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Goethe im Gespräch

>> Ein Interview mit Jens Thomas, Pianist und Sänger ("Goethe! Gesang der Geister.")


Das Interview wurde von Evangelina-Petrova Cilerdzic und Susanne Koch am 5. Dezember 2007 geführt.

 

Mit einem fremden Menschen aus dem Stegreif über Emotionen und Intuition zu sprechen ist ungewöhnlich und leider auch eher unüblich. Jedoch mit Goethe als Thema... – offensichtlich kein Problem! Sogar wenn sich der Gesprächspartner in der Schulzeit für klassische Literatur eher nicht interessierte und Gedichte einem „total auf den Keks“ gingen. Das erwartet man natürlich nicht unbedingt von jemandem, der gerade die CD „Goethe! Gesang der Geister“ herausgebracht hat. Aber genau das macht das Gespräch mit Jens Thomas für uns so interessant: Warum ist jemand, der sich kaum an Klassiker in der Schule erinnern kann und sich nur für aktuelle, politische Literatur interessierte, plötzlich von Texten Goethes so berührt, daß derjenige gleich ein ganzes Musikalbum produziert? Und welche Beweggründe stecken hinter den gefühlvollen, musikalischen Interpretationen der Gedichte?

Wir haben Jens Thomas einfach mal gefragt:

 

Cilerdzic/Koch: Goethe-frei durch die Schule zu kommen ist ja eigentlich fast schon unglaublich. Welche Klassiker mußtest du denn stattdessen im Unterricht lesen? Hast du das damals als Last empfunden oder hat dir die Textbesprechung Spaß gemacht? Welchen Bezug hattest du in der Schulzeit allgemein zur klassischen Lektüre?

Jens Thomas: Eigentlich kann ich mich gar nicht daran erinnern, überhaupt klassische Werke in der Schule gelesen zu haben. Ich war auf einer kooperativen Gesamtschule im Gymnasialzweig in Hannover mit eigentlich spannendem, fächerübergreifendem Unterricht. Die 10. Realschul- Parallellklasse hat „Faust“ durchgenommen, aber wir hatten im Deutschunterricht eher aktuelle Texte, selten Romane, kaum Lyrik. Oder zumindest hat das dann keinen bleibenden Eindruck hinterlassen, sonst könnte ich mich ja daran erinnern. Mit 13 oder 14 Jahren habe ich mich für Rockmusik interessiert, sowas wie BAP oder sowieso eher politische Texte. Gedichte gingen mir eher auf den Keks, das war für mich intellektuelles Gedöns. Geschichten habe ich mir gerne ausgedacht habe und Aufsätze schreiben hat mir richtig Spass gemacht.

Das mit den fehlenden Klassikern lag vielleicht daran, dass viele Lehrer aus der 68er Generation kamen, bei denen waren Texte von Goethe nicht so angesagt, vermute ich. In meiner Familie spielten Klassiker, anders als vielleicht in Bildungsbürgerfamilien, keine Rolle, das war jedenfalls kein Teil des alltäglichen Lebens. Auch als meine Mutter viel später anfing, sich intensiv mit Goethe auseinanderzusetzen und Mitglied der Goethegesellschaft wurde – das hat mich inhaltlich trotzdem nicht interessiert.

Der „Flash“ kam erst vor 3 Jahren. In einem Münchner Hotelzimmer lagen diese Diogenes-Hefte rum. Einmal war da so ein richtig schön kitschiges Buch bei mir auf dem Zimmer: „Die schönsten Gedichte von Goethe“. Da hab ich einfach neugierig reingeguckt und da stand es dann.

„Und so lang du das nicht hast,
Dieses: Stirb und werde!
Bist du nur ein trüber Gast
Auf der dunklen Erde.“

Das hat mich tief berührt. Das steht ja auch im Text des CD-Booklet. Jetzt denke ich, dass mir dieser ganz eigene Zugang ohne schulischen Ballast geholfen hat, sehr frei die Goethe Gedichte zu vertonen. Aber sicher könnte man in der Schule die Klassiker auch total spannend behandeln, denke ich.

 

Du schreibst da ja auch, daß du mit Sekundärliteratur über Goethe nicht so weit gekommen bist. Woran lag das eigentlich?

Für mich hat Goethes Lyrik eine Art Eigenleben. Ich habe zu den Texten einen intuitiven, emotionalen Zugang. Verstehen kann ich das Wesen, den Inhalt oder die Botschaft der Texte eher von innen heraus. Ich muß für mich selbst nicht unbedingt das ganze Drumherum wissen, warum wer was wie gemeint und geschrieben hat, also das Ganze von außen her mit zeithistorischen Hintergründen betrachten. Das ist auch oft sehr verkopft beschrieben, das berührt mich nicht so. Oftmals hatte ich den Eindruck, das dann doch wieder Grenzen und somit Schubladen aufgemacht werden, die los zu werden, mir ein ganz wichtiger Ansatz ist. Schließlich haben Lyrische Texte ihren eigenen, inneren Rhythmus und mich hat die Sekundärliteratur mit ihren Deutungsversuchen, bis vielleicht auf Teile aus „Goethe und der Islam“, nicht erreicht. Goethe empfinde ich eher wie einen sehr offenen Kanal für uralte und gleichzeitig eben ganz moderne Weisheiten. Je weniger ich also Wissen als Ballast rumschleppe, desto freier bin ich im Umgang mit den Gedichten.

Welche Bedeutung hat denn überhaupt Literatur für dich? Auch hinsichtlich Inspiration für dich als Musiker?

Bisher waren Texte für mich keine Grundlage, um ein Stück zu schreiben oder zu improvisieren. Das Offene und Unkonkrete ist ja eben auch so reizvoll an Musik. Goethes Texte sind aber sehr offen, nie Alltags-konkret, es geht um Ebenen die ich eher im Spirituellen und Geistigen ansiedeln würde. So bleibt in der Interpretation viel Spielraum für Einfärbungen, Andeutungen und die Suche nach einer anderen, vielleicht bisher unbekannten Seite eines Gedichts. Aber diese Prozesse laufen bei mir nicht überlegt, sondern aus dem Vertrauen an die erste Idee, die „Eingebung“ ab. So haben die Songs ihren Weg gefunden, jedes Mal von einem Nullpunkt aus, ohne Rücksicht auf irgendwelche stilistischen Überlegungen.

Musik ist ja auch eine Kunst für sich und vermittelt selbst schon eine Botschaft. Wenn du jetzt dein eigenes schöpferisches Werk mit Goethes verbindest, steckt dahinter vermutlich eine bewußte Interpretation?

Durch das Sprechen der Gedichte erfahre ich den Rhythmus und den Klang des Textes. Es entsteht dann eine ganz bestimmte Stimmung, ein Gefühl, ein Sound. Dann hab ich plötzlich das Gefühl: DAS ist der Refrain. Das läuft bei mir aber eben immer gefühlsmäßig ab. So konnte ich eben auch nur die Texte vertonen, die etwas in mir berühren, wo ich meine: “das kenne ich auch, so geht’s mir auch.“ Es wird also etwas ausgedrückt durch Goethe, wo mir selbst eben die Worte fehlen. Die Gedichte erzwingen also auch ihre musikalische Form, so als müßte das so sein und nicht anders. Das „Heideröslein“ war dann innerhalb von einer halben Stunde klar, dagegen hat sich „Gesang der Geister über den Wassern“ über zweieinhalb Jahre andauernd verändert. Und den „Zauberlehrling“ zum Beispiel habe ich bis jetzt gelassen, weil ich den nicht zu fassen bekommen habe.

Deine Musik ist ja teils sehr emotional (und wie wir finden wunderschön). Fühlst du dich damit in der Öffentlichkeit wohl oder wie ist allgemein die Reaktion auf deine gefühlvolle Interpretation?

Ist deine CD „Gesang der Geister“ auch als eine Art Plädoyer zu verstehen, daß man mehr Wert auf Gefühle und Intuition legen soll, als immer nur vernünftig-rational alle Entscheidungen und Handlungen zu betrachten?

Dieses Projekt hat ziemliche Widerstände und auch Ablehnung ausgelöst, sowohl innerhalb einer „Fangemeinde“, die mich als reinen Jazzpianisten kannte, oder z.B. auch beim Musikreferat des Goethe-Institutes, die mich ansonsten seit über zehn Jahren mit meinen Projekten in die Welt schicken, aber nun gerade mit diesem ein Problem haben. Die CD „Goethe! Gesang der Geister“ polarisiert die Leute, ein Teil findet es „zu schön“ oder meint „das kann man nicht machen“, der andere Teil ist wirklich total berührt, ja ist regelrecht dankbar dafür und Stücke wie „Heidenröslein“ werden dann gerade von den jungen Leuten, wie ein Pophit gefeiert. Letztlich lieben diese Lieder vor allem die, die sich darauf ohne irgendwelche Bedenken auf die Emotionalität und Energie der Texte und Lieder einlassen, egal ob Junge oder Alte.

Du schreibst in dem CD-Booklet:

„Und doch wird diese Kraft in vielen Teilen unseres Lebens praktisch ausgeschlossen. Denn sie ist nicht sicht- und nicht planbar. Sie teilt nicht in Schubladen ein, sie öffnet und kennt keine Grenzen. Sie könnte den reibungslosen Ablauf des täglichen Betriebs stören.“

Steckt da ein Statement dahinter? Erlebst du die Gesellschaft als zu gefühllos?

Ich finde schon, dass das Leben in Deutschland, und hier als Beispiel der sogenannte Kulturbetrieb, sehr unter dieser Einteilung in Sparten, Disziplinen, Stilistiken und begrenzenden Kategorien leidet. Ich z.B. finde mich zur Zeit zwischen allen Stühlen wieder, weil das, was ich mache in kein vertrautes, eingeführtes und so kommerziell planbares Raster fällt. Wer sich traut, einen wirklich individuellen Weg zugehen, und sich dabei nicht in seiner ursprünglichen Energie und Emotionalität zurück nimmt, wird sehr schnell als Zumutung empfunden. Es gibt gerade im intellektuellen Kulturbetrieb ganz klare, aber natürlich ungeschriebene Regeln, was „man darf“. Und grundsätzlich schauen auch in Bereichen, die jetzt ganz und gar kein „Mainstream“ sind, so Manche eher danach, wie was verwertbar gemacht werden kann und lassen lieber die Finger von etwas, was sie nicht richtig einschätzen können. Wenige trauen sich wirklich einen eigenen Standpunkt einzunehmen. Die Angst „uncool“ oder „gefühlsduselig“ zu sein, ist groß. Insofern beruht mein Statement mit dieser Platte auf dem Grundsatz „mach dein Ding“ oder wie das in einem Sting-Song heisst: „be yourself, no matter what they say.“ Immer mehr zu wissen wer man ist, seine Aufgaben zu erkennen, sich denen zu stellen, die Angst alleine zu sein dabei überwinden und an sich selbst glauben, sich was zu trauen. Total im Augenblick sein, wirklich im besten Sinne Spass zu haben und dann auch offen sein für alle Anderen, für Neues, für Entwicklung. Und Glauben und Vertrauen, dass es noch eine andere Seite des Lebens gibt, ausserhalb von Materie, eine geistige Welt, Gott, wie auch immer man das nennt, und das, ohne begrenzende kirchliche Dogmen. Das ist ja auch ein Plädoyer Goethes, oder?

Goethes Werther ist ja z. B. eine sehr gefühlsbetonte Figur, die sich im negativen Sinne am Ende sozusagen völlig in den Gefühlen auflöst, also sich umbringt und so letztendlich an der Welt scheitert. Glaubst du, daß es gefühlsbetonte Menschen schwerer haben als rationale Menschen, die ihre Gefühle besser verstecken können?

Ich glaube, daß wir gerade einen Zeitalterwechsel erleben, es handelt sich hier also um ein generelles Zeitphänomen. Heute ist einfach eine völlig andere Art von Energie am Start. Nur mit der Materie die Welt zu erklären, ist gescheitert, daher bekommt auch Religion als gelebte Erfahrung wieder eine neue Bedeutung.


Du schreibst: „Ein deutscher Text welcher ein Gefühl, eine Stimmung vermittelt, wie vielleicht ein Song von Neil Young, und der nicht den Alltag beschreibt, sondern sich traut, eine Art geerdete Spiritualität zu fordern.“ Wie ist hier die „geerdete Spiritualität“ zu verstehen?

Als „Geerdete Spiritualität“ hat mal Elmar Goerden, der Intendant des Schauspielhauses Bochum, meine Lieder beschrieben. Spiritualität, die komplett abgehoben ist und sich nicht auch im Alltag, also auf der Erde wieder findet, hilft niemandem. Wir sind ohnehin alle geistige Wesen, mit einem menschlichen Körper und nicht umgekehrt. Unsere Seele ist unsterblich und macht eben immer wieder, um zu lernen, neue Erfahrungen bei einer neuen Inkarnation in einem anderen menschlichen Körper. Umso wichtiger ist aber, dass unsere Spiritualität nicht zu einer abgehobenen, um sich selbst kreisenden Meditationsorgie mutiert, sondern das Menschsein weiter entwickelt.


Vielen Dank für das schöne und interessante Gespräch!

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