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Der Straßburger Kreis |
Goethe mit Friedrike Brion |
Der Straßburger Münster |
Goethe, gerade etwa 20 Jahre alt und nach langer Krankheit nun endlich wieder gesund, geht 1770 nach Straßburg, um dort sein in Leipzig begonnenes Jura-Studium zu Ende zu bringen. Dort trifft auch ein halbes Jahr später der etwas ältere Herder ein, den Goethe dann auch bald neugierig aufsucht und somit ein langjähriger Gedankenaustausch beginnt. Auch mit anderen Studenten ergibt sich ein reger Gedankenaustausch und so trifft man sich immer wieder und liest sich vor und diskutiert über Gott und die Welt und besonders über Literatur – zum harten Kern gehören beispielsweise Lenz, Klinger und Jung-Stiling.
Goethe unterstützt Herder, der sich intensiv mit der deutschen Sprache beschäftigt, bei der Arbeit, indem er schriftliche Aufzeichnungen von Volksliedern der Menschen der Umgebung, also im Elsaß und Lothringen, macht. Dafür unternimmt er viele Landausflüge mit seinen Freunden.
Auf einem dieser Ausflüge kommt es auch zu der berühmt-berüchtigten Bekanntschaft Goethes mit der Sesenheimer Pfarrerstochter Friederike Brion, die zu einer Liebesaffaire wird, natürlich nicht in dem Ausmaß, wie man sich heutzutage Liebesaffairen vorstellt, aber wer weiß.
Mit Goethes Straßburger und Sesenheimer Zeit ist eng das Paradigma der Erlebnislyrik verbunden: Vorherige Gedichte waren sehr stark rhetorisch geprägt, jetzt wird versucht, das wirkliche Erleben, in dem Fall Goethes Verliebtheit und die Naturerlebnisse, authentisch "rüberzubringen". Deswegen ist es vielleicht auch für viele so interessant (gewesen), welches Gedicht auf welche Liebelei anspielt... .
Jedenfalls ist es eine wilde Zeit, mit vielen Ritten durch die Natur und die Jugendlichen treiben wohl auch mit den älteren Stadtbewohnern sozusagen ihren "Schabernack". Die Studenten wollen sich, wie wohl alle Jugendlichen, von der älteren Generation absetzen und etwas entgegensetzen gegen erstarrte Normvorstellungen und Konventionen. Auf Literaturebene bedeutet das also, traditionelle Formen und Regeln zu durchbrechen. Natur, Genie, Originalität und Gefühl werden Leitbegriffe. Der Genie-Habitus prägt die Erlebnislyrik und die Hymnenproduktion. Man soll nicht nach Regeln produzieren, sondern nach der Natur und von innen heraus, als Genie, schreiben. Shakespeare wird generell großes Vorbild.
In diesen Zusammenhang ist auch Goethes Aufsatz über den Straßburger Münster "Von deutscher Baukunst" (1772) einzuordnen, der exemplarisch für die ästhetische Grundauffassung von wahrer Kunst der "Stürmer und Dränger" stehen kann. Mit dieser Schrift wird die damals verachtete gotische Baukunst aufgewertet.
Nachdem Herder 1771 Straßburg verläßt und auch Goethe sein Studium beendet, wechselt die "Hauptszene" des Sturm und Drang von Straßburg/Sesenheim nach Frankfurt, bzw. Darmstadt und Wetzlar.