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Sturm und Drang

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"Wie heißt das Stück? fragt fast jedermann, als es verwichenen Sonnabend angekündigt wurde: Sturm und Drang! – Sturm und ––? und Drang! [...] So, so! Sturm und Drang also! – Aber wenn ich bitten darf, was heißt das wol? ich kann mir nichts dabey denken! kommt etwa ein Sturm darin vor? – das ich nicht wüßte! [...] – Je nun, so weis ich mir gar keinen Begriff davon zu machen. – Desto schlimmer für den Verfasser oder für Sie! [...] Wer fühlt oder auch nur ahndet, was Sturm und Drang seyn mag, für den ist er geschrieben; wessen Nerven aber zu abgespannt, zu erschlafft sind [...] wer die drei Worte anstaunt, als wären sie chinesisch oder malabarisch, der hat hier nichts zu erwarten [...]."

(aus einem Brief von Heinrich Leopold Wagner am 2. Juni 1777 über Klingers gleichnamiges Stück)

Wagner stellt in diesem Briefabschnitt die mit Unverständnis und Unklarheiten gekennzeichnete Reaktionen des Publikums von Klingers Drama "Sturm und Drang" in Frankfurt 1777 dar. Jedoch war nicht nur damals Klingers Drama "Sturm und Drang" eventuell schwer verständlich, sondern auch heute ist insgesamt nicht ganz klar, bzw. sogar umstritten, was denn eigentlich "Sturm und Drang" ist bzw. war.

Sturm und Drang - eine literarischen Jugendbewegung

Allgemein werden die 70er und 80er Jahre des 18. Jahrhunderts in der Literaturgeschichte nachträglich als "Sturm und Drang" bezeichnet – aber schon der Begriff der "Bewegung" oder "Epoche" ist umstritten. Der Name selbst, also "Sturm und Drang", geht begrifflich auf ein Drama von Friedrich Maximilian KLINGER zurück (welches übrigens ursprünglich bezeichnenderweise «Wirrwarr» hieß).

Sturm hat dabei nichts mit Wind und Wetter zu tun, sondern eher symbolisch mit Gefühlen und Leidenschaften, die sich nach außen drängen und sich äußern in Gefühlsausbrüchen und Kraftausdrücken. Daher wird auch eine ganz neue Sprache angewendet, die unmittelbar und spontan direkt "vom Herzen" kommen soll - was natürlich auch mit einem neuen Literaturverständnis einhergeht.

Mit dem "Sturm und Drang" konkret verbunden ist eine literarische Jugendbewegung im Straßburg der 1770er Jahre - und auch in Göttingen, Frankfurt oder Wetzlar finden sich rebellische Jugendliche zusammen, die ihr Lebensgefühl und Literaturverständnis von der älteren Generation abgrenzen möchten und dieses neu denken möchten.

Es handelt sich um eine Rebellion einer Gruppe 20- bis 30-jähriger Literaten, welche einerseits die Ideen der Aufklärung wie etwa den Freiheitskampf des Individuums gegen jede Beschränkung seiner Subjektivität weiterführten und andererseits sich gegen den Geist der Aufklärung, die Beschränkung der Subjektivität durch das Vernunftgesetz auflehnten. Vor diesem Hintergrund kann der Sturm und Drang als Höhepunkt und Krisis der Aufklärung bezeichnet werden.

Das zentrale Motiv der Dichtung ist die Auseinandersetzung zwischen dem idealistischen Anspruch nach Selbstverwirklichung und der Realität der bürgerlichen Arbeitswelt.

Dabei erhält Kunst (bzw. Literatur) eine neue Rolle, bzw. Funktion. Kunst soll einen Ausgleich bieten zur sich immer mehr ausdifferenzierenden Arbeitsteilung, in der der Mensch sich immer mehr „als ganzen Menschen“ zu verlieren droht. Das Kunst- bzw. Literaturverständnis wandelt sich von dem bisherigen normativen Literaturverständnis (damit verbunden z. B. die aristotelische Lehre der drei Einheiten von Ort, Zeit, Handlung) zu einem emphatischen Literaturverständnis: Literatur soll nicht mehr einen konkreten Zweck erfüllen und moralisch erziehen, sondern ist frei von solchen Zwecken zu denken (Kunstautonomie) – und ist als Ausdruck tiefster Gefühle der Individualität des Künstlers nachzuvollziehen.

Leitbegriff wird so auch das Original-Genie, das nicht durch Normen und Regeln in seinem schöpferischen und künstlerischem Schaffensdrang eingeengt werden soll. Natur und Gefühl, eine ausdrucksstarke und unmittelbar vom Herzen kommende, natürliche Sprache (des Volkes) wird zum Ideal – und ist somit auch eine Entgegenstellung zur französisch Hofkultur des 18. Jahrhunderts. Eine Vorbildfunktion hat dabei der englische Dichter Shakespeare, der für seine Originalität und Virtuosität der Sprache verehrt wird.

 

Straßburg

In Straßburg sind es vor allem Herder und Goethe, die neue Maßstäbe in der Sprache setzen möchten.


Der Straßburger Kreis

Goethe mit Friedrike Brion

Der Straßburger Münster

Goethe, gerade etwa 20 Jahre alt und nach langer Krankheit nun endlich wieder gesund, geht 1770 nach Straßburg, um dort sein in Leipzig begonnenes Jura-Studium zu Ende zu bringen. Dort trifft auch ein halbes Jahr später der etwas ältere Herder ein, den Goethe dann auch bald neugierig aufsucht und somit ein langjähriger Gedankenaustausch beginnt. Auch mit anderen Studenten ergibt sich ein reger Gedankenaustausch und so trifft man sich immer wieder und liest sich vor und diskutiert über Gott und die Welt und besonders über Literatur – zum harten Kern gehören beispielsweise Lenz, Klinger und Jung-Stiling.

Goethe unterstützt Herder, der sich intensiv mit der deutschen Sprache beschäftigt, bei der Arbeit, indem er schriftliche Aufzeichnungen von Volksliedern der Menschen der Umgebung, also im Elsaß und Lothringen, macht. Dafür unternimmt er viele Landausflüge mit seinen Freunden.

Auf einem dieser Ausflüge kommt es auch zu der berühmt-berüchtigten Bekanntschaft Goethes mit der Sesenheimer Pfarrerstochter Friederike Brion, die zu einer Liebesaffaire wird, natürlich nicht in dem Ausmaß, wie man sich heutzutage Liebesaffairen vorstellt, aber wer weiß.

Mit Goethes Straßburger und Sesenheimer Zeit ist eng das Paradigma der Erlebnislyrik verbunden: Vorherige Gedichte waren sehr stark rhetorisch geprägt, jetzt wird versucht, das wirkliche Erleben, in dem Fall Goethes Verliebtheit und die Naturerlebnisse, authentisch "rüberzubringen". Deswegen ist es vielleicht auch für viele so interessant (gewesen), welches Gedicht auf welche Liebelei anspielt... .

Jedenfalls ist es eine wilde Zeit, mit vielen Ritten durch die Natur und die Jugendlichen treiben wohl auch mit den älteren Stadtbewohnern sozusagen ihren "Schabernack". Die Studenten wollen sich, wie wohl alle Jugendlichen, von der älteren Generation absetzen und etwas entgegensetzen gegen erstarrte Normvorstellungen und Konventionen. Auf Literaturebene bedeutet das also, traditionelle Formen und Regeln zu durchbrechen. Natur, Genie, Originalität und Gefühl werden Leitbegriffe. Der Genie-Habitus prägt die Erlebnislyrik und die Hymnenproduktion. Man soll nicht nach Regeln produzieren, sondern nach der Natur und von innen heraus, als Genie, schreiben. Shakespeare wird generell großes Vorbild. 

In diesen Zusammenhang ist auch Goethes Aufsatz über den Straßburger Münster "Von deutscher Baukunst" (1772) einzuordnen, der exemplarisch für die ästhetische Grundauffassung von wahrer Kunst der "Stürmer und Dränger" stehen kann. Mit dieser Schrift wird die damals verachtete gotische Baukunst aufgewertet.

Nachdem Herder 1771 Straßburg verläßt und auch Goethe sein Studium beendet, wechselt die "Hauptszene" des Sturm und Drang von Straßburg/Sesenheim nach Frankfurt, bzw. Darmstadt und Wetzlar.

 

 

Frankfurt

In Frankfurt spielt der Verleger Merck eine wichtige Rolle, weil er Goethe, Schlosser und Lenz zu einer Mitarbeit und Zusammenarbeit für die "Frankfurter Gelehrte Anzeiger" überreden kann. Schlosser und Goethe schreiben hier sehr bissige, kritisch-polemische Rezensionen.
Zu dieser Zeitschrift, die man vielleicht als eine Art Programmzeitschrift des Sturm und Drang bezeichnen kann, findet ihr hier mehr Informationen: http://www.phil-fak.uni-duesseldorf.de/germ2/neuhaus-koch/drang/pdf/FrankfurterAnzeigen.pdf

Göttinger Hainbund

In Göttingen treffen sich ausgeschlossen von der Öffentlichkeit Studenten wie z. B. Boie, Hölty, Voß, Hahn, Miller und die Grafenbrüder von Stollberg. Sie haben sozusagen einen Geheimbund geschlossen, innerhalb welchem sie ihre Gedichte produzieren, sich gegenseitig vorlesen und kritisieren. Besonders gelungene Gedichte und wichtige Aspekte tragen sie ein in ihr Bundesbuch - eine Art Protokollbuch ihres Geheimbundes.

Ihr Idol ist dabei vor allem Klopstock, den sie als Genie und autonomen Dichter verehren.

Mit dem Göttinger Hain ist inhaltlich die Odendichtung verbunden. Auch Herder hat sich im Rahmen seiner Volksliederforschungen intensiv mit der Ode auseinandergesetzt. Mit der Ode können und sollen Gefühle gesteigert formuliert und nach außen transportiert werden, so daß die Gruppe an diesen Gefühlen emphatisch teilnehmen kann - was natürlich auch das Gemeinschaftsgefühl stärkt.

Der Göttinger Hain ist ein Beispiel für das neue Literaturverständnis, indem hier die Literatur nicht mehr als moralisches Instruktionsmittel eine Rolle spielt, sondern als Ausdrucksmittel der eigenen Gefühle fungiert. Sie bekommt also einen neuen Platz bzw. eine neue Rolle in der Gesellschaft zugeteilt.

Über den Göttinger Hain findet ihr im Goethezeitportal mehr Informationen hier: http://www.goethezeitportal.de/index.php?id=goettinger_hain

 

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