Inhalt

 

Goethe, Schiller und die Goethezeit auf Google+

Franz Grillparzer

Kurzbiografie

Franz Grillparzer (*15. Januar 1791 in Wien – †21. Januar 1872 ebd.), Sohn eines Wiener Rechtsanwalts, studierte Staats- und Rechtswissenschaft an der Universität Wien. Nach zwei Jahren als Privatlehrer wirkte er seit 1813 als unbesoldeter Praktikant in der Hofbibliothek. Seine ersten Theaterstücke, das Schicksalsdrama „Die Ahnfrau“ (1817) und das Versdrama „Sappho“ (1818), wurden große Erfolge. Nach mehreren familiären Todesfällen suchte er in Italien eine Gemütsaufhellung. Die Italienreise (März bis Juli 1819) führte ihn nach Venedig, Florenz, Rom und Neapel. Seine Aufzeichnungen aus Italien zeugen von einer nüchternen und zugleich sentimentalischen Wahrnehmung. Nach der Rückkehr wechselte Grillparzer ins Finanzministerium (Hofkammer), 1832 stieg er sogar zum Direktor des Hofkammerarchivs auf.
Nach großen Erfolgen als Dramatiker wurde das Liebesdrama „Des Meeres und der Liebe Wellen“ (1831) zum Misserfolg, der sich beim Lustspiel „Weh dem, der lügt!“ (1838) wiederholte. Grillparzer zog sich definitiv vom Theater zurück.
Schwierig war es für den k.u.k.-Beamten Grillparzer, konservative Grundhaltung und kritische Einsichten in Einklang zu bringen. Sein Rückzug aus der Öffentlichkeit war auch die Konsequenz dieser Diskrepanz zwischen freiheitlicher Gesinnung und staatlicher Zensur. 1856 wurde er auf eigenen Wunsch pensioniert. Die zahlreichen Ehrungen (1859 Ehrendoktor der Universitäten Wien und Leipzig, 1864 Ehrenbürger der Stadt Wien) vermochten seinen grämlichen Gemütszustand nicht mehr aufzuheitern.
Grillparzer schätzte in Italien besonders drei Orte: Venedig, Rom und Neapel. Venedig galt ihm als Verkörperung von Kunst und Geschichte, Neapel als Inbegriff von Sinnenfreude und Landschaftszauber, Rom als Synthese aus Antike, Christentum und Alltagsleben. In dem Gedicht „Campo vaccino“ übte er scharfe Kritik an dem Heuchler Constantin und verherrlichte die heidnische Welt der Antike. Das im Taschenbuch „Aglaja“ publizierte Gedicht erregte das Missfallen des „wegen seiner strengen Religiosität bekannte[n]“ bayerischen Kronprinzen, des späteren Königs Ludwig I. (1786-1868), der sich beim Wiener Hof beschwerte. Grillparzer widersprach der kaiserlichen Rüge und erklärte, das Gedicht sei kein Glaubensbekenntnis, vielmehr „eine Klage über den Untergang der herrlichen klaßischen Zeit“.

Gunter Grimm

 

 

[28]   

Kennst du das Land?

[Am 8. März 1819.]

Gelobt sei Gott! die Stund’ ist da!
Den Wanderstab in die Hand!
Zu dir hin gehts, Italia,
Du hochgelobtes Land!

Der Pilger zieht mit Hut und Stab
Zum heiligen Grabe weit,
So zieh’ auch ich zu  D e i n e m  Grab,
Du heil’ge entschlafene Zeit!

Und wie der Pilger auf seiner Brust
Reliquien trägt nach Haus,
So trag’ auch ich in meiner Brust
Mir heilige Reste heraus.

Die letzten Tropfen vom Wunderborn,
Der einst so reichlich quoll,
Ein Fünkchen von deinem Götterzorn,
Du göttlicher Apoll,

Den Abdruck, Weltgebieter Zeus,
Von deiner Majestät,
Vom Dichterbaum ein Lorbeerreis,
der Maro’s Grab umweht.

[29] Dein Bild, so hehr und unbefleckt,
Du Hohe von Medici,
Die, wenn sie den Schauern die Schätze bedeckt,
Für sich nicht errötet, für sie.

Ja knieen will ich, Vergangenheit,
Vor deinen Gebilden aus Stein,
Der nackt die ernste Schönheit beut,
Verachtend des Reizes Schein,

Ihn lassend der frömmelnden Enkelwelt,
Die, von Gleisnersinn erfüllt,
Die Lüsternheit zu ergänzen quält,
Was der schlaue Bildner verhüllt;

Und lernen will ich auf deinen Laut,
Was der Mensch bewirkt und erschafft,
Wenn er dem Gott im Busen vertraut,
Und der selbstgegebenen Kraft.

Dann kehr’ ich heim mit stolzem Sinn
Und schaff’ in gesättigter Ruh,
Was jung soll sein, wie ich es bin
Und alt soll werden, wie du.


[31]   

Campo vaccino.

[Begonnen in Rom, am 20. April 1819.]

Seid mir gegrüßt ihr heil’gen Trümmer,
Auch als Trümmer mir gegrüßt,
Obgleich nur noch Mondenschimmer
Einer Sonn’, die nicht mehr ist.
Nennt euch mir, ich will euch kennen,
Ich will wissen was ihr wart,
Was ihr  s e i d  brauchts nicht zu nennen,
Da die Schmach euch gleich gepaart.

Eintrachtstempel, du der erste,
Der sich meinem Blick enthüllt;
Deine letzte Säule berste!
Schlecht hast du dein Amt erfüllt!
Solltest deine Brüder hüten,
Wardst als Wächter hingesetzt
Und du ließest Zwietracht wüten,
Die sie fällt und dich zuletzt.

Jupiter aus deinem Tempel,
Stator, der zu stehn gebeut,
Brich des Schweigens Sklaven-Stempel,
Heiß sie stehn die neue Zeit!
Doch umsonst ist hier dein Walten,
Du stehst selber nur mit Müh,
Unaufhaltsam gehn die Alten
Und das Neue über sie.

[32]    Warum in dies Feld der Leichen
Ist, Septimius Sever,
E i n g a n g  dies dein Siegeszeichen?
A u s g a n g  dünkt es mich vielmehr.
Als dem Letzten, ders zu fassen,
Wenn auch nicht zu tun verstand,
Sei ein Plätzchen dir gelassen,
Doch nicht hier, am äußern Rand.

Titus, nicht dem Ruhm, dem Frieden
Bautest du dein Heiligtum:
Doch dir ward, was du vermieden,
Jeder Stein spricht deinen Ruhm.
Auch den Frieden in dem Munde
Ging ein Andrer drauf ins Haus,
Doch der Frieden zog zur Stunde
Aus dem Friedenstempel aus.

Curia, die aus ihren Toren
Krieg der Welt und Frieden ließ,
Harrst du deiner Senatoren?
Einer doch ist dir gewiß.
Sieh ihn stehn dort an den Stufen
Bei dem Mann im Priesterkleid,
Sieh, er kommt, wird er gerufen,
Und er geht, wenn man gebeut;

[33]    Sieh des Purpurs reiche Falten!
Majestätisch steht er da!
Ja du suchst nach deinen Alten?
Schließ die Pforten, Curia!
Unten such, die unten wohnen,
Wir sind oben leicht und froh;
Rom hat nur noch Ciceronen,
Aber keinen Cicero.

Hat der Bruder dich erstochen
Remus, mit dem weichen Sinn?
Sieh vom Schicksal dich gerochen,
Er, sein Reich, gleich dir, dahin.
Sieh! in seines Tempels Hallen,
Wie in deinem, Mönche-Zug;
Horch! des Küsters Glöcklein schallen!
Dünkt die Rache dir genug?

Roma, Venus – Schönheit, Stärke,
Pulse ihr der alten Welt,
Hier inmitten eurer Werke
Euer Tempel aufgestellt.
In Ruinen Schönheit-Prangen?
Kraft in Trümmern wank und schwach?
Was ihr zeugtet ist vergangen,
Folget euren Kindern nach.

[34]    Dort den Bogen, klein und enge,
Schwach gestützt und schwer verletzt;
Wem von all der Helden-Menge
Ward so ärmlich Mal gesetzt?
Titus. O so laßt es fallen!
Denn obs auch zusammen bricht,
So lang Menschen-Herzen wallen,
Brauchst du, Titus, Steine nicht.

Hoch vor allen sei verkläret,
Constantin,  D e i n  Siegesdom!
Mancher hat manch Reich zerstöret,
Aber du das Größte – Rom.
Über Romas Heldentrümmern
Hobst du deiner Kirche Thron,
In der Kirche magst du schimmern,
Die Geschichte spricht dir Hohn.

Mit dem Raub von Trajans Ehren
Hast du plump dein Werk behängt;
Trajan kann des Schmucks entbehren,
Er lebt ewig, unverdrängt:
Aber eine Zeit wird kommen,
Da zerstäubt geraubte Zier,
Da erborgter Schein verglommen,
Was spricht Heuchler dann von Dir?

[35]    Kolosseum, Riesenschatten
Von der Vorwelt Machtkoloß,
Liegst du da in Tods-Ermatten,
Selber noch im Sterben groß?
Und damit, verhöhnt, zerschlagen,
Du den  M a r t e r t o d  erwarbst,
Mußtest du das  K r e u z  noch  t r a g e n ,
An dem, Herrliche, du starbst!

Nehmt es weg, dies heil’ge Zeichen!
Alle Welt gehört ja dir;
Übrall, nur bei diesen Leichen,
Übrall stehe, nur nicht hier!
Wenn ein Stamm sich losgerissen
Und den Vater mir erschlug,
Soll ich wohl das Werkzeug küssen,
Wenns auch Gottes Zeichen trug?

Kolosseum, die dich bauten,
Die sich freuten um dich her,
Sprachen in bekannten Lauten,
Dich verstanden, sind nicht mehr.
Deine Größe ist zerfallen
Und die Großen sinds mit ihr,
Eingestürzt sind deine Hallen,
Eingebrochen deine Zier;

[36]    O so stürze ganz zusammen
Und ihr Andern stürzet nach,
Decket, Erde, Fluten, Flammen,
Ihre Größe, ihre Schmach.
Hauch ihn aus, den letzten Oden,
Riesige Vergangenheit!
Flach dahin auf flachem Boden
Geh die neue, flache Zeit!


[37]   

Am Morgen nach einem Sturm.

Im Molo di Gaeta.

[27. April 1819.]

Hast einmal wieder gestürmt?
Wildes, tobendes Element,
Wider Erd’ und Himmel
Feindlich kämpfend angerennt?
Töricht! Fruchtlos!
Sieh! Die Erde steht unbewegt
Und der Himmel wölbt sich heiter glänzend,
Lächelnd über sie und dich.
Du aber bist trüb und düster
Und warst doch schön wie sie.

Feinde nicht die Erde an,
Weil sie fest und grünend,
Beneide nicht den Himmel,
Weil er blau und hell:
Bist du minder fest als jene,
Bist du heller doch als sie;
Bist du minder hell als dieser,
Bist du fester doch als er,
Und beide – willst du ruhig quellen –
Spiegeln sich vereint in deinen Wellen.
Drum gib auf nur die Beschwerde,
Sei erst ruhig und dann schau,
Ob du grün nicht wie die Erde,
Wie der Himmel blau.


[38]   

Zwischen Gaeta und Kapua.

[Capua, am 27. April 1819.]

Schöner und schöner
Schmückt sich der Plan,
Schmeichelnde Winde
Wehen mich an;

Fort aus der Prosa
Lasten und Müh
Flieg’ ich zum Lande
Der Poesie;

Goldner die Sonne,
Blauer die Luft,
Grüner die Grüne,
Würz’ger der Duft.

Dort an dem Maishalm,
Schwellend von Saft,
Sträubt sich der Aloe
Störrische Kraft.

Ölbaum, Cypresse,
Blond du, du braun,
Nickt ihr wie zierliche,
Grüßende Fraun?

Was glänzt im Laube,
Funkelnd wie Gold?
Ha, Pomeranze,
Birgst du dich hold!

[39]    Apfel der Schönheit,
Paris Natur
Gab dich Neapolis
Reizender Flur.

Ehrlicher Weinstock,
Nützest nicht bloß?
Schlingst hier zum Kranze den
Grünenden Schoß.

Überall Schönheit,
Überall Glanz,
Was bei uns schreitet
Schwebt hier im Tanz.

Trotz’ger Poseidon
Wärest du dies,
Der drunten scherzt und
Murmelt so süß?

Und dies halb Wiese, halb
Äther zu schaun,
Es wär’ des Meeres
Furchtbares Graun?

Hier will ich wohnen!
Göttliche du,
Bringst du, Parthenope,
Wellen zur Ruh?

Nun so, versuch es,
Eden der Lust,
Ebne die Wogen
Auch dieser Brust!


[40]   

Nach der Rückkehr aus Italien.

[1819.]

So hab’ ich dich gesehn, genossen,
Du Land, wo Myrt und Lorbeer weht,
Des Schönen Heimat und des Großen,
Wo Lebenskeim’ aus Gräbern sprossen,
Des Träumers Traum verwirklicht steht.

Quelle:
Franz Grillparzer. Gedichte. Erster Teil. Verlag von Anton Schroll & Co. Deutscher Verlag für Jugend und Volk. Wien o.J. [1932]


~~~~~~~

[17]   

Kolosseum.

(Rom am 14 April 1819.)

Was stehst du da, du stolzer Bau
Und siehst mich traurig an,
Aus deinen Brauen altergrau,
Was hat man dir getan?

Sag an, was dir wohl fehlen mag,
Und sei es noch so viel,
Liegt das Gebrechen erst am Tag,
So setzt man wohl ein Ziel.

Doch ja! an dienen Wänden hier,
Hat Raubsucht dich gepackt
Bis an die festen Rippen schier
Steht deine Seite nackt:

Allein die Rippen halten noch
Und schließen ihren Ring
Und trotz dem Räuber stehst du doch,
Indes er selbst verging. –

Auch deines Schmuckes, deiner Zier
Wardst frevelnd du beraubt
Und kahl und dürftig stehst du hier
Mit unbedecktem Haupt:

[18] 
   Ein Andrer seufz’ ob solchem Druck,
Dir sei die Klage fern,
Die Größe ist des Großen Schmuck,
Nur Kleines putzt sich gern. –

Dies Zeichen hier am Vorderteil –
Was bebst und schütterst du?
Das Zeichen ists von Ruh und Heil
Wie nähm’ dirs Heil und Ruh?

Wiß, alles Irdische ist schwach
Und alle Kraft ist hohl,
Hilft nicht das Überird’sche nach
So steht sichs nimmer wohl,

Allein du meinst, dir sei nicht bang,
Du würdest selber sehn,
Du seist gestanden Säkuln lang
Und würdest ferner stehn?

Nun wohl so wirf es denn hindan
Und trotze bis zum Tod,
Wer von sich selber stehen kann,
Hat keiner Stütze Not.

Quelle:
Franz Grillparzer. Gedichte. Zweiter Teil. Nachlese. Verlag von Anton Schroll & Co. Deutscher Verlag für Jugend und Volk. Wien o.J.


~~~~~~~

[82]   

Römerzug.

[November 1837.]

Es zogen nach Rom die Barbaren,
Besoffen sich dorten mit Wein,
Um wieder nach Hause zu fahren
Und frostig wie vorher zu sein.

[83]   

[November 1837.]

Wie sie nach Italien wandern,
Läßts beim Eindruck Keiner bleiben;
Jeder sieht nur was die Andern
Und will doch was anders schreiben.

Quelle:
Franz Grillparzer. Gedichte. Dritter Teil. Sprüche und Epigramme. Textteil. Verlag von Anton Schroll & Co. Wien o.J.

~~~~~~~

Das Fach- und Kulturportal der Goethezeit