goethe


Jutta Assel | Georg Jäger

Gottfried August Bürgers "Lenore"
in Bildern von Johann Christian Ruhl

Stand: Juni 2010
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  • DIE BALLADE DER LENORE, von G. A. Bürger. In zwölf Umrissen (Außentitel auf beigem Büttenumschlag in Federlithographie). LENORE. von Gottfr. Aug. Bürger. Erfunden und gezeichnet von J. Chr. Ruhl. Cassel, 1827 (Innentitel im Schmuckrahmen). Format 28 x 39 cm.

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Die Bildtafeln werden originalgetreu reproduziert. Nicht reproduziert werden der beigegebene Balladentext von Bürger und die englische Übersetzung von E. Spencer. Doch sind die illustrierten Verse auf Deutsch und Englisch den Bildtafeln hinzugefügt. Nur in Auszügen sei das Vorwort zitiert:

Lenore, sagt A. W. v. Schlegel, bleibt immer Bürgers Kleinod, der kostbare Ring, wodurch er sich der Volkspoesie, wie der Doge von Venedig dem Meere, für immer antraute. – Die begeisterte Theilnahme bei dem Erscheinen dieses Gedichtes, die schnelle Verbreitung, die begünstigende Vorliebe, welche es fortwährend bei Alt und Jung im Gedächtniss erhielt, und endlich die Würdigung einer so scharfsinnigen Kritik – Alles dieses sind eben so viele Stimmen, welche, indem sie den Werth dieser Ballade feststellen, ihr in unsrer classischen Litteratur einen der ehrenvollsten Plätze sichern.

Es sey mir erlaubt, hier die Worte Schlegels zu wiederholen, welche den Inhalt des Gedichtes eben so einfach als durchdacht vor Augen bringt:

>Eine Geschichte – sagt er – welche die getäuschten Hoffnungen und die vergebliche Empörung eines menschlichen Herzens, den alle Schauer eines verzweiflungsvollen Todes in wenig[en] leichtfasslichen Zügen und lebendig vorüberfliehenden Bildern entfaltet, ist ohne conventionelles Beiwerk, ohne vom Ziel schweifende Ausschmückungen in die regste Handlung, und fast ganz in wechselnde Reden gesetzt, während welcher man die Figuren, ohne den Bestand störender Schilderungen, sich bewegen und gebehrden sieht. In dem Ganzen ist einfache und grosse Composition. Es theilt sich ausser der kurzen Einleitung und den Uebergängen in drei Massen, wovon die erste das heitere Bild eines friedlich heimkehrenden Heeres darbietet, und mit den beiden anderen der wilden Leidenschaft Lenorens, und ihrer Entführung in das Reich des Todes den hebendsten Gegensatz macht. Diese stehen einander wiederum gegenüber: was dort die Warnungen der Mutter, sind hier Lenorens Bangigkeiten, und mit eben der Steigerung, die in den frevelnden Ausbrüchen ihres Schmerzes ist, wird sie immer gewaltsamer und eilender, ja zuletzt mit einem Sturm des Grausens ihrem Untergang entgegen gerissen.<

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Inhalt 

 Innentitel
 Lenore fuhr um's Morgenroth
Empor aus schweren Träumen:
 Gottlob! rief Kind und Gattin laut,
Willkommen manche frohe Braut.
 Sie frug den Zug wohl auf und ab,
Und frug nach allen Nahmen;
 Lisch aus mein Licht, auf ewig aus!
Stirb hin, stirb hin, in Nacht und Graus,
Bei Gott ist kein Erbarmen,
O weh, o weh, mir Armen! –
 Holla, Holla! thu auf mein Kind!
Schläfst Liebchen, oder wachst du?
 Schön Liebchen schürzte, sprang und schwang
Sich auf das Ross behende;
 Zur rechten und zur linken Hand,
Vorbei vor ihren Blicken,
Wie flogen Anger, Heid' und Land!
Wie donnerten die Brücken!
 Sieh da! sieh da! am Hochgericht
Tanzt' um des Rades Spindel,
Halb sichtbarlich bei Mondenlicht,
Ein luftiges Gesindel. –
 Rasch auf ein eisern Gitterthor
Ging's mit verhängtem Zügel;
 Zum nackten Schädel ward sein Kopf;
Sein Körper zum Gerippe,
Mit Stundenglas und Hippe.
 Mit Gott im Himmel hadre nicht,
Des Leibes bist du ledig,
Gott sei der Seele gnädig! –

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Kurzbiographie von Gottfried August Bürger

Bürger, Gottfried August, namhafter deutscher Dichter, geb. in der Silvesternacht 1747/48 in Molmerswende bei Ballenstedt am Unterharz, wo sein Vater Pfarrer war, gest. 8. Juni 1794 in Göttingen, besuchte die Stadtschule zu Aschersleben (1759 bis 1760), dann das Pädagogium zu Halle (1760-1763), begann gegen seine Neigung, nur auf Verlangen seines Großvaters, 1764 das Studium der Theologie zu Halle, wandte sich jedoch bald unter dem Einfluß des Professors Chr. Ad. Klotz schönwissenschaftlichen Studien zu. Nach Erledigung seiner oft durch zügellosen Leichtsinn unterbrochenen Studien erhielt er 1772 durch Boies Vermittelung die Stelle eines Amtmanns von Altengleichen bei Göttingen, trat mit dem jungen Dichterkreis in Göttingen (Hölty, Voß, Miller, Cramer, die Grafen Stolberg u. a.) in Beziehung und heiratete im Herbst 1774 eine Tochter des Justizamtmanns Leonhart zu Niedeck, mit der er bald darauf nach Wölmershausen, einem Dorf seines Gerichtssprengels, zog. Bald jedoch faßte er die heftigste Leidenschaft für die jüngere Schwester seiner Frau, die in seinen Liedern unter dem Namen Molly überschwenglich gefeierte Auguste, die nach dem Tod ihres Vaters (1777) eine Zeitlang unter seinem Dach lebte. Das Doppelverhältnis zu den beiden Schwestern bereitete ihm jahrelang die aufreibendste Gewissensqual. Dazu kamen mancherlei häusliche Sorgen. Von seinen Vorgesetzten obendrein wegen nachlässiger Geschäftsführung angeklagt, wurde B. in der angeordneten Untersuchung zwar freigesprochen, doch entschloß er sich, sein Amt freiwillig niederzulegen.

Nach dem Tode seiner Gattin (1784) siedelte er nach Göttingen über, um sich durch Privatvorlesungen über Ästhetik, deutschen Stil und ähnliche Gegenstände eine neue Existenz zu begründen, und verband sich im Juni 1785 endlich mit seiner geliebten Molly auch am Altar. Ihr früher Tod (9. Jan. 1786) stürzte ihn von neuem in das tiefste Seelenleid und benahm ihm für einige Zeit die Luft zu dichterischem Schaffen. Die Universität erteilte ihm bei ihrem 50jährigen Jubiläum die philosophische Doktorwürde und bewirkte im November 1789 seine Ernennung zum außerordentlichen Professor (jedoch ohne Gehalt). Der Wunsch nach einem geordneten Hausstand veranlaßte B. zu einer dritten Heirat, der unglücklichsten. Im Oktober 1790 verband er sich mit seinem "Schwabenmädchen"; aber schon nach wenigen Wochen trat die unglückseligste Zerrüttung des Familienlebens ein, der zwar durch eine Ehescheidung (März 1792) ein Ende gemacht wurde, jedoch nicht, ohne daß Lebensmut und Lebenshoffnungen in B. völlig vernichtet wurden. Er hinterließ zwei Töchter und zwei Söhne.

1895 wurde ihm in Göttingen ein Denkmal errichtet. B. war klein und hager, die Gesichtszüge waren zu groß für seine Gestalt, aber Stirn und Nase kühn, und durch die schönen Augen schimmerte der schaffende Dichtergeist. Gesellige Gewandtheit ging ihm ab, und seinem Charakter fehlte bei einem hohen Grad von Herzensgüte die Willensstärke.

Bürgers Dichtertalent gedieh nur langsam zur Entwickelung, wesentlich gefördert durch die kritische Strenge seines Freundes Boie und insbes. durch die Berücksichtigung volkstümlicher Muster. Die Wärme seiner Empfindung, die unmittelbaren und ergreifenden Naturtöne der Innerlichkeit, die Weichheit und zugleich die Kraft des Ausdrucks, die Mannigfaltigkeit der Formen, die er beherrschte, stempeln ihn zu einem der größten deutschen Lyriker, wenn auch Schillers Vorwurf, ihm fehle der ideale Begriff von Liebe und Schönheit, nicht ganz unberechtigt ist. Neben seinen lyrischen Gedichten wurden vor allem seine erzählenden Gedichte im Volkston berühmt. Seine ersten Schöpfungen dieser Art tragen in Nachahmung Gleims einen burlesk-parodistischen Charakter; den wahren Ton der volkstümlichen Ballade fand er erst unter dem Einfluß der englischen Volksliedersammlung Percys, der Aufsätze Herders und der Erstlingsschriften Goethes. Im "Musenalmanach" auf 1774 erschien seine berühmteste Ballade, die "Lenore". Seine Ansicht, daß Popularität eines dichterischen Werkes das Siegel seiner Vollkommenheit sei, entwickelte er 1776 in dem Aufsatz "Aus Daniel Wunderlichs Buch". 1778 übernahm B. an Göckingks Statt die Redaktion des "Göttinger Musenalmanachs" und gab die erste Sammlung seiner "Gedichte" (neue Aufl., 1789, 2 Bde.) heraus. Seine Übersetzungen sind, wie der Versuch einer Ilias in Jamben und seine Macbeth-Bearbeitung, meistens durch die Anwendung falscher Übersetzungsprinzipien mißlungen. Eine Sammlung von Bürgers sämtlichen Schriften veranstaltete Reinhard (Götting. 1796-98, 4 Bde.; zuletzt 1823 24 in 7 Bdn.), der auch Bürgers "Lehrbuch der Ästhetik" (Berl. 1825, 2 Bde.) und das "Lehrbuch des deutschen Stils" (das. 1826) nach seinen in Göttingen gehaltenen Vorlesungen und als einen Supplementband seine "Ästhetischen Schriften" (das. 1832) herausgab.

(Meyers Großes Konversations-Lexikon, 6. Aufl. 1905-1909, Bd.3, 1905, S. 621 f. Digitale Bibliothek 100, S. 28096-28009)

 Zum Porträt Bürgers von Johann Heinrich Kinger siehe

Robert Stalla | Bettina Hausler
Porträts der Goethezeit, Nr. 3
http://www.goethezeitportal.de/index.php?id=541

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Kurzbiographie von J. Chr. Ruhl und Werkbeschreibung

Ruhl, Johann Christian, Bildhauer, geb. 15.12.1764 Kassel, gest. 1842 Kassel. R. studierte Bildhauerei bei dem Hofbildhauer Johann August Nahl d.J. und schuf das Hessen-Denkmal vor dem Friedbergtor in Frankfurt/Main. Er wurde zum Hofbildhauer und Prof. an der Akademie der bildenden Künste in Kassel ernannt. R. illustrierte u.a. Gottfried August Bürgers Lenore. (Deutsche Biographische Enzyklopädie. CD-ROM-Edition). Weitere Illustration in Umrißmanier: Ossian's Gedichte im Umrisse; erfunden und radirt. 3 Hefte. St. Petersburg, Penig u. Leipzig 1805-1807.

"Das radirte Titelblatt (Nr. 1) enthält eine sinnreiche, sich auf die Ballade beziehende Allegorie. Unter jedem der 12 Blätter ist die dargestellte Szene mit den eigenen Worten des Dichters angegeben. Das 2. Blatt: >Lenore fuhr um's Morgenroth empor aus schweren Träumen< ist sehr gelungen, und stellt Lenoren im ersten Erwachen vor; im Hintergrunde findet man auf der einen Seite einige schauerliche Traumszenen und auf der andern den anbrechenden Tag angedeutet. Die Hauptfigur erinnert an schöne griechische Antiken. Das 3. Blatt: >Gottlob! rief Kind und Gattin laut u.s.w.< ist reich an Figuren, und gut gruppirt. Auf dem 4. Blatt: >Sie frug den Zug u.s.w.< macht Lenore die Hauptfigur im Vordergrunde, auf einer kleinen Anhöhe stehend, aus. Das 5. Blatt: >Lisch aus, mein Licht, auf ewig aus u.s.w.< stellt Lenoren, gehalten von ihrer trauernden und geängsteten Mutter, in ihrer Verzweiflung dar. Auf dem 6. Blatt: >Holla, holla, thu' auf mein Kind u.s.w.< erblickt man Lenoren auf ihrem Ruhelager, und Wilhelmen auf seinem Rosse an der Pforte. Das 7. Blatt stellt die in den Worten >Schön Liebchen schürzte, sprang und schwang sich auf das hohe Roß behende< geschilderte Szene dar. Das 8. Blatt: >Sieh da! sieh da! am Hochgericht tanzt um des Rades Spindel, halb sichtbarlich bei Mondenlicht, ein luftiges Gesindel<, stellt Wilhelmen und Lenoren, im sausenden Galopp auf dem schnaubenden Rosse, forteilend vor; um das Rad am Hochgericht herum schweben gräßliche Teufelslarven, Knochengerippe u.s.w., und im Thale erblickt man einen Leichenzug vorüberziehen. Das 9. Blatt: >Zur rechten und zur linken Hand, wie donnerten die Brücken<, ist mit Kraft und Geist – wie das vorige – ganz im Sinne der schauerlichen Ballade ausgeführt. Das 10. Blatt: >Rasch auf ein eisern Gitterthor, ging's mit verhängtem Zügel<, ist, was Hauptfiguren und Umgebungen betrifft, sehr beifallswerth. Das 11. Blatt: >Zum nackten Schädel wird sein Kopf, sein Körper zum Gerippe, mit Stundenglas und Hippe<, gewährt mit seinem Knochengerippe und den in der Luft schwebenden Todtenlarven einen schauerlichen Anblick. Das 12. und letzte Blatt: >Mit Gott im Himmel hadre nicht, des Leibes bist du ledig, Gott sey der Seele gnädig<, ist eben so sinnreich gedacht, als originell und kräftig ausgeführt. Lenore im Sterben, ein Todtengerippe, ihre Hand und ihr Gewand ergreifend, sucht sie in das Reich unseliger Schatten herabzuziehen; gräßliche Höllenlarven führen in der Tiefe einen Reigen auf, unter andern hebt sich der obere Theil einer Gestalt hervor, mit Flammen in den Händen, auf der andern Seite steht ein drohendes Todtengerippe, im Hintergrund erblickt man verwitterte Grabmäler, u.s.w. aber über Lenoren, in den Wolken, erscheinen zwei geflügelte, tröstende Genien, die entfesselte Seele empor tragend, und Lenore hebt scheidend den Blick zu ihnen empor. Hinter dem Gewölke zeigt sich der Mond. Das ganze Werk ist in seiner Anlage und Ausführung des Gegenstandes und des Künstlers vollkommen würdig, und verdient, von allen Kunstfreunden gekannt zu werden."

(Friedrich Wilhelm Strieder: Grundlage zu einer hessischen Gelehrten- und Schriftsteller-Geschichte. Bd. 19. 1831. Deutsches Biographisches Archiv, Fiche 1066.)

 

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