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Christian Friedrich Wagner

Kurzbiografie

Christian Friedrich Wagner (*5. August 1835 in Warmbronn (heute zu Leonberg) – †15. Februar 1918 ebd.), Sohn des Schreiners und nebenberuflichen Bauern Gottlieb Wagner (1798-1866) und seiner Frau Friederike, geb. Weeber (1807-1867). Wagner besuchte von 1841 bis 1848 die Schule in Warmbronn, der anschließende Besuch eines Lehrerseminars in Esslingen zerschlug sich aus Kostengründen; danach arbeitete er im elterlichen Betrieb und versuchte sich kurzzeitig im Flachsanbau. 1865 heiratete Wagner Anna Maria Glatzle (1839-1870) aus Warmbronn und lebte mit ihr zusammen weiterhin im Elternhaus. Von den vier Kindern aus dieser Ehe überlebte keines das Säuglingsalter. 1866 übernahm er, nach dem Tod des Vaters, den bäuerlichen Betrieb. Das Gedichteschreiben hatte er schon seit Kindheitstagen beibehalten, er dichtete auch in den Pausen seiner Arbeit als Kleinbauer oder als Helfer beim Bau der benachbarten Eisenbahnlinie (1868/69). Nach dem Tod seiner Frau (†24. November 1870) heiratete Wagner, nur vier Monate später, seine Cousine Christiane Catharina Kienle (1846-1892), genannt Nane, mit der er vier Kinder hatte (Christian, 1872-1949; Amalie Friederike, 1874-1952; Pauline, 1879-1966; Luise Christiane, 1887-1950). Als Kleinbauer konnte Wagner kaum den Lebensunterhalt erwirtschaften, deshalb musste er zwischen 1871 und 1885 zusätzlich als Tagelöhner und Holzfäller, seine Frau (seit 1878) als Hebamme tätig werden. Wagners erste selbständige Veröffentlichung ausgewählter Texte war die Sammlung „Märchenerzähler, Bramine und Seher“ (1885), deren Herstellungskosten er selbst übernahm. Ohne buddhistische Schriften gelesen zu haben, verkündete er darin die Lehre von der Schonung des Lebens. Die Sammlung wurde ein unerwarteter Erfolg, eine erweiterte zweite und dritte Auflage erschien unter dem Titel „Sonntagsgänge“ (1887). Im Februar 1892 fiel seine seit 1887 kranke Frau in geistige Umnachtung und starb am 25. April. Als Schriftsteller fand Wagner zunehmend Anerkennung, auch unterstützte ihn die Deutsche Schillerstiftung seit 1889 regelmäßig mit Ehrengaben. Neben seiner Autobiographie („Aus meinem Leben“, 1893/94) erschienen die Gedichtsammlungen „Weihegeschenke“ (1893) und „Neuer Glaube“ (1894). Abwechslung in den bäuerlichen, immer noch von Not geprägten Alltag brachten verschiedene Reisen (Sommer 1895 Vierwaldstättersee und Lago Maggiore; Ende März 1896 Oberitalien, Como, Mailand, Genua; Sommer 1896 München). Private Unterstützung und die (seit 1910 in eine lebenslängliche Pension umgewandelten) Ehrengaben der Schillerstiftung ermöglichten Wagner die Rückzahlung seiner Schulden. Neben Vortragsreisen unternahm er im August 1904 eine vierwöchige Italienreise, die ihn nach Neapel, Capri, Pompeji, Rom und Florenz führte. Weitere Gedichtsammlungen dieser Jahre waren „Neue Dichtungen. Oswald und Klara. Herbstblumen“ (1897), „Ein Blumenstrauß“ (1906) und „Späte Garben“ (1909). Beruhigung kam in seine Finanzen, als er seit 1901 vom württembergischen Königshaus eine jährliche Pension von 400 Mark erhielt. Im Frühjahr 1909 lernte er Hermann Hesse (1877-1962) kennen, der 1913 eine Auswahlausgabe von Wagners Gedichten veranstaltete und ihm dadurch – obwohl sie buchhändlerisch kein Erfolg wurde – zu überregionaler Bekanntheit verhalf. Im April 1911 unternahm er eine zweite große Italienreise, wiederum nach Rom und Neapel. Die während der Italienreisen entstandenen Gedichte publizierte Wagner unter dem Titel „Italien in Gesängen“ 1912 im Selbstverlag: sie fanden eine begeisterte Resonanz. Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs stand Wagner dem Hurra-Patriotismus ablehnend gegenüber und weigerte sich Kriegslyrik zu verfassen. Der im August 1915 zum Ehrenbürger Warmbronns ernannte Dichter starb am 11. Februar 1918. Sein Nachlass befindet sich im Deutschen Literaturarchiv in Marbach. Das noch existierende Haus Wagners beherbergt seit 1983 das Christian-Wagner-Museum mit einer Dauerausstellung über den Dichter.
Mit seiner franziskanisch-buddhistischen Leitmaxime der „möglichsten Schonung alles Lebendigen“ gehört Wagner zu den Stammvätern des modernen Tier- und Umweltschutzes. Seine philosophischen Überzeugungen vom Atomismus und der Seelenwanderung hat er in der katechetischen Sammlung „Neuer Glaube“ (1894) niedergelegt, die zwar nicht den Erfolg seiner übrigen Werke erlangte, in Vegetarierkreisen jedoch hohes Ansehen genoss.
Als Lyriker ist der Autodidakt Wagner ein Solitär. Wo er bildungsbürgerliche Themen wählt, bleibt auch seine Sprache dem epigonal anmutenden Klassizismus verhaftet. Wo es jedoch um Anschauung und die Bewältigung von Leiderfahrung geht, gewinnt seine Sprache körnige und kristalline Kraft, die sie weit über die glatte Goldschnittlyrik der Zeit hinaushebt. Vielen seiner Gedichte eignet eine „kühne und wunderbare Bildhaftigkeit“ (Theodor Heuss, 1943), eine zuweilen sperrige Verdichtung der Syntax und Wortfügung, eine Prägnanz und Originalität des Ausdrucks, die kaum einer seiner berühmteren Zeitgenossen erreicht hat. Diese Qualität haben auch die besten seiner auf den drei Italienreisen entstandenen Gedichte, etwa „Capri“, „Cumae“, „Am Tiber“, „Trasimener See“ und „Von Genua nach Neapel“.

Gunter Grimm


[3]

Italia.

Italia! So überreich an Gnaden:
Wie sehnt ich mich nach deinem sel’gen Strand,
Und pilgern zog ich in das heil’ge Land,
An jedem Born der Schönheit mich zu baden!



[4]

Der Dom zu Mailand.

Aufragt der Dom in seiner Marmorpracht,
Wie für die ganze Christenheit gemacht.

Du trittst hinein: Wie kühl, wie feierlich!
Dies Gotteshaus ist eine Welt für sich.

Das Domgewölb ein ird’scher Himmel fast,
In dem die Gottheit selber wohnt zu Gast,

Der Beter Schwarm – Gott, du bemerkst ihn kaum!
Milanos Volk verliert sich in dem Raum.

Am Hochaltar der Kerzen flimmernd Gold,
Die Jungfrau mit dem Jesuskindlein hold.

Betstühle hie, dort bleicher Lichterschein
Auf der Altäre samtbehangnem Schrein.

Glasscheiben bunt in Blumenteppichs Pracht,
Die halten treulich ihre Fensterwacht,

Daß nimmermehr die Schau der Außenwelt
Der Beter reine Andacht hier vergällt.

Nach dem Gewölb’, dem dunklen Baldachin
In frommem Duft die Weihrauchswolken ziehn,

Als ob auf ihnen sanft der Lieder Chor
Zu all den Sel’gen Gottes flög empor. –



[5]

Zwischen Genua und Pisa.

Ein Blick aufs Meer: Rings Pinie, Cypresse,
Dem Ufer nahe treibt sich her ein Floß,
Hie ein Kastell, ein Saracenenschloß
Umrankt von Efeu, Kapuzinerkresse.

Orange und Citrone. – Ha, vergesse
Des Marmors nicht, mein treuer Kunstgenoß,
Carraras weißen schimmernden Koloß,
Und seines Marktes weltberühmte Messe! –

Sieh, Pisa schon! – Der Arno macht sich Bahn,
Und drüben ragt der Dom und Turm der schiefe,
Zu seiner Höhe klimm ich jetzt hinan,

Und dann hinab. – Mit Backwerk der Olive
Nettuna* labt mich hie auf dem Altan
So überreichlich, daß von Oel ich triefe. –

* Nettuna, gegenüberstehendes Gasthaus.




[6]

Haus des Tasso in Rom.

Wo also groß Land, Meer und Firmament,
Hast heil’ges Land du Einen noch geboren,
Der zu1 der Zahl der Sänger auserkoren,
O Tasso dich! Du göttliches Sorrent!

Onofrio, im heil’gen Roma nennt
Den Seinen dich, dem Kloster unverloren;
So links Sankt Peter, rechts die Kaiserforen,
Hie unter Eichen steht dein Postament! –

Von Mauerkanten nicken der Glyzinien
Erstandne Lieder. – Ernst und trauerschwer
Auf nahem Hügel ragen drei der Pinien;

Die schimmernde Campagna so umher
Großzügig, stolz in weitgezognen Linien,
Fernhin sich dehnend zum Tyrrhenermeer.

1) Handschriftliche Verbesserung des gedruckten „aus“




[7]

Abtei delle Tre Fontane bei Rom.

Einsiedelei! Wie friedlich liegst du da
Im Schatten deiner Eukalyptusbäume,
Kaum dringen sie in diese Friedensräume
Die Fieberdünste der Malaria.

Und doch ist mir als wären Feinde nah:
Ein fernes Bild sich schlingt um meine Träume,
Von San Paolo, dem in seinem Heime
So nebenan, ein blut’ges Leid geschah.*) –

Du siehest niemand in dem weiten Raum,
Nur stille Brüder, schweigsam und versonnen,
Die ob sie kommen, gehn, es hörest kaum.

Weltflücht’ge Mönche**) die sich eingesponnen; –
Nur Eukalyptus, Eukalyptusbaum,
Und dort im Garten sprudeln drei der Bronnen.

*) Nach der Legende soll der Apostel Paulus hier enthauptet worden sein.

**) Trappistenmönche zur Bekämpfung der Malaria.




[8]

Tempel der Vesta.

Nun angetraut du nach des Stammes Brauch
Dem Manne hie an heil’ger Herdesflamme,
So bist du Gattin, Mutter, bist du Amme,
Und hör mein Wort: Verachte nicht den Rauch!

Denn Zeuge deines Schwures ist er auch. —
Fern halt das Fleisch vom Zicklein wie vom Lamme!
Von Blute rein das Haus, und ramme, ramme
Grundsteine fest um seines Herdes Bauch! —

Und rauchgebräunt so wie vor alter Zeit
Rag auf der Vesta kleine Tempelrunde
Als stiller Tempel frommer Häuslichkeit;

Einheimischen wie Fremden, einst wie heut
Mit Göttern wie mit Menschen stets im Bunde
So edelfrommer Gastlichkeit geweiht. —



[9]

Appische Straße.

Appische Straße: Nie hast du gelogen,
Das ist der Boden welcher trotzig ist,
Der Boden ist’s, auf dem so groß sich hißt
Was je er klein in sich hineingesogen.

Noch ragen sie der Aquadukte Bogen,
Der reinen Wasser steinernes Gerüst.
Ein Bauer mit der Weineskarre ist
Im Sonnenbrande vor mir hergezogen.

Auch Pinie sie trotzt derweil sie zittert; –
Grabmal an Grabmal, eine Stele klagt,
Und nah dem Weg, vom Zeitsturm unerschüttert,

Cäcilia Metellas Tombe ragt
Unsagbar groß, obschon zerstückt, zerwittert,
Als starrer Fels im Innern unzernagt.



[10]

Kirche S. Maria Maggiore in Rom.

Auf deinen Kult sieh nieder hier in Rom,
Und deiner Tempel größtem Maggiore:
Die Christenheit sie knieet hie im Chore
In deiner Heiligkeit geweihtem Dom.

Nein! Deine Göttlichkeit ist kein Phantom;
Die Menschheit lauschet mit entzücktem Ohre,
Viel ungebornes Leben harrt am Tore
Voll stolzen Jubels deinem Segensstrom. –

Denn nicht bist du die bleiche Tugendrose
Zu Tod behütet und im Keim erschlafft,
Du heiligste der Mütter! Bist die große

Verkörperung der ew’gen Lebenskraft,
Vergöttlichung ja nur, Apotheose,
Apotheose heil’ger Mutterschaft!



[11]

Haus des Tasso auf dem Janiculus.

Nimm freundlich hin o Fremdling die Belehrung:
„Hie Haus des Tasso, Dichter des befreiten
Jerusalems, Amintas Schäferzeiten,
Rinaldo Rittersangs. – Als Ruhmesmehrung

Zwei blitzversengte Eichen hier zur Ehrung! –
Denn siehe, sieh: Durch der Campagna Weiten
Trotzt hin sein Bild als eines Blitzgeweihten
Das übersprungen jede Zeitenwährung.“ –

Da Engelsburg und dort der Tiberfluß,
Hie Pinie mit immer grünen Eichen
Im Klostergarten San Onofrius;

Und hier und hier der Eichen Blitzegruß
Als unvergänglich ewig Ruhmeszeichen
Auf stolzer Höhe des Janiculus. –



[12]

In den Katakomben. Rom.

Nach dem Kloster das am Tore Porta San Sebastian,
Zu den Grotten des Kallistus, Katakomben gehts hinan.

Pilger sind es die in Scharen suchten auf das ew’ge Rom
Die gebetet, die gebeichtet dort im heil’gen Petersdom.

Und so sind sie abgestiegen auf der Mönche Kompromiß,
Ungezählte Kerzen flimmern in der Nacht der Finsternis.

Aufgeschichtet an den Wänden und in Nischen tief und hohl
Märtyrer, so mit dem Kreuze und dem Fische als Symbol.

Märtyrer zur Rechten, Linken, dir zur Seite fern und nah,
Grabeskammer mit dem Bilde heiliger Cäcilia.

Alte Handschrift in den Gängen, da und dort ein Sarkophag,
Nahes Licht von fernen Hängen, – draußen blitzt der junge Tag.

Abgeflackert sind die Kerzen, wieder geht es nun hinan
Zu der Pforte. Ihr nicht ferne Porta San Sebastian. –



[13]

Am Strand von Capri.

Weit offen steht die Türe der Tavern:
Signora kauft, o kauft Korallenschnüre!
Signora seht: Je zwei um eine Lire!
Ein Muschelhalsband noch dem jungen Herrn!

Wie paßte Eurem Nacken dieser Stern! –
Umfrage hält sie mit dem Gondoliere,
Hängt um den Schmuck so zeigend wie er ziere;
Ja seht Signora, seht: Ich diene gern! –

Ein alter Fischer spricht: Da diese Quallen,
Seesterne hie in Regenbogenzier
Die dürften wohl dem edlen Herrn gefallen;

Und vollends hie: Dies seltne Gliedertier? –
Ich danke, Freund! – Doch diese Blutkorallen
Für meine liebe Tochter nehm ich mir!



[14]

Pozzuoli.

Hie bring dem Lichtgott deine Opfer dar
Du Pilger aus dem Norden! – Brenne, presse
Hie Großes in die Seele! – Schwemme, nässe
Dein brechend Auge wieder schauensklar!

Hie diese ganze Küste ein Altar
Umsponnen von der Reben grüner Tresse,
Hie des Solfatra ausgeglühte Esse
Mit blauem Himmel drüber wunderbar! –



[15]

Capri.

Sanft blaut das Meer in leichtem Wogenfluß,
Doch wir hinan auf steiler Zickzacksteige
Umhängt von Ginster und der Caktusfeige,
Auf zu der Villa des Tiberius.

Uns opfern lass’ der Sonne Genius
Am Mithrastor, das uns der Klausner zeige,
Und jubelt nicht vom Salto eine Geige
Uns fernen Pilgern zu den Abschiedsgruß?

Und weithin, weithin, fernhin ein Geflimmer
Silberner Lichter auf der blauen Bahn,
Doch tönt nicht her ein klägliches Gewimmer

Erstorbner Stimmen auf von jenem Kahn?
Ist’s aus der Grotte blauem Hinterzimmer
Noch ein verspätet Opfer des Sejan? –



[16]

Kirche S. Maria del Carmina in Neapel.

Ein Trödelmarkt mit alter Kirche dran,
Maria Carmina, erklärt Zerline,
Begräbnisort des jungen Konradine,
Sein Richtplatz hie daneben auf dem Plan.

Drei Soldi gib dem kleinen Sakristan
Daß er dich führe in die Sagrestine,
Doch nur ein Bild wie würdig es termine
Du schafftest her es Maximilian!*) –

Des Meisters Marmorbild. – Den schönen Knaben
Seh warm ich drücken seiner Mutter Hand,
Ihn Abschied nehmen vom geliebten Schwaben;

Seh fort ihn ziehen von der Heimat Land. –
Und nun, und nun? Gemordet und begraben
Verscharret hie an roher Feinde Strand. –

* Maximilian 1830 Kronprinz, nachmaliger König von Bayern.




[17]

Amphitheater in Puteole.

Lärmend Volk es rennet um die Häuser,
Und am Hafen jubeln sie wie toll,
Alexandrer, ist das Haus bald voll?
Tiridates kommt, mit ihm der Kaiser.

Ja, die Menge rast und spendet heiser
Toller stets der Huldigungen Zoll,
Nun er selber kommt, Athlet, Apoll,
Seneka so neben ihm sein Weiser: –

Löwenkämpfe sinds die wir berieten,
Weisse Rosse die von Antium,
Braune Fechter. – Setzt euch hie Quiriten!

Klatschet Beifall! Stellt euch nicht so stumm!
Velum hoch! Langt nach den Mitelliten,
Rosenbinden von Canusium! –



[18]

Tivoli.

Aus Tiburs Schluchten sprüht es: Cascatellen
An Cascatellen; – und der Anio
Stürzt nieder, – wieder, – überschlägt sich so
Und wird zu Schaum vor lauter Wasserfällen.

Rings Trümmerschutt von alten Mauerwällen,
Villa des Varo, des Horatio,
Des Hadrian. – Ob nicht Sankt Angelo
Dort den Cypressenhain sich möchte hellen? –

Doch oben schlingt sich durch der Klüfte Mund,
– Hie Villa d'Este, – Alpenveilchen, Scille;
Auf scharfer Kante längs der Klippe Grund

Weinhaus an Weinhaus, Villa dicht an Ville;
Dort Säulenhalle mit dem Tempelrund
Von alten Tiburs heiliger Sibylle. –



[19]

Cola Rienzi.

Sein Denkmal auf dem Capitol. Rom.

Nicht immer nur der Mächtigen und Großen,
Auch kleiner Helden sei gerühmt ihr Tun,
Wann längst vermodert sie im Grabe ruhn
Schmückt sich ihr Hügel mit des Ruhmes Rosen.

So hebet groß von Namen nur von bloßen,
Fortleuchtend, hell in der Geschichte nun,
Cola Rienzi, letzter Volkstribun,
Dein Denkmal ab sich von den Namenlosen. –

Wie du gezeigt den Bürgern kühner Ferge,
– Wie gibt das Bild so würdig den Moment! –
Roms Niedergang von seinem Ruhmesberge!

Frei kündend ihnen laut vom Postament,
Wie einst sie Riesen waren und nun Zwerge,
Hoch ausgestreckt der Herrschaft Pergament. –



[20]

Gräberstraße in Pompeji.

Wo weltentrückt an alt Pompejis Tor
Um grauen Stuck und kahle Lavamauern
Gespenstig stumm noch ernste Pinien trauern
Als letzte Zeugen von der Toten Chor,

Mit ihren letzten Urnen noch davor; –
Da läßt es Mensch der Neuzeit dich erschauern,
Rück schaust du scheu ob keine Schatten lauern
In Saal und Zimmer aus der Nacht hervor. –

Es lassens ahnen all die vielen Nischen,
Es lassens ahnen dunkel die Cypressen
Das Leid, das viele Leid. – Wer wills ermessen!

Wer könnte doch in sich hinein es pressen
Beim Trauermahl an diesen Opfertischen
Das Schluchzen all, das viele Augenwischen! –



[21]

Pästum.

Durch Heidland hin bei Nie und Nimmerruhn
O frage nicht! – rauscht sinnend hin die Sele,
An ihren Ufern sproßt die Asphodele
Um Farnkraut üppig mit Akanthus nun.

Hoch drüber ragt der Tempel des Neptun
Und Ceres noch. – O sag: Wo ist die Seele
Der Menschen einst, daß mehr sie mir erzähle?
Weißt Grille du es? Du es Steppenhuhn? –

Weißt du es Tierlein mit den klugen Augen?
Lacerte sprich: Wie lang du schon so stumm? –
Du Mückenschwarm mit dröhnendem Gebrumm

Wie lang dir schon befohlen Blut zu saugen? –
Ist Mücklein mit dem stechenden Gesumm
He Fieberfliege, deine Zeit bald um? –



[22]

In der Gräberstraße. Pompeji.

Eine Totentafel meldet dir
Mutterschmerz der Diva Urganilla,*)
Die gewohnet da in dieser Villa,
Und verloren ihren Knaben hier:

Drusus hieß er. – An der Birn erstickt
Die emporgeworfen er vom Grunde,
Aufgefangen dann mit seinem Munde,
Und die Rettung nimmer war geglückt.

*) Urganilla, zweite Gemahlin des Kaisers Claudius.




[23]

Tarantella.

Tarantella! Tarantella!
Drüben auf dem Deck der Stella.

Hart und scharf ein Katarrakt
Hackt sich ein der rasche Takt.

Tarantellatänzerinnen
Auf dem Deck des Dampfers drinnen:

Wilder rast das Tamburin,
Dreist sich andrängt der Delfin.

Doch wie Riß des Klarinetts
Schritt der letzte Schrei des Bretts:

Tarantellatänzerinnen
Abgerissen mittendrinnen.



[24]

Cumae.

Die Vögel still und selbst die Berge stumm,
So lauscht das Land, von Herrlichkeit umgeben,
Falernerreben an Falernerreben
An allen Buchten, Inseln um und um.

Ein Füllhorn rings und ein Emporium:
Hie Kaktusfeigen, die an Felsen kleben,
Dort schlanke Palmen die zum Himmel streben,
Von Bajä an bis nach Miseneum. –

Als Dunstsee drüben ein erloschner Krater,
Halb eingefaßt von grauer Lavawand
Und blauem Schwefeldunste der Solfater;

Und weiter an des Rebenhügels Rand
Noch tausendsitzig ein Amphitheater,
Die steile Front dem Meere zugewandt. –



[25]

Piacenza.

Hie Tal des Po: So weit die Blicke schweifen,
Topfeben Land, zerlegt in Heckenstreifen;

Der schnurgeraden Wassergräben Säume
Besetzt von Reihen schlanker Pappelbäume.

So zwischenein des Reises Rieselfelder,1
Des Maulbeers lichte weindurchrankte Wälder.

So fort, so fort sich Rebgewinde wölben
Um Ackerstreifen mit dem Mais, dem gelben.

Und wo im Pappelhain sich finden Lücken,
Es ist der Po, den Bogen überbrücken.

Nur kärglich sah ich seine Wasser fließen,
Verronnen war es in Geröll und Kiesen.

Doch wo sich mochte ein Gehege finden,
Umsponnen war es von der Heimat Winden.*)

So rechts wie links von Zäunen, Mauerkanten,
Ein Grüßen her von Augen, von bekannten. –

*) Zaunwinde Convolvulus sepia.

1) Handschriftliche Verbesserung des gedruckten „Riesenfelder“.




[26]

Venedig.

Venezia! In deiner Wogen Glanz,
Trotz deiner Gassen Marmorcolonnaden
Vom Vorhalt des zu Massigen entladen,
Jeglicher Schwere so entlastet ganz!

Venezia, du jüngeres Byzanz!
Leicht dehnst du dich in zierlichen Fassaden
An der Lagune wonnigen Gestaden
Und deiner Inseln weitgespanntem Kranz! –

Am Arsenal des Molo schwere Krähne,
Rialto, Lido ladet dich zu Gast;
Was sie nur wollen, all die schwarzen Schwäne!

An zu des Dogen marmornem Palast
Am Markusplatze legen bei die Kähne,
Venedigs Löwe grüßt sie trotzig fast. –



[27]

Die Tauben auf dem Markusplatz in Venedig.

O seh sie doch Venedigs Taubenschar,
Anflattern traut beim Schlag des Campanile,
Wo Futter ist gestreuet für so viele,
Frei von des Menschen Tücke und Gefahr.

Ab von den Dächern senkt sich Paar um Paar
Zum Markusplatz und seiner Marmordiele,
Zu reichem Mahl und süßem Liebesspiele
Behütet vor dem Habicht und dem Aar. –

Wer streute erstmals diese Friedenssaat
Hier auf den harten Boden der Galeeren?
Venedigs Adel war es, der Senat:

Er tats, um schöne Gastlichkeit zu ehren,
Und Land und Meer, der Stürme Gott, er tat
Sein Möglichstes um Unglück abzuwehren. –



[28]

Panoramaweg.

O stellt sie auf an Wegen und auf Auen,
Die Statuen in Alabasterguß,
In Marmor weiß und goldnem Broncefluß,
Daß kalte Herzen sich daran erbauen!

Auf daß sich dran versehen eure Frauen,
Stellt auf Apoll als Sonnengenius,
Adonis, Venus und Antinous,
An Orten, wo sich Menschenströme stauen! –

Und kehrst du heim von herbem Abschiedsnehmen,
Besiedle fromm der Heil’gen Pfade all
Mit Asfodelen, stolzen Chrysanthemen!

Mit Rosen schmück des Grabgefildes Wall!
Zum Sang des Leids in sel’gen Requiemen
Die Diva ruf, und heg die Nachtigall! –



[38]

Monte Salvatore bei Lugano.**)

Tritt an, o Pilgrim, willst du dich entladen
Viel deiner Sünden auf dem Berg der Gnaden,

Durch schmaler Gassen enggewölbte Tore,
Aufwärts den Pfad zum Monte Salvatore.

Ein Bild des Heilands steht am Weg da drüben;
Auf, beug dein Knie, in Andacht dich zu üben!

Ein Haus des Weins liegt deinem Pfad zur Linken;
Tritt ein, tritt ein von seinem Blut zu trinken!

Schau um! Schau um! Wie weich die Wasser fließen,
Des Heilands Berg sich innig anzuschließen!

Schau um! Schau um! Wie sanft die Uferlehne,
Als suchte sie wie einstens Magdalene

Mit Rosenöl und Balsam allenthalben
Den nackten Fuß des Heilands einzusalben!

Aufragt sein Haupt von mildem Licht umflossen,
Die Stadt da unten reuig hingegossen,

Als Sünderin liegt zu des Heilands Füßen,
Mit weichen Lippen weinend sie zu küssen.



[39]

Maroggia (Luganer See).**)

Ich weiß ein Friedensheim, ich kenn ein Eden,
Von seinen Seligkeiten laßt mich reden:

Ein Tälchen ists, vor Stürmen rings geborgen,
Als obs hie gäbe keine Erdensorgen.

Ein Wäldchen ists zu süßem Liebeskosen,
Als rote Küsse glühn die Pfirsichrosen.

Die Seeflut spielt mit ihren Uferkieseln,
Du möchtest schlafen ein bei diesem Rieseln. –

Maroggia! Wohl ists ein wonnig Carmen,
Was dich umfängt mit seinen Flutenarmen!

Die Primel blüht in grüner Gärten Weiten,
Auf blauer Seeflut sanft die Kähne gleiten.

Wann jemals könnt ein wundes Herz gesunden,
An diesen Ufern wär der Strand gefunden. –



[40]

Genua. *)

Stolz vom Gestade des Meers, o Genua prächtiges! steigst du
An zu den Höhen, die rings weithin umsäumet dein Golf;
Nur vom Meer aus gesehn kommst ganz du Superba zur Geltung;
Dreie der Stunden ich staunt an dich von unten herauf.
Barken ruderten her mit Kisten, Fässern und Säcken;
Aufzunehmen die Fracht, knarreten Seile und Tau. –
Dann mich wendend zurück zur Gesellschaft: Drunten im Saale
Saßen die Andern beim Mahl, plauderten dieses und das:
Da der Stattliche hier der ist ein Kaufmann aus Smyrna,
Da der Gebräunete dort kommt von numidischem Strand;
Ich der Schmächtige nur vertrete das kleine Europa,
Asien, Afrika sie mit der gedrungnen Statur. –



[41]

Bei Elba. *)

Flüssiges Silber das Meer zu schäumenden Wellen gekräuselt,
Langsam, sicher und gleich gleitet nach Süden der Kiel; –
Elba vorüber; – es hebt von Fern sich ein dunkelndes Eiland
Monte Christo vielleicht, über den Wogen empor.
Dort ein weißlicher Punkt! – Ists Antium? Römische Küste?
Trügt doch des inneren Sinns sichere Richtung mich nicht!
Ja du führest ihn gut den schwäbischen Dichter, sein Schiff muß
Anders kann es ja nicht, landen im Hafen von Rom!



[42]

Portici. *)

Badende Kinder am Strand und ebendachige Häuser,
Blendend weiß und gerad wie frisch von der Tünche. – So weithin
Kaktusfeigengeheg, um schimmernde Villen und Gärten.
Das ist Portici, ist Resina. – Bläuliche Kiesel
Rollet das Meer an den Strand, den leuchtenden. – Waschende Weiber
Halb im Wasser, im Kahn fortrudernd fröhliche Menschen.



[43]

In Pompeji. *)

Nicht bei Mondschein, nicht bei Tages Blassen,
Bin gewandert ich durch seine Gassen,

Nicht gehindert von der Menge Lärmen,
Bin gewandelt ich durch seine Thermen.

Hoch am Mittag hab ich sie beschritten,
Und der Widerhall von meinen Tritten

Durch die Totenstadt so ganz verlassen,
Pflanzte fort sich durch die stillen Gassen.

Auf des Pflasters schwarzen Lavablöcken
Schlug er an wie auf metallne Becken;

Sprang dann über nach der Cella Kannen,
Nach der Thermen weiten Badewannen,

Erst verklingend fern auf der Tribüne,
Des Theaters menschenleerer Bühne.

Bis kein Laut mehr diese Stille störte,
Selber ich den eignen Herzschlag hörte,

Als an Jupiters geborstner Säule
Voll mich trafen seine Sonnenpfeile. –



[44]

Amphitheater in Pompeji. *)

O sieh, o sieh: Den mordbefleckten Boden
Hat übersponnen ganz die weiße Winde,
Als ob die Blutsaat wolle aus sie roden.

Gelungen ist dem frommen Ackerkinde
Es zu entsündigen das Feld der Toten
Mit seiner Ranken weißer Priesterbinde.

        *

Von der alten Säulen Architraven,
Von der Mauern ungezählten Ritzen,
Alle, alle, die sich hier einst trafen,
Kommen her zu ihren alten Sitzen.

Zu Lacerten die vorüberblitzen
Sind verwandelt Freie nun und Sklaven;
Goldiggrün die kleinen Köpfchen glitzen,
Bis sie neu zu Menschen sich geschlafen. –



[45]

Heiligtum der städtischen Laren. *)

Ein Altar mit Früchten und mit Broten. –
Statuen auf dem Mosaikboden

Heben flehend ihre Marmorhände,
Daß die Gottheit Freudiges nur sende.

Daß kein Unglück möge niederfahren
Stemmen sich die Arme dieser Laren.

Oben offen; Halle ohne Decke,
Daß die Bitthand sich gen Himmel recke. –



[46]

Sankt Pauls Taverne in Rom. *)

(Apostelgeschichte Kapitel 28, Vers 16.)

Doch der Hauptmann daselbst erlaubete Paulo zu gehen
Unter den Jüngern umher und zu predigen. – Aber ein Kriegsknecht
War zur Seite ihm stets so täglich, daß er nicht flöhe.
Und so kam er oft her in das Haus des Corneleus Rufus,
Trank und speisete dort. – Und als ich germanischer Fremdling
Ging zu suchen in Rom nach einer Taverne, da führte
Freundlich sein Geist mich hieher. – Und siehe, ja siehe: Das war ja
Pauli einstig Quartier, und nach ihm benennet die Gasse,
Sowie die Schenke daselbst. – Und auch die germanische Sklavin
Sommersprossig und blond, war da noch die er bekehrte;
Freilich, nimmer sie selbst, doch Ururenkelin Jener
Stand und wartete auf, und reinigte fleißig den Boden. –
Und so saß ich am Wein, saß lange, lange, und immer
Aus mir denkend den Brief, den hier er an Brüder geschrieben.



[47]

Portikus der zwölf Götter. *)

Nur Julian vermag noch aufzuhalten
Und einzudämmen die Verderbnis mehr,
Wohl kämpft er siegreich mit dem Perserheer,
Hier als Präfekt den Freund er lässet schalten.

Doch kann ich auch frei meines Amtes walten,
Umsonst! Umsonst! Die Tempel stehen leer,
Der Götter Ratschluß, übergroß und hehr,
Ist eingeengt von feindlichen Gewalten! –

Stolz ragt das Bild von Romas heil’gen Wölfen,
Und nah dem Tempel des Vespasian
Bau einen neuen ich den Götter-Zwölfen.

Ich Vettius Präfekt, bin auf dem Plan
Den alten Göttern neu zum Sieg zu helfen,
Komm mir zu Hilfe, großer Julian! –



[48]

Quell der Juturna. *)

Deine Götter hat die Zeit vertrieben,
Nur das heil’ge Wasser ist geblieben.

Und was tut ihr Oleanderblüten
Anders hier als diesen Quell zu hüten?

Frommes Wasser gießet Puteale
Segnend aus in reine Brunnenschale.

Ich ein Müder, Durstiger und Lasser,
Kam zu trinken von dem heil’gen Wasser;

Und ich Pilger hab mich satt getrunken,
Die Paläste sind in Schutt versunken,

Säulenreste, Vasen, Ziegelstempel,
Nun an Stätte der zerstörten Tempel.

Nur der Göttin dieser heil’gen Wellen
Die dem Fuß des Palatin entquellen,

Beigezählt nun christlichen Madonnen,
Der Juturna ist geweiht der Bronnen,

Daß wie einst sie neu ein Wunder wirke
Hie am Fuß der heiligen Bezirke. –



[49]

Im Garten des Albergo del Sole. Pompeji. *)

Tod und Leben, nahe hie beisammen,
Aschenurnen neben Rosenflammen;

Jeder Morgen ist ein Blumenbringer,
Jeder Blick streift einen Totenzwinger.

Und den Trümmerrest von Architraven
Ueberdecken siegreich der Agaven

Bläulichgrüne, riesige Rosetten;
Auf dem Boden nackte Amoretten,

Tonfiguren, Statuettentrümmer;
Und ich frag mich: Ob nicht auch im Zimmer,

Wo ich Fremdling gestern übernachtet,
Eine Aschenurne eingeschachtet,

Da im Traum ein Weib mit Kahn und Ruder
Mich willkommen hieß als ihren Bruder? –



[50]

Einweihung des Amphitheaters Kolosseums in Rom. 80 n. Chr. *)

Auf, hinan zu luft’gen Rängen und den obersten Terrassen,
Zu gewölbten Wandelgängen schieben sich des Volkes Massen,

Würdig kommen angeschritten die zu höhrem Rang erkoren
Die zum zweiten, die zum dritten, Ritter sie und Senatoren.

Doch dem Flaviergeschlechte, das die Zwietracht schlug in Fessel,
Ziemt nur dieser eine echte goldbelegte Kaisersessel.

Und es öffnen sich die Schieber: – Sieh, wie duckt sich die Hyäne,
Setzt im Sprunge nun hinüber auf des Löwen goldge Mähne.

Festgelärm und Tubarufe herwärts von den Kaiserforen,
Doch schon stehn sie auf der Stufe, Fechter sie und Gladiatoren.

Großer Cäsar, laß begrüssen dich im Namen der Kohorte,
Derer, die jetzt sterben müssen! – So sind ihres Grußes Worte. –

Mensch und Löwe sich umschlingen, jeder Sieger wird zum Schlächter,
Nicht verhallen, noch verklingen will des Beifalls wild Gelächter.

Stets und wieder fällt der Schieber. – An den Füßen, an den Schweifen,
Und mit Haken hin zum Tiber sie hinweg die Toten schleifen.

Große Roma: Schau verwundert Fremdling an der Feste Ziele!
Hör und staun: Der Tage Hundert dauern fort sie diese Spiele!



[51]

Einweihung der Aqua Claudia. *)

Von Kaiser Claudius vermelden Mythen
Uns seine Rede frei vom Viergespann
An Diva Messalina: Seht ich sann
Schon lange drauf, wie ich möcht Wasser bieten.

Ihr wißt es längst: Vergebens sich berieten
Senat, Konsul, wie mancher würd’ge Mann,
Drei Quellen zog ich in der Leitung Bann,
Und Wasser biet ich Bürgern und Quiriten. –

Gelb, wasserarm fließt nebenan der Tiber,
Und Messalina schielt nach Silius*
Und nach Narcissus* insgeheim hinüber;

Er achtets nicht. – Komm her, Brittanicus,
Komm her, mein Knabe! – Pallas*, du mein Lieber:
Befreie mich von meinem Appius!** –

*Silius, Narcissus und Pallas, Freigelassene und Günstlinge des Claudius.

**Appius Silvanus, Schwager des Claudius und wegen Verdacht einer Verschwörung von ihm getötet.




[52]

Am Tiber. *)

Aus kiesgefülltem Bette kommt der Tiber
Wie hitzverschlafen vom Gebirg herüber.

Und leerer Bäche steinerfüllte Rinnen
Ziehn zahllos nieder von den Apenninen.

Als hingewürgter Völker ries’ge Särge
So grollen nieder die Sabinerberge.

Nur hie und da an einer Felsenklippe
Ein ausgebrannt und abgewelkt Gestrüppe.

Hie silbergraue, großgehörnte Rinder,
Halbnackte, braune, schöne Hütekinder;

Dort von der Via Appia durchzogen
Aufragend fern der Aquadukte Bogen.

Die Weide ganz von Sonnenglut gerötet,
So liegt das Land verlassen und verödet. –



[53]

Tal des Arno. *)

Es zieht sich aufwärts zwischen Rebenwänden,
Es zieht sich stundenlang und will nicht enden.

Schön eingehegt zu grünen Rebenlauben
Hier im Toskanerland das Feld der Trauben.

Fortrankend sich an Mauern, an besonnten,
An Maulbeerbäumen, weissen Häuserfronten;

Ein kleiner Hain Oliven dort dazwischen,
Ein kahler Hang mit Cistusrosenbüschen.

Ein Gartenstreif mit Sellerie und Bohnen,
Am Boden schwer die Goldfrucht der Melonen.

Umsponnen Mauern, Villen und Tavernen
Von der Klematis blauen Blütensternen. –

So aufwärts zieht sichs zwischen Rebenwänden,
So zieht sichs stundenlang, und will nicht enden. –



[54]

Eumachia. *)

Gehen still wir ein zu ihren Toren:
In der untern Halle die Amphoren.

Aus der Nische weissem Marmorguss
Drusus schauet und Tiberius.

Hier die Inschrift: Der Concordia
Hie geweiht von der Eumachia!

Allen, die dem Kaiserhause inn
Hie geweihet von der Priesterin!

Dort die Widmung: „Walkern und Fullonen
Geb ichs eigen, dass sie drinnen wohnen!“

Drauf ein Füllhorn. – Drüben in den Alen
Anrichttische für die Augustalen.

Und da draussen auf der Backsteinsäule
Der Fullonen heilig Tier, die Eule.



[55]

In der Gräberstraße.  Pompeji.

Verus*) sieh: An deinem Wiegenfeste
Bringen wir des Liebesmahles Reste,

Siisse Trauben, einen Apfelkuchen,
Eine Torte, die du magst versuchen.

Eine Birne, eine Honigflade,
Her zu dir in deine Totenlade.

Wollen sitzend hier auf diesen Bänken
Unsers lieben Verus noch gedenken.

Wollen spähen, ob nicht deine Stele
Durch ein kleines Nicken sich empfehle,

Und so heimlich aus dem Aschenkruge
Nicht hervor ein kleines Köpfchen luge?

*) Verus, achtjähriger Knabe.




[56]

An J. – **)

Eine Freundin wünscht ich, deren Fährten
Hie mich führten zu der Liebe Gärten.

Deren Mythen, deren Rosenlauben
Smyrnafeigen und Falernertrauben.

Eine Freundin, die beim Göttermahle
Gerne böt und williglich die Schale

Mir den stolzen hochgemuten Zecher,
Die sich selber füllte voll den Becher

Dunklen Weines frei und ohne Scheue;
Eine Freundin, eine götterfreie.



[57]

Hadrianische Villa bei Tibur;  Tiburtinum.

So herein in den Saal trat jetzt der Erbauer des hehren
Grabmals, dort an der Brücke der Aelischen:*) – Quader an Quader
Riesig sich türmend in drein Terrassen zu schwindelnder Höhe,
Marmorbekleidet die zwei nächstoberen Ringe, gekrönet
Rings mit Statuen hehr von Freunden des Cäsar. Zuoberst
Auf der Quadriga er selbst, Weltwanderer, Gott, Imperator. –
Zu ihm gewendet er sprach: Dein Grab ist erbauet, o Cäsar!
 
Und ist erbauet mein Grab, Baumeister, so will ich nicht säumen
Es zu bewohnen nun bald! – Wahrhaftig! Dem Gotte der Erde
Nimmer geziemet es mehr entgöttlicht zu wandeln in Schwachheit
Unter den Menschen umher, schwer tragend an Leibesgebrechen;
Ach, wo weilest du doch Nothelfer, Hermogenes? Eil dich!
 
Krank, o Cäsar, bist du! Mehr als du selber es weissest:
Reichen Arznei ich dir will, heilkräftige, die dich gesund macht!
 
Reiche Arznei mir, o Sohn! Heilkräftige, selbe die ich einst
Euphrates dringend empfahl: Den Heiltrank des göttlichen Schierlings!

*) Heutige Engelsburg.




[58]

Antinous.1

So du den herrlichsten Gott rein menschlicher Anmut und Schönheit
Formtest Meister so jüngst nach dem Bilde des göttlichen Jünglings,
Bleibt bestehen dein Werk auch ewig und göttlich erhaben,
Und nicht bedarf es des Worts. – Freiwillig anbieten die Herrschaft
Ferne Geschlechter ihm selbst. – Lichtbraunes Gelock es umwall ihn,
Epheu kränz ihm das Haupt, das sinnige, niedergeneigte.

1) Handschriftlich verbessert aus Antionus.




[59]

Beim Fest der Mädchen.

O falle nicht der Freude in den Zügel,
Vom Honig nasche den zurück sie lässt!
Kein Stachel bleibe für des Alters Rest
O werde jung und hebe auf die Flügel!

Lass nur der Jugend ihre Freudentänze!
Lass freuen sich, was sich zu freun vermag,
Dem Alter gönne neue Lebenslenze!

Ja, schaffe selbst dir einen Rosenhag!
An seine Dorne häng Sonettenkränze
Mit sel’ger Inschrift „Koste aus den Tag!“



[60]

Trasimener See.

Herüber durch des Maises bleiches Stroh
Nur Totenwasser glitzt so siegesfroh,

Kein grün Gebüsch, kein frischer Wald umsäumt
Den stillen See der von Vergangnem träumt.

Vergraben ganz in kahler Berge Schoss
So liegt er da, so stumm, so regungslos,

Nicht Schilf, nicht Wasservogel – um und um
Nur ausgedörrte Felder öd und stumm.

So ganz nach Bilde hab ich heut gesehn
Der Mordschlacht Zeugen: ihn, den Trasimen. –



[61]

Von Genua nach Neapel.

Als stolzes Schiff in längst gewohntem Gleise
Der „Arpad“ macht nach Süden seine Reise.

Und aufgewühlt von scharfer Brise, brauen
Die Wasser Gischt aus dunklem Wogenblauen.

Unübersehbar lang und fast zum Greifen
Vom Schiff gepflügt ein blanker Silberstreifen.

Und siehe, sieh: An seinem Kiel da vorne
Cap Stefano mit seinem Felsenhorne,

So weiterhin am schimmernden Gestade
Port Anzio mit seinem Römerbade,

Ein Dampfer noch mit rauchgeschwärztem Schlote
Und da und drüben kleine Segelboote,

Doch als Vesuv des Himmels türmt ein dichter
Wall von Gewittern sich zum Wolkentrichter. –



[62]

Wein und Brot. *)

Nur Wein und Brot sei künftig meine Speise,
Gesättigt von des Brotes heil’ger Kraft
Schreit mutig fort ich auf des Lebens Reise;

Gekräftigt von des Weines Feuersaft
Erring ich mir den Lebens höchste Preise,
Und fühl mich gross in meiner Priesterschaft.



[63]

An J. –

„Du da Herrliche! – Auf, und fülle den steínernen schweren
Weinkrug! – Schau wie es perlt purpurn das schäumende Nass!
Schwärmen, ja schwärmen uns lass nach der Weise der seligen Vorzeit,
Trinken und lieben so ganz, wie sich’s für Göttliche ziemt!“ –



Quelle:
Italien in Gesängen von Christian Wagner – Warmbronn. Selbstverlag des Verfassers. Druck von R. Vierkorn. Ditzingen. 1912.
In diese Sammlung wurden auch einige bereits früher publizierten Italiengedichte aufgenommen, und zwar die mit *) gekennzeichneten Gedichte aus dem Gedichtband „Späte Garben“. München: Georg Müller 1909, die mit **) gekennzeichneten Gedichte aus der Sammlung „Neue Dichtungen“. Stuttgart: Strecker & Schröder 1897.
 
Das Exemplar der Universitätsbibliothek Augsburg [Signatur: GM 7651 W 132 I 8] hat eine handschriftliche Widmung „Mit Gruß und Glückwunsch der Verfasser: Chr. Wagner“ und enthält zwei handschriftliche Verbesserungen des Textes.

Weitere Italiengedichte finden sich in der von Harald Hepfer chronologisch angeordneten Neuausgabe: Christian Wagner Italien in Gesängen. Hrsg. von Harald Hepfer. Zum 160. Geburtstag Christian Wagners am 5. August 1905. Christian-Wagner-Gesellschaft e.V. Warmbronn 1995 (= Warmbronner Schriften 6).


[8]

In der Brianza

Monza vorüber; – wie dehnt gradlinig sich rück der Brianza
Weidengebüsch und Gehölz sumpfigen Gräben entlang; –
Schon ist Milano in Sicht, der weiten lombardischen Eb’ne
Maulbeerpflanzung. – Von fern schimmern die Zinnen des Doms.


[10]

An der Riviera

Gott! Welch Fülle von Licht hernieder mir flutet! Savonas
Strahlender Himmel so blau wie sein kristallenes Meer!
Nimmer das schüchterne Blaß der Blumen der Heimat, die fromme
Waldanemone nicht mehr findet der suchende Blick. –
Anders geartet sind hier die Töne, die Farben, und voller,
Leuchtender, glühender, spricht Erde und Himmel mich an!


[12]

Im Garten der Doria

(Genua)

Sage, wer führte dich her nach Liguriens fernem Gestade,
Palmbaum? – Brachte ein Ahn’ her dich von syrischem Strand? –

Springbrunn’, marmorgefaßt, in erhabener Schale: Erzähle,
Was du geschaut und gehört einst in den Tagen des Ruhms? –

Ihr auf dem Rande umher, ihr Adler der lauernden Meerwacht:
Haltet Venezia mir, haltet die Schlange mir fest! –

Und der du stößest herab auf Solimans Schädel: der Franken
Mächtiger Falke, mit Wucht hacke die Fänge ihm ein! –

Meeregebietender Gott, von Wellen umschmeichelt: Den Dreizack
Drohend erhoben, zum Stoß spanne die Rechte sich an!

Vor dir der Dogenpalast liegt rück dir die blauende Meerflut
Segelbefiedert, bemannt Gondel und Barke und Kahn!

Rück dir der Rhede entlang hochragend der dunkelnden Schiffe
Steilbord; – weiter hinaus korsisches Ufer im Süd!

 [13]

Im Campo Santo von Genua

Du im Dunkel deiner Schattenbäume
Schlummernder Mazzini: Deine Träume

Sind zur stolzen Wirklichkeit geworden;
Von den Alpen zu des Meeres Borden,

Hier Venedig, dort des Ätnas Kämme –
Sind geeinigt deine Völkerstämme,

Die nun festlich zu den Ruhmeshallen
Einer großen Heldenmutter wallen,

Engverbrüdert zu den Friedensstätten
Hoher Kunst an ihre Brust sich retten. –

Was du kühn vermochtest einst zu hoffen,
Goldenstrahlig ist es eingetroffen.

Ob verfolgt auch wie ein Unglückshäher,
Glorreich steh’st du als Prophet und Seher!


[14]

Am Strande von Pegli

Ich sah dich, Meer, in deiner sonn’gen Pracht,
Wie du als holde Schöne mir gelacht.

Ich sah dich, Meer, in deiner Wogen Braus,
Ich sah dich ziehen deine Stirne kraus.

Ich sah dich, Meer, in deiner Wellen Gischt,
Dich aufgeschürzet, wann du zornig bist.

Ich sah dir wallen all das Blut im Leib,
Ich sah dich, Meer, als wutentbranntes Weib,

Das launentoll in stolzem Herrscherschritt
Ein Spielzeug wirft zu Boden und zertritt.


[28]

Tempel des Vespasian

Ein Altar mit Bürgerkrone dran
Hie im Tempel des Vespasian.

Uebertünchtes dorisches Gebälk,
Drauf ein Kranz von Eichenlaub so welk.

Um sein Bildnis opferlich Gerät
Für den Kultus seiner Majestät,

So als Kaiseropfer ziemet hier
Dem Geschlecht der Flavier der Stier,


[38]

Capua

Ob Gartenmauern glänzen die Zitronen,
Von Wegen her aus Körben die Limonen.

In Höfen rings zahllose Hühner scharren,
Vorüber rollen blaue Eselskarren

Mit riesengroßen Rädern und von Mahden
Der Sorgho und des Türkenkorns beladen.

Hoch oben sitzt ein brauner Mulitreiber;
Sieh, götterschön die Männer wie die Weiber!

Da, dieser hier nach Haltung wie nach Miene
Vielleicht ein Sproß der alten Antonine.

Von Gräben duftet her der Oleander; –
Ja, göttlich ist hier alles miteinander!


[39]

Meine Nachtherberge auf dem Kapitol

Trepp-Aufgänge zu dir trägt Dreie dein heiliger Hügel,
Rechts der Gemonische, links der Tarpejische. – Und da ich Fremdling
Herberg nächtliche nicht konnt’ finden in Roma, so flüchtet
Stolz und getröstet ich mich hinauf zu den Göttlichen. – Saß so
Still an die Säulen gelehnt vom Tempel der Musen, bis endlich
Anbrach glänzend der Tag: Rechts mir zur Seite der alte
Senatorenpalast mit des Michel Angelos Aufstieg,
Dicht ein Brunnen davor mit der Nymphe des Nils und des Tibers,
Statuen weiter nach rechts von Konstantin, Konstanz dem Sohne,
Und an der Brüstung gen Nord’ Trophäen des Marius. – Vor mir
Markus Aurelius stolz in die Toga auf ehernem Rosse. –
Dort der Zwillinge Paar geharnischt, gewaffnet. – Auf nächster
Treppenstufe, gehüllt in dürftige Röcke, zwei Dirnen. –
Wann im Leben fürwahr schlief je ich in größrer Gesellschaft?


[40]

Forum Romanum

I

Heil’ge Straße abwärts: Mir so nah
Die Basilika der Julia.

Siegesbogen des Vespasian,
Der Saturnustempel starrt mich an.

Rostra, Säule, Backsteinpostament,
Keine Inschrift ihren Namen nennt.

Dort der Vesta kleines Tempelrund,
Ihres Atriums geweihter Grund.

Die Basilika des Konstantin,
Backsteinmauer, grauer Travertin:

Und auf all die Trümmerhügel stumm
Schaut herab das Tabularium,

Das Komitium, und drüber hehr
Stolz der Siegesbogen des Sever.


II

Deine Gottheit hat die Zeit vertrieben,
Nur das heil’ge Feuer ist geblieben.

Mit dem festen Maußerguß zum Grunde
Steht der Vesta einst’ge Tempelrunde.

Ob entschwunden auch die Priesterinnen,
Nicht erloschen ist die Lohe drinnen.

Auf sie alle, die da schönheitstrunken,
Sprühen nieder neue Feuerfunken.

Ist doch all das Göttliche und Hohe
Ein verirrter Funken dieser Lohe.


[46]

Florenz

Nicht trat Firenze als Freund an mich, den reisenden Dichter,
Nur ein geächteter Sohn, ein Flüchtling der eigenen Heimat
Schaffte ein Bett mir zu Nacht. – Im Dämmer des Morgens
Abschied nahm ich von ihm, sonst keinem. – Einzig die Katzen
Waren gefällig zu mir: Auf jeglicher Schwelle, wie Treppe
Saß da eine, gerad als harrt’ sie des fremden Besuchers. –
War es, daß sie vielleicht Ihn ahnten, den Heiland der Tierwelt?

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