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Goethes Italienische Reise, Rom

»Römische Elegien«

Begriffserklärungen

 

 VI.
 »Kannst du, o Grausamer! mich in solchen Worten betrüben?
    Reden so bitter und hart liebende Männer bei euch?
 Wenn das Volk mich verklagt, ich muß es dulden! und bin ich
    Etwa nicht schuldig? Doch ach! Schuldig nur bin ich mit dir!
 Diese Kleider, sie sind der neidischen Nachbarin Zeugen;
    Daß die Witwe nicht mehr einsam den Gatten beweint.
 Bist du ohne Bedacht nicht oft bei Mondschein gekommen,
    Grau, im dunklen Surtout, hinten gerundet das Haar?
 Hast du dir scherzend nicht selbst die geistliche Maske gewählet?
    Soll’s ein Prälate denn sein  -  gut, der Prälate bist du!
 In dem geistlichen Rom, kaum scheint es zu glauben, doch schwör ich:
    Nie hat ein Geistlicher sich meiner Umarmung gefreut.
 Arm war ich leider! und jung, und wohl bekannt den Verführern,
    Falconieri hat mir oft in die Augen gegafft,
 Und ein Kuppler Albanis mich mit gewichtigen Zetteln
    Bald nach Ostia, bald nach den vier Brunnen gelockt.
 Aber wer nicht kam, war das Mädchen. So hab ich von Herzen
    Rotstrumpf immer gehaßt und Violettstrumpf dazu.
 Denn ,ihr Mädchen bleibt am Ende doch die Betrognen’
    Sagte der Vater, wenn auch leichter die Mutter es nahm.
 Und so bin ich denn auch am Ende betrogen! Du zürnest
    Nur zum Scheine mit mir, weil du zu fliehen gedenkst.
 Geh! ihr seid der Frauen nicht wert! Wir tragen die Kinder
    Unter dem Herzen, und so tragen die Treue wir auch;
 Aber ihr Männer, ihr schüttet, mit eurer Kraft und Begierde
    Auch die Liebe zugleich in den Umarmungen aus!«
 Also sprach die Geliebte und nahm den Kleinen vom Stuhle,
    Drückt’ ihn küssend ans Herz, Tränen entquollen dem Blick.
 Und wie saß ich beschämt, daß Reden feindlicher Menschen
    Dieses liebliche Bild mir zu beflecken vermocht!
 Dunkel brennt das Feuer nur augenblicklich und dampfet,
    Wenn das Wasser die Glut stürzend und jählings verhüllt;
 Aber sie reinigt sich schnell, verjagt die trübenden Dämpfe,
    Neuer und mächtiger dringt leuchtende Flamme hinauf.

   

„Das Mädchen spricht in freimütig-vorwurfsvollem Ton und weist entschieden alle Verdächtigungen des Geliebten zurück, wobei es ihn mit du anredet. Dieses „Du“ hebt den gesellschaftlichen unterschied auf und verbindet das Paar in einer Intimität, die der Liebe entspringt. Der einzige Geliebte bist du, beteuert das Mädchen und erinnert ihn daran, wie er einmal im Mondschein, zum Scherz als Geistlicher verkleidet, zu ihm gekommen war.“

(Zapperi 1999, S. 226)


„Dieses Wechselverhältnis von Vergegenwärtigung eines Glückszustandes und Bewußtsein des Verlusts ist ein Moment der Modernität; darin erfüllen die Römischen Elegien eine genuine Möglichkeit moderner Elegie. Zugleich jedoch versuchen die Römischen Elegien das Ineinander von Glück und Verlust, die Erfahrung von Zeit und Zeitlichkeit zu negieren und damit das Bewußtsein der Modernität gleichsam verschwinden zu lassen in der Feier des Augenblicks, wie etwa am Ende der sechsten Elegie…“

(Wild 1999, S. 56f.)

 

 

 

 

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