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Wiederentdeckungen

Dramentexte von Autorinnen

Zwei verschiedene Spielarten der Komödie demonstrieren die beiden Lustspiele Der Dichterling, oder: Solche Insekten giebts die Menge (1781) und Das Listige Stubenmädchen oder der Betrug von hinten (1784) der Autorin Juliana Hayn. 1758 in Pest geboren, war sie während der Entstehungszeit ihrer Stücke als Schauspielerin am Wiener Hof- und Nationaltheater engagiert.

Hayn war nicht die einzige Schauspielerin, die auch als Dramenautorin tätig war; zu nennen wären für das 18. Jahrhundert beispielsweise die bekannten Darstellerinnen Friederike Sophie Seyler (geschiedene Hensel), Sophie Albrecht und Elise Bürger, sowie Fanny Teutscher in Wien. Wie viele ihrer männlichen Kollegen nutzten diese Autorinnen die Gelegenheit, aus ihrer Bühnenerfahrung heraus Stücke nach Aufführungsbedarf und Geschmack ihrer jeweiligen Häuser zu liefern. Auch die beiden Lustspiele von Juliana Hayn wurden am Wiener Hof- und Nationaltheater aufgeführt; Das listige Stubenmädchen wurde anschließend außerdem in Linz gegeben.

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  •  Juliana Hayn: »Der Dichterling«

Das Lustspiel verspottet in der Tradition der Gelehrtensatire den jungen Protagonisten Ludwig von Bergthal, der sich für ein Genie hält, und sich beispielsweise mit seinen Trauerspielen brüstet, in denen pro Akt mindestens zwei Frauen in Ohnmacht fallen. Das Stück persifliert zum einen den zeitgenössischen Geniekult, zum anderen liefert es eine satirische Darstellung des entstehenden literarischen Marktes mit seinen Buchdruckern, Kritikern und Autoren. Seine Gegenspielerin ist die ihm als Braut zugedachte Juliane (die den Vornamen der Autorin trägt), die begabt mit praktischer Vernunft seine Eitelkeit durchschaut und mit Hilfe eines wirklich gelehrten Mannes Ludwig als „Dichterling“ à la mode entlarvt. Das Lustspiel ist das einzige Stück einer Autorin des 18. Jahrhunderts, in dem das Problem der Autorschaft zur Sprache kommt. Das Thema ‚weibliche Autorschaft’ wird im Drama von Frauen – anders als in den parallel entstehenden Romanen – gar nicht verhandelt.

  Teil 1
  Teil 2

 

 

     

  •  Juliana Hayn: »Das Listige Stubenmädchen«

Das Lustspiel Das Listige Stubenmädchen oder der Betrug von hinten spielt mit divergierenden Heiratsplänen, deren Überkreuzung für ein bewegtes, komödiantisches Spiel mit Briefen, Hintertüren und falschen Papieren sorgt, bis die glückliche Lösung aller Schwierigkeiten eine Doppelhochzeit ermöglicht, die in geradezu klassischer Manier das gute Ende in der Tradition der commedia dell’arte realisiert. Auch die Figuren des Stückes lassen sich eindeutig auf diese in Wien präsente Tradition zurückführen. Die Handlung selbst – alter Vormund will sein junges Mündel heiraten – ist, wie auch der wenig amüsierte Rezensent der Allgemeinen Deutschen Bibliothek 1786 feststellt, nicht neu, doch zeigen hier die selbstbewussten Frauenfiguren, allen voran das „listige Stubenmädchen“ Nanette, einen Einfallsreichtum, der sich auf bemerkenswerte Weise der Tatsache bewusst ist, dass hier Komödie gespielt wird.

  Vorrede, 1. Aufzug
  2. Aufzug
  3. Aufzug

 

 

Elisa von der Recke (1754-1833) ist bis heute eine der prominenteren Frauen des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Sie stand mit zahlreichen Aufklärern und Geistesgrößen ihrer Zeit - Schriftstellern, Philosophen und Pädagogen - in Kontakt. Reisen führten sie durch weite Teile Deutschlands, an den Hof nach St. Petersburg und nach Italien. Sie ist neben Friederike Brun eine der produktivsten Reiseschriftstellerinnen der Goethezeit, hat aber das Interesse der Forschung bislang nur in Ansätzen wecken können. Bekannt geworden ist von der Recke vor allem durch ihre öffentliche Auseinandersetzung mit dem berüchtigten Grafen Cagliostro, dessen Lehren sie zunächst anhing, die sie aber später in ihrer Abhandlung Nachricht von des berühmten Cagliostro Aufenthalt in Mitau im Jahre 1779 und dessen magischen Operationen entlarvte, ein Schritt, der ihr Respekt und Anerkennung einbrachte.

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  •  Elisa von der Recke: »Familien=Scenen oder Entwickelungen auf dem Masquenballe«

Ihr Schauspiel Familien=Scenen oder Entwickelungen auf dem Masquenballe erschien 1826 in Leipzig, wurde aber etwa 1794 geschrieben, wie aus der Widmung des Stückes hervorgeht. Die Autorin hat vermutlich dieses Schauspiel 1797 an Schiller ge-schickt, der ein solches Stück in einem Brief an Goethe erwähnt: „Die Elisa von der Recke hat mir ein voluminoses Schauspiel von ihrer Erfindung und Ausführung zugeschickt mit der Plenipotenz, zu streichen und zu zerstören. Ich werde sehen, ob ich es für die Horen brauchen kann, der Inhalt ist, wie Sie leicht denken können, sehr moralisch, und so hoffe ich, soll es auch durchschlüpfen. Ich muß auf jede Art für die Horen sorgen. Und daß so moralische Personen sich uns Ketzern und Freigeistern auf Gnade und Ungnade übergeben, besonders nach dem lauten Xenien-Unfug, ist immer eine gewisse Satisfaktion.“ (Schiller an Goethe, Jena, 15. Dezember 1797.)

 Titel und Widmung
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 2. Aufzug
 3. Aufzug
 4. Aufzug

 

 

Weikards Komödienproduktion ist ein gutes Beispiel dafür, dass Autorinnen im 18. Jahrhundert nicht nur Dramen geschrieben und publiziert haben, sondern dass diese Stücke auch aufgeführt worden sind. Die Grenzüberschreitung, die eine solche Schreib- und Veröffentlichungspraxis gleichwohl bedeutet, thematisiert die Autorin selbst in der Vorrede zu ihrer Sammlung Kleine Lustspiele, die ihr Erscheinen auf dem literarischen Markt begleitet und ironisch kommentiert. Schon mit den ersten Sätzen schaltet sie sich energisch in die zeitgenössische Debatte über die ‚Bestimmung des Weibes’ ein, indem sie einige bereits zum Topos gewordene Argumente der Vorredentradition von Autorinnen selbstbewusst aufgreift und dadurch konterkariert: „Ich habe schon oft gehöret, daß es sich für ein Mädchen weit besser schicke mit der Nähenadel, als mit der Feder zu agiren, und daß Schriftstellerei nur ein Vorrecht des Mannes sey. Freilich ist es billig, daß jedes Geschlecht seine Eigenthümlichkeiten habe. Allein, wenn wir armen Geschöpfe nicht auch aus unserer Sphäre greifen, so kommen wir viel zu kurz; denn die Männer haben uns alle unsere Alleinrechte angetastet.“

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  •  Mariane Sophie Weikard: »Kleine Lustspiele«

Inhaltlich folgen die Kleinen Lustspiele der italienisch-französischen Komödientradition, die die Wahl des Liebespartners durch Verwechslungen, Intrigen oder listige Inszenierungen häufig buchstäblich zum Liebesspiel macht. Eigenwillige Protagonistinnen haben in diesen Lustspielen ebenso Platz wie spöttische Worte über die Geschlechterverhältnisse und die Ehe, die dennoch gattungsgemäß den guten Ausgang der Stücke beschließt.

 Vorrede zu der Sammlung
 Der Vergleich
 Der gereiste Bräutigam
 Das nächtliche Rendezvous

 

 

Das rührende Lustspiel Die seltene Beständigkeit weist deutliche Bezüge zu August von Kotzebues Erfolgsstück Menschenhaß und Reue (1789) auf, auch wenn es sich streng genommen nicht um eine Ehebruchsgeschichte, sondern nur um die vermeintliche Untreue der Geliebten handelt. Dennoch sind die Hauptpersonen in ihrer charakteristischen Gegenüberstellung mit der Anlage des dramatischen Personals bei Kotzebue vergleichbar.

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  •  Friederike Sophie Hensel:
    »Die Entführung oder die zärtliche Mutter«

Ein Drama in fünf Aufzügen 
Mit einem Nachwort herausgegeben
von Anne Fleig

Der Beginn der zunehmenden Dramenproduktion von Autorinnen im 18. Jh. wird markiert durch ein bemerkenswertes Stück: Friederike Sophie Hensels Die Entführung oder die zärtliche Mutter (1772). Es greift das populäre Thema der verfolgten Unschuld auf, nimmt aber innerhalb der dramatischen Tradition wesentliche Veränderungen vor. Dazu gehören die Einführung der Figur der Mutter, die Akzentuierung der familiären Machtverhältnisse durch zwei Töchter und schließlich der Wahnsinn der Entführten, der das starre Tugend-Laster-Schema aufbricht und um eine vollkommen neue Dimension bereichert. Konsequenterweise endet das Drama mit einem offenen Schluss, der vom Standpunkt der Töchter aus scharfe Kritik an den Normen der entstehenden bürgerlichen Gesellschaft übt, deren moralische Ordnung bereits erschüttert ist.

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(Laatzen, Wehrhahn Verlag, 2004)

 

 

     

  •  Friederike Helene Unger:
    »Der Mondkaiser«

Posse in drei Akten
Mit einem Nachwort herausgegeben
von Anne Fleig

Ein Jahr nach der Französischen Revolution: Ein Physiker und sein Bedienter landen mit ihrem Heißluftballon auf dem Mond. Dessen Bewohner erheben Peter per Losentscheid zum Kaiser. Doch bald entpuppt sich der unerwartete Ruhm als Falle. Sprachwitz und Situationskomik zünden über dem Spiel mit Wirklichkeit und Fiktion und zahlreichen Anspielungen auf zeitgenössische Moden wie ein komisches Feuerwerk. Das Stück, 1790 „aus dem Französischen frei übersetzt“, vereinigt in sich Züge der Posse und der märchenhaften Utopie, die auf die commedia dell’arte zurückgehen.

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(Hannover, Wehrhahn Verlag, 2000)

 

 

     

  •  Karl Heinrich Seibt:
    »Von dem Einflusse der Erziehung auf die Glückseligkeit des Staats«

Das Werk – eine rhetorisch mustergültige Rede – sieht in der sittlichen Erziehung der Jugend bzw. in der „Ausbildung des moralischen Charakters der Bürger zur Tugend und Rechtschaffenheit“ das Fundament jeder Gesellschaft. Sie ist Bedingung „gemeiner Wohlfahrt“ und Voraussetzung für die „Glückseligkeit“ jedes einzelnen und aller Bürger. Dieser Leitgedanke wird in einem Tugendkatalog entfaltet, in dem „Patriotismus“ und Arbeit im Zentrum stehen: „Arbeit ist deine Pflicht, und die sicherste Brustwehr gegen das Laster. Ein müssiger Mensch ist eine unnütze Last der Erde, und ein faules Glied des Staats.“ Die Rede verdeutlicht das spätaufklärerische Programm einer „verhältnismäßigen Erziehung“ - verhältnismäßig je nach Stand und Rolle des Untertanen im absolutistischen Staat. Mit einer Eloge auf die aufgeklärten Herrscher, Kaiserin Maria Theresia und Thronfolger Joseph, endet die Rede.

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  •  Joseph Freiherr von Eichendorff:
    »Der Taugenichts«

Ein Hauptwerk der Romantik mit einigen der schönsten Lieder im Originalwortlaut der ersten Ausgabe von 1826. Der von Carel ter Haar edierte und kommentierte Text wird im Goethezeitportal neu publiziert.

»Das Rad an meines Vaters Mühle braußte und rauschte schon wieder recht lustig, der Schnee tröpfelte emsig vom Dache, die Sperlinge zwitscherten und tummelten sich dazwischen; ich saß auf der Thürschwelle und wischte mir den Schlaf aus den Augen, mir war so recht wohl in dem warmen Sonnenscheine. Da trat der Vater aus dem Hause; er hatte schon seit Tagesanbruch in der Mühle rumort und die Schlafmütze schief auf dem Kopfe, der sagte zu mir: »Du Taugenichts! da sonnst Du Dich schon wieder und dehnst und reckst Dir die Knochen müde, und läßt mich alle Arbeit allein thun. Ich kann Dich hier nicht länger füttern. Der Frühling ist vor der Thüre, geh auch einmal hinaus in die Welt und erwirb Dir selber Dein Brodt.« – »Nun,« sagte ich, »wenn ich ein Taugenichts bin, so ist's gut, so will ich in die Welt gehen und mein Glück machen.« ...

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 Kommentar und Materialien 
(München, Carl Hanser Verlag, 1977)

 

 

Der Philologe Johann Andreas Schmeller - Begründer des „Bayerischen Wörterbuchs“ - rechtfertigt in seiner Antrittsvorlesung an der LMU München 1827 das Studium der alt- und mittelhochdeutschen Literatur und Sprache. Er betont die „subjective und nationale“ Bedeutung dieses Erbes für Deutsche: „Liegt uns doch daran, zu wissen, wie unsre Vorältern sich kleideten, sich bewaffneten, wie sie wohnten, sich unterhielten, kämpften u.s.w. Sollte es uns gleichgültig seyn, zu wissen, wie sie sprachen, wie sie dachten? Und in diesem Sinne darf mit Grunde behauptet werden, daß Derjenige nicht sagen kann, er kenne vollkommen die Geschichte seines Volkes, der nicht zugleich sagen kann, daß er auch die Sprachkunstwerke, durch die in der schönsten Zeit dieses Volkes die Edelsten und Beßten desselben ergetzt und begeistert worden sind, in ihrer Urgestalt gelesen und verstanden habe.“

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Für Friedrich Gabriel Resewitz – Abt des Klosters Berge, Repräsentant der aufklärerischen Pädagogik – ist der „gemeine Menschenverstand“ das Fundament der Erziehung des Bürgers. Um ihn auszubilden, stützt er sich auf sinnliche Anschauung, alltägliche Erfahrung und natürliche Empfindung. Die Schrift ist eine hervorragende Quelle für die Anthropologie der Spätaufklärung und deren Umsetzung in eine Erziehungsmethode, die in 37 Regeln entfaltet wird. Die erste Regel lautet: „1) Bringe alles, so viel möglich ist, für die Sinne; laß es oft sehen und genau betrachten. Dieß ist der Weg der Natur, und zugleich das Mittel, das Genie zu erwecken und zu bereichern.“

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Afsprungs Schrift ist das Dokument eines „Patrioten“, der sich für das Gemeinwohl seiner Heimatstadt, der freien Reichsstadt Ulm engagiert. Er entwirft ein aufklärerisches Konzept für die „bürgerliche“ wie für die „gelehrte Erziehung“ sowie das anschließende Studium. Afsprung, der in einem Wanderleben die verschiedensten Schultypen kennen lernte, faßt die Hauptpunkte der Kritik am hergebrachten lateinischen Schulwesen zusammen. Politisch orientiert er sich an den Landsgemeinden schweizerischer Kantone - eine Einstellung, die ihn zum Anhänger der Französischen Revolution werden ließ.

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Der bayerische Bildungsreformer Heinrich Braun plädiert für die Vorrangstellung des Denkens vor dem Reden, er verlangt eine sachbezogene Ausdrucksweise im mittleren Stil, eine „ungekünstelte“ und „natürliche“ Schreibart. Damit ist die Rede nicht nur ein frühes Dokument der süddeutschen Aufklärung, sondern auch ein Dokument der deutschen Sprachgeschichte. Auszug:„Man bilde sich einen Redner ein, der anstatt gründlicher Beweise die Theile seiner Rede mit einem großen Vorrathe seltener oder übel angebrachter Gelehrsamkeit anfüllet. Der Ehrgeiz, den man hat, weise und gelehrt zu scheinen, machet, daß er fremde Zeugnisse über Zeugnisse, und Stellen über Stellen, Kernsprüche über Kernsprüche, Gleichnisse über Gleichnisse häufet, wovon sich oft kaum der halbe Theil zur Sache schicket […] Man bilde sich endlich einen Redner ein, der das Hauptwesen der Beredsamkeit in den Aeußerlichen setzet: er will durch Tropen, durch Figuren, durch Redensarten gefallen; das Ohr durch wohlklingende Periode kützeln, in welchen alle Worte gezählet, alle Sylben abgewogen sind: das heißt: man suchet den Mangel der Gedanken durch die Menge und Wahl der Worte zu ersetzen, und warum dieses? Weil es leichter ist, Reden als Denken.“

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