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Goethes Italienische Reise, Rom

Jutta Assel | Georg Jäger

Volksleben in Rom
Saltarello – der Nationaltanz

Stand: August 2015
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Die Römer haben ein angeborenes Talent zur Musik; ihre Liebhaberei für die Laute ist sprichwörtlich, man lernt sie in der Familie, oft ohne alle Hilfe. Der Gesang ist außerordentlich voll, rein, hell, taktfest, aber ohne deklamatorischen Vortrag, stark, scharf, manchmal kreischend; man singt und spielt für sich. Abends und nachts spät hört man zuweilen Reihen von Sängern zu einer Laute marschierend durch die Straßen ziehen.

Auf dem Lande begleitet den Saltarello, den echt römischen Nationaltanz, welcher nur von Einem Paar zugleich getanzt wird, eine sehr einförmige Musik [....]. Der Saltarello wird rasch und hüpfend, mit steigender Schnelligkeit, wesentlich mit dem Oberkörper getanzt, der Mann spielt im Tanz die Guitarre, die Frau schlägt das Tamburin oder hebt anmutig die Schürze; die leidenschaftliche Bewegung, hüpfenden Wendungen und die geschickte Entfaltung der Körperform erinnern an die altrömischen Bacchustänze (den Saltarello sieht man oft auch in der Stadt, z.B. auf den einsamen Plätzen und in den Weinbergen und Gärten tanzen, im Oktober bei der Weinlese am Monte Testaccio).

Rom und die Campagna von Th. Gsell Fels. 4. Aufl. Leipzig, Wien: Bibliographisches Institut 1895 (Meyers Reisebücher), Sp. 77.

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Bilder und Reiseberichte

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Saltarello. Radierung von [Bartolomeo] Pinelli (1781-1835).

Quelle: Charles Mac Farlane: Popular Customs, Sports, and Recollections of the South of Italy. London: Charles Knight & Co., Ludgate Street 1846. Il Saltarello, S. 68-74. Hier S. 70. (Digitalisiert durch Google).

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Aber, um auf den Saltarello zurückzukommen, muß ich noch bemerken, daß er, wie auch der Name sagt, rasch und hüpfend, und zwar mit steigender Schnelligkeit getanzt wird, worin ein Tänzer den andern zu übertreffen strebt. Die Zahl der Tänzer ist willkürlich, wenn es aber viele sind, so wechseln sie je zwei und zwei ab. Der Mann spielt im Tanze die Gitarre, die Frau hebt die Schürze dazu oder schlägt das Tamburin. Zuweilen tanzen Männer mit Männern, und die Musikanten sind vom Tanze ausgeschlossen. Dieser Tanz wird bei allen Festlichkeiten auf dem Lande und auch bei den Landleuten der Stadt, z. B. bei den Winzern und Gärtnern in Rom und ihresgleichen, geübt. Man tanzt ihn auch auf den Straßen und Plätzen, wo denn der Zuschauer ein kleines Abkühlungsgeld gibt. Diese Straßentänzer haben meist einen Dudelsack zur Begleitung. Am schönsten sieht man ihn aber im 0ktober am Monte Testaccio tanzen, von den Winzern und Winzerinnen, nach der Weinlese. Dir eine deutliche Vorstellung davon zu geben, wird mir kaum gelingen: es ist ein Tanz, bei dem der ganze Körper in gleichen Anspruch genommen wird, ja, in dem die Arme fast mehr tanzen als die Beine. Die Bewegungen sind unendlich mannigfach, aber doch von gewissen Gesetzen geleitet, und die natürliche Grazie des römischen Volks gibt ihnen einen hohen Reiz.

Wilhelm Müller: Werke, Tagebücher, Briefe. Hg. Von Maria-Verena Leistner. Bd.5. Berlin: Gatza 1994. Rom, Römer und Römerinnen. Eine Sammlung vertrauter Briefe aus Rom und Albano. Albano, den 22sten Juli 1818. S. 34f.

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Künstler dem Saltarello zusehend. Federzeichnung von Dietrich Wilhelm Lindau (1799-1862).
Höhe: 27,8; Breite: 43,5cm.

Quelle: Hans Geller, Ernste Künstler. Fröhliche Menschen. Zeichnungen und Aufzeichnungen deutscher Künstler in Rom zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Joseph Führich und seine Freunde. München: Münchner Verlag und Graphische Kunstanstalten 1947, S. 139.

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Es ist Oktober und da zieht, Sonntags und Donnerstags, der Städter in die Weingärten vor dem Tor. Ein frohes Gewühl, Musik und Lärm lockt mich zur Seite in einen Hofraum. Lange Tische, mit Fritto und Crostata und strohumflochtenen Weinflaschen besetzt, dienen ringsum zum frohen Schmause, während in der Mitte beim scharfen Klang der Mandoline und sechzehnsaitigen Laute, die die Mitte zwischen der Gitarre und Harfe hält, ein buntes Getümmel wogt, das der Wein immer lauter macht. In einem Kreise von etwa drei Schritt Durchmesser, den ein dichter Haufe umsteht, wird der Saltarello getanzt, der mit dem sogenannten Forestiere abwechselt. Immer neue Paare treten auf, bis die ermüdeten Musiker schweigen, worauf die erhitzten Tänzer und Tänzerinnen sich mit langen Zügen Wein erfrischen, den der galante Bursche seinem Mädchen einschenkt. Die Nacht ist eingebrochen, angezündete Lichter beleuchten in seltsamen Streifen die schönen und ausdrucksvollen Gesichter, und die anmutigen Bewegungen schweben durch das Halbdunkel wie wiegende Schatten. Endlich geht der Zug auf der Landstraße nach Hause, sigend, lachend, im Takt der Musik. Angezündete Bündel von trockenen Lorbeerreisern dienen als Fackel in den Händen und erhellen den Weg. Rechts und links schallt aus anderen Osterien die Tanzmusik. Am Tor, wo die Wache steht, beeilt sich jeder, die brennenden Bündel fortzuwerfen […].

Ich war übermütig wie ein Kind, faßte den ersten besten mit unter den Arm und marschierte im Takt wie die andern. In ganz Trastevere war Tanz und Klang auf den Straßen. Vor der Tür jeder Trattoria, vor den Buden der Pizzikarotti, auf spitzen, unebenem Steinpflaster ging der Saltarello ununterbrochen fort, nur durch ein im Takt geschlagenes Tamburin unterhalten. Die ganze Bevölkerung war auf den Straßen. Wer vom Lande heimkam, bei dem legte sich die stürmische Lust erst allmählich, er ging immer noch halb tanzend oder singend.

Victor Hehn: Italienische Reise. München: Albert Langen o.J. (Bücher der Bildung; 2). Rom, den 13. Oktober 1839. S. 32f. Abschnitt eingefügt.

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Josef von Führich (1800-1876): Saltarello. Zeichnung, 1827.

Quelle: Josef von Führich: Lebens-Erinnerungen. Mit 50 Zeichnungen und einem Bildnis des Künstlers. Höchst-Bregenz: Heinrich Schneider-See-Verlag o.J. Hier S. 61.

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Wenn man die römischen Nationaltänze in aller ihrer Mannigfaltigkeit und Anmut kennenlernen will, so muß man sie auf einem Modellball von Mädchen und jungen Männern tanzen sehen. Der Reiz wird noch erhöht durch den Wechsel der Kostüme, die man hier beisammen sieht, und unter denen die aus der Campagna und von Albano und das reichste von allen, die Tracht von Nettuno, besonders in die Augen fallen. Dazu wirkt auch die Musik, Mandolinen und Tamburins, eigentümlich national. Man sieht die Jugend Roms auch im Oktober in den Osterien und auf dem Felde ihre Nationaltänze tanzen; denn zur Zeit der Weinlese ziehen Scharen von Mädchen und jungen Männern vor die Tore, besonders vor die Porta Angelica, und man sieht sie dort auf der schönen Wiese unter dem Monte Mario, auf Wegen und in Schenken das Tamburin schwingen und tanzen. Abends kehren diese Mädchen mit Gesang heim. Indem sie durch die Straßen fahren oder zu Fuß einherkommen, einen blumenbekränzten Thyrsusstab vorauftragen, ein gellendes und sehr lebhaftes Lied singen, und einige auch Fackeln in den Händen halten, möchte man wähnen, einen Zug von Mänaden oder Bacchantinnen vorüberziehen zu sehn. […]

Es herrscht die volle frische Tanzlust der Jugend, welche allein diese jungen Leute zu beseelen scheint, und es ist ein Genuß, ihren graziösen Bewegungen wie dem Ausdruck von Leidenschaft und höchster Befriedigung zu folgen. Wer noch keinen südländischen Nationaltanz sah, sondern nur die charakterlosen modischen Tänze oder die Abgeschmacktheit der Ballette kennt, erfreut sich an dieser Pantomimik eines lebendigen Tanzes, wie ihn das Volk aufführt. Die gut zustimmende Musik der Mandolinen mit ihren etwas kapriziösen, krausen Klängen, das bunte Kostüm von Purpur und Gold, von Grün und Rot, die schönen jugendlichen Formen der Tänzer und Tänzerinnen, die edelgebildeten klaren Römergesichter – das alles gibt eine vortreffliche Zusammenwirkung, und oft sind diese verschlungenen Tanzarabesken, dieses Verketten und Auflösen, diese anmutigen Neigungen, dieses Winken, Enteilen, Sichsuchen, dieses Hinschweben mit wechselnder Stellung gleich einem reizenden Figurenrelief anzusehen.

Man tanzt vielerlei Tänze, einheimische wie fremde. Der römische Nationaltanz ist der Saltarello, welcher nur von einem Paar zugleich ausgeführt wird. Er bewegt sich nicht in großen Linien, sondern in kleinen sehr raschen Takten und wird besonders mit dem Oberkörper getanzt. Er hat eine große pantomimische Lebendigkeit und etwas Bacchantisches, weniger Grazie in der Bewegung als Leidenschaft in den Schwingungen der hüpfend sich drehenden oder einen Halbbogen beschreibenden Körper. Die Mädchen tanzten auch die in aller Welt verbreitete Polka und versuchten sich selbst im Schleifer, welcher ihnen niemals gelang, denn dieser bewegt sich in horizontalen Linien, während das italienische Naturell viel eher die aufhüpfende und sprungweise Bewegung liebt. Der deutsche Tanz ist ein Tanz der Gemeinschaft und des Nebeneinander, der italienische eine Darstellung der schönen Körperform, ein Gegenübertanz und darum dramatisch.

Ferdinand Gregorovis: Wanderjahre in Italien. Neudruck der Urausgabe. Wien, Leipzig: Bernina o.J. Römische Figuren (1853), S. 121f.

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Siehe auch die Seite
Neapel: Volksleben
Folge III: Tarantella
http://www.goethezeitportal.de/index.php?id=6408

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