Schlauraffenland, auf Welsch Cucagna, da sind die Häuser gedeckt mit Eierfladen, und Türen und Wände sind von Lebzelten, und die Balken von Schweinebraten. Was man bei uns für einen Dukaten kauft, kostet dort nur einen Pfennig. Um jedes Haus steht ein Zaun, der ist von Bratwürsten geflochten und von bayr'schen Würsteln, die sind teils auf dem Rost gebraten, teils frisch gesotten, je nachdem sie einer so oder so gern isst. Alle Brunnen sind voll Malvasier und andre süße Weine, auch Champagner, die rinnen einem nur so in das Maul hinein, wenn er es an die Röhren hält. Wer also gern solche Weine trinkt, der eile sich, dass er in das Schlauraffenland hineinkomme.

Auf den Birken und Weiden da wachsen die Semmeln frischbacken, und unter den Bäumen fließen Milchbäche; in diese fallen die Semmeln hinein und weichen sich selbst ein für die, so sie gern einbrocken; das ist etwas für Weiber und für Kinder, für Knechte und Mägde! Holla Grethel, holla Steffel! Wollt ihr nicht auswandern? Macht euch herbei zum Semmelbach, und vergesst nicht, einen großen Milchlöffel mitzubringen.

Die Fische schwimmen in dem Schlauraffenlande obendrauf auf dem Wasser, sind auch schon gebacken oder gesotten, und schwimmen ganz nahe am Gestade; wenn aber einer gar zu faul ist und ein echter Schlauraff, der darf nur rufen bst! bst! - so kommen die Fische auch heraus aufs Land spaziert und hüpfen dem guten Schlauraffen in die Hand, dass er sich nicht zu bücken braucht.

Das könnt ihr glauben, dass die Vögel dort gebraten in der Luft herum fliegen, Gänse und Truthähne, Tauben und Kapaunen, Lerchen und Krammetsvögel, und wenn es zu viel Mühe macht, die Hand danach auszustrecken, dem fliegen sie schnurstracks ins Maul hinein. Die Spanferkel geraten dort alle Jahre überaus trefflich; sie laufen gebraten umher und jedes trägt ein Tranchiermesser im Rücken, damit, wer da will, sich ein frisches saftiges Stück abschneiden kann.

Die Käse wachsen in dem Schlauraffenlande wie die Steine, groß und klein; die Steine selbst sind lauter Taubenkröpfe mit Gefülltem, oder auch kleine Fleischpastetchen. Im Winter, wenn es regnet, so regnet es lauter Honig in süßen Tropfen, da kann einer lecken und schlecken, dass es eine Lust ist, und wenn es schneit, so schneit es klaren Zucker, und wenn es hagelt, so hagelt es Würfelzucker, untermischt mit Feigen, Rosinen und Mandeln.

Im Schlauraffenland legen die Rosse keine Rossäpfel, sondern Eier, große, ganze Körbe voll, und ganze Haufen, so dass man tausend um einen Pfennig kauft. Und das Geld kann man von den Bäumen schütteln, wie Kästen (gute Kastanien). Jeder mag sich das Beste herunterschütteln und das minder Werte liegen lassen.

In dem Lande hat es auch große Wälder, da wachsen im Buschwerk und auf Bäumen die schönsten Kleider: Röcke, Mäntel, Schauben, Hosen und Wämser von allen Farben, schwarz, grün, gelb (für die Postillons), blau oder rot, und wer ein neues Gewand braucht, der geht in den Wald, und wirft es mit einem Stein herunter, oder schießt mit dem Bolzen hinauf. In der Heide wachsen schöne Damenkleider von Sammet, Atlas, Gros de Naples, Barège, Madras, Taft, Nanking u.s.w. Das Gras besteht aus Bändern von allen Farben, auch ombriert. Die Wachholderstöcke tragen Broschen und goldne Chemisett- und Mantelettnadeln und ihre Beeren sind nicht schwarz, sondern echte Perlen. An den Tannen hängen Damenuhren und Chatelaines sehr künstlich. Auf den Stauden wachsen Stiefeln und Schuhe, auch Herren- und Damenhüte, Reisstrohhüte mit Marabouts und allerlei Kopfputz mit Paradiesvögeln, Kolibris, Brillantkäfern, Perlen, Schmelz und Goldborten verziert.

Dieses edle Land hat auch zwei große Messen und Märkte mit schönen Freiheiten. Wer eine alte Frau hat und mag sie nicht mehr, weil sie ihm nicht mehr jung genug und hübsch ist, der kann sie dort gegen eine junge und schöne vertauschen und bekommt noch ein Draufgeld. Die alten und garstigen (denn ein Sprichwort sagt: wenn man alt wird, wird man garstig) kommen in ein Jungbad, damit das Land begnadigt ist; das ist von großen Kräften; darin baden die alten Weiber etwa drei Tage oder höchstens vier, da werden schmucke Dirnlein daraus von siebzehn oder achtzehn Jahren.

Auch viel und mancherlei Kurzweil gibt es in dem Schlauraffenlande. Wer hier zu Lande gar kein Glück hat, der hat es dort im Spiel und Lustschießen, wie im Gesellenstechen. Mancher schießt hier alle sein Lebtag nebenaus und weit vom Ziel, dort aber trifft er, und wenn er der Allerweiteste davon wäre, doch das Beste. Auch für die Schlafsäcke und Schlafpelze, die hier von ihrer Faulheit arm werden, dass sie Bankrott machen und betteln gehen müssen, ist jenes Land vortrefflich. Jede Stunde Schlafens bringt dort einen Gulden ein, und jedesmal Gähnen einen Doppeltaler. Wer im Spiel verliert, dem fällt sein Geld wieder in die Tasche. Die Trinker haben den besten Wein umsonst, und von jedem Trunk und Schlung drei Batzen Lohn, sowohl Frauen als Männer. Wer die Leute am besten necken und aufziehen kann, bekommt jeweil einen Gulden. Keiner darf etwas umsonst tun, und wer die größte Lüge macht, der hat allemal eine Krone dafür.

Hier zu Lande lügt so mancher drauf und drein, und hat nichts für diese seine Mühe; dort aber hält man Lügen für die beste Kunst, daher lügen sich wohl in das Land allerlei Prokura-, Dok- und andre toren, Rosstäuscher und die ***r Handwerksleute, die ihren Kunden stets aufreden und nimmer Wort halten.

Wer dort ein gelehrter Mann sein will, muss auf einen Grobian studiert haben. Solcher Studenten gibt's auch bei uns zu Lande, haben aber keinen Dank davon und keine Ehren. Auch muss er dabei faul und gefräßig sein, das sind drei schöne Künste. Ich kenne einen, der kann alle Tage Professor werden.

Wer gern arbeitet, Gutes tut und Böses lässt, dem ist jedermann dort abhold, und er wird Schlauraffenlandes verwiesen. Aber wer tölpisch ist, gar nichts kann, und dabei doch voll dummen Dünkels, der ist dort als ein Edelmann angesehen. Wer nichts kann, als schlafen, essen, trinken, tanzen und spielen, der wird zum Grafen ernannt. Dem aber, welchen das allgemeine Urteil als den Faulsten und zu allem Guten Untauglichsten erkannt, der wird König über das ganze Land, und hat ein großes Einkommen.

Nun wisst ihr des Schlaraffenlandes Art und Eigenschaft. Wer sich also auftun und dorthin eine Reise machen will, aber den Weg nicht weiß, der frage einen Blinden; aber auch ein Stummer ist gut dazu, denn der sagt ihm gewiss keinen falschen Weg.

Um das ganze Land herum ist aber eine berghohe Mauer von Reisbrei. Wer hinein oder heraus will, muss sich da erst überzwerch durchfressen.

Ludwig Bechstein: Deutsches Märchenbuch. Mit den Stahlstichen von Carl Wilhelm Schurig und Andreas Wolfgang Brennhäuser und ausgewählten Holzschnitten nach Originalzeichnungen von Ludwig Richter. Hrsg. von Hans-Heino Ewers (Universal-Bibliothek; 9483) Stuttgart: Reclam 1996. Hier S. 272-275. Das "Deutsche Märchenbuch" erschien 1845.

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4. Hoffmann von Fallersleben:
Vom Schlaraffenlande

Mit vier Illustrationen von Ludwig Richter

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Kommt, wir wollen uns begeben
Jetzo ins Schlaraffenland!
Seht, da ist ein lustig Leben,
Und das Trauern unbekannt.
Seht, da lässt sich billig zechen
Und umsonst recht lustig sein:
Milch und Honig fließt in Bächen,
Aus den Felsen quillt der Wein.

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Alle Speisen gut geraten,
Und das Finden fällt nicht schwer.
Gäns' und Enten geh'n gebraten
Überall im Land umher.
Mit dem Messer auf dem Rücken
Läuft gebraten jedes Schwein.
O, wie ist es zum Entzücken!
Ei, wer möchte dort nicht sein!

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Und von Kuchen, Butterwecken
Sind die Zweige voll und schwer;
Feigen wachsen in den Hecken,
Ananas im Busch umher.
Keiner darf sich müh'n und bücken,
Alles stellt von selbst sich ein.
O, wie ist es zum Entzücken!
Ei, wer möchte dort nicht sein!

Und die Straßen aller Orten,
Jeder Weg und jede Bahn
Sind gebaut aus Zuckertorten,
Und Bonbons und Marzipan.
Und von Brezeln sind die Brücken
Aufgeführt gar hübsch und fein.
O, wie ist es zum Entzücken!
Ei, wer möchte dort nicht sein!

Ja, das mag ein schönes Leben
Und ein herrlich Ländchen sein!
Mancher hat sich hinbegeben,
Aber Keiner kam hinein.
Ja, und habt ihr keine Flügel,
Nie gelangt ihr bis ans Tor,
Denn es liegt ein breiter Hügel
Ganz von Pflaumenmus davor.

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August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798-1874): Kinderlieder. Deutsche Literatur von Luther bis Tucholsky. Großbibliothek (Digitale Bibliothek; 125) Berlin: Directmedia 2005, S. 265.216 f.

Illustrationen: Ludwig Richter-Hausbuch. Hrsg. von F.A. Fahlen. Leipzig: Georg Wigand o.J., S. 114.

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5. Franz von Gaudy
Das Märchen vom Schlaraffenlande

So ritt ich jüngst hinaus zum Thor,
Und brummte mir ein Liedlein vor.
   Schlaff hing herab der Zügel;
Nicht Schenkeldruck, nicht Eisensporn
Empfand das Roß; durch Wies‘ und Dorn
   Ging’s über Berg und Hügel.
Da blickt‘ ich auf, sah rings mich um,
Und fand mich, vor Verwundrung stumm,
   Statt in dem heim’schen Sande,
   In dem Schlaraffenlande.

Was stets erzählt von der Provinz,
Sind Fabeln, eitle Lügen sind's,
   Und nicht ein Wort zu glauben.
Ich spürte nichts vom Rheinweinstrom,
Vom Austernbaum, vom Tortendom,
   Nichts von gebrat'nen Tauben,
Doch was ich wundersamer fand,
War, daß jenem sel'gen Land
   An Weisheit, Duldung, Sitten,
   Die Menschheit vorgeschritten.

Erst kam ein Steuer-Offiziant,
der klopfte lächelnd mit der Hand
   An meine leere Tasche,
Und sprach: Spaziert nur dreist herein,
Verpönt in unserm Reich allein
   Sind Schnürbrust und Kamasche.
Und ein Gendarm rief: Scheut Euch nicht,
Raucht, wenn auch längst uns, laut Bericht,
   Die Cholera verlassen,
   Raucht dreist auf allen Gassen.

Und Einer von der Polizei
Rief: Freund, bei uns da spricht man frei,
   Und Keiner soll's uns wehren,
Nur laßt mir Jeden was er ist,
Den Juden Jud, den Christen Christ -
   Wir hassen das Bekehren.
Beim Kardinal-Legaten stand
Ein Dorfpastor, drückt' ihm die Hand,
   Und fragte: wie das Taufen
   Bei ihm jüngst abgelaufen?

Umdrängt von Müßigen, begann
Sein Lied ein lust'ger Leiermann;
   Er sang von fernem Lande,
Dort fehlt's an Schreibefingern schier,
Dort fehlt's an Lumpen zu Papier,
   Für all'die Tint' am Sande.
Er sang von einem Steinpalast,
Der kaum die Aktenstöße faßt.
   Der lügt doch, scholl's im Kreise,
   Fast unverschämter Weise.

Er sang: in jenem Lande sei
Nur Luft und Wasser steuerfrei,
   Und glücklich nur die Todten.
Da rief das Volk: Nein, Spaß ist Spaß,
Auch im Aufschneiden hält man Maaß,
   Doch ihr lügt wie nach Noten. -
Da stieß mein Roß an einen Stein,
Ich wachte auf, ich saß allein,
   Statt im Schlaraffenlande,
Tief, ellentief im Sande.

Erstdruck: Deutscher Musenalmanach. Hrsg. von Th. Echtermeyer und a. Ruge, Berlin 1840, S. 5-8. Der Text wurde uns von Dr. Doris Fouquet-Plümacher, Herausgeberin der "Ausgewählten Werke" von Gaudy, zur Verfügung gestellt.

Franz von Gaudy (1800–1840) war ein spätromantischer und realistischer Schriftsteller im Vormärz. Er schrieb Prosa – Novellen, Erzählungen, Reiseberichte – sowie Gedichte, Balladen und Romanzen, hatte eine ausgeprägt satirische Ader und war dank seines geschulten Sprachgefühls ein ausgezeichneter Übersetzer aus dem Französischen und Polnischen. Zu seiner Zeit im literarischen Deutschland geachtet und viel gelesen, ist er heute zu Unrecht weitgehend vergessen. (Olms, Verlagsverzeichnis)

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Oskar Herrfurth im Goethezeitportal

Münchhausens Abenteuer
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Der Rattenfänger von Hameln
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Die Bremer Stadtmusikanten
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Der Wolf und die sieben Geißlein
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Das Marienkind
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Die sieben Raben
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Die Heinzelmännchen
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Der kleine Däumling
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Eulenspiegel
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6. Kurzbiographie zu Oskar Herrfurth

Oskar Herrfurth, geb. 1862 in Merseburg, gest. 1934 in Hamburg, war ein deutscher Maler und Illustrator. Seine Ausbildung erhielt er an der Kunstschule in Weimar, in Weimar lebte er auch viele Jahre, später dann in Hamburg. Er malte Genrebilder sowie Märchen- und Sagenbilder, die auch in Postkartenserien erschienen. Er illustrierte Märchen der Brüder Grimm, von H. C. Andersen und L. Bechstein, Karl May und zahlreiche Kinder- und Jugendschriften. (Artikel Oskar Herrfurth in Wikipedia.de, der freien Enzyklopädie. Redigiert u. ergänzt.)

Bibliographische Nachweise: Hans Ries: Illustration und Illustratoren des Kinder- und Jugendbuchs im deutschsprachigen Raum 1871-1914. Osnabrück: Wenner 1992. ISBN: 3-87898-329-8

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Einen Überblick über die Märchen- und Sagenmotive
im Goethezeitportal finden sie hier

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7. Rechtlicher Hinweis und Kontaktadresse

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Kontaktanschrift:

Prof. Dr. Georg Jäger
Ludwig-Maximilians-Universität München
Institut für Deutsche Philologie
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E-Mail: georg.jaeger07@googlemail.com

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