Inhalt

 

Goethe, Schiller und die Goethezeit auf Google+

Anastasius Grün

Kurzbiografie

Der unter dem Pseudonym Anastasius Grün bekannte Anton Alexander Graf von Auersperg (*11. April 1808 in Laibach – †12. September 1876 in Graz) gilt als einer der bedeutendsten Vertreter liberal politischer Poesie in Österreich. Die Kindheit verbrachte er im väterlichen Schloss in der slowenischen Landschaft Unterkrain. Er besuchte ab 1813 die Theresianische Ritterakademie in Wien, 1817 die Ingenieurakademie und von 1819 bis 1824 das private Klinkowström Erziehungsinstitut. Es folgte das Studium der Rechtswissenschaften und Philosophie in Wien und Graz. Nachdem er sich in die Nachfolge des verstorbenen Vaters gestellt hatte und die ererbten Güter in Krain eine Zeit verwaltete, unternahm er mehrere Reisen nach Italien, Frankreich, Deutschland und England. Das Pseudonym Anastasius Grün benutzte er erstmalig bei der Veröffentlichung der Gedichte „Der letzte Ritter“ (1830), eines Zyklus’ um Kaiser Maximilian I. Die anonym erschienenen Gedichte „Spaziergänge eines Wiener Poeten“ (1831), in denen er die Größe Österreichs beschwört, erregten Aufsehen und gelten als erste Zeugnisse des politischen Vormärz. Nachdem Auersperg 1835 „Schutt“ und 1837 „Gedichte“ publizierte, veranlasste 1838 seine politische Lyrik eine Untersuchung, die schließlich zur Enttarnung seines Pseudonyms führte. Man stellte ihn vor die Wahl entweder nichts mehr zu publizieren oder auszuwandern. Auersperg wählte ersteres. Im April 1848 ins deutsche Vorparlament gewählt, wurde er Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung, die er jedoch nach dem Scheitern seiner Bemühungen um eine Miteinbeziehung der Slowenen wieder verließ. Von 1861 bis 1867 wurde er Mitglied des Krainer Landtags, ließ sich dann aufgrund von Differenzen mit den Slowenen in den Steiermärkischen Landtag wählen. Er erhielt zahlreiche Ehrungen als Politiker und Dichter, unter anderem die Ehrendoktorwürde der Universität Wien. Weitere literarische Werke waren das satirische Versepos „Nibelungen in Frack“ (1843), der in der Tradition des Schwankbuches stehende „Pfaff von Kahlenberg“ (1850) und der Gedichtband „In der Veranda“ (1876).
Grüns Italiendichtung bezieht sich zumeist auf die verherrlichende Darstellung des italienischen Lebens seiner Zeit. Das Italienerlebnis birgt für ihn eine geistige und romantische Wiederbelebung und zugleich die Möglichkeit vergangene Tiefpunkte zu überwinden. In dem Gedicht „Pinie und Tanne“ reflektiert er das deutsch-italienische Verhältnis als eine brüderliche Freundschaft zweier Völker.

Katharina Junk



[72]

Venedig.

Wäre dies die freudenreiche,
Stolze Meereskönigin,
Mit der ernsten Heldengröße,
Mit dem leichten, heitren Sinn?

Schwarze Gondeln im Kanale
Schwankend, ohne Liederklang!
Schifferruf nur stöhnt bisweilen
Dumpf wie träger Unkensang.

Marmorbilder nur bewohnen
Die Paläste, hoch gebaut,
Und ihr Sinken und Zerfallen
Ist darin der einz’ge Laut.

Leer vom Volke steht San Marco,
Der Gebete Stoff gebricht!
Klagen will es nicht das Völklein,
Und zu danken hat es nicht.

Am Altar fungirt der Priester,
Ohne Ernst und ohne Sinn;
Nur damit er’s nicht vergesse,
Murmelt er sein Sprüchlein hin.

[73] Längst zerschellt im Arsenale
Fault das alte Dogenschiff,
Ach, der eigne alt Hafen
Ward ihm Klipp’ und Todesriff!

Venetianer, sagt, was deuten
Dort die hohen Maste drei?
Pflanzet ihr als Vogelscheuchen
Vor den Dom die Stangen frei?

Ei, ihr habt doch keine Saaten!
Die ihr hattet, sind verdorrt!
Und die allerschlimmsten Vögel
Scheuchten sie euch doch nicht fort;

Jene Vögel, die die Augen
Eurer Freiheit ausgepickt,
Ihr das Schlummerlied gesungen,
Bis sie sterbend eingenickt.

In dem eh’rnen Markuslöwen
War einst Leben, Kraft und Herz:
Doch der königliche Wächter
Liegt nun todt, ein Aas von Erz!

Längst begann ja Adlerherrschaft,
Seit der alte Leu erlag
Unter jenes Frankenadlers
Jugendlichem Flügelschlag.

Stumm und öde Platz und Straßen
Und die Fluthen rings umher,
Selbst die Steine reden nimmer
Und die Menschen längst nicht mehr!

[74] Und doch wüßt’ ich einen Zauber,
Ja ein Wörtlein nur, gar klein!
Spräch’s zur rechten Stund’ der Rechte
Spräng’ von diesem Sarg der Stein!

Ha, da wirft der Markuslöwe
Seine Mähne stolz empor,
Schüttelt wieder kühn die Flügel
Frei und kräftig, wie zuvor.

Dreier Königreiche Flaggen
Weh’n von jenen Masten her
Und das Lied der Gondoliere
Tönt in Chören übers Meer.

Horch, es läuten alle Glocken!
Weihrauch duftet durch den Dom,
Zwischen Orgelklang und Psalmen
Jauchzt empor des Volkes Strom.

Fenster, Straßen und Balkone
Füllt die Menge bis zum Rand,
Feierlich im Purpur wallen
Doge und Senat zum Strand.

Golden schwimmt der Bucentoro
Stolz hinaus ins heil’ge Meer.
Tausend lust’ge, schmucke Gondeln
Tummeln flink sich hinterher.

Nieder sinkt der Ring des Bundes
Zwischen Erd’ und Meeresfluth,
Menschenkraft und Elementen,
Götterlaun’ und Menschenmuth.



[75]

Gondelfahrt.

Horch, Mitternacht vorüber,
Die Straßen menschenleer!
Vom Mondlicht übergossen
Paläste, Kirchen, Meer!

Willst du Venedig schauen,
Nur jetzt versäum’ es nicht!
Das ist die wahre Stunde,
Das ist das wahre Licht!

Die Marmorbilder leben,
Paläste ragen licht!
Wie riesige Silbertafeln
Mit großer Thaten Bericht.

Willst du dich freu’n der Liebe,
Versäume nicht ihr Gebot!
Die Gondel sei ihre Wiege,
Der Mond ihr Morgenroth!

[76] Umrauscht von der Vorzeit Schauern
Die blühende Gegenwart
Mit liebendem Arm umschlingen,
Welch schöne Gondelfahrt!

Weinst du auch manche Thräne
Auf der Vergangenheit Grab,
Schnell trocknet mit weißem Händchen
Die Gegenwart dir sie ab.



[77]

Venetianer-Trias.

Ich wollt’, wenn nur das Wünschen hülf’,
Drei Dinge wären mein:
Ein Mägdlein weiß, ein Pfäfflein schwarz,
Und eine Gondel fein!

„Ei sprich, wozu das Mädglein weiß?“
Ich wäre gern zu Zwein!
Zum Seufzen nicht, zum Beten nicht,
Das träf’ ich fast allein.

„Ei sprich, wozu das Pfäfflein schwarz?“
Daß ich von Sünden rein!
Man weiß nicht, was geschehen kann,
Wenn man so oft zu Zwein.

„Ei sprich, wozu die Gondel flink?“
Zu rudern lustig drein,
Vom Mägdlein zu dem Pfäfflein gleich,
Und wieder zum Mägdlein!



[141]

Pinie und Tanne.

Nah des Grenzpfahls kaltem Banne
Zwischen deutsch’ und wälschen Landen,
Eine Pinie, eine Tanne
Hart beisammen grünend standen.

Wie Vorposten grüner Jäger,
Ihren Heeren vor sich wagend,
Zweier Reiche Bannerträger,
Nords und Südens Fahne tragend;

Oder gleich zween Abgesandten,
Die mit Friedensgruß und Kränzen
Hier sich froh begegnend fanden
An der beiden Reiche Grenzen.

Pinie sprach: „Durch mich begrüßen
Reb’ und Nachtigall die Schwestern,
Die auf Deutschlands Hügeln sprießen,
Singen in den nord’schen Nestern.

[142]
Apennin, in dessen Locken
Ich nur bin ein Blatt des Kranzes,
Er entbeut dem alten Brocken
Einen Gruß voll Sonnenglanzes!

Mögen nach verborg’nen Erzen,
Ird’schen Haß und Stolz zu kühlen,
Nie in seinem edlen Herzen
Menschenhände frevelnd wühlen!

Mög’ ums Haupt ihm eines hellen,
Ew’gen Lenzes Krone glimmen,
Und zu Füßen ihm die Quellen
Tausend Silberharfen stimmen!

Lind um seine Schläfen schmiege
Sich ein Traum von alten Tagen,
Als sie in des Chaos Wiege
Schlummernd noch beisammen lagen!“

Tanne drauf: „Von Deutschlands Hainen
Grüß’ ich Oelbaum, Lorberwälder;
Mögen sich die Zwei stets einen
So um Stirnen, wie um Felder!

Rhein entbeut dem Po, der Tiber
Gruß und Segen, den Geschwistern!
Also hört’ ich mir vorüber
In den Silberbart ihn flüstern:

„ „O daß ihre schönen, bleichen
Wellen Menschenblut nie färbe,
Nie die schnöde Fracht der Leichen
Ihren stolzen Nacken kerbe!

[143]
Mag nur Rosengluth sie röthen
Und Orangenduft berauschen,
Daß sie dann, die palmumwehten,
Schlummernd schönern Träumen lauschen:

Wie wir einst ins Weltmeer steigen,
Jubelnd dort zusammenklingen,
Hand in Hand den ew’gen Reigen
Um die blüh’nde Welt zu schlingen!“ “

So bemühn sich Beid’ aufs Beste
Ihre Sendung zu vollführen,
Während sanft sich ihre Aeste,
Wie zum Händedruck, berühren.

Schöne Pinie, deine Losung?
„Lenz und Friede, Licht und Liebe!“
Starke Tanne, deine Losung?
„Lenz und Friede, Licht und Liebe!“

Reben, die in wilden Keimen
Ueppig Stämm’ und Aest’ umstricken,
Schlagen zwischen beiden Bäumen
Kühn des Friedens grüne Brücken.

Eine Nachtigall schwebt singend
Diese Brücken auf und nieder,
Tann’ und Pinie ganz umschlingend
Mit dem Netze süßer Lieder.

Horch, da hör’ ich Trommeln hallen,
Schrecken zittert durch die Bäume!
Seh’ die Wolke Staubes wallen,
Sie verschneit die Frühlingsträume!

[144]
Meiner Heimat Kriegesmannen
Ziehn vorüber und sie pflücken
Zweige sich von Pinien, Tannen,
Tschako und Standart’ zu schmücken.

Brüder, zieht mit Gott die Bahnen!
Doch aus euch, ihr Zweig’, umkeime
Ihre Schläfen leis die Mahnen
Eurer Botschaft, eurer Träume.



[145]

Das Kreuz des Erschlagenen.

1.

Wieder seh’ ein Kreuz ich ragen,
– Ach, ich sah schon ihrer viel! –
Wo ein Wandersmann, erschlagen,
Unterm Dolch des Meuchlers fiel!

Nacktes Kreuz, er sah dich sprossen
Noch als grünen schlanken Baum,
Und von deinem Duft umflossen
Schritt er hin im Frühlingstraum.

Du allein sahst ihn verbluten,
Einsam, fremd und unbekannt
Und auf deinen Blüthen ruhten
Seine Blick’ im Tod gebannt.

Und du selbst, gefällt, erschlagen,
Hütest jetzt den Schreckensort;
Als ein Denkmal mußt du ragen
Für so grausen Doppelmord.

[146]
Nur der Vogel, der im Wipfel
Deines Laubs dich preisend sang,
Auf des Kreuzes nacktem Gipfel
Klagt dein Todtenlied er bang.

Und ein Rosenstrauch, als solle
Schmücken er dieß kahle Holz,
Klimmt hinan und pflanzt die volle
Ros’ am Kreuzesgiebel stolz.

Ein Orangenbaum, als wolle
Bergen er dieß Kreuz der Schmach,
Hüllt es in das goldfruchtvolle,
Silberblüthenreiche Dach.

Doch es denken fern die Lieben
Noch des Manns, der sie verließ,
Als es ihn nach Süd getrieben
In dieß Blüthenparadies.

Und den Längstverschollnen sehen
Sie in blühender Gestalt
Fern noch durch die Rosen gehen,
Schlummernd ruhn im Lorberwald.

[147]

2.

Liegst, Italia, du schöne,
Nicht auch todt schon manch ein Jahr,
Von dem Dolch der eignen Söhne,
Von dem Schwert der Fremdenschaar?

Drum, Erschlagne, möchte’ ich pflanzen
Dir ein riesig Kreuz von Stein;
Schlicht gehaun müßt’s aus dem ganzen
Block carrar’schen Marmors sein.

Und es dien’ zum Sarkophage
Apennins Gesteinkoloß,
Drauf das Kreuz der Trauer rage
Weithin, einsam, weiß und groß!

Auf dem höchsten Grat der Hügel,
Wo Ein Blick zugleich erschaut
Mit des Mittelmeeres Spiegel
Adria, die Dogenbraut!

Heult dein Leichenlied das eine
Der zwei Meere sturmeswild,
Mag das zweit’ im Widerscheine
Wiegen sanft des Kreuzes Bild!

Nur der Adler, der in Spalten
Einst des Marmorbruchs gehaust,
Fliegt empor dann, Rast zu halten
Hoch am Kreuze, sturmumbraust.

[148] Und die Sonne, die im Osten
Blüht als Rosenstrauch hinauf,
Klimmt hinan des Kreuzes Pfosten,
Schwebt als volle Ros’ am Knauf.

Und verhüllt die Schmach zu hüten,
Neigt sich drauf der Baum der Nacht;
Aus der Sterne Silberblüthen
Mond, die Goldorange, lacht.

Doch wir, die dich lieben, sehen
Deine blühende Gestalt
Noch in deinen Rosen stehen,
Schlummernd ruhn im Lorberwald.



[149]

Im Batisterio zu Florenz.

Die ihr nach des Meisters Worten
Himmelspforten werth zu sein,
Kunstgeformte, ehrne Pforten,
Laßt den deutschen Wandrer ein!

Düstre, dunkle Taufkapelle,
Deiner heil’gen Nacht entfleußt
Manch ein Strahl der Himmelshelle,
Senkend sich in meinen Geist.

Vor mir steht ein greiser Priester,
Segen betend für ein Kind,
Und des heil’gen Bornes gießt er
Aus des Täuflings Stirne lind.

Meine Hände möcht’ ich legen
Auf das Kind, ich fremder Mann,
Während längst mein voller Segen
Lind und leis sein Haupt umrann;

Segen, der wie Frühthaus Fallen
Dieses Menschenpflänzchen tränkt
Süß und überreich mit Allem,
Was ein Leben Schönes denkt!

[150] Schließt euch wieder, Himmelspforten,
Denn sein Erdenlauf beginnt!
Wandernd fort zu fernen Orten,
Seh’ ich nie dich wieder, Kind!

Knab’ und Mann wirst du in Jahren,
Ungestalt vielleicht und wild;
Doch ich wird’ es nie erfahren,
Ach, ich seh’ dich schön und mild!

Hunger wird dein Aug’ verwildern,
Armut bringt vielleicht dir Qual!
Ach, in meines Segens Bildern
Sitzest du am Freudenmahl!

Deiner Mutter Pulse stocken,
Dich verräth des Freundes Wort!
Ach, nicht hör’ ich jene Glocken,
Und nicht hör’ ich jenes Wort!

Und es höhnte dich, dir fluchte,
Die du einzig liebst, o Graus!
Ach, in meinem Sinn doch suchte
Ich die treu’ste Braut dir aus!

Bot’st dein Herz, gequält vom Leben,
Jung dem eignen Schwerte dar!
Ach, ich hab’ dir doch gegeben
Gar so schönes weißes Haar!

So vielleicht dem Fluch erlegen,
Der dein Erdenloos gebannt,
Ahnst du’s nie, wie einst der Segen
Fromm an deiner Wiege stand;

[151] Wie der Mann aus fremder Ferne,
Betend über dich gebeugt,
Mit des Segens Born dich gerne,
Junges Pflänzchen, großgesäugt.

Bist der schöne Baum mit nichten,
Den er freudig ragen hieß!
Darbst an Blüthen, kargst mit Früchten,
Die er reich dich tragen ließ!

Doch, verarmt an Blüthenschimmer,
Und in Stamm und Mark verdorrt,
Blühst im Herzen mir noch immer
Du dein blühend Leben fort.



[152]

Fort Belvedere.

An der Veste Wall und Warten,
Die dich zügeln soll, Florenz,
Lehnt sich deines Fürsten Garten,
Blüthenvoll im sonn’gen Lenz.

Doch des Schlummers süße Schlinge
Hält die Wacht am Wall umfahn,
Rost zerfraß des Kriegers Klinge,
Seiner Flinte fehlt der Hahn.

Tief wohl schläft er; ihn umdüstert
Keine Ahnung der Gefahr.
Hört er’s nicht, wie’s unten flüstert
Droh’nd aus der Belag’rer Schaar?

Sieht er nicht im Thale blinken
Federbüsche aller Art,
Hundertfarb’ge Fähnlein winken,
Denen, Lenz, dein Heer sich schaart?

Und doch blasen aus den Beeten
Wie ein Janitscharenchor
Tausend blühende Trompeten
Schon zum Sturm, zum Sturm empor!

[153] Und doch schwebt schon ob der Veste
Eine Lerch’ als Luftballon,
Die vom Feindesheer die beste
Kundschaft bringt als dein Spion!

Schwert- und Feuerlilie schwingen
Waffen hoch im Zornesmuth,
Jene scharfe breite Klingen,
Diese rothe Luntengluth.

Mit den breiten grünen Tatzen
Haut der Feigenbaum die Wand;
Tausend Blumenknospen platzen,
Wie im Peloton entbrannt!

Bravo! Wie ein Hagelschauer
Schwarzer Flintenkugeln hängt
Rings entlang der Veste Mauer
Traub’ an Traube dicht gedrängt!

Goldorangenbomben stecken
Allerwärts im Mauernritz;
Lenz, du führst gar tapfre Recken,
Lenz, du führst gar gut Geschütz!

Legst Spaliere und Stacketen
Als Sturmleitern an den Wall,
In die luft’gen Sprossen treten
Deine blüh’nden Stürmer all!

Ha, Verrath selbst in der Veste!
Helfend reicht am Wallesrand
Eine Rose, froh der Gäste,
Rasch den Klimmern ihre Hand!

[154] Blüthenrank’ und Epheu standen
Schon am Walle bei der Wacht’,
Die sie knebelten und banden,
Als sie noch zu träumen dacht’.

Solchem Sieg zum Ehrenbogen
Wölbt aus Silbersäulen hell,
Von Demantenstaub umflogen,
Sich des Gartens Springequell.

Deiner Truppen Banner ragen,
Lenz, nun auf den Wellen dort;
Ha, wer wagt’s, die zu verjagen?
O wie stark ist solch ein Fort!

Still doch, still! da, dessen Leier
Nie von Schmeichelliedern klang,
Eben eines Fürsten Feier
Unbewußt begeistert sang!

Jenes Fürsten Preis und Ehre,
Deß Palast dort, duftumweht,
Mitten in der Stürmer Heere,
Wie die Burg des Lenzes, steht!



[155]

Der Ritt zur Schule.

Am Kloster San Lorenzo
Ein Bauer leise schellt,
Der am verbrämten Zaume
Fest seinen Esel hält.

Das Thier wiegt auf dem Kopfe
Stolz seinen Federschwall,
Als wär’s in seinem Volke
Schier Hof- und Feldmarschall.

Es trägt auf seinem Rücken
Den Korb von ries’gem Maß,
Dazu des Bauers Söhnlein
Und Hühnerstall und Faß.

Das Kind steckt in der Kutte
Just nach des Paters Schnitt,
Der aus der Klosterpforte
Gar feierlich jetzt tritt.

So stehn die Zwei beisammen,
Wie Löwenkatz’ und Leu,
Wie Eidechslein und Kaiman,
Wie Goldfischlein und Hai.



[174]

Zwei Poeten.

Was des Volks voll Ohrenweide
Auf Neapels Molo steht,
Um den Mann im Narrenkleide,
Himmelwärts sein Aug’ verdreht!

Wie aus der Tritonen Schlunde
Dort am Marktplatz Well’ auf Well’,
Sprudelt aus verzerrtem Munde
Plätschernd ihm der Verse Quell;

Und wie Brunneneimer fangen
Deine Söhne, Lazarus,
Seine Ritter, Zaubrer, Schlangen,
Feen und Drachen vollen Guß!

Doch mein Herz, fast will’s ihn neiden,
Grüßt ihn Bruder in Apoll!
Ist’s Ein Quell nicht, der in Beiden,
Nur verschiedne Bahnen quoll?

Wie die Schönheit seiner Glieder
Durch die Lumpen des Gewands,
So durch Fetzen seiner Lieder
Leuchtet hell des Gottes Glanz.

[175] Während auf dem Polsterthrone
Seines Munds Hanswurst sich dehnt,
Und als echter Lazarone
Maccaronensold ersehnt;

Seh’ ich um die Stirn’ ihm rinnen
Jovis Wetterleuchten bald,
Seine Blick’ als Adler minnen
Mit dem schönsten Lorbeerwald.

Voll von Helden, Wundern, Sagen
Sieht er rings die weiße See
Gleich dem Buche aufgeschlagen
Einer Riesenepopee.

Und des Golfs Gestade dehnen
Blüthenvoll sich um die Fluth
Wie ein Kranz, der, es zu krönen,
Auf dem Buch des Meisters ruht.

Der Vesuv dort scheint dem Dichter,
Ganz von Christi Thrän’ erglüht,
Dem aus trunknem Mund ein lichter
Flammendithyrambus sprüht!

Lieder, Bilder, Reim’ umklingen
Um und um dich, mein Poet,
Brauchst vom Blatt nur abzusingen,
Was schon rings geschrieben steht.

Jedes spröden Reimes Hallen
Macht des Meeres Rauschen gut:
Doch auch Perlen, dir entfallen,
Schnell verschlingt sie, ach, die Fluth!

[176] Lauschend hält dich Volk umfangen,
Elend in dem hohlen Blick,
Hungers Furchen in den Wangen,
Last der Knechtschaft im Genick.

Um jed’ Antlitz um die Wette
Breitet Lächeln jetzt sich aus,
Das aus seinem Furchenbette
Selbst den Hunger wirft hinaus!

O wie gut dieß heil’ge Lächeln
Dem zerlumpten Bettler steht,
Wie vom Mast der Flagge Fächeln
Das zerschellte Wrack umweht!

Wie von blitzzerspellten Bäumen
Noch ein grünes Zweiglein bebt;
Wie ob schwarzen Brandesräumen
Eine Schwalbe gastlich schwebt!

Wie ein spielend Kind am Rücken
Einer schlummernden Hyän’,
Traun, daß fast ich zu erblicken,
Orpheus, deine Wunder wähn’!

Sinnend senkt mein Aug’ sich nieder,
Mich berührt des Gottes Hauch!
Feiert je ihr, meine Lieder,
Solchen Sangtriumph wohl auch?

Wenn ich’s je bedauern lerne,
Daß kein eigner Kranz mich schmückt,
Ist es dann, wenn ich ihn gerne
Auf ein würd’ger Haupt gedrückt.



Quelle:
Frankl, Ludwig August (Hrsg.): Anastasius Grün’s gesammelte Werke. Erster Band. Berlin 1877.

Das Fach- und Kulturportal der Goethezeit